Mittwoch, 31. Mai 2017

Buchrezension: Jutta Maria Herrmann - Amnesia - Ich muss mich erinnern

Inhalt:

Du hast nichts zu verlieren.

Du hast eine mörderische Wut.
Und du kannst dich an nichts erinnern …
Als die Berlinerin Helen die Diagnose Krebs im Endstadium erhält, ist es ihr einziger Wunsch, sich vor ihrem Tod endlich mit ihrer Mutter auszusöhnen, zu der sie ein schwieriges und distanziertes Verhältnis hat. Bei ihrer Familie in der südwestdeutschen Heimat angekommen, muss sie dann schockiert erfahren, dass ihre schwangere Schwester Kristin von ihrem Ehemann Leon misshandelt wird. Am liebsten würde Helen Leon dafür umbringen, zu verlieren hat sie ja nichts mehr. Aber einen Menschen töten? Helen glaubt nicht, dass sie dazu wirklich fähig ist.
Am nächsten Morgen allerdings ist Leon tot – und Helen, die Medikamente mit schwersten Nebenwirkungen nimmt, hat keinerlei Erinnerung an die vergangene Nacht. Amnesie...

Rezension:

Helen ist unheilbar an Krebs erkrankt, hat derzeit eine Pause von der Chemotherapie und fährt in ihre Heimat im Saarland, um von ihrer Familie Abschied zu nehmen und sich mit ihrer Mutter zu versöhnen.

Sie wohnt bei ihrer jüngeren Schwester Kristin, zu der sie nur sporadisch in Kontakt gestanden hat und die jetzt mit Leon verheiratet ist, von dem sie ein Kind erwartet. Der gut aussehende und gut betuchte Leon war einmal ein Jugendschwarm von Helen, der sich jedoch dann an ihrer besten Freundin Gela vergangen hat. Als Helen die heftigen Streits zwischen Kristin und Leon mitbekommt und die Verletzungen an ihrer Schwester sieht, geht sie davon aus, dass Leon sie schlägt, obwohl Kristin dies abstreitet.

Aufgrund der Krebserkrankung nimmt Helen Beruhigungsmittel zu sich, deren Nebenwirkungen Halluzinationen und Erinnerungslücken verursachen. Auch als sie selbst merkt, dass sie immer häufiger Dinge vergisst, schlecht träumt und ihr inzwischen ganze Stunden abhanden kommen, in denen sie nicht weiß, was sie getan hat, nimmt sie die Medikamente weiterhin ein.
Als sie in ihrer Tasche ein Kochmesser ihres Exfreundes Sven voller Blut findet, kann sie sich das nicht erklären... Dann wird Leon tot aufgefunden, den sie in Gedanken am liebsten hätte töten wollen, aber der Meinung war, dass sie keinen Menschen töten könnte. Als sie wiederum nicht weiß, was sie in der Todesnacht von Leon getan hat und auch noch sein Smartphone bei sich findet, wird sie stutzig....

"Amnesia" ist ein Thriller, der aus der Ich-Perspektive von Helen geschrieben ist, die trotz der Warnungen ihres Arztes eine zu hohe Dosierung ihre Beruhigungsmittels zu sich nimmt und deshalb nach und nach aufgrund der immer größeren Erinnerungslücken den Bezug zur Realität verliert.
Erst findet sie das blutige Kochmesser und anschließend sterben oder verletzen sich der Reihe nach Menschen aus ihrem unmittelbaren Umfeld und sie weiß nie, was sie in dem Zeitraum getan hat oder wo sie war.

Als Leon dann ermordet aufgefunden wird, sprechen alle Indizien gegen Helen. Aber ist es wirklich so einfach? Ist sie die Schuldige oder treibt jemand ein perfides Spiel mit ihr?

Als Leser weiß man nicht, inwieweit man Helen Glauben schenken kann: Hat sie wirklich keinerlei Erinnerungen oder verdrängt sie diese nur mit Hilfe der Medikamente, um sich ihre Schuld nicht einzugestehen? Nutzt sie ihren sich abzeichnenden Krebstod aus, um Rache an ihr unliebsamen Menschen zu verüben?

Helen ist dabei sehr authentisch beschrieben, so dass man ihr unheimlich nahekommt und ihre Panik und Verstörung in der Sommerhitze regelrecht miterlebt. Gleichzeitig kann man aber für die verbittert und kaltherzig wirkende Protagonistin, die sich von jeher von ihrer Familie ungeliebt und inzwischen den Lebenden nicht mehr zugehörig fühlt, keine Sympathie empfinden. Aber egal, ob man Mitleid für Helen aufgrund ihres Schicksals als ungeliebter Tochter oder als dem todgeweihter Lungenkrebs-Patientin empfindet, der Psychothriller fesselt den Leser bis zum Schluss.

Wie es bei Thrillern aber leider sehr häufig der Fall ist, spielen auch bei "Amnesia" viele Zufälle eine Rolle. Gerade am Ende fügt sich doch alles sehr einfach zusammen, wobei für mich viele Fragen, insbesondere die Rolle der Freundin von Kristin, Birgit, ungeklärt blieben und mir die Handlung der Mutter nicht ganz nachvollziehbar war.


Montag, 29. Mai 2017

Buchrezension: Ann Patchett - Die Taufe

Inhalt:

Wäre Bert Cousins nicht uneingeladen auf der Taufe von Franny Keating erschienen, all das wäre nicht passiert. Aber noch bevor der Abend hereinbricht, haben er und Frannys Mutter sich geküsst und damit das Ende ihrer jeweiligen Ehe eingeläutet - und beide Familien für immer miteinander verbunden. Die Keating- und Cousinskinder werden zukünftig die Sommer gemeinsam in Virginia verbringen. Sie schmieden über die Jahre ein dauerhaftes Bündnis, sowohl aus Enttäuschung über die eigenen Eltern, als auch aus echter, stetig wachsender Zuneigung. Bis es zwanzig Jahre danach ein neues Familiendrama gibt: "Täufling" Franny hat eine Affäre mit einem berühmten Schriftsteller. Sie erzählt ihm die Keating-Cousins-Story, und plötzlich wird ihrer aller Kindheit die Grundlage für einen unglaublich erfolgreichen Roman. Die unerwünschte Öffentlichkeit zwingt die Geschwister, sich ganz neu mit ihren Verlusten, ihren Schuldgefühlen und ihrer Loyalität auseinanderzusetzen.

Rezension:

Albert Cousins ist mit Teresa Cousins verheiratet, mit der er bereits drei Kinder hat und die wieder schwanger ist. Ohne eingeladen zu sein, geht der Bezirksstaatsanwalt zur Tauffeier
bei dem Polizisten Francis "Fix" Keating, wo er die Mutter des Täuflings Franny kennenlernt und eine Affäre beginnt.

Bert verlässt seine Familie und heiratet die hübsche Beverley. Sie leben zusammen mit ihren beiden Töchtern Caroline und Franny, während die vier Kinder Cal, Holly, Jeanette und Albie bei Teresa in Kalifornien bleiben. Die Sommerferien verbringen die sechs Kinder gemeinsam in Virginia bei Bert und Beverley, wo sie sich gegen die Eltern verschwören, die sie vernachlässigen. Insbesondere das jüngste Kind Albie ist anstrengend und wird mit "Tic Tacs" ruhig gestellt, bei denen es sich in Wahrheit um das Antiallergikum von Cal handelt. Der Medikamentenmissbrauch hat tragische Folgen...

20 Jahre später ist Franny mit dem deutlich älteren jüdischen Schriftsteller Leon Posen zusammen, dessen Muse sie ist, bei dem sie als gescheiterte Jura-Studentin freie Kost und Logis hat, allerdings auch als Köchin und Kellnerin für seine permanenten Gäste in der Villa ausgenutzt wird. Franny erzählt ihm ihre Familiengeschichte, die Posen zu einem Buch inspiriert, das später auch verfilmt wird. Die Beziehung zu Posen geht in die Brüche, als Albie plötzlich auftaucht, der durch einen Zufall "Die Taufe" gelesen hat, in dem er sich selbst wiedererkennt.

Der Roman spielt zu Beginn in den 60er-Jahren und erstreckt sich über einen Zeitraum von ca. 50 Jahren. Er wird in Form von Einschüben und Rückblenden erzählt, die nicht immer chronologisch erfolgen. Dass am Anfang der jeweiligen Kapitel weder Orte noch Zeit genannt werden, erschwert den Lesefluss ein wenig.

Es ist ein Roman über zwei gescheiterte Ehen und eine Patchworkfamilie, in welcher Probleme vom einen auf den anderen Elternteil abgewälzt werden. Unter der Situation leiden vor allem die Kinder, die einerseits frei und unabhängig aufwachsen können, denen es materiell an nichts mangelt, die jedoch emotional vernachlässigt werden. Opfer werden die beiden Söhne, Cal und Albie, sein.

Der Roman erstreckt sich über ungefähr 50 Jahre und offenbart so manches Familiengeheimnis. Der Leser erlebt, wie die Kinder erwachsen werden und wie sich das Verhältnis zueinander und zu den Elternteilen verändert. Trotz der sehr unterschiedlichen Charaktere herrscht zwischen allen zehn Personen über die Jahre ein enges Band, so dass sich jeder einzelne auf Unterstützung verlassen kann. Im Alter profitieren vor allem die Eltern von der uneingeschränkten Solidarität ihrer Kinder und Stiefkinder.

"Die Taufe" ist ein ernstes und anspruchsvolles, aber dennoch unterhaltsames Buch über Geschwisterliebe, Loyalität und Zusammenhalt, das literarisch sehr hochwertig ist und dass man nicht einfach so nebenbei lesen sollte. Literatur mit Niveau von der nicht zu unrecht hoch gelobten Geschichtenerzählerin Ann Patchett!



Samstag, 27. Mai 2017

Buchrezension: Marianne Kavanagh - Für immer du und ich

Inhalt:

Kim und Harry könnten unterschiedlicher nicht sein, schon immer waren beide damit beschäftigt, dem jeweils anderen das Leben so schwer wie möglich zu machen. Und doch verbindet sie etwas: die Liebe zu Kims älterer Schwester Eva und ihrem kleinen Sohn Otis. Als Eva schwer erkrankt, ändert sich alles, denn Kim und Harry müssen mit der Tatsache zurechtkommen, sie für immer zu verlieren. Als langgehegte Geheimnisse – und Gefühle – ans Licht kommen, die ihr Leben und ihre Beziehung zueinander für immer verändern könnten, müssen beide weitreichende Entscheidungen treffen.

Rezension:

Selten hatte ich solche Probleme einen Einstieg in einen Roman zu bekommen wie bei "Für immer du und ich". Es lag weder an einer komplexen Handlung, noch einem schwierigen Schreibstil der Autorin, mir fehlte jedoch durchweg eine fortlaufende, flüssige Handlung.

Das Buch beginnt mit einem Besuch Harrys von Kim im Krankenhaus im Jahr 2015, anschließend erfolgt ein Rückblick in die Jugend der Protagonisten Eva, Kim und Harry im Jahr 2006 und eine chronologische Weitererzählung bis ins Jahr 2015.
Kim und ihre vier Jahre ältere Schwester Eva leben zunächst gemeinsam in London, nachdem die Eltern nach ihrer Scheidung eigene Wege gegangen sind. Harry ist seit ihrer Jugend Evas bester Freund und zeitweise auch ihr Lebensgefährte. Kim kann den großspurigen Harry nicht leiden, der es mit der Treue nicht so genau nimmt. Sie distanziert sich von ihm und wünschte, dass er auch in Evas Leben weniger Raum einnehmen würde. Mit 26 Jahren wird Eva schwanger, wobei nie ganz klar wird, ob Harry der Vater des Kindes ist.

Anders als im Klappentext beschrieben, spielt die Erkrankung von Eva (wobei ich mich von Anfang an fragte, warum der Roman mit einem Aufenthalt von Kim im Krankenhaus beginnt?!) lange Zeit keine Rolle. Erst im letzten Drittel erkrankt Eva an Brustkrebs und stirbt daran. Kim hat ihr versprochen, sich um ihren fünfjährigen Sohn Otis zu kümmern und auch Harry nicht aus dem Leben von Otis zu reißen. Kim verliert daraufhin ihren Job, zieht zu einer Freundin und möchte keine finanzielle Unterstützung von Harry annehmen.

Das Buch ist fast episodenartig geschrieben. Mal geht es wenige Seiten um Kim, dann wieder um Harry. Mich verwirrte diese Art der Erzählung, da ich mir die kurzen Episoden nicht ausreichten, einen Bezug zu den Akteuren zu finden und noch einen roten Faden in der Handlung fand. Ich war oft geneigt, das Buch beiseite zu legen, bis es nach dem Tod von Eva verständlicher zu lesen war.
Der Roman hätte deutlich mehr Potenzial gehabt, da vor allem Kim in ihrer Traurigkeit eine interessante Figur darstellt, was dem Roman einen Hauch von Melancholie verleiht. Von den Eltern im Stich gelassen, war sie sehr fixiert auf ihre große Schwester und duldete deshalb vermutlich auch keinen Harry in ihrem Leben. Selbst hatte sie auch kein Glück mit Männern und konnte trotz ihres Studiums als Alleinerziehende nach dem Tod ihrer Schwester ihren Beruf als Regionalmanagerin nicht weiter ausüben und in einem Eisenwarenladen als Verkäuferin arbeiten.

Das rosafarbene Cover lassen einen leichten Liebesroman mit Happy End-Garantie vermuten, davon ist dieser Roman allerdings weit entfernt. Auch wenn das Ende für Kim hoffnungsvoll war, war es mir nicht schlüssig, weil es zu plötzlich kam, obwohl ich eigentlich schon den ganzen Roman hindurch mit dieser Offenbarung gerechnet hatte. 


Freitag, 26. Mai 2017

Buchrezension: Ayisha Malik - Ausgerechnet du und ich

Inhalt:

Sofia ist witzig, hübsch und arbeitet in einem Londoner Verlag. Sie ist außerdem Muslimin und wünscht sich einen Mann, der dafür offen und gleichzeitig modern ist. Als ihre Chefin ihr vorschlägt, einen Dating-Guide für Muslime zu schreiben, schlägt sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Aber Imran ist zu traditionell. Naim zu unzuverlässig. Abid leider schwul. Als ihr Vater krank wird, springt sie ihm zuliebe über ihren Schatten und verlobt sich mit Imran. Die Familie ist selig – aber Sofia merkt, dass sie Imran gar nicht liebt. Und dass sie sich stattdessen in jemand anderen verliebt hat.

Rezension:

Sofia ist eine Muslima aus Pakistan, 30 Jahre alt und lebt zusammen mit ihren Eltern und ihrer Schwester Maria in London. Die Eltern möchten ihre Töchter versorgt wissen und wären deshalb froh, wenn nach Marias Vermählung auch Sofia die Aussicht auf einen Ehemann hätte. Sofia ist allerdings sehr traditionell, hält sich streng an die islamischen Regeln, betet fünfmal am Tag und trägt im Gegensatz zu ihrer Schwester Hijab. Ihre Mutter ist überzeugt, dass sie deshalb keinen Mann findet, nachdem die Beziehung zu Imran gescheitert ist, weil Sofia nicht mit ihren Schwiegereltern zusammenwohnen wollte.

Sofia arbeitet bei einem Verlag und schreibt einen eigenen Blog. Als ihr Arbeitgeber auf diese amüsanten Einsichten einer Muslima in London aufmerksam wird, erhält sie den Auftrag ein Buch zum Thema Dating unter Muslimen zu schreiben.
Sofia ist zunächst skeptisch, ob sie überhaupt ein Talent dafür besitzt, ein ganzes Buch zu schreiben, lässt sich allerdings aufgrund des großzügigen Vorschusses des Verlags überzeugen und taucht in die Welt des Datings mit Online-Kontaktanzeigen und Speed-Dating ein.

Sie lernt Naim kennen, der sie als streng gläubige Muslima liebevoll foppt, aber auf Distanz bleibt. Sofia ist von sich selbst überrascht, als sie Gefühle für Naim entwickelt und nicht weiß, wie sie damit umgehen soll. Er ruft sie zwar ständig an, aber wird sich ihrer Meinung nach nicht auf eine Ehe mit ihr und den islamischen Regeln einlassen wollen.
Um sich weder zu Hause von ihrer Familie, noch von Naim ablenken zu lassen, zieht sich Sofia immer häufiger in das Haus ihres zurückhaltenden Nachbarn Conall zurück, der ihre Arbeit ernst nimmt und sie als Frau respektiert. Als dann ihr Vater schwer erkrankt, beschließt sie trotz all ihrer Zweifel und Bedenken, Imran noch eine Chance zu geben. Die Heirat soll dann schon in wenigen Wochen stattfinden...

"Ausgerechnet du und ich" ist locker und unterhaltsam aus der Sicht von Sofia geschrieben. Diese ist zwar einerseits sehr traditionell und auf den islamischen Glauben bezogen konservativer eingestellt als der Rest ihrer Familie, andererseits ist sie jedoch auch sehr selbstbewusst und möchte sich keinem Mann unterordnen müssen.
Mir haben vor allem die die witzigen Dialoge und Textnachrichten à la "Was sich liebt, das neckt sich" zwischen Naim und Sofia gefallen. Auch war sehr unterhaltsam zu lesen, in welche Situationen Sofia sich bei den Recherchen für ihr Buch gebracht hat und mit welchen Vorurteilen Muslime zu kämpfen haben, wenn sie beispielsweise in Alltagssituationen pauschal als Terroristen beschimpft werden.
Auch die Vorbereitungen für die Hochzeit, die Sofia weitestgehend aus den Händen gerissen werden, sind überspitzt und unterhaltsam beschrieben. Als Leser ahnt man im Gegensatz zu Sofia schon bald, wer "der Richtige" für sie ist und verfolgt gespannt, wann Sofia den Mut hat, auf ihr Herz zu hören und Ordnung in ihr Gefühlschaos bringt.

Die Thematik über Dating unter Muslimen in der westlichen Welt fand ich sehr interessant, weshalb ich das Buch auch unbedingt lesen wollte. Anders als gedacht liegt der Fokus des Romans fast ausschließlich auf Sofia und ihre Familie gerichtet und nicht auf das Liebesleben der Muslime im Allgemeinen.
Über die knapp 500 Seiten wächst einem die sympathische, etwas tollpatschige "Sofe" ans Herz bis es zum etwas vorhersehbaren Happy End kommt.


Montag, 22. Mai 2017

Buchrezension: Gillian Flynn - Gone Girl - Das perfekte Opfer

Inhalt:

„Was denkst du gerade, Amy?” Diese Frage habe ich ihr oft während unserer Ehe gestellt. Ich glaube, das fragt man sich immer wieder: Was denkst du? Wer bist du? Wie gut kennt man eigentlich den Menschen, den man liebt?
Genau diese Fragen stellt sich Nick Dunne am Morgen seines fünften Hochzeitstages, dem Morgen, an dem seine Frau Amy spurlos verschwindet. Die Polizei verdächtigt sogleich Nick. Amys Freunde berichten, dass sie Angst vor ihm hatte. Er schwört, dass das nicht wahr ist. Dann erhält er sonderbare Anrufe. Was geschah mit Nicks wunderbarer Frau Amy?
Selten wurde so raffiniert, abgründig und brillant manipuliert wie in diesem Psychogramm einer Ehe - ein teuflisch gutes Lesevergnügen.

Rezension:

"Gone Girl - Das perfekte Opfer" ist ein Thriller, der polarisiert und sehr kontrovers diskutiert wurde. Selten hat ein Buch so viele gute, aber auch so viele schlechte Bewertungen erhalten. Auch ich muss zugeben, dass ich lange gebraucht habe, um mich in den Roman hineinzufinden, was vor allem daran liegt, dass die handelnden Protagonisten grundlegend unsympathisch dargestellt sind.

Der Thriller gliedert sich in drei Teile: 1. Junge verliert Mädchen, 2. Junge trifft Mädchen, 3. Junge bekommt Mädchen zurück (oder andersherum).

Amy Dunne, die durch die Kinderbuchreihe "Amazing Amy" landesweit bekannt geworden ist, wird vermisst. Das Wohnzimmer ist verwüstet und in der Küche findet die Polizei Blutspuren von ihr, die aufgrund des erheblichen Blutverlusts auf ein Verbrechen hindeuten. Eine Leiche wird nicht gefunden, auch gibt es keine Lösegeldforderung, die eine Entführung belege würde.

Die Polizei verdächtigt ihren Ehemann Nick, Amy getötet zu haben, da alle Indizien gegen ihn sprechen. Am Abend zuvor hatte sich das Paar gestritten, was von Nachbarn bezeugt werden kann. Als dann auch noch bekannt wird, dass Nick eine deutlich jüngere Geliebte hat und ein fast verbranntes Tagebuch von Amy gefunden wird, in welchem sie ihre Angst vor ihrem Ehemann schildert, wird es immer enger für Nick, der beteuert, nichts mit dem Verschwinden seiner Ehefrau zu tun zu haben.
Ganz im Gegenteil - er versucht die Polizei davon zu überzeugen, dass Amy selbst ihr Verschwinden inszeniert hat, um sein Leben zu zerstören. Für ihn ist aus "Amazing Amy" "Avenging Amy" geworden.

Und dann steht Amy vier Wochen nach ihrem Verschwinden wieder vor ihrem Zuhause...

"Gone Girl" ist ein Psychothriller, bei dem der Leser zunächst von einem Mord an einer Frau ausgeht, der vermeintlich von ihrem Ehemann verübt wurde. Bald zeichnet sich allerdings ab, dass das Vorbild aus den Kinderbüchern "Amazing Amy" zu perfekt ist und das Leben des Ehepaars eine reine Fassade ist.
Statt mit einem unberechenbaren Ehemann, der seine Frau auf dem Gewissen hat, hat man es mit einer Frau zu tun, die seit Monaten einen stillschweigenden Rosenkrieg gegen ihren betrügerischen Ehemann führt.

Durch Rückblenden und Tagebucheinträge aus Erinnerungen erhält der Leser ein ganz anderes Bild der Ehe als das Paar vorgegeben hat zu sein.
Wer letztendlich "der Böse" ist, lässt sich nicht festmachen. Warum die beiden (noch) verheiratet sind, ist wohl nur auf ihre selbstzerstörerischen Charaktere zurückzuführen.

Während ich zu Beginn lange gebraucht habe, um mich in den Roman hineinzufinden, konnte mich die Handlung nach und nach aufgrund der unheimlichen Bösartigkeit der Protagonisten doch noch packen. Spannend ist bis zum Schluss - gerade nach dem ominösen Auftauchen von Amy - wie der Thriller ausgehen mag.

Auch wenn das Ende dann unbefriedigend ist, passt es in den Gesamtzusammenhang, denn irgendwie haben es Nick und Amy genauso verdient.


Samstag, 20. Mai 2017

Buchrezension: Fioly Bocca - Das Glück der fast perfekten Tage

Inhalt:

Seit ihre Mutter an einem Tumor erkrankt ist, schreibt Anita ihr jeden Abend eine E-Mail. Sie erzählt von ihrem erfüllenden Job, ihrer geplanten Hochzeit und den Kindern, die sie bald haben wird.
Nichts davon ist wahr. Im Job wird Anita ausgenutzt, in ihrer Beziehung ist sie unglücklich. Aber sie will ihre todkranke Mutter nicht belasten. Alles ändert sich, als Anita einem geheimnisvollen Mann begegnet. Er macht ihr Mut, sich endlich mit Haut und Haaren auf das Leben einzulassen. Doch welches Geheimnis umgibt diesen Fremden? Und wird es Anita gelingen, das Leben zu führen, das ihre Mutter sich immer für sie gewünscht hat?

Rezension:

Anita ist Anfang 30 und lebt zusammen mit einer Bekannten in einer WG in Turin. Ihren Lebensgefährten Tancredi, mit dem sie seit einigen Jahren zusammen ist, der Gedanke einer Hochzeit aber doch nie weiter verfolgt wird, sieht sie selten. Für ihn scheint sein Beruf höhere Priorität zu haben als seine Beziehung zu Anita.
Anita selbst ist unglücklich bei ihrer Arbeit in einer Literaturagentur. Viel lieber würde sie neue Autoren entdecken und ihnen zu einem literarischen Durchbruch verhelfen.

Ihre Mutter, zu der sie ein ganz inniges Verhältnis hat, ist an einem Gehirntumor erkrankt, der Körper voller Metastasen und ohne Chance auf Heilung.
Anita gibt die Hoffnung dennoch nicht auf, kann ihre Mutter nicht loslassen und schreibt ihr jeden Abend eine betont fröhliche E-Mail, in der sie von ihrem Tag berichtet: ihrem aufregenden Job und der bevorstehenden Hochzeit mit Tancredi, sogar Enkel stellt sie ihrer Mutter in Aussicht. Sie möchte ihrer Mutter einerseits glaubhaft machen, dass sie glücklich ist, andererseits möchte Anita ihr neue Perspektiven aufzeigen, sie motivieren, neuen Lebensmut zu schöpfen.

Bei einer der Zugfahrten zu ihrer Mutter lernt Anita den Kinderbuchautor Arun kennen, dem sie sich bald näher fühlt als ihrem langjährigen Freund Tancredi.

"Das Glück der fast perfekten Tage" ist ein schmales Büchlein, das wie das Cover liebevoll gestaltet ist, aber eben auch nur eine reduzierte Handlung darbietet. Viel wesentlicher als die Geschichte ist die schöne, bildhafte Sprache, weshalb der Roman zurecht als poetisch bzw. märchenhaft beschrieben wird.

Mir war der Roman - auch bedingt durch die Kürze - nicht tiefgehend genug. Anita, die sich mehr selbst bedauert, als sie mir der Erkrankung ihrer Mutter realistisch auseinanderzusetzen und ihr über beschönigende E-Mails hinaus keine Stütze ist, blieb mir lange zu passiv. Sie hat einen Freund, mit dem sie nur aus Gewohnheit zusammen ist, sich mit ihm nach all den Jahren nicht einmal eine Wohnung teilt und einen Job, der sie nicht erfüllt und sie gerade einmal die Miete ihres WG-Zimmers bezahlen lässt. Erst die Begegnung mit Arun und die daran anschließenden Treffen führten zu einem Umdenken und Anita begann, ihr Leben selbst in de Hand zu nehmen. Aber auch hier blieb mir der Auslöser für ihre Verhaltensänderung zu wage und letztlich nicht schlüssig nachvollziehbar.

Vielleicht gehört "Das Glück der fast perfekten Tage" zu den Büchern, die man unbedingt ein zweites Mal lesen sollte, um nicht nur alle sprachlichen Feinheiten zu erfassen, sondern auch die Beweggründe der Protagonisten zu begreifen. 



Freitag, 19. Mai 2017

Buchrezension: Jack Ketchum - SCAR

Inhalt:

Mit elf Jahren ist Delia Cross bereits ein gefeierter Fernsehstar – aber nicht glücklich. Ihre Mutter ist von krankhaftem Ehrgeiz getrieben. Ihr Vater dem Alkohol verfallen. Ihr Bruder von Eifersucht zerfressen. Einzig der Familienhund Caity hält immer treu zu ihr. Dann droht ein tragischer Unfall, Delias Karriere für immer zunichtezumachen. Doch sogar ihre Narben werden gegen ihren Willen vermarktet. Bis sie beginnt, sich zu wehren.

Rezension:

Die elfjährige Delia Cross ist ein Fernsehstar und wird von den Eltern gewinnbringend vermarktet. Sie stellt die einzige Einnahmequelle der Familie dar und nur ihr Zwillingsbruder merkt dies kritisch an. Die Eltern sind beide dem Alkohol nicht abgeneigt, Vater Bart hat völlig den Überblick über die Finanzen verloren, erfreut sich an den neuesten Flachbildfernsehern und neuen Autos, während Mutter Pat eine Affäre mit dem Manager ihrer Tochter hat.

Delia würde gerne "normal" aufwachsen und zur Schule gehen, stattdessen ist sie den ganzen Tag unter Erwachsenen und ihre einzige Gefährtin ist die hochintelligente Australian Cattle Hündin Caity, die ihr treu zur Seite steht. Ohne zu Nörgeln fügt sich Delia vor allem ihrer Mutter zuliebe in ihr Schicksal, tritt in TV-Shows und Werbespots auf, bis es zu einem folgenschweren Unfall kommt und die gezeichnete Delia das Spiel nicht mehr mitspielt...

Von "SCAR" hatte ich mir aufgrund des gruseligen Covers und als Buch, das im Verlag "Heyne Hardcore" erscheint, einen Schocker versprochen. Aber auch wenn ich mir von der Handlung mehr Horror erwartet hatte, handelt es sich dennoch um einen sehr lesenswerte Familientragödie, die die menschlichen Abgründe aufzeigt.

Fasziniert war ich vor allem von der innigen Beziehung zwischen Mensch und Tier. Wie sich Caity schützend um Delia kümmert, fast schon menschliche Züge hat und furchtlos ihr eigenes Leben aufs Spiel setzt, um ihre Freundin zu retten, ist wirklich sehr berührend zu lesen.

Zudem setzte sich das Buch kritisch mit der Medienwelt auseinander, in der Kinderstars durch falschen Ehrgeiz und aufgrund von Gewinnmaximierung in Szene gesetzt und hilflos ausgenutzt werden. Dies rächt sich am Ende des Buches, in dem vor allem Mutter Pat - einem Thriller gerecht - brutal ihr Fett wegkriegt.

Offen sein sollte man für Mystery-Elemente, die vor allem in der Charakterrolle der Hündin zum Tragen kommen und sich bis zum Ende der Geschichte durchziehen.



Montag, 15. Mai 2017

Buchrezension: José A. Pérez Ledo - Dies ist keine Liebesgeschichte

Inhalt:

Daniel Durán glaubt nicht an die Liebe. Der Mittdreißiger ist überzeugt, dass die großen Gefühle nichts weiter sind als ein gefaktes Produkt aus der Traummaschinerie Hollywood. Deshalb fällt er aus allen Wolken, als seine beste Freundin Sara ihn bittet, ihr Trauzeuge zu werden. Doch während der Hochzeitsvorbereitungen lernt der neurotische Daniel die quirlige, verrückte und ziemlich hübsche Kindergärtnerin Eva kennen und mit einem Mal ist er sich seiner Überzeugungen gar nicht mehr so sicher. Hollywood hin oder her – Eva will erobert werden. Und plötzlich erlebt Daniel seine ganz persönliche Liebesgeschichte...

Rezension:

Daniél Durán ist 35 Jahre alt und studierter Journalist. Er träumt davon, einen Roman zu schreiben, aber stattdessen verdient er seinen Lebensunterhalt im Auftrag von Unternehmen mit dem Verfassen von Biographien über scheidende Manager oder Firmeninhaber. Auch wenn ihn die Leben der zu porträtierenden Persönlichkeiten nicht interessieren, ist es für Daniél leicht verdientes Geld, da er eine Bearbeitungszeit von sechs Monaten veranschlagt, tatsächlich aber nur wenige Wochen beschäftigt ist.

Sein aktueller Auftrag ist etwas kniffliger, da ihm sein Auftraggeber nur wenige Interviewpartner, von denen er etwas über den Inhaber der Firma erfahren könnte, benennt. Da es sich bei dem Immobilienunternehmer Monteis um keinen beliebten Arbeitgeber zu handeln scheint, ist es für Daniél umso wichtiger, auch mit Familienangehörigen zu sprechen. Die einzige in Frage kommende Interviewpartnerin ist seine Tochter Eva, die den Kontakt zu ihrem Vater vor Jahren abgebrochen hat und sich weigert, an der Biographie mitzuwirken.

Daniél, der nach der Trennung von seiner einzigen Liebe Sara, bei der es sich heute um seine beste Freundin handelt, Liebe und Gefühlen abgeschworen hat, ist fasziniert von der resoluten jungen Frau, die wieder Leben in sein monotones Dasein bringt.

Daniél hat allerdings nicht nur Probleme, Gefühle zuzulassen, er ist auch gegenüber seinen Mitmenschen wenig empathisch. Unweigerlich verletzt er Eva durch seine direkte und sozial inkompetente Art.
Mit seinen unbeholfenen Entschuldigungen kann er Eva auch nicht wieder zurückgewinnen, weshalb er zunächst in ein tiefes Loch fällt und sich noch mehr zurückzieht. Sara schafft es, ihn wieder aufzuraffen und er stürzt sich sodann in die Arbeit. Bei den Recherchen zu Monteis wird er auf dessen skrupellose Machenschaften aus der Vergangenheit aufmerksam, die Daniél wieder Eva näher bringen...

"Dies ist keine Liebesgeschichte" ist selbstverständlich nur ironisch gemeint, denn jede Geschichte ist eine Liebesgeschichte - "selbst eine Rachegeschichten denn man rächt sich nur aus Liebe". So wird man in den Roman eingeführt und es sind lauter intelligente Sätze und Bonmots dieser Art, die für sehr vergnügliche Lesestunden sorgen.

Der Roman um den sympathischen Einsiedler Daniél ist ironisch-witzig geschrieben und bietet bis zum Schluss aufgrund der lebendigen Dialoge und der skurrilen Eigenarten von Daniél eine sehr gute Unterhaltung. Es ist keine reine Liebeskomödie, sondern auch eine Geschichte um einen jungen Mann, den man zunächst als etwas verschrobenen und pessimistischen Charakter kennenlernt, der sich aber im Verlauf der Geschichte persönlich weiterentwickelt, Interesse für seine Mitmenschen aufbringt und endlich aus der Monotonie des Alltags ausbricht.

Voller Situationskomik ist der Debütroman von José A. Pérez Ledo eine intelligent geschriebene (Liebes-)geschichte, die all den Lesern gefallen wird, die "Das Rosie-Projekt" von Graeme Simsion mochten.



Samstag, 13. Mai 2017

Buchrezension: Jasmine Warga - Mein Herz und andere schwarze Löcher

Inhalt:

Eine Geschichte über zwei, die den Tod suchen – und die Liebe ihres Lebens finden.

Wenn dein Herz sich anfühlt wie ein gähnendes schwarzes Loch, das alles verschlingt, welchen Sinn macht es dann noch, jeden Morgen aufzustehen? Aysel will nicht mehr leben – sie wartet nur noch auf den richtigen Zeitpunkt, sich für immer zu verabschieden. Als sie im Internet Roman kennenlernt, scheint er der perfekte Komplize für ihr Vorhaben zu sein. Und während die beiden ihren gemeinsamen Tod planen, spürt Aysel, wie sehr sich auf die Treffen mit Roman freut, wie hell und leicht ihr Herz sein kann. Und plötzlich ist der Gedanke, das alles könnte ein Ende haben, vollkommen unerträglich ... Aysel beginnt zu kämpfen. Um ihr Leben. Um sein Leben. Und um ihre gemeinsame Liebe.

Rezension:

Aysel ist 16 Jahre alt und die Tochter eines verurteilten Straftäters. Seit seiner Inhaftierung lebt sie bei ihrer Mutter und quält sich mit schwerwiegenden Schuldgefühlen. Zudem hat sie Angst, dass das Böse in ihr schlummert und irgendwann ausbrechen wird. Aysel hat den Eindruck, aufgrund der Tat ihres Vaters von Mitschülern, Nachbarn und Bekannten gemieden zu werden. Sie kapselt sich ab und registriert sich bei einer Internetseite, um einen Selbstmordpartner zu finden, da sich sich einen Suizid alleine nicht zutraut. Mit "FrozenRobot" findet sie einen Jugendlichen, der sich die Schuld am Tod seiner Schwester gibt und mit dieser nicht weiterleben kann. Er möchte am Todestag seiner Schwester, dem 7. April, sterben. Bis dahin sind es noch 24 Tage, die Aysel und Roman gemeinsam verbringen, um ihren Tod zu planen. Während der Treffen spürt Aysel, dass doch nicht nur negative Gefühle in ihr sind und dass sie vor allem nicht möchte, dass Roman stirbt. Sie bricht ihr Versprechen und beginnt um ihr beider Leben zu kämpfen.

"Mein Herz und andere schwarze Löcher" ist ein Jugendbuch, das ein sehr trauriges Thema behandelt: eine tiefe Verzweiflung und eine daraus resultierende Ausweglosigkeit mit dem Wunsch, sich das eigene Leben zu nehmen.
Beide Protagonisten haben Schreckliches erlebt und waren, obwohl sie von ihren Familien jeweils aufgefangen worden sind, nicht in der Lage, ihr Trauma zu verarbeiten. Während die Schuldgefühle von Roman nachvollziehbar sind, sind Aysels Ängste eher ihrer enormen Sensibilität geschuldet.

Da der Roman aus Sicht von Aysel geschrieben ist, taucht man als Leser in ihre Gefühlswelt ein und erfährt von der "schwarzen Qualle" in ihr, die alle positiven Empfindungen absorbiert und Aysel innerlich auffrisst.
Erschreckend ist zu lesen, dass es eine Internetseite gibt, auf der sich Menschen gezielt registrieren, um einen Partner zu finden, um dem Leben gemeinsam ein Ende zu setzen.

Durch die Annäherung zu Roman, der sie versteht und ähnliche Gefühle hat wie sie, merkt Aysel, dass in ihr doch noch mehr steckt als ein durch die "schwarze Qualle" verursachtes schwarzes Loch, dass es Empfindungen und Erlebnisse gibt, die das Leben lebenswert machen.

Als Jugendbuch ist der Roman einfach und schnell zu lesen, aber dennoch so berührend und eingängig geschrieben, dass er mir bis zum Umdenken von Aysel außerordentlich gut gefallen hat. Das Ende, das wenig überraschend positiv ist, kommt mir dann aber zu abrupt - dabei hätte die Geschichte noch Potenzial gehabt. Ich empfand das Ende nicht als Abschluss, sondern als Abbruch, so dass ich mir sogar eine Fortsetzung des Romans vorstellen könnte.
Insbesondere warum es nicht mehr zu einer Begegnung zwischen Aysel und ihrem Vater kam, kann ich nicht nachvollziehen und fand ich ausgesprochen schade. Auch blieb Romans (geänderte?) Einstellung vage und lässt Spielraum für Interpretationen.



Freitag, 12. Mai 2017

Buchrezension: Darcey Bell - Nur ein kleiner Gefallen - A Simple Favor

Inhalt:

Stephanie, fürsorgliche Mutter, viel gelesene Mom-Bloggerin und jung verwitwet, hilft gerne aus; erst recht, wenn ihre glamouröse Freundin Emily, PR-Chefin eines New Yorker Modedesigners, sie darum bittet. Doch als sie an diesem Tag Emilys fünfjährigen Sohn Nicky nach der Vorschule mit zu sich nach Hause nimmt, ahnt sie nicht, dass dies das Ende ihrer brüchigen Vorstadtidylle bedeuten wird. Denn Emily holt ihren Sohn am Abend nicht ab. Und auch an den folgenden Tagen und Wochen taucht sie nicht auf. Stephanie kümmert sich um Nicky, zusammen mit Emilys Mann Sean. In ihm erkennt sie die unverhoffte Chance, noch einmal ein ganz anderes Leben zu führen. Und sie fasst einen folgenschweren Entschluss. Doch dann kommt der Anruf, vor dem sie sich die ganze Zeit gefürchtet hat. 

Rezension:

Stephanie wird von ihrer besten Freundin Emily, einer Karrierefrau aber dennoch fürsorglichen Mutter gebeten, ihren Sohn von der Schule abzuholen. Den kleinen Gefallen erledigt Stephanie, die sich nach dem Tod ihres Ehemanns ausschließlich um ihren Sohn Miles und ihren "Mama-Blog" kümmert gern. Emily holt ihren Sohn Nicky jedoch nicht wie gedacht noch am selben Abend ab und meldet sich auch nicht bei Stephanie. Die Polizei reagiert nur sehr zögerlich, in der Annahme, dass sich die gestresste junge Frau nur eine Auszeit von Ehe, Familie und Job nehmen möchte. Erst als ihr Ehemann Sean von einer Geschäftsreise zurückkehrt, kommen die Ermittlungen ins Rollen und eine Frauenleiche wird gefunden. 

Stephanie kann  nicht glauben, dass sich ihre selbstbewusste Freundin und liebende Mutter das Leben genommen hat, wie es die Polizei interpretiert. Im Andenken an ihre beste Freundin fühlt sie sich verpflichtet, sich um Nicky und Sean zu kümmern. Einerseits vertraut sie Sean nicht, ist misstrauisch, ob er aufgrund der Lebensversicherung von Emily eine Schuld an ihrem Tod haben könnte, fühlt sich aber sexuell so sehr von ihm angezogen, dass sie sich auf eine Affäre mit dem Ehemann ihrer verstorbenen Freundin einlässt. 

Da erzählt ihr Nicky eines Abends, dass er seine Mutter gesehen habe und Stephanie erhält einen irritierenden Anruf...

"Nur ein kleiner Gefallen" ist durch den außergewöhnlichen Aufbau des Romans durch zahlreiche Blogeinträge sehr modern und am Puls der Zeit und durch die wechselnden Perspektiven der Protagonisten noch zusätzlich abwechslungsreich geschrieben. Als Leser erhält man Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt der beiden Frauen, in denen isch Abgründe auftun. In amerikanischer Manier wird der schöne Schein nach Außen gewahrt, während die Realität ganz anders aussieht. 

Die Charaktere sind grundsätzlich böse, so dass man für keinen Sympathien entwickelt, was bei einem Thriller auch nicht unbedingt erforderlich ist. Die Protagonisten sind allerdings auch so eindimensional und stereotyp dargestellt, dass die Handlung früh vorhersehbar war. Spannung kam deshalb kaum auf und der für einen Thriller erforderliche Nervenkitzel blieb völlig aus. 

Während ich den Einstieg des Romans  mit den Blogeinträgen wirklich gelungen fand und das Verschwinden von Emily so viele Fragen aufgeworfen hat, die Stephanie öffentlich zur Diskussion gestellt hat, flachte der Roman im weiteren Verlauf ab. Die Akteure machten einen zunehmend psychisch gestörten Eindruck und so bewegten sich auch ihre Handlungen ins Abstruse. 

"Nur ein kleiner Gefallen" hatte vom Grundgedanken viel Potenzial, das allerdings nur unzureichend ausgeschöpft wurde. Die amerikanische Vorstadtidylle, in der nichts so ist, wie es scheint, und die übertriebenen Reaktionen der Protagonisten ließen eine ausgeklügelte, spannungsgeladene Handlung mit nervenaufreibenden Überraschungsmomenten vermissen. 


Montag, 8. Mai 2017

Buchrezension: Saskia Hirschberg - Vor, nach und zwischen dir

Inhalt:

Wie viele Chancen bekommt man für die große Liebe und was macht man, wenn man jede einzelne vergeigt hat? Und damit meine ich so richtig vergeigt!

Ich setze mich in dem Fall in den Kleiderschrank und wühle heimlich in dem zerfledderten Pappkarton, auf dem in Großbuchstaben "SECRET" steht, was übersetzt eigentlich "ANDREW" heißt. Die Ausdrucke seiner E-Mails, die an den gefalteten Stellen kaum noch lesbar sind, könnte ich selbst unter Vollnarkose auswendig aufsagen, und die alten Fotos sind nice to have, aber überflüssig, weil ich sein Gesicht auch nach all den Jahren noch aus meinem Gedächtnis heraus malen könnte. Mal abgesehen davon, dass ich nicht gerade Picasso bin und maximal ein Strichmännchen dabei rumkommen würde. Aber Fakt ist, auch nach zwölf Jahren wäre jedes Grübchen und jedes Muttermal an seinem Platz.
Doch wo ist Andrew eigentlich heute? Lebt er auch dieses "normale" Leben, das mich manchmal so erdrückt, und ist er vielleicht sogar glücklich dabei? Denkt er noch manchmal an mich, oder ist das wieder so ein typisches Frauending? Diesen einen Mann zu haben, der für immer in irgendeiner Ecke unseres Herzens rumlungert und nie ganz verschwinden wird?
Zwölf Jahre VOR, NACH UND ZWISCHEN DIR. Zwölf Jahre mit dir und ohne dich. Und jetzt soll ich dich noch mal treffen? In mir schreit alles klar und deutlich NEIN, nur die vorlaute Stimme in meinem Kopf, die mir ständig mit ihrer frechen Klappe in meine Entscheidungen quatscht, steht schon im Badezimmer und legt Make-up auf.

Rezension:


Sandra ist 18 Jahre alt und in einer Beziehung mit Jan, als sie den Soldaten der Army, Andrew, der in Deutschland stationiert ist kennenlernt. Beide haben sofort sehr intensive Gefühle füreinander und hoffen jeden Freitag auf ein Treffen in Sandras Stammdisco. Sie tauschen Zärtlichkeiten aus, lassen den anderen aber nie so richtig an sich heran, da Andrews Aufenthalt in Deutschland begrenzt ist.

Andrew wird in den Irak versetzt, wo er 18 Monate stationiert ist. Sandra kann ihn nicht vergessen und sie halten den Kontakt auch über E-Mails aufrecht. Dieser schläft erst ein, als es zu einem Missverständnis zwischen den beiden kommt und sich Sandra zurückzieht. Sie studiert inzwischen und hält sich zu dem Zeitpunkt als Andrew wieder zurück nach Deutschland kommt, in London während eines Auslandssemesters auf. Andrew geht daraufhin zurück in die USA.

Sandra kann ihn immer noch nicht loslassen und stellt über das Internet wieder den Kontakt zu ihm her. Sie besucht ihn sogar in den USA, wo sie einen Sommer gemeinsam verbringen. Zu einer festen Beziehung kommt es allerdings nie und dann hören sie auch über Jahre nichts mehr voneinander.

Sandra "stalkt" Andrew noch immer im Internet und stellt fest, dass Andrew seine Freundin in zwischen geheiratet hat und Vater geworden ist. Auch Sandra ist inzwischen verlobt. Wegen einer Spam-E-Mail kommen sie wieder in Kontakt und sehen sich sogar bei einer Hochzeit von Freunden wieder, wo sie über die Gefühle der Vergangenheit austauschen und klar wird, dass sie ein Paar geworden wäre, wenn Sandra sich festgelegt hätte.

Als Leser taucht man unmittelbar in die Gedankenwelt von Sandra ein, da der Roman fast ausschließlich aus ihren inneren Monologen besteht und die Handlung an sich eher reduziert ist. Ich tat mich schwer damit, die Passivität der Protagonisten nachzuvollziehen. Man begreift zwar, dass sich Andrew und Sandra lieben, versteht aber nicht, warum sie sich einander nicht offenbaren bzw. ihre Gefühle viel eindeutiger zeigen. Das Buch beschreibt über 12 Jahre das Gefühlschaos von Sandra und ihrer unerfüllten Liebe zu Andrew.

Das Hin und Her zwischen den beiden strapazierte meine Nerven, weil ich es einfach nicht verstanden habe. Am Ende hatte ich fast schon Mitleid mit Sandra, das sie wegen ein paar Missverständnissen und ihrer jugendlichen Unbeholfenheit Jahre ihres Lebens verschwendet hat. Andrew ist ein Mensch, den sie nie vergessen wird und den sie selbst vermutlich auch nie loslassen wird, was grundsätzlich nicht schlimm ist, solange man sein Leben weiterlebt und nicht beim kleinsten Zeichen hofft, dass es doch noch zu einem Happy End kommt.

"Vor, nach und zwischen dir" ist ein Roman für all diejenigen, die an die große Liebe glauben, die nicht immer schön sein muss. Es ist ein Roman über Hoffen und Bangen, eine unerfüllte Sehnsucht, aber auch vom Aufgeben der Träume, Abschiednehmen und Loslassen.
Mir fehlten jedoch die tiefen Gefühle der beiden, die das lange Hoffen auf ein Happy End gerechtfertigt hätten. Zudem fiel es mir schwer, Verständnis für Sandras selbst auferlegte Qualen zu finden, weshalb mich die Geschichte nicht in der Art wie erhofft berühren konnte.

Als ich den Klappentext las, bin ich auch irgendwie davon ausgegangen, dass der Roman in der Gegenwart spielt und Sandra aufgrund eines Wiedersehens mit Andrew auf ihre Anfänge zurückblickt. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Geschichte der beiden wird chronologisch erzählt.

Der Schreibstil der Autorin ist allerdings angenehm flüssig, so dass der Roman trotz einiger Längen und aufgrund der Zweisprachigkeit doppelten Dialoge, die dem Lesefluss meiner Meinung nach nicht förderlich sind, leicht zu lesen ist. 


Samstag, 6. Mai 2017

Buchrezension: Lilly Lindner - Splitterfasernackt

Inhalt:

Lilly Lindner ist sechs, als der Nachbar beginnt, sie regelmäßig zu vergewaltigen. Er droht ihr mit dem Schlimmsten, falls sie etwas ihren Eltern erzählen sollte. Und so schweigt das kleine Mädchen. Schließlich zieht der Mann weg – doch Lillys Leben ist längst aus dem Lot. Mit 13 Jahren fängt sie an zu hungern – damit von ihrem geschundenen Körper möglichst wenig übrig bleibt. Doch die Schande macht sie damit nicht ungeschehen. Und so beschließt Lilly als junge Frau, ihren Körper, der ihr schon lange nicht mehr gehört, in einem Edel- Bordell zu verkaufen. Und ausgerechnet hier beginnt sie, ihre ungeheuerliche Geschichte aufzuschreiben – und verfasst ein beeindruckendes, provozierendes Buch von großer Sprachgewalt.

Rezension:

"Splitterfasernackt ist kein leicht zu lesender Roman, da er die Folgen von Gewalt an einem unschuldigen kleinen Mädchen sehr drastisch und ungeschönt darstellt. Dabei werden jedoch keine Details der Vergewaltigungen dargestellt, der Leser erhält erst nach dem Wegzug des Täters Einblick in das Seelenleben der inzwischen 13-jährigen Lilly.

Die Jugendliche ist völlig verstört und schweigt gegenüber ihren Eltern, die entweder blind sind und deshalb nicht begreifen, wie schlecht es ihrer Tochter geht oder die absichtlich wegschauen, weil sie sich mit keinen Problemen beschäftigen möchten.

Das macht fassungslos und traurig, vor allem weil es sich bei dem Roman um die Autobiographie von Lilly Lindner und damit eine wahre Geschichte handelt.

Um vor ihrem seelischen Schmerz abzulenken, fängt Lilly an zu hungern und sich selbst zu verletzen. In ihr herrscht ein permanenter Konflikt zwischen Ana (Anorexie) und Mia (Bulimie) und immer wieder gewinnen beide, wenn Lilly so gut wie nichts isst und das, was sie isst, sofort wieder erbricht. Die Schilderungen sind krank und machen wütend. Einerseits darauf, was Lilly ihrem Körper, der ohnehin schon gelitten hat, noch weiter selbst antut statt sich zu artikulieren und andererseits auf den Nachbar, der ungeschoren davon gekommen ist und gar nicht weiß, welchen Trümmerhaufen er hinterlassen hat.

Als würde Lilly das Unglück magisch anziehen, wird sie mit 17 Jahren erneut brutal vergewaltigt. Im Alter von 20 Jahren beginnt sie als Prostituierte zu arbeiten und fühlt sich in dem Bordell scheinbar geborgen. Sex soll es in ihrem Leben nur noch gegen Bezahlung geben.

"Splitterfasernackt" ist kein Unterhaltungsroman für zwischendurch: Als Leser ist man permanent mit einer geschundenen, kranken, kaputten Seele konfrontiert und taucht in die Gedankengänge von Lilly ein, die man anschreien möchte, sich endlich Hilfe zu holen.
Es ist ein verstörendes Buch einer traumatisierten Frau, das unheimlich wortgewaltig geschrieben ist und einen deshalb in den Bann zieht und trotz des bitteren Beigeschmacks und einer mir zu ausführlichen Beschreibung ihres Lebens als Prostituierte, was den Roman etwas in die Länge zieht, unweigerlich weiterlesen lässt.
Mit dem Schreiben ihrer Autobiographie hat das Kind Lilly endlich Jahre später ihr Schweigen gebrochen und ihre schrecklichen Erlebnisse der Vergangenheit, die auch auf die junge Erwachsene enorme Auswirkungen hatte, versucht zu verarbeiten. 


Freitag, 5. Mai 2017

Buchrezension: Maren Uthaug - Und so kam es

Inhalt:

Risten lebt gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn in Kopenhagen, sie steht kurz vor ihrer ersten Reise zurück nach Norwegen, wo sie endlich ihre Mutter Rhitta wiedersehen wird – die alte Frau, die dicke Scheiben Käse in ihren Kaffee tunkt, den sie literweise trinkt. Und die Risten so sehr an ihre Großmutter erinnert, eine alte Samin, die sie vor den gefährlichen Wesen der Unterwelt gewarnt hat, die ihre Enkelin ihr ganzes Leben lang verfolgen werden. Von ihrer Mutter will die Tochter nun wissen, was damals geschehen ist, als ihr Vater mit ihr abgehauen ist, in ein neues Land, zu einer neuen Frau, in ein neues Leben. Warum hat sie sie einfach gehen lassen?

Rezension:


Das Buch beginnt mit einem Rückblick auf das Kennenlernen von Rhitta und Knut Anfang der 70er-Jahre. Anschließend folgt eine Szene im Jahr 2007 mit Risten als Erwachsene in Kopenhagen, bis der Roman ihre Kindheit in Norwegen und Dänemark erzählt.

Risten wächst in den 70er-Jahren bei ihren Eltern Knut und Rhitta sowie ihrer Áhkku (Großmutter) in Norwegen auf und verbringt ihre Zeit völlig in sich gekehrt mit dem Malen von Bildern. Sie setzt sich allerdings gern zu Àhkku in den Schaukelstuhl, die ihr Schauermärchen von den Unterirdischen erzählt, gegen die sich Risten mit Silber schützen soll. Als Samin wurde die Hochzeit der Tochter mit einem Norweger von ihr nie gutgeheißen, weshalb Knut in ihren Augen ein "Stallutroll" (Menschenfresser) ist, was sie auch frei gegenüber der Enkeltochter behauptet.

Rhitta selbst hat Knut aber offensichtlich auch nur geheiratet, um ihre Mutter zu ärgern, weshalb die Ehe nach neun Jahren nicht nur an Leidenschaft, sondern auch an Respekt verloren hat. Knut wendet sich sodann der Dänin Grethe zu und zieht zusammen mit Risten zu ihr nach Südjütland. Rhitta hatte ihre Tochter gehen lassen, nachdem diese von ihren wahnsinnigen Geschwistern, die in einer Höhle in den Bergen wohnen, bedroht worden ist.

In Dänemark fühlt sich Risten fremd, heißt auf Wunsch von Grethe von nun an Kirsten und findet in dem "Vietnamesen-Niels", der als elternloser Flüchtling im Keller von Grethe aufwächst, ihren einzigen Freund. Ihm erzählt sie die Geschichten von Àhkku und so verschanzen sie sich beide mit Silberschmuck, den sie von Grethe stehlen, im Schuppen im Garten. Dies geht so lange gut, bis der drei Jahre ältere Niels seine Sexualität entdeckt und von Grethe zum Schutz von Kirsten weggebracht wird. Die beiden sollen sich erst Jahre später, als Kirsten Architektur in Kopenhagen studiert, wiedersehen.

Der Roman der norwegischen Autorin ist mit einer Reihe an eigenwilligen Charakteren sehr skurril. Auch wenn sich Grethe sichtlich um Kirsten bemüht, ist sie selbst komplett neben der Spur und das Zusammenleben mit ihr anstrengend. Der Vater Knut ist Zeit seines Lebens, bis auf die Flucht von Norwegen nach Dänemark, passiv und lässt sich von den Frauen gängeln.
Risten wächst mit Schauermärchen, Sagen und Gebeten der norwegischen Minderheiten Samen und Kvenen auf, die sie bis ins Erwachsenenalter prägen.

2007, als Risten selbst bereits Mutter ist, kehrt sie nach über 20 Jahren nach Norwegen zurück, um ihre Mutter nach all den Jahren wiederzusehen. Sie möchte endlich wissen, warum Rhitta nie versucht hat, einen Kontakt zu ihrer einzigen Tochter herzustellen.

Aufgrund der außergewöhnlichen Charaktere, der zum Teil haarsträubenden Episoden aus Ristens Kindheit - sei es das unverantwortliche Mästen der Hunde mit Käse durch Grethe, das regelmäßige (unfreiwillig gemeinschaftliche) Onanieren von Knut und Niels oder das Hausen von Risten in einem Schuppen im Garten bei frostigen Temperaturen - ist der Roman erfrischend anders.

Auch wenn die Kindheit von Risten objektiv betrachtet alles andere als einfach war, hat man nie das Gefühl, dass sie darunter leidet oder daran zerbrechen könnte. Für sie erscheint das Leben völlig normal, weil sie auch kein anderes kennt - in Anlehnung an den Titel frei nach der Losung "Und so ist es".
Risten ist eine Einzelkämpferin, die dann erst als Erwachsene erfährt, was es mit der offensichtlichen Gleichgültigkeit von Rhitta auf sich hat.



Montag, 1. Mai 2017

Buchrezension: Nicola Yoon - Du neben mir und zwischen uns die ganze Welt

Inhalt:

Die 17-jährige Madeline hat noch nie das Haus verlassen, denn sie leidet an einer seltenen Immunkrankheit. Bisher war das kein Problem, weil sie es nicht anders kennt. Doch als im Nachbarhaus der geheimnisvolle Olly einzieht, kommen sich die beiden so nah, wie es für Madeline möglich ist. Plötzlich möchte sie die Welt außerhalb ihres sterilen Zimmers entdecken, die sie sonst nur aus Büchern kennt. Selbst wenn es bedeutet, dafür ihr Leben zu riskieren.

Rezension:

Madeline ist 17 Jahre alt und leidet an SCID, einem schweren kombinierten Immundefekt. Sie kann nur gefilterte Luft atmen und hat deshalb seit dem Kleinkindalter das Haus nicht mehr verlassen. Sie lebt allein mit ihrer Mutter, da ihr Vater und Bruder bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen sind. Den einzigen weiteren menschlichen Kontakt hat sie zu ihrer Krankenschwester Clara, die sich täglich um sie kümmert und die für sie wie eine zweite Mutter ist.

Als in das Haus gegenüber neue Nachbarn einziehen, eine Familie mit einem Jungen in ihrem Alter, wird Madeline neugierig auf die Welt da draußen. Die beiden treten in E-Mail-Kontakt und schon bald darf Olly Madeline mit Erlaubnis von Clara besuchen, ohne dass ihre Mutter davon etwas weiß.

Es kommt, wie es kommen muss: Die beiden Jugendlichen verlieben sich ineinander, wissen aber genau, dass ihre Liebe keine Zukunft hat.

"Wenn mein Leben ein Buch wäre, würde sich beim Rückwärtslesen nichts ändern. Heute ist genauso wie gestern. Morgen wird genauso sein wie heute. Im Buch von Maddy sind alle Kapitel gleich. Bis Olly auftaucht." (S. 178)

Als Madeline sieht, wie Olly auf der Veranda von seinem gewalttätigen Vater geschlagen wird, stürmt sie ohne an die Konsequenzen zu denken, aus dem Haus, um ihn zu schützen. Ihre Mutter ist außer sich vor Sorge und kann Madeline nach weniger als einer Minute wieder in das sichere Haus zerren. Madeline bleibt körperlich unversehrt, ihre Mutter untersagt ihr aber daraufhin jedweden Kontakt mit Olly. Clara wird entlassen und eine neue Krankenschwester eingestellt, die Madeline überwacht.

Madeline war zwar vor ihrer Begegnung mit Olly nicht unglücklich, sie liebte es zu lesen und mochte auch die ritualisierten Spiele- und Filmabende mit ihrer Mutter. Nun weiß sie aber, dass das Leben viel mehr zu bieten hat und sie beschließt, alles zu riskieren, um zumindest ein Stück der Welt außerhalb ihrer sterilen Umgebung zu entdecken...

"Du neben mir und zwischen uns die ganze Welt" ist ein Jugendbuch, dass ich als Erwachsene in einem Rutsch gelesen habe. Der Schreibstil ist schlicht, mit einfachen, aber sehr prägnanten Sätzen. Zudem ist das Buch durch E-Mails, Chatverläufe, Auszüge aus Krankenakten und die witzigen Zeichnungen lebendig und liebevoll gestaltet.

Traurig, glücklich, hoffnungsvoll, wütend - als Leser taucht man in das Wechselbad der Gefühle von Madeline ein und empfindet das Leben selbst als unfassbar ungerecht. Sie war bisher immer so stark und man kann verstehen, dass sie aus ihrem Käfig ausbrechen und einfach nur unvernünftig sein will.
Auch Olly ist ein sympathischer Charakter - süß und cool zugleich - so dass sich die jugendlichen Leserinnen wahrscheinlich selbst in ihn verlieben.

Dieser traurige, wunderschöne Roman hat mir aufgrund des lebendigen Schreibstils, der emotionalen Handlung und insbesondere der dramatischen Wendung im letzten Drittel des Romans außerordentlich gut gefallen und ist für jede junggebliebene Leserin eine absolute Kaufempfehlung!

"Du neben mir und zwischen uns die ganz Welt" wurde verfilmt und kommt am 22. Juni 2017 in die deutschen Kinos.