Montag, 30. Mai 2022

Buchrezension: Emma Wagner - Das Geheimnis von Granada

Inhalt:

Granada in der Franco-Ära: Für den jungen Gitarrenbauer Diego und die Schneiderin Mina ist es die Zeit ihrer großen Liebe. Aber die Diktatur verlangt den Menschen viel ab, Armut, Angst und Überwachung bestimmen das Leben. Mina und Diego kämpfen für eine gemeinsame Zukunft in Freiheit und ahnen nicht, wie hoch der Preis ist, den sie für ihre Liebe zahlen werden. 
Jahrzehnte später macht die deutsche Ärztin Marisol sich Hals über Kopf auf den Weg nach Granada, um ihre spanischen Großeltern zu besuchen – dem geliebten Großvater geht es schlecht. Kaum angekommen, lernt Marisol den verschlossenen Fabio kennen, der sie auf eine rätselhafte Weise anzieht. Während die junge Frau in die verschlungenen Pfade ihrer Familiengeschichte eintaucht, scheint Fabio sein ganz eigenes Spiel zu spielen. 

Rezension: 

Von einem Anruf ihrer aufgebrachten Großmutter geschockt, macht sich die junge Ärztin Marisol auf den Weg nach Andalusien, um ihre Großeltern zu besuchen. Vor Ort angelangt, geht es dem geliebten Großvater Esteban García nach seinem Schwächeanfall nicht so schlecht wie gedacht, so dass Marisol aufatmen kann. Ihr macht dagegen ihre Vergangenheit zu schaffen. Denn im Haus ihrer Großeltern sieht sie sich mit schmerzhaften Erinnerungen an ihre verstorbene Mutter konfrontiert und die Schuld, die an ihr nagt. Ihr Tod hat die ganze Familie in ihren Grundfesten erschüttert und ist ein Tabuthema. 
Knapp fünfzig Jahre zuvor sind die Schneiderin Mina und der Gitarrenbauer Diego schwer verliebt, können ihre Liebe in der konservativen und erzkatholischen Umgebung jedoch nicht frei ausleben. Die Folgen des spanischen Bürgerkriegs belasten die spanische Bevölkerung und Minas sowie Diegos Familie und die Menschen leben in Angst unter der Diktatur Francos. 

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen, wobei der Leser sowohl in der Gegenwart als auch in der Vergangenheit im Jahr 1974 nach Andalusien versetzt wird. Durch die malerischen Beschreibungen hat man Land und Leute bildhaft vor Augen und spürt die Faszination für die magische Stadt Granada. 
Die Charaktere sind individuell gezeichnet, wobei die Nebencharaktere etwas stereotyp wirken: muskulöse andalusische Männer mit dichten Wimpern, die wunderschöne honigblonde Freundin aus Deutschland, die verkuppelnde Großmutter oder die neugierige, bigottische Nachbarin...

Die Geschichte ist spannend aufgebaut, denn als Leser*in ahnt man zunächst nicht, in welchem Zusammenhang beide Erzählebenen stehen könnten. Zudem ist zu befürchten, dass die Liebe von Mina und Diego unter keinem guten Stern steht und dass es in der Vergangenheit zu einem tragischen Ereignis kommen muss. In der Gegenwart fragt man sich dagegen, was es mit dem mysteriösen Tod von Marisols Mutter auf sich hat, über den nicht gesprochen wird. Diese Geheimnis ist allgegenwärtig und bleibt ein wenig zu lange unausgesprochen, weshalb es schwerfällt, sich in Marisol hineinzuversetzen und die Spannung ein wenig künstlich in die Länge gezogen wird. Interesse weckt dann jedoch Fabio, den Marisol kennenlernt, und der eigenartig neugierige Fragen in Bezug auf ihren Großvater stellt.

"Das Geheimnis von Granada" ist eine dramatische Geschichte, die spannend aufgebaut ist und durch die tragischen Schicksale und ihre Geheimnisse, die sie bergen, fesselnd geschrieben ist. Die historischen Fakten zu Spaniens jüngster Vergangenheit und Traditionen sind geschickt mit der fiktiven - sehr leidenschaftlichen - Liebesgeschichte verbunden, hätten jedoch detaillierter beschrieben werden können, um die Schreckenszeit der Diktatur noch näher zu bringen. Diese bleibt auf Polizeiwillkür und Korruption beschränkt. Ungleich spannender sind die offenen Fragen in der Gegenwart, die den makellosen Großvater in ein ganz anderes Licht rücken, als sich Marisol vorstellen kann. 
Im Vergleich zur sehr eindrücklichen Beschreibung von Atmosphäre und Setting ist ein Manko des Romans die Verbindung der beiden Handlungsstränge aus Gegenwart und Vergangenheit, denn die in der Gegenwart erst 59-jährige Großmutter konnte im Jahr 1974 unmöglich bereits verheiratet sein. Wesentlicher ist jedoch, dass sowohl die Franco-Ära als auch das Geheimnis um den Großvater, das aufgrund des realen Hintergrundes besonders erschütternd ist, nur oberflächlich beschrieben wird. Statt einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Themen stehen vielmehr die Emotionen der Protagonisten, die am Ende alle sehr glücklich miteinander verwoben werden, im Vordergrund. Die leidenschaftliche und dramatisch Inszenierung hat damit ein wenig den Stil einer spanischen Telenovela, was zumindest zum Setting passend ist.  

Samstag, 28. Mai 2022

Buchrezension: Susanne Abel - Stay away from Gretchen: Eine unmögliche Liebe (Die Gretchen-Reihe, Band 1)

Inhalt:

Der bekannte Kölner Nachrichtenmoderator Tom Monderath macht sich Sorgen um seine 84-jährige Mutter Greta, die immer mehr vergisst. Was anfangs ärgerlich für sein scheinbar so perfektes Leben ist, wird unerwartet zu einem Geschenk. Nach und nach erzählt Greta aus ihrem Leben – von ihrer Kindheit in Ostpreußen, der Flucht vor den russischen Soldaten im eisigen Winter, der Sehnsucht nach dem verschollenen Vater und ihren Erfolgen auf dem Schwarzmarkt in Heidelberg. Als Tom jedoch auf das Foto eines kleinen Mädchens mit dunkler Haut stößt, verstummt Greta. Zum ersten Mal beginnt Tom, sich eingehender mit der Vergangenheit seiner Mutter zu befassen. Nicht nur, um endlich ihre Traurigkeit zu verstehen. Es geht auch um sein eigenes Glück.

Rezension: 

Tom Monderath ist Mitte 40 und ein bekannter Nachrichtenmoderator. Seine 84-jährige Mutter, die wie er in Köln lebt, sieht jede Sendung mit Stolz im Fernsehen. Tom ist Perfektionist und stellt seinen Beruf über alles, privat lässt er nichts anbrennen und führt eher lockere Frauenbekanntschaften ohne Verpflichtungen. 
Als seine Mutter unübersehbar an Demenz erkrankt ist und allein kaum noch zurecht kommt, muss Tom handeln und das geregelte Leben des erfolgsverwöhnten Junggesellen gerät allmählich aus den Fugen. 
Während Greta sich nur ungern an die Zeit des Zweiten Weltkriegs und die Nachkriegszeit erinnert, findet Tom Fotos in ihrer Wohnung mit Menschen darauf, die er nicht kennt. Greta wird beim Anblick eines kleinen Mädchens mit dunkler Hautfarbe von ihren Gefühlen überwältigt, schweigt jedoch hartnäckig. Tom nimmt dies zum Anlass, um sich nun endlich mit der Vergangenheit seiner Familie auseinanderzusetzen, um letztlich auch verstehen zu können, warum seine Mutter in seiner Kindheit unter Depressionen litt und welche Auswirkungen ihre Vergangenheit auch auf sein Leben haben könnte. 

Der Roman wird auf zwei Zeitebenen erzählt, in denen neben der fiktiven persönlichen Geschichte von Tom und Greta Monderath gewichtige Themen von Politik und Gesellschaft zur Sprache kommen. Im Jahr 2015 ist die Flüchtlingskrise auf ihrem Höhepunkt und Tom ist als erfolgreicher Anchorman an vorderster Front, führt Interviews mit Innenminister und Kanzlerin. 
In der Vergangenheit erlebt Greta, die als Jungmädel von Hitler schwärmt, die Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs, als ihr Vater in Russland kämpft und die Familie gezwungen ist, von Ostpreußen nach Westdeutschland zu flüchten. Die Familie hat Glück, findet wieder zusammen und kommt bei Verwandten in Heidelberg unter, wo sie sich etwas Neues aufbauen kann. Die junge Greta ist unerschrocken und hilft der Familie mit ihrer burschikosen Art beim Kampf ums Überleben. Dabei lernt sie den GI Bob kennen, der der Familie behilflich ist und dem sie deutsche Wörter beibringt. Die beiden verlieben sich ineinander - eine Liebe, die nicht sein darf, denn Bob hat die falsche Hautfarbe.  

Die Geschichte fesselt auf beiden Zeitebenen und ist durch die Parallelen aus Flüchtlingskrise in den Jahren 2015/ 2016 und Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg raffiniert aufgebaut. In der Gegenwart bewegt zudem die Erkrankung von Greta, die selbst merkt, wie sich selbst verliert und die es nun nicht mehr schafft, ihre Erinnerungen aus der Vergangenheit, die sie belasten, zurückzudrängen. Auch Tom, der zunächst oberflächlich und arrogant wirkt, ist sichtbar überfordert mit der Situation und zeigt im Verlauf der Geschichte seinen weichen Kern. 

"Stay away from Gretchen" - der Appell an die GIs der US-Army, sich von den deutschen Frauen fernzuhalten - ist ein vielschichtiges Buch, das für Jung und Alt gleichermaßen geeignet ist. Es ist eine emotionale Geschichte, die aufgrund des Schicksals der sympathischen Greta bewegend ist. Insbesondere als der Zweite Weltkrieg beendet ist und das Leben wieder aufwärts gehen sollte, ist Greta kein Glück von Dauer beschert. Es sind erschütternde Szenen von Ausgrenzung, Anfeindung und Ausweglosigkeit, als Greta sich aus Armut gezwungen sieht, eine herzzerreißende Entscheidung zu treffen. 
Der Roman handelt von einer großen Anzahl ernster Themen wie Flüchtlingsproblematik, Rassismus, "Brown Babies", Demenz, Einsamkeit im Alter, Sehnsucht und Liebe, die aber so locker in die Erzählung eingebunden sind, dass diese zu keinem Zeitpunkt niederschmetternd ist. Der subtile Humor auf beiden Zeitebenen - Toms Ausraster über nervige Musik im Radio, Gretas gewitzte Art als junges Mädchen sowie ihre markigen Sprüche als ältere Dame sorgen für gute Unterhaltung und lindern die bedrückende Stimmung. Die Balance aus Ernsthaftigkeit und Humor sowie historischen und gegenwärtigen Problemfeldern und fiktiver Geschichte ist der Autorin wunderbar gelungen. 
Auch wenn der Roman in sich geschlossen ist, geht die Geschichte um Tom und Greta Monderath weiter. Ich freue mich schon sehr auf die Fortsetzung "Was ich nie gesagt habe - Gretchens Schicksalsfamilie", die Mitte Juni 2022 erscheinen wird. 

Freitag, 27. Mai 2022

Buchrezension: Beth O'Leary - Up to Date: Drei Dates machen noch keine Liebe – oder doch?

Inhalt:

Drei Frauen. Drei Dates. Ein Mann, der nicht auftaucht … 8.52 Uhr: Siobhan ist mit Joseph Carter zum Frühstück verabredet. Sie war überrascht, als er das Date vorschlug – sonst trifft sie ihn spät abends im Hotelzimmer. Frühstück mit Joseph am Valentinstag bedeutet sicherlich etwas. Aber wo bleibt er nur? 14.43 Uhr: Der Valentins-Lunch mit Joseph Carter ist für Miranda das Zeichen, dass die Dinge zwischen ihnen ernster werden. Wann er wohl endlich kommt? 18.30 Uhr: Auf einer Verlobungsparty will Joseph Carter für Jane den Fake-Boyfriend spielen. Sie kennen sich noch nicht lange, aber ihre Verbindung ist schnell der beste Teil von Janes neuem Leben in Winchester geworden. Joseph hat versprochen, ihren Abend zu retten. Aber er ist nicht hier. 

Rezension: 

Siobhan, Miranda und Jane kennen sich nicht und haben auch nichts gemeinsam - außer jeweils ein Date am Valentinstag mit Joseph Carter. Joseph versetzt sie jedoch alle drei und gibt sich hinsichtlich einer Begründung bedeckt. 
Siobhan Kelly ist eine toughe Frau und als Life Coachin Dublin erfolgreich. Sie wollte sich eigentlich nicht verlieben und hat die Beziehung zu Joseph, die sich auf regelmäßige Nächte in Hotelzimmern beschränkte, stets locker gesehen. Doch nach einem Streit nach dem unglücklichen Valentinstag beginnt sie ihn doch zu vermissen. 
Miranda Rosso ist von Beruf Baumpflegerin und dabei allein unter Männern. Nachdem sie Joseph verziehen hatte, sie am Valentinstag versetzt zu haben, treffen sie sich regelmäßig in London und er stellt sie sogar seiner Mutter vor. Sie beginnt sich in ihn zu verlieben, stellt dann jedoch fest, dass er ihr etwas verheimlicht und sie vermutlich nicht die einzige Frau in seinem Leben ist. 
Jane Miller arbeitet nach dem Verlust ihrer Anstellung in einer großen Anwaltskanzlei in einem Wohltätigkeitsladen in Winchester und trifft sich im Rahmen eines Buchclubs mit Joseph. Sie leidet unter einem mangelnden Selbstbewusstsein und hatte Joseph deshalb gebeten, ihren Freund zu mimen. Auch wenn er sie zu der Verlobungsparty im Stich gelassen hat, sehen sie sich weiterhin und bald empfindet sie mehr als nur freundschaftliche Gefühle für ihn. 

Drei Frauen und ein Mann? Im Verlauf des Romans fragt man sich, wie Joseph es schafft, seine Termine unter einen Hut zu bekommen und aus welchem Grund er sich gleichzeitig mit drei so unterschiedlichen Frauen trifft, denen gegenüber er sich auch differenziert verhält. Da der Roman abwechselnd aus den Perspektiven der drei Frauen geschrieben ist, kann man über die Motive Josephs und welcher Typ Mann er wirklich ist, nur spekulieren. Er scheint jeweils in eine andere Rolle zu schlüpfen und bleibt damit lange undurchschaubar. 

Durch die unterschiedlichen Lebensumstände und Persönlichkeiten der Charaktere ist der Roman abwechslungsreich zu lesen. Jede der Frauen hat ihre eigenen Probleme und macht im Verlauf der Geschichte eine persönliche Veränderung durch, die auch im Zusammenhang mit ihrer jeweiligen Beziehung zu Joseph steht. Siobhan wagt es Gefühle zuzulassen, Miranda legt Vorurteile ab und blickt hinter die Fassade, während Jane zu neuem Selbstbewusstsein und neuen Freunden findet. Allerdings ereignet sich in ihren Leben und im Umgang mit den Nebenfiguren nicht wirklich viel, so dass der Roman sich etwas in die Länge zieht und die einzige spannende Frage bleibt, wer eigentlich Joseph Carter ist. 

Der Roman ist keine klassische Liebesgeschichte und auch keine Liebeskomödie, wie das Cover und der recht flapsige Klappentext suggerieren. Tatsächlich geht es um schmerzhafte Beziehungen, um Vertrauensbrüche, Ghosting, Missbrauch, Trauer und Einsamkeit - Themen, die belastend und schwermütig sind. 
Ich hatte zunächst enorme Probleme, überhaupt in die Geschichte hineinzufinden, da ich mit den unterschiedlichen Personen und Erzählsträngen erst einmal leicht überfordert war. Zudem bleibt Joseph viel zu lange undurchschaubar, so dass es schwierig ist, die Geschichte wirklich zu fassen, ohne dass man weiß, worauf sie hinauslaufen wird. 
Der Plot ist originell und am Ende einerseits raffiniert, andererseits simpel gelöst. Bis zur Verbindung aller drei Handlungsstränge braucht es jedoch Durchhaltevermögen, denn man wird lange auf die Folter gespannt, was hinter Josephs Verhalten steckt. Solange bleibt der Roman rätselhaft und wegen dieses Fragezeichens etwas anstrengend zu lesen. Am Ende wird man dafür mit einer schlüssigen und versöhnlichen Geschichte über Liebe und Freundschaft in schwierigen Zeiten belohnt. 

Mittwoch, 25. Mai 2022

Buchrezension: Kristina Pfister - Ein unendlich kurzer Sommer

Inhalt:

Wo soll man eigentlich hin, wenn man vor sich selbst davonläuft? In irgendeinen Zug einsteigen und bis zur Endstation fahren? So jedenfalls landet Lale auf dem heruntergekommenen Campingplatz an diesem See, der fast zu schön ist. Sie hilft dem alten, grantigen Besitzer Gustav beim Renovieren der maroden Bäder, füttert die flauschigen Kaninchen, trägt jeden Tag die gleiche, alte Latzhose und schweigt.
Bis Christophe diese vermeintliche Ruhe durcheinanderbringt. Christophe mit den dunklen Augen, angereist vom anderen Ende der Welt, auf der Suche nach seinen Wurzeln. Christophe, der zu spüren scheint, was Lale fühlt.
Gemeinsam erleben sie den einen Sommer, der bleibt: Flirrende Hitze, glitzerndes Wasser, gemeinsame Floßfahrten, ausgeblichenes Haar. 

Rezension:

Lale verlässt ohne Ziel und Richtung ihr Zuhause und landet am Ende auf einem Campingplatz, der von einem mürrischen älteren Herrn geführt wird, der offenbar wenig Wert auf Touristen legt. Der Campingplatz am See in einem kleinen Dorf ist verwahrlost und Lale ist der einzige Gast. Gegen Kost und Logis macht sie sich nützlich, jätet Unkraut, repariert das Notwendigste, füttert die Kaninchen des Nachbarsjungen und kann sich damit von den eigenen Problemen ablenken. Lale muss niemandem erzählen, warum sie hier ist, denn auch Gustav gibt nichts von sich Preis. 
Die Ruhe endet abrupt, als ein weiterer Gast zu ihnen stößt und zeitgleich ein vorgeblich steinzeitliches Hexengrab mit Beigaben an der Grenze zum Campingplatz entdeckt wird, so dass weitere Touristen regelrecht in den Ort pilgern. Im Gegensatz zu Lale ist Christophe nicht zufällig auf Gustavs Campingplatz gelandet. Nach dem Tod seiner Mutter hat er einen Brief von ihr gefunden, der ihn von La Réunion in das provinzielle Dorf nach Deutschland geführt hat. 

Gustav, Lale und Christophe - alle drei haben ihre Geheimnisse, die sie zunächst vor den andern verbergen. Gustav möchte einfach nur in Ruhe gelassen werden, für Lale ist der Aufenthalt auf dem Campingplatz eine Zuflucht, wohingegen Christophe dort nach Antworten sucht. Während sich Lale und Chris immer stärker zueinander hingezogen fühlen, werden Freundschaften mit Nachbarn und Bekannten von Gustav geschlossen. Die drei Eigenbrötler  schließen Vertrauen und öffnen sich allmählich und niemand möchte, dass dieser Sommer je endet. 

"Ein unendlich kurzer Sommer" ist ein Roman über drei ganz unterschiedliche Personen, die vor lebensverändernden Entscheidungen stehen und auf der Suche nach einem Halt sind. Chris trauert um seine kürzlich verstorbene Mutter und möchte mehr über seine Herkunft wissen. Gustav ist nicht nur alt, sondern schwer krank. Lale hat den Verlust ihres Bruders nicht verwunden und weiß weder beruflich noch privat, wie es weitergehen soll. 

Die Geschichte mutet grundsätzlich traurig und melancholisch an, ist aber voller Leichtigkeit und Empathie für die Charaktere geschrieben. Durch die wechselnden Perspektiven fällt es nicht schwer, sich in jede Hauptfigur hineinzuversetzen und mehr über ihre Geschichten und Beweggründe zu erfahren. 

Der Campingplatz mit den sympathischen Nachbarn, die Gustav unterstützen, und den Touristen, darunter yogierende Hippies und Esoteriker, die zunehmend Einzug halten, sorgen für Abwechslung und Lebendigkeit und nehmen dem Roman seine Melancholie und Schwermut. Er ist ein wundervoller Ort für eine Auszeit im Sommer und auch Gustav fühlt sich plötzlich an einen glücklichen Sommer vor knapp vierzig Jahren erinnert, an dem er einen Fehler begangen hat, den er zutiefst bereut. 

Es wird ein Sommer, in dem Lale, Chris und Gustav ihre Leben reflektieren, in dem sie bei sich ankommen, Vergangenes hinter sich lassen, versöhnen und Freundschaft und Liebe neu entdecken und gestärkt für einen Neuanfang hervorgehen. 

Die Geschichte berührt mit den Schicksalsschlägen der Protagonisten und fesselt zudem durch die kleineren und größeren Geheimnisse, die sie bergen und die es zu entdecken gilt. Trotz Krankheiten, Trauer und Verlust ist der Roman durch die einnehmenden Charaktere, die quirlige Atmosphäre auf dem Campingplatz und den einfühlsamen Schreibstil Mut machend und hoffnungsvoll geschrieben und lässt die/ den Leser*in mit einem positiven Gefühl und einer "Herzumarmung" zurück, dass das Leben zwar voller Hürden ist, diese jedoch gemeinschaftlich gemeistert werden können. 

Montag, 23. Mai 2022

Buchrezension: Kate Spencer - Zwei Herzen unter acht Millionen

Inhalt:

Es ist nur einer dieser New Yorker Momente: Die verrücktesten Dinge geschehen, aber wenige Minuten später ist es, als wären sie nie passiert. So redet sich Einrichtungsdesignerin Fran die peinlichste Szene am schrecklichsten Tag ihres Lebens schön. Dabei sieht sie den Moment noch genau vor sich: Wie sie frisch gefeuert und schwitzend in die überfüllte U-Bahn sprintet, ihr Kleid in der Tür einklemmt, es am Rücken aufreißt, und ihr ein attraktiver Fremder sein rettendes Gucci-Sakko um die Schultern legt – um zu verhindern, dass sie ganz New York ihre Unterwäsche präsentiert. Als Fran wenig später online ein Video von der Begegnung mit ihrem geheimnisvollen Retter entdeckt, das angeblich den Beginn einer echten Lovestory zeigt, möchte sie noch weiter im Erdboden versinken. Zum Glück ist das Schöne am Leben in einer Stadt mit acht Millionen Einwohnern, dass man sich sowieso nie wiedersehen wird. Oder? 

Rezension: 

Nachdem Franny Doyle wegen Rationalisierungsmaßnahmen überraschend gekündigt wurde, verklemmt sich auch noch ihr Kleid in der U-Bahn auf der Rückfahrt nach Hause und reißt. Als ihr Retter entpuppt sich Hayes Montgomery der Dritte, der ihre großzügig sein Gucci-Jackett anbietet, um sich zu bedecken. Während der Bremsung des Zuges stolpern sie gegeneinander und in einem magischen Moment fühlen sie sic durch die Berührung miteinander verbunden. Der "U-Bahn-Crush" geht viral und wird als "Liebe auf den ersten Blick" in den sozialen Medien gefeiert. 
Die zweite Begegnung von Franny und Hayes findet im Rahmen eines Fernseh-Interviews statt, zu dem sie sich haben überreden lassen und das vor Aufregung in einem Desaster endet. 
Wie das Schicksal es so will, wird der Fernsehauftritt nicht das letzte Treffen der beiden sein. Nicht nur Frannys Freundin Lola und Hayes Cousine Perrine, die sich näher gekommen sind, auch berufsbedingt werden die beiden sich wieder sehen und können sich gegen die Anziehung bald nicht mehr wehren. 

"Zwei Herzen unter acht Millionen" ist eine unterhaltsame Liebesgeschichte über zwei Menschen, die sich in einem peinlichen Moment begegnen, aber gar nicht vorgehabt haben, sich zu verlieben. Beide haben Angst vor ihren Gefühlen und wehren sich sogar dagegen. Doch das Schicksal meint es anders mit ihnen und sorgt dafür, dass sich Franny und Hayes in der Millionen-Metropole nicht aus den Augen verlieren. 

Neben der eher langsamen Entwicklung der Liebesgeschichte stehen die Leben und der Alltag mit all seinen Tücken von Franny und Hayes im Fokus der Handlung. Durch die häufigen Wechsel der Perspektiven erhält man einen Einblick in beide Leben und auch in die Gefühlswelt der Protagonisten. Aufgrund ihrer Lebensumstände und ihren Erfahrungen aus der Vergangenheit erscheint verständlich, dass sie sich nur zögerlich auf eine neue Liebe einlassen können und von Freunden diesbezüglich nachgeholfen werden muss. Der Plot tritt deshalb phasenweise etwas auf der Stelle und erscheint mitunter zäh. 
Nichtdestotrotz sind Franny und Hayes sympathische Charaktere, die man gerne in ihrem Alltag begleitet. Auf ihren Wegen - gemeinsam oder getrennt - erhält man durch die anschaulichen und liebevollen Beschreibungen der Autorin einen bildhaften Eindruck von der Stadt New York. Der Roman ist deshalb gleichzeitig eine Liebeserklärung an NYC. 

Durch die erfolgreiche Marketingstrategie und die Ankündigung des Romans als "Die schönste New York Love Story des Jahres" hatte ich hohe Erwartungen an den Roman. Zwischen Franny und Hayes sprühen eingangs zwar die Funken und es ist spürbar, dass sie für einander bestimmt sind, aber dennoch hatte ich mir mehr Romantik und mehr Emotionen vorgestellt. Durch die zahlreichen Nebenhandlungen gerät die Annäherung der beiden immer wieder in den Hintergrund und wird von beruflichen Problemen, Zukunftsängsten, Suche nach den eigenen Wurzeln und der intensiven Freundschaft von Franny, Cleo und Lola überlagert. Der Zauber der Stadt ist letztlich mehr zu spüren, als der Wunsch nach einem Happy End. 

"Zwei Herzen unter acht Millionen" ist eine lebendige und humorvolle Geschichte mit liebenswerten Charakteren, hebt sich durch die Entwicklung nach Schema F jedoch nicht wesentlich von anderen Geschichten dieser Art ab. 

Samstag, 21. Mai 2022

Buchrezension: J. Ryan Stradal - Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens

Inhalt:

Eva Thorvald hat keine Mutter. Die ist mit dem Sommelier durchgebrannt, als Eva gerade drei Monate alt war. Eva hat auch keinen Vater, denn der ist gestorben, als er ein olfaktorisch und geschmacklich mehr als fragwürdiges norwegisches Nationalgericht die Treppen hinauftragen wollte. Da war Eva ein halbes Jahr alt. Als Eva elf ist, zieht sie Chili in ihrem Kleiderschrank, besonnt von den Lampen, mit denen ihr Cousin Randy einst Cannabis züchtete. Und sie hat noch etwas viel Besseres: den absoluten Geschmackssinn. So wird aus dem schüchternen Mädchen die gefragteste Köchin Nordamerikas. Mit ihren Kochkünsten verführt Eva die Menschen, labt ihre Gaumen und gibt manchmal ihren Leben erst einen Sinn. Eine Geschichte über die Familie, die man verliert, Freunde, die man findet, und Zufallsbekanntschaften, die über ein ganzes Leben bestimmen.

Rezension: 

Eva Thorwald hat noch als Säugling ihre Eltern verloren, die sich in der Gastronomie kennen und lieben lernten. Während ihr Vater Lars leidenschaftlicher Koch war, hatte Cynthia als Sommelière ein Faible für Wein. Guter Geschmack liegt Eva in den Genen und so experimentiert sie schon als Kind bei der Aufzucht von Chili mit Schärfe. Sie hilft in Restaurants aus, lernt schnell und entwickelt sich mit ihrem absoluten Geschmackssinn zu einer erfolgreichen Köchin. Sie hat kein eigenes Restaurant, sondern veranstaltet begehrte Pop-up-Dinner, deren Zugang beschränkt und kostenintensiv ist. Im Laufe ihres Lebens begegnen ihr Menschen, denen sie durch kleine Gesten hilft, unabhängig davon ob es sich um Verwandte, Freunde oder gar Fremde handelt. 

Während zu Beginn des Romans Eva und ihre Familie im Mittelpunkt der Handlung stehen,  wird Evas weitere Lebenslauf aus der Perspektive anderer Personen erzählt, die Eva kennen oder auch nur flüchtig begegnen. Bei dem Buch handelt es sich insofern eher um eine Sammlung von Kurzgeschichten um Eva herum, als um einen Roman über eine berühmte, verwaiste Köchin aus armer Herkunft. 

Durch die ganz unterschiedlichen Protagonisten, denen jeweils ein Kapitel gewidmet wird, ist der Roman abwechslungsreich und unterhaltsam. Es sind interessante Geschichten, bei denen die Kulinarik, die Leidenschaft für Lebensmittel und die Zubereitung von Speisen ein roter Faden ist. Die Figuren sind überwiegend warmherzig und müssen sich den Herausforderungen des Lebens stellen. Eva kommt dabei häufig nur am Rande vor. Die einzelnen Kapitel sind dabei nicht voneinander losgelöst, einzelne Charaktere treten mehrfach auf und auf irgendeine Art und Weise sind sie mit einander verbunden, so dass sich am Ende ein aufschlussreiches Geflecht um Eva ergibt. 
 
Auch wenn ich aufgrund des Klappentextes andere Erwartungen an den Roman hatte, konnten mich die mal humorvollen, mal traurigen Einzelschicksale, die einen indirekten Blick auf Eva werfen, gut unterhalten. Die kurzweiligen Geschichten sind die Zutaten, die am Ende ein stimmiges Gericht ergeben. 
In den Kapiteln finden sich immer wieder Rezepte, die zum Nachkochen anregen und die eine Hommage an die traditionelle Küche sind. Neue Entwicklungen, Verzicht auf "Ungesundes" und Rücksicht auf Unverträglichkeiten werden mit einem Augenzwinkern betrachtet. 

Freitag, 20. Mai 2022

Buchrezension: Lost You - Ich werde dich finden

Inhalt:

Die alleinerziehende Libby und ihr dreijähriger Sohn Ethan machen zum ersten Mal Urlaub in einem Luxus-Resort, um sich für die vergangenen schwierigen Jahre zu belohnen. Doch Libby kann sich nur schlecht entspannen: Sobald Ethan aus ihrem Blickfeld verschwindet, gerät sie in Panik. Ihre Sorge ist berechtigt – denn sie hat ein Geheimnis, das sie mit niemandem teilen kann. Als Ethan eines Abends in einem Fahrstuhl spielt und sich die Türen zu Libbys Entsetzen plötzlich schließen, beginnt der Kampf einer Mutter um das geliebte Kind. Ethan verschwindet spurlos. Und die Gespenster der Vergangenheit tauchen wieder auf. 

Rezension: 

Die alleinerziehende Libby Reese verbringt zum ersten Mal einen Urlaub mit ihrem dreijährigen Sohn Ethan und hat sich dazu einen Aufenthalt in einem Luxushotel in Florida gegönnt. Eines Abends verschwindet Ethan, nachdem er allein in einen Fahrstuhl gestiegen war. Libby ist außer sich vor Sorge, denn sie birgt ein Geheimnis und ahnt, was mit Ethan passiert sein mag. Wie befürchtet, scheint die Vergangenheit sie nun einzuholen, verschweigt dies jedoch gegenüber dem Sicherheitspersonal des Hotels und gegenüber der Polizei. 

"Lost you - Ich werde dich finden" beginnt spannend mit einem unguten Gefühl, dass der unbeschwerte Urlaub Libby mit ihrem Sohn in dem Luxusresort bald ein Ende haben wird. Ethan verschwindet und ist mutmaßlich entführt worden. Sodann erfolgt ein Rückblick vier Jahre in die Vergangenheit, als Libby und ihr Mann sich noch sehnlichst ein Kind wünschten. Durch den Zeitsprung und Perspektivwechsel entwickelt sich der Thriller hin zu einem Drama um verzweifelte Mütter. Der Erzählstrang in der Gegenwart wird damit zur Nebensache und verliert durch die Vorgeschichte seine Spannung. 
Der Schwerpunkt der Geschichte rückt weit weg vom zunächst mysteriösen Verschwinden Ethans und einer aufgeregten Suche und widmet sich stattdessen zwei Frauenschicksalen und einem sensiblen Thema. Kinderwunsch und Mutterschaft werden intensiv beleuchtet, wodurch der Roman auch in der Vergangenheit seine Spannungsmomente erhält. 

Der Roman entwickelt sich anders, als ich aufgrund des Klappentextes und der ersten Kapitel erwartet hatte. Der Rückblick in die Vergangenheit setzt einen anderen Schwerpunkt, der für meinen Geschmack zu ausschweifend erzählt wird. Zudem fand ich den Erzählstrang in der Vergangenheit reißerisch und in Teilen unglaubwürdig beschrieben. Statt eines spannenden Thrillers um eine Kindesentführung erhält man als Leser*in eine tragische Familiengeschichte mit zwei traurigen Figuren, wobei der zunächst spannende Einstieg durch die lange Rückblende etwas simpel erklärt wird. Die raffinierte Wende im letzten Viertel konnte die Spannung dann jedoch steigern und mit Thrillerelementen punkten. 
"Lost you - Ich werde dich finden" ist zwar keine langweilige, oberflächliche Geschichte, aber von einem raffinierten, tiefenpsychologischen Thriller mit Nervenkitzel durch übertriebene Dramatik und Hau-drauf-Aktionen im Mittelteil weit entfernt, während dagegen Anfang und Ende des Romans mit Spannung, Tragik und Verzweiflungstaten überzeugen können.  

Mittwoch, 18. Mai 2022

Buchrezension: Virginie Grimaldi - Mittwoch ist ein Tag zum Tanzen

Inhalt:

Julia rennt nicht weg. Zumindest nicht so richtig. Aber sie braucht dringend eine Auszeit von ihrem Leben, und da fühlt sich das Angebot aus Biarritz an wie eine Rettungsleine. Hals über Kopf zieht sie an die Atlantikküste, wo sie als Psychologin den Bewohnern eines Seniorenheims zur Seite stehen soll. Eigentlich hat Julia mit alten Leuten wenig am Hut, doch schnell merkt sie, dass sich hinter den eleganten Türen der Seniorenresidenz mehr verbirgt, als sie auf den ersten Blick geahnt hat: gebrochene Herzen, lange gehütete Geheimnisse und unbändige Lebensfreude, wie sie ihr noch nie begegnet ist. Kann Julia alles, was sie sucht, tatsächlich dort finden, wo sie es am wenigsten vermutet? 

Rezension:

Nach dem überraschenden Tod ihres Vaters und der Trennung von ihrem Freund, der sie in ihrer Trauerphase massiv enttäuscht hat, bricht Julia ihre Zelte in Paris ab, kündigt ihre Anstellung in einer Klinik und zieht in ihre Heimat Biarritz, wo sie in einem Pflegeheim die Schwangerschaftsvertretung als Psychologin übernimmt. Julia hat wenig Erfahrung mit alten Menschen, aber die meisten ihrer Patienten machen es ihr leicht, so dass sich Julia auch dank von zwei Kollegen, Animateur Greg und Pflegerin Marine, mit denen sie schnell Freundschaft schließt, wohlfühlt und sie beginnt, ihr Trauma zu verarbeiten. 
Als sie den Enkel einer neuen Patientin kennenlernt, beginnt sich auch wieder ihr Herz zu öffnen, aber sie hat nach wie vor Angst, Vertrauen zu fassen und in ihrer Regenerationsphase erneut verletzt zu werden. 

Wie Cover und Titel vermuten lassen, ist "Mittwoch ist ein Tag zum Tanzen" ein Mutmachbuch, das trotz vordergründiger Themen wie Tod und Trauer grundsätzlich positiv stimmen soll. Auch die Botschaft, wie Freundschaft Halt geben kann und zur Heilung von Wunden führt und dass auch in alten Menschen noch so viel Lebenslust und Energie stecken kann, ist ein schöner Ansatz, der jedoch sehr penetrant vermittelt wird. 
Humor und witzige Episoden stehen im Vordergrund, so dass man auf keiner Seite den Eindruck hat, dass das die Geschichte tatsächlich in einem Pflegeheim handelt. Die alten Menschen sind rüstig, das Personal entspannt, Freundschaften zwischen Angestellten und Patienten werden gepflegt. Das "Tamariske" vermittelt eher den Anschein eines Wellnesshotels am Meer. Auch Julia wirkt als Charakter wenig glaubwürdig. Die studierte Psychologin kann man ihr kaum abkaufen. Sie führt zwar täglich Gespräche mit ihren Patienten, die aber kaum über ein "Wie geht es Ihnen heute" hinauskommen. Zudem hat sie vielmehr Probleme mit sich selbst auszumachen, als dass sie sich auf professionelle Art und Weise den Einwohnern des Pflegeheims widmen könnte. 
Die Nebencharaktere wirken wie Karikaturen, haben im hohen Alter Zehntausende Follower auf Facebook oder bauen heimlich im Gemüsegarten Cannabis an. 
Die Liebesgeschichte ist vorhersehbar, ein Knistern zwischen Julia und Raphaël konnte ich dabei allerdings nicht verspüren. 

Die Geschichte ist nett zu lesen und vermittelt ein gutes Gefühl. Die Aussagen, die Gegenwart zu schätzen, im Hier und Jetzt zu leben, nicht zurückzublicken und von der Lebenserfahrung von Senioren zu lernen, sind richtig und wichtig, werden aber ohne Tiefe vermittelt. Echte Probleme werden verwässert und das Leben und die Arbeit in einem Pflegeheim viel zu beschönigend und paradiesisch und damit fernab der Realität dargestellt. 

Montag, 16. Mai 2022

Buchrezension: Judith W. Taschler - Über Carl reden wir morgen

Inhalt:

Fast hat man sich in der Hofmühle damit abgefunden, dass Carl im Krieg gefallen ist, als er im Winter 1918 plötzlich vor der Tür steht. Selbst sein Zwillingsbruder Eugen hätte ihn fast nicht erkannt. Eugen ist nur zu Besuch, er hat in Amerika sein Glück gesucht und vielleicht sogar gefunden. Wird er es mit Carl teilen? Lässt sich Glück überhaupt teilen?
Judith W. Taschler hat einen großen Familienroman geschrieben. Über drei Generationen verfolgen wir gebannt das Schicksal der Familie Brugger, deren Leben in der Mühle vor allem die Frauen prägen. Das einfühlsame Porträt eines Dorfes, ein Buch über Abschiede und die Liebe unter schwierigen Vorzeichen, über den Krieg und die unstillbare Sehnsucht nach vergangenem Glück.

Rezension: 

Der Klappentext stellt zwar allein auf Carl Brugger ab, tatsächlich ist "Über Carl reden wir morgen" jedoch eine Familiengeschichte über drei Generationen, die bereits im Jahr 1828 beginnt und den Fokus zunächst auf Carls Großvater Anton und Schwester Rosa legt. In Putzleinsdorf, einem kleinen Ort im österreichischen Mühlviertel, übernimmt Anton die Hofmühle seines Vaters, während es Rosa in die Stadt zieht. Dort wird sie als Hausangestellte ähnlich schlecht behandelt wie Mägde und Knechte auf dem Land und so kehrt sie nach einigen Jahren auf Bitten ihres Bruders wieder in die Heimat zurück und kümmert sich um Nichten und Neffen. 
Antons Sohn Albert erweitert den Familienbetreib um ein Ladengeschäft und bekommt mit Anna, die er in Wien kennenlernte und die von den Dorfbewohnern argwöhnisch als Städterin mit zweifelhaftem Ruf betrachtet wird, vier Kinder, unter anderem Carl, der wie viele andere im Großen Krieg im österreichisch-italienischem Grenzgebiet kämpfen muss. Während sein Bruder Eugen rechtzeitig nach Amerika ausgewandert, stirbt Carls Zwillingsbruder als Arzt im Krieg. Carl kehrt 1918 unerwartet aus dem Krieg zurück, wo Eugen gerade auf Heimatbesuch ist. 

Dem Roman liegt ein hilfreiches Lesezeichen mit dem Familienstammbaum der Bruggers/ Eders teil, denn schon bald sind so viele Personen in die Familiengeschichte involviert, dass es eine Herausforderung ist, den Überblick zu behalten. 
Die Perspektiven wechseln häufig, zudem gibt es eine Reihe von Zeitsprüngen und Rückblenden in die Vergangenheit. Auf diese Weise werden so manche Ereignisse wiederholt und aus der Perspektive einer anderen Person vertieft, so dass Wissenslücken geschlossen werden und sich die einzelnen Puzzlestücke der Familiengeschichte für den schlüssig zusammensetzen. 
Aufgrund des Zeitrahmens - drei Generationen in ungefähr 100 Jahren - wirkt der Roman zumal episodenartig, die Ereignisse, die eine Person bewegen, sind eher lose mit den der anderen verbunden. 
Die Familiengeschichte gibt Einblicke in das harte Leben auf dem Land im 19. und frühen 20. Jahrhundert, schildert alle Höhen und Tiefen des Familienlebens mit Geburten und Todesfällen, Eifersucht und Liebe, Streitigkeiten, Enttäuschungen und der Sehnsucht nach mehr. Reale historische Ereignisse, wie der Untergang der Elbe 1895 und der Erste Weltkrieg, werden geschickt mit der Geschichte der Bruggers verbunden, die von der eigenen Familiengeschichte der Autorin inspiriert ist. 

Durch die lange Zeitspanne und die vielen ganz unterschiedlichen Personen ist der Roman sehr abwechslungsreich. Er handelt nicht nur in dem Dorf im Mühlviertel, wo nichts lange geheimbleiben kann, sondern auch in Amerika, wo es gleich mehrere Aufenthaltsorte von Ost bis West gibt. Weiterhin bewegt er durch die zahlreichen tragischen Ereignisse, die vielen Ungerechtigkeiten, mit denen die Personen zu kämpfen haben und fesselt mit dem spannenden Ausblick darauf, was die Rückkehr Carls für die Familie Brugger bedeutet. 
Es ist eine Familiengeschichte über die Vergänglichkeit des Glücks, die voraussichtlich in einem zweiten Band fortgesetzt wird. 

Samstag, 14. Mai 2022

Buchrezension: Delia Owens - Der Gesang der Flusskrebse

Inhalt:

Chase Andrews stirbt, und die Bewohner der ruhigen Küstenstadt Barkley Cove sind sich einig: Schuld ist das Marschmädchen. Kya Clark lebt isoliert im Marschland mit seinen Salzwiesen und Sandbänken. Sie kennt jeden Stein und Seevogel, jede Muschel und Pflanze. Als zwei junge Männer auf die wilde Schöne aufmerksam werden, öffnet Kya sich einem neuen Leben – mit dramatischen Folgen. Delia Owens erzählt intensiv und atmosphärisch davon, dass wir für immer die Kinder bleiben, die wir einmal waren. Und den Geheimnissen und der Gewalt der Natur nichts entgegensetzen können. 

Rezension: 

Kya Clark wächst zusammen mit ihren vier Geschwistern im Marschland in North Carolina auf. Als sie sechs Jahre alt ist, verlässt die Mutter 1952 ihren gewalttätigen Ehemann und lässt ihre Kinder zurück. Als die älteren Geschwister die erste Gelegenheit ergreifen wegzuziehen, ist Kya allein mit ihrem Vater. So gut es geht, kümmert sie sich um den Haushalt und versorgt sich weitestgehend selbst, da ihr Vater sich zeitweise gar nicht sehen lässt. Als er endgültig nicht mehr in den Sumpf zurückkehrt, ist Kya ganz auf sich alleingestellt. 
Die Schulbehörde kümmert sich zu wenig, so dass Kya nach einem einzigen Schultag verängstigt zu Hause bleibt. Sie sammelt Muscheln und angelt, um durch den Verkauf ihre Existenz zu sichern. Ein ehemaliger Freund ihres Bruders Jodie, Tate Walker, bringt ihr Lesen und Schreiben bei. Durch ihn lernt sie die Liebe kennen und was es heißt, eine Frau zu sein.
Doch sie bleibt das seltsame Marschmädchen, das von den Einwohnern des nächstgelegenen Ortes argwöhnisch betrachtet wird. Auch Tate steht nicht zu ihr und wendet sich mit Beginn seines Studiums von ihr ab. Kya erforscht weiterhin die Natur, sammelt Federn, Muscheln und Pilze und macht Aufzeichnungen dazu. Nach dem Verlust Tates macht ihr die Einsamkeit umso mehr zu schaffen und so lässt sie sich auf Chase Andrews ein, der ihr sogar verspricht, sie zu heiraten. Chase hält keine seiner Versprechungen und so bleibt Kya isoliert und allein mit ihren Seevögeln und Pflanzen. Für ihre Aufzeichnungen bekommt sie später die Anerkennung, die ihre Existenz sichert. Doch dann wird Chase im Jahr 1969 tot aufgefunden und Kya gerät unter Mordverdacht. 

Der Roman wird auf zwei Zeitebenen erzählt, wobei sich die Vergangenheit, die das isolierte Leben von Kya in den Sumpfgebieten ab 1952 beschreibt, auf die Gegenwart im Jahr 1969 zubewegt, als Chase tot unter dem Feuerwachturm am Strand aufgefunden wird. Die Kriminalgeschichte tritt im Vergleich zu Kyas Leben und den Naturbeschreibungen in den Hintergrund. Sie ist auf die Ermittlungen des Sheriffs und auf nur wenige kurze Kapitel beschränkt. 
Der Roman lebt von der Atmosphäre des Sumpfgebietes, von der kaum vorstellbaren Isolation Kyas, insbesondere in Kindertagen, und dem Einklang ihres Lebens mit der Natur. Ihr einfaches Leben und die Einsamkeit, die ihr erst als junge Frau nach den gescheiterten Beziehungen zu Tate und Chase richtig bewusst wird, ist anschaulich beschrieben. Gleichzeitig ist auch ihre Angst nachvollziehbar, in einem Ort umgeben von Menschen zu leben, denen sie nicht vertraut. Nur zu den notwendigsten Erledigungen sucht sie in den frühen Morgenstunden einen schwarzen Händler auf, der ein gutes Herz hat. 

"Der Gesang der Flusskrebse" - der Titel bezeichnend für das Ende der Welt - ist eine bildgewaltige Geschichte über ein einfaches, einsames Leben eines Mädchens, das nur die Natur, die Pflanzen und Tiere zu ihren Freunden zählt. Es ist ein Buch voller Leid und Schmerz, aber auch voller Liebe und Kraft, so dass trotz der Melancholie und der Schwermütigkeit, die sich düster auf die Szenerie legt, stets ein Hoffnungsschimmer und der Ausblick auf ein besseres Leben bleibt. Der Mordfall und insbesondere der Gerichtsprozess am Ende verleihen der atmosphärischen Geschichte das nötige Quäntchen Spannung. 

Freitag, 13. Mai 2022

Buchrezension: Meg Wolitzer - Die Interessanten

Inhalt:

Nach dem Tod ihres Vaters will Julie Jacobsen nur noch eins: raus aus der Tristesse ihres provinziellen Zuhauses. Das Sommercamp an der Ostküste bedeutet für sie den Eintritt in eine neue Welt, die Welt der Kunst, Kreativität und Freiheit, verkörpert durch die interessantesten Menschen, denen sie je begegnet ist: Ethan, Jonah, Cathy, Ash, Goodman, fünf junge New Yorker, die sie wegen ihrer Schlagfertigkeit und ihres schwarzen Humors in ihre privilegierte Clique aufnehmen. Die Jahre und Jahrzehnte vergehen, aber nicht jeder der "Interessanten", wie sie sich selbst nennen, kann aus seiner Begabung das machen, was er sich als Jugendlicher erträumte. 

Rezension:

Julie Jacobson erhält nach dem Tod ihres Vaters durch ein Stipendium die Chance, an dem Sommercamp "Spirit-in-the-Woods", ein Ferienlager für künstlerisch ausgerichtete Schüler und Schülerinnen, teilzunehmen. Dort trifft sie auf eine elitäre, privilegierte Gruppe von Jugendlichen aus New York City, mit denen sie sich anfreundet. Aus einer Laune heraus nennen sie sich "Die Interessanten". Jeder von ihnen hat andere Talente und Ziele. Ethan Figman möchte Trickfilmzeichner werden, Cathy Kiplinger träumt von einer Karriere als Tänzerin, Jonah Bay möchte in die Fußstapfen seiner Mutter, einer berühmten Folksängerin, treten und Musiker werden, Goodman Wolf möchte Architektur studieren, während seine Schwester Ash Schauspielerin werden möchte. 
Jules und Ash werden enge Freundinnen und Jules orientiert sich stark an ihr, möchte auch Schauspielerin werden, obwohl ihr das Talent dafür fehlt. An der Seite der reichen Jugendlichen fühlt sich das Mädchen aus dem Vorort stets unzulänglich und nicht wirklich zugehörig, auch wenn den anderen ihre Herkunft gleichgültig ist. 
Drei Sommer verbringen sie miteinander, aber im letzten ist alles anders. Ein Ereignis zum Jahreswechsel 1976 stellt die Freundschaft auf eine harte Probe und von sechs Freunden sind am Ende nur noch vier übrig. 

Der Roman beginnt im Sommer 1974 und wechselt dann in die Gegenwart in das Jahr 2009, als Jules verheiratet, Mutter einer Tochter und Psychotherapeutin ist. Anschließend erfolgt wiederum eine Rückblende in die Vergangenheit und eine chronologische Schilderung der Lebenswege der "Interessanten". 
Nur Ethan hat es geschafft, seinen Traum zu verwirklichen und sich erfolgreich in der Trickfilmbranche einen Namen zu machen. Er ist inzwischen mit Ash verheiratet, die als Theater-Regisseurin um Anerkennung kämpft. Cathy konnte aufgrund ihres Körperbaus keine Tänzerin werden und Goodman hat sich durch einen fatalen Fehler seine Zukunft verbaut. Jonah wurde durch ein traumatisches Erlebnis die Lust an der Musik genommen, weshalb rt sich komplett umorientiert und Maschinenbau studiert hat. 

"Die Interessanten" erzählt von einer langjährigen Freundschaft, die als Teenager begann und Höhen und Tiefen erlebte. Die Jugendlichen haben sich weiterentwickelt und sind erwachsen geworden, haben selbst Kinder bekommen. 
Der Fokus der Geschichte rückt im Erwachsenenalter insbesondere auf die beiden Paare Ash und Ethan sowie Jules, die unabhängig  von den Sommern im Camp den Ultraschalltechniker Dennis Boyd geheiratet hat. Die Paare führen unterschiedliche Leben, denn während Ethan und Ash im Luxus leben, haben Jules und Dennis stets mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Jedes der Paare hat zudem eigene Probleme, hat mit Krankheiten, Geheimnissen und den Belastungen des Alltags zu kämpfen. 

Erzählt werden 40 Jahre, in denen sich naturgemäß nicht immer viel ereignet, weshalb der Roman seine Längen hat. Durch kleinere und größere Dramen, die die Protagonisten erleben und durchmachen müssen, erhält die Geschichte immer wieder neuen Schwung. 

Der Roman handelt von den Wünschen, Träumen und Vorstellungen, die die Jugendlichen haben und was letztlich aus ihnen geworden ist. Es geht um Selbstverwirklichung und das Streben nach Glück. 
Das starke Band der Freundschaft hält die Clique - oder Teile davon - zusammen. Es geht dabei um Zusammenhalt und Vertrauen, Geheimnisse, die trennen und zusammenschweißen, um Vergleiche, Eifersucht und Neid. Der Roman ist geprägt von vielen ernsthaften Themen, mit denen die Figuren umgehen müssen und auch zeitgeschichtliche Ereignisse und gesellschaftliche sowie politische Entwicklungen werden stimmig in die fiktive Geschichte eingearbeitet. Die Charaktere bleiben jedoch unnahbar und auf Distanz, so dass ihre Schicksale trotz aller Dramatik nicht emotional berühren können. 
Nach einem langatmigen Mittelteil fehlte mir ein befriedigender Abschluss der Geschichte. Auch wenn es keine offenen Handlungsstränge gab, die zwingend hätten weitererzählt werden müssen, endet der Roman einfalls- und belanglos ohne noch einmal einen Bezug zu den wirklich interessanten Jahren der Jugendlichen und jungen Erwachsenen herzustellen. 

Mittwoch, 11. Mai 2022

Buchrezension: Donna Freitas - Die neun Leben der Rose Napolitano

Inhalt:

Rose Napolitano ist eine Frau, die weiß, was sie will. Sie ist als Professorin und Wissenschaftlerin beruflich erfolgreich, ein Kind zu haben war nie Teil ihres Lebensplans. Ihr Ehemann Luke hat ihr vor der Ehe versprochen, dass auch für ihn ein Kind nicht wichtig sei. Doch nun hat Luke seine Meinung geändert. Er will, dass sie Schwangerschafts-Vitamintabletten nimmt, sie fragt sich nach wie vor, ob sie überhaupt Mutter sein möchte, und nimmt die Tabletten nicht, obwohl sie es Luke versprochen hat. Es kommt zum Streit, und am Ende ist ihre Ehe ein Scherbenhaufen.
Doch dann streiten die beiden wieder wegen der Vitamine. Dieses Mal nimmt der Streit einen anderen Verlauf - und damit auch Rose‘ Zukunft. Kann sie tatsächlich die einzige Gewissheit in ihrem Leben aufgeben? Kann sie sich ein völlig anderes Leben als ihr bisheriges vorstellen? 

Rezension: 

Rose Napolitano hatte bereits im Alter von 14 Jahren entschieden, später keine Kinder haben zu wollen. Ihrem Ehemann Luke hatte sie dies schon vor der Hochzeit zu verstehen gegeben und er war mit ihrer Entscheidung, ihrer Karriere als Wissenschaftlerin den Vorzug zu geben, einverstanden. Als Luke nach einigen Jahren umschwenkt und Rose drängt, ihre Entscheidung zu überdenken, gerät die Ehe in eine Schieflage. Rose verspürt nach wie vor keinen Mutterinstinkt und möchte keine Kinder. Ihr wird jedoch bewusst, dass sie Luke verlieren wird, wenn sie seinem Wunsch nicht nachgibt. 

"Die neun Leben der Rose Napolitano" beginnt mit einem Streit zwischen Rose und ihrem Ehemann Luke um fruchtbarkeitsfördernde Vitaminpillen am 15. August 2006 und zeigt sodann neun mögliche Wege auf, wie es nach dem Streit weitergegangen sein könnte. 
Es sind neun ganz unterschiedliche Leben für Rose - mal mit, mal ohne Kind, mal mit, mal ohne Luke, mal mit der Entscheidung, für sich und seine Wünsche einzustehen, mal mit der Entscheidung, zurückzustecken und ein Leben zu leben, das Rose eigentlich niemals wollte. Der Roman dreht sich dabei weniger um die Frage, ob nur ein Leben mit Kind lebenswert ist, sondern vielmehr um die Angst, sich selbst zu verlieren, das Hadern, eine lebensverändernde Entscheidung treffen zu müssen und mit den Auswirkungen, die sich daraus ergeben. 

Die Lektüre verlangt Konzentration, denn die unterschiedlichen Lebenswege werden nicht in abgeschlossenen Kurzgeschichten erzählt, sondern peu à peu kommt ein Leben hinzu, bis sich die Leben 1 bis 9 unregelmäßig abwechseln. Dabei sind die alternativen Leben trotz Wiederholungen, die sich durch das Ausgangsszenario ergeben, nicht eintönig, sondern jedes auf seine Weise interessant. Es ist regelrecht spannend, wie viele Möglichkeiten sich aus einer Entscheidung für oder gegen Nachwuchs ergeben - für Rose persönlich und für ihre Beziehung zu Luke.  
Gleichbleibend ist der Druck, der auf Rose lastet. Für ihren Mann, ihre Eltern und Schwiegereltern scheint ein Leben ohne Kinder oder Enkel leer und Rose wird mit ihrer Entscheidung dagegen einerseits nicht wirklich ernst genommen, andererseits als eigenartig niedergemacht, so dass sich Rose wie ein Ungeheuer fühlt. Eine Frau, die keine Kinder möchte, gilt gesellschaftlich als exotisch, eine Ausnahmeerscheinung, wie dieser Roman sehr deutlich zeigt. Gleichzeitig steht diese Ablehnung für den Mut, unpopuläre Entscheidungen zu treffen und noch mehr, auch dazu zu stehen. 

Das Buch ist emotionsgeladen und sicher polarisiert Rose in der ein oder anderen Version, denn jede Entscheidung macht etwas aus Rose, das nicht immer sympathisch wirkt. 
Der Roman handelt von Selbstbestimmung und der Rolle der Frau, die nicht (mehr) vorbestimmt ist, Mutter zu sein. Er liefert tiefgehende Erkenntnisse zu Mutterschaft, aber vor allem auch zu Ehe und Partnerschaft, so dass man sich selbst in der ein oder anderen Situation wiederfinden kann. 

Die neun alternativen Leben zeigen eindringlich, dass es letztlich kein Richtig oder Falsch gibt und dass selbst die Entscheidung, für seine eigenen Bedürfnisse einzustehen und sich selbst treu zu bleiben, nicht unbedingt DIE Lösung ist. Rose macht eine glaubhafte Entwicklung durch und erkennt, dass es verschiedene Arten gibt, eine Mutter zu sein und Frieden mit ihrer jeweiligen Entscheidung zu schließen.   
Der Roman überzeugt durch seine originelle, fordernde Erzählart und die substantiellen Fragen, die er aufwirft. 

Montag, 9. Mai 2022

Buchrezension: Beth Morrey - Tausend kleine Träume

Inhalt:

Vor einer Ewigkeit hatte auch Delphine Jones einmal Träume: Sie wollte studieren, die Welt bereisen, sich einen Namen machen.
Stattdessen fischt die alleinerziehende Mutter jetzt Münzen aus den Sofaritzen, weil ihr Job als Kellnerin einfach nicht reicht, um sie und die kleine Em über die Runden zu bringen. Delphines Leben steckt in einer Sackgasse und nichts, was sie tut, macht einen Unterschied. Erst die Begegnung mit der rechthaberischen Lehrerin Roz, der sarkastischen Letty und dem manchmal etwas schroffen Musiker Dylan stößt die Tür zu Delphines kleiner Welt wieder weit auf.
Aber hat sie auch den Mut, noch einmal zu träumen? 

Rezension:

Delphine Jones ist alleinerziehende Mutter einer elfjährigen Tochter, die sie im Alter von siebzehn Jahren zur Welt gebracht hat und deshalb weder ihr Abitur machen noch studieren konnte. Nun lebt sie zusammen mit ihrem Vater, der seit dem Tod seiner Ehefrau vor fünfzehn Jahren vollkommen in sich gekehrt ist, und versucht die kleine Familie mit zwei Jobs als Kellnerin und Putzfrau über Wasser zu halten, um zumindest ihrer Tochter Em ein besseres Leben zu ermöglichen. 
Für Delphine ist jeder Tag ein Kampf ums Überleben, bis ein Akt der Rebellion, durch den sie ihre Anstellung als Barista verliert, ihrem Leben eine neue Richtung gibt. Mit Glück und der Unterstützung ihrer smarten Tochter findet sie einen neuen Job in einem Restaurant, in dem sie sich wohlfühlt, schließt Freundschaften und ergreift die Chance, ihren Abschluss nachzuholen, um ihre ehrgeizigen Träume, die als Teenager hatte, doch noch verwirklichen zu können. 

"Tausend kleine Träume" ist aus der Perspektive von Delphine geschildert, deren Alltag eintönig und grau und von der Sorge bestimmt ist, ihre Familie mit dem Notwendigsten zu versorgen. Ein Moment der Wut, in der sie für sich und ihre Bedürfnisse einsteht, sorgt dafür, dass ihr Leben eine Wende nimmt. 

Durch den Wechsel zwischen Gegenwart und Rückblenden in die Vergangenheit erfährt man, was Delphine bereits erlebt hat und wie viele Opfer sie gebracht hat, um für ihre Tochter da zu sein. Es ist motivierend zu lesen, wie viel unerwartete Unterstützung Delphine von außen erfährt und welchen Wandel sie durchmacht. Sie entdeckt ihre Talente wieder und lebt nicht mehr nur für ihre Tochter, deren Intelligenz und Leidenschaft für Literatur sie unbedingt fördern möchte. Kleine Lichtblicke im Alltag sorgen dafür, dass Delphine sich wieder auf ihre Träume besinnt und beginnt für deren Verwirklichung zu kämpfen. 

Während Delphines persönlicher Weiterentwicklung sorgt die Frage nach Ems Vater, weshalb Delphine nie über ihn spricht und woran ihre Jugendliebe zerbrochen ist, für zusätzliche Spannung. 

Die Charaktere des Romans sind allesamt sympathisch, liebevoll individuell gezeichnet und wirken authentisch. Auch wenn Delphine im Verlauf der Handlung viel Glück hat, Fremde ihr unvoreingenommen helfen und schnell zu Freunden werden, erscheint ihre Geschichte als Halbwaise und alleinerziehende Mutter mit all ihren Einschränkungen aus dem Leben gegriffen. 

"Tausend kleine Träume" ist ein Roman über die Liebe in ihren unterschiedlichsten Formen, über Freundschaft und Trauer, Schuld und Versöhnung. Es ist eine bewegende Geschichte voller Empathie für die Figuren, die vielschichtig und abwechslungsreich ist. Sie bewegt durch die Schicksalsschläge, motiviert durch den positiven Wandel und fesselt durch die Geheimnisse der Vergangenheit, die sich nur zögerlich offenbaren. Dabei ist schön zu sehen, was alles möglich ist, wenn man die Hoffnung nicht aufgibt und die Vergangenheit hinter sich lässt, um nach vorn blicken zu können. 

Samstag, 7. Mai 2022

Buchrezension: Jodie Chapman - Eine ganze Liebe lang

Inhalt:

Nick und Anna lernen sich in den Sommerferien kennen. Anna ist mysteriös, wunderschön und ganz anders als Nick. Sie ist aufgewachsen in einer Welt, in der man sie von frühester Kindheit an auf das Ende aller Tage vorbereitet hat. In einer Welt, wo Weihnachten, Feste und ganz alltägliche Vergnügungen undenkbar sind. Als sie Nick begegnet, verliebt sie sich haltlos in ihn. Ihre gemeinsame Zeit verbringen die beiden Zigaretten rauchend, mit Musik, Lyrik und langen Gesprächen. Doch Anna, die an der Schwelle zum Erwachsenenleben steht, hat Angst, alles aufzugeben, woran sie bislang geglaubt hat. Als sie sich von Nick abwendet, hält er sie nicht auf. Bis ein tragisches Ereignis die beiden eines Tages wieder zusammenführt. 

Rezension: 

Nick und Anna lernen sich im Sommer 2003 kennen und verlieben sich in einander. Ihre Beziehung ist schwierig, denn Anna führt ein Doppelleben. Sie hat bereits einen Freund und aus der Welt, aus der sie stammt darf sie nicht mit einem "weltlichen" Mann zusammen sein. Die strenge Religionsgemeinschaft, der ihre Eltern angehören, gibt ihr Halt, weshalb sie auch nicht in Betracht zieht, sich von ihr zu lösen. Die Liebesbeziehung zu Nick scheint deshalb keine Zukunft zu haben. Tatsächlich trennen sie sich nach ihrem einzigen gemeinsamen Sommer. Erst als Anna Jahre später aus der Weltuntergansreligion ausgestiegen ist, eröffnet sich die Möglichkeit für eine zweite Chance. Doch auch Nick, der mehrere Schicksalsschläge zu verarbeiten hat, muss sich mit seiner Vergangenheit versöhnen, bevor er für einen Neuanfang bereit sein kann. 

Der Roman wird auf der Perspektive von Nick erzählt und beginnt im Jahr 2018, bevor man in den Sommer 2003 zurückversetzt wird, in dem sich Nick und Anna bei ihren Aushilfsjobs im Kino kennenlernen und sich verlieben. Die Beziehung ist von leidenschaftlichen Diskussionen geprägt, denn beide sind unterschiedlich erzogen worden und aufgewachsen. Ihre Liebe muss geheim bleiben, da ein Kontakt Annas zu Ungläubigen untersagt ist. Auch wenn sie in diesem Sommer mit all ihren Konventionen bricht, kurze Röcke trägt, tanzt und Alkohol trinkt, steht außer Frage, dass sie sich von der verinnerlichten Weltanschauung löst und mit ihren Eltern bricht. Schon zu Beginn des Sommers ahnen beide, dass ihre Liebe nur ein kurzes Verfallsdatum hat, aber auch Jahre später denken sie aneinander, begegnen sich sogar wieder, aber die trennende Mauer bleibt bestehen, während jeder von ihnen sein eigenes Leben lebt, das mehrere Hürden bereithält. 

"Eine ganze Liebe lang" erzählt nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern ist weitaus vielschichtiger. Das Buch handelt neben der Beziehung Nicks zu Anna im Wesentlichen auch von seiner Familie. In Rückblenden in die 1980er und 1990er-Jahre, die nicht chronologisch geschildert sind, erfährt man mehr über seine Kindheit und Jugend, das innige Verhältnis zur liebevollen Mutter und seinem sensiblen jüngeren Bruder Salvatore und die angespannte Beziehung zu seinem patriarchalischen Vater. Es sind Momentaufnahmen, die sein Leben prägen und die vor allem durch die unglücklichen, tragischen Ereignisse, die er miterleben und verarbeiten musste, ergreifend sind und zu Tränen rühren. 
Die Art der Erzählweise mit den scheinbar willkürlichen Wechseln zwischen allen Zeiten ist dabei nicht verwirrend, sondern steigert die Spannung und Dramatik in der Geschichte. 
Es ist ein wechselvoller Roman voller Liebe, Schmerz, Trauer, Sehnsucht und Hoffnung und damit weit mehr als eine Geschichte über zwei Menschen, die vom Schicksal für einander auserwählt worden sind. Es ist eine feinsinnige und tiefgründige Erzählung mit liebevoll gezeichneten Charakteren über die Liebe und eine zerbrechende Familie sowie eine ergreifende Geschichte über die Erfahrungen und Begegnungen, die Mut machen, für sein Glück zu kämpfen und das Leben nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten. 

Freitag, 6. Mai 2022

Buchrezension: Sarah Crossan - Verheizte Herzen

Inhalt:

Ana ist Anwältin, Mutter zweier Kinder und Ehefrau von Paul. Offiziell. Insgeheim gibt es da noch Connor, Anas Klienten und heimlichen Geliebten. Doch Ana erhofft sich mehr von der Affäre als verstohlene Treffen im Hotel. Als Connor unerwartet stirbt, erfährt sie das ausgerechnet von der Person, die zwischen ihnen stand – seiner Frau Rebecca. Ana soll das Testament vollstrecken. Allein gelassen mit ihrer Trauer, sucht sie die Nähe zu Rebecca. Doch während sich der Wunsch nach einer Leidensgenossin schleichend zu einer Besessenheit steigert, vernachlässigt Ana ihre eigene Familie und wandelt dabei ständig am seelischen Abgrund. War Rebecca wirklich so unerträglich, wie Connor immer behauptet hat? Und hatte er überhaupt vor, sie irgendwann zu verlassen? Ana weiß nicht, wie und ob es ihr gelingen kann, Connor und sich selbst zu verzeihen. 

Rezension: 

Ana Kelly ist verheiratet, Mutter zweier Kinder und arbeitet als Anwältin in einer Kanzlei. Dort lernt sie Connor kennen, der nicht nur ihr Klient sondern auch ihr Geliebter wird. Sie erhofft sich mehr als nur eine Affäre und träumt klammheimlich davon, dass Connor seine Ehefrau Rebecca verlässt über die er sich nur verächtlich äußert. 
Als Connor unerwartet stirbt, muss Ana die alles zerstörende Nachricht ausgerechnet von seiner Ehefrau erfahren, die sie als Anwältin darum bittet, den Nachlass zu regeln. Während Ana allein in ihrer Trauer ist und Connors Unterlagen sichtet, lernt sie Rebecca besser kennen und begreift, dass Connor seine Familie vermutlich nie für sie verlassen hätte. Ana selbst hat weniger Skrupel und lässt ihren Ehemann Paul spüren, dass etwas im Argen liegt. 

Der Roman beschreibt das Leid von Ana, die ihren Geliebten verloren hat und ihre Trauer mit niemandem teilen kann. In Rückblenden erinnert sie sich an die Beziehung und die Erwartungen, die sie an Connor hatte. 

Das Besondere des Romans ist nicht die Geschichte über die Affäre, sondern der Schreibstil in Versform. Dieser ist zunächst ungewohnt und durch die Kürze der Zeilen etwas beschwerlich in die Geschichte zu finden. Die abrupten und nicht gekennzeichneten Szenenwechsel sowie Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen Erinnerungen und Alltag, passen jedoch sehr gut zu der inneren Zerrissenheit der Hauptfigur. Ana, eine Frau und Anwältin, die Beruf und Familie problemlos unter einen Hut zu bringen scheint, verliert sich in ihrer Trauer und kann nur noch an Connor denken. Ihr Ehemann und ihre Kinder scheinen ihr in dieser Situation gleichgültig zu sein. Ana agiert kopflos und versucht einen Platz in Rebeccas Leben zu finden, um die Nähe Connors zu spüren. 

Durch die platzgreifende Versform ist der Inhalt des Buches kürzer als das Hardcover suggeriert. Doch in wenigen Worten schafft es die Autorin, die Gefühle Anas zu transportieren. Ana wirkt dabei nicht sympathisch sondern egoistisch und rücksichtslos. In ihrer Trauer über Connor verliert sie den Bezug zu ihrer eigenen Familie, was während der Affäre offenbar (noch) nicht der Fall war. 
"Verheizte Herzen" entwickelt sich zu einem spannenden Drama, bei dem man einerseits durch die Rückblenden in die Vergangenheit versucht, die Ernsthaftigkeit der Beziehung von Connor und Ana einzuordnen. Andererseits verfolgt man in der Gegenwart gebannt, was Ana mit ihrer selbstzerstörerischen Art und in ihrer Besessenheit von Connor nach seinem Tod völlig unnötig alles gefährdet, was sie sich aufgebaut hat und damit nur noch mehr Schmerz auslöst. 

Mittwoch, 4. Mai 2022

Buchrezension: Viola Shipman - Vier Frauen und ein See

Inhalt:

Elizabeth, Veronica, Rachel und Emily lernten sich im Feriencamp kennen, wo sie vier Sommer lang die Clover Girls waren - unzertrennlich für diese magischen Wochen der Freiheit. Bis kleine Intrigen und ein großer Verrat das Kleeblatt auseinander riss. Jetzt, in mittlerem Alter, kämpfen die Frauen mit ihren Ehen, ihren Kindern und ihren Karrieren, als Liz, V und Rachel plötzlich jeweils einen Brief von Emily erhalten. Sie bittet die drei, die einst ihre besten Freundinnen waren, noch ein Mal im Camp Birchwood am Lake Michigan zusammenzukommen. Eine Woche, um sich an die Mädchenträume von damals zu erinnern und alte Wunden zu heilen. Werden sie sich überhaupt noch etwas zu sagen haben? Eine Woche Auszeit vom eigenen erwachsenen Leben erscheint doch ganz schön lang. Was hat Emily sich dabei nur gedacht? 

Rezension: 

Elizabeth, Veronica, Rachel und Emily lernten sich 1985 im Camp Birchwood am Lake Michigan kennen, wo sie vier Sommer unzertrennlich als "Clover Girls" - wie ein Kleeblatt, das symbolisch für Glaube, Liebe, Hoffnung und Glück steht - verbrachten. Der Sommer 1988 trennte sie und nur einzelne von ihnen blieben lose in Kontakt, während sie ihre Karrieren verfolgten oder Familien gründeten. 
Im September 2021 erhalten Liz, Rach und V einen Brief von Emily, die inzwischen an Krebs verstorben ist. Ihr letzter Wunsch war es, dass die drei Frauen noch einmal im Camp Birchwood zusammenkommen, um dort eine Woche zu verbringen und ihre Freundschaft wieder aufleben zu lassen. Zunächst widerwillig lassen sie sich darauf ein und kommen sich langsam wieder näher. Sie schwelgen in Erinnerungen, die nicht alle positiv sind, denn durch Neid und Eifersucht haben sie sich als Teenager verletzt. Dabei reflektieren sie auch ihr gegenwärtiges Leben, in der keine von ihnen wirklich glücklich ist und fragen sich, was aus ihren Träumen geworden ist. 

Der Roman handelt vom Verlust einer Freundschaft und dem Versuch, nach über dreißig Jahren wieder eine Verbindung untereinander herzustellen. Er wird abwechselnd aus der Perspektive von Liz, Rach und V geschildert, während man Em durch ihre Briefe kennenlernt. 
Emely war das Band, das die Vierer-Freundschaft zusammengehalten hat und sie ist es auch, die den Versuch unternimmt, die Freundschaft wieder zu kitten. 
Der Fokus des Romans liegt auf der Gegenwart und der Situation, in der sich die drei übrig gebliebenen Freundinnen befinden. Verheiratet, geschieden, Dauer-Single, mit oder ohne Kinder, beruflich erfolgreich, selbstständig oder abhängig von anderen, hat jede von ihnen mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen. 
In Rückblenden erfährt man, was sich in den Sommern in den 1980er-Jahren im Camp Birchwood ereignet hat. Es sind nicht nur glückliche Erinnerungen, wie man meinen sollte, denn unter den Freundinnen herrschte Neid und Konkurrenz. Eifersüchteleien, kleine Gemeinheiten bis hin zu Intrigen haben die Freundschaft ins Wanken gebracht und am Ende zerstört. Deshalb erscheint fraglich, ob die Freundinnen in der Vergangenheit überhaupt eine gemeinsame Basis hatten und ob es sich lohnt, in der Gegenwart für sie zu kämpfen. Zudem bleibt spannend zu erfahren, ob die drei Frauen durch die Erinnerungen an ihre Jugendträume, Hoffnungen und Erwartungen zur Einsicht gelangen, dass es auch im mittleren Alter noch nicht zu spät ist, für sein Glück zu kämpfen. 

"Vier Frauen und ein See" ist ein berührender und nachdenklich stimmender Roman über Freundschaft, Verrat und Vergebung, der die/ den Leser*in durch die Szenen in Camp anschaulich in die 1980er-Jahre zurückversetzt. Anfangs interessant, zieht sich die Geschichte im letzten Drittel arg in die Länge, ist zäh und von Wiederholungen geprägt. Zudem ist der Roman so melancholisch und von andauernden Vertrauensbrüchen und Enttäuschungen geprägt, dass man sich fragt, ob all der Kummer es Wert ist, an dieser Freundschaft festzuhalten.