Samstag, 27. Februar 2021

Buchrezension: Jennifer B. Wind - Die Maske der Gewalt (Ein Richard-Schwarz-Thriller, Band 1)

Inhalt:

LKA-Ermittler Richard Schwarz weiß genau, wie es ist, einem skrupellosen Mörder ausgeliefert zu sein. Seit dem Tag, an dem seine Mutter durch die Hand eines Freiers starb und er selbst schwer verletzt wurde, versucht er, seine eigene Verwundbarkeit hinter einer Maske zu verbergen. Als in Wien kurz nacheinander die Leichen zweier Frauen gefunden werden, setzt Richard alles daran, den Täter zu finden: Seine einzige Spur ist das merkwürdige Muster der Stichverletzungen auf ihren Körpern. Bis die Gerichtspsychiaterin Theres Lend sich an ihn wendet: Sie glaubt, den Mörder zu kennen.
Als Richards Schwester Sarah in München aus ihrem eigenen Zirkus entführt wird, spitzt sich die Lage zu. Für den Ermittler zählt jede Sekunde. Er muss Sarah retten, einen Mörder überführen – und seine eigenen Dämonen besiegen. 

Rezension: 

In Wien werden kurz hintereinander zwei Frauen brutal ermordet. Während die erste Frau mit mehreren Messerstichen getötet wurde, wurden der zweiten Leiche die Stiche post mortem zugefügt. Abteilungsinspektor Richard Schwarz ermittelt in beiden Mordfällen, hat jedoch mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen. Er musste als Kind mit ansehen, wie seine Mutter getötet wurde und ist seitdem selbst nicht nur mit inneren, sondern auch durch äußere Narben gezeichnet. Der Tod seiner Mutter ist der Grund, warum er Polizist wurde, verbunden mit dem Ehrgeiz, den Täter nach all den Jahren zu finden. 
Parallel zu den Mordfällen in Wien wird seine Schwester Sarah in München entführt und Richard mit einer Lösegeldforderung erpresst. Als sich Richard in Sorge um seine Schwester nach München begeben möchte, wird er von der Gerichtspsychiaterin Theres Lend aufgehalten, die glaubt, den Mörder der beiden Frauen zu kennen. 

"Die Maske der Gewalt" ist der erste Band der Dilogie um den schwer gezeichneten LKA-Ermittler Richard Schwarz. 
Der Krimi - anders als die Reihe bezeichnet wird, handelt es sich meines Erachtens nicht um einen Thriller - besteht aus mehreren Handlungssträngen und wird aus verschiedenen Erzählperspektiven geschildert. Kern der Geschichte ist jedoch Richard Schwarz und zu Beginn die Mordserie in Wien, wobei wiederholend Richards trauriges Schicksal, seine geschundene Seele und seine körperlichen Narben erörtert werden. Einzelne Kapitel werden aus der Sicht von Theres Lend geschildert, wobei auch bei ihr ein mitleiderregendes Dilemma in den Vordergrund gerückt wird. Die Entführung nimmt ab knapp der Hälfte des Romans Richards ganz Aufmerksamkeit in Anspruch und macht es Richard noch schwerer, sich auf seine eigentliche Arbeit zu konzentrieren. 

Für einen Thriller fehlte mir der Nervenkitzel, wohingegen mir das persönliche Schicksal von Richard viel zu sehr betont wurde. Statt eines taffen Kriminalbeamten hat man ein traumatisiertes Opfer vor sich, das der Polizeiarbeit nicht gewachsen scheint. Weiterhin fand ich die Art der Mordermittlung dilettantisch und unrealistisch. Wie viele Details Richard und sein Kollege, Chefinspektor Paul Marek, vor Zeugen ausplaudern, ist fernab der Realität. Kein Kriminalbeamter würde so offen und scheinbar belanglos über offene Ermittlungen sprechen. Auch dass Richard eine ihm völlig fremde Frau nach München mitnimmt, um diese während der Fahrt zeugenschaftlich zu befragen, fand ich abwegig. 
Die Figur Richard Schwarz erscheint nicht uninteressant und auch die beiden Kriminalfälle entwickeln eine gewisse Grundspannung. Letztlich fehlte mir aber eine schlüssige Verbindung der beiden Erzählstränge und fand die Lösung des Falls von zu vielen glücklichen Zufällen geprägt. Nach dem wirklich mitreißenden Prolog - der einzige Teil des Buches, der an einen Thriller erinnerte - hatte ich andere Erwartungen an den Roman. Weniger Gejammer, ein stärkerer Fokus auf die Kriminalfälle und mehr Authentizität bei den Ermittlungen hätten dem Auftaktband der Reihe gutgetan. 

Freitag, 26. Februar 2021

Buchrezension: Anne Prettin - Die vier Gezeiten

Inhalt:

Die Kießlings gehören zu Juist wie die Gezeiten. Als Patriarch Eduard das Bundesverdienstkreuz erhält, kommen sie alle zusammen: Eduards Frau Adda, die drei Töchter, sowie Großmutter Johanne. Doch in die Generalprobe platzt Helen aus Neuseeland, die behauptet, mit der Sippe verwandt zu sein. Und tatsächlich: Sie ist Adda wie aus dem Gesicht geschnitten. Gemeinsam gehen sie dem Rätsel ihrer Herkunft nach. Denn Adda ahnt: Der Schlüssel zur Wahrheit liegt im familieneigenen Hotel de Tiden, dort, wo vor 75 Jahren alles begann. 

Rezension: 

Im Jahr 2008 soll das Familienoberhaupt der auf der Insel Juist alteingesessenen Familie Kießling, Eduard, das Bundesverdienstkreuz erhalten. Während der Vorbereitungen zu seiner Rede erhält die Familie unerwartet Besuch von Helen aus Neuseeland, die Eduards Frau Adda unheimlich ähnlich sieht. Sie behauptet, adoptiert zu sein und aus Deutschland abzustammen und hat ein Foto aus den 1960er-Jahren bei sich, das Adda mit ihren Töchtern zeigt, was ihre Verbindung zur Familie eindeutig belegt. Die Kießlings schweigen zunächst und machen es Helen schwer, herauszufinden, wer ihre Eltern sind. 
Adda blickt daraufhin auf ihr Leben zurück - auf ihre Kindheit, in der sie sich so sehr nach der Liebe ihrer Mutter Johanne gesehnt hat, auf ihre unglückliche Liebe und die abrupte Hochzeit mit Eduard, der Weihnachten 1956 in ihrem Hotel de Tiden eincheckte und blieb. Dabei kann sie ihrer Mutter endlich ein Familiengeheimnis entlocken, das ihre Distanziertheit zu Adda erklärt und deckt weitere Parallelen in ihren Leben auf, durch die ihnen ihr Glück verwehrt wurde.  

"Die vier Gezeiten" erzählt eine Familiengeschichte, die 1934 beginnt und, ausgelöst durch den Besuch einer Fremden im Juni 2008, in verschiedenen Rückblenden auf die 1950er und 1960er-Jahre geschildert wird. Der Fokus wird dabei im Wesentlichen auf die mittlere Generation der Adda und ihre Beziehung zu ihrer früh verwitweten Mutter Johanne, die das familieneigene Hotel de Tiden aufbaute, und zu ihren vier Töchtern Wanda, Frauke, Thede und Marijke gerichtet. 
Dabei steht zwar die Frage im Raum, ob und wer der vier Töchter die Mutter der 1982 geborenen Helen sein könnte, tatsächlich rückt jedoch die Geschichte der Familie Kießling mit ganz anderen, zumeist traurigen Details, in den Vordergrund und die Sprachlosigkeit, die unter den Generationen herrscht. 
Dabei ist der Roman empathisch geschildert und liefert durch die Schicksalsschläge, die vor allem Johanne und Adda verarbeiten mussten, allmählich Erklärungen, warum die Frauen sich derart reserviert verhalten und mit welchen Entscheidungen aus der Vergangenheit sie hadern. 
Auch wenn das plötzliche Erscheinen der Helen als Auslöser für die Aufarbeitung der Familiengeschichte etwas konstruiert wirkt, konnten mich die schicksalshaften Lebensgeschichten von Johanne und Adda, ihre unglücklichen Lieben und der Verzicht auf das eigene Glück für den Ruf der Familie, fesseln. 
Beeindruckend ist auch das Tagebuch der ältesten Tochter Wanda, das sie als Teenager in den 1970er-Jahren geschrieben hat und in welchem sie ganz offen und ehrlich einen kritischen Blick auf ihren Vater Eduard, den "Provinzfürst", wirft, den sie durch ihre ungestüme Art so leidenschaftlich provozieren konnte. Sie träumte von Größerem und wollte sich weder gedanklich noch räumlich einschränken lassen, Grenzen, denen sich ihrer Mutter dagegen aussetzte. Das beklemmende Gefühl des Insellebens, wo jeder jeden kennt und nichts im Verborgenen bleiben kann, wo Abweichler von gesellschaftlichen Normen radikal ausgegrenzt werden und wo Ebbe und Flut so eng miteinander verbunden sind wie Liebe und Tod, ist durch die starken und lebendigen Charaktere, wunderbar nachvollziehbar geschildert. 
Neben der fiktiven Geschichte der Kießlings werden auch die ganz realen Probleme der Nordseeinsel wie Umwelt- und Tierschutz, Klimawandel und bezahlbarer Wohnraum thematisiert und mit viel Geschick in den Roman eingebunden. 

Mittwoch, 24. Februar 2021

Buchrezension: Stephanie Schuster: Die Wunderfrauen: Von allem nur das Beste (Wunderfrauen-Trilogie, Band 2)

Inhalt:

Zu Beginn der 1960er Jahre, den Swinging Sixties, ist viel zu tun in Luise Dahlmanns kleinem Laden, er ist ihr ganzer Stolz. Die Regale sind prall gefüllt mit allem, was das Herz begehrt: frische Waren aus dem Umland und Feinkost aus der ganzen Welt. Luise möchte mit der Konkurrenz mithalten, die Kunden wünschen sich plötzlich Selbstbedienung, suchen nach Angeboten und fragen nach dem Rezept für das Sonntagsessen.
Drei Frauen sind in diesem Jahrzehnt voller Umbrüche an ihrer Seite: Die alleinerziehende Helga, die nun als Ärztin arbeitet, ihre Schwägerin Marie, die inzwischen vier Kinder hat und Annabel, deren Familie nach einem Schicksalsschlag zu zerbrechen droht. Das Leben hat die vier Frauen in den letzten Jahren enger verbunden als sie dachten. Und sie merken: Gemeinsam kann man aus Träumen Echtes erschaffen. 

Rezension:

Starnberg, 1961: Das kleine Lebensmittelgeschäft von Luise Dahlmann floriert, Luise kann sich vor Arbeit kaum retten. Ihre ehemalige Freundin Helga Knaup ist inzwischen Ärztin geworden und zieht mit ihrem Sohn David nach Starnberg zurück, wo sie in der Seeklinik eine Anstellung als Gynäkologin findet. Da sich Luises Tochter Josie direkt mit ihrem neuen Mitschüler David anfreundet, kommt auch Luise nicht um den Kontakt mit Helga herum. Die beiden vermissen ihre alte Freundschaft und blenden das Zerwürfnis, das ihre Freundschaft zerstörte, aus. Die wahren Hintergründe des Seitensprunges ihres Ehemanns Hans mit Helga hat Luise nie erfahren. 
Luises Nachbarin Annabel von Thaler ist mit Anfang 40 überraschend zum zweiten Mal Mutter geworden. Doch das Glück ist nicht perfekt, denn die kleine Marlene kommt mit einer Behinderung zur Welt. Annabel fragt sich, ob sie etwas in der Schwangerschaft falsch gemacht hat, insbesondere da ihr Ehemann, der leitende Direktor der Seeklinik, seltsam nach der Geburt reagiert und sich die Anzahl der missgebildeten Neugeborenen häuft. 
Luises Schwägerin Marie Brandstetter ist inzwischen Mutter von drei Kindern und macht die Arbeit am Hof ihres Ehemanns Martin in Leutstetten, der wegen des besseren Verdients in der Forstwirtschaft arbeitet, fast alleine. Der Haushalt, die Kinder, die Tiere, Martins behinderter Bruder Manni, die betagte Tante Polli - Marie weiß  nicht mehr, wo ihr der Kopf steht und ist froh, dass mit neuen Geräten wie der Waschmaschine Erleichterungen für die tägliche Arbeit Einzug halten. 

"Die Wunderfrauen - Von allem nur das Beste" ist die Fortsetzung von "Die Wunderfrauen - Alles, was das Herz begehrt". Wie schon der erste Band der Reihe, der mir sehr gut gefallen hat, ist auch der zweite Band ein kurzweiliger Roman über vier ganz unterschiedliche Frauen im bayerischen Starnberg, der das Lebensgefühl der damaligen Zeit authentisch und lebendig einfängt. Die Fortsetzung schreibt die Geschichte ungefähr sieben Jahre später fort, nachdem Band 1 im Jahr 1954 geendet hat. Zentraler Anlaufpunkt ist der Lebensmittelladen von Luise Dahlmann, wo die einzelnen Handlungsstränge zusammenlaufen. Ärztin Helga wird wieder zu einer guten Freundin und auch mit ihrer Nachbarin Annabel, die Luise inzwischen im Laden unterstützt, freundet sich Luise weiter an. Einzig das Leben von Schwägerin Marie bleibt etwas im Hintergrund. 

Auch wenn ein größerer Zeitsprung erfolgt ist, fällt es erneut leicht, sich in die durchweg sympathischen Frauen und ihre Lebenssituation hineinzuversetzen. Bis auf Annabel sind alle Frauen durch ihre Arbeit stark eingespannt, weshalb Luises Sehnsucht nach Bewegung und Abwechslung verständlich ist, während Marie in bisschen Zeit für sich bräuchte. Die alleinerziehende Helga stürzt sich dagegen leidenschaftlich in ihren Beruf als Ärztin und möchte ihre Patientinnen nicht nur medizinisch versorgen, sondern sie darüber hinaus unterstützen, ihre Unabhängigkeit und Eigenständigkeit zu bewahren. Eine Aufklärung über Verhütung ist dabei ein wichtiger Schritt, aber Helga geht noch weiter und gefährdet damit nicht nur ihre Anstellung, sondern auch ihre eigene Freiheit. Annabel ist weiterhin gut situiert und hat es nicht nötig, zu arbeiten, braucht jedoch eine Abwechslung von ihren Sorgen und das Gefühl, gebraucht zu werden und hilft deshalb gerne in Luises Laden aus. Die Sorgen um Marlene und dass ihr Ehemann ihr etwas verschweigt setzen der Familie jedoch zu. 

Ich habe mich sehr auf das Wiedersehen mit den vier Frauen gefreut, deren Leben sich in diesem zweiten Band noch mehr miteinander verbinden. Alle sind sie reifer geworden und haben ihre Wünsche aus Band 1 verwirklicht. Jetzt heißt es, diese Träume zu leben und an ihnen festzuhalten. Jede hat jedoch ihre ganz eigenen Sorgen und findet Halt in ihren Freundschaften. Gemeinsam ist vieles leichter und auch da ist wiederum Luise Dreh- und Angelpunkt des Buches, die immer ein offenes Ohr hat und sich aufopferungsvoll um ihre Freundinnen kümmert. 
Die Entwicklung der Charaktere, der lebendige Schreibstil, die zeitgemäßen Beschreibungen und auch die schicksalhaften Geschichten hinter den weiblichen Figuren mit ihren beruflichen und familiären Problemen, haben mir wieder sehr gut gefallen. Es ist erneut ein wunderbarer Roman über Freundschaft, Zusammenhalt, große und kleine Träume, die man am besten gemeinsam verwirklichen kann und eine anschauliche Zeitreise in die Jahre der Swinging Sixties, in der der Wunsch nach Emanzipation lauter wird. 
Ich freue mich jetzt schon auf den abschließenden Band der "Freiheit im Angebot" der "Wunderfrauen"-Trilogie, der im August 2021 erscheinen wird - nicht nur wegen des fiesen Cliffhangers am Ende von "Von allem nur das Beste". 




Montag, 22. Februar 2021

Buchrezension: Susanne Goga - Das Geheimnis der Themse

Inhalt:

London 1894. Zwei Jahre nach der Hochzeit liegt ein Schatten über dem Glück von Charlotte und Tom Ashdown. Durch ihre Kinderlosigkeit steht vieles unausgesprochen zwischen ihnen. Ein spannendes Buchprojekt über die magischen Orte Londons bringt die beiden einander unverhofft wieder näher. Doch ohne es zu ahnen, geraten Charlotte und Tom nach einem Leichenfund an der Themse in tödliche Gefahr. 

Rezension: 

Die ehemalige Gouvernante Charlotte und der Journalist und Theaterkritiker Thomas Ashdown sind seit zwei Jahren glücklich verheiratet, Nachwuchs wollte sich bislang jedoch nicht einstellen. Beide machen sich Sorgen über ihre ungeklärte Kinderlosigkeit, insbesondere da Charlotte von der Londoner Gesellschaft auf den fehlenden Familienzuwachs angesprochen wird. Beide schaffen es nicht, sich offen darüber auszutauschen, auch wenn sie selbst bereits unabhängig voneinander Ärzte konsultiert haben. 
Als Tom ein Buchprojekt angeboten wird, zieht er Charlotte zu Rate, wodurch sich die beiden wieder näher kommen. Tom soll einen "magischen Atlas" Londons entwerfen und Orte erforschen, die einen mystischen Hintergrund haben. Bei seinen Recherchen trifft Tom auf Alfie, einen Waisenjungen, der sich als Strandsucher verdingt und vor Kurzem an einem der magischen Orte am Ufer der Themse die Leiche einer jungen Frau aus gehobenen Kreisen, Julia Danby, gefunden hat. Die Polizei geht von einem Unglücksfall aus und ermittelt nicht weiter, aber Tom ist neugierig geworden und stößt im Zuge seiner Buchrecherche auf Okkultismus, Geheimgesellschaften und die wiederkehrende magische Anziehungskraft der Themse, während seine Frau Charlotte der Herkunft einer an der Themse gefundenen alten Silbermünze nachgeht, die auch sie in die Welt der Mythologie und zur Mutter der toten jungen Frau führt. Sowohl Charlotte als auch Tom gelangen zu der Überzeugung, dass der Tod von Julia mit den Mythen um die Themse in einem Zusammenhang stehen muss. 

"Das Geheimnis der Themse" ist ein Mystery-Roman, der im Jahr 1894 in London handelt. Er ist die Fortsetzung von "Der verbotene Fluss", der 1890 handelt, als sich Charlotte und Tom kennenlernten. Der Roman liest sich flüssig, auch wenn man die Vorgeschichte von Charlotte und Tom nicht kennt. 
Das Buch dreht sich einerseits um die unglückliche private Situation von Charlotte und Tom und ihre Kinderlosigkeit, andererseits um den ungeklärten Todesfall und die Recherchen im Rahmen des Buchprojekts. 

Charlotte und Tom führen für die damalige Zeit Ende des 19. Jahrhunderts eine moderne Ehe, schaffen es aber nicht, sich einander zu öffnen und über ihre Sorgen bezüglich ihrer Kinderlosigkeit zu sprechen. Der Roman tritt hinsichtlich dieser Thematik zu Beginn etwas ermüdend auf der Stelle, auch wenn das heikle Thema nie eine Gefahr für ihre Liebe und Zuneigung darstellt. 
Interessanter ist dagegen der Leichenfund und die Verbindungen der jungen Frau in Richtung Okkultismus und altägyptischer Mythologie - Themen, denen Charlotte und Tom bei ihren Recherchen zum Atlas der magischen Orte begegnen, wobei auch immer wieder der "heilige Fluss", die Themse, eine wichtige Rolle einnimmt. Die magische Anziehungskraft der Themse und die Symbolik des Flusses, der als Grenze zwischen Leben und Tod steht, wird durch rätselhaften Riten in Szene gesetzt. 
Schade fand ich, dass Charlotte und Tom sich unabhängig voneinander auf die Suche begeben und keine gemeinschaftlichen Erkundigungen anstellen. Auch hätte ich gerne noch mehr Informationen zu den mystischen Schauplätzen Londons erhalten, um eine bildhafte Vorstellung von den alten Gebäuden und Wahrzeichen zu bekommen. Als sich immer Parallelen zwischen den Recherchen zum Buch und dem Tod von Julia Danby ergeben, sind es viele günstige Umstände und zufällige Begegnungen von Menschen, die die Wege von Charlotte und Tom kreuzen, die ihre Neugier, den Tod der jungen Frau aufzuklären, weiter verstärken. 
Insbesondere bei den Nachforschungen von Charlotte werden viele Details zu geheimnisvollen Mythen, Riten und Götterglaube erklärt, was in der Tiefe nicht notwendig ist und dem Roman seine Spannung nimmt. Die Erklärung, wie letztlich alles zusammenhängt und was das Geheimnis der Themse ist, kommt dagegen - wie der arg konstruierte Showdown am Ende - etwas kurz. 
Aufgrund der Mystik, die London zu der Zeit umgab, hatte ich mir einen etwas atmosphärischer geschilderten Roman erhofft. Ich vermisste ein Gefühl für den Zeitgeist und eine lebendige Vorstellung des alten Londons. Statt den Fokus gerade am Anfang so sehr auf die Kinderlosigkeit zu legen, hätte die Autorin meiner Meinung einen stärkeren Fokus auf die Kultur und der Lebenswirklichkeit legen können. In Ansätzen - bei den signifikanten Unterschieden zwischen Arm und Reich, den wohlhabenden Stadtteilen und den Arbeitervierteln, der zunehmenden Industrialisierung und der Sehnsucht der Menschen nach Sicherheit und die damit einhergehende Zuwendung zu dem Übersinnlichen - ist ihr das auch gut gelungen. 

Samstag, 20. Februar 2021

Buchrezension: David Safier - 28 Tage lang

Inhalt:

Warschau 1943: Die sechzehnjährige Mira schmuggelt Lebensmittel, um im Warschauer Ghetto zu überleben. Als sie erfährt, dass die gesamte Ghettobevölkerung umgebracht werden soll, schließt sich Mira dem Widerstand an. Der kann der übermächtigen SS länger trotzen als vermutet. Viel länger. Ganze 28 Tage.
28 Tage, in denen Mira Momente von Verrat, Leid und Glück erlebt.
28 Tage, in denen sie sich entscheiden muss, wem ihr Herz gehört.
28 Tage, um ein ganzes Leben zu leben.
28 Tage, um eine Legende zu werden.

Rezension: 

1942 lebt die 16-jährige Jüdin Mira im Warschauer Ghetto und schmuggelt Lebensmittel, um sich, ihre Mutter und ihre jüngere Schwester Hannah zu ernähren. Ihr Vater hat sich vor der Deportation das Leben genommen, ihr Bruder Simon arbeitet bei der Judenpolizei. Beide empfindet sie als Verräter. 
Als sich die Lage im Warschauer Ghetto zuspitzt und die Deutschen beginnen, die jüdische Bevölkerung weiter in den Osten "umzusiedeln", schließt sich Mira, die vor lauter Hoffnungslosigkeit empfindet, nichts mehr zu verlieren zu haben, der jüdischen Widerstandsorganisation ŻOB an. 

"28 Tage lang" wird aus der Perspektive der 16-jährigen Mira geschildert, die einerseits mutig, aber andererseits auch kopflos und naiv agiert. Schon während ihrer Schmuggeltätigkeit bringt sie sich laufend in Gefahr, hat jedoch immer wieder aufs Neue Glück, nicht von der SS erwischt zu werden. Auch ihre Träume von Liebe und Tanzen und einer Sehnsucht nach New York wirken kindlich. Das Buch würde ich deshalb eher als Jugendbuch einordnen, als einen Roman. 
Aufgrund der eindringlichen Thematik und der wirklich erschütternden Schilderungen über Hunger, Leid, Angst und Gewalt ist es jedoch auch für Erwachsene ein relevantes Buch über den Holocaust und #GegendasVergessen. 
Mir war der Roman zu wenig bildhaft geschrieben, das jüdische Ghetto wurde für mich nicht lebendig und vorstellbar, auch die Charaktere wirkten blutleer. Die Geschichte verliert sich häufig in der Gedankenwelt von Mira. Auch wenn man das als Flucht vor der schrecklichen Realität nachvollziehen kann, hatte die Geschichte damit, gerade bis zum Anschluss Miras an den Widerstand, immer wieder ihre Längen. 
Phasenweise vermittelte der Roman zudem eine sehr einseitige Botschaft hinsichtlich der Frage von Anstand und Moral. Man erhielt die Vorstellung, dass nur der unbedingte Kampf gegen die herrschenden Zustände und die Gefährdung des eigenen Lebens als integer galt. 

Dagegen fehlte mir ein Gefühl für die Atmosphäre im Warschauer Ghetto, da die Schilderungen des Alltags arg an der Oberfläche blieben. Die junge Mira, die mehr Glück als Verstand hat, konnte mich als Heldin nur bedingt überzeugen, taugt jedoch als Identifikationsfigur für jugendliche Leser*innen.  

Freitag, 19. Februar 2021

Buchrezension: Colleen Hoover - Verity

Inhalt:

Die Jungautorin Lowen Ashleigh bekommt ein Angebot, das sie unmöglich ablehnen kann: Sie soll die gefeierten Psychothriller von Starautorin Verity Crawford zu Ende schreiben. Diese ist seit einem Autounfall, der unmittelbar auf den Tod ihrer beiden Töchter folgte, nicht mehr ansprechbar und ein dauerhafter Pflegefall.
Lowen akzeptiert – auch, weil sie sich zu Veritys Ehemann Jeremy hingezogen fühlt. Während ihrer Recherchen im Haus der Crawfords findet sie Veritys Tagebuch und darin offenbart sich Lowen Schreckliches. 

Rezension: 

Lowen Ashleigh bekommt über ihren Agenten das Angebot, die erfolgreiche Thrillerreihe der bekannten Autorin Verity Crawford als Co-Autorin fortzuschreiben. Verity ist seit einem Autounfall im Wachkoma und nicht mehr dazu in der Lage, die neunteilige Reihe zu beenden. Lowen, die noch von der Trauer um ihre verstorbene Mutter gezeichnet ist, hält sich bei ihren eigenen Büchern stets im Hintergrund und scheut sich davor, in der Öffentlichkeit zu stehen. Nach dem Tod ihrer Mutter und einer Räumungsklage ist Lowen allerdings auf finanzielle Zuwendung angewiesen und nimmt das Angebot trotz aller Bedenken an. Zu Recherchezwecken zeiht sie kurzerhand in das Haus von Verity, wo sie gepflegt wird und zusammen mit ihrem Ehemann Jeremy und ihrem fünfjährigen Sohn Crew lebt. Die beiden älteren Zwillingstöchter sind vor dem Autounfall kurze Zeit hintereinander verstorben. 

Lowen versucht sich für die Fortsetzung der Buchreihe in Verity hineinzuversetzen und liest ihre Manuskripte und Aufzeichnungen. Dabei stößt sie unerwartet auf eine Autobiografie von Verity. Diese ist geradezu erschütternd zu lesen. Durch diese Offenbarungen wird Lowen bewusst, warum Verity sich so gut in die Antagonisten ihrer Thrillerreihe hineindenken konnte. 

"Verity" ist ein spannender Psychothriller, der aus der Perspektive von Lowen geschrieben ist, die ohnehin unter sozialen Ängsten leidet, sich aber nicht nur deshalb in dem großen Haus der Crawfords unwohl fühlt. Lowen ist gebannt von Veritys Aufzeichnungen, die Grausamkeiten enthüllen und erschreckt sich immer häufiger über Erlebnisse in dem Haus oder bei Begegnungen mit der scheinbar wehrlosen Verity. Dies sorgt für eine unheimliche Atmosphäre, weil nicht ganz klar ist, was sich Lowen in ihrer Unsicherheit einbildet und ob die Autobiografie von Verity tatsächlich auch nur ein fiktiver Roman ist, der keine wahren Ereignisse schildert. 

Der Wechsel zwischen dem Lesen von Veritys Geschichte und der Arbeit an der Fortsetzung der Buchreihe sorgen für Spannung und die unglaublichen Enthüllungen sowie die unterschwellige Gefahr, die lauert, für eine Sogwirkung. Es ist ein fesselnder Psychothriller über Manipulation, Eifersucht, Mutterschaft und Verlustängste, der mit leidenschaftlichen Liebesszenen und einer beklemmenden, düsteren Grundstimmung für Gänsehaut sorgt. 
Das Ende ist so verstörend wie das düstere Geheimnis, das Verity verbirgt. Dabei ist der Plottwist so raffiniert, dass nicht ganz klar ist, ob Verity tatsächlich so gehandelt hat, wie sie erzählt oder ob ihre Aufzeichnungen nur in ihrer Eigenschaft als Autorin entstanden sind. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Dieses etwas nebulöse Ende zeigt, dass nichts so ist, wie es offensichtlich scheint und dass in jedem Menschen etwas Böses steckt.  



Mittwoch, 17. Februar 2021

Buchrezension: Sophie Edenberg - Fly, Baby, fly!

Inhalt:

Als Lea nach einem schweren Autounfall im Krankenhaus zu sich kommt, findet sie sich in einem wahrgewordenen Albtraum wieder. Ihre Erinnerungen an die letzten dreizehn Jahre sind verschwunden.
Bei ihrer Suche nach der eigenen Identität erfährt sie, dass sie ihre Jugendliebe Christopher geheiratet und mit ihm eine Tochter hat. Doch Christopher stößt sie von sich und drängt auf Scheidung. Wie es scheint, hat sie ihn und ihre Tochter vor Jahren verlassen und ihrer Heimatstadt Wien den Rücken gekehrt. Von Schuldgefühlen und Reue gepeinigt ist Lea fest entschlossen, die Liebe ihres Lebens zurückzugewinnen – komme was wolle.
Anna ist endlich mit ihrem Traummann zusammen. Alles, was zu ihrem vollkommenen Glück noch fehlt, ist ein gemeinsames Kind. Das Leben ihrer Träume scheint zum Greifen nah. Doch all das verändert sich schlagartig, als Lea, Christophers verschollene und bildschöne Ehefrau, unvermutet wieder auftaucht. 

Rezension: 

Nach einem Autounfall erwacht Lea Lamparta in einem Krankenhaus und kann sich aufgrund einer retrograden Amnesie nicht mehr an die letzten 13 Jahre ihres Lebens erinnern. Niemand hat sie bisher offenbar vermisst oder nach ihr gesucht. Ihr Vater lehnt den Kontakt zu ihr ab, weshalb sie sich hilfesuchend an ihre beste Freundin Isabella wendet. Diese nimmt sie bei sich auf, auch wenn sie seit Jahren keinen Kontakt mehr zueinander hatten. Mühevoll versucht Lea herauszufinden, was seit ihrem 18. Lebensjahr passiert ist und erfährt geschockt, dass sowohl ihr jüngerer Bruder Lorenz als auch ihre Mutter gestorben sind und dass sich ihr Ehemann Christopher von ihr scheiden lassen möchte. Ihn hatte sie vor drei Jahren Hals über Kopf verlassen und er ist inzwischen mit seiner besten Freundin Anna Wittmann liiert. Ein Lichtblick ist Leas neunjährige Tochter Felicitas, um die sich Anna die letzten Jahre liebevoll gekümmert hat, die ihre Mutter jedoch vorbehaltlos annimmt. 

Lea möchte all ihre Fehler wieder gutmachen und ihr altes Leben zurück. Sie liebt Christopher noch immer und möchte mit ihm wieder eine Familie sein. 
Anna hat den Tag gefürchtet, an dem Christophers reiche und wunderschöne Ehefrau wieder vor seiner Tür stehen könnte und hat Angst, alles zu verlieren. 
Christopher weiß Anna, mit der er seit der Schulzeit befreundet war, aufgrund ihrer Verlässlichkeit und Treue zu schätzen. Mit ihr führt er ein bequemes, sorgenfreies Leben. Lea ist die Mutter seines Kindes und seine erste große Liebe. Er liebte sie und ihre Verrücktheiten und spürt nach wie vor die Leidenschaft zwischen ihnen. 

"Fly, Baby, fly" ist eine dramatische Geschichte über eine junge Frau, die sich in einem Leben wiederfindet, in dem sie sich nicht wieder erkennt. Ihr fehlen alle Erinnerungen an die letzten Jahre, an all die Fehler, die sie begangen hat und mit denen sie die Menschen, die sie am meisten liebte, vor den Kopf gestoßen hat. Ihr sind aber auch die Erinnerungen an all die tragischen Ereignisse, die sie erleben musste, verloren gegangen und vermutlich der Grund für ihre Amnesie. 

Der Roman ist aus der Perspektive der drei Hauptfiguren geschrieben, wobei die beiden Frauen Lea und Anna den weitaus größeren Anteil haben, als Christopher. Dabei springt die Geschichte zwischen Vergangenheit, der Kindheit und Jugend von Anna und Lea, und der Gegenwart, seit der Rückkehr von Lea nach Wien. 

Es ist eine sehr emotionale Geschichte, bei der man sich in die Situation beider Frauen und ihrer Gefühlswelten sehr gut hineinversetzen kann. Während Anna bodenständig ist und aufgrund ihrer liebenswerten Art die Sympathien zunächst auf ihrer Seite hat, wirkt Lea gerade zu Beginn rücksichtslos und egoistisch. 

Für alle Beteiligten ist es eine angespannte Situation, denn Lea bereut ihre Fehler, an die sie sich nicht mehr erinnern kann und möchte Wiedergutmachung leisten. Damit würde das Leben von Anna jedoch in Scherben liegen. Die drei Jahre, in denen Lea weg war, haben Spuren hinterlassen und können nicht so einfach ausgelöscht werden. Auch ist schwierig einzuschätzen, inwieweit Leas Verhalten nur eine Momentaufnahme sein und sie zukünftig nicht wieder den Druck verspüren könnte, aus ihrem Leben auszubrechen. 

Auch wenn die Geschichte insbesondere bei der Zeichnung der Charaktere nicht ganz ohne Klischees auskommt, ist der Konflikt dieser ungewöhnlichen Dreiecksbeziehung nachvollziehbar, spannend und hochexplosiv aufgebaut. Bis zum Ende ist nicht vorhersehbar, für welchen Lebensweg sich jeder einzelne von ihnen entscheiden würde. Es ist ein hochemotionales Drama und keine reine Liebesgeschichte, denn im Fokus stehen die innere Zerrissenheit der Charaktere und die Suche Leas nach ihrer Identität und den verdrängten Erinnerungen, die ursächlich für das Dilemma sind. Es geht aber letztlich auch um Partnerschaft, um unterschiedliche Vorstellungen vom Leben, darum, wie viel Schmerz Liebe verursachen kann und ob am Ende Herz oder Verstand entscheidet. 



Montag, 15. Februar 2021

Buchrezension: Christoffer Carlsson - Der Lügner und sein Henker

Inhalt:

Einen Tag vor Mittsommer wird Charles Levin, Leo Junkers langjähriger Mentor und Freund, in einem kleinen schwedischen Urlaubsort ermordet. Leo ist schockiert, reist an den Tatort, um bei der Lösung des Falls mitzuhelfen; schließlich kannte keiner Levin so gut wie er – denkt er zumindest. Doch schon bald stellt Leo fest, dass ihm sein Freund vieles verschwiegen hat: seine dubiosen Verbindungen zum Geheimdienst in den Achtzigerjahren und die Existenz einer Tochter, die schwer traumatisiert ist. Nach und nach setzt Leo die neuen Puzzleteile aus Levins Leben zusammen – und gerät dadurch selbst in größte Gefahr. 

Rezension: 

Am Tag vor dem schwedischen Mittsommerfest wird der inzwischen pensionierte Polizeibeamte Charles Levin von einem Freund tot in seinem Haus in Bruket aufgefunden. Er wurde mit einem Kopfschuss getötet, weshalb die Polizei vor Ort von Mord ausgeht. Bei den Ermittlungen soll die Polizei von der Kriminalpolizei aus Stockholm unterstützt werden. 
Als der Kriminalbeamte Leo Junker vom Tod seines ehemaligen Mentors erfährt, begibt er sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Bruket. Aufgrund seiner Tablettenabhängigkeit ist er derzeit vom Dienst beurlaubt, was er den Kollegen verschweigt und was im Chaos um die Mittsommerfeierlichkeiten untergeht. 
Am Tatort wurden alte Ermittlungsakten gefunden. Leo findet zudem noch einen versteckten Schlüssel, der zu einem Schließfach mit einem USB-Stick führt. Die darauf enthaltenen Dateien weisen ebenfalls Bezüge zu älteren Fällen auf, mit denen Levin im Laufe seiner Karriere beschäftigt war. 
Der Verdacht liegt nahe, dass Levins Tod offenbar gezielt herbeigeführt wurde, um ein Aufrollen alter Ermittlungsfälle zu verhindern. 

"Der Lügner und sein Henker" ist der dritte Fall der Krimireihe um den Ermittler Leo Junker. Ein Vorwissen aus den beiden anderen Büchern wird nicht zwingend benötigt, ist jedoch zum Verständnis der Zusammenhänge hilfreich. 
In dem dritten Fall spielt Junker allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Im Fokus steht sein ehemaliger Mentor Charles Levin, der zwar tot aufgefunden wird, aber durch Zeitsprünge in die Vergangenheit ab 1965 erfährt man Wesentliches über sein Privatleben und einen wichtigen Fall aus dem Jahr 1984, der aufgrund der Verbindungen zum Geheimdienst der Deutschen Demokratischen Republik äußerst heikel war. 
Für Leo Junker ist der Aufenthalt in der schwedischen Provinz allerdings auch delikat, denn er trifft dort unerwartet auf die Polizistin Tove Waltersson, deren Bruder Junker bei einem missglückten Polizeieinsatz erschossen hat (Verweis auf Band 1 der Krimireihe "Der Turm der toten Seelen"). 

"Der Lügner und sein Henker" ist ein solider Kriminalroman, der skandinavisch-düster ist und auch aufgrund der vielen traurigen, kaputten Figuren melancholisch anmutet. Die Spannung ist auf einem mittleren Niveau, da in der Gegenwart erahnt werden kann, dass der Mord an Levin mit seiner Tätigkeit als Ermittler in Zusammenhang stehen muss. 
Der Fall, mit dem Levin vor 30 Jahren beschäftigt war, wird in Rückblenden erzählt und handelt von politischen Verwicklungen, Organisierter Kriminalität und Spionage zur Zeit des Kalten Krieges. Zu Beginn verwirren die unchronologischen Zeitsprünge etwas, aber je mehr Puzzleteile sich aus den alten Fällen und den Privat- und Berufsleben von sowohl Levin als auch Junker zusammenfügen, desto klarer sieht man und desto interessanter erscheint letztlich die anfänglich verworrene Gemengelage aus Lügen, Verrat, Schuld und Sühne. 



Samstag, 13. Februar 2021

Buchrezension: Alexandra Potter - Je größer der Dachschaden, desto besser die Aussicht

Inhalt:

Irgendwie hatte Nell sich das anders vorgestellt mit dem Leben. Anfang 40 klang nach liebevollem Ehemann, wunderbaren Kindern und einem fantastischen Zuhause. Stattdessen ist der Verlobte weg, das Geschäft ist pleite und die Ersparnisse sind dahin, während all ihre Freunde die perfekte Hochglanzexistenz führen. Als ein alter Arbeitskollege ihr einen Job als Nachrufschreiberin verschafft, lernt sie die unkonventionelle und lebenslustige Witwe Cricket kennen. Die ungleichen Freundinnen helfen sich gegenseitig, mit dem Abschied von ihrem alten Leben fertig zu werden. Begleitet von Artus, einem riesigen Fellknäuel von Hund, geht Nell endlich ganz eigene Wege. Und trifft unterwegs einen Mann zum Verlieben, wo sie ihn nie vermutet hätte. 

Rezension: 

Penelope Stevens, genannt Nell, ist Anfang 40 und fühlt sich im Leben gescheitert. Das Büchercafé, das sie mit ihrem Verlobten in Kalifornien geführt hat ist Konkurs und die Beziehung zu Ethan an der Geschäftsaufgabe zerbrochen. Nell kehrt wieder in ihre Heimat England zurück, wo ihre Freunde inzwischen alle verheiratet sind, Kinder und Eigentum haben. Nell dagegen wohnt fortan zur Untermiete in einem Zimmer in London und schlägt sich mit einem Job als Nachlassschreiberin durch. Dabei lernt sie die doppelt so alte Witwe Cricket kennen und freundet sich mit ihr an. Zusammen mit ihrem Podcast und ihrer täglichen Dankbarkeitsliste findet Nell neuen Mut und packt ihr Leben noch einmal von vorn an. 

Das Buch ist äußerst unterhaltsam und voller Selbstironie geschrieben. Nell vergleicht sich mit anderen Frauen in ihrem Alter, blickt auf ihre beruflich und privat erfolgreichen Freunde und fühlt sich als Versagerin. So wirkt sie auf den Leser jedoch gar nicht. Nell ist ein authentisch gezeichneter Charakter, der sich von Rückschlägen nicht unterkriegen lässt, sondern nach vorn schaut. Auch wenn sie immer wieder mit sich und ihrem Leben hadert, ist sie ein grundsätzlicher positiver Mensch und hat das Herz auf dem rechten Fleck. 
Der Roman ist voller witziger Dialoge und Gedanken von Nell - ob sie sich mit ihrem extrem umweltbewussten Vermieter einen Schlagabtausch liefert oder sich über die neue, neureiche Freundin Annabel ihrer ehemals besten Freundin Fiona ärgert. 
Auch die ungewöhnliche Freundschaft zu Cricket wirkt nicht aufgesetzt. Während Nell der Witwe hilft, den Tod ihres Ehemanns zu verarbeiten, kann Nell von ihrer Lebenserfahrung profitieren. Beide werfen sie Ballast ab und haben auf diese Weise die Chance, Vergangenes versöhnlich hinter sich zu lassen.  
Die neue Liebe, der Nell begegnet, macht nicht den Kern der Geschichte aus, was auch symbolisch dafür steht, dass es keine Schande ist, mit über 40 alleinstehend zu sein. Auch entwickelt Nell, die mit der Zeit merkt, dass das Gras auf der anderen Seite des Hügels nicht unbedingt grüner ist und das Leben ihrer Freunde nur augenscheinlich rosiger, wieder mehr Selbstvertrauen, so dass sie auch alleine durchs Leben gehen könnte. 

"Je größer der Dachschaden, desto besser die Aussicht" ist wie der ungewöhnliche Titel ein abwechslungsreicher, humorvoller Roman voller unerwarteter Wendungen, der die Lebenswirklichkeit einer 40-jährigen Singlefrau ohne erfolgreiche Karriere ehrlich, warmherzig und mit einer gehörigen Portion Selbstironie beschreibt. 
Bei allem Witz und Ironie kann man zwischen den Zeilen viele Wahrheiten erkennen, was dem Roman Tiefgang verleiht. Er handelt von Freundschaft und von einem "Happy (Neu-)Anfang" und davon sich nicht mit anderen Gleichaltrigen zu vergleichen, unnötig Druck aufzubauen und sich falschen Erwartungen zu unterwerfen. Denn das Leben ist so schon Herausforderung genug. 
Der Schreibstil ist dabei so mitreißend, dass man auch über das ein oder andere Klischee getrost hinwegsehen kann. 
Fazit: ein lebensbejahender und Mut machendes Buch - nicht nur für Frauen über 40. 

Donnerstag, 11. Februar 2021

Buchrezension: Tina Frennstedt - Cold Case: Das gezeichnete Opfer

Inhalt: 

Nebel liegt über dem Süden Schwedens, als in Malmö eine der umstrittendsten Künstlerinnen des Landes ermordet aufgefunden wird. Zuvor war ihre Kunst mutwillig zerstört. Mit merkwürdigem Lehm, der eine gruselige Verbindung zu einem ungelösten Mordfall, einem COLD CASE, herstellt. Vor 15 Jahren war ein Mann auf brutale Weise ermordet worden. Am Opfer fand man damals das gleiche Material. Tess Hjalmarsson stürzt sich in die Ermittlungen. 

Rezension: 

Kurz vor Ostern und der Eröffnung einer Ausstellung wird die umstrittene schwedische Künstlerin Micha Lindberg tot in einem Boot an einem Leuchtturm in der Ostsee aufgefunden. Zuvor war eines ihrer letzten Gemälde, das mit Menstruationsblut gezeichnet wurde, mutwillig zerstört worden. In dem Boot wird weißer Lehm gefunden, der bei einem Mord im Oktober 2004 an einer Leiche festgestellt und nicht zugeordnet werden konnte. Damals war der 22-jährige Musikstudent Max Lund mit 24 Messerstichen ermordet worden. Der Fall konnte bisher nicht aufgeklärt werden. Durch die neue Spur nimmt Tess Hjalmarsson, deren Einheit aufgrund von Einsparungsmaßnahmen still gelegt werden sollte, die Ermittlungen auf. 

"Das gezeichnete Opfer" ist der zweite Band der "Cold Case"-Reihe um die empathische Kommissarin Tess Hjalmarsson und ihr Team bestehend aus der unkonventionellen Marie Erling und dem besonnenen "alten Hasen" Lundberg, deren Spezialgebiet unaufgeklärte Kriminalfälle sind. 
Auch wenn aus dem ersten Band das Vorwissen zu den Ermittlern und ihren Eigenarten fehlt, können die Bücher grundsätzlich unabhängig von einander gelesen werden, denn die Fälle bauen nicht aufeinander auf. 

Der Kriminalroman wird aus verschiedenen Erzählperspektiven geschildert. In Rückblenden erhält man einen Einblick in die Stunden vor der Ermordung von Max, der Schwerpunkt liegt jedoch deutlich auf dem Jahr 2019 und den Ermittlungen in dem Cold Case. 
Kommissarin Tess steht unter Druck, da ihre Einheit aufgelöst werden soll und sie nur wenige Tage für die Lösung des Falls hat, die ihr wieder Aufwind geben könnte. Durch den technischen Fortschritt kann der Fall mittels DNA-Analysen und der Erstellung eines neuen Täterprofils wieder aufgerollt werden. Zugleich werden die Verdächtigen von damals erneut befragt. Neben den Ermittlungen aus Sicht von Tess ist es insbesondere die zunächst frei schwebende Perspektive der "Ehefrau" die für Rätselraten und Abwechslung sorgt. 

Aus dem Mordfall um Max Lund gibt es zahlreiche Verdächtige und Spannung erzeugt vornehmlich die Frage, welche Verbindung es zu der getöteten Künstlerin geben kann. 
Die Autorin Tina Frennstedt ist Kriminalreporterin und schildert die Polizeiarbeit nicht nur akribisch, sondern auch sehr authentisch. Stück für Stück werden in einem Zusammenspiel der Einheiten die Puzzleteile zusammengesetzt und der Leser zum Mitraten angeregt. 

"Cold Case - Das gezeichnete Opfer" ist ein solider Schwedenkrimi, der eher ruhig erzählt ist und weniger durch Nervenkitzel oder einem spektakulären Fall, sondern vielmehr durch die realistische Schilderung der Polizeiarbeit überzeugt. 

Dienstag, 9. Februar 2021

Buchrezension: Matt Haig - Die Mitternachtsbibliothek

Inhalt: 

Stell dir vor, auf dem Weg ins Jenseits gäbe es eine riesige Bibliothek, gesäumt mit all den Leben, die du hättest führen können. Buch für Buch gefüllt mit den Wegen, die deiner hätten sein können.
Hier findet sich Nora Seed wieder, nachdem sie aus lauter Verzweiflung beschlossen hat, sich das Leben zu nehmen. An diesem Ort, an dem die Uhrzeiger immer auf Mitternacht stehen, eröffnet sich für Nora plötzlich die Möglichkeit herauszufinden, was passiert wäre, wenn sie sich anders entschieden hätte. Jedes Buch in der Mitternachtsbibliothek bringt sie in ein anderes Leben, in eine andere Welt, in der sie sich zurechtfinden muss. Aber kann man in einem anderen Leben glücklich werden, wenn man weiß, dass es nicht das eigene ist? 

Rezension: 

Nora Seed ist Mitte 30, als sie, gebeutelt von vielen Enttäuschungen in ihrem Leben, beschließt, zu sterben. Bevor sich der in diesem Moment sehnlichste Wunsch nach Erlösung erfüllt, befindet sich Nora in einer Zwischenwelt, der Mitternachtsbibliothek, wieder. Dort begegnet sie ihrer Schulbibliothekarin Mrs. Elm, die ihr von den Büchern erzählt, die jeweils für ein anderes Leben von Nora stehen. Ausgehend von dem Buch der Reue überlegt Nora, was sie in ihrem Leben gerne anders gemacht hätte und findet sich dann dort mit allen Konsequenzen wieder. 

"Die Mitternachtsbibliothek" ist ein Buch, das sich mit der Frage "Was wäre, wenn?" beschäftigt. Es handelt davon, wie das Leben verlaufen wäre, wenn man an einer Stelle einen anderen Abzweig gewählt und andere Entscheidungen getroffen hätte. Diese Fragen stellt man sich in der Regel, wenn man mit seiner aktuellen Situation unglücklich oder unzufrieden ist, wenn man sich mit anderen Menschen vergleicht und neidvoll auf sie blickt. 
Nora hat ihren Job verloren, hat kaum noch Familienangehörige oder Freunde, an die sie sich wenden kann, fühlt sich einsam und nutzlos und denkt deshalb, dass es das Beste ist, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Doch statt dem Jenseits erwartet sie eine zweite Chance. Sie bekommt die Möglichkeit, Entscheidungen, die sie bereut, rückgängig zu machen und anders zu treffen. In ihrem eigentlichen Leben hat sie ihr Potenzial aus Angst nicht ausgeschöpft. Sie hat weder die Möglichkeit ergriffen, mit ihrer Freundin einen Roadtrip nach Australien zu machen, mit ihrem Bruder den Traum einer Karriere als Rockstar zu verwirklichen oder erfolgreiche Olympiaschwimmerin zu werden. All diese Möglichkeiten, ihr Leben neu und zufriedenstellender zu leben, bieten sich ihr in der Mitternachtsbibliothek. 

Als Leser begleitet man Nora auf ihren Reisen und fragt sich unweigerlich selbst, ob man in der Vergangenheit nicht auch schon Entscheidungen getroffen hat, die man gerne rückgängig machen würde und wie das eigene Leben dann aussehen würde. 
Nora kann all diese alternativen Leben leben. Dabei ist es aufschlussreich, wie sie darüber nachdenkt und erkennt, was sie so unglücklich gemacht hat. Als sie dem Tod bei der Begegnung mit einem Eisbär in die Augen blickt, spürt sie, dass sie eigentlich noch gar nicht sterben möchte. Auch stellt sie fest, dass es Glück nicht ohne Traurigkeit geben kann, denn all ihre vermeintlich besseren Leben sind auch nicht perfekt. Auch wenn das Schicksal eine große Rolle spielt, sind es doch die eigenen Entscheidungen, die das Leben beeinflussen. 
So bleibt zweifelhaft, ob es überhaupt EIN Wunschleben gibt, in dem man rundum glücklich ist und in dem man einen Sinn für sein Leben erkennen kann. 

"Die Mitternachtsbibliothek" ist ein Roman für ein breites Publikum. Es handelt von einer andauernden Sinnsuche, von dem Streben nach Glück, von ungelebten Träumen, dem Mut zur Veränderung und der Erkenntnis, dass das Leben unendlich viele Möglichkeiten bietet, die nur genutzt werden wollen. 
Trotz der Selbstmordgedanken, Melancholie und Einsamkeit Noras ist es kein schwermütiges Buch, sondern eines, dass das Leben feiert und motiviert, trotz aller Sorgen nicht zu verzagen, sondern Schwierigkeiten anzupacken und selbst eine Veränderung herbeizuführen. 



Montag, 8. Februar 2021

Buchrezension: Anna Schneider - Grenzfall: Der Tod in ihren Augen (Jahn und Krammer ermitteln, Band 1)

Inhalt: 

Am Brauneck in Lenggries wird an einer Felswand eine leblose Frau entdeckt. Doch was auf den ersten Blick wie ein Kletterunfall aussah, entpuppt sich als grausamer Mord. Dem Oberkörper der Toten wurden Beine aus Stroh angenäht. Kurz darauf tauchen weitere Leichenteile am Achensee in Tirol auf. Stammen sie ebenfalls von der Toten? Doch weshalb sollte der Täter die Leiche auf zwei Länder verteilen?
Für die junge und engagierte Oberkommissarin Alexa Jahn, die gerade ihren Dienst bei der Kripo Weilheim angetreten hat, ist es die erste große Ermittlung. Sie könnte jede Unterstützung gebrauchen, doch auf den desillusionierten Kollegen auf österreichischer Seite, Chefinspektor Bernhard Krammer, kann sie nicht zählen.
Alexa ist lange auf sich allein gestellt und bekommt es mit einem Täter zu tun, dem sie vielleicht nicht gewachsen ist. 

Rezension:

Kriminaloberkommissarin Alexa Jahn tritt ihren ersten Arbeitstag bei ihrer neuen Dienststelle in Weilheim an und wird direkt mit einem spektakulären Leichenfund konfrontiert. Als ihr Vorgesetzter sich bei einem Unfall in den Bergen verletzt, überträgt er ihr die Leitung der Ermittlerin. Als Neue in einem eingespielten Team hat es Alexa zunächst schwer und muss sich erst beweisen. Zu allem Überfluss werden weitere Teile der Leiche im Achensee in Österreich gefunden, weshalb die Ermittlungen grenzüberschreitend erfolgen. Der Kollege in Tirol, Chefinspektor Bernhard Krammer ist zwar sehr erfahren, aber gleichzeitig desillusioniert und ausgebrannt. Die beiden leitenden Ermittler tun sich zunächst schwer miteinander, auch weil sie eine andere Vorgehensweise haben und unterschiedliche Motivlage des Täters sehen. 

"Grenzfall - Der Tod in ihren Augen" ist der Auftaktband einer Krimireihe um die beiden Ermittler Alexa Jahn und Bernhard Krammer, die in der Region Karwendel, im Grenzgebiet Bayern/ Österreich, handelt. Beide sind interessante Figuren, aber während Alexa ambitioniert ist und ihre Karriere noch vor sich hat, hat Krammer innerlich gekündigt und nicht mehr den Eindruck, mit seiner Tätigkeit etwas zu erreichen. 

Durch kurze Kapitel ist die Handlung dynamisch und durch immer mehr Puzzleteile, die im Verlauf der Ermittlungen zusammen kommen, kurzweilig geschrieben. In kurzen Abschnitten erhält man zudem Einblicke in die Psyche des Täters und kann über sein Motiv spekulieren. Auf dem Weg bis zur Lösung des Falles werden viele falsche Fährten gelegt, was die Suche etwas in die Länge zieht, insbesondere da es kaum möglich ist, den tatsächlichen Hintergrund für die Tat zu ergründen. Die Erklärung dafür ist jedoch letztlich schlüssig. 

Auch wenn ich das sehr persönliche Ende für einen Krimi nicht ganz passend fand, bin ich gespannt auf weitere Teile der Reihe, um mehr über die Vita von Alexa Jahn und Bernhard Krammer zu erfahren. So unterschiedlich die beiden auch sein mögen, eint sie - anders als gedacht - mehr als die Einsamkeit, denn sowohl Alexa als auch Krammer scheinen in ihrem Leben nicht viel mehr Inhalt zu haben, als ihre Arbeit. 

Samstag, 6. Februar 2021

Buchrezension: Lia Louis - Jedes Jahr im Juni

Inhalt: 

Für Emmie ist Lucas die ganz große Liebe – seit dem Tag, als sie einen roten Luftballon mit einem Brief in den Himmel steigen ließ und Lucas ihr antwortete. Emmie weiß, dass er ihr Seelenverwandter ist, und doch hat sie es nie übers Herz gebracht, Lucas ihre Gefühle zu gestehen. Jedes Jahr treffen sich die beiden am selben Ort. Jedes Jahr hat er ein ganz besonderes Geschenk für sie. Und jedes Jahr hofft Emmie aufs Neue, dass Lucas sich auch in sie verlieben wird. Doch dieses Jahr ist alles anders. Denn was Lucas ihr verkündet, lässt Emmies Herz in tausend Stücke zerbrechen. Hat sie ihn damit für immer verloren? 

Rezension:

Vor vierzehn Jahren hat Emmie Blue einen Luftballon fliegen lasse und hundert Meilen entfernt, hat Lucas Moreau ihn in Frankreich gefunden und ihr eine E-Mail geschrieben. Nach einem Treffen sind die beiden, die zufällig auch noch am selben Tag Geburtstag haben, beste Freunde. Mit den Jahren verändern sich Emmies Gefühle für Lucas und sie verliebt sich in ihn, traut sich aber nicht, es ihm zu offenbaren. Als Lucas zu ihrem 30. Geburtstag verkündet, ihr etwas Wichtiges sagen zu müssen, setzt Emmie alles auf ein Liebesgeständnis, wird jedoch bitter enttäuscht. Er bittet sie, seine Trauzeugin für seine Hochzeit mit Marie zu sein und Emmie stimmt überrumpelt zu. Dennoch gibt sie die Hoffnung auf ein Happy End mit Lucas nicht auf, denn mit Marie führt er seit Jahren eine On-/Off-Beziehung und sie selbst ist schließlich seine Seelenverwandte. 

Emmie Blue ist eine liebenswerte junge Frau, die in ihrem Leben schon einige Enttäuschungen erlebt hat und deshalb ein unsicherer Mensch ist, der sich oft allein fühlt, aber zumindest bei Lucas und seiner Familie Geborgenheit findet. In Emmie und ihre Gefühlswelt kann man sich sehr gut hineinversetzen, auch wenn sie für eine 30-jährige Frau in vielen Situationen ein wenig unbeholfen wirkte. Sie erweckt den Eindruck, als führe sie ein Leben mit angezogener Handbremse und als würde sie sich selbst kein Glück erlauben. 

"Jedes Jahr im Juni" ist mehr als nur eine Liebesgeschichte, denn Emmie hat weitaus mehr Probleme als ihre unerfüllte Liebe zu Lucas. Sie ist traumatisiert von einem Erlebnis in der Vergangenheit, das sie nicht überwunden hat, das Freundschaften zerstört hat und das verhindert, dass sie schnell Vertrauen zu anderen Menschen fassen kann. Zudem leidet sie unter der Abwesenheit ihres Vaters, dessen Identität ihre Mutter all die Jahre verschwiegen hatte und der es selbst aufgegeben hat, Kontakt zu Emmie zu suchen. 

Die Geschichte ist emotional geschrieben, handelt von Ängsten und Enttäuschungen, aber auch von Freundschaft, Halt und Liebe. Wie sich die Geschichte entwickelt, ist nicht überraschend, aber dennoch nicht langweilig geschrieben. Wie so häufig in Liebesromanen kommt es eben nicht darauf an, ob die Protagonisten letztlich ihr Liebesglück finden, sondern auf welche Weise und dieses Wie ist alles andere als vorhersehbar. 
Daneben ist es schön zu sehen, wie Emmie allmählich offener auf Menschen zugeht, wie sie die Beziehung zu Lucas Bruder Eliot intensiviert oder sich um ihre kranke Vermieterin kümmert. Mit dem Fokus auf der Gegenwart, schafft sie es, die Vergangenheit hinter sich und sich nicht mehr von einem negativen Ereignis definieren zu lassen. 

"Jedes Jahr im Juni" ist eine warmherzige, romantische Geschichte, die zeigt, dass die Liebe manchmal da ist, wo man sie am wenigsten erwartet. 



Donnerstag, 4. Februar 2021

Buchrezension: Graham Moore - Verweigerung

Inhalt: 

Es ist das spektakulärste Gerichtsverfahren des Jahrzehnts: Jessica Silver, Erbin eines Immobilienmoguls, verschwindet, und ihr Lehrer Bobby Nock wird des Mordes angeklagt. Der Afro-Amerikaner führte eine geheime Affäre mit Jessica.
Die Jury ist gespalten, bis die junge Geschworene Maja alle von einem Freispruch überzeugt. Jetzt, 10 Jahre später, wird der ganze Fall neu aufgerollt. Als einer der Geschworenen tot aufgefunden wird, gerät Maja ins Visier der Polizei und wird zur Hauptverdächtigen. 

Rezension: 

2009 verschwindet Jessica Silver, die Tochter eines reichen Geschäftsmannes, in L.A. spurlos. Der Afroamerikaner Bobby Nock, mit dem Jessica eine heimliche Affäre hatte, wird daraufhin wegen Mordes angeklagt. Die Jury aus zwölf Geschworenen spricht ihn aus Mangel an Beweisen frei. Maya Seale hatte zunächst als einzige auf "nicht schuldig" plädiert und den Rest der Geschworenen letztlich von ihrer Ansicht überzeugen können. 
Zehn Jahre später will das damalige Jury-Mitglied Rick Leonard Beweise gefunden haben, dass Bobby Nock zu Unrecht freigesprochen wurde. Er hatte nie an dessen Unschuld geglaubt. Die Beweise möchte er in einer Fernsehsendung enthüllen, doch dazu kommt es nicht mehr. Rick wird tot in Mayas Hotelzimmer aufgefunden und Maya gerät unter Mordverdacht. 

"Verweigerung" ist ein Justizkrimi, der auf zwei Zeitebenen handelt. In der Vergangenheit wird der Gerichtsprozess gegen Bobby Nock - von der Auswahl der Geschworenen, über die Zeugenaussagen bis zum Urteil - geschildert. Die Gegenwart handelt von einem Wiedersehen der Jurymitglieder, das von Rick initiiert wurde und den Ermittlungen gegen Maya und ihrer Verteidigungsstrategie. 
Beide Erzählstränge sind spannend, denn auch zehn Jahre nach dem Prozess ist unklar, was überhaupt mit Jessica geschehen ist. Eine Leiche wurde nie gefunden. Um sich adäquat verteidigen zu können und ein Motiv für die Ermordung von Rick zu finden, macht sich Maya zusammen mit ihrem Anwalt auf die Suche nach Bobby Nock und sucht nach Verdachtsmomenten bei den übrigen Geschworenen, um herauszufinden, wer Ricks Enthüllung hatte verhindern wollen. Durch den Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit und die Einblicke in die Leben der Jury-Mitglieder durch die Rückblicke auf den Prozess treten immer mehr Details zutage, die auf verdächtige Personen schließen lassen. 

"Verweigerung" handelt von der Suche nach Wahrheit, von einem Kampf um Gerechtigkeit, aber auch von rassistischen Motiven in der Justiz und der Macht von Laien - willkürlich ausgewählten Bürgern, die in einer Jury zusammenfinden - die über Schuld und Unschuld eines Angeklagten entscheiden können. Es ist eine authentische Darstellung eines amerikanischen Gerichtsverfahrens und ein fesselnder Kriminalroman um die Aufklärung zweier spektakulärer Mordfälle. Um so ernüchternder ist es am Ende zu sehen, dass es nicht die Wahrheit ist, die für eine Form von Gerechtigkeit sorgt.



Dienstag, 2. Februar 2021

Buchrezension: Gina Mayer - Die Schwimmerin

Inhalt: 

Essen 1962: Betty heiratet ihren Martin und ist fest entschlossen, ihr lang ersehntes Glück mit aller Macht festzuhalten. Zu viele Entbehrungen hat sie schon hinnehmen müssen. Der zweite Weltkrieg hat Betty nicht nur ihre Heimat, ihre Familie und ihre erste Liebe genommen, sondern ihr auch ein düsteres Geheimnis aufgebürdet. Seit jener Zeit ist das Schwimmen Bettys Halt und Trost. Eine Überlebensstrategie, den Kopf immer über Wasser zu halten, komme was wolle. Ausgerechnet beim Schwimmen trifft sie nun auf ein junges Mädchen, das ihr eigenartig vertraut erscheint. Und dieses Mädchen hat entschieden, sich ein Stück von Bettys Glück zu greifen. Es beginnt, sie zu verfolgen, zu erpressen. Betty erkennt, dass die Vergangenheit sie hinabzureißen droht, wenn sie sich ihr nicht endlich stellt. 

Rezension: 

Elisabeth - Betty - Strissel ist 32 Jahre alt und wohnt frisch verheiratet mit ihrem Ehemann Martin in Essen. Die schrecklichen Ereignisse der Vergangenheit haben sie geprägt und sie dachte, dass sie nie wieder glücklich sein könnte. Das Kennenlernen von Martin war für sie ein neuer Anfang. Er ist ein guter Ehemann, der sie begehrt und bei Krupp eine gute Arbeit hat. Betty muss deshalb nicht mehr als Verkäuferin arbeiten und geht vormittags schwimmen. Das Gefühl von Freiheit im Wasser ist seit der letzten Weltkriegsjahre ein Segen für sie. Dort kann sie die Vergangenheit ausblenden und auch ihr düsteres Geheimnis vergessen - bis eines Tages Claudia an der Kasse im Schwimmbad sitzt und Betty seitdem zu verfolgen scheint. 

"Die Schwimmerin" ist ein Roman, der auf zwei Zeitebenen handelt. Die Vergangenheit erzählt die Jahre von 1942 bis 1946, als die junge Elisabeth zusammen mit ihrer Mutter von Düsseldorf in das schwäbische Weilerbach flieht, wo sie nach kurzen Anpassungsschwierigkeiten tapfer ihren Weg geht. Ihre Mutter ist eine ängstliche Frau, um die sich Elisabeth mehr kümmert, als umgekehrt. Durch die Freundschaft zu Susanne, der Pfarrerstochter, findet Elisabeth eine Gemeinschaft, in der sie sich wohlfühlt. Sie verliebt sich in Susannes Bruder Rüdiger, mit dem sie die Liebe zur Literatur verbindet, der jedoch in den Krieg eingezogen wird. 
1962 verdrängt Betty ihre Vergangenheit, die sie in Träumen und Erinnerungen jedoch immer wieder einholt. Insbesondere die Angst vor einer Diakonisse, die ihr die Luft zum Atmen nimmt, sitzt tief und lässt vermuten, dass Betty auch nach Kriegsende noch Schlimmes widerfahren sein muss. 

Die Zeit während des Zweiten Weltkriegs, wobei der Krieg an sich in dem schwäbischen Dorf nicht so vordergründig ist, sondern mehr Elisabeths Erwachsenwerden, ihre Einsamkeit und ihr Drang nach Freiheit und Selbstständigkeit sowie der Wunsch nach Unabhängigkeit von ihrer schwachen Mutter, im Fokus der Handlung stehen, wird lebendig beschrieben. Aber auch die Lebenswirklichkeit einer Hausfrau in den 1960er-Jahren ist bildhaft und authentisch erzählt. Unterstrichen wird dies durch den mundartlichen Dialekt der schwäbischen Landbevölkerung, aber auch der städtischen Rheinländer, der in den Dialogen Verwendung findet.  
Sowohl in die junge Elisabeth als auch die erwachsene Betty kann man sich als Leser*in gut hineinversetzen, auch wenn zunächst nicht bekannt ist, welche Ereignisse und welches Geheimnis Betty noch in der Gegenwart quält. Das Schwimmen als Symbol für ein Abtauchen und Flucht aus der Wirklichkeit ist sowohl auf beiden Zeitebenen präsent und als Bettys Schutzanker gut gewählt. 

"Die Schwimmerin" ist ein Roman über eine junge Frau mit einer bewegten Vergangenheit, die ein Trauma verdrängt hat, dass sie nach der Heirat mit ihrem Mann, dem gegenüber sie sich nie geöffnet hat, einholt, und dem sie sich stellen muss, um tatsächlich endlich neu anzufangen. 
Es ist eine berührende Geschichte, bei der der Wechsel zwischen den Zeitebenen wunderbar gelungen ist und bei der sich allmählich immer mehr Puzzleteile zusammenfinden, um Bettys Persönlichkeit und ihre verdrängten Ängste in Gänze zu erfassen. 



Montag, 1. Februar 2021

Buchrezension: Florian Schwiecker, Michael Tsokos - Die siebte Zeugin (Eberhardt & Jarmer ermitteln, Band 1)

Inhalt: 

An einem Sonntagmorgen wie jeder andere auch verlässt der Verwaltungsbeamte Nikolas Nölting sein Haus in Berlin-Charlottenburg. Er winkt seiner kleinen Tochter zu, schwingt sich aufs Fahrrad und fährt zu einer Bäckerei. Dort schießt er plötzlich aus heiterem Himmel und ohne Vorwarnung um sich. Ein Mensch ist tot, zwei weitere verletzt – und Nikolas Nölting schweigt.
Nöltings Anwalt Rocco Eberhardt steht vor einem Rätsel: Welches Motiv könnte der unauffällige Familienvater für eine solche Tat gehabt haben? Das Ganze erscheint völlig sinnlos – bis der Rechtsmediziner Dr. Justus Jarmer eine überraschende Entdeckung macht, die Rocco Eberhardt mitten in einen Sumpf aus Korruption, Geldwäsche und Clan-Kriminalität führt. Doch wer sich mit der Unterwelt von Berlin anlegt, bringt nicht nur sich selbst in größte Gefahr. 

Rezension: 

Der Familienvater und Verwaltungsbeamte Nikolas Nölting schießt an einem Sonntagmorgen im Januar in einer Berliner Bäckerei um sich, tötet dabei einen Menschen und verletzt zwei weitere. Anschließend lässt er sich widerstandslos festnehmen. Seine Frau engagiert den Berliner Rechtsanwalt Rocco Eberhardt für ihn, doch Nölting schweigt beharrlich. Seine Motivation erscheint völlig unklar. Eberhardts Ehrgeiz ist gepackt, er möchte hinter das Motiv kommen und wissen, was Nölting dazu veranlasst hat, eine solche Tat zu begehen und damit nicht nur sein Leben, sondern auch das seiner Familie zu zerstören. 
Als der Prozess im Sommer beginnt, holt sich Eberhardt Hilfe von seinem besten Freund, dem Privatdetektiv Tobias Baumann. Dieser sticht auch schon bald in ein Wespentest und legt sich mit der Berliner Unterwelt an. 

Die Geschichte beginnt direkt mit einem Paukenschlag, der Schussabgabe von Nölting in der Berliner Bäckerei. Ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung wird eingeleitet, der Fall erscheint klar. Nölting ist schuldig. Für die Polizei und Staatsanwaltschaft ist die Motivation nicht von Belang, jedoch aber für Rechtsanwalt Eberhardt, der das Beste für seinen Mandanten herausschlagen möchte. Er ist auf der Suche nach einem Rechtfertigungsgrund, der sich strafmildernd auswirken könnte. 

Solange die Motivation unklar ist, sind die Recherchen von Eberhardt, die er mit Unterstützung des Privatermittlers Baumann initiiert, spannend. Ab der Hälfte des Romans ist jedoch bekannt, was Nölting zu dieser Tat bewegt hat, auch wenn sich erst sukzessive das gesamte Ausmaß aus Korruption und Organisierter Kriminalität ergibt. Das Suchen und Finden entlastender Zeugen und vor allem die Ausschnitte aus dem libanesischen Familienclan fand ich langweilig und wurde meinem Empfinden nach viel zu sehr in den Fokus gerückt. Erst das Schlussplädoyer, das das ganze Können von Eberhardt bewies und zeigte, dass dieser Fall nicht nur aufgrund der Faktenlage zu lösen war, war wiederum interessant und ein gekonnter Abschluss des Romans. 

"Die siebte Zeugin" ist ein Justiz-Krimi, der fast ausschließlich aus der Perspektive des Rechtsanwalts Eberhardt geschildert ist. Es ist der Auftakt einer Reihe um ihn und den Rechtsmediziner Dr. Justus Jarmer, der in diesem Fall jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielt. Für die Lösung des Falls ist seine Expertise nicht wirklich relevant, was ich schade fand. Mit der Ankündigung der Reihe hatte ich mir eine engere Zusammenarbeit von Rechtsanwalt und Rechtsmediziner gewünscht. 
Der Fall beginnt spektakulär, kann die Spannung allerdings nicht aufrechterhalten. Die Schilderung der Zusammenhänge was hinter Nöltings Tat stand, fand ich im Vergleich zu der Verzweiflungstat ernüchternd langweilig. Das Ende, das zeigte, dass kein Fall nur Schwarz-Weiß ist, sondern auch Grauschattierungen hat, die sich in diesem Fall nicht auf die Frage der Schuld, sondern auf das Strafmaß auswirkte, fand ich allerdings gelungen. 
Auch der Hinweis auf einen neuen Fall, der sich im persönlichen Umfeld von Eberhardt abspielt, macht neugierig auf Band 2 der Reihe.