Freitag, 30. September 2022

Buchrezension: Stephanie Schuster - Die Wunderfrauen: Wünsche werden wahr (Die Wunderfrauen, Band 4)

Inhalt: 

Oberbayern 1991: Die Ruhe und Besinnlichkeit der Adventszeit genießen? Für Luise Dahlmann ist das nur ein Traum, denn ihre Pension und der Reiterhof halten sie auf Trab – schließlich möchte sie ihren Gästen jeden Wunsch erfüllen. Außerdem hat sie mit ihrer Tochter gestritten, was ihr besonders zu schaffen macht. Weihnachten ohne Kinder und Enkel! Stattdessen hofft sie auf ihre Freundinnen Annabel, Helga und Marie. Mit ihnen wichteln und in Erinnerungen schwelgen, vielleicht eine Rock'n'Roll-Platte auflegen und um den Christbaum tanzen – doch auch bei aller Leichtigkeit wird klar: Die Herausforderungen des Lebens können sie nur gemeinsam meistern. 

Rezension:

Es ist Heiligabend am Brandstetter Hof, als die letzten Gäste der Pension überraschend vorzeitig abreisen und Luise doch noch wie gewünscht Weihnachten allein mit ihren drei Freundinnen Helga, Annabel und Schwägerin Marie verbringen kann. Einziger Wehmutstropfen ist der Streit mit ihrer Tochter Josie, der ihr zu schaffen macht und dass sie Weihnachten nicht mit Kindern und Enkeln verbringen kann. 
Doch ganz so ruhig wie gedacht wird das Weihnachtsfest dann doch nicht. Annabel stellt erneut ihr detektivisches Geschick unter Beweis und Helga hat eine bedrückende Ankündigung zu machen. Während der letzten Vorbereitungen schwelgen die Freundinnen in Erinnerungen an prägende, schöne und schmerzhafte Ereignisse in ihren Leben. 

Der Roman wird wie die drei Vorgängerromane aus wechselnden Perspektiven geschildert, wobei die Sicht der vier Wunderfrauen durch Luises Tochter Josie ergänzt wird.
Das Buch steht nicht für sich allein. Das Vorwissen aus der Trilogie ist zum Verständnis essentiell.
Die vier Freundinnen sind Ende 1991 zwischen 59 und 71 Jahren alt und haben gemeinsam viel erlebt. An Weihnachten kommen sie endlich wieder zusammen, nachdem Annabel im entfernten Münster wohnt und Kinder und Enkel ausgeflogen sind. Gemeinsam sowie jede für sich blicken sie zurück und schwelgen in Erinnerungen. Diese ergänzen die Erzählungen der Bände 1 bis 3, führen aber zu keinen neuen Erkenntnissen. Die Erinnerungen der einzelnen stehen für sich und haben keinen zeitlichen oder inhaltlichen Zusammenhang. Auch ein Bezug zur Gegenwart im Jahr 1991 ist nicht immer vorhanden.

Der vierte Band ist ein Wiedersehen mit den Wunderfrauen, wobei die Vergangenheit die Gegenwart überlagert, so dass man bis auf die Feier von Freundschaft und Weihnachten einen eigenen Handlungsstrang vermisst. 
Die Geschichte hat aufgrund der lebendig und authentisch gezeichneten Charaktere, die man ein Leben lang begleitet, ihren Charme, ist jedoch zu inhaltsleer und bietet keinen Mehrwert für die Trilogie, was schade ist. So liest man ein Sammelsurium an Anekdoten, was den Beigeschmack hat, die Erfolgsserie nur künstlich auszudehnen.

Dennoch kehrte ich gerne ins bayerische Leutstetten zurück und mochte auch den Zeitgeist der 1990er, der durch Musik und Technik der damaligen Zeit lebhaft eingefangen wurde. Darüber hinaus bleibt die Autorin mit Luises Kochelkachelbuch einem Stilmittel der Vorgängerbände treu, so dass Rezepte und Weisheiten von Luise ergänzend einfließen und dem Buch ein Stück Nostalgie einhauchen.
Band 4 ist für mich kein Abschluss einer Buchreihe, sondern (nur) die Ergänzung einer Trilogie. 

Mittwoch, 28. September 2022

Buchrezension: Shelby van Pelt - Das Glück hat acht Arme

Inhalt:

Seit Tova Sullivan Witwe ist, putzt sie im Sowell Bay Aquarium. Ihr fällt auf, wie Marcellus, ein neugieriger, frecher Riesenoktopus, sie aus seinem Aquarium anschaut. Marcellus ist enorm klug, aber für Menschen würde er keinen Tentakel rühren – bis er sich mit Tova anfreundet. Ihm erzählt sie von ihrem Sohn, der vor Jahrzehnten verschwand. Schlau, wie er ist, erkennt Marcellus ein Geheimnis, von dem Tova nichts ahnt. Jetzt hat er alle acht Arme voll zu tun, um die Wahrheit für Tova ans Licht zu bringen – bevor es zu spät ist. 

Rezension: 

Seit Tova Sullimans Ehemann vor zwei Jahren gestorben ist, putzt sie abends im städtischen Aquarium. Finanzielle benötigt sie die Arbeit, aber sie lenkt sie von ihrem Kummer über ihren vor dreißig Jahren unter mysteriösen Umständen im Meer verschollenen Sohn Erik ab. Dort trifft sie auf den Riesenkraken Marcellus, der dort seine letzten Tage vor seinem Tod in Gefangenschaft verbringt. Er beobachtet die stumpfsinnigen Menschen auf eine herablassende Art und Weise, bis er mit der alten Dame Freundschaft schließt, die ihn bei einem seiner regelmäßigen Ausbrüche aus seinem Becken rettete. 
Als Tova verletzt für Wochen nicht arbeiten kann, wird der chronisch abgebrannte Cameron Cassmore als Aushilfe eingestellt, der aus Modesto in Kalifornien in die Kleinstadt in der Nähe Seattles gekommen ist, um seinen Vater zu finden. 
Der aufmerksame Kranke erkennt eine Verbindung zwischen den beiden und versucht den Menschen auf die Sprünge zu helfen. 

Der Roman ist abwechselnd aus den Perspektiven von Tova, Cameron und dem schlauen Riesenkraken Marcellus geschrieben, der über die Menschen philosophiert. Es ist ein Roman über eine ungewöhnliche Freundschaft und ein Unglück aus der Vergangenheit, das nie vollständig aufgeklärt werden konnte. 
Tova ist eine liebenswerte, auf Ordnung bedachte ältere Dame, die das Herz auf dem rechten Fleck hat und mit ihrem Sohn, Ehemann und zuletzt dem Bruder schmerzende Verluste hinnehmen musste. Ablenkung findet sie bei der Arbeit, aber sie weiß, dass sie diese nicht mehr lange leisten können wird und dass sie vernünftigerweise in ein Heim ziehen sollte. 
Cameron ist 30 Jahre alt, hat aber in seinem Leben noch nie etwas auf die Reihe gebracht. Er wandelt von einem Job zum nächsten und gibt stets seiner Mutter, die ihn drogensüchtig mit neun Jahren im Stich ließ und in seinen Augen sein Schicksal bestimmte. Als er erneut in Geldsorgen ist und in alten Sachen seiner Mutter ein Foto findet, das seinen vermeintlichen Vater, einen inzwischen reichen Immobilienmakler zeigt, beschließt er diesen zu finden und 18 Jahre Unterhaltszahlungen einzutreiben. 
Zunächst ist nicht klar, wie die Handlungsstränge verbunden werden, aber als sich alle drei in dem Aquarium begegnen, wird die Geschichte vorhersehbar, aber deshalb nicht weniger interessant. 

"Das Glück hat acht Arme" ist ein origineller Wohlfühlroman mit liebenswerten, lebendig gezeichneten und herrlich unperfekten Charakteren. Es ist eine herzerwärmende, augenöffnende Geschichte über Freundschaft, Familie und Verlust, die traurig und humorvoll zugleich ist. Es handelt von Wegen, die sich unerwartet kreuzen, von Zugehörigkeit und Gemeinschaftssinn. Trotz Einfluss eines tierischen und ungewöhnlich empathischen Helden ist die Geschichte nicht albern oder kitschig. Es ist ein ganz zauberhaftes Buch, das sich wie eine warme Umarmung anfühlt (muss ja nicht gleich so fest wie die eines Riesenkranken sein!). 

Montag, 26. September 2022

Buchrezension: Viola Shipman - Für immer in deinem Herzen

Inhalt:

Großmutter Lolly lebt immer noch am Lost Land Lake, wo ihre Mutter ihr vor langer Zeit das Armband gab, das ihr Talisman wurde und Symbol für ihre Verbindung zur Familie. Aber ihre Tochter Arden und ihre Enkelin Lauren haben sie seit Jahren nicht mehr besucht, und Lolly läuft die Zeit davon.
Arden konnte es kaum erwarten, ihre Kleinstadt hinter sich zu lassen und nach Chicago zu ziehen, aber jetzt, im mittleren Alter, besteht ihr Leben nur noch aus Arbeit in der Redaktion, und sie schleppt sich einfach nur noch von Tag zu Tag. Alles, was ihr mal Spaß machte, ist ihr entglitten. Als sie einen Brief mit einem Armbandanhänger von Lolly und einen unerwarteten Anruf aus dem Heimatort erhält, ist sie alarmiert. Ein Notfall? Arden muss sich überlegen, ob sie es erträgt, nach Hause zu kommen.
Lauren, eine begabte junge Malerin, hat ihre Leidenschaft aufgegeben, um Betriebswirtschaft zu studieren. Aber sie verkümmert allmählich immer mehr und weiß nicht, wie sie ihrer Mutter die Wahrheit sagen soll.
Durch das Armband mit Charms entdecken die drei Frauen die Bedeutung von Familie, Liebe, Treue, Freundschaft, Spaß und der Lust zu leben, während der Zauber der Glücksbringer ihre Leben verändert. 

Rezension: 

Als Arden und ihre Tochter Lauren von ihrer Mutter bzw. Großmutter Lolly einen Armbandanhänger und einen Brief erhalten, in dem sie um einen Besuch bittet, machen sich die beiden Sorgen, um die inzwischen 70-jährige, allein lebende Frau und besuchen sie anlässlich des Memorial Days in Scoop, einer Kleinstadt am Michigansee. 
Arden ist geschieden und reibt sich an ihrem Beruf als Journalistin für eine Celebrity-Zeitschrift in Chicago auf, für den sie das literarische Schreiben aufgegeben hat. Lauren studiert ihrer Mutter zuliebe Betriebswirtschaftslehre, würde jedoch viel lieber als Künstlerin arbeiten. 
Lolly ist eine lebenslustige ältere Dame, die selbst schon viel Leid ertragen musste, aber schon immer an das Gute geglaubt hatte. Sie leidet unter den ersten Anzeichen von Demenz, möchte Arden und Lauren aber noch so viel vermitteln, um deren Lebensglück ein wenig auf die Sprünge zu verhelfen. Mit Hilfe ihres Bettelarmbandes, das sie als kleines Mädchen von ihrer Mutter geerbt hat und an dem inzwischen zahlreiche, symbolträchtige Anhänger klimpern, erzählt sie Episoden aus ihrem Leben - Geschichten über Freundschaft und Liebe, Freude, Glaube und Hoffnung. 

Das Buch handelt im Frühsommer am Lake Michigan, als drei Generationen von Frauen nach Jahren der Distanz wieder zusammenkommen. Mutter Lolly und Tochter Arden sind dabei in ihren Persönlichkeiten verschieden, während Lauren ihrer Großmutter ähnelt. Lolly ist extrovertiert und sprüht trotz ihres Lebensalters und der Sorge um ihre Vergesslichkeit vor Esprit und Lebensfreude. Sie trägt eine Perücke, kleidet sich bunt und ist im Ort als singende Dolly in einem Süßwarengeschäft eine kleine Attraktion. Diese Lebensfreude möchte sich auch ihrer Tochter und ihrer Enkelin vermitteln, die beide nicht glücklich sind. Durch die Geschichten über ihre Anhänger, die symbolhaft für prägende Ereignisse in ihrem Leben stehen, vermittelt sie ihnen ihre Lebensweisheiten und versucht sie, auf den richtigen Weg zu bringen. Ihre Einblicke in die Vergangenheit geben zugleich Details aus ihrem Leben preis, die sie zu der Person gemacht haben, die sie heute ist. 

Der Roman ist eine inspirierende Familiengeschichte über gegenseitige Sorge und Fürsorge und erhält durch das Bettelarmband, das eine Tradition der Familie ist und das alle Frauen mit den zu ihnen passenden Charms tragen, eine zauberhafte Wirkung. Das Buch ist ein wenig nostalgisch, aber vor allem lebensbejahend und hoffnungsvoll. Es vermittelt die Botschaft, dass das Leben zu kurz ist, um unglücklich zu sein, dass man Entscheidungen mit dem Herzen treffen und im Augenblick leben sollte, ist jedoch gleichzeitig unheimlich rührselig, kitschig und sentimental. Im Verlauf des Romans sind Lollys Lebensweisheiten erdrückend und wirken in ihrer unaufhörlichen Aufzählung bald nur noch wie leere Worthülsen und Binsenweisheiten. Probleme werden damit ganz simpel aus der Welt geschafft, ohne wirklich an einer Lösung zu arbeiten. 
Die Intention des Autors um die Suche nach dem individuellen Glück wird bildhaft, aber zu sehr mit der Holzhammermethode vermittelt. 

Samstag, 24. September 2022

Buchrezension: Michel Bussi - Die Frau mit dem roten Schal

Inhalt:

Jamal sieht zuerst nur den roten Schal. Dann die verzweifelte junge Frau, die am Rand der Klippen steht. Er will sie retten, wirft ihr den Schal zu. Doch die Frau springt. Und niemand glaubt ihm seine Geschichte, denn es sind bereits zwei Frauen zu Tode gekommen, nach exakt dem gleichen Muster. Verzweifelt versucht Jamal zu beweisen, dass er nichts mit dem Tod der Frau zu tun hat, aber alles spricht gegen ihn. Und schon bald weiß er selbst nicht mehr, was wahr ist und wem er noch vertrauen kann. 

Rezension:

Jamal Salaoui verbringt einen Urlaub in Yport in der Normandie, um zu trainieren. Trotz Beinprothese möchte er am Ultramarathon auf dem Mont Blanc teilnehmen.
Beim Joggen sieht er eines morgens einen roten Schal und wird dadurch auf eine junge Frau aufmerksam, die gefährlich nahe an den Klippen steht. Er spricht sie an und wirft ihr den Schal als Rettungsleine hin, doch die Frau springt und zieht den Schal mit sich.
Unten am Strand hat sich der Schal um ihren Hals gewickelt, was sich Jamal nicht erklären kann. Der Fall erinnert an zwei Morde, die sich vor zehn Jahren ereignet hatten und nie aufgeklärt wurden. Jamal erhält anonym Umschläge mit Unterlagen zu den beiden Fällen.
Vom Zeugen eines Selbstmords wird Jamal bald zum Hauptverdächtigen eines Mordes. Auf eigene Faust versucht er herauszufinden, in welchem Zusammenhang die Todesfälle stehen, um seine Unschuld zu beweisen.

"Die Frau mit dem roten Schal" ist ein wendungsreicher Spannungsroman, bei dem man schon bald nicht mehr weiß, was Wahrheit und was Lüge ist und ob man dem Ich-Erzähler Jamal, der im Verlauf der Handlung beginnt an seinem Verstand zu zweifeln, trauen kann.
Neben seiner Perspektive in der Gegenwart erfährt man durch die Umschläge, die Jamal erhält und die Zeitungsartikel und Polizeiunterlagen enthalten Details zu den unaufgeklärten, fast verjährten Mordfällen. Die Parallelen sind so frappierend, dass man die drei mysteriösen Mordfälle kaum mehr auseinanderhalten kann. 
Es gilt zahlreiche Puzzlestücke zusammenzusetzen und denkt man, Jamal hat eine entscheidende Spur aufgetan, stellt diese sich als Irrweg heraus und macht das Szenario nur noch komplexer und schon fast unglaubwürdig. Viele Ereignisse, die unerklärlich oder widersinnig erscheinen, lassen an der Glaubwürdigkeit des Ich-Erzählers zweifeln. So bleibt spannend, wie der Fallkomplex am Ende aufgeklärt wird und ob es nach zahlreichen falschen Fährten, Sackgassen, undurchsichtigen Zeugen und vermeintlich manipulierter Beweismittel überhaupt noch eine logische Lösung geben kann. 
Die Aufklärung der Morde ist am Ende hochkomplex und das raffinierte Vorgehen des Täters kaum zu glauben, weshalb die Schlusskapitel "Vollstreckung" und "Revision" die ungeteilte Aufmerksamkeit der/ des Leserin/s verlangt, um alle gegenwärtigen und vergangenen Handlungen nachvollziehen zu können. 
"Die Frau mit dem roten Schal" ist eine packende Mischung aus Kriminalroman und Psychothriller mit einem raffiniert entwickelten Plot, der die/ den Leser*in gekonnt verwirrt.

Freitag, 23. September 2022

Buchrezension: Sofi Oksanen - Stalins Kühe

Inhalt:

Anna hat alles im Griff. Sie dient einer "Herrin", der Bulimie, denn es gibt nichts Wichtigeres für sie, als einen vollkommenen Körper zu besitzen und unangreifbar zu sein. Annas Eltern trennen sich, als ihre Mutter Katariina herausfindet, dass ihr Mann sie betrügt. Sie, die Estin, verleugnet ihre Herkunft, weil sie weiß, welch schlechtes Ansehen Estinnen in Finnland haben – sie gelten als russische Huren, die es geschafft haben, durch Heirat nach Finnland zu entkommen. Aus Angst, dass ihrer Tochter die gleiche Verachtung zuteil wird wie ihr, darf diese die Sprache nicht lernen und keinem sagen, woher die Mutter stammt. Während Anna lernen muss, dass sie wirklich krank ist, erfährt der Leser die Hintergründe der Familiengeschichte, Ursache für Annas Leiden, die bis in die Zeit der Besetzung Estlands nach dem Zweiten Weltkrieg zurückreicht. 

Rezension: 

Anna leidet unter anorektischen und bulimischen Schüben. Die Essstörung - der selbstbezeichnete Herr - bestimmt ihr Leben. Ihre Gedanken kreisen ständig ums Essen, um sichere und gefährliche Lebensmittel und ihre Bemühungen, ihre Essorgien zu verstecken. Sie ist unfähig, Beziehungen zu führen und Nähe zuzulassen. Auch eine Therapie hilft ihr nicht weiter. Sie greift zusätzlich noch zu Psychopharmaka und Speed um vorgeblich die Kontrolle zu behalten. Ihr Leben ist ein Versteckspiel, das vom Verhalten ihrer Mutter geprägt ist. Diese ist Estin, die in den 1970er-Jahren einen Finnen geheiratet hat und zu ihm nach Helsinki gezogen ist. Dort erlebt sie, wie Estinnen pauschal als Huren verunglimpft werden und möchte dieses Schicksal ihrer Tochter nicht zumuten. Anna ist deshalb gezwungen, ihre Herkunft zu verleugnen und die "typische Finnin" zu mimen. 
Neben der Geschichte von Mutter und Tochter gibt es Rückblenden in die 1940er-Jahre und das Leben der Großmutter, das von Angst und Schrecken vor russischer Willkür geprägt war. 

"Stalins Kühe" ist ein Roman über drei Generationen von Frauen, wobei Annas Schicksal im Vordergrund steht. Daneben erfährt man mehr über die Geschichte Estlands und insbesondere seine Beziehungen zu Finnland und Russland. 
Die Geschichte wechselt zwischen den Erzählebenen der 1940er/ 1950er-Jahre, der 1970er-Jahre und der Gegenwart, dem Erwachsenwerden von Anna. Die Szenenwechsel erfolgen schon nach wenigen Seiten, so dass es schwerfällt, sich in die jeweilige Zeit hineinzufinden. Insbesondere die doch sehr komplexe Geschichte der Großeltern um das Versteckspiel der Waldbrüder nach dem Zweiten Weltkrieg und Verschleppungen nach Sibirien leidet unter der Kürze der Kapitel. Es sind einzelne Fragmentstücke eines Lebens und zahlreiche Protagonisten, die in einen Zusammenhang gebracht werden müssen. 
Weit eindrücklicher sind die Szenen aus dem Leben von Anna, die sich von ihrem "Herr" bestimmen lässt und von Katariina, die als Estin unter dem Russenhass der Finnen leidet und niemandem über den Weg traut. Gerade der Haupterzählstrang um Anna ist sehr anschaulich dargestellt. Es fällt erschreckend leicht, sich in ihre Denkweise hineinzuversetzen und eine Erklärung dafür zu finden, warum sie ihre personifizierte Essstörung nicht aufgeben kann, lieber andere Menschen vor den Kopf stößt und in lockere Sexbekanntschaften flieht. Das Buch erschöpft sich dabei ein wenig zu sehr in Annas Gedankenwelt, ist dadurch revolvierend und lässt die Handlung, die keine Lichtblicke bietet, auf der Stelle treten. Kein Handlungsstrang führt zu einem befriedigenden Ende und jeder bleibt unschlüssig offen. 

Mittwoch, 21. September 2022

Buchrezension: Barbara Kunrath - Schwestern bleiben wir immer

Inhalt:

"Katja ist meine kleine Schwester, aber sie war immer schon die Selbstbewusstere von uns beiden. Sie ist es bis heute. Die Leute denken, ich sei die Stärkere, weil ich älter bin, größer und kräftiger. Aber das stimmt nicht."
Alexa hat sich immer gekümmert. Um ihre beiden Kinder, ihren Mann Martin, um den Haushalt und den Garten. Und nebenbei um das Grab ihrer Tochter Clara, die so früh sterben musste, und um das ihrer Mutter. Ihre Schwester Katja dagegen ist ganz anders: schön, selbstbewusst und unabhängig. Dann stellt sich heraus, dass die Mutter den Schwestern ihr Leben lang die Wahrheit über ihre Vergangenheit verschwiegen hat. Gemeinsam machen sich Alexa und Katja auf die Reise. 

Rezension: 

Alexa ist Mitte 40, verheiratet und Mutter zweier Kinder. Bis zu ihrem Tod vor drei Jahren hat sie sich zusätzlich noch aufopferungsvoll um ihre schwerbehinderte Tochter Clara gekümmert. Vor kurzem ist ihre Mutter Ines verstorben, zu der das Verhältnis von jeher schwierig und angespannt war. Sie hatte ein ganz anderes Verständnis von Familie als ihre Tochter und Alexa wollte in ihrem Leben als Mutter alles besser machen. Ihre jüngere Schwester Katja beneidet sie um ihre Schönheit und Unabhängigkeit, ist mit ihren Erziehungsmethoden allerdings weniger einverstanden. Sie ist alleinerziehende Mutter eines 15-jährigen Sohnes, dem sie aus Bequemlichkeit alle Freiheiten lässt und der dies schamlos ausnutzt, aber letztlich überfordert damit ist. 
Im Nachlass von Ines findet Alexa einen Brief von Ines an ihre Töchter, der mehr Fragen als Antworten aufwirft. Die beiden Schwestern hoffen auf eine Erklärung, ihre Mutter und ihr Verhalten endlich verstehen zu können. Sie fahren deshalb in ihren Heimatort und kontaktieren dort eine ehemalige Freundin ihrer Mutter, die zunächst abweisend ist, den hartnäckigen Schwestern dann jedoch zögerlich Informationen aus der Vergangenheit preisgibt, die aufschlussreich, aber auch aufwühlend sind. Nach über 30 Jahren bietet sich Alexa und Katja die Chance auf Versöhnung und gleichzeitig für beide die Möglichkeit eines Neuanfangs. 

"Schwestern bleiben wir immer" ist eine dramatische Familiengeschichte, die überwiegend aus der Perspektive der älteren Schwester Alexa geschildert ist. Sie ist eine hingebungsvolle Mutter, für die die Familie das Wichtigste ist. Sie trauert um ihre verstorbene Tochter, hat ihretwegen ein schlechtes Gewissen und das Verhältnis zu ihrem Ehemann ist seit Claras Tod angespannt und distanziert. Die beiden scheinen außer ihren Kindern keine Gemeinsamkeiten mehr zu haben. 
In einem geringeren Ausmaß hat auch Katjas Sichtweise einen Anteil an der Geschichte. Sie wohnt in einer WG und liebt ihre Unabhängigkeit, weshalb sie sich weder Zeit für ihren Sohn noch für ihre häufig wechselnden Partner nimmt. 
Die lieblose Erziehung von Mutter Ines hat beide Töchter auf ihre Art geprägt. Während die eine sich als Übermutter selbst verliert, ist der anderen die persönliche Freiheit das Wichtigste. 

Die Suche nach Erklärungen und die Reise der beiden Schwestern in die Vergangenheit bis zu ihrer Kindheit, als ihr Vater sie aus ihnen unbekannten Gründen verließ, ist wendungsreich und unterhaltsam geschildert und wühlt die beiden Schwestern auf. Beide haben zunächst Schwierigkeiten mit der Wahrheit über ihre Eltern umzugehen, fühlen sich betrogen und im Stich gelassen. Auch wenn sie grundverschieden sind, sind sie sich in dieser Situation gegenseitig eine Stütze. 
Gleichzeitig reflektieren sie die Vergangenheit, hinterfragen ihre eigenen Verhaltensmuster und sind am Ende bereit, die Dinge zu akzeptieren, die sie nicht ändern können und bestimmte Eigenschaften der jeweils anderen vorbildhaft auf sich zu übertragen. So lernt Alexa, ihre Familie loszulassen und mehr auf ihre Bedürfnisse zu achten, während Katja ihren Egoismus hintanstellt und Unterstützung und Liebe anzunehmen lernt. 
Der Roman zeigt, wie prägend Familienbande sind, was einschneidende Erlebnisse in der Kindheit auslösen können und wie weit Fehler aus der Vergangenheit nachfolgende Generationen noch beeinflussen können. 

Montag, 19. September 2022

Buchrezension: Jennie Fields - Die Unteilbarkeit der Liebe

Inhalt:

Chicago 1950: Die mutige und hochtalentierte Wissenschaftlerin Rosalind ist eine der wenigen Frauen, die im Zweiten Weltkrieg am Bau der Atombombe beteiligt waren. Doch die unvorstellbaren Auswirkungen ihrer Arbeit brachen ihr damals das Herz – ebenso wie die Trennung von ihrer großen Liebe, ihrem Kollegen Thomas. Jahre später hat sie sich ein neues Leben aufgebaut, aber da steht Thomas plötzlich wieder vor ihrer Tür. Warum? Was will er? Gleichzeitig kommt das FBI auf Rosalind zu: Der attraktive Agent Charlie verlangt, dass sie ihm geheime Informationen über Thomas besorgt. Denn das FBI hält Thomas für einen Spion. Rosalind muss sich ein für alle Mal entscheiden, auf wessen Seite sie steht. Sie liebt Thomas noch immer, doch auch zu Charlie fühlt sie sich hingezogen. 

Rezension: 

Rosalind Porter hat als Physikerin während des Zweiten Weltkrieges am "Manhattan-Project" mitgewirkt und den Bau der Atombombe fortentwickelt. Fünf Jahre nach Beendigung des Krieges plagt sie noch immer das schlechte Gewissen, für Tausende Todesopfer verantwortlich zu sein. Zudem ist sie traurig und wütend zugleich auf ihren Ex-Liebhaber und ehemaligen Kollegen Thomas Weaver, der sie damals nicht nur eiskalt für eine andere Frau abserviert hat, sondern auch noch dafür gesorgt hat, dass sie nicht mehr als Wissenschaftlerin arbeiten konnte. Gedemütigt und enttäuscht wollte Rosalind nie wieder etwas mit Weaver zu tun haben und lebt nun ein zurückgezogenes Leben als Schmuckverkäuferin. 
Da tritt er wieder in ihr Leben, entschuldigt sich und schwört, dass er sie noch immer liebt. Zeitgleich spricht sie ein Agent des FBI an, der sie darum bittet, Weaver auszuspionieren, der des Hochverrats verdächtigt wird. Er soll geheime Informationen an die Russen weitergegeben haben. 
Roz gerät in eine verhängnisvolle Situation. Einerseits möchte sie ihre Schuld wiedergutmachen, indem sie dem FBI bei seinen Ermittlungen hilft, andererseits liebt sie Weaver noch immer und kann sich nicht vorstellen, dass er mit der Gegenseite zusammenarbeitet und damit die ganze Welt in Gefahr bringt. Doch auch für den feinfühligen und verlässlichen FBI-Agenten Charlie Szydlo entwickelt sie zarte Gefühle, die von diesem erwidert werden. Charlie steht auf der Seite der Guten, doch hat er als Kriegsversehrter mit Flashbacks aus der japanischen Kriegsgefangenschaft zu kämpfen und lässt niemanden an sich heran. 

Der Roman ist aus den Perspektiven von Rosalind und Charlie geschrieben, die beide noch unter den Auswirkungen des Krieges und ihren persönlichen Folgen zu leiden haben und enttäuscht von sich und denjenigen sind, die sie lieben. Dabei haben sie jedoch nicht ihre Ideale verloren. Charlie versucht die Spionage der Russen zu unterbinden, um zu verhindern, dass sie an Informationen zum Bau der Wasserstoffbombe gelangen. Rosalind glaubt trotz allem noch an die positiven Möglichkeiten der Atomphysik.

"Die Unteilbarkeit der Liebe" ist spannender Roman voller Leidenschaft und Emotionen und eine gelungene Mischung aus dramatischer Liebesgeschichte und Spionagethriller vor dem Hintergrund nuklearer Wettrüstung und Kaltem Krieg.
Rosalind, eine 
emanzipierte, intelligente Frau, die ihr Talent für die Wissenschaft nicht mehr ausleben kann, muss sich nicht nur zwischen zwei Männern sondern auch zwischen der Liebe und ihrem Gewissen entscheiden.

Die widerstreitenden Gefühle von Liebe und Wut und die Konflikte zwischen denen sich die Hauptfiguren befinden, sind nachvollziehbar dargelegt. Es ist eine empathische und spannungsvolle Geschichte über Enttäuschungen, Geheimnisse, Lügen, Verrat, Schuld und Sühne vor einem sehr interessanten historischen Kontext, bei der manche Liebesszene arg verkitscht erscheint. So rückt das Liebesdrama im Vergleich zur eigentlich spannenderen Geschichte des Hochverrats mehr in den Vordergrund. 

Samstag, 17. September 2022

Buchrezension: Aravind Jayan - Teen Couple Have Fun Outdoors

Inhalt:

Es ist mehr als nur ein neues Auto. Für Appa und Amma der indischen Kleinfamilie beglaubigt der weiße Honda Civic – "Weiß ist gut. Das wirkt sauber" – den Aufstieg. Mittelschicht, harter Arbeit Lohn, die Kinder werden es mal besser haben. Natürlich sollen die Nachbarn das sehen! Doch Sreenath, ihr Ältester, verhält sich seltsam, kommt nicht mal runter in die Einfahrt, und sehr bald wissen sie und ihr Jüngster wieso: Ein Video ist aufgetaucht, eins von Sreenath und seiner Freundin, auf einer dieser Seiten. Seit Jahren sind sie ein Paar, trotzdem bedeutet dieses heimlich gefilmte Video eine unerhörte Schande, und eine sagenhafte Eskalation nimmt ihren Lauf. 

Rezension: 

Amma und Appa leben zusammen mit ihren erwachsenen Söhnen in einem kleinen Haus in Trivandrum. Sie sind stolz auf das, was sie sich erarbeitet haben und zeigen dies in dem neu erworbenen Honda Civic. Die Freude über das Statussymbol währt jedoch nur kurz, da zeitgleich ein Video ihres ältesten Sohnes Sreenath und seiner Freundin Anita viral geht, das zumindest Sreenath nackt zeigt und auf einer Pornoseite hochgeladen wurde. Während Sreenath die Nachricht stoisch aufnimmt und sich keiner Schuld bewusst ist - schließlich hat er nichts Verbotenes getan, schämen sich seine Eltern in Grund und Boden. Der jüngere Bruder ist das vermittelnde Element, kann aber nicht verhindern, dass Sreenath ausziehen muss und ihm jede finanzielle Unterstützung entzogen wird. 
Das Video zieht weite Kreise, eine Anzeige bei der Polizei wird erstattet, halbherzige Versuche unternommen, das Video löschen zu lassen, aber das Video ist in der Welt und die Familie muss sich zusammen mit den Eltern von Anita, die Amma und Appa zum Handeln auffordern, über Wochen hinweg auseinandersetzen. 

Der Roman ist aus der Perspektive des jüngeren Bruders verfasst, der mit ansehen muss, wie seine Familie wegen eines heimlich aufgenommen Sextapes auseinanderbricht. Er ist bemüht, den Konflikt zwischen den Generationen zu lösen, auf beiden Seiten Verständnis für die andere zu erwirken, scheitert aber an der Sturheit von Eltern, für die der Ruf der Familie über alles geht, und des Bruders, der sich ärgerlich passiv verhält. 

Es ist eine Geschichte über die Macht des Internets, über unterschiedliche Moralvorstellen, das Unverständnis und die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Gleichzeitig wird das Kleinstadtleben in Südindien beleuchtet, wo es gilt, den schönen Schein zu wahren und wo Anstatt und Sitte einen hohen Stellenwert genießen. 

Als "beißender Generationenroman" und "bittersüße Komödie" angekündigt, hatte ich etwas mehr Humor in der Geschichte erwartet, auch wenn sie ein ernstes Thema über die Verletzung der Privatsphäre und der demütigenden und zerstörerischen Folgen davon behandelt. Tatsächlich ist die Geschichte ernüchternd ernst und wird nach einem unterhaltsamen Einstieg recht monoton, indem sich retardierend gegenseitig Vorwürfe gemacht werden, ohne dass es zu einer vernünftigen Art der Kommunikation oder gar Aussprache kommt. Es entsteht das Gefühl, dass durch die andauernde Diskussion über das Video, das bereits vor längerer Zeit aufgenommen wurde, der Clip und die Sorge darum größer werden, als geboten erscheint.
Der Einblick in die indische Familie, in der noch höhere Moralvorstellungen als in der westlichen Gesellschaft herrschen, ist nicht uninteressant, jedoch dreht sich die Geschichte zu sehr im Kreis und führt am Ende einfach zu nichts, da keine Charakterentwicklung stattfindet und die Fronten verhärtet bleiben.  

Freitag, 16. September 2022

Buchrezension: Kerstin Brune - Die Jahre des Maulwurfs

Inhalt:

Die Erzählerin weiß nicht, ob ein Fest oder eine Beerdigung sie erwartet, als sie nach vielen Jahren in ihr Heimatdorf zurückfährt. Im Gepäck hat sie nur den ausgestopften Maulwurf Herrn Klotho – das Einzige, was geblieben ist von ihrer wundersamen Freundin Tanja, mit der sie vor über dreißig Jahren das Abenteuer des Erwachsenwerdens antrat. Tanja, die Rebellische, die mutig und mühelos alle Grenzen im Dorf überschritt und die Kinder zu bizarren Unternehmungen anstiftete. In der Erinnerung wird noch einmal die gemeinsame Kindheit lebendig, die die Erzählerin bis heute prägt: das Ulkige, Verrückte, Grobe des Dorfes, Bauernschläue und vor allem Tanjas magische Sicht auf die Welt. Und sie versteht jetzt, weshalb ihre Freundin damals so plötzlich verschwunden ist. 

Rezension: 

Die namenlose Ich-Erzählerin kommt nach dem Tod ihrer Freundin Tanja zurück in ihre Heimat, ein Dorf in Westfalen. Im Gepäck hat sie den präparierten Maulwurf Herrn Klotho, der Tanja seit sie denken kann, begleitete. Sodann fühlt sich die Erzählerin zurückversetzt in die wilden Jahre mit ihrer ungestümen Freundin und erinnert sich an ihre abenteuerliche Kindheit Ende der 1980er-Jahre. 

Ich empfand das Buch als sehr anstrengend zu lesen und stand immer wieder kurz davor, es abzubrechen. Ich hatte andere Erwartungen an den Roman und konnte mich mit der Geschichte nicht anfreunden, da ich weder einen Bezug zu den Charakteren noch zur eigentlichen Handlung herstellen konnte. 

In dem Buch geht es nicht - wie von mir fälschlicherweise angenommen - um die Trauer um eine zu früh gestorbene Freundin und den Rückblick auf eine jahrzehntelange Frauenfreundschaft. Stattdessen wird man nach sechs Seiten Gegenwart dreißig Jahre zurück in ein Dorf in Westfalen versetzt, in dem eine Zweitklässlerin ein rothaariges Mädchen kennenlernt, das ihr Leben durcheinanderbringt. Während die ersten Monate mit Tanja ausschweifend erzählt werden, gleitet man im Schweinsgalopp durch die beiden (?) Folgejahre, ohne wirklich zu erfassen, dass die Mädchen älter werden. 
Tanja ist ein gefühlt elternloses Kind, ein Wirbelwind mit einem toten Maulwurf als Anhang, der keine Grenzen kennt und ein wenig in seiner eigenen Welt lebt. Sie plappert munter drauflos, erzählt allerhand Unsinn, der für die junge Ich-Erzählerin mit schiefer Brille allerdings schlüssig und glaubhaft klingt. 
Die Ich-Erzählerin schildert überfordernd sprunghaft Episoden aus ihrem Leben ab dem achten Lebensjahr, über die Verteufelung von Joghurtbechern, über einen Turnwettbewerb und die Beobachtung der Erwachsenen, die sich überwiegend in der Dorfkneipe aufzuhalten scheinen. 
Durch die flatterhafte Erzählweise, in der Tanja entweder nur eine beobachtende Rolle hat oder eben munter drauflos plappert, fällt es schwer, am Ball zu bleiben und einen tieferen Sinn als die Schilderung einer Kindheit auf dem Dorf zu erkennen. Bewohnt mit Menschen mit absurden Vor- und Nachnamen wie Bäuerin Deiwel, Hausmeister Hackholz, Fleischer Stopf, Fußballtrainer Kimme, Doktor Fauseweh oder Kneipenwirt Winzé und fürchterlichem Dialekt fragt man sich manchmal, ob sie so gewählt wurden, um zumindest für irgendeine Art der Unterhaltung zu sorgen. 

Das Buch ist abwechslungsreich, mit Wortwitz und voller liebenswürdig kluger Lebensweisheiten eines Kindes, "gehirnlogisch!" und auch die scharfe Beobachtungsgabe der Ich-Erzählerin, die einen spöttischen Blick auf das Leben im Dorf wirft, weiß zu überzeugen. Die Handlung ist jedoch ein einziges Durcheinander sprunghafter Erinnerungen und eine Aneinanderreihung an kindlichem Nonsens, der mich durchgängig gelangweilt hat. Die avisierte Geschichte über eine Freundschaft zweier ungleicher Mädchen kommt dabei genauso wenig zum Tragen wie der titelgebende Maulwurf. 
Wer die Pippi Langstrumpf in sich sucht, wird den Roman unterhaltsam und amüsant finden, für mich waren die Einblicke in das Dorfleben zusammenhanglos und nur schwer nachvollziehbar. 

Mittwoch, 14. September 2022

Buchrezension: Charlotte Blum - Fräulein vom Amt: Die Nachricht des Mörders

Inhalt:

Baden-Baden 1922. Das Fräulein vom Amt Alma Täuber liebt ihre Arbeit als Telefonistin und meistert sie mit Geschick und Energie. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin Emmi genießt sie es, frei und unbeschwert zu sein und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. 
Als Alma bei einer Telefonschalte zufällig den Bruchteil eines Gesprächs mithört, lässt sie die Stimme des Anrufers, die von einem erledigten Auftrag "bei den Kolonnaden" spricht, nicht mehr los. Alma stellt beherzt Nachforschungen an und findet heraus, dass genau dort eine Frau ermordet aufgefunden wurde. Doch bei der Polizei glaubt niemand an einen Zusammenhang zu dem Anruf – außer Kommissaranwärter Ludwig Schiller. 
In ihrer entschlossenen Art lässt Alma sich nicht beirren und begibt sich gemeinsam mit Schiller zwischen mondänen Bäderhotels und illegalen Casinos auf die Spur des Mörders. 

Rezension: 

Alma Täuber ist Anfang 20, teilt sich eine Dachgeschosswohnung mit ihrer besten Freundin Emmi Wolke und arbeitet als Telefonistin in Baden-Baden. Beide genießen ihr unabhängiges Leben und sind nicht auf der Suche nach einem Ehemann, dem sie sich unterordnen müssten. Bei ihrer Tätigkeit als "Fräulein vom Amt" hört Alma zufällig einen Teil eines Gesprächs mit, der sie stutzig werden lässt. Wenig später wird eine Frau erstochen aufgefunden und Alma zieht Parallelen zu den Worten am Telefon. Entschlossen macht sie eine Aussage bei der Polizei, die von ihrem Hinweis jedoch wenig überzeugt ist und bald einen Täter ermittelt haben will. Einzig Kommissaranwärter Ludwig Schiller schenkt Alma Gehör und geht ihren Hinweisen nach, denn sie lässt nicht locker und recherchiert munter auf eigene Faust weiter. Dabei wird sie Zeugin eines zweiten Todesfalls, der jedoch als tragischer Unfall oder Selbstmord bewertet wird. 

"Fräulein vom Amt - Die Nachricht des Mörders" ist der erste Band einer Krimireihe um die junge Telefonistin aus Baden-Baden. Alma Täuber ist eine sympathische junge Frau, die neugierig ist und für die damalige Zeit ein sehr selbstbestimmtes Leben führt. 

Der Roman ist atmosphärisch und fängt den Zeitgeist der frühen 1920er-Jahre anschaulich ein. Historische Details zur Stadt Baden-Baden, zu neuen Techniken, zum gesellschaftlichen Zusammenleben und dem Alltag in den Familien fließen ungezwungen in die Handlung ein und machen die Geschichte rund. 

Der Kriminalfall beginnt mit zwei Todesfällen an Frauen, die allem Anschein nach nur ohne großes Engagement von der Kriminalpolizei aufgeklärt werden spannend, zieht sich durch die Nebenhandlungen aber etwas in die Länge. Zudem erscheint mit Voranschreiten der Handlung immer weniger nachvollziehbar, warum sich Alma so für die Aufklärung der vermeintlichen Morde interessiert. Wenn Alma selbst den Traum gehabt hätte, Polizisten zu werden oder eine der Toten zumindest flüchtig gekannt und deshalb ein Interesse an der Aufklärung der Todesfälle hätte, hätte die Geschichte für mich authentischer gewirkt. So wird sie ein wenig aus heiterem Himmel zur Privatermittlerin. Dabei geben ihr Personen bereitwillig Auskunft und sie wohnt sogar Befragungen der Polizei bei. Das ist vielleicht etwas zu idealistisch geschildert, insbesondere da es zur damaligen Zeit noch keine Kriminalpolizistinnen gab. Durch ihr geschicktes Einschreiten, ihre cleveren Überlegungen und einige gefällige Zufälle kann sie jedoch aktiv an der Aufklärung beider Todesfälle mitwirken, was die Spannung im letzten, wendungsreichen Drittel wieder ansteigen lässt.

"Fräulein vom Amt" ist ein gut recherchierter historischer Roman, der die/ den Leser*in durch liebevolle Details und eine der Zeit angepassten Sprache anschaulich nach Baden-Baden im Jahr 1922 versetzt. Es ist kein klassischer Kriminalroman, da dafür die eigenmächtigen Recherchen Almas zu sehr im Vordergrund stehen, die Polizeiarbeit zu stümperhaft wirkt und die Aufklärung der Todesfälle durch den ein oder anderen Zufall etwas glücklich ist. 
Auch wenn nicht ausreichend plausibel dargestellt wird, was hinter Almas Motivation steckt, macht der Roman neugierig auf den zweiten Band der (Krimi-)Reihe, der zwei Jahre später handelt.  

Montag, 12. September 2022

Buchrezension: Ursula Poznanski - Stille blutet (Mordgruppe, Band 1)


Inhalt:

Wenige Worte machen die aufstrebende Wiener Nachrichtensprecherin Nadine Just über Nacht berühmt: Vor laufender Kamera kündigt sie ihre Ermordung an – zwei Stunden später ist sie tot! Ebenso ergeht es dem Blogger Gunther Marzik nach einer ganz ähnlich lautenden Ankündigung. Während die österreichische Medienwelt kopfsteht, trendet der Hashtag #inkürzetot, Nachahmer-Beiträge und Memes fluten das Netz. Wie soll die junge Ermittlerin Fina Plank im fünfköpfigen Team der Wiener "Mordgruppe" zwischen einer echten Spur, einem schlechten Scherz oder schlichtem Fake unterscheiden? Schließlich rückt Nadines Ex-Freund Tibor Glaser ins Zentrum von Finas Ermittlungen, ein aalglatter Werbefachmann und Weiberheld, der verzweifelt seine Unschuld beteuert. 
Während sich die Schlinge um Tibors Hals langsam zuzieht, beobachtet von allen unbemerkt ein weiterer Spieler mit Interesse das Geschehen – und bereitet einen raffinierten Schachzug vor. 

Rezension:

Vor laufender Kamera kündigt die Nachrichtensprecherin von Quick-TV, Nadine Just, ihren Tod an und wird tatsächlich wenige Stunden später erstochen in der Garderobe aufgefunden. Auch ein Blogger, der auf Facebook seine Ermordung vorhersagt, kann nur noch tot aufgefunden werden. Ins Visier der Ermittlungen rückt Nadines Exfreund Tibor Glaser, dessen DNA-Spuren in der Schrebergartenlaube des Bloggers gefunden werden. Ein Motiv fehlt jedoch für beide Morde. 
Fina Plank, die noch neu bei der Wiener Mordgruppe ist, ermittelt zusammen mit ihrem Kollegen Oliver Homburg, der in ihr eine unerwünschte weibliche Konkurrenz sieht und ihr das Leben mit plumpen Sprüchen und ungerechter Kritik schwermacht. Die Ermittlungen sind ohnehin schon schwierig, da die Morde mit dem Hashtag #inkürzetot viral gegangen sind und Nachahmer sowie Kritiker von Nadine Just die Social Media-Kanäle überreizen, denn diese hatte sich durch verbale Attacken viele Feinde gemacht. 

"Stille blutet" ist Band 1 der neuen Wiener Thrillerreihe "Mordgruppe" von Ursula Poznanski. Durch die Verknüpfung der Morde mit Aktivitäten im Internet mutet der Kriminalfall modern an. 
Die Ermittlungsmethoden des "Mordgruppe"-Teams sind dagegen klassisch und realistisch dargestellt. Spuren an den Mordopfern und Tatorten werden gesichert und ausgewertet, die Frage nach den Feinden der Toten ist zentral. 
Fina ist als Ermittlerin neu im Team und wird dabei ganz offensichtlich von ihrem chauvinistischen Kollegen Oliver gemobbt. Seine vehemente Frauenfeindlichkeit ist anstrengend, aber zum Glück sind die anderen Kollegen auf Finas Seite und integrieren sie vorbehaltlos. 
Die Ermittlungen gestalten sich zäh, da eine Verbindung zwischen den Mordopfern - es wird nicht bei zweien bleiben - nicht zu erkennen ist. Tibor Glaser kommt da wie gerufen, dessen DNA-Spuren an mehreren Tatorten gefunden werden, der allerdings für die Tatzeiten an Nina ein Alibi hat. 
Der Krimi ist aus der Perspektive von Fina, die zunächst unsicher wirkt, sich aber nicht unterkriegen lässt, und Tibor geschildert, was als Exfreund des Mordopfers eher ungewöhnlich und ihn für den Leser schnell als Täter ausschließt. Seine Rolle in dem Kriminalfall ergibt sich erst am Ende, denn die Serienmorde sind raffiniert und undurchschaubar inszeniert. 

Die Mordserie ist anschaulich und lebendig geschildert und zieht durch die langwierige Tätersuche einen Spannungsbogen, der zum Miträtseln einlädt. Durch eine weitere Perspektive eines vermeintlichen Nachahmungstäters, der die anderen handelnden Personen beobachtet und dies kommentiert, hat der Krimi zudem eine Komponente, die die Einordnung als Thriller rechtfertigt. 
"Stille blutet" ist ein origineller Kriminalfall, der vor allem durch die lebendige und authentische Erzählweise überzeugt. Auch wenn es dem Ermittlerteam, das noch Potenzial nach oben hat, am Ende zu leicht gemacht wird, macht der Auftaktband neugierig auf Folgebände der Reihe "Mordgruppe", denn am Ende wird nicht alles aufgelöst.  

Samstag, 10. September 2022

Buchrezension: Sandra Novak - Die Partnerschaft

Inhalt:

Die erfolgsverwöhnte Anwältin Martina Bäumer verliert einen wichtigen Korruptionsfall und somit die Aussicht auf die Partnerschaft in ihrer Kanzlei.
Konfrontiert mit dem Erwartungsdruck ihren nächsten Fall zum Sieg zu führen, stellt Martina ihre Beziehung wieder einmal in den Hintergrund. Ihr Freund Christian, der endlich mit der Familienplanung beginnen möchte, ist nach all den gemeinsamen Jahren mit seinem Verständnis am Ende. Er möchte die Beziehung an erster Stelle sehen und bringt Martina damit in Bedrängnis.
Zu allem Überfluss drängt ein neues Jobangebot Martina dazu, sich an ihre eigenen Werte zu erinnern und sich einzugestehen, dass sie diese schon seit Jahren nicht mehr lebt.

Rezension: 

Martina ist 39 Jahre alt und arbeitet als Anwältin in einer Kanzlei in Wien. Von ihrem Chef Dr. Peters wurde ihr eine Teilhaberschaft in Aussicht gestellt, weshalb sie in Konkurrenz mit ihrem Kollegen Meger steht und sich der Konflikt mit ihrem Freund Christian verstärkt, der nach vierzehn Jahren Beziehung von einer Familie mit Kindern träumt. 
Martina ist dem Druck, der vor allem nach einem verlorenen Gerichtsverfahren von allen Seiten auf sie prallt, kaum noch gewachsen. Neben den angespannten Nerven hat sie mit Müdigkeit und Magenschmerzen zu kämpfen.  

Der Roman wird in kurzen Kapiteln und noch kürzeren Episoden geschildert. Die Szenenwechsel sind sprunghaft und ohne gefällige Übergänge, so dass man wiederholt im Lesefluss gehemmt wird. Zudem tragen viele Szenen mit Nebensächlichkeiten wie Besuchen bei den Eltern oder in Restaurants, am Billardtisch oder dem Smalltalk mit der guten Seele der Kanzlei, Sekretärin Gruber, nichts zur eigentlichen Handlung bei, während die eigentlich wichtigen Themen, die Martina bewegen, in den Hintergrund gedrängt werden. 
So fällt es schwer zu verstehen, was eigentlich Martinas Problem ist, die mit fast 40 Jahren und erfolgreicher beruflicher Tätigkeit als Anwältin doch einen gewissen Sachverstand, Erfahrung und gesundes Selbstbewusstsein haben sollte. Stattdessen wirkt sie unausgeglichen und getrieben und scheut jeden Konflikt. Weder in der Männer dominierten Kanzlei noch mit ihrem Freund sucht sie ein offenes Gespräch. 
Martina wirkte als Charakter wenig authentisch auf mich, zudem störte mich, dass verschiedene Sachverhalte kurz angerissen und nicht weiter vertieft wurden. Martina ist in der Kanzlei permanent mit Fällen beschäftigt, aber man weiß überhaupt nicht, worum es geht. Auch warum sie nach 15 Jahren treuer Dienste nahezu gemobbt wird, erschließt sich genauso wenig wie ihr übereiltes Handeln als Reaktion darauf. Das Verhältnis zu ihrer Mutter ist durch stille Vorwürfe angespannt und Christan denkt über Vaterfreuden nach, obwohl er und Martina nach vierzehn Jahren Beziehung noch nicht einmal zusammenwohnen. 
Martinas Geheimnis, das sich erst spät offenbart und vielleicht eine Erklärung für ihr eigenartiges Verhalten bietet, wirkt nach all den Jahren des Schweigens unglaubwürdig und macht sie nicht sympathischer. Auch dass sie lebensverändernde Entscheidungen abrupt trifft und nie den Austausch mit Freunden, Kollegen oder der Familie sucht, erscheint realitätsfern.
 
Die Geschichte hat einen guten Aufhänger und verspricht eine Auseinandersetzung mit Themen, die viele berufstätige Frauen zwischen Erfolg und Familie bewegen. Die Umsetzung ist jedoch nur im Ansatz gelungen. Mit Problemen wird sich nicht auseinandergesetzt, stattdessen werden Entscheidungen unüberlegt und aus heiterem Himmel getroffen. Dem kurzen Roman fehlt Tiefe, er wirkt fragmentarisch, wie ein Manuskript, das noch ausgeschmückt gehört. Die Dialoge sind hölzern, die Charaktere unausgereift. 

Freitag, 9. September 2022

Buchrezension: Pernille Hughes - Zehn Jahre du und ich

Inhalt:

Becca und Charlie kennen sich schon seit Jahren – seit Charlie und Beccas beste Freundin Ally an der Uni ein Paar wurden. Und seit sie sich kennen, verbindet die beiden eine leidenschaftliche Feindschaft. Eigentlich sollte Allys viel zu früher Tod dazu führen, dass Becca und Charlie sich nie wiedersehen müssen. Aber Ally hatte andere Pläne … und eine unvollendete Bucket List. Wie es aussieht, werden Becca und Charlie noch eine Weile miteinander zu tun haben, während sie versuchen, mit ihrer Trauer und einem Leben nach Ally umzugehen. Und dabei weiter das Schlimmste ineinander hervorrufen. Oder doch nicht? 

Rezension: 

Becca und Charlie kennen sich seit ihrer Zeit an der Uni und können sich genauso lange nicht leiden. Einzig verbindendes Element zwischen den beiden ist Ally, Charlies Lebensgefährtin und Beccas beste Freundin. Als diese im Jahr 2011 stirbt, sehen Becca und Charlie nach der Beerdigung keine Veranlassung den Kontakt aufrecht zu erhalten, bekommen jedoch ein Jahr später einen Brief von Ally, der sie an Dinge erinnert, die Ally in ihrem Leben unternehmen wollte, aber keine Zeit mehr dafür hatte. Nach einer Wanderung auf den Berg Snowdon, wo Becca und Charlie einen Teil von Allys Asche verstreuten, beschließen sie, sich einmal im Jahr zu treffen, um für Ally ihre Löffelliste abzuarbeiten. Aufgrund ihrer persönlichen Abneigung sind Streitigkeiten vorprogrammiert, doch mit der Zeit lernen sie sich besser kennen und spüren, dass sie die Aufgaben nicht nur für Ally machen. 

"Zehn Jahre du und ich" ist eine klassische Enemies-to-Lovers-Geschichte und damit nicht wirklich neu. Auch die Erledigung einer Bucketlist für einen Verstorbenen wurde schon in diversen Romanen zur Trauerbewältigung thematisiert. Dennoch ist die Geschichte nicht langweilig oder in Gänze vorhersehbar. Die kleinen Abenteuer, die Becca und Charlie gemeinsam erleben sind abwechslungsreich und unterhaltsam und auch die Dialoge sind durch Beccas schlagfertige Art erfrischend humorvoll. Überhaupt ist die Geschichte trotz der Allgegenwart der Trauer um Ally, die für beide eine der wichtigsten Personen im Leben war, nicht deprimierend, sondern durch den Wechsel von traurigen und amüsanten Momenten atmosphärisch ausgewogen. 

Beide Protagonisten sind nicht nur charakterlich unterschiedlich, sondern gehen auch ganz unterschiedlich mit ihrer Trauer um. Während Charlie nicht lange allein sein kann und sich neu bindet, kann Becca Ally nicht wirklich loslassen und empfindet Charlies neue Liebe als Verrat an Ally, was für ihre aufkeimende Freundschaft nicht förderlich ist. Nach einem Jahr Abstand lebt Charlie sein Leben weiter, während Becca sich mehr zurückzieht. Dabei ist sie im Gegensatz zu dem besonnenen Charlie ein eher lebhafter, quirliger Mensch. 

Im Verlauf der zehn gemeinsamen Jahre, in denen sich Becca und Charlie nur zu einzelnen Gelegenheiten begegnen, finden beide nach der Trauer um beste Freundin und Partnerin wieder ins Leben zurück. Durch das Abarbeiten der Bucketlist fühlen sie eine Verbundenheit mit Ally, lernen sich selbst besser kennen und kommen sich gegenseitig näher. Der Prozess ist von albernen Streits, aber auch tief gehen Gesprächen geprägt, was die Geschichte authentisch macht. 

Es ist ein Roman über Freundschaft und Liebe, der trotz des erwartbaren Endes nicht langweilig ist, sondern auf charmante Art und Weise zeigt, wie Einstellungen und Beziehungen sich im Laufe der Zeit wandeln können und welche Hürden es für einen Neuanfang zu umschiffen gilt. Es ist ein herzerwärmendes Buch, das durch die traurigen und witzigen Elemente für ein Wechselbad der Gefühle sorgt und stetig mehr Nähe zu den Charakteren aufbaut. Dabei müssen die Protagonisten lernen, den Mut aufzubringen, ihre Zukunft selbst zu gestalten und dass sie es wert sind, Glück zuzulassen. 

Mittwoch, 7. September 2022

Buchrezension: Kristin Harmel - Das Verschwinden der Sterne

Inhalt:

Seit sie als kleines Kind aus ihrem Elternhaus entführt wurde, ist Jona fast auf sich allein gestellt in der unerbittlichen Wildnis Osteuropas aufgewachsen. 1942 trifft sie tief im Wald auf eine Gruppe Juden, die den Nazis entkommen konnten. Jona ist fassungslos, als sie erfährt, was in der Welt geschieht. Sie bringt den Flüchtlingen alles bei, was sie über das Überleben abseits der Zivilisation weiß. Doch dann treibt ein bitterer Verrat Jona zur Flucht. Als sie sich ausgerechnet in einem von den Deutschen besetzten Dorf wiederfindet, muss sie sich einer Erkenntnis stellen, die ihr ganzes Leben verändert: Sie ist nicht die, die sie zu sein glaubte. 

Rezension: 

Jona wurde 1922 im Alter von zwei Jahren von einer alten Frau entführt, die sie von Berlin mit in die Wälder Osteuropas, zwischen Polen und Belarus gebracht hat. Dort lernt sie von ihr das Überleben in der Wildnis, bis diese im betagten Alter von 104 Jahren stirbt. Der Zweite Weltkrieg ist inzwischen ausgebrochen und Jona ahnt nichts von den Gräueltaten, die sich durch die Invasion der Deutschen in den nahgelegenen Orten ereignen. Sie trifft auf Juden, die in ihrer Verzweiflung in den Wald geflüchtet sind und erfährt auf diese Weise vom Holocaust. Sie beschließt, der Gruppe zu helfen und ihnen das notwendige Wissen zum Überleben beizubringen. Jona verliebt sich in deren Anführer, wird jedoch nie vollständig in die Gemeinschaft integriert. Nach einer herben Enttäuschung verlässt sie die Gruppe und möchte sich auf den Weg nach Berlin zu ihren Eltern machen, um endlich mehr über ihre Wurzeln zu erfahren. Dabei macht sie Halt in einem Dorf, das von Deutschen besetzt ist und trifft auf den Feind. 

"Das Verschwinden der Sterne" ist inspiriert von wahren Geschichten polnischer Juden, die während des Zweiten Weltkrieges vor den Deutschen in die Wälder Osteuropas geflüchtet sind und dort überlebten. Die Figur der Jona, die in der Geschichte etwas mystisch wie ein rettender Engel wirkt, ist jedoch rein fiktiv. 

Die Geschichte ist anders als die Romane, die ich bisher von Kristin Harmel gelesen habe, die von Romantik und bewegenden Familiengeschichten geprägt waren. "Das Verschwinden der Sterne" liest sich in der ersten Hälfte wie ein Abenteuerroman über das Überleben in der Wildnis. Jona ist dort aufgewachsen und kennt das Leben in der Zivilisation nicht, hat von ihrer Entführerin jedoch alles gelernt, was man zum Überleben braucht. Zudem hat sie Kenntnisse über das Judentum und spricht verschiedene Sprachen fließend. Jona ist eine gutherzige, hilfsbereite Heldin, die sich trotz ihres Lebens in der Isolation für andere Menschen einsetzt und ihnen bereitwillig hilft. Ob da auch die Sehnsucht nach einer Gemeinschaft mitschwingt, wird nicht deutlich. Es fällt überhaupt schwer, sich in Jona hineinzuversetzen und ihre Gefühle nachzuvollziehen. Die Entführung klingt wenig plausibel, für das Handeln der alten Dame fehlt eine Erklärung. 

Die Geschichte wirkt distanziert, die Einzelschicksale können nicht wirklich berühren. Auch bleiben einige Fragen offen, wie Jona nach zwanzig Jahren in der Wildnis so menschlich, zivilisiert, gebildet und ohne jegliche Scheu auftreten kann. 
Der historische Kontext tritt bei der Beschreibung des Überlebens im Wald in den Hintergrund. Die Tatsache, dass Krieg herrscht und dass es sich bei den Menschen um flüchtige Juden handelt, spielt eine untergeordnete Rolle. Ihr Leben auf der Flucht hätte jeden anderen Grund haben können. Durch die andauernde Gefahr und die dadurch immer wiederkehrenden gleichförmigen Tätigkeiten beim Auf- und Abbau der Lager und bei der Suche nach Nahrung hat der Roman einige Längen. 
Erst als Jona in der Zivilisation angekommen ist, konnte mich das Buch mehr packen, auch wenn die Verbindung von Vergangenheit und der gegenwärtigen Situation durch einen gewaltigen Zufall reichlich konstruiert wirkt. Die Gräueltaten der Deutschen sind jedoch eindringlich geschildert und auch der Heldenmut der Dorfbewohner, auf die Jona trifft berührt und zeigt, dass selbst in dunklen Zeiten Lichtblicke, Hoffnung und Menschlichkeit herrschen können. 
Aufgrund einiger Ungereimtheiten und der schon annähernd märchenhaften Geschichte konnte mich das Buch jedoch nicht in Gänze überzeugen. Die Anmerkungen der Autorin am Ende des Romans zeichnen dagegen ein erstaunliches Bild, dass Tausende Juden tatsächlich unerkannt aus den Ghettos in die polnischen Wälder flüchten konnten.   

Montag, 5. September 2022

Buchrezension: A. K. Turner - Wer mit den Toten spricht (Raven & Flyte ermitteln, Band 2)

Inhalt:

Cassie Raven, Assistentin der Rechtsmedizin mit einer Vorliebe für Piercings und Tattoos, ist für gewöhnlich hart im Nehmen. Als ihre geliebte Großmutter ihr jedoch gesteht, sie jahrelang über den Tod ihrer Eltern belogen zu haben, ist Cassie tief erschüttert. Denn es gab nie einen tödlichen Autounfall, als sie noch klein war – stattdessen wurde ihr Vater für den brutalen Mord an ihrer Mutter verurteilt und saß 17 Jahre im Gefängnis.
Mithilfe von DS Phyllida Flyte - ihrer Beinahe-Freundin - stellt Cassie Recherchen an, die jedoch immer mehr Fragen aufwerfen. Dann taucht er plötzlich bei Cassie auf und behauptet unschuldig zu sein. Nur die Toten können die ganze erschütternde Wahrheit enthüllen. 

Rezension: 

Cassie Raven, von Beruf Sektionsassistentin, hat eine Affinität zum Tod, seitdem ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind, als sie vier Jahre alt war. Dies dachte sie zumindest, bis ihre Großmutter ihr, nachdem sie sich von einem Schlaganfall erholt hatte, beichtet, dass ihr Vater ihre Mutter ermordet hat und dafür lange Zeit im Gefängnis saß. Inzwischen ist Callum auf freiem Fuß und schwört, dass er seiner Ehefrau Kath nie hätte etwas antun können. Cassie möchte ihrem Vater gern glauben und zieht die Ermittlungen der Polizei in Zweifel, nachdem sie mit Bekannten ihrer Eltern gesprochen hat und es zudem Unsauberkeiten bei der Obduktion der Leiche ihrer Mutter gegeben hat. Cassies Vater wurde aufgrund von Indizien und der Aussage eines Zeugen überführt, Beweise für sein brutales Handeln gab es keine. 
Mit Hilfe von Detective Sergeant Phyllida Flyte, mit der Cassie in einem vergangenen Todesfall zusammenarbeitete, von dem sie persönlich betroffen war, versucht sie herauszufinden, was vor 21 Jahren passiert ist und wird dabei von ihren vagen Kindheitserinnerungen und ihrer Intuition unterstützt. 

"Wer mit den Toten spricht" ist nach "Tote schweigen nie" Band 2 der Reihe um die ungewöhnliche Sektionsassistentin mit Goth-Affinität. Das Buch ist als Thriller deklariert, liest sich jedoch lange wie ein Familiendrama. Der Fokus liegt auf der tragischen Vergangenheit von Cassies Familie und der Suche nach der Wahrheit. Cassie hat zudem mit Schuldgefühlen zu kämpfen, da sie sich für den Tod ihrer Mutter, die mit einem kleinen Kind überfordert schien, verantwortlich fühlt. 
Auch der Erzählstrang um die Polizistin Phyllida, deren Baby nach der Geburt verstorben ist, ist von einer privaten Tragödie und der Frage Phyllidas geprägt, ob der Tod ihrer Tochter hätte verhindert werden können. 
Beide Protagonistinnen müssen mit unverarbeiteter Trauer umgehen und sind auf der Suche nach Antworten. 

Spannung zur Aufklärung des Mordes an Katherine Raven baut sich nur gemächlich auf und zieht erst im letzten Drittel an, als Cassie bewusst wird, dass irgendjemand versucht, ihre Recherchen gewaltsam zu unterbinden. 

Die Sektionsassistentin ist wie schon im ersten Band eine interessante Figur, die ausgesprochen empathisch im Umgang mit den Toten und ihren Angehörigen agiert und die eine enge Verbundenheit zu den Toten spürt. Gut hat mir deshalb der Beginn des Romans gefallen, als ihre Arbeit, die ihre Berufung scheint, in den Vordergrund rückte und sie Signale von einem jungen vermeintlich Suizidalen empfängt, um seinen Tod aufzuklären. Auch der Schluss ist spannend in Szene gesetzt und fesselt durch die zunehmende Gefahr, in die sich Cassie durch ihre vehementen Recherchen begibt. Die Suche nach der Wahrheit empfand ich jedoch als langatmig und für einen Thriller zu dramatisch und wenig dynamisch. 

Nachdem sich Cassie nun mit der Vergangenheit versöhnen kann, hoffe ich auf weniger persönliche Dramen und mehr Spannung und Forensik sowie mehr von Cassies Eigenarten im Umgang mit den Toten in den Folgebänden der Reihe. 

Samstag, 3. September 2022

Buchrezension: Julie Heiland - Die Freundinnen vom Strandbad: Wogen der Freiheit (Die Müggelsee-Saga 2)

Inhalt:

Ost-Berlin, August 1961. Die Jugendfreundinnen Martha und Betty verbringen einen Nachmittag im Strandbad Müggelsee, doch die Dritte im Bunde fehlt: Clara ist nach West-Berlin geflohen, um sich ein neues Leben aufzubauen. Während es Betty nach einem Schicksalsschlag gelingt, als Schauspielerin Fuß zu fassen, beginnt Martha, gegen die Regierung zu protestieren. Ausgerechnet Betty wird von der Stasi gezwungen, Martha auszuspionieren, um ihre Karriere zu retten. Die Leben der Frauen entwickeln sich in völlig unterschiedliche Richtungen, und ihre Freundschaft droht zu zerbrechen. Werden die drei trotz aller politischen Widrigkeiten eines Tages wieder zueinanderfinden? 

Rezension:

"Wogen der Freiheit" ist der zweite Band der Dilogie "Die Freundinnen vom Strandbad" und knüpft nahtlos an den ersten Teil "Wellen des Schicksals" unmittelbar nach dem Mauerbau 1961 an. Der Roman handelt bis zum Fall der Mauer im Jahr 1989 und deckt damit auf knapp 600 Seiten einen großen und politisch sowie gesellschaftlich ereignisreichen Zeitraum ab. Schwerpunkt der Handlung liegt auf den Jahren 1961-1964, während die 1970er- und 1980er-Jahre nur durch einzelne Episoden skizziert sind.

Während Clara erfolgreich über den Teltowkanal nach Westberlin flüchten konnte, um dort ihre Träume zu verwirklichen, sind Martha und Betty in Ostberlin geblieben und müssen sich mit dem DDR-Regime arrangieren.

Der Roman ist wieder abwechselnd aus den Perspektiven der drei jungen Frauen geschrieben, die von Schwierigkeiten geprägt, schnell erwachsen werden mussten. Die Freundschaft ist dabei nur hintergründig, die Leben der drei ganz unterschiedlichen Charaktere verlaufen parallel. Zu Clara besteht zunächst kein Kontakt, nur die Hoffnung, dass sie es unerkannt in den Westen geschafft hat. Sie hatte tatsächlich das Glück, eine Mentorin und Freundin zu finden, die sie bei ihrem Neuanfang unterstützt. 
Betty hadert mit ihrem Eheleben an der Seite von Konrad, der ihr untreu ist und sie in ein Leben als Heimchen am Herd zwingen möchte, während sie weiterhin Schauspielerin werden möchte. 
Martha arbeitet für die progressive Zeitschrift Evelyn, hat sich von ihren Adoptiveltern distanziert und kommt stattdessen ihrer leiblichen Mutter näher.

Die Beschreibung der Lebensgeschichten der drei liebenswerten Frauen ist abwechslungsreich und lebendig und vor allem von Problemen und Schicksalsschlägen und dem Kampf um Unabhängigkeit, Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung geprägt. Jede hat mit eigenen Sorgen und Problemen und mit den Einschränkungen in dem sozialistischen Staat zu kämpfen, der seine Bürger bespitzelt und unterdrückt. Die Unterschiede zwischen Ost und West sind anschaulich beschrieben und fließen ganz selbstverständlich in die Geschichte und den Alltag der drei Frauen ein. 

Der Roman ist ab dem Mittelteil von großen Zeitsprüngen geprägt, was etwas gehetzt wirkt und die Geschichte in Teilen sehr oberflächlich macht. Im Fokus ist bei allen drei Freundinnen die Liebe mit all ihren Schwierigkeiten - Liebe getrennt durch die Mauer - Liebe zwischen Bindung und Emanzipation, zwischen Abhängigkeit und Selbstverwirklichung - Entscheidung zwischen romantischer und pragmatischer Liebe. Das drängt die Politik und historische Ereignisse, die die jungen Frauen und ihre Leben prägen, arg in den Hintergrund.

Das Ende ist wiederum ergreifend geschildert und setzt einen runden Schlusspunkt. Für meinen Geschmack haben der Geschichte die Zeitsprünge nicht gutgetan. Ein ausführlicher Epilog oder ein dritter Band mit einer Vertiefung der erwachsenen Jahre von Martha, Betty und Carla wären Alternativen gewesen, die die Geschichte nicht so gedrängt hätten erscheinen lassen.
Dennoch stehen Freundschaft und Zusammenhalt und das andauernde Band zwischen den drei unterschiedlichen Frauen im Mittelpunkt, was vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse und aller Widrigkeiten eine Mut machende Botschaft ist, Hoffnungen und Träume nicht aufzugeben.