Mittwoch, 30. Juni 2021

Buchrezension: Lionel Shriver - Liebespaarungen

Inhalt:

Lawrence ist ein ganz besonderer Mensch, klug, geistreich, verlässlich. Ein Leben ohne ihn kann Irina sich nicht vorstellen. Auch an dem Abend nicht, an dem sie mit ihrem gemeinsamen Freund Ramsey ausgeht. Aber nach einem leidenschaftlichen Kuss mit Ramsey beginnt für Irina plötzlich ein neues Leben. Und mit Ramsey verändert sich vieles, mit ihm wird Irina zu einer anderen Frau. Das Leben mit Lawrence, das Leben ohne diesen Kuss, wäre vorhersehbarer gewesen. Oder? Beide Geschichten sollten erzählt werden – nur um zu erfahren, was gewesen wäre, wenn …

Rezension:

Irina McGovern ist Amerikanerin mit russischen Wurzeln, die zusammen mit ihrem Lebensgefährten Lawrence in London lebt. Irina ist 43 Jahre und Kinderbuchillustratorin, die von zu Hause aus arbeitet, während ihr Lawrence geschäftlich viel unterwegs ist. Die beiden sind seit knapp zehn Jahren zusammen, aber Lawrence hält im Gegensatz zu Irina nichts vom Heiraten. 
Jährlich treffen sie sich mit Ramsey und seiner Ehefrau Jude anlässlich seines Geburtstags zum Essen. Ramsey ist ein erfolgreicher, prominenter Snookerspieler und ein Freund von Lawrence. Als Ramsey geschieden ist und Lawrence gerade wieder im Ausland unterwegs, trifft sich Irina widerwillig allein mit Ramsey zu dem traditionellen Geburtstagsessen. Das Abendessen wird weniger ermüdend und erdrückend schweigsam als gedacht. Irina und Ramsey verstehen sich ohne Lawrence erstaunlich gut und in Irina kommt die Sehnsucht auf, Ramsey zu küssen. 

Der Roman beschreibt nach diesem Abend zwei alternierende Leben von Irina. Im ersten Leben gibt sie der Versuchung nach und entscheidet sich letztlich für Ramsey, den sie schon wenige Monate später heiratet. Im zweiten Leben bleibt sie Lawrence treu, wählt nicht das Abenteuer, sondern den sicheren Weg. 
Das Buch handelt insofern von dem "Was wäre, wenn...?" - nur das die Protagonisten sich nicht wirklich festlegen muss, sondern beide Leben leben kann. Die parallel verlaufenden Kapitel sind interessant zu lesen, da sich die Ereignisse wiederholen, aber jeweils anders verlaufen. Irina ist dabei eine wankelmütige Frau, die weder in dem einen noch in dem anderen Leben wirklich zufrieden ist. Sie führt ein eintöniges Leben und ist jeweils viel zu sehr auf den Mann an ihrer Seite fixiert. Dabei sind beide wenig sympathisch. Während Lawrence weltgewandt, politisch interessiert und übermäßig korrekt ist, ist Ramsey ein plumper Sportler, eindimensional und dumm. Lawrence wird von Irina umschwärmt, lässt ihr aber wenig Freiräume und dominiert sie. Ramsey zeigt Irina zumindest seine Liebe, ist jedoch besitzergreifend und möchte sie als Spielerfrau stets an seiner Seite wissen. 

Das Buch hat mit den zwei alternativ verlaufenden Leben einen interessanten Ansatz, ist jedoch im Mittelteil ermüdend zu lesen. Insbesondere die Beschreibungen des Snooker-Spiels, aber auch so manche Dialoge zwischen den jeweiligen Paaren sind zu langatmig. Dabei ist es lange fast schon ärgerlich zu lesen, dass sich Irina, eine gut aussehende, gebildete Frau, in beiden Leben so von ihren Männern abhängig macht und dabei ihre Zeichentalent unterdrückt. Erst als Irina aus nicht nachvollziehbaren Gründen selbstbewusster wird und ihre eigenen Wege geht, werden die Geschichten jeweils interessanter. 

"Liebespaarungen" ist ein Roman über die Liebe und die Frage, ob es nur den einen richtigen Weg im Leben gibt, ob die Liebe Schicksal oder ob die eigene Wahl entscheidend ist. Sich beide Leben vorzustellen, ist eine anregende Fantasie, die eine Entscheidungsfindung erleichtern kann. Der Verlauf des Romans hat mich jedoch nicht nur wegen der beschriebenen Längen enttäuscht. In beiden Beziehungen konnte ich kein Prickeln spüren und hatte nicht den Eindruck, dass einer der beiden eigenwilligen Männer zu Irina passt. Kein Lebensweg scheint sie wirklich glücklich zu machen und zufrieden zu stellen, was als Quintessenz traurig ist. Ernüchternd ist am Ende, dass es keinen richtigen Weg zu geben scheint, dass kein Leben perfekt ist, dass es überall ein Auf und Ab gibt und dass sich offenbar nicht einmal das Risiko lohnt, von einem vorgezeichneten Weg abzuweichen. Es gibt nicht die eine richtige Wahl, nur unterschiedliche Leben.   
Der Roman ist insofern nichts für Romantiker, die zumindest von einem Happy End geträumt haben. 

Montag, 28. Juni 2021

Buchrezension: Rachel Caine - Die Angst schläft nie

Inhalt:

Von einer Sekunde zur nächsten liegt Gina Royals Leben in Scherben: Ihr Mann wird als Serienmörder überführt, und eine Welle von Hass und Morddrohungen schlägt auch ihr entgegen. Zusammen mit ihrem Sohn und ihrer Tochter flieht sie aus Kansas, wechselt mehrmals die Identität. Als sie zu dritt ein kleines Haus am Stillhouse Lake in Tennessee beziehen, ist die schüchterne Gina Vergangenheit. Jetzt ist sie die knallharte Gwen, zu allem bereit, wenn es um die Sicherheit ihrer kleinen Familie geht. Zum ersten Mal wagt sie durchzuatmen, fasst sogar zu ihrem neuen Nachbarn Vertrauen. 
Da wird in dem See die Leiche einer jungen Frau gefunden. Ihre Folterungen tragen die blutige Handschrift ihres Ex-Mannes, der doch im Gefängnis sitzt. Plötzlich beginnt alles von vorn. 

Rezension: 

Gina Royal lebte als Hausfrau und Mutter neun Jahre lang ein beschauliches Leben an der Seite ihres Ehemanns Melvin Royal. Als dieser durch einen Zufall als skrupelloser Serienmörder überführt wird, wird Gina zunächst der Beihilfe beschuldigt, aber letztlich freigesprochen. Sie hatte all die Jahre nichts von dem Doppelleben ihres Ehemanns gewusst. Die Öffentlichkeit sieht dies anders und verurteilt Gina als "Melvins kleine Helferin". Gina flüchtet daraufhin nach Kansas, um zusammen mit ihren beiden Kindern Lily und Brady ein neues Leben zu beginnen. Sie verwischen ihre Spuren und wechseln ihre Identitäten bis sie sich a, Stillhouse Lake in Tennessee so sicher und wohl fühlen, um dort als Gwen Proctor mit den Kindern Lanny und Connor ein neues Leben zu beginnen. Doch ihre Sicherheit ist trügerisch. Die Vergangenheit scheint Gwen einzuholen, als in dem See eine Leiche gefunden wird, die nach dem Muster ihres Ex-Mannes getötet wurde. 

"Die Angst schläft nie" ist ein Psychothriller, der von den Ängsten einer Mutter handelt, die sich verfolgt fühlt und in Sorge um ihre Kinder ist. Die Vorsichtsmaßnahmen, die sie zum Schutz trifft, sind enorm und werden mit einem großen Aufwand betrieben. Die Kinder hatten deshalb bisher keine Möglichkeit sich nach "dem Ereignis" irgendwo heimisch zu fühlen und sehnen sich nach Beständigkeit. 

Der Roman ist aus der Perspektive von Gwen beschrieben, so dass man sich gut in ihre Situation versetzen und ihre Paranoia nachvollziehen kann. Sie vertraut niemandem und ist deshalb weitgehend auf sich selbst gestellt. Erst in Stillhouse Lake kann sie sich öffnen und findet in einem Außenseiter einen Freund, dem sie sogar ihre Kinder anvertraut. 
Gwen ist Bedrohungen von Internettrollen ausgesetzt, was zunimmt, als die erste Leiche im See nahe ihres Anwesens gefunden wird. Dabei ist sie wie man selbst als Leser unsicher, ob die Gefahr von ihrem Ex-Mann ausgeht, der im Todestrakt aus dem Gefängnis die Fäden ziehen könnte oder ob es Angehörige der Opfer sind, die Gwen und ihre Kinder ausfindig gemacht haben und auf Rache sinnen. 

Gwen ist eine Kämpfernatur, die seit der Verhaftung ihres Mannes und ihrem eigenen Gefängnisaufenthalt eine Wandlung durchgemacht hat und weitaus stärker als die alte Gina Royal ist, die naiv ihrem Ehemann vertraute und offenbar keine Anzeichen seines Doppellebens erkannte oder erkennen wollte. Dennoch empfand ich es als unerträglich, wie andere Menschen Gina als Ex-Frau eines Serienmörders verurteilen und ihr das Leben zur Hölle machen.

Die Spannung de Psychothrillers ist lange auf einem gleichbleibenden mittlerem Niveau, da sich an der Situation um die Ängste und Drohungen nicht viel ändert. Auch schon vor dem Auffinden der ersten Leiche in Stillhouse Lake war Gwen in Sorge und fühlte sich nie wirklich sicher. Als die Gefahr jedoch akut wird, nimmt die Geschichte am Ende an Fahrt auf und auch die Spannung kann in typischer Thrillermanier noch gesteigert werden.  

Auch wenn sich Gwens Sorgen um ihre Kinder wiederholen und die Dynamik des Thrillers durch ihre Melodramatik etwas gebremst wird, ist die Geschichte grundsätzlich spannend und authentisch beschrieben. Noch besser hätte mir der Roman gefallen, wenn er am Ende zu einem Abschluss gefunden hätte und nicht den Auftakt einer Buchreihe darstellen würde, in der Gwen weiterhin nicht zur Ruhe kommt und unter Ängsten, Hass und Bedrohungen zu leiden hat. 

Samstag, 26. Juni 2021

Buchrezension: Kristin Harmel - Solange am Himmel Sterne stehen

Inhalt:

Rose McKenna liebt den Abend. Wenn am Himmel über Cape Cod die ersten Sterne sichtbar werden, erinnert sie sich – an die Menschen, die sie liebte und verlor, und von denen sie nie jemandem erzählte. Doch Rose weiß, dass es bald zu spät sein wird, denn sie hat Alzheimer. Bald wird niemand mehr an das junge Paar denken, das sich einst die Liebe versprach … 1942 in Paris. Als sie ihre Enkelin Hope bittet, nach Frankreich zu reisen, ahnt diese nichts von der herzzerreißenden Geschichte, die sie dort entdecken wird – von Hoffnung, Schmerz und einer alles überwindenden Liebe. 

Rezension: 

Die geschiedene Hope McKenna-Smith ist Mutter einer zwölfjährigen Tochter und führt nach dem Tod ihrer Mutter Josephine und der Alzheimererkrankung ihrer Großmutter Rose die Tradition der Familienbäckerei am Cape Cod weiter. Ihre "Mamie" (Französisch für Oma) hat nur noch wenige lichte Momente und erkennt ihre Enkelin und Urenkelin an manchen Tagen nicht wieder. An einem ihrer guten Tage erzählt sie von ihrer Vergangenheit, der Zeit während des Zweiten Weltkrieges, als sie aus Paris flüchtete und bittet, Hope, dorthin zu reisen, um in Erfahrung zu bringen, was mit ihren Angehörigen passiert ist. Hope wusste bis dato nicht einmal, dass sie jüdische Wurzeln hat und reist, nachdem sie mehr über die Schoah in Frankreich in Erfahrung gebracht hat trotz der desolaten finanziellen Situation des Familienbetriebs nach Paris, um den Wunsch ihrer Mamie zu erfüllen und vielleicht auch ihrer Tochter näher zu kommen, die wegen der Scheidung wütend auf Hope ist und sich sehr für die Familiengeschichte interessiert. 

"Solange am Himmel Sterne stehen" ist ein Roman "Gegen das Vergessen" und eine Suche nach den unbekannten familiären Wurzeln, die aufgrund der düsteren und traurigen Vergangenheit 70 Jahre geheim gehalten wurden. Auch wenn ich schon viele Romane gelesen habe, die den Zweiten Weltkrieg und die Verfolgung der Juden zum Thema hatten, konnte ich durch diese Geschichte wieder neue, interessante Aspekte in Erfahrung bringen. So war mir bislang nicht bekannt, welche Unterstützung in Frankreich lebende, von den deutschen Nationalsozialisten bedrohte Juden erhalten haben. Offenbar existierte eine konfessionsübergreifende Untergrundbewegung, die jüdische Menschen versteckte und einigen von ihnen damit das Leben retten konnte. Gerade weil gegenwärtig immer wieder Konflikte zwischen den Religionen schwelen, ist es ergreifend zu lesen, dass die Menschen katastrophalen Zeiten unabhängig von ihrem Glauben bereit sind, zu helfen. 

Neben der Suche Hopes nach dem Verbleib der Angehörigen ihrer Großmutter handelt das Buch von ihren zahlreichen Sorgen und Problemen, der finanziellen Not der Bäckerei, den Streitereien mit ihrer pubertierenden Tochter, den Konflikten mit ihrem Ex-Ehemann Rob und der Angst um den Zustand ihrer Großmutter, aber auch um das Gefühl, versagt zu haben und nicht lieben zu können. Insbesondere die innige Liebesgeschichte ihrer Mamie, von der sie während ihrer Suche erfährt, führt ihr vor Augen, wie falsch die Beziehung zu Rob war. Für mein Dafürhalten hätte Roses große Liebe in dem Roman jedoch mehr Raum einnehmen können. Aus ihrer Sicht erfährt man zu wenig über ihre Gefühle zu einem Mann, den sie all die Jahre nie vergessen konnte. 

"Solange am Himmel Sterne stehen" ist eine facettenreiche Mischung aus Familiendrama, Vergangenheitsbewältigung und Liebesgeschichte, die nicht ganz ohne Längen in Bezug auf Hopes innere Monologe und Problemwälzungen auskommt. Es ist zudem eine Geschichte über Selbstfindung, Familienzusammenführung und die Suche nach Glück, die mir noch unbekannte historische Fakten perfekt mit einer fiktiven Geschichte verknüpft. Der Roman ist in Teilen metaphorisch geschrieben und findet dabei immer wieder den Bezug zum Titel und Roses Erinnerungen. Die zwischen den Kapitel abgedruckten Rezepte aus der Familienbäckerei ergänzen die Geschichte und regen zum Nachbacken an. 

Freitag, 25. Juni 2021

Buchrezension: Jane Austen - Stolz und Vorurteil

Inhalt:

Nicht weniger als fünf Töchter haben die Bennets standesgemäß unter die Haube zu bringen. Kein leichtes Unterfangen für eine Familie auf dem Lande, die nur über ein bescheidenes Vermögen verfügt. Ausgerechnet die intelligente Elizabeth, das Lieblingskind des Vaters, erweist sich als besonders schwieriger Fall. Zum allgemeinen Unverständnis hat Elizabeth die Stirn, den Antrag eines wohlsituierten Pfarrers auszuschlagen. Statt dem Drängen der Familie nachzugeben, folgt sie hartnäckig ihrem eigenen Urteil. Neue Hoffnungen schöpft die Familie, als der attraktive Gutsbesitzer Darcy, ein Junggeselle aus besten Kreisen, im benachbarten Herrenhaus zu Gast ist. Doch über den sind bald böse Gerüchte in Umlauf, und seine stolze Zurückhaltung wird ihm als Standesdünkel ausgelegt. Auch Elizabeth lässt sich vom äußeren Anschein täuschen. Erst als sie ihre Vorurteile und Darcy seinen Stolz abzulegen lernt, kann sich das Hochzeitskarussell wieder drehen.

Rezension: 

Die Bennets haben fünf Töchter, die es insbesondere nach dem Ansinnen Mrs Bennets standesgemäß zu verheiraten gilt. Sie ist bemüht, dass sich ihre Töchter bei gesellschaftlichen Ereignissen wie den Bällen in anderen Häusern so liebenswürdig zu verhalten, um gut situierte Herren auf sich aufmerksam zu machen. Doch ihre Töchter benehmen sich nicht so, wie Mrs Bennet sich das vorstellt und bereiten ihr Kummer. Die älteste und hübscheste der Töchter, Jane, verliebt sich unglücklich in Mr Bingley und hat nach seiner Zurückweisung keine Augen mehr für andere Männer. Elizabeth lehnt gar den Heiratsantrag des Cousins ihres Vaters ab, mit dem sie das Erbe der Familie hätte sichern können. Als sie herausfindet, dass der von ihr ohnehin schon mit Vorurteilen behaftete Mr Darcy für das Unglück ihrer älteren Schwester verantwortlich ist, sieht sie sich ihrer schlechten Meinung ihm gegenüber bestätigt. Erst als sich der Sachverhalt klärt, Mr Darcy seinen Fehler einräumt und wenig später auch noch die jüngste der Bennet-Schwestern vor Schimpf und Schande rettet, kann Elizabeth ihr Herz für den smarten und vermögenden Gentleman öffnen. 

"Stolz und Vorurteil" ist der erfolgreichste Roman von Jane Austen und ein Klassiker der englischen Literatur. Obwohl er bereits über 200 Jahre alt ist, empfand ich den Schreibstil als angenehm und nicht altertümlich. Wie bei einem historischen Roman konnte ich mich wunderbar in die Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts in England hineinversetzen lassen. 

Der Roman handelt zwar vom Heiraten und Suchen und Finden der Liebe, ist aber nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern vielmehr ein Porträt der englischen, besser gestellten Gesellschaft zur damaligen Zeit. Jane Austen wirft dabei auch einen ironischen Blick auf die Schönen und Reichen und ihre antiquierten Ansichten, weshalb die Geschichte zeitlos ist. Sie kritisiert unterschwellig die Standesdünkel und entwirft mit Elizabeth Bennet eine junge, emanzipierte Frau mit einem eigenen Kopf, die als Vorbotin des Feminismus verstanden werden kann. 

Auch wenn ich den Roman phasenweise etwas langatmig empfand und zunächst auch meine Probleme mit der Einordnung der vielen handelnden Personen hatte, ist "Stolz und Vorurteil" ein unterhaltsamer Roman mit einem herrlich bissigen Blick auf die obere Klasse der damaligen Gesellschaft und erzählt zudem eine romantische, wendungsreiche Liebesgeschichte, die zurecht auch schon mehrfach verfilmt oder adaptiert wurde. 

Mittwoch, 23. Juni 2021

Buchrezension: Clara Maria Bagus - Die Farbe von Glück

Inhalt:

Eine falsche Entscheidung, die das Leben dreier Familien für immer verändert: Ein Richter zwingt die Krankenschwester Charlotte, sein sterbenskrankes Neugeborenes gegen ein gesundes zu tauschen. Folgt sie seiner Drohung nicht, entzieht er ihr den Pflegesohn. Die Welt aller Beteiligten gerät aus den Fugen, doch hinter allem wirkt der geheimnisvolle Plan des Lebens. 
Können wir im falschen Leben das richtige finden? Wie öffnet man sich einem neuen? Wie lässt man los? Mit großer sprachlicher Kraft und Anmut zeigt die Autorin, dass jeder seine Lebenskarte bereits in sich trägt und alles auf wundersame Weise miteinander verknüpft ist.
In diesem Roman findet jeder seine Farbe von Glück.

Rezension: 

Als die 30-jährige Ehefrau des Richters Jules nach mehreren Fehlgeburten ein Kind zur Welt bringt, ist die Freude darüber getrübt, denn das kleine Mädchen kann kaum atmen und scheint keine lange Lebenserwartung zu haben. Jules kann seine Frau nicht länger leiden sehen und zwingt deshalb in einer Kurzschlussreaktion die Krankenschwester Charlotte, das Neugeborene gegen ein gesundes, kräftiges Mädchen zu tauschen, das von Eltern stammt, die bereits zwei Kinder haben. Der Richter weiß, dass Charlotte ein Pflegekind hat, das sie liebt, aber nie offiziell adoptiert hat und erpresst sie, ihr den achtjährigen Antoine in seiner Funktion als Richter zu entziehen. 
Beide schweigen sie jahrelang über die Entscheidung, die sie getroffen haben, plagen sich mit einem schlechten Gewissen und haben Schuldgefühle gegenüber den Mädchen und was sie der anderen Familie angetan haben. Jules Ehe zerbricht daran, bis er beschließt, sein Gewissen zu erleichtern und zu handeln. Charlotte hatte nach dem Kindstausch das Land verlasen und in Asien ein neues Leben angefangen. Sie hat nie über den Vorfall gesprochen und auch Antoine gegenüber verschweigt sie Details aus seiner Vergangenheit, die ihm zu dem machen, was er ist. Seine Mutter hatte ihn als kleinen Jungen im Stich gelassen und er konnte sie nie erklären, wie sie ihm das antun konnte. 

Von dem Roman hatte ich mir aufgrund der verwerflichen Entscheidung, die aufgrund verschiedenster, verzweifelter Zwänge der Protagonisten getroffen wurde, ein spannendes Familiendrama erwartet. Weder die inhaltliche Darstellung der Geschichte noch die poetisch anmutende Erzählweise konnte mich jedoch überzeugen. 

Der Beginn des Buches mit dem Verlassenwerden Antoines und dem Säuglingstausch ist tragisch und bewegend und ließ auf eine emotionale Geschichte hoffen. Der Schreibstil ist allerdings alles andere als unterhaltend und lebendig. Als Leser hat man das Gefühl, nur am Rande zu stehen und auf die Protagonisten aus der Distanz zu blicken. Diese blieben blass und entwickeln sich nicht weiter. 
Man erfährt nur Fragmente aus deren Leben, ohne dass ihr Lebenslauf über die Jahre klar ersichtlich wird. Die Personen bleiben passiv und der Roman ohne packende Handlung. Stattdessen werden in den Dialogen, insbesondere zwischen Charlotte und Antoine, philosophisch anmutende Floskeln und Lebensweisheiten aneinandergereiht, die den Leser letztlich ermüden. Jules leidet und leidet und leidet bis er nach 20 Jahren endlich aufbricht, um zu handeln. Was ihn genau zu diesem Zeitpunkt bewegt hat, zu agieren, erschließt sich genauso wenig wie Charlottes jahrzehntelanges Schweigen über das Schicksal von Antoines Familie. 
Diese unklare Motivlage ließ die Geschichte für mich unglaubwürdig erscheinen, nachdem ich es bereits schon unrealistisch empfunden habe, dass Charlotte sich in keiner Weise gegen den Tausch der Babys wehrt, dem Richter nicht ins Gewissen redet oder nach der schicksalhaften Nacht noch ins Geschehen eingreift. 

Der Roman enthielt mir entschieden zu viele leere Worthülsen statt einer spannenden und vor allem tiefer gehenden Auseinandersetzung mit den Themen Schuld und Sühne. Die Vermittlung eines Strebens nach Glück ging komplett an mir vorbei und das kitschige Ende empfand ich geradezu haarsträubend und schon fast eine Beleidigung des Lesers, nach der Ankündigung des Verlags als "weisen, großartigen Roman". 

Montag, 21. Juni 2021

Buchrezension: Lina Bengtsdotter - Mohnblumentod (Charlie-Lager-Serie, Band 3)

Inhalt:

In Karlstad wird ein neun Monate altes Baby entführt. Das reiche Elternpaar steht unter Schock, die Medien berichten sensationsheischend über die vergebliche Suche. Eine Lösegeldforderung bleibt aus, vielversprechende Spuren verlaufen im Sand – doch dann erhält die brillante Stockholmer Kommissarin Charlie Lager einen Hinweis, der alles verändert: Der Fall scheint mit ihrer eigenen Familie und ihrer Vergangenheit verknüpft, die sie für immer begraben wollte. Mit jeder Stunde, die verstreicht, werden die Chancen geringer, das junge Leben zu retten. Charlie ist gezwungen, sich nicht nur um Beatrice‘ willen bis an ihre Grenzen zu treiben – sondern auch aus Angst um sich selbst. 

Rezension:

In Karlstad in der schwedischen Provinz Värmland wird ein dreimonatiges Baby entführt. Der Vater des Kindes, Gustav Palmgren, war zuletzt wegen des Verkaufs einer milliardenschweren Website in den Schlagzeilen, aber eine Lösegeldforderung geht nicht ein. Die Stockholmer Kommissarin Charlie Lager soll die Ermittlungen der Kollegen vor Ort unterstützen, doch es gibt weder Spuren noch Zeugenhinweise. Weder die Eltern selbst, noch ehemalige Geschäftspartner Palmgrens oder gar die traumatisierte syrische Putzfrau Amina können letztlich als Täter ausgeschlossen werden. 

"Mohnblumentod" ist nach "Löwenzahnkind" und "Hagebuttenblut" der dritte Band der Charlie-Lager-Reihe, der wiederum ähnlich mit zwei zunächst unabhängig voneinander erzählten Handlungssträngen aufgebaut ist, wobei das persönliche Schicksal Charlies und ihre sie prägende Vergangenheit eine Rolle spielen. 
Die Ermittlungen mit der Befragung verschiedenster möglicher in den Entführungsfall verwickelter Personen ist spannend geschildert, denn jede von ihnen verstrickt sich in Halbwahrheiten und scheint etwas zu verbergen zu haben. Die Polizei steht deshalb vor einem Rätsel und je weiter die Zeit verstreicht desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit die kleine Beatrice lebend wiederzufinden. 

Parallel zu der Handlung in Karlstadt wird aus der Perspektive der 15-jährigen Sara die Geschichte zweier Mädchen in einem Erziehungsheim geschildert. Beide haben schlimme Enttäuschungen erlebt und fühlen sich dadurch miteinander verbunden. 
In welchem Zusammenhang die beiden Handlungsstränge stehen und was diese mit der Vergangenheit Charlie Lagers und dem gestörten Verhältnis zu ihrer Mutter zu tun haben, lässt sich nicht erahnen. 
Am Ende werden beide Erzählebenen schlüssig zusammengefügt und offenbaren beklemmende, tragische Geschichten, die aus dem anfänglichen reinen Kriminalfall einen düsteren Psychothriller machen. 
Um ein Gefühl für die privat kaputt, aber beruflich umso akribischere Ermittlerin Charlie Lager zu bekommen, ist es empfehlenswert die beiden Vorgängerromane zu lesen, die bereits Teile ihrer belastenden Vorgeschichte erzählen. 

Samstag, 19. Juni 2021

Buchrezension: Lucy Dillon - Das kleine große Glück

Inhalt:

Nach ein paar schwierigen Jahren, die sie am liebsten vergessen würde, fängt die dreiunddreißigjährige Gina Bellamy noch einmal ganz von vorne an. Dabei stellt sie fest, dass all die Habseligkeiten, die sich im Laufe der Zeit angesammelt haben, gar nicht mehr so recht zu ihr passen. Gina fasst einen Entschluss: Sie behält nur die 100 Dinge, die ihr am wichtigsten sind. Der Rest wird verschenkt oder verkauft. Doch während sie ihr Leben aufräumt, muss sich Gina nicht nur ihrer Vergangenheit stellen – sie erlebt auch eine Zeit voller Überraschungen, Freundschaft und Liebe und erkennt, was wirklich wichtig ist. 

Rezension: 

Die 33-jährige Gina Bellamy lebt in Scheidung von ihrem Ehemann Stuart, der sie wegen einer anderen Frau verlassen hatte. Als Gina in eine deutlich kleinere Wohnung zieht, ist sie umgeben von unzähligen Umzugslisten und stellt fest, dass sie viel zu viele Besitztümer hat. Sie ist gezwungen, auszusortieren, was gleichzeitig aber auch eine Erleichterung ist, um Ballast aus der Vergangenheit loszuwerden. Einiges kann sie verschenken oder für einen guten Zweck spenden. Am Ende möchte Gina sich auf 100 Dinge beschränken, die ihr wichtig sind. Während sie neben ihrer Arbeit als Projektmanagerin für alte Häuser täglich mit dem Aussortieren beschäftigt ist, kommen Erinnerungen in ihr hoch, die sie bewegen. Sie reflektiert ihre Ehe, die sie nicht glücklich gemacht hat, denkt an ihre Krankheit zurück, die sie überstanden hat und trauert noch immer ihrer ersten Liebe Kit hinterher oder vielmehr der unbeschwerten Zeit, die sie als junge Studentin hatte. 
Während das Verhältnis zu ihrer Mutter Janet angespannt ist, ist ihre beste Freundin Naomi seit Schulzeiten an ihrer Seite und gibt ihr auch nach der Trennung von Stuart Halt, motiviert sie für einen Neuanfang und nicht zu resignieren. Dabei lernt Gina neue Menschen kennen, schließt Freundschaften zu einer guten Ratgeberin und hat plötzlich auch noch einen gepeinigten Greyhound an ihrer Seite. 

Jedes Kapitel des Romans hat einen bestimmten Gegenstand aus dem Besitz von Gina als Titel. Irritierend ist jedoch, dass dieser Gegenstand in dem Kapitel häufig nur eine untergeordnete Rolle spielt oder überhaupt nicht erwähnt wird. Den Aufbau des Romans fand ich deshalb weniger gelungen, weil die Frage der Erwähnung des Gegenstands von der eigentlichen Geschichte ablenkt. 
Sieht man darüber hinweg, ist der Roman eine feinfühlige, empathische Erzählung über eine junge Frau, die sich gescheitert fühlt und vor einem privaten Neuanfang steht. Gina ist in ihrem Beruf als Projektmanagerin für die Restaurierung und Sanierung alter Häuser selbstsicher und bei der Beratung ihrer Auftraggeber in ihrem Element. Privat ist sie dagegen zurückhaltend und schließt nicht schnell Kontakte zu anderen. 

Durch ihre Erinnerungen, die nicht chronologisch geschildert werden, erfährt man, was Gina schon in ihrem Leben durchgemacht hat und was nun ihr Verhalten prägt. Mit vielen Erinnerungen tut sie sich schwer, weshalb dem Leser nur zögerlich Details aus ihrer Vergangenheit bekannt werden. Wie sie ihre Krankheit durchgestanden hat und woran ihre erste Liebe zerbrochen ist, erfährt man nur allmählich. Die Autorin schafft es dadurch dem eher ruhigen Roman Spannung zu verleihen, denn gerade der Bruch mit Kit scheint etwas in Gina zerbrochen zu haben und ihr noch heute im Wege zu stehen. 

In "Das kleine große Glück" begleitet man Gina auf ihrem neuen Lebensweg und lernt über Rückblenden und ihre Erinnerungen Details aus ihrem vergangenen Leben. Die Gegenstände, die Gina weggibt oder sich entscheidet, zu behalten, stehen dabei symbolisch für das Abwerfen von Ballast und die Konzentration auf ausgewählte wichtige Dinge, die ihre Person ausmachen oder sie glücklich machen. 
Die Geschichte ist facettenreich und unterhaltsam und berührt aufgrund Ginas Schicksalsschlägen und ihren Mut für einen Neuanfang. Auch besteht die Hoffnung einer neuen Liebe zu einem Mann, der besser zu ihr passt, als ihr Exmann. 
Die 100 Gegenstände, die im Klappentext erwähnt werden, und die Kapitelüberschriften mit diversen anderen Gegenständen hätten der Geschichten einen Rahmen geben können, was in der Umsetzung jedoch nicht gelungen ist. Viele Gegenstände rufen zwar Erinnerungen in Gina hervor und führen zu Rückblenden, der Bezug ist jedoch bei den allermeisten Utensilien marginal und nicht relevant für die Geschichte, was ich mir anders vorgestellt hatte. 

Fazit: Die bittersüße Geschichte über Ginas Neuanfang ist unterhaltsam und bewegend, die Buchbeschreibung könnte jedoch falsche Erwartungen wecken. 

Freitag, 18. Juni 2021

Buchrezension: Nicole Wollschlaeger - Elbschuld

Inhalt:

Als der Berliner Hauptkommissar Philip Goldberg seine neue Stelle in der Elbmarsch antritt, ist es mit der Beschaulichkeit schlagartig vorbei. Obsthofbesitzerin Hilde Deterding taucht plötzlich im Revier auf und behauptet, ihr verstorbener Mann Arthur trachte ihr nach dem Leben. Zum Leidwesen seiner neuen Mitarbeiter Hauke Thomsen und Peter Brandt nimmt Goldberg die Ermittlungen auf. Schon kurz darauf wird Hildes Hund vergiftet, ihre Steiff-Tier-Sammlung brutal geschändet und überall findet die Spurensicherung die Überreste menschlicher Asche.
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion gräbt Goldberg die Urne des Verstorbenen aus. Doch statt der Asche findet er etwas, das selbst den skeptischen Thomsen überzeugt. Und der Wettlauf um das Leben von Hilde Deterding beginnt. 

Rezension:

Kurz nachdem der Berliner Hauptkommissar Philip Goldberg in dem kleinen norddeutschen Örtchen Kophusen seinen Dienst angetreten hat, meldet sich die herrische Obsthofbesitzerin Hilde Deterding auf dem Revier und behauptet, dass ihr Ehemann sie töten möchte. Besagter Ehemann ist allerdings seit drei Jahren tot und eingeäschert auf dem Friedhof, weshalb die Polizisten Hauke Thomsen und Peter Brandt Frau Deterding im Gegensatz zu Goldberg, der Paranormalem nicht ganz abgeneigt ist, nicht ernst nehmen. 
Als dann jedoch ihr Hund mit Rattengift getötet und wenig später ihr geliebtes Steiff-Stoffschaf Mia geschändet in ihrem Schlafzimmer aufgefunden wird, wird der Fall auch für die Provinzpolizisten interessant, die ihren neuen Vorgesetzten zwar etwas merkwürdig finden, sich aber mit Elan zusammen mit Goldberg an die Ermittlungen begeben. 

"Elbschuld" ist ein unterhaltsamer Regionalkrimi, bei dem der Klappentext schon viel verrät und bei dem durch den Titel bereits angenommen werden kann, dass sich jemand an Hilde Deterding rächen möchte. Die Lage für die ältere Dame, die fest davon überzeugt ist, dass ihr toter Ehemann ihr nach dem Leben trachtet, wird zunehmend bedrohlicher. Goldbergs Anliegen ist es, tunlichst einen Mord in dem beschaulichen Dorf zu vermeiden und aufzuklären, wer für die geschmacklosen Aktionen verantwortlich ist, die Hilde Deterding als verrückt darstellen oder ins Grab bringen sollen. Als Motiv kommt Bereicherung in Frage, aber kann es wirklich so offensichtlich sein, dass ihre Erben sie vorzeitig unter der Erde sehen wollen? Und was hat es mit dem dubiosen Hausangestellten auf sich, dem Frau Deterding blind vertraut? Je tiefer Goldberg und seine Kollegen ermitteln, desto mehr Personen kommen als potenzielle Täter oder Involvierte in Frage. 

"Elbschuld" ist der Auftakt einer inzwischen fünfteiligen Buchreihe um den frisch nach Kophusen versetzten Hauptkommissar und Kaffee-Gourmet Goldberg, über dessen persönlichen Hintergrund man zunächst nur wenig erfährt und schon damit Potenzial für weitere Bände schafft. 
Der Fall ist zu Beginn mysteriös, die Ermittlungen facettenreich und interessant abwechselnd aus den Perspektiven aller drei Polizisten geschildert. Der Roman konzentriert sich ganz auf die Auflösung des Falls ohne sich mit dem Privatleben der Ermittler aufzuhalten. Diese wirken durch ihre kleinen Fehler menschlich und sympathisch und passen in das kleine Nest Kophusen, in dem jeder jeden kennt. 
Durch die Streitigkeiten, die innerhalb der Familie Deterding herrschen, wird der Fall zunehmend spannender, denn Frau Deterding wurde von ihren Kindern nie als liebende Mutter empfunden, verbirgt ein Geheimnis und hat damit Schuld auf sich geladen, was den Hass unter den Beteiligten geschürt hat. 

Am Ende ging es mir mit der Auflösung etwas zu schnell, da die Zusammenhänge nur sehr knapp beschrieben wurden und vielleicht auch deshalb etwas konstruiert wirkten. Dennoch ist "Elbschuld" ein solider, unblutiger Kriminalfall, der zwar nicht für Nervenkitzel sorgt, aber durchaus spannend geschildert ist und für vergnügliche Lesestunden sorgt. 

Mittwoch, 16. Juni 2021

Buchrezension: Izabelle Jardin - Erntejahre (Die Warthenberg-Saga 3)

Inhalt:

Evas Tochter Bettina wird in eine zerrissene Welt hineingeboren. Sie ist noch ein kleines Mädchen, als der Bau der Berliner Mauer das Land und ihre Familie trennt. Die Bilder verfolgen sie ein Leben lang: Hilflos muss sie mit ansehen, wie Grenzsoldaten verhindern, dass Eva ihre Mutter Constanze noch einmal in die Arme schließen und sich mit ihr aussöhnen kann. 
Im freien Westen der siebziger Jahre reift Bettina zu einer politisch engagierten jungen Frau heran, die sich schon früh der Friedensbewegung anschließt. Dann steht plötzlich ihr unbekannter Halbbruder aus den USA vor der Tür und Bettina ahnt, wie wenig sie über ihre eigene Familie weiß. Sie will Antworten und beginnt Fragen zu stellen. 

Rezension: 

Bettina wird 1958 in Braunschweig geboren und muss drei Jahre später miterleben, wie ihre Großmutter Constanze durch den Bau der Berliner Mauer von ihnen getrennt wird. Jahrelang haben sie keinen Kontakt mehr zu Constanze und Clemens und wissen nicht, was mit ihnen in der DDR geschehen ist. Bettina wächst in einer politisch bewegten Zeit in den 1960er- und 1970er-Jahren auf und interessiert sich sehr für das Tagesgeschehen. Sie verurteilt Konflikte wir den Vietnamkrieg, den Hass zwischen Arabern und Israelis und den Terrorismus, den sie in Deutschland während der Olympischen Spiele 1972 in München oder später während des "Deutschen Herbstes" erleben muss. Ihr Interessen möchte sie zum Beruf machen und Journalistin werden. Neugierig ist sie jedoch auch in Bezug auf ihre eigene Familie, denn wie schon Großmutter Constanze ihre Geheimnisse hatte, hat ihr auch Mutter Eva längst nicht alles aus der Vergangenheit erzählt. Erst als sich ein ihr bisher unbekannter Halbbruder aus den USA ankündigt, öffnen sich ihr ihre Eltern. 

"Erntejahre" ist nach "Libellenjahre" und "Wunderjahre" der abschließende dritte Band der Warthenberg-Saga. Er beginnt im Jahr 1958 mit der Geburt Bettinas und setzt damit nahtlos an Teil 2 an. Durch Rückblenden und Wiederholungen aus andere Perspektive ist ein Einstieg in den Roman problemlos möglich. 
Die Geschichte handelt auf zwei Zeitebenen und wird in ihrer Gegenwart aus der Sicht der heranwachsenden Bettina und in der Vergangenheit, die mit der Gegenwart gleichzieht, aus der Perspektive von Constanze geschildert. Auf diese Weise können die aufgetretenen Fragen aus Band 2 geklärt werden, denn endlich wird klar, was Constanze und Clemens erleiden mussten und warum kein Kontakt zu ihrer Familie im Westen möglich war. 
Im Rahmen der Geschichte der von Warthenbergs werden viele historische Ereignisse, die Deutschland bewegten, erwähnt und eingebettet. Der Roman wirkt damit sehr authentisch, allerdings kam mir dabei die eigentliche Familiengeschichte etwas zu kurz. Im Schweinsgalopp rast man durch die jüngere deutsche Geschichte von 50 Jahren auf nicht einmal 400 Seiten. Diese Hast wird durch die kurzen Sätze, die im Extremfall nur ein oder zwei Worte umfassten, noch verstärkt. 
Für meinen Geschmack passierte dagegen zu wenig in Bettinas Leben und die für ihre Person wichtigen Ereignisse wie das Kennenlernen ihres Halbbruders oder die Liebe zu ihrem Nachbarn wurden sehr schnell und wenig emotional abgehandelt. Gerade die Beziehung zu Mathias wirkte deshalb wenig glaubwürdig auf mich, die Begegnung mit ihrer Verwandtschaft in England war mir ein zu plumper Zufall und hätte durchaus anders gelöst werden können. Weiterhin fehlten mir in dem Buch Probleme der Charaktere oder Widersacher, die der Geschichte Spannung, Tiefe und mehr Pepp verliehen hätten. Die Protagonisten waren zu glatt und allesamt langweilig gutherzig. 

Wer Teil eins und zwei der Warthenberg-Saga gelesen hat, muss auch den Abschluss der Trilogie lesen, um wichtige Fragen beantwortet zu bekommen. Die Autorin verbindet auch im dritten Teil wieder geschickt historische Wahrheiten mit der fiktionalen Familiengeschichte, legt für mein Empfinden jedoch zu viel Aufmerksamkeit auf den Rahmen der Handlung und zu wenig auf Bettina und das, was sie persönlich bewegt. Im Vergleich zu den vielen - zwar interessanten - Fakten enthielt mir dieser Roman zu wenig Persönlichkeit und Emotionen. 

Montag, 14. Juni 2021

Buchrezension: Martina Borger und Maria Elisabeth Straub - Katzenzungen

Inhalt:

Was als heiterer Ausflug beginnt, entpuppt sich für die langjährigen Freundinnen Dodo, Nora und Claire als Reise in eine Vergangenheit, die alles andere als unbelastet war. Katzenzungen erzählt die Geschichte dreier eng miteinander verbundener Frauen, aus jeweils wechselnder Perspektive. Aus den verschiedenen Sichtweisen setzt sich allmählich ein Bild zusammen, das so vielschichtig ist wie das Leben und die drei Protagonistinnen selbst – mal witzig, mal traurig, mal verletzend kaltschnäuzig, mal überraschend liebevoll. 

Rezension: 

Nora, Dodo und Claire sind seit über 30 Jahren befreundet und verbringen seit zehn Jahren einmal im Jahr einen Kurzurlaub miteinander. Während Nora die Reise organisiert hat und sich allein schon auf das gemeinsame Picknick im Zug freut, sind Dodo und Claire zurückhaltend. 

Der Roman wird abwechselnd aus der Perspektive einer der drei Frauen Anfang 40 geschildert. Die Kapitel sind kurz und jeweils nur auf wenige Seiten beschränkt. Sie beschreiben die sechs Tage, die sie in diesem Jahr gemeinsam verbringen, aber auch insbesondere ihre Gefühlslage und Gedanken, die sie hegen. 
Anders als man es sich von einer langjährigen Frauenfreundschaft erwartet, sind die Gedanken nicht voller schöner Erinnerungen an eine gemeinsame Zeit, sondern geprägt von Missgunst, Neid und Eifersucht. Keine scheint der anderen ihr vordergründiges Glück zu gönnen und die beiden anderen wirklich zu kennen. Jede trägt ein Geheimnis mit sich herum, das sie belastet und gerne teilen würde, aber nicht den Mut dazu hat. Die Stimmung ist gedrückt, denn eigentlich sollte diese Jubiläumsreise eine Wende darstellen. Dabei ist schwer einschätzbar, ob die fragile Freundschaft einen "reinen Tisch" aushalten und nicht ganz zerbrechen würde oder ob die schwierigen Beziehungen untereinander nicht endlich ehrliche Worte brauchen. 

Fragt man sich zu Beginn noch, was die drei eigentlich miteinander verbindet und warum sie sich diese gemeinsame Reise überhaupt antun, die durch die aggressive Stimmung zu einer Tortur wird, wird durch die Verhaltensweisen und die inneren Monologe deutlich, dass jede der Frauen auf ihre Art einsam ist. 
Keine der Frauen ist sympathisch und verhält sich so wie man es von einer Freundin erwarten würde. Es herrscht keinerlei Urlaubsatmosphäre, die Stimmung ist trüb, bitter, und obwohl die drei allein für diesen Jahresurlaub zusammengekommen sind, gehen sie sich aus dem Weg und verbringen die Zeit überwiegend nur zu zweit, während die Dritte außen vor bleibt. 

"Katzenzungen" ist eine melancholische, bedrückende Geschichte über drei Frauen, die vor allem durch negative Erlebnisse miteinander verbunden sind, aber dennoch krampfhaft an ihrer Freundschaft oder dem, was davon übrig ist, festhalten. Es ist wahrlich kein Gute-Laune-Urlaubsroman. Er fesselt jedoch durch die Abgründe, die sich auftun und die Frage, ob es zu einer versöhnlichen Aussprache oder doch zu einem großen Eklat kommen wird, der die noch übrigen zarten Bande endgültig kappt. Und am Ende lässt einen die Geschichte völlig fassungslos zurück, denn Freundschaft ist offenbar ein sehr dehnbarer Begriff. 

Samstag, 12. Juni 2021

Buchrezension: Julie Murphy - Dumplin'

Inhalt:

Willowdean – „16, Dolly-Parton-Verehrerin und die Dicke vom Dienst“ – wird von ihrer Mutter immer nur Dumplin' genannt. Bisher hat sie sich in ihrem Körper eigentlich immer wohl gefühlt. Sie ist eben dick – na und? Mit ihrer besten Freundin Ellen an ihrer Seite ist das sowieso total egal.
Doch dann lernt sie den sportlichen und unfassbar attraktiven Bo kennen. Kein Wunder, dass sie sich hoffnungslos in ihn verknallt – dass er sie allerdings aus heiterem Himmel küsst, verunsichert sie völlig. Plötzlich macht es ihr doch etwas aus, nicht schlank zu sein.
Um ihre Selbstzweifel in den Griff zu bekommen, beschließt Will, sich der furchteinflößendsten Herausforderung in ganz Clover City zu stellen: Sie will am „Miss Teen Blue Bonnet“-Schönheitswettbewerb teilnehmen und allen – vor allem sich selbst – beweisen, dass die Kleidergröße für das ganz große Glück überhaupt keine Rolle spielt. 

Rezension: 

Willowdean Dickson ist 16 Jahre alt, Schülerin an einer High School in der Kleinstadt Clover City und jobbt in einem Imbiss. Ihre beste Freundin ist Ellen, die wie sie ein Fan der exzentrischen Sängerin und Schauspielerin Dolly Parton ist. Sie akzeptiert Will genauso wie sie ist - mit ihrem Übergewicht. Auch Will hat kein Problem mit ihrem Körper. Wie ihre kürzlich an einem Herzinfarkt verstorbene, rund 250 kg schwere, Tante Lucy, die im Gegensatz zu Wills Mutter Rosie nichts von Diäten hielt, geht sie betont selbstbewusst durchs Leben. 
Als sie den attraktiven Bo kennenlernt, der sie nach Feierabend sogar hinter den Mülltonnen des Imbisses küsst, ändert sich für Will alles. Sie zweifelt plötzlich an ihrem Körper und kann sich nicht vorstellen, dass Bo sich nicht an ihrem Übergewicht stört. Auch ist die Beziehung zu ihrer Freundin Ellen, die selbst einen festen Freund hat und sich immer besser mit einer ihrer Kolleginnen aus dem Bekleidungsgeschäft Sweet 16, in dem Will nie ein Kleidungsstück finden würde, versteht, gestört. Die beiden entfremden sich zunehmend. Als Will dann im Zimmer ihrer Tante ein altes Anmeldeformular für den alljährlichen Schönheitswettbewerb in Clover City findet, den ihre Mutter vor Jahren gewonnen hat und in dessen Auswahlkomitte sie sitzt, beschließt Will spontan das umzusetzen, wozu sich ihr Tante offenbar nicht getraut hat: Sie meldet sich an, auch wenn sie nicht denkt, auch nur den Hauch einer Chance zu haben, diesen Kontest zu gewinnen. Ihr schließen sich drei weitere Mädchen an, die auch nicht dafür prädestiniert sind, als Schönheitsköniginnen zu glänzen. Sie möchten den Wettbewerb revolutionieren und zeigen, dass jede das Recht hat, vorurteilsfrei daran teilnehmen zu dürften. 

"Dumplin'" ist ein Jugendroman, der passend zu dem allgemeinen Bodypositivity-Trend ist. Will ist ein selbstbewusstes Mädchen, das dazu steht, dick zu sein, wie sie sich auch selbst bezeichnet. Als sie sich ausgerechnet in ihren gut aussehenden Kollegen verliebt, der zudem selbst Interesse an ihr signalisiert, fühlt sie sich jedoch nicht geschmeichelt und in ihrer Denkweise bestärkt, sondern zweifelt massiv an sich und ihrem Körper. Sie hat Angst davor, dass Bo nicht zu ihr stehen könnte, wenn andere ihre Paarkonstellation in Frage stellen würden. 
Der Roman ist aus der Ich-Perspektive der 16-Jährigen geschrieben, so dass man ihre Gedanken, ihre Ängste und Unsicherheiten - egal ob im Umgang mit ihrem Freund, ihrer besten Freundin oder ihrer Mutter - sehr gut nachvollziehen kann. 
Anhand des Klappentextes hatte ich jedoch erwartet, dass Will mehr zu ihrem Körper steht und durch den Schönheitswettbewerb beweisen sollte, das wahre Schönheit von Innen kommt und dass jeder Mensch auf seine eigene Art und Weise schön ist. Darum fand ich es auch sehr gut, dass sie Unterstützung von drei weiteren Mädchen mit eigenen Makeln bekommt, die an dem Wettbewerb teilnahmen. 
Die Botschaft des Buches, zu sich selbst zu stehen, tolerant gegenüber anderen zu sein und sich nicht von Äußerlichkeiten ablenken oder beeinflussen zu lassen, ist deutlich, aber dennoch hatte ich beim Lesen stets das Gefühl, dass "Dicksein" gleichbedeutend mit "nicht schön sein" ist, was ich schade fand. Gleichzeitig ist dies aber vermutlich leider einfach nur ein realistisches Bild unserer Gesellschaft, in der man Dicken keinen Gewinn eines Schönheitswettbewerbs zutrauen würde. 
Aber nicht nur die Unsicherheiten mit dem eigenen Körper, die vermutlich jedes Mädchen in der Pubertät erlebt, sind sehr bildhaft dargestellt. Auch die Gedanken um die erste Liebe, Eifersüchteleien unter Freundinnen, Meinungsverschiedenheiten mit Erziehungsberechtigten und vor allem die Fragen: Wer bin ich? und Wer will ich sein? sind unterhaltsam, altersgerecht und nicht oberflächlich beschrieben. 

Freitag, 11. Juni 2021

Buchrezension: Emylia Hall - Mein Sommer am See

Inhalt:

Eines Tages bekommt Beth ein Paket. Darin ein Album mit Fotos, Notizen und anderen Erinnerungsstücken, die Beth noch nie zuvor gesehen hat. »Das Buch unserer Sommer«, in dem ihre Mutter Marika die Erinnerung an jene Sommerferien festgehalten hat, die Beth in ihrer Jugend bei ihr in Ungarn verbrachte. Eine Zeit, in der Beth hin und her gerissen war zwischen ihrem zurückhaltenden Vater, mit dem sie im englischen Devon lebte, und der temperamentvollen Mutter, die die Sehnsucht nach der Heimat von ihrer Familie fortgetrieben hatte. Eine Zeit, in der Beth sich nichts sehnlicher wünschte, als endlich ihren Platz im Leben zu finden. Eine Zeit, die mit einer schockierenden Enthüllung endete, als Beth gerade 16 war. Seit damals hat Beth jeden Gedanken an diese Zeit weit von sich geschoben. Doch das Album bringt all ihre Erinnerungen wieder zurück – an die erste Liebe, an flirrend heiße Sommertage und kühle Waldseen. Und an den Tag, an dem alles zerbrach. 

Rezension: 

Nach dem Tod ihrer Mutter erhält die 30-jäirge Beth ein Päckchen aus Ungarn. Es enthält "Das Buch unserer Sommer", ein Album mit Foto und Erinnerungsstücken der Sommer, die Beth zusammen mit ihrer Mutter Marika in Ungarn verbracht hat. In einem Sommerurlaub 1990 am Balaton hatte die gebürtige Ungarin Marika, die erstmalig nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder in Ungarn war, beschlossen, in ihrer Heimat zu bleiben und damit ihren Mann und ihre Tochter verlassen. In den Jahren danach verbrachte Beth sodann ein bis zwei Wochen im Sommer in Ungarn in der Villa Serena bei Marika und ihrem Lebensgefährten, dem Künstler Zoltán. Es waren stets schöne, unbeschwerte Ferien, die viel zu schnell vorbei gingen, die Beth bei ihrer quirligen Mutter verbrachte, bis sie wieder zurück nach Devon zu ihrem Vater fuhr, der sie liebte, aber seit der Trennung sehr in sich zurückgezogen lebte. Ungarn wurde zu einem Sehnsuchtsort, an dem sich Beth trotz der kurzen Aufenthalte im Jahr bald mehr zu Hause fühlte als in dem traurigen Cottage in England. 
Während Beths siebten Sommeraufenthalt in Ungarn erfährt sie eine Wahrheit, die sie in eine tiefe Identitätskrise stürzte und sie derart erschütterte, dass Beth nie wieder zurück nach Ungarn wollte und den Kontakt zu Marika abgebrochen hat. 
Jahrelang hatte Beth die Vergangenheit verdrängt, doch mit dem Album kommen alle Erinnerungen wieder in ihr hoch - die schönen, aber auch die unschönen Momente, die ihr  Leben für immer veränderten. 

Durch Beths Erinnerungen wird man als Leser in die 1990er-Jahre versetzt und erlebt die glücklichen Sommer der jungen Beth durch die bildhaften Beschreibungen lebendig mit. Beth war immer gern in Ungarn und fühlte sich bei Marika und Zoltán wohl, die sich in dieser Zeit ganz nach ihren Wünschen richteten. Für Beth brauchte es jedoch nicht viel, um glücklich zu sein. Sie genoss es durch die umliegenden Wälder zu streunen und den Nachbarsjungen Tamás zu treffen, in den sie verliebt war. Dennoch schwingt in den Erinnerungen immer eine bedrückende Melancholie mit, denn die unbeschwerte Zeit war endlich. Bis der Leser jedoch erfährt, was im Sommer 1997 in Ungarn passierte und was und ihre Mutter entzweite, schwelgt man in den kindlichen, nostalgischen Erinnerungen. 

In der Gegenwart ist spürbar, dass Beth nicht glücklich ist und diesen Teil ihrer Vergangenheit nicht verarbeitet hat. Auch das Verhältnis zu ihrem Vater, mit dem sie als Kind so eng verbunden war, wirkt gegenwärtig unbeholfen und distanziert und muss durch die Auswirkungen des Sommers 1997 erschüttert worden sein. Beths Verletzungen, Enttäuschungen und Bitterkeit treten deutlich zutage und machen neugierig darauf zu erfahren, was ihr widerfahren sein mag. 

"Mein Sommer am See" ist eine bittersüße Geschichte, die in schillernden, bunten Farben die Ferien eines jungen Mädchens bei ihrer Mutter beschreibt. Die Situation in der Gegenwart, in der es Beth zunächst kaum schafft, das Album durchzublättern, das sie an den alles verändernden Sommer erinnern wird, drückt jedoch die Stimmung. Es ist kein unbeschwerter Sommerroman, sondern eine tragische Familiengeschichte mit unversöhnlichen Charakteren, die sich durch jahrelanges, beharrliches Schweigen die Chance auf Versöhnung nahmen, bis es letztlich zu spät war. 

Mittwoch, 9. Juni 2021

Buchrezension: Sylvia Lott - Die Inselgärtnerin

Inhalt:

Sonja ist kaum über die Trennung von ihrem Mann hinweg, als sie auch noch ihren Job verliert. So hält die Gartenarchitektin nichts in der Heimat, als sie überraschend ein Strandhaus in Florida erbt. Dolphin Island ist zauberhaft: pastellfarbene Häuschen und türkisblaues Meer. Bald findet Sonja nicht nur eine neue Aufgabe – sie möchte so schöne wie umweltfreundliche Dünengärten anlegen –, sondern trifft mit Nick Winslow auch einen Mann, der sie tatsächlich zum Bleiben bewegen könnte. Doch irgendjemand will verhindern, dass Sonja Erfolg hat und auf Dolphin Island heimisch wird. Zum Glück gibt es Lebenskünstler Sam, der ihr immer wieder aus der Patsche hilft. 

Rezension: 

Sonja lebt in Scheidung von ihrem Ehemann Michael, der sich ein eine jüngere Frau verliebt hat. Sie hat die Trennung von ihm noch nicht verwunden, als sie auch noch ihre Anstellung als Landschaftsarchitektin verliert. Sonja steht mit 38 Jahren vor den Trümmern ihres Lebens, hat jedoch vor knapp einem Jahr überraschend von ihrer verstorbenen Tante Sandy ein Anwesen in Florida geerbt. Zur Abwicklung wurde bereits ein Nachlassverwalter engagiert, aber nun nutzt sie die Gelegenheit, um vor Ort die Dinge selbst zu klären und verliebt sich dabei in das altmodische Holzhaus und Dophin Island. Sie träumt schon bald davon, sich dort als Landschaftsarchitektin mit einer eigenen Inselgärtnerei selbstständig zu machen und erhält schon kurz nach ihrer Ankunft den Auftrag, das Anwesen eines Multimillionärs auf Juno Island umzugestalten. Während dieser unverhohlen mit ihr flirtet, ist es Philosoph und Ernest Hemingway-Double Sam, ein Bekannter ihrer Tante, der sie bei den Arbeiten tatkräftig unterstützt. 
Alle Zeichen stehen auf Neuanfang, aber die Gründung der Inselgärtnerei stellt sie vor ungeahnte Schwierigkeiten, denn offenbar ist keine Konkurrenz durch eine Frau aus Deutschland gewünscht. 

"Die Inselgärtnerin" ist ein Roman, der nach einem altbewährten Prinzip aufgebaut ist: Frau verliert Mann und Job, erhält ein Erbe und versucht sich daraufhin mit einem Neuanfang an einem anderen Ort. Dort findet sie schnell Freunde, hat jedoch die ein oder anderen beruflichen Probleme bei ihrem Neustart und findet nebenbei vielleicht noch einen neuen Mann fürs Leben. 
So bietet auch dieses Buch nicht allzu viele Überraschungen, hat deshalb auch seine Längen, überzeugt jedoch durch die anschaulichen Beschreibungen der Insel Floridas und der dortigen Flora. Das Anwesen direkt am Meer, das Sonja, die sich schon bald "Sunny" nennt, geerbt hat sowie die Gärten, die sie zum Schutz von Umwelt und Klima nachhaltiger umgestalten möchte, sind bildlich vorstellbar. Auch die schwüle Hitze in den Frühlings- und Sommermonaten und die Abkühlungen im Golf von Mexiko sind spürbar und machen Lust darauf, diesen Ort selbst einmal zu besuchen. Der Motown-Groove, zu dem im örtlichen Kulturzentrum gesungen und getanzt wird sowie der Ernest Hemingway-Wettbewerb sorgen abseits der Pflanzenwelt für Abwechslung. Stimmiger wären diese Episoden gewesen, wenn sie mehr mit Sonja und vor allem auch mit Sandy zu tun gehabt hätten, von der man trotz bewegter Vergangenheit als schauspielende Schwimmerin an der Seite von Stars und Sternchen nur wenige Einzelheiten erfährt. Hier wären Rücklenden in die 1960er-Jahre zur Erfolgsgeschichte von Motown sehr passend gewesen. 

Das Liebesdreieck von Sunny, Millionär Nick und Philosoph Sam konnte mich wenig überzeugen. Der Flirt mit Nick pinselt zwar Sonjas Selbstbewusstsein, bleibt aber auf eine reine körperliche Anziehung reduziert. Emotionen zwischen Sonja und Sam konnte ich gar nicht spüren, eine platonische Freundschaft zwischen den beiden hätte ich als authentischer empfunden. 

Die beruflichen Herausforderungen als Dünengärtnerin Floridas sind etwas sehr blauäugig geschildert. Noch ohne Arbeitserlaubnis übernimmt Sonja bereits einen Auftrag und macht sich erst später Gedanken über eine Selbstständigkeit und die erforderlichen Schritte dafür. Die Folgen ihrer Unbedarftheit und die gegen sie geschmiedeten Intrigen sorgen dann am Ende aber doch noch für Spannung, wobei die Lösung letztlich sehr glücklich ausfällt. 

"Die Inselgärtnerin" bietet eine wenig überraschende Geschichte über einen Neuanfang in einem anderen Land, ist dabei in Bezug auf die beruflichen Ambitionen jedoch stark vereinfacht beschrieben. Die Handlung bleibt oberflächlich, so dass das Buch im Wesentlichen durch die lebendige Beschreibung Floridas, von Land und Leuten, Flora und Fauna überzeugt. 

Montag, 7. Juni 2021

Buchrezension: Miriam Covi - Sehnsucht in Aquamarin

Inhalt:

Polly Reinhardt kann es kaum fassen: Ihre Schwester Jette hat ihre lange verschollene Mutter auf einem Foto entdeckt. Um endlich Antworten zu bekommen, folgen sie der Spur ins malerische Bar Harbor an der Küste Maines. Da das Geld nicht für ein Hotelzimmer reicht, schlagen sie ihr Zelt kurzerhand im nahegelegenen Acadia National Park auf, wo ihre Mutter als Rangerin arbeitet. Während Jette sich Hals über Kopf in einen Hummerfischer verliebt, sorgt der attraktive Ranger und alleinerziehende Vater Liam bei Polly für knisternde Lagerfeuerromantik. Könnte hier in der Ferne tatsächlich die große Liebe auf sie warten? Und wird es Polly gelingen, ihrer Mutter eine zweite Chance zu geben?

Rezension: 

Polly und Jette Reinhardt wurden im Alter von zweieinhalb und knapp fünf Jahren von ihrer Mutter verlassen und sind bei ihrem Vater Walter, der später wieder geheiratet hat, in Stuttgart aufgewachsen. Die ältere Jette ist rastlos, wechselt häufig ihre Jobs, ist dabei weltweit unterwegs und verliebt sich dort häufig in Männer, wobei die Beziehungen nie lange halten. Polly braucht dagegen ihr geordnetes Leben, arbeitet als Übersetzerin von Erotikromanen und Bedienungsanleitungen von Gartengeräten in Stuttgart und lässt Männer nur in Form von One-Night-Stands an sich heran. 
Als Jette durch einen Zufall auf ein Foto ihrer Mutter aufmerksam mit, das in einem Hotel in Ben Harbor in Maine aufgenommen wurde, überredet sie Polly, mit ihr nach Maine zu reisen um nach ihrer Mutter zu suchen. Eva arbeitet dort als Rangerin in einem Nationalpark, was sie über ihren Kollegen Liam erfahren, den Polly schon an ihrem ersten Abend in Ben Harbor kennenlernt. Während Jette und Polly als Touristinnen getarnt im Nationalpark campen und auf diese Weise ihre Mutter näher kommen möchten, fühlt sich Polly immer stärker zu dem alleinerziehenden Vater Liam hingezogen und Polly verliebt sich in Hummerfischer Owen. Ob die beiden ungleichen Schwestern nach dem Kennenlernen und einer Aussprache mit ihrer Mutter ihren Frieden finden können und bereit für die Liebe sind? 

Der Roman ist aus der Perspektive der 31-jährigen Polly geschrieben, die sich nach außen hin tough gibt, einen Schutzpanzer um sich gebaut hat und niemanden zu nah an sich heranlässt. Sie hat im Gegensatz zu ihrer älteren Schwester Jette keine Erinnerungen an ihre Mutter, die sie als kleines Mädchen verlassen hat und verspürt deshalb auch kein Interesse nach dieser fremden Frau zu suchen. Jette dagegen möchte zumindest eine Erklärung dafür haben, warum ihre Mutter vor 29 Jahren einfach so gegangen ist. 
Beide sind traumatisiert und haben Probleme, Beziehungen einzugehen bzw. an ihnen festzuhalten. Sie sind verletzlich, auch wenn sie es nicht zeigen. Polly hält die Menschen auf Distanz und wirkt stark, gleichzeitig aber auch verbittert und wütend. Jette ist dagegen betont fröhlich und stürzt sich geradezu ins Leben.  
In Ben Harbor finden die beiden Schwestern schnell Anschluss und die familiäre Atmosphäre ist schon fast ein bisschen zu glatt. Auch die Parallelen von Pollys und Liams Leben sind etwas überzeichnet. Gut gefallen hat mir die Beschreibung des Ortes Ben Harbor an der Atlantikküste, von Natur, Land und Leuten. Mit heulenden Kojoten, Diner und Blueberry Cheesecake wird die perfekte und ein wenig klischeehafte amerikanische Kulisse anschaulich gezeichnet, was passend zur Handlung ist. 

Die Geschichte ist tragisch, wird jedoch überwiegend humorvoll und vor allem sehr einfühlsam erzählt. Die Charaktere sind menschlich und nahbar, die Dialoge lebendig und gespickt mit Wortwitz, was der Geschichte eine Leichtigkeit gibt. Auch wenn die Handlung etwas vorhersehbar ist und alle Anzeichen auf eine Wende im Leben beider Schwestern stehen, ist die Geschichte nicht ganz ohne Tiefe und vor allem sehr unterhaltsam erzählt. 
Es ist eine Familiengeschichte um eine verlorene Mutter, um Vertrauen, Versöhnung, Familienzusammenführung, Neuanfänge und am Ende auch über die Liebe, die trotz aller Dramen unbeschwert ist und sich perfekt als sommerliche (Urlaubs-)lektüre eignet. 


Samstag, 5. Juni 2021

Buchrezension: Therese Anne Fowler - Gute Nachbarn


Inhalt:

In Oak Knoll, einem Vorort in North Carolina, ist das Leben noch in Ordnung: Die Nachbarschaft ist grün und der Zusammenhalt zwischen den Nachbarn eng. Hier zieht die alleinerziehende Forstwirtschaftlerin Valerie Alston-Holt ihren Sohn Xavier groß. Er ist ein Musiktalent und das College-Stipendium ist ihm so gut wie sicher. Dennoch hat er zu kämpfen, denn Valerie ist schwarz, Xaviers Vater weiß, und er selbst passt nirgends so richtig hin.
Als auf dem Grundstück nebenan die Whitmans mit ihren Töchtern einziehen, verändert sich langsam, aber stetig die Gemengelage in dem kleinen Vorort. Sie sind die scheinbar perfekte weiße Familie, die den amerikanischen Traum lebt. Doch ganz so einfach ist es nicht, denn hinter der Fassade verbirgt sich manches Geheimnis. Manchmal braucht es nur noch eine sterbende Eiche und eine Teenager-Liebe, um eine hübsche Nachbarschaft von einer Katastrophe erschüttern zu lassen. 

Rezension: 

Die Ökologie-Professorin Valerie Alston-Holt lebt in einer Kleinstadt in North Carolina, wo sie nach dem Tod ihres Mannes als Alleinerziehende ihren Sohn Xavier großgezogen hat. Er ist ein guter Schüler und talentierter Musiker und wird nach dem Sommer mit Hilfe eines Stipendiums ein College in San Francisco besuchen. 
Auf dem Grundstück nebenan ist die Familie Whitman eingezogen, ein Ehepaar mit zwei Töchtern. Brad Whitman ist eine lokale Berühmtheit, hat er doch als Selfmade-Man mit einer Firma für Kühlanlagen ein Vermögen gemacht. Er und auch seine Frau sind stets besorgt um das Wohlergehen ihrer Töchter und erziehen diese konservativ. Materiell fehlt es den beiden an nichts, aber ihre Freiheiten sind stark eingeschränkt, was diese jedoch bislang klaglos akzeptierten. Als sich die Älteste Juniper jedoch mit dem Nachbarsjungen Xavier, dem Sohn einer schwarzen Mutter und eines weißen Vaters, anfreundet, tritt der Beschützerinstinkt von Brad deutlich zutage. 
Zu allem Überfluss werden die Whitmans von Xaviers Mutter Valerie auf Schadenersatz verklagt, denn beim Bau ihres Hauses haben sie die große historische Eiche in ihrem Garten beschädigt. 

Der Roman ist aus der Perspektive der namenlosen Nachbarschaft geschildert, die hinter die Fassade der Alstons-Holts und der Whitmans blicken. Auf diese Weise erfährt man peu à peu Details aus dem Leben der Familien, aber auch, was sie in ihrer Vergangenheit erlebt haben und was sie bis heute prägt. Die Sichtweise ist unheilvoll, denn die Nachbarschaft blickt zurück und deutet eine nahende Katastrophe an. 
Die Charaktere bleiben durch diese besondere Erzählweise auf Distanz. Auch empfand ich, dass die Rückblenden in vergangene Zeiten zu abrupt eingerückt wurden und den Lesefluss bremsten, da die Handlung in der Gegenwart zu willkürlich unterbrochen wurde. Nichtsdestotrotz sind die Rückblenden erforderlich, um das gegenwärtige Verhalten der Protagonisten einordnen und besser verstehen zu können. 

Die Autorin spricht in der Geschichte wichtige Themen wie Alltagsrassismus, Privilegien der Weißen, Unterschiede von Arm und Reich und Umweltschutz an. Es sind streithafte und emotional besetzte Themen, die insbesondere die amerikanische Gesellschaft bewegen, aber auch in abgeschwächter Form auf Deutschland übertragbar sind. 

Gut gefallen hat mir die Symbolik der sterbenden alten Eiche, die Brad Whitman aus Unwissenheit, Gleichgültigkeit und Egoismus zerstört. Er ist der eindringende Nachbar, der das Gleichgewicht in dem beschaulichen Oak Knoll stört. Dagegen blieben die Charaktere etwas eindimensional. Brad Whitman empfand ich zu pauschal als bösen weißen Mann dargestellt, nachdem auch noch seine sexuellen Neigungen offenbart wurden. Xavier, der "Nicht-Weiße", war mit seiner Intelligenz und Güte und dem perfekten Sohn-Image sehr idealistisch beschrieben und wurde letztlich in die typische Opferrolle eines US-amerikanischen schwarzen jungen Mannes gedrängt. 
Der Roman bedient mit der Geschichte einerseits eine Reihe von Klischees, andererseits zeigen aktuelle, medienwirksame Ereignisse aber auch, dass die Handlung tatsächlich so hätte passieren können, weshalb ich am Ende zwiegespalten bin. 

Der Roman umfasst wichtige aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen und ist von einer ganz besonderen Erzählweise geprägt. Durch die langatmige und etwas wirre Schilderung in der ersten Hälfte konnte mich der Roman jedoch nicht wie erwartet fesseln, auch wenn er gegen Ende deutlich an Fahrt aufnahm und an Dramatik nicht mehr zu übertreffen war.