Samstag, 30. September 2017

Buchrezension: Sarah Perry - Die Schlange von Essex

Inhalt:

London im Jahr 1893. Nach dem Tod ihres Mannes verlässt Cora Seaborne die Hauptstadt und reist gemeinsam mit ihrem Sohn Francis in den Küstenort Aldwinter. Als Naturwissenschaftlerin und Anhängerin der provokanten Thesen Charles Darwins gerät sie dort mit dem Pfarrer William Ransome aneinander. Beide sind in rein gar nichts einer Meinung, beide fühlen sich unaufhaltsam zum anderen hingezogen.

Rezension:

Die Geschichte spielt im Viktorianischen Zeitalter in London bzw. in der nordöstlich davon gelegenen Grafschaft Essex.

Der Ehemann von der wissbegierigen und von ihrem Mann in ihrem Eifer unterdrückten Cora Seaborne ist vor Kurzem verstorben, weshalb sie sich nun selbstständig und frei mit ihrem autistischen Sohn Francis sowie ihrer Freundin und Kindsmagd Martha von London nach Essex begibt. In dem Dorf Aldwinter soll es eine Schlange geben, die mich der Beschreibung nach an "Nessie" erinnerte.
Die burschikose Cora trifft bei ihren Fossilien-Forschungen auf den Pfarrer William Ransome, mit dessen Familie sie sich anfreundet. Zunächst scheint es, als habe Will in Cora einen Partner auf intellektueller Ebene gefunden. Die Verbindung zwischen ihr und William, der in Coras Augen unter seinen Möglichkeiten bleibt und sein geistiges Potenzial nicht ausschöpft, geht bald über das Interesse an der reinen Wissenschaft hinaus.

Die Schlange, das mysteriöse Fabelwesen, symbolisiert das Böse und wird für alle Unglücke verantwortlich gemacht, die den Menschen in dem Dorf widerfahren. William glaubt zunächst nicht an die Existenz des "Ungeheuers vom Blackwater" und empfindet den Aberglauben um sie als Gotteslästerung. Im Verlauf der Handlung beginnt er allerdings zu zweifeln und fragt sich, ob es sich bei der Schlange um eine Strafe Gottes für die begangenen Sünden der Menschen handeln könnte. Auch Cora ist aus naturwissenschaftlicher Sicht skeptisch und vermutet hinter der Essex-Schlange eine noch unentdeckte Tierart. Sie selbst scheint aber auch symbolisch für die Schlange zu stehen, bringt sie doch den Pfarrer und Familienvater William in Versuchung, seine Ehefrau Stella zu betrügen.

Voller Metaphern und einem der damaligen Zeit angepassten Schreibstil ist "Die Schlange von Essex" alles andere als einfach zu lesen. Mit den zahlreichen Protagonisten werden unzählige Nebenschauplätze eröffnet und mehrere Erzählungen parallel erzählt. Neben der (Liebes-)geschichte um Will und Cora gibt es noch den Arzt Dr. Luke Garrett, der eine zentrale Rolle einnimmt, sowie weitere Nebencharaktere wie Francis und Martha oder die Kinder von Will und Stella, insbesondere Joanna und ihre Freundin Naomi Banks.
Es ergibt sich dabei eine ausgedehnte Geschichte, wobei der rote Faden nicht immer erkennbar leibt und man als Leser sich aufgrund von Cover und Klappentext in Erwartung einer typischen Gothic Novel mit den vielen kleinteiligen Fragmenten aus Erzählungen und Briefen leicht überfordert fühlen kann.

Mir haben die Episoden um den Chirurg, den "Kobold" Luke gut gefallen, der viel Mut beweist und ehrgeizig neue Wege in der Medizin geht, um den Menschen zu heilen.
Auch wird man als Leser sehr gut in die Stimmung der damaligen Zeit Ende des 19. Jahrhunderts versetzt, wobei durch die prosaische Beschreibung sogar die Veränderung der Jahreszeiten atmosphärisch erlebbar war.

Ich vermisste an der Geschichte einen stärkeren Kontrast zwischen Aberglaube und Verstand, Fiktion und Wirklichkeit, Religion und Wissenschaft. So gab es kaum Konflikte zwischen den Protagonisten, was an den aufkeimenden Gefühlen zwischen Will und Cora lag, aber gerade deswegen hätte ich mir mehr leidenschaftliche Dialoge und Streitgespräche vorgestellt und gewünscht. Auch die mysteriöse Schlange spielte selbst nur eine untergeordnete Rolle und wurde dem Titel damit nicht gerecht.

In dem Roman prallen zu Lasten eines dramaturgisch gelungenen Handlungsbogens viele verschiedene, eigenwillige Charaktere aufeinander, weshalb der Roman für mich zu lang und zu verworren und in Gänze unrund wirkte. Ich hatte Schwierigkeiten eine fortlaufende Handlung zu erkennen, da die einzelnen Abschnitte auf mich scheinbar zusammenhanglos aneinandergereiht wirkten. 


Freitag, 29. September 2017

Buchrezension: Judith Pinnow - Die Phantasie der Schildkröte


Inhalt:

Was passiert, wenn ein Kind das Leben einer Erwachsenen in die Hand nimmt?

Edith ist Mitte vierzig und wohnt allein in einer kleinen Wohnung in Köln. Ihr Leben verläuft in sehr engen Bahnen. Tagsüber arbeitet sie bei einer Versicherung, abends schaut sie Fernsehen. Außer zu ihrer Mutter, mit der sie sich pflichtschuldig einmal im Monat trifft, um sich von ihr kritisieren zu lassen, hat sie kaum Kontakte. Das ändert sich, als sie mit einer Zehnjährigen im Aufzug stecken bleibt. Die Kleine beginnt ein raffiniertes Spiel mit ihr, der Beginn einer sehr ungewöhnlichen Freundschaft. Jeden Tag muss Edith eine neue Aufgabe erledigen, und ihr Leben verändert sich dabei mehr als sie es je für möglich gehalten hätte.
Eine poetische Geschichte über die Kraft des Wünschens.

Rezension:

Edith ist Mitte 40, Sachbearbeiterin bei einer Versicherung und lebt allein und zurückgezogen in einer kleinen Wohnung in Köln. Sie trifft sich regelmäßig aus Pflichtgefühl mit ihrer bösartigen Mutter zum Mittagessen und pflegt sonst keine engeren Kontakte. Sie hat streng festgelegte Rituale, die ihr Halt geben - sei es das Frühstück, das täglich identisch abläuft, der Vanillejoghurt, der in der Kantine verzehrt werden muss, die Fliesen, die im Bad gezählt werden müssen, die Kleidung und die Schuhe, die sie den Wochentagen entsprechend trägt oder die Fernsehserien, die abends geguckt werden. Diese Marotten geben Ediths Tag eine Struktur und der von der Mutter von klein auf eingeschüchterten und unter Minderwertigkeitskomplexen leidenden Frau Sicherheit.

Ab dem Zeitpunkt, als sie in ihrem Wohnhaus mit einem zehnjährigen Mädchen im Fahrstuhl stecken bleibt, gerät ihr Leben ins Wanken. Das Mädchen, das sich Schneewittchen nennt, gibt Edith Aufgaben vor, für deren Bewältigung sie sich massiv überwinden muss. Nach jedem Erfolgserlebnis - und sei die Aufgabe noch so kindisch oder unnötig - ist Edith ein kleines bisschen Stolz auf sich, auch wenn es durch ihre Neurosen auch Rückschläge gibt. Dann ist aber wie von Zauberhand immer wieder Schneewittchen zur Stelle, die Edith in ihrer unbedarften, kindlichen Art dazu motiviert, weiterzumachen.

Mit jeder Aufgabe entwickelt sich Edith weiter, beginnt sich auch anderen Menschen gegenüber zu öffnen und sich als Frau zu fühlen, die Bedürfnisse hat. In Kollegin Nancy findet sie eine rücksichtsvolle Freundin, die ihr zuhört und sie darin bestärkt, eine Beziehung zu einem Mann zu suchen.

"Die Phantasie der Schildkröte" ist eine Geschichte über eine zwanghafte Frau, für die ihre gewohnte Routine unheimlich wichtig ist. Kommt es zu Abweichungen, kommen ihre streng festgelegten Tagesplanungen und Abläufe durcheinander, fühlt sie sich sichtlich unwohl und unbeholfen und flieht am liebsten in ihre eigenen vier Wände. Durch die Begegnung mit dem geheimnisvollen Mädchen, die immer dann zur Stelle ist, wenn Edith Unterstützung braucht, traut sich Edith heraus aus ihrem Schildkrötenpanzer, öffnet sich für ihre Umwelt, stellt sich ihren Ängsten und strengt sich selbst an, die ein oder andere zur Gewohnheit gewordenen Marotte abzulegen.

Auf der einen Seite ist der Roman sehr unterhaltsam und amüsant zu lesen, da Ediths Zwangsneurosen für einen "normalen" Menschen nicht nachvollziehbar und skurril sind und die Aufgaben von Schneewittchen sie vor ungeahnte Herausforderungen stellen. Andererseits stimmt es aber auch betrübt, Ediths krankhafte Neurosen mitzuerleben, da sie mit ihren Zwängen ihr Leben stark einschränkt und deutlich wird, dass Edith bisher keine Freunde und keinen Spaß hatte und einfach überhaupt nicht gelebt hat.

Der Roman zeigt, dass es alles andere als einfach ist, sich zu überwinden und etwas Neues zu wagen. Jeder Mensch hat vermutlich einen kleinen Teil von Edith in sich , bestimmte Rituale, die man bewusst oder unbewusst durchführt und nur schwer ablegen kann. Solange diese nicht das Leben bestimmen, ist dies unproblematisch und höchstens für andere zu belächeln. Im Fall von Edith braucht sie allerdings die Hilfe von anderen - von Schneewittchen, Nachbarin Frau Knoppel und Kollegin Nancy - die ihr auf unkonventionelle Art die schönen Seiten des Lebens zeigen.
"Die Phantasie der Schildkröte" ist ein magisches Buch mit eigenwilligen Charakteren, das empathisch geschrieben ist und das Herz erwärmt. Der Titel verrät bereits, dass sich die Geschichte oder Teile davon nur im Kopf von Edith abspielt, was aber Ediths Schicksal nicht weniger glaubwürdig macht.
Die Entwicklung von Edith von der zurückhaltenden Frau, die jeden Kontakt zu fremden Menschen mied und am Schluss heiß auf eine Liebesbeziehung ist, ging mir ein wenig zu schnell und hätte meiner Meinung nach auf zarte Annäherungsversuche an die Männerwelt beschränkt werden können, um ihr etwas Dynamik zu nehmen.


Mittwoch, 27. September 2017

Buchrezension: Elizabeth Enfield - Ivy und Abe


Inhalt:


Ivy und Abe – zwei Menschen, die füreinander bestimmt sind. Sie begegnen sich zu verschiedenen Zeiten in ihrem Leben. Doch das perfekte Glück verpassen sie immer. Mal wechseln sie ein paar Worte in einem Café, dann trennen sich ihre Wege wieder. Ein anderes Mal haben sie eine Affäre miteinander. Später sind sie verheiratet, aber ihre Ehe steckt in einer tiefen Krise. Ihr Leben lang tragen Ivy und Abe etwas von dem anderen in sich. Innige Momente, in denen sie ihre Liebe spüren. Wird sie je von Dauer sein?

Rezension:


Der Roman beschäftigt sich mit der Frage, ob es genau den EINEN richtigen Moment gibt, um dem Partner des Lebens zu begegnen bzw. wann der richtige Moment ist, um sich zu verlieben und das Leben mit dem Auserwählten zu verbringen.

In elf Kurzgeschichten begegnen sich Ivy Trent und Abraham McFadden in unterschiedlichen Situationen und zu verschiedenen Zeiten jeweils zum ersten Mal wieder. Der Roman erzählt das Leben von Ivy rückwärts, beginnend im Jahr 2026, als sie 71 Jahre als ist und endet im Jahr 1965 als sie noch ein Kind im Alter von 10 Jahren ist. Anschließend folgt ein Epilog, der im Jahr 2032 spielt. Zur Veranschaulichung in welchem Jahr man sich gerade befindet, werden bedeutende Ereignisse der Zeit wie der Ausbruch des Eyjafjallajökull im Jahr 2010, der Bombenanschlag der IRA 1996 in London oder auch die Mondlandung der Apollo 11 im Jahr 1969 erwähnt.

Ivy und Abe sind zwei Menschen, die für einander geschaffen sind, bei denen der Zeitpunkt der Begegnung aber nicht immer passt, um zu einem glücklichen Zusammenleben zu finden. In manchen Episoden sind es wirklich nur Begegnungen, bei denen sich keine Beziehung entwickelt, in vielen Fällen ist sie nicht auf Dauer und wenn sie verheiratet sind, betrügen sie sich gegenseitig. Erst im hohen Alter, wenn beide ihr Leben gelebt haben, mit anderen Partner verheiratet waren, mit denen sie eine Familie gegründet haben, verlieben sie sich in einander und heiraten - doch auch diese Liebe ist leider nicht auf Dauer und endet tragisch viel zu früh.

Elizabeth Enfield hat eine ungewöhnliche Liebesgeschichte geschrieben, da die Protagonisten mit jeder Begegnung jünger werden und sie sich bei jeder Begegnung aufs Neue kennenlernen. Manche Themen wiederholen sich jedoch, wie der Unfall mit einem Heuballen aufgrund ungesicherter Fracht oder der Gendefekt in Ivys Familie, der in ihrer Biographie eine zentrale Rolle spielt, da sie erst mit Mitte 50 erfährt, ob auch sie das Gen der Huntington-Krankheit in sich trägt, an der ihre Mutter und ihr Bruder verstorben sind.

Interessant ist zu lesen, wie man Ivy und Abe als junges Liebespaar, in einer leidenschaftlicher Affäre oder als Ehepaar, das sich in einer Krise befindet, kennenlernt und man erkennt, dass jede Entscheidung das Leben unwiderruflich verändern kann. Zentrale Frage ist das "Was wäre, wenn?" und ob die Suche nach dem Glück ein realisierbarer Traum ist. Leider wird durch diesen Romanaufbau auch schon das Ende vorweg genommen, auch wenn es natürlich für jede Kurzgeschichte jeweils ein eigenes Ende gibt. Dadurch dass einscheidende Ereignisse im Leben von Ivy und Abe in verschiedenen Jahrzehnten erwähnt werden, kommt es zudem zu einigen Wiederholungen und in der Rückwärtserzählung nimmt die Spannung dann automatisch ab statt zu.

Mir war der Schreibstil etwas zu süßlich-verträumt, die Handlung zu sehr auf das Schicksal und den Glauben an die ewige Liebe reduziert. Den Vergleich der Autorin von Liebe und Quantenphysik ist mir etwas zu weit hergeholt. Ich hatte mir mehr Raffinesse versprochen und durch die Kurzgeschichten wollte der Funke der Leidenschaft von Ivy und Abe irgendwie nicht auf mich überspringen. Mir fehlte einfach die Entwicklung einer tiefgehenden Beziehung.

Für "Ivy & Abe" sollte man eine romantische Ader haben und an die Liebe auf den ersten Blick glauben. Mir war der Roman zu episodenhaft, so dass ich mit den Protagonisten nicht in allen zum Teil sehr kurzen Geschichten mitleiden und für ein Happy End hoffen konnte.


Montag, 25. September 2017

Buchrezension: Catherine Bennetto - Und jetzt auch noch Liebe

Inhalt:

Emma träumt von der Liebe, aber als sie von ihrem langjährigen Problemfreund Ned schwanger wird, erkennt sie, dass man mit ihm lieber keine Familie gründen sollte. Also hakt sie den Traum vom Glück zu dritt ab. Ausgerechnet jetzt läuft ihr der Mann ihres Lebens über den Weg. Dumm nur, dass der eine andere heiraten will. Und sie das Kind eines anderen erwartet. Und ihren Job verloren und eine dysfunktionale Familie hat. Sie kann sich jetzt nicht auch noch um Liebe kümmern. Aber wie soll man Leben schenken, wenn man selbst gerade das Gefühl hat, dass es einem genommen wird? Und der Termin der Geburt rückt näher, ob es ihr gefällt oder nicht, und wenn alles schiefläuft, hat man Träume doch am Allernötigsten.

Rezension:

Emma ist 27 Jahre alt und wohnt zusammen mit ihrem Freund Ned in London. Als sie relativ spät merkt, dass sie schwanger ist, kommt sie ins Grübeln, denn eigentlich hätte sie sich schon längst von Ned trennen sollen, der arbeitslos, unzuverlässig, verträumt und im Geiste noch ein kleiner Junge ist.
Nach der ersten Ultraschalluntersuchung, bei der ihr das Herz aufgeht, beschließt sie, das Baby zu behalten und die Beziehung zu ihrem Freund zu beenden. Impulsiv kündigt sie dann auch noch ihren Job als Regieassistentin, mit dem sie schon lange nicht mehr zufrieden war.
Single, arbeitslos, schwanger - Emma hat keinen Plan, wie es mit ihrem Leben weitergehen soll und als Ned auch noch ihr Konto mit ihren gesamten Ersparnissen plündert, um sich mit einem Unternehmen für Eiscreme selbstständig zu machen, zieht sie notgedrungen zu ihrer exzentrischen Mutter, die über die Schwangerschaft alles andere als begeistert ist.

Das kurze Gastspiel bei ihrer Mutter hat aber bald ein Ende, als sie das Cottage ihrer verstorbenen Großmutter in Wimbledon erbt und wieder einen Aushilfsjob an einem Filmset bekommt, in dem sie sich um ihren vierjährigen Cousin und Jungschauspieler Archie kümmert. Auch wenn sie dadurch wieder ihre Selbstständigkeit zurückerhält, fühlt sie sich dennoch ungeliebt und vermisst den Spaß in ihrem Leben. Durch einen Zufall lernt sie Joe kennen, der gerade von seiner Freundin betrogen wurde und der sodann bei ihr einzieht, damit sie durch die zusätzlichen Mieteinnahmen die Schulden bei ihrer Mutter bezahlen kann.

"Und jetzt auch noch Liebe" ist eine herzerfrischende romantische Komödie, bei der durch den ironischen Schreibstil und die vielen verqueren Charaktere die humorvollen Elemente überwiegen, als der Trennungs-Herz-Schmerz von Emma. Es ist insofern kein klassischer Liebesroman, bei man sich allzu viel romantische Stimmung erwarten sollte.

Auch wenn die Autorin viele Übertreibungen nutzt und die Protagonisten - sei es Emmas Exfreund Ned, ihre Mutter Diana, Tante Sinead, Nachbarin Harriet oder die Betreuerin am Filmset Martha alle (herrlich) bekloppt sind, hat mir der Roman um Emma und ihre chaotische Familie auch durch die Dialoge und markigen Sprüche von Emma viele vergnügliche Lesestunden bereitet. Die ein oder andere Szene war allerdings schon sehr skurril, wirkte dann zu gewollt komisch und wäre für die weitere Entwicklung von Emma und ihrer Geschichte nicht unbedingt notwendig gewesen. Die Autorin streift einige Male nah daran, die Handlung zu sehr ins Lächerliche zu ziehen, gerade am Set des Zombie-Films mit der sehr offenherzigen Martha.
Befremdlich fand ich zudem, dass sich Emma, nachdem sie von Ned so hinterhältig um ihr Erspartes betrogen wurde, direkt dem fremden Joe vertraut und ihn so vertrauensvoll in ihr Cottage aufnimmt und in ihr Leben lässt.

Das Debüt von Catherine Bennetto ist eine leichte, lockere Geschichte um eine Frau, bei der es Zeit für einen Neuanfang ist und die lernen muss, Verantwortung zu übernehmen, aber auch ein Roman über Freundschaft und den Zusammenhalt in der Familie. "Und jetzt auch noch Liebe" ist eine typische Chick Lit, bei der man das Ende natürlich erahnen kann, die mir aber vom Schreibstil sehr durch die kreativen Gedichte von Emma gefallen hat und die durch die schlagfertigen Dialoge punktet.



Samstag, 23. September 2017

Buchrezension: Benjamin Ludwig - Ginny Moon hat einen Plan


Inhalt:


Ginny Moon ist vierzehn Jahre alt, liebt Michael Jackson -- und wenn sie nicht jeden Morgen neun Trauben frühstücken kann, droht der Tag in einer Misere zu versinken. Bei ihren dritten Pflegeeltern hat sie endlich ein Zuhause gefunden. Andere wären jetzt glücklich. Aber Ginny versteht die Welt nach ihrer eigenen Logik. Ob ihre leibliche Mutter nun gemeingefährlich ist oder nicht: Ginny muss sie finden. Dafür nimmt sie nicht nur Verfolgungsjagden mit der Polizei und die eigene Entführung in Kauf, sondern muss auch lernen, dass sich das Leben manchmal nicht in ungeraden Zahlen fassen lässt.

Rezension:

Ginny Moon ist vierzehn Jahre alt, Autistin und wurde fünf Jahre zuvor ihrer leiblichen Mutter Gloria weggenommen, die drogensüchtig und gewalttätig war und ihre Tochter sträflich vernachlässigte. Ginny wohnt seitdem bei Pflegeeltern und hat bei ihren "Herzenseltern" Maura und Brian im "Blauen Haus" ein liebevolles Zuhause gefunden.

Dann wird ihre Adoptivmutter Maura selbst doch noch schwanger und mit der neuen "Herzensschwester" Wendy, der Ginny nicht zu nahe kommen darf, wird alles anders.
Ginny nimmt Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter auf, da sie Angst um ihre "Babypuppe" hat, die sie in einem Koffer zurückgelassen hat und die die Polizei bei ihrer Rettung nicht finden konnte. Sie fühlt sich verantwortlich für sie und möchte unbedingt zu ihr, da sie sich sicher ist, dass sich ihre impulsive und unzuverlässige Mutter nicht um die "Babypuppe" kümmern kann.

Da sich Ginny in ihrer neuen Familie zunehmend überflüssig vorkommt, schmiedet sie einen Plan, wie sie zu ihrer "Babypuppe" und damit auch zu ihrer Mutter Gloria zurückkehren kann, ohne dass diese ins Gefängnis muss.

Der Autor Benjamin Ludwig ist selbst Adoptivvater einer autistischen Tochter und schreibt konsequent aus Sicht eines autistischen Mädchens, weshalb man sich selbst als Leser gut in ihre Situation, aber auch die Belastung für die Pflegeeltern hineinfühlen kann. Ginny hat Probleme sich zu artikulieren, Emotionen wahrzunehmen und zu verstehen. Sie hat Zwänge, die ihr Halt geben und unterliegt strengen Regeln, die das Zusammenleben erleichtern sollen.

Als Leser begreift man ähnlich wie ihre Psychologin Patrice, wie Ginny denkt und warum sie unbedingt zu ihrer Babypuppe muss. Ihre Adoptiveltern sind viel zu sehr mit ihrem Neugeborenen beschäftigt und können Ginnys Drang zu ihrer leiblichen Mutter zu gelangen, die sie geschlagen hat und fast verhungern ließ, nicht verstehen. Vor allem Maura hat zu wenig Vertrauen in Ginny, was aus Sicht des Lesers ungerechtfertigt erscheint.

Ginnys Odyssee ist bewegend, hat viele traurige, nachdenkliche, aber auch komische Momente. Autismus ist zwar eine Entwicklungsstörung, die das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen einschneidet, aber das Buch klärt darüber auf, dass eine Persönlichkeit hinter der Störung steht, eine Person, die gebraucht und geliebt werden will, auch wenn sie es wie Ginny selbst nicht zeigen kann.

"Ginny Moon hat einen Plan" ist ein berührender Roman, der auf die Krankheit Autismus aufmerksam macht und darüber hinaus ein Plädoyer des Autors ist, sich für Kinder in Pflegefamilien zu engagieren.
Gerade die ungewöhnliche Perspektive machen es zu einem unheimlich eingängigen, interessanten Roman.



Freitag, 22. September 2017

Buchrezension: Toni Jordan - Neun Tage

Inhalt:

Alles beginnt mit dem jungen Kip Westaway, der in einem Vorort von Melbourne aufwächst. An einem Sommerabend trifft er Annabel, eigentlich die Tanzpartnerin seines Bruders, und beginnt mit ihr eine Liebesgeschichte. Als fünfzig Jahre später ihre gemeinsame Tochter Charlotte schwanger wird, weckt das in Kip Erinnerungen an einen anderen bedeutungsschweren Tag im Leben seiner Familie - und er muss erkennen, dass ein unsichtbarer Faden das Schicksal der ganzen Familie verbindet.

Rezension:

Neun Kurzgeschichten erzählen jeweils einen Tag im Leben von neun Personen, die familiär über Generationen miteinander verbunden sind.
Die Geschichten der Familienmitglieder Westaway bauen nicht chronologisch aufeinander auf und spielen zu unterschiedlichen Zeiten in Melbourne. Sie können auch unabhängig voneinander als eigenständige Kurzgeschichten gelesen werden.
Der Roman beginnt mit dem Jungen Kip während des Zweiten Weltkriegs, der später als Großvater wieder auftritt. Er wird Annabelle heiraten und mit ihr die beiden Zwillinge Constance (Stanzi) und Charlotte bekommen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und von denen wiederum jeweils eine Geschichte handelt.

Als Episodenroman ist "Neun Tage" zunächst nicht so einfach zu lesen, da die Zusammenhänge erst am Schluss richtig klar werden. Die Summe der Einzelgeschichten ergibt einen Familienroman, der sich über vier Generationen erstreckt und von Armut, Krieg, Liebe und dem Zusammenhalt von Geschwistern handelt.
Am besten gefallen hat mir die Episode um die Psychoanalytikerin Stanzi bzw. auch die tragische Geschichte um Kips Schwester Connie.

Interessant ist am Ende der Hinweis der Autorin auf das Foto, um das sie den Roman gestrickt hat. Wer mehr von Toni Jordan lesen möchte, sei "Tausend kleine Schritte" empfohlen.



Mittwoch, 20. September 2017

Buchrezension: Lize Spit - Und es schmilzt

Inhalt:

Mit geschlossenen Augen hätte Eva damals den Weg zu Pims Bauernhof radeln können. Sie könnte es heute noch, obwohl sie viele Jahre nicht in Bovenmeer gewesen ist. Hier wurde sie zwischen Rapsfeldern und Pferdekoppeln erwachsen. Hier liegt auch die Wurzel all ihrer aufgestauten Traurigkeit.
Dreizehn Jahre nach dem Sommer, an den sie nie wieder zu denken wagte, kehrt Eva zurück in ihr Dorf – mit einem großen Eisblock im Kofferraum.


Rezension:

Eva erhält eine Einladung in ihr Heimatdorf Bovenmeer, wo sie zuletzt vor neun Jahren war. Es soll der Geburtstag von Jan gefeiert werden, der in diesem Jahr 30 Jahre alt geworden wäre. Jan ist der ältere Bruder von Pim gewesen, einer der "drei Musketiere", mit dem Eva ihre Kindheit und Jugend zusammen mit Laurens verbracht hat. 
Eva wohnt inzwischen in Brüssel, wohin sie ursprünglich für ein Architekturstudium hingezogen ist. Der Umzug kam aber auch einer Flucht aus einer Familie gleich, die von zwei alkoholkranken Eltern, einem depressiven Vater und der an einer Zwangsstörung leidenden kleinen Schwester Tesje geprägt war. 

Während ihrer Rückkehr nach Bovenmeer erinnert sich Eva an ihre Kindheit, insbesondere an den Sommer 2002, als sie 14 Jahre alt ist, ihre Freundschaft mit Pim und Laurens und das Leben als vernachlässigte Tochter, die mit der ständigen Angst aufwachsen musste, dass sie ihre Eltern tot auffinden könnte und die ein permanentes schlechtes Gewissen aufgrund ihrer verwahrlosten Schwester haben musste. 

Der Roman ist sehr nüchtern geschrieben und geht dennoch unter die Haut, da man zwischen den Zeilen durchweg mit den Schuldgefühlen eines Mädchens konfrontiert wird, die außer Pim und Laurens keine Freunde hatte. Im Vergleich zu den anderen Mädchen im Dorf fühlt sie sich hässlich und dick, bezeichnet sich selbst als das Mädchen mit den "Elefantenbeinen". Die beiden Jungs nutzen sie bei ihren Spielchen, die als Pubertierende ausschließlich sexueller Art waren als ihre Schiedsrichterin im Kontakt mit den anderen Mädchen aus. 

[Achtung Spoiler]

Neben Spielchen, sich voreinander auszuziehen und sich gegenseitig die Geschlechtsteile zu zeigen oder dem "Wahrheit oder Pflicht"-Spiel, bei dem mitunter Tiere in Mitleidenschaft gezogen werden, grenzt die Konsequenz aus dem Punktesystem für Mädchen, das die Jungs für die Dorfjugend erstellen, an sexuellen Missbrauch. So wird Eva genötigt, sich ein Rätsel für die anderen Mädchen auszudenken, das sie - in der Hoffnung 200 € für die Lösung zu erlangen - mitspielen, wobei sie sich für jede falsche Antwort eines Kleidungsstücks entledigen oder sich von Pim und Laurens anfassen lassen müssen. Dass am Ende immer nur die Jungs siegreich hervorgehen, ist Eva zwar bewusst, unterstützt diese sexuelle Ausbeute aber viel zu lange, bis sie ihr selbst zum Verhängnis wird. 

[Spoiler Ende]

Der Roman schockiert, weshalb die vom Verlag angegebene Beschreibung "Ein Buch, das alles gibt und alles verlangt" wirklich zutreffend ist. Man leidet mit Eva und ihrer ausweglosen Situation mit und kann nur fassungslos weiterlesen, wie sie sich auf der Suche nach Liebe, Freundschaft und ein bisschen Anerkennung auf Dinge einlässt, die über Jugendsünden weit hinausgehen. Es ist ein Drama, das unter die Haut geht und nichts für zartbesaitete Nerven ist. 
Das Buch ist nicht ganz einfach zu lesen, da auch während der Erinnerungen Evas immer wieder zwischen den Zeiten gesprungen wird. Der Schreibstil ist allerdings sehr eingehend und spannend, dass man in der Erahnung einer finalen Katastrophe, die zugegebenermaßen lange hinausgezögert wird, immer weiterlesen muss. 

Die Autorin wagt sich mit ihrem Debütroman an die Grenzen des Sagbaren, weshalb der Roman sehr kontrovers diskutiert wird. Auch meiner Meinung kann man dem Inhalt nichts Positives abgewinnen, aber gerade die emotionslose Schilderung einer scheinbar ganz normalen Freundschaft in einer Nachbarschaft, die überall sein könnte, machen es zu einem schockierenden, lesenswerten Psychodrama und schon jetzt zu einem meiner Lesehighlights des Jahres. 


Dienstag, 19. September 2017

Buchrezension: Lilli Beck - Wie der Wind und das Meer

Inhalt:
München, April 1945. Nach einem verheerenden Fliegerangriff irrt der elfjährige Paul mit einem Koffer durch die Trümmerlandschaft. Auf der Suche nach einem Versteck trifft er auf ein kleines Mädchen. Sie heißt Sarah, hat wie er ihre Familie verloren – und sieht Pauls Schwester verblüffend ähnlich. Um in der verwüsteten Stadt nicht allein zu sein und von den Behörden nicht getrennt zu werden, schließen Paul und Sarah einen Pakt: Von nun an werden sie sich als Geschwister ausgeben. Ihr Plan geht auf. Doch wie hätten sie ahnen können, dass Jahre später ihre Notlüge ihr Verhängnis werden würde – und dass sie sich würden verstecken müssen, um sich lieben zu dürfen...

Rezension:

Der Roman beginnt Ende des Zweiten Weltkrieges und spielt bis in die Gegenwart. Er handelt von der Liebe zweier Personen, die sich 1945 in München im Kindesalter kennenlernen. Der elfjährige Paul, der aus Ostpreußen geflohen ist, und die etwas jüngere Jüdin Sarah lernen sich in den Trümmern kennen, als sie beide ihre Eltern und andere Familienangehörige bei den letzten Bombenangriffen der Alliierten verloren haben.

Aus Angst vor dem Alleinsein geben sie sich als Halbgeschwister aus und werden von einer gutmütigen Ersatz-Oma bei sich aufgenommen. Von den Behörden werden sie später in ein Waisenhaus, bevor sie dann bei lieben Pflegeeltern wie Geschwister aufwachsen dürfen.

Sie engagieren sich im elterlichen Gemüsehandel, den Paul später übernehmen soll und verlieben sich als Teenager in einander. Die Lüge der Halbgeschwister wurde jedoch schon zu lange aufrecht erhalten und da sie Angst vor den Behörden haben, die sie schon einmal der lieben Marktfrau entrissen haben und sie auch ihre Pflegeeltern nicht enttäuschen wollen, trauen sie sich nicht, ihre wahre Identität von Sarah preiszugeben, die als Pauls Halbschwester Rosalie aufgewachsen ist...

Der Roman ist ein Abriss der deutschen Geschichte. So werden bedeutende Ereignisse und wichtige Episoden wie der Zweite Weltkrieg und der Wiederaufbau Deutschlands, das Wirtschaftswunder, die deutsche Teilung, Mauerbau und die Gefahr durch die RAF kurz geschildert, in denen man die Protagonisten wiederfindet. Man erlebt die Kindheit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, die Jugend und Verliebtheit in den 50er-Jahren und Paul und Rosalie als Erwachsene ab den 60er-/ 70er-Jahren.
Der Inhalt des Romans hatte mich neugierig auf diese Liebesgeschichte gemacht, aber leider sagte mir der in meinen Augen etwas seichte Schreibstil der Autorin nicht zu. In den Kinderjahren passten die sehr lieblichen Dialoge und Beschreibungen noch zur Geschichte, als Teenager und spätestens als Erwachsene hätte ich mir von den Protagonisten allerdings mehr Mumm gewünscht, der sich auch in der Erzählweise hätte wiederspiegeln sollen.

Die Liebe zwischen Paul und Sarah, diese intensiven Gefühle, die sie auch über Jahre der Trennung hinweg für einander empfinden, kamen bei mir nicht wirklich an. Mir fehlte die Leidenschaft zwischen ihnen, die das Leid der unerfüllten Liebesbeziehung hätte rechtfertigen können. Beide heiraten andere Partner, für die sie nicht annähernd so viel empfinden wie für einander und nehmen sich und ihre Bedürfnisse stets zurück, träumen aber dennoch immer wieder von einer gemeinsamen Zukunft, bis es (fast) zu spät ist.

Die vor allem bayerische Mundart machte die Charaktere einerseits authentisch, auf der anderen Seite war sie sehr dominant platziert und wirkte etwas übertrieben aufgesetzt.
Die ostpreußischen Begriffe fand ich persönlich aber sehr interessant, da ich sie von meiner eigenen Großmutter kenne, die während des Zweiten Weltkrieg fliehen musste. So ist der Roman auch eher für eine andere Zielgruppe als mein Alter geeignet - gerade Frauen, die selbst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgewachsen und in den 50er-/ 60er-Jahren großgeworden sind, dürften Freude an dem Roman haben, der so viel Geschichte wiedergibt. Dennoch fehlten mir die Emotionen, um mit Paul und Sarah mitfühlen und mitleiden zu können.


Dienstag, 12. September 2017

Buchrezension: Leïla Slimani - Dann schlaf auch du

Inhalt:

Sie haben Glück gehabt, denken sich Myriam und Paul, als sie Louise einstellen - eine Nanny wie aus dem Bilderbuch, die auf ihre beiden kleinen Kinder aufpasst, in der schönen Pariser Altbauwohnung im 10. Arrondissement. Wie mit unsichtbaren Fäden hält Louise die Familie zusammen, ebenso unbemerkt wie mächtig. In wenigen Wochen schon ist sie unentbehrlich geworden. Myriam und Paul ahnen nichts von den Abgründen und von der Verletzlichkeit der Frau, der sie das Kostbarste anvertrauen, das sie besitzen. Von der tiefen Einsamkeit, in der sich die fünfzigjährige Frau zu verlieren droht. Bis eines Tages die Tragödie über die kleine Familie hereinbricht. Ebenso unaufhaltsam wie schrecklich.

Rezension:

Myriam und Paul Massé sind verheiratet und haben zwei kleine Kinder. Myriam fühlt sich zu Hause unterfordert und als die studierte Juristin nur noch müde und gelangweilt ist, beschließt das Paar, sich eine Nanny zu leisten, damit auch Myriam wieder arbeiten gehen kann.
Mit Louise haben sie die perfekte Kinderfrau gefunden. Die Kinder mögen sie auf Anhieb und wie eine Perle kümmert sich Louise bald nicht nur um die Kinder, sondern erledigt auch ungefragt viele Tätigkeiten im Haushalt, geht einkaufen und kocht für Familie und Freunde.
Myriam und Paul können sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren und werden von Bekannten, um ihre zuverlässige "Nounou" beneidet. Je mehr sich Louise in der Pariser Altbauwohnung unentbehrlich macht, desto unangenehmer wird ihnen diese für sie eigentlich fremde Frau. Sie wissen nichts über ihre Herkunft, dass ihr Mann Jacques vor Kurzem verstorben ist und einen Berg Schulden hinterlassen hat, dass sie in einem schäbigen Einzimmerappartement haust und ihre eigene Tochter Stéphanie nicht im Griff hatte.
Immer häufiger kommt es zu unangenehmen Situationen, wenn Myriam oder Paul mit Louise nicht einer Meinung sind. Diese gibt zwar kaum Widerworte, der unterschwellige Zorn und der Neid auf das Leben der Besserverdiener ist jedoch spürbar.

Das Buch beginnt mit dem Ende der Tragödie und in einer chronologischen Rückblende erfährt der Leser, wie es dazu kommen konnte und ob es Anzeichen gegeben hätte, das Drama zu verhindern.
Der Roman stellt die Unterschiede der Pariser Gesellschaft sehr eindringlich dar. Auf der einen Seite hat man das bürgerliche Paar, das genügend verdient, um in einer schicken Altbauwohnung im 10. Arrondissement zu wohnen und sich als Doppelverdiener, die sich in ihrem Beruf verwirklichen wollen, eine Nanny leisten können. Auf der anderen Seite ist die soziale Unterschicht, die in den Banlieues wohnt, die sich mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser hält. Menschen wie Louise, die vom eigenen Ehemann oder gierigen Vermietern unterdrückt werden und die anderen Nannys aus dem Maghreb oder Asien, die für einen geringen Lohn für gut situierte Paare arbeiten.

Ob der soziale Neid oder der Druck, der auf Louise lastete Auslöser für die dramatischen Ereignisse war oder ob das Kindermädchen psychisch krank war, bleibt am Ende offen, was ich etwas schade fand. Ich hätte gern mehr über die Motive von Louise und ihre Verhaltensveränderung gegenüber den Kindern erfahren.

Auch wenn das Ende schon zu Beginn vorweg genommen wird, bleibt der Roman durchgehend spannend geschrieben. Louise verursacht durch ihre biedere, verbissene Art bereits sehr früh ein unbehagliches Gefühl und löst Gänsehaut aus. Man spürt die Spannung in der Familie und fragt sich, warum es sich Myriam und Paul so einfach gemacht haben, die Anzeichen der Gefahr für ihre Kinder nicht erkennen konnten oder wollten und sich nicht mehr mit ihrem Kindermädchen auseinandergesetzt haben. Obwohl sie im Kontakt mit Louise zunehmend ein ungutes Gefühl hatten, war es ihnen wichtiger, ihre Kinder versorgt zu wissen, als sich nach einem harten Arbeitstag auch noch Gedanken um eine andere Lösung zu machen.

"Dann schlaf auch du" ist ein schockierender Psychothriller, der zeigt, wie hoch der Preis für das bisschen Glück eines perfekten Familienlebens ist und der die Schere zwischen Arm und Reich sehr realitätsnah und aus dem Leben gegriffen schildert. Für meinen Geschmack hätte der kurze Roman noch etwas ausführlicher sein können, insbesondere um das Handeln von Louise besser verstehen zu können oder um mehr Raum für eine detailliertere Aufklärung des Mords durch die Kommissarin Nina zu haben.


Montag, 11. September 2017

Buchrezension: Katinka Buddenkotte - Eddie muss weg

Inhalt: 

Als Paar ergänzen sich Stan und Britta fast perfekt: Er sorgt dafür, dass sie trotz ihrer prekären Situation nicht den Lebensmut verliert. Sie verheimlicht ihm, wie aussichtslos die Lage tatsächlich ist. Gemeinsam brechen sie ins belgische Brügge auf. Zu einem spontanen Wochenendtrip. Denkt Stan. Dabei folgt die Reise einem ganz anderen Plan. Denkt Britta. Doch dann nimmt Eddie auf dem Rücksitz ihres Volvos Platz, ein mysteriöser Fremder im Hermelinmantel mit Urne im Gepäck ...

Rezension:


Britta und Stan sind beide Mitte 30 und seit acht Jahren ein Paar. Beruflich hat keiner von ihnen bislang viel erreicht, weshalb sie zusammen in einer von Stans Vater gesponserten Wohnung leben. Als die Schauspielerin Britta mal wieder eine Absage für eine Rolle erhalten hat und ein am selben Abend stattgefundenes Abendessen bei einer ehemaligen Kommilitonin von Stan misslungen endet, haben sie keine Lust in die gemeinsame Wohnung zurückzukehren, wo Kumpel Olli nach Trennung und Umzug von seiner Freundin seinen Rausch ausschläft und verbringen die Nacht in ihrem Volvo, in dem sie etwas über 300 € finden. Angeregt von der DVD "Brügge sehen... und sterben?" bucht Stan spontan ein Hotelzimmer für eine Nacht und fährt mit Britta nach Belgien.

In einer Kneipe in Brügge kommen sie in engeren Kontakt mit Kellner Eddie, der die beiden nach einem Heiratsantrag von Stan traut und werden ihn, als sie wieder zurück nach Deutschland fahren wollen, so einfach nicht los.

Der Roman wird abwechselnd aus der Sicht von Britta bzw. Stan erzählt. Die Perspektivenwechsel erfolgen zwar schnell, die Übergänge sind aber durch die chronologische Weitererzählung fließend, so dass man der Handlung problemlos folgen kann und Einblick in die Gefühlswelt beider Protagonisten erhält.

Stan ist derjenige, der Britta stets vor allem Bösen bewahren möchte, weshalb er auch den Roadtrip unternimmt, um die Nachricht der Jobabsage für den Werbefilm noch hinauszuzögern. Er weiß in dem Moment allerdings nicht, dass Britta ihm etwas verschweigt und dass er sie nicht vor allem schützen kann.

Der Einstieg in den Roman hat mir gut gefallen. Ich mochte den trockenen Humor und die sarkastische Erzählart, wie man Britta und Stan kennenlernt und Einblick in deren Leben erhält.
Gerade auch das aberwitzige Dinner hat genau meinen Sinn für Humor getroffen. Der Aufenthalt in Brügge, die Begegnung mit dem ominösen Kellner in der Kneipe war mir dann fast schon zu absurd. Die Intention Eddies, die beiden in der geschlossenen Kneipe zu bedienen, mit ihnen zu kiffen und am nächsten Morgen dann mit einer Urne vor deren Auto zu erscheinen, war mir zunächst nicht ganz nachvollziehbar, wurde am Ende jedoch schlüssig erklärt.
Die Stimmung auf der Fahrt zurück nach Deutschland war dann eine andere als zu Beginn des Romans. Weniger Galgenhumor, sondern vielmehr tragische Elemente, mit denen das ganze Leben von Britta und Stan in Frage gestellt wurden, standen im Vordergrund. Dass die Geschichte nicht gut enden würde, konnte man allerdings schon anhand des Klappentextes erahnen.

Wie bereits in "Fortpflanzung nach Tagesform" handelt der neue Roman von Katinka Buddenkotte von einem Pärchen meiner Generation, von der Liebe und den Problemen im Alltag, von familiären bzw. gesellschaftlichen Erwartungen und dem Scheitern, wenn man dem gängigen Muster nicht entspricht.
Die Autorin hat einen hohen Wiedererkennungswert und wer eine lebendige Mischung aus Humor und Tragik mag und auch nicht vor einer unkonventionellen, stellenweise absurden Geschichte abschrecken lässt, wird Britta und Stan auf ihrem Roadtrip in der Hoffnung eines Weges aus der Krise gern begleiten. In der Mitte des Romans war ich zwar etwas irritiert, was allerdings gewollt erschien, da nicht einmal die Protagonisten selbst mehr Fiktion und Wirklichkeit zu unterscheiden schienen, hat mir der Roman am Ende, als alle Fäden zusammengeführt wurden, gut gefallen, auch wenn ich Brittas Vorgehensweise etwas extrem fand.

Samstag, 9. September 2017

Buchrezension: Alexa von Heyden - Meine Sonne. Mein Mond. Meine Sterne.

Inhalt:

Mit Mitte dreißig steht Sunny vor den Trümmern ihrer großen Liebe. Während um sie herum alle an Heirat denken, trennen sie und ihr Freund Magnus sich nach zwölfjähriger Beziehung. Sunny muss aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen und rekapituliert beim Kistenpacken die Beziehung. Wie konnte es so weit kommen? Und vor allem: Wie soll es weitergehen?
Anstatt zu verzweifeln, nimmt die junge Frau ihr Leben in die Hand und macht sich auf die Suche nach dem Glück – ob mit oder ohne Magnus. Ein kluges, mitreißendes Buch über die Liebe und den Mut, ehrlich zu sich selbst zu sein.

Rezension:

Helena Schulze, genannt Sunny, ist Mitte 30, als die zwölfjährige Beziehung zu ihrem Freund Magnus in die Brüche geht. Er verabschiedet sich in den Surfer-Urlaub nach Indonesien und legt Sunny nahe, bis zu seiner Rückkehr in vier Wochen aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen zu sein.

Sunny hatte eigentlich von Heirat und gemeinsamen Kindern geträumt, so wie es ihr Freundeskreis vorgemacht hat, aber stattdessen ist sie allein und auf der Suche nach einer Single-Wohnung. Diese findet sie dank ihrer Freundin Sophie schneller, als Sunny eigentlich gewollt hat. Tief im Inneren hofft sie noch, dass sie eine gemeinsame Zukunft mit Magnus hat, der allerdings unmittelbar nach seiner Abreise seinen Beziehungsstatus bei Facebook geändert und sie auch aus seiner Freundesliste gelöscht hat.

Man begleitete Sunny innerhalb der nächsten vier Wochen, in denen sie gezwungen ist, sich neu zu orientieren.
In Rückblenden erinnert sie sich an einzelne Episoden aus ihrer gemeinsamen Zeit mit Magnus: die Anfangsphase zweier frisch Verliebter, in der sie nicht genug voneinander bekommen konnten, über das Zusammenziehen in die erste gemeinsame Wohnung - das Wir-Gefühl und nach-Hause-kommen - bis der Alltag Einzug hält und sie sich über Nichtigkeiten streiten.
Sunny weiß nicht genau, wann es passiert ist, aber im Nachhinein realisiert sie, dass sie sich beide schon lange keine Mühe mehr miteinander gegeben haben. Durch ihre stressigen Berufe waren sie abends zu müde, um die wenige gemeinsame Zeit sinnvoll zu verbringen, Liebe, Sex und Zärtlichkeiten kamen zu kurz.

Neben der Verarbeitung des Beziehungsendes, das Sunny noch nicht wahrhaben will, denn insgeheim hofft sie immer noch, dass Magnus geläutert aus Indonesien zurückkehrt und sie wieder zueinander finden, hält sie den Druck in der PR-Agentur, in der sie arbeitet, kaum noch aus und fragt sich, ob es nicht auch beruflich Zeit für einen Neuanfang wäre. Nur die Aussicht auf ein geregeltes Einkommen hält sie davon ab, einfach nicht mehr ins Büro zu gehen, um sich nicht mehr von ihrer affektierten Chefin Frau Möser anschreien zu lassen.

Es ist eine sehr lebensnahe Geschichte, die Alexa von Heyden erzählt, wie sie jede Frau mit Mitte 30 erleben könnte: eine langjährige Beziehung zerbricht und man steht erst einmal vor dem Nichts. Für Sunny brechen wichtige Grundpfeiler ihres Lebens ein: Liebe, Wohnung, Job. Halt erfährt sie ungeahnt durch ihren "Kaffeemann", bei dem sie jeden Morgen ihren Cappuccino geholt hat sowie durch die Unterstützung ihrer Freundin Sophie und Kollegin Moni.

Als Leserin kann man sich gut in Sunny hineinversetzen und ihre Enttäuschung, Verzweiflung, Wut und Trauer nachvollziehen.
"Das Leben nach der großen Liebe" passt als Untertitel nicht so ganz, da man Sunny nur durch die akute Liebeskummer-Phase begleitet und offen bleibt, wie sich Sunny in ihrer neuen Wohnung einfinden wird und ob sie sich weiter mit Barista Ferdinand tröstet, um über Magnus hinwegzukommen.

"Mein Sonne. Meine Mond. Meine Sterne" steht symbolisch für das, was Sunny und Magnus einst füreinander waren und was mit der Liebe passier, wenn man trotz Gefühle zu wenig in die Beziehung investiert. Es ist ein realistischer, ehrlicher Roman, der sehr schnell zu lesen ist, von ich mir mehr Eigeninitiative von Sunny, mehr Überraschungsmomente und ein runderes Ende gewünscht hätte.


Freitag, 8. September 2017

Buchrezension: Dani Atkins - Der Klang deines Lächelns

Inhalt:

Ally und Charlotte haben sich seit 7 Jahren nicht gesehen. Ausgerechnet auf der Intensiv-Station eines Krankenhauses treffen die beiden wieder aufeinander. Ally bangt um das Leben ihres Mannes Joe, der einen Jungen aus einem zugefrorenen See vor dem sicheren Tod rettete, und nun im Koma liegt. Charlotte hingegen betet für ihren Verlobten David, dessen Herz nach einer Virusinfektion schwer geschädigt ist. Während beide Frauen auf ein Wunder hoffen, prasseln Erinnerungen auf sie ein – an ihre gemeinsame Studentenzeit, an Partys, an endlose Sommernächte. Aber auch an Verrat, an Untreue und daran, dass sie beide David geliebt haben.
In der dunkelsten Stunde der Nacht müssen Ally und Charlotte eine folgenschwere Entscheidung treffen. Werden Sie mit der Vergangenheit Frieden schließen können? Von dieser Frage hängt am Ende alles ab - sogar das Leben von Joe und David.

Rezension:


Der Familienvater Joe Taylor rettet einen fremden Jungen und dessen Hund vor dem Ertrinken auf einem zugefrorenen See und fällt anschließend selbst ins Koma. Im Krankenhaus begegnet seine Ehefrau Alexandra, genannt Ally, Charlotte Williams nach fast acht Jahren wieder, die wegen ihres Mannes David auf der Intensivstation wartet. Er ist mit einem Herzanfall in einem Einkaufszentrum zusammengebrochen und leidet unter einer Viruserkrankung, die den Herzmuskel angreift.
David ist der Exfreund von Ally, der diese für Charlotte verlassen hatte. Für beide Frauen ist es ein Schock, sich in dieser Ausnahmesituation wieder zu treffen und die Nacht gemeinsam in dem engen Wartezimmer der Intensivstation verbringen zu müssen, wo sie auf neue Nachrichten der Ärzte warten.

In Rückblenden erfährt man sowohl aus Allys als auch aus Charlottes Sicht, wie sich die Frauen kennenlernten und in welche unterschiedliche Richtungen sich ihre Beziehungen zu David entwickelten. Die Erinnerungen werden nicht chronologisch erzählt, was für mich jedoch nicht verwirrend war, sondern für interessante Überraschungsmomente sorgte. Diese hat der Roman auch nötig, da die Handlung in der Gegenwart sehr vorhersehbar ist.

Nachdem ich bereits "Die Achse meiner Welt" und "Die Nacht schreibt uns neu" von Dani Atkins gelesen und geradezu verschlungen habe, hatte ich hohe Erwartungen an "Der Klang deines Lächelns", die die Autorin jedoch nicht ganz erfüllen konnte. Auch dieser Roman erzählt wieder sehr emotional vom Schicksal zweier Frauen, ist hochdramatisch, kann aber nicht wie die beiden Vorgängerromane mit einem überraschenden Ende aufwarten.

Nichtsdestotrotz taucht man als Leserin unmittelbar in die Gedanken- und Gefühlswelt der beiden Protagonistinnen ein und leidet von Anbeginn mit ihnen mit. Dani Atkins schafft es unheimlich packend und emotional zu schreiben, was sie schon zu Beginn des Buches auf dem Eis eindrucksvoll unter Beweis stellt.
Die Handlung spielt sich an nur einem verschneiten Tag im Dezember ab und dennoch lernt man alle Charaktere intensiv kennen.

Ally und Charlotte sind in ihren Charaktereigenschaften grundverschieden. Während Ally die zurückhaltende, sensible Musikerin ist, die aus eher einfach familiären Verhältnissen stammt und immer hart und ehrgeizig für ihr Vorankommen arbeiten musste, ist Charlotte eine Frau, der im Leben viel in den Schoß gefallen zu sein scheint. Das Schicksal führt die beiden nach Jahren wieder zusammen und nun befinden sie sich in ein und derselben hilflosen Situation: Sie bangen jeweils um ihren geliebten Ehemann und hoffen, dass sie das Krankenhaus gemeinsam mit ihm verlassen können.

Wie bereits in den beiden Büchern zuvor, beschäftigt sich auch dieser Roman mit der Frage, wie sich das Leben entwickelt hätte, wenn man in der Vergangenheit eine andere Entscheidung getroffen hätte und welche Auswirkungen diese auf die Gegenwart gehabt hätte. Auch wenn eine Entscheidung zum damaligen Zeitpunkt als die richtige erschien, kann sie sich aus späterer Sicht als falsch erwiesen haben. Vielleicht ist aber auch alles nur Schicksal? In "Der Klang deines Lächelns" befinden sich beide Frauen letztlich in einer Dezembernacht im Krankenhaus, unabhängig davon wer mit David verheiratet ist.

Während ich den Beginn des Romans sehr ergreifend fand und es zunächst interessant war, die Protagonisten in ihren Konstellationen kennenzulernen, baute sich aufgrund der Vorhersehbarkeit des Romans im Mittelteil keine Spannung auf und die Handlung der Gegenwart plätscherte vor sich hin und wurde nur durch Erinnerungen der beiden Frauen, die zum Teil dieselben Ereignisse aus zweierlei Sicht beschreiben, unterbrochen. Im letzten Viertel des Romans, in welchen auch die Dramatik wieder zunahm, wurden doch noch Details aus den Familien Williams und Taylor bekannt, mit denen ich nicht gerechnet habe.

"Der Klang deines Lächelns" ist eine Geschichte voller Melancholie, die zu Herzen geht und ich habe vor allem mit dem Schicksal von Ally gehadert, der so viel Ungerechtigkeit widerfährt.
Es ist eine Geschichte über Liebe und Verlust und die Gabe des Verzeihens, die berührt, aber der es im Gegensatz zu den beiden anderen Romanen von Dani Atkins an den rätselhaften Elementen und einer überraschenden Wende fehlt. 



Mittwoch, 6. September 2017

Buchrezension: Sybille Hein - Vorwärts küssen, rückwärts lieben

Inhalt:

Eigentlich wollte Pia sich nie wieder in einen Schönling verlieben. Eigentlich sollte es ein Sommer werden, in dem Mückenstiche und Fruchtfliegen zu ihren größten Herausforderungen zählen. Aber dann steht August vor ihr. Charmant, schlagfertig und sexy wie Ryan Gosling. Selbst Pias dicker Kater ist entzückt. Während Pia schon anfängt, ihr Luftschloss einzurichten, bleibt ihr bester Freund Eddi skeptisch. Wie oft musste er miterleben, dass aus Pias Zuckerwatteherz ein dicker Teerklumpen wird. Er ist ganz sicher: Pia braucht keinen Traumprinzen an ihrer Seite, sondern einen Kumpeltypen zum Anfassen. Denn ohne Freundschaft bleibt jede Liebe immer nur eine Luftnummer. Und tatsächlich: Das Leben hält in Liebesdingen eine zauberhafte Überraschung für Pia bereit – im wahrsten Sinne des Wortes!

Rezension:

Im Supermarkt um die Ecke in Berlin Prenzlauer Berg begegnet Pia zum ersten Mal ihrem Traumprinz an den Tiefkühltruhen, als sie beide zeitgleich zur letzten Pizza Mozzarella greifen. Gentleman-like überlässt der Anzugträger Pia die Pizza und verschwindet.
Pia, die freischaffend als Kinderbuchautorin arbeitet, legt sich fortan auf die Lauer, um den schönen Unbekannten rein zufällig wieder zu treffen.
Als sie sich dann tatsächlich wieder bei Kaiser's aufeinander treffen, lädt sich August spontan bei Pia zum Pizzaessen ein. Pia ist hin und weg von ihrem Schwarm, auch wenn er als reicher Schnösel nicht so ganz in ihr Beuteschema passt. Auch ihr schwuler bester Freund Eddi ist skeptisch, ob der zunächst zu perfekte August der Richtige für Pia ist. Und tatsächlich ist Pias Eroberung doch nicht so traumhaft wie sie auf den ersten Blick scheint, werden die gemeinsamen Momente aufgrund ständiger geschäftlicher Abwesenheit des Liebsten immer weniger...

Sybille Hein ist freie Illustratorin und zeichnet für Kindergeschichten, was man auch dem liebevoll gestalteten Roman entnehmen kann und weshalb man sich fragt, wie viel von der Autorin in der Protagonisten Pia stecken mag.

Die Mittdreißigerin Pia ist ein chaotischer Typ, die mit ihrem Kater Glitzi zusammenlebt und als kreativer Kopf gedanklich ihre eigenen Luftschlösser baut und schon einmal das Problem hat, Traum und Wirklichkeit von einander zu unterscheiden. Gerade ihre etwas unbedarfte Art von einem Tag auf den anderen zu leben und ihre sprunghaften Gedankengänge machen den Roman abwechslungsreich unterhaltsam.
Durch die bildhaften und eingängigen Beschreibungen der Umgebung fühlt man sich selbst nach Berlin versetzt bzw. wer schon einmal in Berlin war, wird auch den ein oder anderen Schauplatz in Pias Kiez wiedererkennen.

"Vorwärts küssen, rückwärts lieben" ist keine emotionale, sondern eine bewusst witzig gehaltene, sehr lebhafte Liebesgeschichte, was durch die wortgewandten Dialoge, den ironisch-humorvollen Schreibstil, die vereinzelten Grafiken und Liedtexte (z.B. "Montag Morgen") der Kabarettistin Sybille Hein noch unterstrichen wird.
Der Roman ist in zwei Abschnitte unterteilt, wobei der erste Teil den deutlich größeren Umfang ausmacht, und wodurch sich dann auch der Titel erklärt.
Gerade im zweiten Teil zeigen sich dann auch die "Rosinen im Kopf" der Autorin - man muss insofern offen sein für ein bisschen Verrücktheit, bis man am Ende dann doch den roten Faden des Romans erkennen kann.

In sich ist das ganze Buch samt Gestaltung ein kleines Kunstwerk, das zudem noch intelligent geschrieben ist, an mancher Stelle aber auch hätte gekürzt werden können.

Vielen Dank an Blanvalet für das Rezensionsexemplar und die süßen Bleistifte dazu!


Montag, 4. September 2017

Buchrezension: Nicole C. Vosseler - In dieser ganz besonderen Nacht

Inhalt:

Nach dem Tod ihrer Mutter muss Amber, die in einer deutschen Kleinstadt gelebt hat, nach San Francisco ziehen – zu ihrem Vater, den sie kaum kennt. Sie fühlt sich einsam und verlassen. Eines Abends begegnet sie dort in einem leer stehenden Haus Nathaniel, einem seltsam gekleideten Jungen. Er scheint der Einzige zu sein, der sie versteht. Aber er bleibt merkwürdig auf Distanz. Als Amber den Grund dafür erfährt, zieht es ihr den Boden unter den Füßen weg: Nathaniel stammt aus einer anderen Zeit und die beiden können niemals zusammenkommen. Doch in einer ganz besonderen Nacht versuchen die beiden das Unmögliche...

Rezension: 

Nachdem die Mutter der 17-jährigen Amber an Krebs verstorben ist, muss sie zu ihrem Vater Ted in die USA ziehen, der Ambers Mutter früh verlassen hat und den Amber deshalb kaum kennt. In San Francisco fühlt sie sich zunächst einsam, findet aber in der Schule bald Freunde, die die selbe Gabe wie Amber teilen: Sie können verstorbene Seelen sehen.

Amber wurde dies erstmalig bewusst, als sie auf der Flucht vor einer kriminellen Bande Zuflucht in einer verlassenen Villa sucht. Dort trifft sie auf Nathaniel, der sich ihr behutsam annähert und für den sie bald viel mehr empfindet als zwischen beiden sein darf. Denn sie leben in unterschiedlichen Welten Nathaniel ist bereits im 19. Jahrhundert verstorben und die beiden können sich nicht einmal berühren. Nur in einer ganz besonderen Nacht, der Nacht auf Allerheiligen, sind die Seelen der Verstorbenen präsenter, wodurch Nathaniel Amber auch körperlich näher kommen kann. Die Konsequenzen dieser Nacht waren für beide nicht vorhersehbar. Damit Amber den Bezug zum Hier und Jetzt nicht ganz verliert und damit auch Nathaniel endlich seinen Frieden finden kann, scheint es nur eine Lösung zu geben: Nathaniel muss die Zwischenwelt überwinden und auf die andere Seite gehen.

Nachdem mir der Anfang des Romans wirklich gut gefallen hat und man als Leser die Trauer und die Wut von Amber spüren konnte, die nicht nur viel zu früh ihre Mutter verloren hat, sondern auch noch ihre vertraute Umgebung, Freunde und Großeltern verlassen musste, um zu dem ihr fremden Vater zu ziehen. Die Entwicklung, wie Amber wieder auflebt, als sie merkt, wie sehr sich ihr Vater um sie bemüht und dass sie neue Freunde in der High School finde, ist lebensnah und unterhaltsam geschrieben. Auch die Beschreibung der Stadt ist so detailliert und anschaulich, dass man sich nach San Francisco versetzt fühlt und gar nicht merkt, dass de Roman von einer deutschen Autorin verfasst ist.

[Achtung SPOILER]

Die zweite Hälfte des Romans drehte sich fast ausschließlich um die fantastische Liebesgeschichte zwischen Amber und Nathaniel. Auch wenn ich mich bewusst auf diese übersinnliche Geschichte eingelassen habe, driftete die Erzählung so weit ab, dass die Handlungen der Protagonisten und vor alle auch die Gefühlswelt von Amber überzogen bis realitätsfern wurden. Nicht nur, dass Amber auf die Schnelle drei Freunde findet, die auf mysteriöse Weise auch Geister sehen können, sondern auch diese körperliche Anziehungskraft, die für einen Jugendroman ab 12 Jahren zu ausgeprägt dargestellt war, empfand ich als übertrieben. Ein einziger Vertrauter für Amber und eine Reduzierung auf eine Seelenverwandtschaft zwischen Amber und Nathaniel wären für die Handlung ausreichend gewesen und hätten den Roman zu einer berührenden, dramatischen (Liebes-)geschichte mit Mysteryelementen machen können.

[SPOILER Ende]

Auch die Dialoge waren ab der zweiten Hälfte des Romans zunehmend platter und mich nervten insbesondere die auf Äußere reduzierten Beschreibungen der handelnden Personen wie "kaffeebraune, gazellenartige Schönheit", "perfekt geformter Po", "starke muskulöse Arme" etc., die mir im Verlauf des Lesens immer penetranter ins Auge stachen. Hätte die Autorin auf diese Beschreibungen verzichtet und den Fokus auf das Wesentliche gerichtet, wäre der Roman weitaus spannender geblieben und hätte sich nicht auf fast 600 Seiten ausdehnen müssen.


Samstag, 2. September 2017

Buchrezension: Petra Hülsmann - Wenn Schmetterlinge Loopings fliegen

Inhalt:

Na, das kann ja heiter werden! Als Karo ihre neue Stelle bei einem großen Hamburger Fußballverein antritt, muss sie feststellen, dass sie nicht wie geplant im gehobenen Management anfangen wird, sondern sich ausschließlich um den Spitzenspieler des Vereins kümmern soll - als Chauffeurin und Anstandsdame. Denn Patrick ist zwar ein Riesentalent, steckt seine Energie aber momentan lieber ins ausschweifende Nachtleben als ins Training. Von der ersten Begegnung an ist klar, dass Patrick und Karo sich nicht ausstehen können. Doch irgendwann riskieren die beiden einen zweiten Blick - und das Gefühlschaos geht erst richtig los.

Rezension:

Karoline Maus stammt aus dem Ruhrpott in der Nähe von Bochum und hat per Fernstudium Wirtschaftswissenschaft studiert. Da sie in ihrer Heimat keinen Job findet, nimmt die 28-Jährige eine bessere Praktikantenstelle bei dem Erstliga-Fußballverein Eintracht Hamburg an. Dort ist sie persönlich für den Star-Spieler Patrick Weidinger verantwortlich, der eine Formkrise hat und davon abgehalten werden soll, nachts in Kneipen herumzuhängen sowie - selbst ohne Führerschein - pünktlich zum Training gefahren werden soll.

Auch wenn die neue Arbeit nicht ihrem Studium gerecht wird, lässt sich Karo aufgrund der guten Bezahlung auf das Angebot ein und zieht in eine WG zu ihrer alten Freundin Saskia, die sich die Wohnung mit dem Finnen Pekka und Nils teilt.

Patrick behandelt Karo zunächst etwas herablassend als seine Fahrerin ohne viele Worte mit ihr zu wechseln.
Da sie aber notgedrungen viel Zeit miteinander verbringen, nähern sie sich doch so langsam an und Patrick findet sogar allmählich ohne weitere Exzesse zu seiner alten Form zurück, so dass auch der Verein sich aus der Abstiegszone entfernt. Karo wechselt dann vom Spielermanagement ins Sponsoring, wo sie gute Ideen entwickelt, aber weder von ihrer Kollegin Nadja noch von ihrem Chef ernst genommen wird. Auch das Verhältnis zu Patrick ist merklich unterkühlt, seitdem sie bei der Weihnachtsfeier mit Pekka, ihrem angeblichen Lebensgefährten, erschienen ist. Aus dem Lügengeflecht kommt sie aber so einfach nicht mehr heraus und auch in der WG herrscht dicke Luft, weil Saskia und Nils aus falschem Stolz nicht zueinander finden.

"Wenn Schmetterlinge Loopings fliegen" ist das dritte Buch, den ich von Petra Hülsmann nach "Glück ist, wenn man trotzdem liebt" und "Das Leben fällt, wohin es will" gelesen habe.
Auch dieser Roman, der wieder überwiegend in Hamburg spielt, bietet wieder eine leichte Lektüre, die auf humorvolle Art im gewohnten Stil der Autorin unterhält.
Gerade zu Beginn, als sich Karo und Patrick kabbeln und Karo in ihrer lockeren Art kein Blatt vor den Mund nimmt, ist der Roman wirklich amüsant zu lesen. Als dann jedoch klar wird, dass Karo mehr für Patrick empfindet und er ihr gegenüber auch nicht abgeneigt sein kann, sie sich aber nicht offenbart, dass die Beziehung zu Pekka nur zur Erlangung des Jobs von ihr erfunden wurde, beginnt das für Chic Lit so typische Hin und Her und die Geschichte driftet dann etwas einfallslos vor sich hin, wobei insbesondere die Protagonisten ihrem Glück selbst im Weg steht, bis das vorhersehbare Happy End eintrifft und Karo endlich weiß, was sie privat und beruflich möchte.

Der zweite von Petra Hülsmann veröffentlichte Roman erfüllt alle Erwartungen, die man an eine romantische Liebeskomödie hat, konnte aber keine unvergesslichen Highlights setzen. Wenn man schon mehrere Romane der Autorin gelesen hat, die einen hohen Wiedererkennungswert haben, wird auch offensichtlich, dass sich die Charaktere der jungen Frauen sehr ähneln.



Freitag, 1. September 2017

Buchrezension: Jojo Moyes - Die Tage in Paris

Inhalt:

Honeymoon in Paris …
… davon träumen Brautpaare überall auf der Welt. Sophie und Liv leben diesen Traum.
Im Paris der Belle Époque verbringt Sophie die ersten Tage an der Seite ihres Mannes, des Malers Édouard Lefèvre. Die Welt, die er ihr, dem Mädchen aus der Provinz, zeigt, ist aufregend und neu. Doch das Leben als Frau eines verarmten Künstlers hat auch seine Schattenseiten.
Über hundert Jahre später begibt sich eine andere Braut auf Hochzeitsreise in die Stadt der Liebe. Hals über Kopf haben Liv und David geheiratet. Doch die Tage in Paris sind nicht ganz so unbeschwert und romantisch, wie Liv sich das erhofft hat. Hat sie gerade den Fehler ihres Lebens begangen?
Erst ein Gemälde bringt die Liebenden einander wieder näher …

Rezension:

Bei "Die Tage in Paris" handelt es sich um das Prequel zu "Ein Bild von dir". Erzählt wird die Zeit als sowohl Olivia wie auch Sophie mit ihren Ehegatten frisch vermählt sind und zweifeln, ob es die richtige Entscheidung war, zu heiraten.

Liv und David verbringen ihre Flitterwochen im Jahr 1998 in Paris. David hatte die Hochzeitsreise bereits im Vorfeld von einer Woche auf fünf Tage verkürzt und nimmt auch jetzt in Paris Geschäftstermine war statt sie Zeit mit seiner Ehefrau zu verbringen. Liv ist enttäuscht, dass David seine Karriere wichtiger zu sein scheint als ihre junge Liebe und erkundet Paris notgedrungen auf eigene Faust. Wenn sich das Paar dann wiedersieht, kommt es immer wieder zum Streit.

1912 erleben Sophie und Édouard Lefèvre ihre ersten Tage nach der Hochzeit in Paris miteinander. Édouard ist ein talentierter und gefragter Maler, er allerdings keinen Geschäftssinn hat, weshalb sich Sophie, die aus sehr einfachen Verhältnissen stammt, dafür engagiert, dass seine Kunden ihre offenen Rechnungen begleichen. Édouard umgibt sich gern mit schönen Frauen, die er zeichnet, weshalb Sophie bei der Begegnung mit einem seiner Aktmodelle ernsthafte Zweifel an seiner Treue hegt.

Als Vorgeschichte zu "Ein Bild von dir" erfährt man, wie das Bild "Gattin, verstimmt" entstanden ist und wie es letztlich zwei Ehen vor einem frühzeitigen Scheitern rettete.

Da ich die berührenden Lebensgeschichten von Sophie und Liv sehr gern gelesen hatte, fand ich diese Ergänzung interessant, um noch ein bisschen mehr zum Hintergrund beider Frauen zu erfahren, insbesondere da Livs Ehemann in "Ein Bild von dir" bereits tot war - für das Verständnis des Romans zwingend notwendig ist die Vorgeschichte allerdings nicht.

Auch wenn man mit diesem Buch nur einen kurzen Einblick in Livs und Sophies Lebens- und Gefühlswelt erhält, fühlt man mit ihnen mit und kann ihre Zweifel an ihren Ehemännern nachvollziehen und verstehen, dass sie besorgt sind, einen schweren Fehler begangen zu haben. Schön war es, die Parallelen zwischen beiden Frauen festzustellen und wie die Verbindung zwischen beiden durch das von Édouard gefertigte Porträt hergestellt wird.

Da es sich um ein sehr schmales Hardcover mit kaum mehr als 100 Seiten handelt, könnte man von einer XXL-Leseprobe von "Ein Bild von dir" sprechen. Da das Büchlein aber auch innen liebevoll durch einzelne hübsche Grafiken mit Szenen aus Paris gestaltet ist, ist der Preis dafür geradeso gerechtfertigt. Als Geschenkbuch und für eingefleischte Jojo Moyes-Fans kann ich es daher empfehlen.