Montag, 31. Januar 2022

Buchrezension: Romy Hausmann - Perfect Day

Inhalt:

Seit vierzehn Jahren verschwinden Mädchen im Alter zwischen sechs und zehn Jahren. Rote Schleifenbänder weisen der Polizei den Weg zu ihren Leichen. Vom Täter fehlt seit vierzehn Jahren jede Spur. Eines Abends wird der international renommierte Philosophieprofessor und Anthropologe Walter Lesniak im Beisein seiner Tochter Ann verhaftet. Die Anklage: zehn Morde an jungen Mädchen. „Professor Tod“ titelt die Boulevardpresse. Doch Ann wird die Unschuld ihres Vaters beweisen. Für sie und die LeserInnen beginnt eine Reise in die dunkelsten Räume der menschlichen Seele. 

Rezension: 

Seit vierzehn Jahren verschwinden in Berlin Mädchen im Grundschulalter und werden wenig später tot aufgefunden. Der Täter markiert den Weg zu den Leichen mit roten Schleifen, um die Polizei darauf aufmerksam zu machen. 
Beim Fundort der letzten Leiche wird ein Mann von einem Zeugen gesehen und als dringend tatverdächtig verhaftet. Es handelt sich um den Philosophieprofessor und Anthropologen Walter Lesniak, der bislang ein unbescholtenes Leben führte. Seine Tochter Ann kann sich nicht vorstellen, dass ihr Vater etwas mit den Taten zu tun hat und versucht seine Unschuld zu beweisen, als dieser schweigend in Untersuchungshaft sitzt. Während der Anwalt ihres Vaters Ann zu passiv ist, erhält sie Unterstützung von einem Journalisten, der eine große Story wittert. 

Der Roman ist überwiegend aus der Ich-Perspektive der Tochter des mutmaßlichen Täters geschrieben. Ihr ganzes Leben ist seit der Verhaftung ihres Vaters ins Ungleichgewicht geraten. Sie verstrickt sich in Lügen und Legenden, um sich zu tarnen und gleichzeitig für die Freilassung ihres Vaters zu kämpfen. Sie ist nervös und reagiert fahrig, neigt zu übertriebener Aggressivität. Ihre Wut und ihre Verzweiflung sind spürbar. 
Neben der Sicht Anns gibt es eine "Wir"-Perspektive, bei der es sich um den mutmaßlichen Täter und sein Opfer handelt. Die Beschreibungen sind nicht detailliert, aber dennoch grausam. Man mag sich nicht vorstellen, was die jungen Mädchen vor ihrem Tod durchmachen mussten. 
Weiterhin erhält  man Einblicke in Anns Kindheit, die wie ein Tagebuch verfasst sind und die für ihr Alter als Sieben- bis Elfjährige sehr reif wirken und nachdenklich stimmen. 
Durch ein Gespräch mit dem Täter dreieinhalb Jahre nach der Verhaftung von Walter Lesniak erhält man Gewissheit, dass der wahre Täter gefasst wurde. Es ist jedoch unklar, um wen es sich handelt. In der Befragung wirkt er eloquent und fast schon überheblich. Er fühlt sich dem Gesprächspartner überlegen und zeigt keinerlei Emotionen oder gar Schuldgefühle

Die unterschiedlichen Abschnitte sind klar gekennzeichnet, so dass die Perspektivwechsel nicht verwirrend wirken. der Leser wird bei der Tätersuche, die nicht aus der Sicht der Polizei, die bereits einen Täter verhaftet hat, sondern allein aus Anns Sicht geschildert ist, mehrfach auf falsche Fährten geführt. Anns Handlungen sind unüberlegt und unorthodox. Während ihrer Recherchen begegnet sie verschiedenen Personen, die sich seltsam verhalten und verdächtig machen. 

Auch wenn vieles in der Geschichte überzogen wirkt und sich nicht nur Ann mitunter extrem verhält, ist der Thriller fesselnd geschrieben. Durch das beharrliche Schweigen des mutmaßlichen Täters, die Undurchsichtigkeit der Charaktere sowie zahlreiche Wendungen fesselt die Suche Anns nach dem Schleifenmörder unwillkürlich, wobei man sich bis zum Schluss nicht sicher sein kann, ob Ann nicht zumindest mittelbar mit dem Schleifenmörder verstrickt ist. 

Der Thriller ist zwar nicht wirklich komplex und die Charaktere alles andere als sympathisch, aber dennoch entwickelte die Geschichte eine Sogwirkung, weshalb sie mich insgesamt fesseln, gut unterhalten und mit einer schlüssigen Auflösung überzeugen konnte. Die Geschichte zeigt eindrücklich, wie sehr die Angehörigen - seien es die der Opfer oder die der Täter - unter den Taten leiden und welche krassen Auswirkungen sie auf ihr Verhalten und ihr Leben haben kann. Die Mischung aus Thriller, Krimi und Familiendrama hat mir gut gefallen. 


Samstag, 29. Januar 2022

Buchrezension: Ruth Ware - Nur wir drei

Inhalt: 

Nach einer großen gemeinsamen Reise stehen sich die drei Freundinnen Lana, Judith und Catrin näher denn je. Ihre Verbindung wird ein Leben lang halten, dessen sind sich die jungen Frauen sicher. Doch sie können nicht die Herausforderungen vorhersehen, denen sie sich in den nächsten Jahrzehnten noch zu stellen haben. Dass keine Bindung so stark ist wie die zur besten Freundin, das wird ihnen erst bewusst, als sie beinahe den Halt zueinander verlieren. Aber wenn es sich nicht lohnt darum zu kämpfen, worum dann? 

Rezension:

Nach einem Prolog in der Gegenwart wird die/ der Leser*in 31 Jahre zurück in das Jahr 1986 versetzt. Catrin Kelly, Judith Harris und Lana Llyod sind beste Freundinnen seit sie fünf Jahre alt sind und reisen nach ihrem Schulabschluss gemeinsam nach Griechenland, um noch einmal Zeit miteinander zu verbringen, bevor sich ihre Wege trennen werden. Während die bodenständige Catrin in Wales bleibt, um in Cardiff Medizin zu studieren, zieht die von einer instabilen Familie geprägte Judith für ein Studium der Wirtschaftswissenschaften nach London und die quirlige Lana besucht eine Schauspielschule in Guildford. 
Auch wenn sich die drei Freundinnen nicht mehr jeden Tag sehen können, bleiben sie eng miteinander verbunden und treffen sich häufig. Dass alle drei ganz unterschiedliche Persönlichkeiten sind und ganz eigene Erwartungen an ihr Leben haben, wird nach der unbeschwerten Kinderfreundschaft als Erwachsene deutlich. Geprägt von Problemen in der Familie und dem Eingehen neuer Beziehungen verändert sich auch das Verhältnis der Freundinnen untereinander. Sie werden sich fremd, finden jedoch immer wieder zueinander zurück und geben sich in schwierigen Zeiten Halt und verbringen die schönen Momente des Lebens gemeinsam. 

Der Roman ist abwechselnd aus der Sicht einer der drei Freundinnen geschildert, so dass man sich in jede von ihnen gut hineinversetzen und ihr weiteres Leben verfolgen kann. Catrin ist geradlinig und hat in der Freundschaft die Rolle der Vermittlerin inne, während Lana selbstbewusst und hedonistisch veranlagt ist und Judith eher in sich gekehrt ist und nicht schnell Vertrauen fassen kann. 

Die Geschichte beschreibt den Urlaub in Griechenland, die Folgen der Erlebnisse vor Ort und die Zeit der Abnabelung von Zuhause und das Erwachsenwerden nach der gemeinsamen Schulzeit ausführlich. Durch die unterschiedlichen Entwicklungen von Catrin, Judith und Lana kommt es zu Konflikten und Geheimnissen zwischen ihnen, was für Zündstoff sorgt. Sodann erfolgt ein Zeitsprung in das Jahr 2005, als die Freundinnen in den 30ern jeweils sesshaft geworden sind, bevor die Geschichte in der Gegenwart knapp zwanzig Jahre später im Jahr 2017 endet und den Kreis zum Prolog schließt. 

"Nur wir drei" beschreibt die jahrelange Freundschaft dreier Mädchen aus einem fiktiven Ort in Wales, die nach einem letzten gemeinsamen Urlaub als Erwachsene ihre eigenen Wege gehen, die Freundschaft durch eine zunehmende Entfremdung gefährdet wird, jedoch nie ganz zerbricht. Das Band zwischen den Frauen wird nach all den Jahren und erfolgten Verletzungen brüchig, ist aber letztlich so dick, dass sie trotz unterschiedlicher Ansichten und Lebenswege auf die anderen beiden nicht verzichten möchten. 
Man erlebt alle Höhen und Tiefen mit, leidet mit den dramatischen und freut sich über die glücklichen Momente, die sie teilen. Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen - alle wichtigen Stationen im Leben der Freundinnen erlebt man anschaulich mit. 
Aufgrund des unterschiedlichen familiären Hintergrunds und der individuell gezeichneten Persönlichkeiten ist die Geschichte abwechslungsreich und entwickelt sich dynamisch weiter. Als Erwachsene rückt der Fokus weg allein von der Beschreibung der Freundschaft hinzu weiteren emotional besetzten Themen wie Liebe, Familie, Zusammenhalt und Vertrauen und geben der Erzählung Tiefe.
Die Geschichte ist lebendig geschildert und es ist eine Freude, die drei auf ihrem Lebensweg zu begleiten. Trotz Enttäuschungen und trauriger Erlebnisse hinterlässt der Roman am Ende ein gutes Gefühl, indem er zeigt, was Freundschaft alles aushalten kann, aber dass es auch Differenzen geben kann, die selbst die innigste Freundschaft nicht kitten kann. 

Freitag, 28. Januar 2022

Buchrezension: Eva Neiss - Das Leben in unseren Händen

Inhalt:

1939: Mit einem der letzten Schiffe gelingt Hannah und Ada Rosenbaum die Ausreise aus Deutschland nach New York. Während Hannah davon träumt, Ärztin zu werden, ist ihre Schwester Ada schwanger, verheimlicht jedoch den Kindsvater. Kaum sind sie in New York angekommen, kommt Adas Tochter zur Welt – viel zu früh. Hannah kann ihre Nichte nur vor dem sicheren Tod bewahren, weil sie diese in die Obhut des berühmten Martin A. Couney übergibt, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Frühgeborene zu versorgen. Kann er den Säugling retten? Während Hannah wochenlang um das Leben ihrer Nichte bangt, kann sie nicht umhin, die Arbeit von Mr. Couney zu bewundern. Als er ihr anbietet, in seinem Krankenhaus zu arbeiten, ergreift sie die Chance – und kommt ihrem Traum Stück für Stück näher. 

Rezension: 

1939 flüchten die beiden Jüdinnen Ada und Hannah Rosenbaum von Deutschland nach Amerika, um in New York ein neues Leben zu beginnen. Während sie auf ihre Eltern und  ihren jüngeren Bruder warten, werden sie von ihrer Tante Judith und ihrem Onkel Simon aufgenommen, die sie bisher nicht kannten. Kurz nach ihrer Ankunft bringt Ada im siebten Monat ein Kind zur Welt. Das Krankenhaus gibt dem Frühchen keine Chance, aber Hannah kann das Mädchen zu einem Arzt bringen, der sich auf Frühgeburten spezialisiert hat und den Säugling unentgeltlich bei sich aufnimmt. 
Während Ada sich heimlich gewünscht hat, dass das uneheliche Kind nicht überleben würde, kümmert sich Hannah liebevoll um ihre Nichte. In Deutschland hatte sie gerade noch ihre Ausbildung als Krankenschwester beenden können und träumt nun davon Ärztin zu werden. Sie ist jedoch schon glücklich, eine Anstellung bei Dr. Couney zu erhalten, um die Frühgeburten zu versorgen. Ada hingegen versucht durch eine möglichst baldige Heirat Fuß in New York zu fassen. 

"Das Leben in unseren Händen" ist ein Roman, der historische Fakten um den Arzt Martin Couney mit einer fiktiven Geschichte um die beiden jüdischen Schwestern Ada und Hannah Rosenbaum verbindet. 
Hannah ist die Protagonistin, aus deren Sicht der Roman geschildert ist und die nicht nur aufgrund der Erzählweise sondern insbesondere aufgrund ihrer Persönlichkeit viel nahbarer wirkt, als Ada. Hannah ist eine warmherzige junge Frau, die sich gewissenhaft auf den Neuanfang in New York vorbereitet hat und ambitioniert von einem Beruf als Ärztin träumt. Ada ist mehr auf ihren eigenen Vorteil bedacht und gibt sich damit zufrieden, "die Frau von" zu sein. 

Der Schreibstil der Autorin ist anschaulich und lebendig. Medizinische Fakten und die Entwicklungen im Hinblick auf die Behandlung von Frühgeburten oder in Bezug auf psychische Erkrankungen werden reibungslos mit den Lebensgeschichten der beiden Schwestern verbunden. Selbst die Ortsbeschreibungen sind so liebevoll bis ins Detail verfasst, dass man sich bildhaft in das New York der damaligen Zeit versetzt fühlt. 

Hannah ist ein einnehmender Charakter, den man gern auf seinem Neuanfang in New York begleitet. "Das Leben in unseren Händen" ist ein hervorragend recherchierter Roman, der vor dem Hintergrund des beginnenden Zweiten Weltkrieges interessante Einblicke zur Stadtgeschichte, der Situation von Einwanderern und den Entwicklungen in der Medizin mit einer berührenden Lebens- und Liebesgeschichte einer jungen Deutschen einfließen lässt, die es durch ihre Zielstrebigkeit, ihr Engagement und ein unheimlich großes Herz schafft, in der Fremde neu zu beginnen. 

Mittwoch, 26. Januar 2022

Buchrezension: Anna Schneider - Grenzfall: Ihr Schrei in der Nacht (Jahn und Krammer ermitteln, Band 2)

Inhalt:

Nichts geht mehr in der Grenzregion Karwendel, heftige Schneefälle bringen über Nacht alles zum Erliegen. Mitten im Chaos verschwindet in der Jachenau eine junge Frau auf dem Weg zu ihrem Elternhaus. In Innsbruck kommt es zu einem Zwischenfall in einem Studentenwohnheim, zwei Studentinnen werden seither vermisst.
Alexa Jahn und Bernhard Krammer haben alle Mühe, unter den erschwerten Bedingungen grenzübergreifend zusammenarbeiten, als zwei weitere Vermisstenmeldungen eingehen. Ein Zufall ist nun ausgeschlossen, die Fälle müssen zusammenhängen.
Bald beschleicht Bernhard Krammer eine ungute Ahnung, er fühlt sich an einen alten Fall erinnert. Doch noch bevor er Alexa Jahn einweihen kann, macht sie einen folgenschweren Fehler. 

Rezension: 

In der Jachenau im Tölzer Land verschwindet eine junge Frau nachts im Schneetreiben spurlos, als sie auf dem Weg zum Hof ihrer Eltern ist. Wenig später werden zwei weitere junge Menschen vermisst, die aus der Nähe stammen. 
Zeitgleich werden zwei Studentinnen aus einem Studentenwohnheim in Innsbruck vermisst. Die Spuren dort weisen allerdings eindeutig auf einen brutalen Überfall hin. 
Auf der deutschen Seite ermittelt Oberkommissarin Alexa Jahn zusammen mit ihrem Kollegen Florian Huber von der Kripo Weilheim, während in Österreich Inspektor Bernhard Krammer und Roza Szabo vom LKA Tirol die Ermittlungen übernommen haben. Unabhängig von einander suchen sie nach den vermissten jungen Menschen, bis sie durch ein in Deutschland gestohlen gemeldetes Fahrzeug, das in Innsbruck in der Nähe des Tatorts gefunden wird, auf die Fälle und mögliche Parallelen aufmerksam werden. 

Kramer fühlt sich an einen lange zurückliegenden Fall ermordeter junger Menschen aus Wien erinnert, bei dem der Täter nicht gefasst werden konnte. Krammer verdächtigt erneut den mutmaßlichen Täter von damals, auch wenn seine Kollegin Szabo befürchtet, dass sich Krammer verrennt. Doch schon im letzten grenzüberschreitenden Fall in der Region Karwendel war es die Intuition Krammers, die letztlich zur erfolgreichen Aufklärung führte. 

"Grenzfall - Ihr Schrei in der Nacht" ist der zweite Band nach dem Auftakt "Grenzfall - Der Tod in ihren Augen" um das grenzübergreifende Ermittlerteam Alexa Jahn und Bernhard Krammer. Der neue Fall handelt nur eine Woche nach dem erfolgreichen Abschluss des ersten Falls, der gleichzeitig der erste Einsatz von Alexa Jahn bei der Kripo Weilheim war, wo sie sich als Neue noch bewähren muss. 
Der zweite Band lässt sich ohne Vorkenntnisse des Auftaktbandes lesen, auch wenn das wissen zu den Figuren und zum besonderen Verhältnis zwischen Alexa und Krammer zum besseren Verständnis beiträgt. Die Aufklärung des Falls ist davon unberührt. 

Der neue Fall handelt lange parallel in Deutschland und Österreich und ist abwechselnd aus der Perspektive von Alexa bzw. Krammer geschildert. In beiden Ländern verschwinden junge Menschen, wobei auf Anhieb keine Gemeinsamkeiten zu erkennen sind. Es ist lange unklar, ob es sich um unabhängig voneinander erfolgte Beziehungstaten handelt oder ob ein Verrückter am Werk ist. 
Die Perspektive der Opfer, die deren Pein darstellt und die Gedanken des Täters, die zwischen den Kapiteln in kursiver Schrift abgedruckt sind, deuten jedoch in eine Richtung, so dass man den Ermittlern einen Schritt voraus ist. 

Während Alexa in ihrer ersten Woche bei der Kripo Weilheim dazugelernt hat und bemüht ist, mit ihrem Kollegen und Konkurrenten Huber als Team zu arbeiten, zieht sich Krammer in sich zurück und versteift sich auf einen Cold Case aus seiner Zeit als Inspektor in Wien, der ihn nicht ruhen lässt. Erst nach gut zwei Dritteln des Romans beginnt die gemeinsame Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Österreich. Dabei bleibt spannend, ob und wie die Fälle zusammenhängen könnten und ob Krammer mit seiner Intuition Recht behält, die schon in Band 1 hilfreich war. 

Wie schon in Band 1 haben mir die individuell gezeichneten, sympathischen Hauptcharaktere gut gefallen. Ihre unterschiedlichen Persönlichkeiten und Herangehensweisen an die Fallaufklärung wirken authentisch und geben der Reihe, zusammen mit den Beschreibungen der Umgebung und den Eigenheiten der Landbevölkerung, ihren eigenen Charme. 

"Grenzfall - Ihr Schrei in der Nacht" ist ein spannender, undurchsichtiger Fall, der mich gut unterhalten hat, auch wenn ich frühzeitig einen Verdächtigen im Visier hatte. Das Motiv konnte ich dabei jedoch nicht erahnen und ist am Ende schlüssiger als die Auflösung in Band 1, weshalb mit dieser Nachfolgeband noch besser gefallen hat. Mit Freude blicke ich schon auf das Frühjahr 2023, wenn mit "Grenzfall - In der Stille des Waldes" Band 3 erscheint. 

Montag, 24. Januar 2022

Buchrezension: Eve Smith - Der letzte Weg

Inhalt:

Bevölkerungsschwund, Bioterrorismus und Medikamentenknappheit gehören im England der nahen Zukunft zum Alltag. Die Regierung hat deshalb ein ebenso radikales wie fatales Gesetz erlassen: Personen über siebzig bekommen keine Antibiotika mehr. Werden sie krank, bleibt ihnen nur noch das Warten auf den Tod oder der Suizid. Kate ist Krankenschwester, doch statt ihre Patienten gesund zu pflegen, hilft sie ihnen nun beim Sterben. Nach einem dramatischen Ereignis beschließt Kate, sich auf die Suche nach ihrer Mutter zu machen, und stößt auf ein lange gehütetes Geheimnis. 

Rezension: 

In naher Zukunft sprechen die Mehrheit der Bakterien nicht mehr auf Antibiotikabehandlungen an, die Anzahl resistenter Superbakterien wächst. Grund ist der fahrlässige Umgang mit Antibiotika durch die Behandlung von Nutztieren, wodurch sie in die Nahrungskette gelangten und das frühzeitige Absetzen der Medikamente bei Erkrankungen. Um die noch wirkungsvollen Antibiotika zu sparen, wurde in England ein Gesetz erlassen, dass Patienten über 70 Jahre vom Zugang zu Antibiotika ausschließt. Schon harmlose Infektionen stellen schließlich das Todesurteil dar. Kate Connelly arbeitet als Krankenschwester auf einer Isolierstation, wo sie erkrankten Menschen Beihilfe zum Suizid leistet. 
Radikale Pro-Leben-Aktivisten protestieren gegen die Regierung und die Gesetzgebung und bedrohen die Angestellten in solchen Krankenhäusern. Auch Kate wurde bereits körperlich attackiert. Ihre Adoptivmutter ist vor Kurzem gestorben, da auch ihr im fortgeschrittenen Alter nicht mehr geholfen werden konnte. Am Todesbett riet sie Kate nach ihrer leiblichen Mutter zu forschen, die sie nie kennengelernt hat. 

Lily Taylor steht kurz vor der Schwelle, dem 70. Geburtstag. Sie leidet an Arthritis und ist in einer luxuriösen Seniorenresidenz untergebracht, wo sie liebevoll umsorgt wird. Als sie eine Postkarte von einem anonymen Absender erhält, wird sie von ihrer Vergangenheit, die sie so lange erfolgreich verdrängen konnte, eingeholt. 

Ungefähr 47 Jahre zuvor, 27 Jahre vor der "Großen Krise" forscht die Engländerin Dr. Mary Sommers in Südafrika als Botanikerin an einem Heilmittel gegen Tuberkulose. Unter dem Druck von Pharmakonzernen und Wissenschaftlern, die den Tod weniger Menschen in Kauf nehmen, um eine Mehrheit zu retten, gerät Mary zunehmend in einen Interessenkonflikt, denn sie hat sich in einen der Pharmakologen verliebt. 

"Der letzte Weg" handelt von der Antibiotikakrise, einem Zukunftsszenario, das - nicht nur vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie - erschreckend realistisch ist. Multiresistente Keime, ein Bevölkerungsschwund, Bioterrorismus, Medikamentenknappheit und eine Ungleichbehandlung von Patienten abhängig von ihrem Alter prägen den Alltag in naher Zukunft. Grenzen sind geschlossen und die Menschen stehen unter permanenter medizinischer Aufsicht um eine Verbreitung von Krankheiten zu verhindern. Abende in Diskotheken oder spontane Umarmungen sind undenkbar. 
Die Beschreibungen dieser schon fast apokalyptischen Zukunftsvorstellung wirken authentisch und werden durch die die vorgestellten Charaktere und ihre Familien lebendig. Die Arbeit als Krankenschwester, die für Kate überwiegend bedeutet, den Patienten zu einem schnellen Tod zu verhelfen, ist grausam und auch die Angst alter Menschen, die sich fast ausschließlich in steriler Umgebung aufhalten müssen, beklemmend. 

Die Autorin verwendet Fachbegriffe, überfordert die/ den Leser*in jedoch nicht. Die Geschichte bleibt durchgehend nachvollziehbar und schlüssig. Die Wechsel der Perspektiven sorgen für Abwechslung und Mini-Cliffhanger, während die Einschübe aus Zeitungsartikeln die Fiktion noch bedrohlicher wirken lassen. 

Es ist eine Mischung aus Medizin-Thriller, Dystopie und Familientragödie, die nicht nur aufgrund des bedrückend realistisch beschriebenen Zukunftsszenarios sondern auch durch die Einzelschicksale der Charaktere spannend und gleichzeitig emotional berührend beschrieben ist. 
Am Ende bleibt nur zu hoffen, dass diese Geschichte keine Prophezeiung, sondern eine Warnung ist, rechtzeitig einzulenken, um ein solches katastrophales Szenario zu verhindern, das nicht nur die Todeszahlen in die Höhe schießen lässt, sondern auch Sozialneid hervorruft und Bürgerkriege provozieren könnte. 

Samstag, 22. Januar 2022

Buchrezension: Cynthia D'Aprix Sweeney - Das Nest

Inhalt:

Die Geschwister Melody, Jack, Bea und Leo Plumb verbindet nur noch die Aussicht auf ihr Erbe. Denn sie alle brauchen dringend Geld. Melody wachsen die Ausgaben für ihr Vorstadthäuschen und die Collegegebühren ihrer Töchter über den Kopf. Antiquitätenhändler Jack hat hinter dem Rücken seines Ehemanns das Sommerhaus verpfändet, und Schriftstellerin Bea will ein größeres Apartment. Doch dann verwendet ihre Mutter das Erbe, um Playboy Leo aus einer Notlage zu helfen. Unfreiwillig wiedervereint, müssen die Geschwister sich mit altem Groll und falschen Gewissheiten auseinandersetzen. Aber vor allem müssen sie irgendwo Geld auftreiben. 

Rezension:

"Das Nest" ist ein Treuhandfonds, den der bereits verstorbene Familienvater Leonard Plumb für seine vier Kinder angelegt hat. Dieser sollte am 40. Geburtstag der jüngsten Tochter Melody ausgezahlt werden. Wenige Monate zuvor verursacht der älteste Sohn Leo jedoch einen Unfall, weshalb Mutter Francie den Fonds als Schweigegeld für das Unfallopfer verwendet, um einen Skandal zu verhindern. Dummerweise hatten die Kinder jedoch mit der Auszahlung eines millionenschweren Erbes gerechnet, so dass sie sich nicht aus ihren bestehenden Finanzkrisen heraushelfen können. Leo vertröstet seine Geschwister zunächst und verspricht, sich um einen Ausgleich zu kümmern, aber dann verschwindet der Lebemann klammheimlich. 

Der Roman ist aus der Perspektive zahlreicher Charaktere geschrieben, dass es zunächst schwerfällt, einen Überblick über alle Figuren zu erhalten und die Zusammenhänge zu erkennen. Es werden nicht nur Szenen aus dem Leben der vier Geschwister Plumb geschildert, sondern auch aus denen von Nebencharakteren, die für die Handlung keine wesentliche Rolle spielen. Auf diese Weise kommt man keinem Charakter wirklich nah, sie blieben distanziert und undurchsichtig. Auch stört die am Anfang sprunghafte Erzählweise den Lesefluss. Die einzelnen Episoden und Rückblenden wirken zusammenhanglos und es fehlt an einer aktiven Handlung, da sich der Roman mehr mit den Gedanken und Sorgen der Protagonisten beschäftigt. 
Erst als der Fokus stärker auf Leo rückt und sein Charakter, der sich als eine arrogante, überhebliche und egoistische Persönlichkeit entpuppt, die keinerlei Unrechtsbewusstsein zu haben scheint, sich seine Schuld nicht eingesteht und für sich selbst einen Neuanfang möchte, wird das Buch interessanter und spannender. Leider verliert sich die Handlung dann erneut in Nebenschauplätzen, so dass sie am Ende nicht spannender sondern ermüdender wird. 

"Das Nest" ist für mich kein klassischer Familienroman, denn dafür fehlte mir eine durchgehende Interaktion der Geschwister. Es bleibt vage, wie die Geschwister gemeinsam aufgewachsen sind und in welchen Verhältnissen sie zueinander stehen. Verbindendes Element scheint einzig der Treuhandfonds zu sein, weshalb sie sich überhaupt um Treffen bemühen. Details aus den Leben der jeweils anderen kennen sie nicht. Die Rolle von Mutter Francie ist nebulös und warum sie das Erbe eingesetzt hat, um negative Schlagzeilen zu vermeiden, wird nicht klar. 

Auch wenn der rote Faden die ausstehende Wiedergutmachung Leos ist, auf die sich die Geschwister verlassen, um ihre finanziellen Probleme zu lösen, verliert sich der Roman in diversen Nebenhandlungen, die völlig beliebig und für den Fortgang der Handlung unerheblich sind, so dass er etwas langatmig und unfokussiert erscheint. Auch die fehlende Nähe zu den Charakteren erschwert es, an ihren Schicksalen teilzuhaben, so dass die Handlung weder sonderlich fesselt noch emotional berührt. 

Freitag, 21. Januar 2022

Buchrezension: Trish Doller - Du hast gesagt, es ist für immer

Inhalt:

Fast ein Jahr ist es her, seit Anna ihre große Liebe verloren hat. Sie weiß, dass sie sich endlich einem Leben ohne Ben stellen muss. Spontan beschließt sie, die gemeinsam geplante Segelreise in die Karibik allein anzutreten. Doch sie merkt schnell, dass sie es als Anfängerin niemals schaffen wird, die ehrgeizige Route ohne Hilfe zu bewältigen. Um nicht aufgeben zu müssen, heuert sie Keane an, einen irischen professionellen Segler. Ähnlich wie Anna kämpft auch er mit einem großen Verlust. Können sie einander helfen, ihre Leben wieder auf einen neuen, hoffnungsvollen Kurs zu lenken? 

Rezension: 

Zehn Monate nachdem ihr Freund Ben Suizid begangen hat, ist Anna immer noch in tiefer Trauer. Als sie dann an die gemeinsame Segeltour erinnert wird, die sie geplant hatten, beschließt sie, diese alleine zu machen und bricht spontan an Thanksgiving von Fort Lauderdale in Florida in Richtung Karibik auf. Das Ziel ist Trinidad, aber schon bei einem ersten Zwischenstopp merkt Anna, dass sie mit ihrer rudimentären Segelerfahrung niemals die weit über Tausend Seemeilen schaffen wird. Durch eine Annonce trifft sie auf den Iren Keane, den sie als Skipper anheuert. Zunächst hat sie Bedenken, einen fremden Mann auf das Segelboot zu lassen, aber Keane wirkt so offen und sympathisch auf sie, dass sie schnell vertrauen fasst. Auch er hat einen Verlust erlitten, an dessen Folgen er zu knabbern hat. Gemeinsam begeben sie sich auf ein Abenteuer, halten an kleinen Inseln und begegnen vielen netten und hilfsbereiten Menschen, die Keane von früheren Touren kennt. 

Anna ist 25 Jahre alt und bricht zu Hause alle Zelte ab, ohne ihrem Arbeitgeber oder ihrer Familie vorher Bescheid zu geben. Für sie ist der spontane Aufbruch eine Chance über den Verlust von Ben hinwegzukommen. Ihre Idee ist einerseits mutig, aber auch naiv, denn sie hat zu wenig Segelerfahrung, um die von Ben geplante Route alleine zu bewältigen. Skipper Keane ist ein Glücksgriff, der sie gleich mehrfach rettet, für den aber auch sie eine Hilfe ist, über seinen Verlust und die Bitterkeit, die er dadurch empfindet, hinwegzukommen. 
Beide Charaktere wirken authentisch, ihre Gefühle, die zwischen Wut und Trauer pendeln, durch die Vorgeschichten nachvollziehbar. Sie sind bald ein eingespieltes Team und man spürt, dass sich aus der Freundschaft mehr entwickeln kann, wenn sie es nur zulassen. Die beiderseitige Verunsicherung steht dem noch im Wege, denn Anna trauert um ihren Freund und Keane möchte nicht nur als Trostpflaster dienen. 
Die gemeinsame Reise und die Herausforderungen, die sie vor allem für Anna birgt, lenkt sie von ihren Sorgen ab und führt sie immer weiter zu einander. 

Die Beschreibungen der Segeltour sind bildhaft, so dass man die Wellen spürt und das Gefühl von Freiheit genießt. Die Karte im Buchumschlag hilft zudem, ein Bild davon zu bekommen, wo sich die beiden befinden und so träumt man sich selbst in die Karibik, wo sie nicht nur auf Buckelwale, Delfine, Riesenschildkröten und Schweine treffen, sondern auch auf unheimlich hilfsbereite Menschen und gleichgesinnte Segler. Es ist schön, die gemeinsamen Glücksmomente mit Anna und Keane zu teilen und zu sehen, welchen Fortschritt insbesondere Anna macht. Die Trennung kurz vor dem Ziel Trinidad erzeugt dann Spannung, ob die Liebesgeschichte, die sich bis dahin so zart und gefühlvoll entwickelt hat, eine Zukunft hat. 

"Du hast gesagt, es ist für immer" ist eine gelungene Mischung aus Reiseroman, Selbstfindungstrip und Romanze vor malerischer Kulisse. 

Mittwoch, 19. Januar 2022

Buchrezension: Lia Louis - Acht perfekte Stunden

Inhalt:

Alles hätte an diesem Tag geschehen können. Doch nie hätte Noelle geglaubt, dass ausgerechnet an diesem Tag ein Schneesturm sie auf der Autobahn festhalten würde – mitten in der Nacht, ohne Handyempfang. Und nie hätte sie gedacht, dass sie plötzlich im Wagen des charmanten Amerikaners Sam sitzen und bis in die frühen Morgenstunden das beste Gespräch ihres Lebens führen würde – acht perfekte Stunden lang. Aber Sam ist auf dem Weg zum Flughafen und beide wissen, dass sich ihre Wege am nächsten Tag für immer trennen werden. Doch was, wenn das Schicksal einen anderen Plan für sie bereithält? 

Rezension: 

Auf dem Rückweg von einem College-Klassentreffen gerät die 32-jährige Noelle Butterby in einen Schneesturm und bleibt im Stau auf der Autobahn liegen. Ihr Handyakku ist leer, weshalb sie ihre sorgenvolle Mutter nicht erreichen kann. Hilfe erhält sie von einem anderen Autofahrer, einem Amerikaner, der sie ihr Handy aufladen lässt und mit dem sie eine angenehme Zeit bis in die frühen Morgenstunden verbringt. Trotz der gegenseitigen Sympathie tauschen sie ihr Handynummern nicht aus. 
Wenige Wochen später begegnen sie sich in einem Krankenhaus wieder, als sie beide jeweils wegen eines Elternteils im Wartebereich sind. Auch während dieser Begegnung nimmt Sam Noelles Kontaktdaten nicht an sich. Doch ihre Wege trennen sich nicht endgültig, was Noelle an das Schicksal glauben lässt. Zwischenzeitlich ist jedoch ihr Exfreund Edward aus Amerika zurückgekehrt und bringt ihre Gefühlswelt durcheinander. 

Der Klappentext verrät nur den Anfang des Romans, weshalb ich auch den Titel nicht als treffend gewählt empfinde. Die "acht perfekten Stunden" sind nur ein Ausschnitt dieses Liebesromans. 
Noelle ist eine junge Frau, die ein Leben mit angezogener Handbremse führt. Sie trauert um ihre Freundin, die vor sechzehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist und kümmert sich aufopferungsvoll um ihre Mutter, die nach einem Schlaganfall an Depressionen leidet. Noelle steckt ihr Träume und Wünsche zurück, um für ihre Mutter da zu sein, die ihr nach dem Tod ihrer Freundin Daisy eine große Stütze war. Statt ihr Hobby zum Beruf zu machen und als Floristin zu arbeiten, geht sie Putzen, um flexibel in der Nähe ihre Mutter zu bleiben. 
Die Rückkehr von Ed versetzt sie zurück in die Vergangenheit und lässt sie im Ungewissen, ob ein Neuanfang mit ihm möglich wäre. Herzklopfen verspürt sie jedoch nur bei Sam, der allerdings unnahbar wirkt und nicht an das Schicksal glaubt. Ihre Wege kreuzen sich jedoch so häufig, dass Noelle zu der Überzeugung kommt, dass sie für einander vorbestimmt sind und tatsächlich gibt es Parallelen in ihrer Vergangenheit, die dies zu belegen scheinen. 

Zunächst wirkten die zahlreichen zufälligen Begegnungen von Noelle und Sam arg konstruiert auf mich. Die Erklärungen dafür waren jedoch stets schlüssig und insbesondere die Bezüge in die Vergangenheit, in der sich Sam und Noelle bereits begegnet sind bzw. sich bei mehreren Gelegenheit begegnen können, lassen wirklich daran glauben, dass es Fügung ist, dass sich Noelle und Sam ineinander verlieben und das Schicksal eine glückliche Zukunft für sie bereithält, wenn sie sich nur trauen. 

Der Roman entwickelt sich gemächlich, wird aber zu keinem Zeitpunkt langweilig, da neben der romantischen Liebesgeschichte auch die persönliche Entwicklung von Noelle im Vordergrund steht. Sie setzt sich mit ihrer Trauer und ihren Schuldgefühlen auseinander, öffnet sich und wird auch mit Hilfe ihrer Freunde mutiger, ihren Weg zu gehen und zu erkennen, dass auch ihr ein glückliches Leben vergönnt ist. 
Am Ende geht es ein bisschen schnell, Noelles Leben erscheint plötzlich zu perfekt und mir fehlte bei der Verbindung zwischen Sam und Noelle ein wenig das Gefühl. Es ist eine etwas märchenhafte Geschichte über die Magie der Vorhersehung, die zudem bewusst macht, das Leben JETZT zu leben. 

Montag, 17. Januar 2022

Buchrezension: Michael Robotham - Wenn du mir gehörst

Inhalt:

Der jungen Londoner Polizistin Phil McCarthy steht eine große Karriere bevor. Bis sie zu einem Fall häuslicher Gewalt gerufen wird. Denn der Täter ist ein hochdekorierter Detective, der seine Geliebte Tempe schwer misshandelt hat. Als Phil diese zu schützen versucht, wird sie suspendiert. Zumindest Tempe zeigt sich dankbar: Die beiden Frauen werden enge Freundinnen, sind bald unzertrennlich. Doch allmählich wird Phil misstrauisch: Etwas an der Geschichte der jungen Frau scheint nicht zu stimmen. Ist Tempe wirklich ein unschuldiges Opfer? Spätestens, als eine erste Leiche in Phils Umfeld auftaucht, weiß sie nicht mehr, wem sie trauen kann. 

Rezension: 

Philomena McCarthy ist eine junge, ehrgeizige Polizistin bei der Metropolitan Police in London. Als sie zu zu einem Fall häuslicher Gewalt gerufen wird und sich der Täter als heldenhafter Detective entpuppt, der seine Geliebte misshandelt, möchte sie dem Oper Tempe Brown helfen, die aus Angst versucht, den Täter zu schützen. Phil stößt dabei auf den Widerstand ihrer Polizeikollegen, die den Fall vertuschen möchten und recherchiert auf eigene Faust weiter. Sie trifft auf die Ehefrau des Detectives, die wie Tempe ein Opfer häuslich Gewalt ist, sich dem Einfluss ihres Ehemannes jedoch nicht entziehen kann. Während ihrer Recherchen freundet sie sich mit Tempe an, die dabei immer tiefer in Phils Leben eindringt und Phil mit ihrer Freundschaft regelrecht erdrückt. Phil bringt sich durch ihr eigenmächtiges Vorgehen in immer größere Schwierigkeiten, wird suspendiert und ist plötzlich von ihrem Vater abhängig, einem undurchsichtigen Gangsterboss, zu dem sie seit zehn Jahren keinen Kontakt mehr hatte. 

"Wenn du mir gehörst" ist ein Psychothriller, der gemächlich beginnt, jedoch zunehmend packender wird und gegen Ende immer weiter an Fahrt aufnimmt. Phil ist eine junge Frau, deren Berufung es ist, Polizistin zu sein. Mit großem Engagement erledigt sie ihre Arbeit und geht dabei, auch in dem Bewusstsein, sich selbst in Gefahr zu bringen, weiter als sie eigentlich müsste. Sie hat den Drang sich zu beweisen, um sich von ihrer kriminellen, mafiösen Familie zu lösen. 
In den Fällen häuslicher Gewalt ist es ihr Anliegen, die Frauen zu schützen, aber auch gegen die Ungerechtigkeit vorzugehen, die einen geschätzten Polizisten vor Ermittlungen schützt. Blauäugig und wie von einem Helfersyndrom besessen, reagiert Phil emotional und überschreitet Grenzen, die nicht nur disziplinarrechtliche Auswirkungen haben. Als ihr Leben auf dem Kopf steht, ihr guter Ruf verloren ist und sich selbst ihr Verlobter von ihr abwendet, erkennt sie erst, welchen Einfluss Tempe inzwischen auf ihr Leben hat. Phil sieht sich in einem Netz aus Lügen, Korruption und Gewaltverbrechen und einem aussichtslosen Kampf um Gerechtigkeit verstrickt, während die Eigenschaften von Opfer und Täter zunehmend verschwimmen. 

Der Roman ist eine gelungene Mischung aus Kriminalroman und Psychothriller, der zu Beginn etwas zu ausschweifend erzählt wird, aber durch zahlreiche Wendungen und die Undurchsichtigkeit der Charaktere, bei der man sich nicht immer sicher sein kann, wer Held und wer Verbrecher ist, die Spannung zunehmend steigern kann. Er handelt von Gewalt, Ungerechtigkeit und Korruption, aber auch von Lügen, Intrigen, Machtspielen und toxischen Beziehungen. 
Die Geschichte ist authentisch und kommt ohne Effekthascherei und einen übertriebenen Showdown aus, was mir sehr gut gefallen hat. Zudem ist sie emotional packend, denn unweigerlich möchte man selbst in das Geschehen eingreifen und Phil davor bewahren, sich immer tiefer selbst in den Schlamassel zu ziehen. 

Samstag, 15. Januar 2022

Buchrezension: Judith Lennox - Alle meine Schwestern

Inhalt:

Sheffield, am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Die vier Maclise-Töchter könnten nicht unterschiedlicher sein – und doch verbindet sie ihr Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben: Marianne sehnt sich nach der großen Liebe und einem Kind; dafür wandert sie sogar nach Ceylon aus. Die bildschöne Iris gibt sämtlichen Verehrern den Laufpass, um Krankenschwester zu werden; Eva, rebellisch und abenteuerlustig, engagiert sich im schillernden London der Vorkriegszeit als Künstlerin und Frauenrechtlerin; und Clemency, das Nesthäkchen, erkennt, dass man nicht immer von zu Hause fortgehen muss, um Frieden zu finden.

Rezension: 

Die Familie Maclise hat sieben Kinder, darunter vier Töchter, die ganz unterschiedliche Persönlichkeiten sind und verschiedene Erwartungen vom Leben haben. Iris ist die Älteste, die gerne flirtet und kokettiert. Sie weist die Avancen vieler Männer und ihre Heiratsanträge zurück, um sich am Ende in einen Mann zu verlieben, den ihre oberflächliche Art vor den Kopf stößt. Für ihre Familie unerwartet, macht sie eine Ausbildung zur Krankenschwester und findet darin tatsächlich ihre Berufung. Marianne ist die erste der Schwestern, die heiratet, ihren geliebten Ehemann jedoch bereits nach wenigen Monaten nach kurzer Krankheit verliert. Nach einer langen Trauerphase wird die Sehnsucht nach einem Kind so groß, dass sie einen Teeplantagenbesitzer heiratet, den sie kaum kennt und nach Ceylon auswandert. Eva zieht von Sheffield nach London, um an der Kunstakademie zu studieren. Sie verliebt sich in einen Maler, deren Muse sie wird. Doch der Mann ist verheiratet und Eva für ihn nur eine Frau von vielen. Die jüngste der Schwestern, Clemency, wäre gerne wie ihre jüngeren Brüder noch weiter zur Schule gegangen, doch sie sieht sich gezwungen, sich um die kränkelnde Mutter zu kümmern, die seit der Geburt ihres letzten Kindes kaum mehr ihr Zimmer verlässt. 

Der Roman beginnt im Jahr 1909 und erzählt die unterschiedlichen Lebenswege der vier Maclise-Schwestern bis zum Sommer 1917. Dabei wechseln die Perspektiven innerhalb der Kapitel, was ich oft als zu abrupt empfunden habe. Um den Lesefluss nicht zu sehr zu unterbrechen, hätte ich es angenehmer empfunden, wenn die Autorin jeder Schwester abwechselnd ein Kapitel gewidmet hätte, insbesondere da es nach dem Auszug der drei älteren Schwestern aus ihrem Elternhaus kaum mehr Überschneidungen oder Interaktionen zwischen ihnen gibt. Jede lebt ihr eigenes Leben und dies auf ganz unterschiedliche Art und Weise. 

Die Charaktere sind individuell gestaltet und wirken mit ihren Stärken und Schwächen authentisch. Alle vier Schwestern machen während der Geschichte eine charakterliche Weiterentwicklung durch, lernen aus ihren Fehlern, haben aber stetig mit Schicksalsschlägen zu kämpfen, die sie wieder zurückwerfen und ihren Traum vom Glück zu verhindern scheinen.  

Der Roman tritt phasenweise auf der Stelle, da sich nicht immer viel im Leben der jeweiligen Protagonistin ereignet, die Autorin aber dennoch sehr ausschweifend erzählt. 
Der Roman handelt von der Rolle der Frau Anfang des 20. Jahrhunderts, von einem Kampf nach Unabhängigkeit und Gleichberechtigung, von den Unterschieden zwischen Arm und Reich, aber auch von der Sehnsucht nach Liebe. Jede der Schwestern verliebt sich - die eine früher, die andere später - und keine von ihnen scheint auf Anhieb die richtige Wahl zu treffen. Marianne, die nach dem Verlust ihrer großen Liebe in einer Phase der Trauer versinkt, entscheidet sich verblendet für den falschen Mann, während Iris durch ihre Arroganz den Mann verprellt, den sie liebt. Eva lässt sich von einem Bohemian auszunutzen und stellt ihre eigenen Ambitionen zurück. Auch Clemency verzichtet auf die Verwirklichung ihrer Träume, denkt, ein Leben als alte Jungfer wäre vorgezeichnet und verwendet ihre Zuneigung auf einen verheirateten Musiker, der sich in ihrer Bewunderung sonnt, aber keinerlei Ambitionen hat, mit ihr eine Familie zu gründen. 

Den die Titel "Alle meine Schwestern" empfinde ich als nicht passend, denn dieser wirkt, als würde eine der Schwestern oder ein Bruder über ihre bzw. seine Geschwister erzählen. Tatsächlich spielt das Gefüge als Familie eine sehr untergeordnete Rolle, die Mutter, aber insbesondere der Vater und die Brüder, bleiben Statisten. 

Der historische Kontext kommt gerade zu Beginn wenig zum Tragen, auch wenn einzelne geschichtliche Ereignisse Erwähnung finden. Das Verhältnis zwischen Arm und Reich Anfang des 20. Jahrhunderts, der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und eine gerechtere Bezahlung sowie die Forderungen eines Wahlrechts für Frauen werden angerissen, aber nicht vollumfänglich mit den Hauptcharakteren verknüpft. Erst nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges hat auch das Zeitgeschehen Auswirkungen auf die Geschichte und das Leben der Schwestern. 
Als Leser bangt man mit ihren Schicksalen, leidet mit den Dramen und den Intrigen, die sie ertragen müssen und gibt dennoch die Hoffnung nicht auf, dass jeder von ihnen ein glückliches Ende vergönnt sein mag. "Alle meine Schwestern" ist eine emotionale Geschichte über vier Frauen und ihre unterschiedlichen Lebenswege, die zwar Längen aufweist, durch ihre Vielseitigkeit aber dennoch gut unterhält. 

Mittwoch, 12. Januar 2022

Buchrezension: Emma Behrens - Das Haus der Libellen

Inhalt:

Nach Jahren kehrt die 28-jährige Sophie an den magischen Ort ihrer Kindheit zurück, die alte Villa der Nachbarsfamilie von Gutenbach. Hier verbrachte sie früher jede freie Minute mit den ätherisch-schönen Geschwistern Noah und Emilia. Mit siebzehn wurden Noah und sie ein Paar, und Sophie erlebte ihre glücklichste Zeit – bis Noah fünf Jahre später von einem Tag auf den anderen aus ihrem Leben verschwand. Nun führt ein Brief Sophie zurück in das geheimnisvolle Haus, in dem Emilia nach dem plötzlichen Tod der Eltern allein wohnt: Noah ist erneut verschwunden, und seine Schwester bittet Sophie um Unterstützung. Sophie zögert, zu sehr schmerzt Noahs Verrat; dann allerdings sagt sie zu, schließlich war Emilia einst wie eine Schwester für sie. Aber die rätselhafte Schöne verhält sich seltsam, gibt sich wortkarg und verbringt die meiste Zeit mit ihrer Libellenzucht im exotischen Dschungellabor, das sie im Keller der Villa eingerichtet hat. Sophie ahnt, dass Emilia ihr etwas verschweigt. Doch ob mit oder ohne deren Hilfe: Sophie muss Noah finden. Vielleicht kann sie so endlich mit der Vergangenheit abschließen. 

Rezension: 

Als Sophie von ihrer ehemals besten Freundin Emilia einen Anruf erhält, dass ihre Eltern gestorben sind und ihr Bruder Noah seitdem verschwunden ist, kehrt Sophie nach fünf Jahren wieder an den Ort ihrer Kindheit zurück, um Emilia beizustehen. Das Haus ihrer Nachbarn, der von Gutenbachs, war ein Zuhause für sie und ist nun ein trauriger Ort geworden. Emilia hat sich im Keller ihres Elternhauses ein Libellenbiotop eingerichtet und reagiert kaum auf die Ankunft von Sophie. Sie beantwortet keine Fragen und ist Sophie keine Hilfe bei der Suche nach Noah. 

Sophie war seit ihrem siebten Lebensjahr in Noah verleibt und überglücklich, als sie später ein Paar wurden. Nach fünf Jahren Beziehung hat er ihr einen Heiratsantrag gemacht, bevor er anschließend ohne ein Wort verschwunden ist. Sophie weiß bis heute nicht, warum er sich damals von ihr getrennt hat. Die Suche nach Noah unternimmt sie insofern nicht (nur) Emilia zuliebe, sondern um selbst eine Erklärung von Noah zu bekommen und mit der Vergangenheit abschließen zu können. 

Sophie ist inzwischen 28 Jahre alt und studierte Kunsthistorikerin, aber durch die Rückkehr in die Villa der von Gutenbachs fällt sie wieder in alte Muster zurück. Sie ist abhängig von der Gunst der Geschwister, die seit jeher eine Faszination auf sie ausübten. Durch Rückblenden in die Vergangenheit, vom Kennenlernen bis zur Trennung, werden Details aus ihrer gemeinsamen Kindheit und Jugend bekannt. Emilia und Noah wirkten aus Sophies Erinnerungen wenig sympathisch. Sie vermittelten den Stereotyp reicher, verwöhnter Kinder, verhielten sich selbstgefällig, arrogant und gemein. Sie heischten um Aufmerksamkeit und insbesondere Emilia stand gerne im Mittelpunkt. Die Freundschaft mit Sophie schien nicht auf Augenhöhe zu sein und noch heute verhält sich Emilia extravagant und exzentrisch und mit ihrem Faible für tote Insekten etwas unheimlich. 
Sophie war und ist sich diese Ungleichgewichts in der Beziehung zu den Geschwistern nicht wirklich bewusst und scheint vor Begehren nach Noah jede Selbstachtung verloren zu haben. Als Leser*in erhält man das Gefühl, dass in der Konstellation der drei einer zu viel war und dass die Beziehung von Sophie und Noah deshalb zum Scheitern verurteilt war. 

Zu Beginn des Romans fällt es schwer, die Geschwister einschätzen zu können. Emilia ist Sophie keine Hilfe bei der Suche nach Noah und scheint sich in ihre eigene Welt der Libellen zurückgezogen zu haben. Sie wirkt undurchsichtig, nicht vertrauenswürdig und ein klein wenig verrückt. In Bezug auf Noah kann nur vermutet werden, was er mit seinem erneuten Verschwinden bezweckt und ob er lediglich ein Spiel mit Sophie spielt. 

Durch Rückblenden in die Vergangenheit und die Geheimnisse, die sich Sophie in der Gegenwart offenbaren, wirken die Geschwister bald schon nicht mehr so anziehend und mystisch. Peu à peu entschlüsselt sich eine tragische Geschichte um das Suchen nach Anerkennung und dem gleichzeitigen Wunsch nach Unabhängigkeit. Der Roman wird von Anbeginn von einem Gefühl der Melancholie begleitet, das zu der Rätselhaftigkeit der Charaktere und ihren toxischen Beziehungen passt. Auch wenn es schwerfällt, sich mit den Figuren zu identifizieren, ist die Geschichte emotional packend und die Suche nach Noah und den Hintergründen für sein Verschwinden spannend geschildert. 

Montag, 10. Januar 2022

Buchrezension: Chris Whitaker - Von hier bis zum Anfang

Inhalt:

Cape Haven, Kalifornien. Eine beschauliche Kleinstadt vor dem Panorama atemberaubender Küstenfelsen. In diesem vermeintlichen Idyll muss die 13-jährige Duchess nicht nur ihren kleinen Bruder fast alleine großziehen, sondern sich auch um ihre depressive Mutter Star kümmern, die die Ermordung ihrer Schwester vor 30 Jahren nie verwinden konnte. Als deren angeblicher Mörder aus der Haft entlassen wird, droht das fragile Familiengefüge, das Duchess mühsam zusammenhält, auseinanderzubrechen. Denn der Atem der Vergangenheit reicht bis in das Heute und wird das starke Mädchen nicht mehr loslassen. 

Rezension:

Cape Haven ist ein malerischer Ort an der Küste Kaliforniens, eine Kleinstadt, in der jeder jeden kennt und die Nachbarn ein Auge auf den anderen haben. 
Vor 30 Jahren ist dort ein Mädchen ums Leben gekommen. Der Täter, Vincent King, hat seine Strafe abgesessen, wird entlassen und kehrt als verurteilter Mörder zurück nach Cape Haven. 
Dort lebt Duchess mit ihrem Bruder Robin und ihrer Mutter Star Radley, die den Tod ihrer jüngeren Schwester nie verkraftet hat. Duchess ist erst 13 Jahre alt, fühlt sich jedoch verpflichtet, ihrem Bruder die Mutter zu ersetzen und ihre Familie zu schützen. Sie bezeichnet sich selbst als Outlaw und geht mir unerbitterlicher Härte gegen jeden vor, der sich ihr in den Weg stellt.  
Provinzpolizist Walk hat in Cape Haven bisher nur mit Bagatelldelikten zu tun gehabt und versucht zu verhindern, dass Duchess auf die schiefe Bahn gerät. 
Als jedoch sein ehemaliger bester Freund Vincent aus dem Gefängnis entlassen wird, ereignet sich wenig später ein Verbrechen, das die Kleinstadt erschüttert. Vincent ist der Hauptverdächtige, aber Walk glaubt an seine Unschuld und möchte diese beweisen. Er bittet seine Exfreundin die Verteidigung für Vincent zu übernehmen und ermittelt eigenmächtig weiter, obwohl die State Police den Fall übernommen hat. 

Der Roman wird abwechselnd aus der Perspektive der 13-jährigen Duchess und des Polizisten Walk erzählt. Duchess ist ein starkes Mädchen, ein trotziger Teenager, das viel zu reif für ihr Alter ist. Sie kümmert sich rührend um ihren Bruder und versucht ihre Mutter vor übergriffigen Männern zu schützen. Sie nimmt keine Hilfe an und möchte alles alleine schaffen, da sie kein Vertrauen in die Erwachsenen hat. Sie hat ein gutes Herz, das man vor Hass und Verbitterung aber kaum sieht. 
Walks Aufgaben als Polizist sind auf Ordnungswidrigkeiten beschränkt. Er kennt die Kleinstadt und ihre Einwohner sehr gut und greift dort ein, wo es nötig ist. Er glaubt an das Gute im Menschen, weshalb er seinen ehemals besten Freund Vincent auch nie als Mörder angesehen hat. Nachdem er als Jugendlicher bei dem Prozess vor dreißig Jahren gegen ihn ausgesagt hat, möchte er ihn nun unterstützen, denn in diesem Fall glaubt er an seine Unschuld. 

"Von hier bis zum Anfang" ist eine Familientragödie, die zwar nüchtern, aber auf diese Art dennoch sehr eindringlich und bewegend geschildert ist. Die Geschichte ist fesselnd und die deprimierenden Schicksale der genannten Figuren berühren. Auch wenn die Geschichte an einem malerischen Ort spielt, wo Häuser mit bestem Ausblick stehen und der Wert der Immobilien stetig steigt, ist die Atmosphäre dort beklemmend. Der Ort wirkt verloren, Hoffnungslosigkeit macht sich breit. Das Schicksal der Figuren erscheint vorgezeichnet, als könnten sie ihm nicht entgehen. 
Cape Haven wird von seiner Vergangenheit eingeholt, als ein vermeintlicher Mörder zurückkehrt und sich ein neues Unglück mit weitreichenden Folgen ereignet. Das Drama entwickelt sich zunehmenden zu einem spannenden und wendungsreichen Krimi. Auch wenn ein Täter schnell gefunden ist, fragt man sich nach dem Motiv und warum sich der in Walks Augen Unschuldige nicht gegen die Vorwürfe wehrt, die rein auf Indizien beruhen. 

Die Mischung aus Drama und Kriminalroman, Emotionen und Spannung ist gelungen. Es ist eine authentische Geschichte mit individuell gestalteten, vielschichtigen Charakteren, die zeigt, wie sehr die Vergangenheit auch nachfolgende Generationen belastet, wenn das Leid unverarbeitet bleibt. Sehr eindringlich und nachvollziehbar ist zudem geschildert, wie weit Menschen gehen, um die, die sie lieben zu schützen. Schuld und Sühne, Buße und Vergeltung sowie der schier aussichtslose Kampf um Gerechtigkeit sind die zentralen Themen in einem komplexen Handlungsgefüge, das immer wieder aufs Neue überrascht. 
Und auch wenn gerade zu Beginn das Gefühl von Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit überwiegt und die Hauptfiguren durch Rückschläge zurückgeworfen werden, schwingt doch eine Spur Hoffnung und die Chance auf einen Neuanfang mit, die eine Abwärtsspirale verhindern kann, denn selbst die offensichtlich Bösen haben ihre guten Eigenschaften.  

Samstag, 8. Januar 2022

Buchrezension: Nora Roberts - Licht in tiefer Nacht

Inhalt:

Die prächtige Bodine Ranch in Montana ist seit Generationen ein familiengeführtes Gestüt. Unter der erfolgreichen Leitung der jungen Bodine Longbow wurde das Anwesen zu einem beliebten Feriendomizil ausgebaut. Doch so lange Bodine denken kann, liegt ein dunkler Schatten über diesem idyllischen Ort. Ihre Tante Alice lief mit achtzehn fort und wurde nie wieder gesehen. Was niemand von den Longbows ahnt: Alice lebt. Nicht weit von ihrer Heimat entfernt, ist sie Teil einer Familie, die sie nicht selbst gewählt hat. 

Rezension: 

Bodine Longbow ist die Geschäftsführerin des Ferienresorts der familiengeführten Ranch in Montana. Sie hat mehrere Angestellte und geht ihrer Arbeit leidenschaftlich nach, vernachlässigt dabei jedoch ihr Privatleben. Dies ändert sich, als der beste Freund ihres älteren Bruders, ihr Jugendschwarm Callen Skinner, aus Kalifornien zurückkehrt und von ihr als Reitlehrer eingestellt wird. Sie beiden kennen sich seit ihrer Kindheit und fühlen sich, nachdem sie beide erwachsen geworden sind, zueinander hingezogen. 
Das harmonische Leben auf der Ranch wird jedoch vom Mord an einer jungen Angestellten überschattet, die im Saloon als Kellnerin arbeitete. Kurze Zeit später ereignet sich nur wenige Kilometer entfernt ein weiterer Mord an einer jungen Frau. Der Hilfssheriff, der aus der Vergangenheit noch eine Rechnung mit Callen offen hat, verdächtigt diesen der Morde. 
Fast zeitgleich kehrt Alice, die Tante von Bodine, nach 26 Jahren zurück. Sie hatte die Ranch im Alter von 18 Jahren im Streit verlassen und war bei ihrer Rückkehr unerkannt verschleppt und all die Jahre in Gefangenschaft gewesen. 

Der Roman enthält zwei Handlungsstränge, die im Verlauf der Geschichte miteinander verbunden werden. Die Gegenwart handelt von dem Leben auf der Bodine Ranch, die zu einem luxuriösen Feriendomizil ausgebaut worden war dem familiären Zusammenleben in dem Mehrgenerationenhaus und den Events, die dort für Touristen veranstaltet werden. Die Familie - von Urgroßmutter Miss Fancy bis zu den Urenkeln lebt idyllisch zusammen. Alle haben sich gern und es gibt nur harmlose Streits. Auch die Angestellten sowie die Pferde des Gestüts fühlen sich wohl und werden wie Familienmitglieder behandelt. Jeder möchte einfach gern mit dieser reichen, zufriedenen Familie befreundet sein. Einzig das Verschwinden von Alice ist ein Tabuthema, das vor allem ihre Mutter Cora traurig macht und Bodine Rätsel aufgibt. 

Ich empfand diesen Handlungsstrang als typisch amerikanisch und zu übertrieben harmonisch beschrieben. Das Familien- und Arbeitsleben auf der Ranch war mir von zu viel Gutmenschentum geprägt und viele Beschreibungen des Alltags zu detailverliebt. 

Weitaus mehr Spannung hatte die Erzählung um Alice zu bieten, die gekidnappt wurde, als sie reumütig zu ihrer Familie zurückkehren wollte. Ihre Gefangenschaft war grausam und unfassbar, wie viele Jahre sie bei ihrem Peiniger verbringen musste. Leider nimmt der Part nur den geringeren Umfang der Geschichte ein, während die Vorgänge auf der Ranch im Vordergrund stehen. Erst als die erste tote Frau gefunden wird und die beiden Handlungsstränge sich mit der Rückkehr von Alice vereinen, nimmt der Roman auch in der Gegenwart an Fahrt auf, um sich dann jedoch in quälend einfältigen Dialogen zu verlieren.  

"Licht in tiefer Nacht" ist eine Mischung aus Familiengeschichte, Thriller und Romanze. Der Roman ist phasenweise langatmig beschrieben und langweilt mit ermüdenden Details aus dem Familien- und Arbeitsalltag auf der Ranch. Zudem sind die Charaktere klischeehaft und oberflächlich beschrieben. Es erfolgt eine einfach zu durchschauende Einteilung in Gut und Böse, so dass das Potenzial des eigentlich interessanten Plots um Alices mysteriöses Verschwinden und die gegenwärtigen Mordfälle nicht voll ausgeschöpft wird. Der Liebesgeschichte mangelte es an Emotionalität und wirkte auf mich zu verspielt, was aber wiederum zu den heldenhaften Cowboys und dem zuckersüßen Happy End allerorts passte. 

Freitag, 7. Januar 2022

Buchrezension: Wiebke Busch - Familie ist, wenn man trotzdem lacht

Inhalt:

"Drei Zimmer, drei Personen. Passt doch.", sagt Arno Ruttmann, als er und seine Frau Steffi ihr erstes Kind bekommen. Steffi ist sich da nicht so sicher – könnte eng werden. Als Kind Nummer zwei kommt, ist es zu spät: Die Hamburger Mieten sind in astronomische Höhen gestiegen. Was tun? Seine Seele verkaufen? Oder den Erstgeborenen? Nach zahllosen Besichtigungen und Maklern aus der Hölle kommt die Lösung so unerwartet wie simpel daher: Eine Mehrgenerationen-WG! Flora Blum wohnt seit 49 Jahren in einer idyllischen Stadtvilla mit Garten. Der Deal: Familie Ruttmann kauft einen Teil des Hauses, hilft bei der Renovierung – und darf bei ihr einziehen. Dafür gibt’s jede Menge Platz, Kinderbetreuung und Flora als neues Familienmitglied. Die hütet wiederum das eine oder andere aufregende Geheimnis, das es zu lüften gilt. 

Rezension:

Steffi Ruttmann wohnt mit ihrem Ehemann und den beiden gemeinsamen Kindern in einer 3-Zimmerwohnung in Hamburg. Ihr, die Haushalt und Kinder managt, während der Alleinverdiener nur zum Schlafen nach Hause kommt, ist die Wohnung inzwischen zu klein geworden, weshalb sie auf einen Umzug drängt. Bezahlbahre Alternativen gibt es im städtischen Ballungsraum kaum und nachdem sie von einem betrügerischen Makler fast um ihr Geld gebracht wurde, beschließt ihre beste Freundin Helen Winter, die freie Journalistin ist, einen Artikel über den "Wohnsinn" in Hamburg zu veröffentlichen. Dieser trifft den Nerv der Leser, weshalb es viele Zuschriften von Leidgeplagten gibt. Die ältere Dame Flora Blum ist eine von ihnen, die in einer Villa in Hamburg wohnt, sich diese aufgrund der anstehenden Renovierungen aber nicht mehr leisten kann. Helen bringt die beiden zusammen und schnell einigen sich die Frauen auf ein Mehrgenerationenhaus als perfekte Lösung für alle. Jetzt gilt es nur noch Steffis Ehemann Arno zu überzeugen. 
Helen recherchiert weiter über den "Wohnsinn", gelangt dabei zurück auf die Hausbesetzerszene der 1980er-Jahre in Hamburg und stößt auf Ungereimtheiten in Floras Leben, die sie neugierig machen. 

Der Klappentext deckt nur einen Teil der Geschichte ab und weckt damit vielleicht etwas falsche Erwartungen auf ein Zusammenleben in einem Mehrgenerationenhaus. Der Roman ist hingegen abwechselnd aus der Perspektive von Steffi und Helen geschrieben, wobei Helen mehr in den Fokus rückt und aufgrund ihrer eigenwilligen Art und ihrer Tätigkeit als investigative Journalistin die interessante Figur ist. Steffi wird damit als ordnungsliebende Hausfrau und Mutter, die von ihrem Mann im Alltag allein gelassen wird, zurückgedrängt. 

Der Roman wirkt aus dem Leben gegriffen, denn er greift ein Thema auf, das viele Menschen angeht, die aktuell oder in den letzten Jahren nach Wohnungen oder Häusern, sei es zum Kauf oder zur Miete gesucht haben und noch weiter suchen. Die Geschichte ist zwar überwiegend humorvoll geschrieben, hat aber einen ernsten Unterton, denn die so amüsant geschilderten Erfahrungen mit Maklern sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern entsprechen durchaus den Tatsachen. 
Auch durch die lebendige Schilderung der Charaktere kann man sich in der Rolle der getrennt erziehenden Mutter oder der Ehefrau, die von ihrem Ehemann auf das Hausfrauendasein reduziert wird und um seine Aufmerksamkeit buhlen muss, sehr gut hineinversetzen. 

Die Geschichte handelt von der Wohnungsnot in Ballungsräumen, von überteuerten Preisen für Mieten, frechen Maklern, aber auch von der Einsamkeit im Alter, von Freundschaft und den unterschiedlichen Formen von Familie. 
Der Roman erzählt bittere Wahrheiten, bleibt aber durchgehend unterhaltsam und humorvoll. Die Lösung der geschilderten Probleme gelingt jedoch zu leicht und übereilt, so dass die Geschichte am Ende etwas seicht wird. Ich hätte mir eine längere Kennenlern- und Annäherungsphase zwischen Flora und Steffi sowie ausführlichere Erklärungen zum Vertrag zwischen Flora und den Buttmanns gewünscht und auch Helens Umdenken in Bezug auf ihr Beziehungsleben empfand ich als zu abrupt und willkürlich. 

Mittwoch, 5. Januar 2022

Buchrezension: Anna Bell - Eigentlich bist du gar nicht mein Typ

Inhalt:

Abi ist sich sicher, in Joseph ihren Traummann gefunden zu haben. Mit ihm möchte sie alt werden und den Sonnenuntergang in Portsmouth beobachten. Joseph sieht das allerdings etwas anders und verlässt Abi von einem Tag auf den anderen mit der Begründung, sie seien zu verschieden. Abi ist am Boden zerstört und hofft, dass Joseph wieder zur Besinnung kommt. Als er ihr wenige Tage später allerdings eine Kiste mit ihren Sachen vor die Tür stellt, ist es amtlich: Er will nichts mehr mit ihr zu tun haben.
In der Kiste findet Abi eine Bucket-List von Joseph, die sie nie zuvor gesehen hat: "Zehn Dinge, die ich vor meinem 40. Geburtstag getan haben möchte." Abi ist sich sicher: Wenn sie die Punkte auf Josephs Liste abarbeitet, wird er erkennen, dass sie die perfekte Frau für ihn ist.
Dummerweise muss man ein sportbegeisterter Adrenalin-Junkie sein, um dabei zumindest ein bisschen Spaß zu haben. Surfen, mit dem Fahrrad an einem Tag um eine Insel radeln, Berge erklimmen und den höchsten Turm der Stadt besteigen? Oh Gott, denkt Abi und spürt, wie ihre Knie allein beim Gedanken daran weich werden. Doch sie gibt nicht auf und nimmt all ihren Mut zusammen. Alte und neue Freunde unterstützen sie, und so wächst Abi mit jeder kleinen und großen Herausforderung ein Stück weit mehr über sich hinaus. Sie ist mutig, verlässt ihre Komfortzone und überwindet Unsicherheiten. Als sie sich schließlich ihrer größten Angst - der Höhe - stellt, erkennt Abi, dass sie nur dann wirklich glücklich wird, wenn sie ihre eigenen Träume lebt. Und in denen spielt Joseph plötzlich gar keine Hauptrolle mehr. 

Rezension: 

Abi Martin wird für sie völlig überraschend von ihrem Freund Joseph verlassen, mit dem sie ein Jahr zusammen war. Sie ist am Boden zerstört und verfällt in eine Trennungsdepression. In einer Kiste, in der er ihr ihre Sachen vorbei gebracht hat, findet sie ein Buch von Joseph mit einer Liste mit zehn Dingen, die Joseph vor seinem 40. Lebensjahr erledigt haben wollte. Abi nimmt sich vor, diese Liste abzuarbeiten, in der Hoffnung, Joseph damit zu beeindrucken und ihn am Ende zurückzugewinnen. Auf der Liste stehen jedoch so einige Dinge, die Abi sich selbst nie ausgesucht hätte und die sie nicht nur mental sondern auch körperlich vor große Herausforderungen stellen. Ihrer Freundin Sian kann sie die Wahrheit nicht sagen, dass sie die Punkte nur erledigen möchte, um Joseph zurückzugewinnen und gibt vor damit ihren Trennungsschmerz bewältigen zu wollen. In dem sportlichen Ben, der sie bei der ein oder anderen Mutprobe begleitet, findet sie unerwartet Unterstützung und findet sich plötzlich in einem Gefühlschaos wieder. 

"Eigentlich bist du gar nicht mein Typ" ist eine typisch britische Liebeskomödie, die zwar vorhersehbar ist, aber dennoch sehr unterhaltsam ist. Abi ist blind vor Liebe zu Joseph, auch wenn sie sich seiner Liebe nie sicher sein konnte. Verblendet vom Trennungsschmerz möchte sie alles unternehmen, um ihn innerhalb von drei Monaten zurückzugewinnen. Seine Bucketlist ist für sie ein Albtraum, denn als unsportliche Couchpotatoe mit Höhenangst wäre sie nie auf die Idee gekommen, einen Halbmarathon zu laufen, Wellen zu reiten oder sich von einem Hochhaus abzuseilen. Doch mit einem klaren Ziel vor Augen findet sie neuen Lebensmut und stellt sie sich mutig den Herausforderungen. Je mehr Erfolgserlebnisse sie hat desto selbstsicherer wird sie und ihr Interesse für Joseph tritt weiter in den Hintergrund. 

Abi ist ein liebenswerter Charakter, auch wenn sie kein Fettnäpfchen oder Missgeschick auslässt und sich wie eine krankhafte Liebesidiotin in Bezug auf Joseph verhält. Den Roman darf man deshalb vor allem zu Beginn nicht zu ernst nehmen, denn die Geschichte ist betont humorvoll und überspitzt dargestellt. 
Der Roman dreht sich jedoch nicht nur um Abis Herzschmerz und die Bewältigung ihrer überwiegend sportlichen Aufgaben, sondern auch um die Probleme an ihrem Arbeitsplatz, wo sie sich durch Intrigen unerwartet beweisen muss, was ihn noch vielschichtiger macht. 

Abi macht jedoch eine charakterliche Weiterentwicklung durch, stellt sich nicht nur ihren Ängsten sondern wird auch selbstsicherer und erwachsener. Die Liebesgeschichte ist vielleicht nicht sonderlich originell, aber voller witziger Dialoge und süß geschildert. So wie Abis Freundin Sian möchte man Abi einfach nur schütteln und auf den richtigen Weg bringen. 
"Eigentlich bist du gar nicht mein Typ" ist ein unterhaltsamer Roman über Freundschaft, Liebe und Selbstfindung.