Montag, 28. Februar 2022

Buchrezension: Emma Stonex - Die Leuchtturmwärter

Inhalt:

In der Silvesternacht verschwinden vor der Küste Cornwalls drei Männer spurlos von einem Leuchtturm. Die Tür ist von innen verschlossen. Der zum Abendessen gedeckte Tisch unberührt. Die Uhren sind stehen geblieben. Zurück bleiben drei Frauen, die auch zwei Jahrzehnte später von dem rätselhaften Geschehen verfolgt werden. Die Tragödie hätte Helen, Jenny und Michelle zusammenbringen sollen, hat sie aber auseinandergerissen. Als sie zum ersten Mal ihre Seite der Geschichte erzählen, kommt ein Leben voller Entbehrungen zutage – des monatelangen Getrenntseins, des Sehnens und Hoffens. Und je tiefer sie hinabtauchen, desto dichter wird das Geflecht aus Geheimnissen und Lügen, Realität und Einbildung. 

Rezension: 

Im Dezember 1972 verschwinden die diensthabenden Leuchtturmwärter von Maiden Rock spurlos. Die Tür des Leuchtturms ist von innen verschlossen, der Tisch für zwei Personen gedeckt, die Uhren sind stehengeblieben, aber die Laterne leuchtet noch. Niemand weiß, was passiert ist, Verschwörungstheorien kommen auf, Verdächtigungen werden ausgesprochen. Insbesondere der junge Hilfswärter Vincent Bourne, der erst 1970 aus dem Gefängnis entlassen worden war, gerät in Verdacht, an dem Verschwinden Schuld zu sein. Die verantwortliche Leuchtfeuerverwaltung Trinity House hält im Frühjahr 1973 eine Abschiedszeremonie ab und übrig bleiben drei Frauen, die ohne ihre Männer und im Unklaren über ihren Verbleib weiterleben müssen. 
20 Jahre später möchte der bekannte Autor Dan Sharp ein Buch über das Mysterium schreiben und den Frauen die Chance geben, Gehör zu finden. Doch nur Helen, die Frau des Oberwärters Arthur Black, ist wirklich bereit, sich zu öffnen. 

"Die Leuchtturmwärter" ist inspiriert von einem realen Ereignis. Der Flannan-Isles-Leuchtturm bei Schottland erlangte traurige Berühmtheit durch das Verschwinden dreier Wärter im Jahr 1900, das nie vollständig aufgeklärt wurde. 

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen und schildert die Ereignisse im Dezember 1972 aus Sicht der drei Leuchtturmwärter Arthur Black, Bill Walker und Vince Bourne. Arthur ist der Oberwärter, Bill ein erfahrener Kollege, Vince ein neuer Hilfswärter. Jeder von ihnen hat einen anderen Bezug zum Meer und zum Leuchtturm sowie einen unterschiedlichen Beweggrund, dieser besonderen Tätigkeit, bei der sie über Wochen von der übrigen Zivilisation getrennt und nur sich selbst überlassen sind, nachzugehen. 
1992 sind es die hinterbliebenen Frauen Helen, Jenny und Michelle, die sich durch die Recherchen des Autors noch einmal den Geistern der Vergangenheit stellen müssen, wobei der Autor als Person keine Rolle spielt. Die Interviews werden passiv ohne wörtliche Rede wiedergegeben. 
Durch den Wechsel der Perspektiven, der Offenheit Helens und den Rückblenden in die Vergangenheit ist es möglich, sich seine eigenen Gedanken zu dem mysteriösen Verschwinden der Leuchtturmwärter zu machen und über die Ereignisse von Silvester 1972 zu spekulieren. Während Menschen wie Helen an eine übersinnliche Macht glauben, beschuldigen andere den aus dem Gefängnis entlassenen Hilfswärter. Tatsächlich ergibt sich durch die Erzählungen ein Geflecht aus Lügen und Geheimnissen, die durch massive zwischenmenschliche Differenzen Arthur und Bill in einem anderen Licht dastehen lassen. Auch was sich unmittelbar vor der Silvesternacht abspielte, ob es tatsächlich Besuch von einem Mechaniker gab und wer der ominöse silberne Mann ist, der von verschiedenen Menschen gesehen wurde, erscheinen undurchsichtig und wirken verdächtig.  

"Die Leuchtturmwärter" ist ein atmosphärisches Drama über Schuld, Liebe, Lügen und Verrat, das die Spannung stetig anwachsen lässt. 
Im Fokus des Romans steht nicht die Aufklärung eines Verbrechens, eines Unfalls oder eines Aberglaubens, sondern die Figuren, ihre Motivation, der einsame Arbeitsalltag auf einem Leuchtturm und die Folgen für die Arbeiter, aber insbesondere auch für ihre Familien, mit einem ebenso einsamen und rastlosen Leben zurechtkommen müssen. 
Geschickt schafft es die Autorin, verschiedene Theorien über das unerklärliche Verschwinden der drei Leuchtturmwärter aufzustellen und ein Konglomerat als Lösung erscheinen zu lassen. Dennoch bleiben nicht nur für die hinterbliebenen Frauen Fragen offen, so dass das Mysterium aufrechterhalten bleibt und die Grenze zwischen Realität und Einbildung verschwimmen. 

Samstag, 26. Februar 2022

Buchrezension: Rebecca Miller - Pippa Lee

Inhalt:

Ein amerikanischer Traum in Manhattan. Eine ganz normale Familie. Ist das wirklich Pippas Traum vom Leben? Denn eigentlich ist sie jemand ganz anderes: Als aufmüpfige Teenagerin tauchte sie in die Sexpartys und Drogenexzesse von Soho ab – bis sie die Notbremse zog. Aber jetzt in der Normalität, merkt sie, dass das Leben nicht aufgeht, wenn andere die Korken knallen lassen. In einer klaren und kraftvollen Sprache stellt Rebecca Miller die wichtigsten Fragen. Packend und sehr einfühlsam erzählt sie von Pippas Suche nach dem richtigen Leben und der Entdeckung, dass das ganze Glück direkt vor unseren Augen liegen kann. 

Rezension:

Pippa Lee ist 50 Jahre alt und ist nach dem Auszug ihrer Kinder gemeinsam mit ihrem 30 Jahre älteren Ehemann Herb in die Seniorenwohnanlage Marigold Village gezogen, wo Pippa die jüngste Bewohnerin ist. Sie und ihr Ehemann führen dort ein gut betuchtes Leben, auch wenn Pippa unter dem schwierigen Verhältnis zu ihrer Tochter Grace leidet. 
Als Pippa zu Schlafwandeln beginnt, wie sie es zuletzt als Kind getan hat, erinnert sie sich an das Leben, bevor sie Herb heiratete. 
Teil zwei des Romans ist eine Rückblende in die Kindheit, Jugend und frühen erwachsenen Jahre von Pippa. Als jüngstes Kind wächst sie mit vier älteren Brüder in einer Pfarrersfamilie auf. Sie hängt sehr an ihrer Mutter, doch als sie alt genug ist, um herauszufinden, dass deren fröhliche, aufgekratzte Art ihrem Tablettenkonsum geschuldet ist, ist sie schwer enttäuscht und versucht sie davon abzuhalten. Im Alter von 16 Jahren hält es Pippa nicht mehr zu Hause aus und zieht ohne Schulabschluss nach New York City. Dort verstrickt sich in einem Strudel aus Sex und Drogen, bis sie den Verleger Herb kennenlernt. Er ist zunächst wie ein Onkel für sie, kümmert sich liebevoll um sie, bis sie sich ineinander verlieben. 
Nach der Hochzeit schlüpft Pippa in eine andere Haut und versucht sich aus Dankbarkeit dem Lebensstil von Herb anzupassen und sich tunlichst von ihrer Mutter abzugrenzen, insbesondere als sie selbst Mutter von Zwillingen wird. 

Der Roman beschreibt ein Leben im Wandel, wobei Pippa von einem Extrem ins nächste rutscht. Ihre veränderte Lebensweise wird ihr während einer Art Midlife Crisis bewusst, als sie nach mehreren Herzinfarkten jederzeit mit dem Ableben ihres Mannes rechnet. Nach ihren wilden Jahren in New York City, wo sie diverse grenzwertige Erfahrungen machte, ist nachvollziehbar, dass sie nun als treu sorgende Ehefrau verunsichert ist, wer sie eigentlich ist. 
Der Schreibstil ist dabei distanziert. Als Leserin hatte ich das Gefühl, auf Pippa herabzublicken statt die Ereignisse aktiv mitzuerleben. Zudem rast man im Schweinsgalopp durch ihre wilden Jahre, die episodenartig geschildert und weit ab von der Lebenswirklichkeit ihrer späteren Jahre sind. 
Es fiel mir schwer, mich in Pippa hineinzuversetzen. Weder als junge Frau, die sich von einem Drogenexzess zum nächsten treiben lässt, noch als ältere Frau "an der Seite von". Pippa war mir schlicht zu passiv und ließ mir zu viel mit sich geschehen. 
Aber nicht nur Pippa ist ein Extrem. Auch viele Personen, denen Pippa begegnet, verhalten sich überzogen dramatisch und hysterisch, was die ganze Geschichte leicht absurd wirken lässt. 

Durch die Aufs und Abs ist der Roman abwechslungsreich und unterhaltsam. Zudem stimmt er nachdenklich, welches Leben man leben möchte: Pragmatisch sein, allen gefallen oder die wilde Seite ausleben? Was ist das Leben, das zu einem passt, das glücklich macht? 

Freitag, 25. Februar 2022

Buchrezension: Aly Mennuti - Aber der Sex war gut

Inhalt:

Annie Shepherd ist eine der bekanntesten Autorinnen der Welt, ihre TRUST ME-Reihe verkauft sich millionenfach. Doch Annie hat auch ein sorgsam gehütetes Geheimnis, das ans Licht zu kommen droht, als ihr Freund, der preisgekrönte Literaturprofessor Joe Duke, überraschend stirbt. Um sich zu retten, muss sie sich mit ihrem größten Feind verbünden: dem Literaturagenten Henry Higgins. Der kommt ihr nicht gerade bereitwillig zu Hilfe, aber auch er hat alles zu verlieren. Und jeder weiß: Was sich neckt, das lernt sich lieben … Oder doch nicht? 

Rezension: 

Annie Shepherd ist eine erfolgreiche Liebesromanautorin. Mit Elizabeth Sunderland hat sie in ihrer "Trust me"-Reihe eine Heldin geschaffen, mit der sich vor allem ihrer weiblichen Leserinnen identifizieren können. Was niemand ahnt, ist, dass Annie hinter der Romanreihe ein Geheimnis verbirgt, das nur ihr Lebensgefährte und Literaturprofessor Joe Duke kennt. Als dieser bei einem letzten Liebesakt ums Leben kommt, droht ihr nicht nur ihr Versteckspiel kurz vor der Veröffentlichung des nächsten Bandes aufzufliegen, Annie steht auch noch finanziell vor dem Nichts, denn Alleinerbin von Joes Nachlass ist seine unausstehliche Tochter Lacey. Annie bleibt nichts anderes übrig, als sich mit ihrem biederen Literaturagenten Henry Higgins zusammenzutun. Während ihrer Arbeit an dem Buchprojekt entwickelt sich eine ungeahnte Hassliebe. Kann Annie nun doch noch ihr eigenes Happy End schreiben? 

Der Roman ist aus den Perspektiven von Annie und Henry geschrieben, die sich abwechseln, wobei aber nicht jeweils jedes zweite Kapitel aus der Sicht von Annie oder Henry verfasst ist, so dass man auch über mehrere Kapitel hinweg länger in die Lebens- und Gedankenwelt eines der Protagonisten eintauchen kann. 
Beide sind wie Tag und Nacht, er der kühle Brite, sie die temperamentvolle Amerikanerin und scheinen bis auf die Liebe zur Literatur keine Gemeinsamkeiten zu haben. Während Henry hohe Ansprüche an sich selbst und seine Klienten hat und Trivialliteratur verabscheut, hat Annie selbst angeblich kein Talent zum Schreiben und pflegt lieber die soziale Komponente zu ihren Leserinnen. Sie ist zudem naiv und wenig verantwortungsbewusst, weshalb ihr auch das Abhängigkeitsverhältnis zu Joe zum Verhängnis wurde. Sie lebt sorglos in den Tag hinein und gerät in Panik, wenn etwas nicht so läuft, wie sie es sich vorgestellt hat, während Henry strukturiert und gewissenhaft arbeitet und stets die Ruhe bewahrt. 

Es macht Spaß ihre Kabbeleien zu verfolgen, denn der Roman ist wunderbar witzig geschrieben. Die Dialoge und Schlagabtauschs zwischen Annie und Henry sind erfrischend und humorvoll, ohne jemals aufgesetzt oder albern zu wirken. Dass das Ende der Geschichte frühzeitig zu erahnen ist, stört dabei nicht. Wie in Annies Romanreihe, in der es für die Heldin nach einer abenteuerlichen Geschichte stets ein Happy End gibt, ist auch dieser Roman um das Suchen und Finden der Liebe, wenn zwei Figuren die Liebe vor sich haben, diese jedoch nicht erkennen können, klassisch aufgebaut. 

Für alle Buchliebhaber interessant, ist der Einblick in das Schaffen eines Romans und die Handlungsabläufe zwischen Agenten, Verlagen und Autoren, die anschaulich geschildert werden. Es geht um die Förderung von Talent, aber auch, wie viel gelogen und betrogen wird, wenn nur noch der finanzielle Profit und nicht die Leidenschaft und die eigene Stimme für das Schreiben im Vordergrund steht. 

"Aber der Sex war gut" ist ein humorvolles und abwechslungsreiches Buch, das durch die Weiterentwicklung der Charaktere und ihrem Weg zur Selbstfindung nicht oberflächlich bleibt und eine Spur Feinsinn erhält. Im Vordergrund stehen jedoch der Humor und eine turbulente Geschichte in der Welt der Literatur um zwei Charaktere nach der Devise "Was sich neckt, das liebt sich", die gerade im letzten Drittel durch raffinierte Wendungen überraschen kann. 

Mittwoch, 23. Februar 2022

Buchrezension: Abbie Greaves - Jeder Tag für dich

Inhalt:

Mary O'Connor hält jeden Tag Ausschau. Bis ans Ende der Welt wollte Jim mit ihr gehen. Doch seit sieben Jahren ist er spurlos verschwunden.
Jeden Abend geht Mary zum Londoner Bahnhof Ealing Broadway und stellt sich mitten in den Pendlerstrom. In ihren Händen hält sie ein Schild mit den Worten: Komm nach Hause, Jim.
Bis ein unerwarteter Anruf ihre Welt auf den Kopf stellt. Sosehr sich Mary innerlich sträubt, sie muss sich endlich dem stellen, was vor all den Jahren passiert ist. Als die Lokalreporterin Alice Mary am Bahnhof begegnet, wittert sie eine gute Geschichte und freundet sich mit ihr an.
Kann Alice Jim finden - und ist Mary bereit, die Wahrheit über ihre große Liebe zu erfahren? 

Rezension:

Jeden Abend steht Mary O'Connor mit einem Schild am Bahnhof Ealing Broadway in London und wartet auf ihren Lebensgefährten Jim. Dieser ist seit sieben Jahren verschwunden und hat sich nicht mehr bei Mary gemeldet. Sie vermisst ihn und wartet hartnäckig auf seine Rückkehr, während ihr Leben an ihr vorbeizuziehen scheint. 
Als ein Video im Internet über sie viral wird und zeitgleich die junge Journalistin Alice auf sie und diese bewegende Geschichte aufmerksam wird, muss sich Mary ihrer Vergangenheit stellen. Sie muss sich entscheiden, ob sie lieber mit der unangenehmen Ungewissheit über den Verbleib Jims leben oder eine möglicherweise schmerhafte Wahrheit erfahren möchte. 

Der Roman handelt im Jahr 2018, als Mary bereits sieben Jahre auf Jim wartet. In Rückblenden wird geschildert, wie sich Mary und Jim im Jahr 2005 kennenlernten und in einander verliebten. Sie waren so glücklich mit einander bis nach zwei Jahren erste Wolken am Horizont aufzogen, die trotz aller Anstrengungen und einer innigen Liebe über die Jahre nur noch dunkler wurden. Mary konnte Jim nicht halten und führt seitdem ein Leben, das nur auf seine Rückkehr ausgerichtet zu sein scheint. Sie arbeitet tagsüber im Supermarkt, wartet anschließend stundenlang am Bahnhof und arbeitet nachts bei der Telefonseelsorge NightLine, wo sie von einem anonymen Anrufer aufgeschreckt wird, bei dem es sich um Jim handeln könnte. 

Journalistin Alice ist die zweite wichtige Figur des Romans, die Alice helfen möchte über den Verlust von Jim hinwegzukommen. Aus Mitgefühl und Freundschaft zu Mary möchte sie herausfinden, was passiert ist und wo sich Jim aufhält, hat aber auch ein Eigeninteresse an der Suche, das auch mit ihrer Vergangenheit in Zusammenhang steht. 

"Jeder Tag für dich" ist eine einfühlsame Geschichte mit lebendigen Charakteren, in der viel mehr steckt, als nur eine tragische Liebesgeschichte. Sie handelt vom Verlassenwerden, von Verzweiflung, einem Gefühl des Ungeliebtseins, von Einsamkeit, psychischen Erkrankungen, Alkoholmissbrauch, aber auch von Liebe, Freundschaft und Hoffnung. 
Trotz vieler bedrückender Themen, die eine Erklärung für das Verschwinden Jims und für Marys spleeniges Verhalten sowie Alices Einmischung liefern, ist der Roman auch dank der vielen schönen Momente des Verliebtseins, die gerade zu Beginn geschildert werden, nicht deprimierend zu lesen. Der Roman enthält neben aller Schwere, Tränen und Trauer auch im weiteren Verlauf wunderbar leichte, witzige Episoden und kann zudem auch mit individuell gezeichneten Nebencharakteren überzeugen, die für Unterhaltung sorgen. Die Spannung um den Hintergrund für Jims Verschwinden und seinen ungeklärten Verbleib wird lange aufrechterhalten und erst durch Alices investigatives Handeln offenbar - einer Wahrheit, der sich Mary bisher nicht stellen konnte. 

Es ist ein emotionaler Roman mit einer schmerzhaften Geschichte, die anders ausgeht, als man es für Liebesgeschichten erwarten würde und am Ende eine wichtige Botschaft liefert. 

Montag, 21. Februar 2022

Buchrezension: Marina Kirschner - Zusammen sind wir wundervoll

Inhalt:

Backen ist Annas große Leidenschaft. Mit viel Liebe führt sie das Café "Sonnigsüß", in dem sie schon als Kind jede freie Minute an der Seite ihrer Großmutter verbracht hat. Täglich kommen hier viele Menschen auf der Suche nach kulinarischen Glücksmomenten zusammen und finden dabei Halt und Geborgenheit, denn das "Sonnigsüß" ist so viel mehr als ein Café: Für Annas beste Freundin Mel, den kauzigen älteren Herrn Havel und die einsame Schülerin Mira ist es ein zweites Zuhause. Doch bei wem fühlt Anna sich geborgen? Als sie auf dem Wochenmarkt dem gut aussehenden Marco begegnet, knistert es sofort. Bis sie ihn ein paar Tage später wiedersieht: Gegenüber von Annas Café eröffnet er ein veganes Bistro, und plötzlich zeigt er ihr die kalte Schulter. Sind die beiden nun Kontrahenten – oder haben sie vielleicht doch mehr gemeinsam, als sie glauben? 

Rezension:

Seit ihre Großmutter Gertraud ihr das seit Jahrzehnten im Familienbesitz befindliche Café Sonnigsüß überschrieben hat, ist Anna alleinige Besitzerin der Konditorei samt Café. Sie ist eine leidenschaftliche Kuchen- und Tortenbäckerin und liebt es, ihre Kunden mit neuen Rezeptideen zu verwöhnen. Ihre Stammkunden verspüren sogar eine Magie, die von ihren Kreationen ausgeht. Wenig kann dagegen der Besitzer des Restaurants Las Vegans gegenüber mit ihrem Gebäck anfangen. Der überzeugte Veganer Marco hat zusammen mit einem Freund das vegane Bistro neu eröffnet und verhält sich Anna gegenüber abweisend, obwohl doch eine nicht erklärbare Anziehkraft seit ihrer ersten Begegnung auf dem Schrannenmarkt zwischen ihnen besteht. 
Die zwölfjährige Mira kommt jeden Tag nach der Schule ins Sonnigsüß, isst Kuchen und macht ihre Hausaufgaben. Auf Anna macht sie einen verlorenen Eindruck, aber da sie sich als Kind selbst so fühlte, drängt sie Mira nicht, sich zu öffnen und fragt nicht, warum sie nach der Schule nicht direkt nach Hause geht. Der ältere Herr Augustin Havel genießt zudem die Gesellschaft der intelligenten Mira und die Gespräche mit ihr, denn seit dem Tod seiner Frau Hilde ist er einsam. 

Der Roman handelt in Salzburg und durch die Wege, die die Figuren gehen, sowie das historische und kulturelle Fachwissen, das Herr Havel gerne ungefragt weitergibt, ist der Charme der Mozartstadt spürbar. Durch die Beschreibungen der Backkreationen und der anstrengenden Arbeit in der Backstube sowie die zwischen den Kapitel abgedruckten Rezepte kann man auch Annas große Leidenschaft nachempfinden und hat den Duft von Wiener Gugelhupf, Apfelstrudel oder Rosenmuffins in der Nase. 

Die Geschichte zielt jedoch nicht nur auf Anna, ihr Café und ihr Singledasein ab, an dem ihre beste Freundin Mel unbedingt etwas ändern möchte, auch die anderen Figuren erhalten genügend Raum für ihre eigenen Geschichten. Jede von ihnen - egal ob der einsame ältere Herr Havel, die intelligente, aber in sich gekehrte Mira oder der undurchschaubare Marco - hat mit Verlusten und Ängsten zu kämpfen. Sie alle finden ein Stück Halt und Geborgenheit in Annas Café und sammeln mit der Zeit Erfahrungen, die neue Hoffnung schenken. So kommt Herr Havel seiner verwitweten Nachbarin näher, Miras Situation zu Hause erscheint weniger verzweifelt und ausweglos, Marco findet wieder einen Zugang zu seiner Familie und auch Anna kann ihr unter Schneemassen begrabenes Herz langsam ausgraben. Bis dahin gilt es jedoch für sie alle einige Hürden zu überwinden und Klippen zu umschiffen, denn das Leben macht es den Protagonisten nicht leicht. 

"Zusammen sind wir wundervoll" ist ein vielschichtiger Roman über Einsamkeit, Vertrauensverlust, Freundschaft, Liebe und neue Anfänge, der einfühlsam und warmherzig geschrieben ist. Die Charaktere sind lebendig gezeichnet und nahbar, so dass man unweigerlich von ihren ganz unterschiedlichen Schicksalen betroffen ist, mit ihnen bangt und hofft, dass sie mit Hilfe von Kuchenmagie und verlässlichen Freunden ein Tor zum Glücklichsein für sie öffnen möge. Es ist eine Wohlfühllektüre und eine Hommage an die Freundschaft, die vor allem durch ihre bittersüßen Momente Tiefgang erhält, die Hoffnung schenkt und mit vielen verlockenden Rezepten zum Nachbacken aufwartet. 

Samstag, 19. Februar 2022

Buchrezension: Ronald H. Balson - Esthers Verschwinden

Inhalt:

Deutschland, 1946: Eli Rosen und sein Sohn sind knapp dem Tod entkommen und warten in einem Lager für Displaced Persons auf ein Visum nach Amerika. Eli setzt alles daran, an Informationen über seine Frau zu gelangen. Esther verschwand im besetzen Polen, als er versuchte, seine Familie mit einem Pakt vor den Deutschen zu retten. 
Chicago, 1965: Mithilfe einer Journalistin versucht Eli, ein Komplott aufzudecken, das bis ins Polen der Kriegsjahre reicht. Und endlich kommt er der Wahrheit um das Verschwinden seiner Frau näher. 

Rezension: 

Lublin/ Polen, 1939-1943: Als die Deutschen 1939 Polen angreifen und Lublin besetzen, spitzt sich die Lage insbesondere für die polnischen Juden zu. Eli Rosen führt zusammen mit seinem Vater Jakob eine Baufirma in Lublin. Der Angestellte Max Poleski, der im Gegensatz zur Familie Rosen nicht jüdisch ist und mit den deutschen Nazis kooperiert, übernimmt die Geschäftsführung der Firma. Poleski verspricht Eli als Gegenleistung seinen Schutz und tatsächlich ist die Familie Rosen durch zusätzliche finanzielle Leistungen an Poleski privilegierter als andere jüdische Familien. 

DP-Lager Föhrenwald/ Oberbayern, 1946-1947: Eli Rosen und sein Sohn Isaak sind nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges in einem Lager für Displaced Persons untergebracht und warten auf ein Visum für die Auswanderung nach Amerika. Seine Frau Esther Rosen wird vermisst. Als Eli erfährt, dass ein Max auf dem Schwarzmarkt amerikanische Visa anbietet, geht er davon aus, dass es sich bei dem Mann um Poleski handelt, den er für das Verschwinden seiner Ehefrau verantwortlich macht. Er involviert die amerikanische Militärregierung und setzt alles daran, Poleski seiner Verbrechen zu überführen. 

Chicago/ Amerika, 1965-1966: Eli Rosen ist inzwischen in Amerika angekommen und auf einer geheimen Mission. Zusammen mit der amerikanischen Journalistin der Chicago Tribune, Mimi Gold, versucht er eine Verschwörung aufzuklären. 

Der Roman handelt auf drei Zeitebenen und wird dabei nicht chronologisch erzählt, sondern wechselt in längeren Abschnitten zwischen den Jahren während des Zweiten Weltkrieges, unmittelbar danach und 1965 hin und her. Die Wechsel erfolgen abrupt und ohne inneren Zusammenhang, so dass ich mich schwertat, jeweils wieder in die Geschichte hineinzufinden. Zudem wird man als Leser in allen drei Abschnitten mit einer großen Anzahl an Protagonisten konfrontiert, was nicht ganz einfach macht, den Überblick über die handelnden Personen zu behalten. 

Der Autor vermischt eine Geschichte um die Familie Rosen mit historischen Fakten zum Holocaust. Die Beschreibungen in Lublin und Föhrenwald sind anschaulich und zeigen das Leid, das die jüdische Bevölkerung durchmachen musste, eindrücklich. Durch zahlreiche kleine Details wird deutlich, wie akribisch der Autor bei seiner Recherche war, allerdings wirken die vielen Fakten auch sehr nüchtern und sachlich. Mir fehlte dadurch ein Gefühl für die Figuren. Auch empfand ich es als irritierend, dass der dritte Erzählstrang nicht mehr aus Elis Perspektive geschildert wird, sondern seine Rolle geheimnisvoll bleibt. 

Aufgrund des Erfolgs der Vorgängerromane von Ronald H. Balson hatte ich hohe Erwartungen an "Esthers Verschwinden", die sich leider nicht erfüllten. 
Der Roman behandelt mit dem Holocaust ein wichtiges und ernstes Thema #gegendasvergessen, konnte mich aber weder fesseln noch innerlich berühren. Den ersten Erzählstrang, in welchem Eli enteignet und immer wieder aufs Neue auf die Versprechungen Poleskis hereinfällt, empfand ich ermüdend, der zweite Erzählstrang konnte mich durch die Suche und Überführung des Visumhändlers mehr packen. Der jüngste Handlungsstrang war mir mit den Themen Vietnamkrieg, Rüstungsindustrie, Geldwäsche, politische Seilschaften, Korruption und der sehr abenteuerlichen Aufklärung illegaler Machenschaften ranghoher Personen aus Politik und Wirtschaft. 
Die Wechsel zwischen den Zeiten erfolgen willkürlich und unterbrechen den ohnehin schon mühsamen Lesefluss. Für meinen Geschmack legte der Autor zudem einen zu großen Aspekt auf die Schilderung historischer Fakten, denn auf die Erzählung einer lebendigen Geschichte mit einnehmenden Charakteren. Dennoch ist es ein eindrücklicher Roman über die Rolle von Kriegsgewinnlern und einem nicht enden wollenden Kampf um Gerechtigkeit. 

Freitag, 18. Februar 2022

Buchrezension: Jo Jakeman - Safe House: Nirgends bist du sicher

Inhalt:

Endlich kann Charlie Miller die dunklen Schatten der Vergangenheit hinter sich lassen. In einem abgelegenen Häuschen in Cornwall, mit einem neuen Namen, einer neuen Identität. Hier weiß keiner von der schlimmen Tat, die sie vor zwei Jahren begangen hat. Doch kaum scheint ein Leben in Ruhe und Frieden in greifbarer Nähe, geschieht ein grausames Verbrechen. Charlie weiß: Jemand ist ihr auf der Spur. Jemand, der auf Rache sinnt für das, was sie getan hat. 

Rezension: 

Wenige Wochen nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis sucht sich Steffi Finn eine renovierungsbedürftiges Cottage in Cornwall, um neu anzufangen. Sie hat einen anderen Namen angenommen und möchte als Charlie Miller die Vergangenheit hinter sich lassen. Sie hatte ihrem damaligen Lebensgefährten vor zwei Jahren zunächst ein falsches Alibi gegeben, wodurch er nicht verhaftet wurde, sondern erneut einen Mord begehen konnte. Nach den Ermittlungen begann eine Hetzjagd durch die Medien und die Angehörigen der Opfer auf Steffi und selbst ihre Eltern wendeten sich von ihr ab. Sie selbst macht sich Vorwürfe aufgrund ihrer Naivität und der starken Abhängigkeit von ihrem manipulativen Exfreund, hofft aber dennoch auf eine zweite Chance. Doch die Dämonen der Vergangenheit lassen sie selbst in dem abgelegenen Dorf nicht los. 

Der Roman handelt im Herbst 2018, zwei Monate nach der Entlassung von Steffi Finn aus dem Gefängnis wegen Behinderung der Justiz. Durch Rückblenden in das Jahr 2016 wird deutlich, welche toxische Beziehung sie zu Lee Fisher führte und wie es dazu kam, dass sie ihm voll Vertrauen in seine Integrität ohne nachzudenken ein falsches Alibi gegeben hat. 
In Cornwall angekommen, versucht sie sich in die Dorfgemeinschaft zu integrieren, beteiligt sich an einem Buchclub und übernimmt kleine handwerkliche Tätigkeiten. Mit ihrer neuen Identität fühlt sie sich sicher, doch dann ereignen sich immer wieder kleinere Unfälle und seltsame Zufälle lassen sie glauben, dass sie jemand enttarnt hat und verfolgt. 
Die Angst von Steffi ist spürbar und ihre Paranoia nachvollziehbar geschildert. 

Tatsächlich erfährt der Leser aus zwei weiteren Perspektiven, dass sich Steffi nicht sicher fühlen kann. Mindestens zwei Personen sind hinter ihr dicht auf den Fersen, um Rache zu üben. 

"Safe House - Nirgends bist du sicher" ist kein nervenaufreibender, komplexer Thriller, entwickelt aber trotz seiner Vorhersehbarkeit eine solide Grundspannung. Zudem sind das Alltagsleben und die Hoffnung auf einen Neuanfang, auf Rehabilitation nach einer verbüßten Strafe und einen gerechten Neuanfang, authentisch und abwechslungsreich geschildert. Auch die charakterliche Veränderung von Steffi ist glaubwürdig. Durch die Haftstrafe und Reflexion über ihre Beziehung und ihre Tat hat sie sich von einer naiven, unsicheren jungen Frau zu einer körperlich und mental stärkeren Person entwickelt, die es verdient hat, neu zu beginnen. Eine drohende Gefahr von mehreren Seiten - sei es eingebildet oder echt - ist kontinuierlich vorhanden. 
Das Ende des Romans mutet fast schon ein wenig kitschig an und ist für einen Thriller entschieden zu glückselig. 

Mittwoch, 16. Februar 2022

Buchrezension: Matthias Kohm - Ewig braucht doch keiner

Inhalt:

Tischlerlehrling Meyer hat eigentlich keine Ahnung vom Schreiben und doch erzählt er uns, wie es dazu kam, dass sechs Jugendliche in einer Krebs-Reha plötzlich beschlossen, eine neue Religion zu gründen. Eine, die keine Ewigkeit verspricht, denn ewig ist ein Scheißwort, darüber waren sich alle einig. Es musste etwas her, dass ihnen die Angst vor dem kalten Grauen nimmt. Zwischen gesund werden und philosophieren badete Meyer nackt – und ohne Mütze – im Reha-Pool, half Freund Adrian beim Predigen auf S-Bahn Sitzen, verliebte sich Hals über Kopf in Johanna und wurde unfreiwillig zum Redner auf gleich zwei Beerdigungen. 

Rezension: 

Tischlerlehrling Meyer ist an Thymuskrebs erkrankt und befindet sich nach Operation und Chemotherapie in einer Rehaklinik für krebskranke Kinder und Jugendliche in Bayern. Dort freundet er sich mit mehreren Jugendlichen in seinem Alter an, darunter Adrian, der die Idee hat, eine neue Religion zu gründen. Die sechs Jugendlichen philosophieren und entwickeln Ideen. Unabhängig davon, ob es einen Gott gibt oder nicht, soll die Religion den Menschen in erster Linie Trost spenden. Der Tod soll dabei nicht das Ende sein. Menschen sollen solange wiedergeboren werden, wie es die Menschheit gibt - denn ewig braucht doch keiner. 
Während der Treffen in ihrer Verschwörerecke verliebt sich Meyer in Johanna und erlebt mit ihr trotz des Damoklesschwerts Krebs, das über ihnen allen schwebt, die unbeschwerte Zeit des Verliebtseins und die süßen Früchte der ersten Liebe. 

"Ewig braucht doch keiner" ist ein Jugendbuch, kann aber auch ohne Weiteres von lebensälteren Leser*innen gelesen werden. Die Geschichte handelt in einer Einrichtung für krebskranke Kinder und Jugendliche, die von einer Stiftung gefördert wird, in der es weniger um die körperliche, als vielmehr die seelische Gesundung der jungen Patienten geht. 

Das Buch ist auch Sicht des 17-jährigen Meyer geschrieben, der seinen altbackenen Vornamen zunächst bewusst verheimlicht und den Leser direkt anspricht. Er schreibt selbst seine eigene Geschichte über den Aufenthalt in der Reha auf und könnte sich das Szenario auch gut als Film vorstellen. 

Auch wenn alle handelnden Personen von der Diagnose Krebs betroffen sind und das Leid, das sie in ihren jungen Leben schon haben durchmachen müssen, ihnen anzusehen ist, ist die Geschichte keinesfalls beklemmend oder deprimierend. Die Krebsarten, Behandlungen und Heilungschancen werden - wenn überhaupt - nur als Nebensache erwähnt. Im Fokus der Handlung stehen die Freundschaft der Protagonisten und ihr gemeinsames Ziel der Gründung einer neuen Religion. Das Projekt beschäftigt sie intensiv und ist eine Form der Ablenkung von den vordringlichen Problemen. Religion ist dabei ein sehr großes Wort. Die Jugendlichen, die keine Angst vor dem Tod haben und mit ihren Erkrankungen souverän umgehen, suchen eher nach einem Anker und einem Trost, dass mit dem Tod nicht alles vorbei ist. 
Die Charaktere sind individuell gezeichnet - manch einer schüchtern und zurückhaltend, der eine feinfühlig, der andere plump, von selbstbewusst und fordernd bis liebenswert skurril. So philosophieren, diskutieren, streiten und vertragen sie sich, bis sie die Grundlagen für ihre Religion gefunden haben, die sie der breiten Masse vorstellen möchten. 

Die Geschichte ist abwechslungsreich und lebendig und trotz der Ernsthaftigkeit und Schwere der Themen spielerisch-leicht statt bedrückend geschrieben. Die scharfsinnige und optimistische Erzählstimme von Meyer, der sich selbst niemals bedauert oder mit seinem Schicksal hadert, macht Mut und schenkt Leser*innen jeder Altersklasse Hoffnung, beschönigt jedoch auch nichts. Gerade am Ende wird die bittersüße Geschichte nicht nur etwas langatmig, sondern auch ein wenig wehmütig, zeigt aber eben ganz realistisch wie das Leben so spielt und weckt keine falschen Erwartungen.  

Montag, 14. Februar 2022

Buchrezension: Hannah Emery - Wir zwei für alle Zeit

Inhalt:

Mitten auf einer Party trennt sich Ericas Freund von ihr, dabei wollte sie eigentlich nicht zu der Feier gehen. Doch dann trifft sie Daniel, und der Abend verändert ihr Leben für immer. Bei ihm spürt sie sofort eine Verbundenheit, ihm vertraut sie ihr größtes Geheimnis an. Erica hat eine einzigartige Gabe, sie kann in Paralleluniversen eintauchen und beobachten, wie ihr Leben verliefe, wenn sie andere Wege eingeschlagen würde. Gerade als sie und Daniel am glücklichsten sind, geschieht eine Tragödie, und Erica steht vor der Entscheidung, ihre Fähigkeit bewusst einzusetzen und in eine Zeit vor all dem Schmerz zu reisen. Aber was, wenn sie Daniel in diesem anderen Leben nicht wiederfindet? 

Rezension: 

Nachdem sich ihr Freund Mike nach fünf Jahren Beziehung überraschend von ihr getrennt hat, lernt Erica den einfühlsamen Daniel kennen. Doch am Tag der Trennung passiert Erica das, was ihr erstmals als Zwölfjährige passiert ist. Sie verlässt Zeit und Raum und landet in einer Parallelwelt. Nun sieht sie eine andere Erica vor sich, die selbstbewusster und reiselustig ist und ein ganz anderes, unbeschwertes Leben führt. Sie ist hin- und hergerissen, ob sie diese Erica sein möchte oder einem Leben mit Daniel eine Chance geben möchte. Sie erzählt ihm von ihrer Gabe, die er nicht weiter hinterfragt und sie so akzeptiert, wie sie ist. Erica entschließt sich deshalb, ein bodenständiges Leben zu führen, erleidet jedoch einen schrecklichen Verlust, der sie ihre Entscheidung hinterfragen lässt. Sie sehnt sich nach einem anderen, besseren Leben und versucht auch Daniel in dieses andere Leben zu integrieren. 

Der Roman mutet durchweg melancholisch an. Selbst als Erica eigentlich glücklich sein sollte, herrscht eine traurige Stimmung vor, denn Erica lebt in permanenter Angst, den Halt zu verlieren und ungewollt für unbestimmte Zeit in ein anderes Leben abzudriften. 
Diese Aufenthalte in ihrer Parallelwelt sind jedoch augenscheinlich nur von kurzer Dauer und Erica verbleibt darin in einer rein beobachtenden Position. Sie kann sich nicht bewegen und sieht nur ihr alternatives Leben, das anders, vermeintlich besser ist. 
Für diese Quantensprünge wird nach keiner Erklärung gesucht, sondern als Ericas Besonderheit, die sie mit Daniel und ihrer Familie teilt, hingenommen. Ihre "Zeitreisen" sind wenig erkenntnisreich und ihr reale Alltag eher belanglos. Selbst die Beziehung mit Daniel, die als lebensverändernd bezeichnet wird, ist vergleichsweise lieb- und leidenschaftslos geschildert. 
Die Geschichte dümpelt vor sich hin, bis etwas Tragisches passiert, das in Erica die Sehnsucht weckt, aus ihrem bisherigen Leben zu fliehen. Sie möchte jedoch auch nicht auf Daniel verzichten. Je mehr sie sich hineinsteigert, desto egoistischer wirkt ihr Wunsch. Selbst wenn man in Betracht zieht, dass Erica verstört ist und trauert, macht ihr Bedürfnis, alles haben zu wollen und das Schicksal nicht akzeptieren zu können, sie nicht wirklich sympathisch. Erst ein weiteres tragisches Ereignis führt sie wieder zur Besinnung. Es ist nicht ihre eigene Entscheidung, sondern eine Folge der äußeren Umstände, weshalb das glückliche Ende einen wahrhaft faden Beigeschmack hat. 

Die etwas fantastische Idee für den Roman hat mir gut gefallen, die Umsetzung der Geschichte ist leider nicht gelungen. Ich konnte mich weder für die flachen Charaktere erwärmen, noch war der Umstand der Reisen in eine Parallelwelt wirklich schlüssig, enthielt Logikfehler und ließ viel zu viele Fragen offen. 

Samstag, 12. Februar 2022

Buchrezension: Melanie Golding - Dunkle Seele

Inhalt:

Detective Sergeant Joanna Harper wird zu einem Tatort gerufen. Ein Mann liegt verblutend in der Badewanne, am Hinterkopf eine schwere Wunde. Er fällt ins Koma. Die Nachbarin sagt aus, dass eine Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm die Treppe hinuntergerannt sei. Die Fahndung nach der Frau mit dem Kind läuft. Was Harper noch nicht weiß: Sie jagt jemanden, der ihr sehr vertraut ist.
Und plötzlich wacht der Patient im Krankenhaus aus dem Koma auf. Ist er wirklich das unschuldige Opfer, das er zu sein scheint? Harper muss einen komplizierten Fall entwirren, in dem nichts so ist, wie es scheint. 

Rezension: 

Nach dem Hinweis einer Nachbarin wird Gregor Franks, ein angeblich alleinstehender Mann, bewusstlos mit einer schweren Kopfverletzung in seiner Badewanne aufgefunden. Ob es sich um einen Unfall oder um Fremdeinwirkung handelt, ist zunächst unklar. Im Treppenhaus wurde eine Frau mit einem kleinen Kind gesehen, die das Haus an dem Tag auffällig überstürzt verlassen hat. Detective Sergeant Joanna Harper beginnt mit den Ermittlungen, nimmt den Hinweis auf und fahndet als einzigen Anhaltspunkt nach der Frau. Über Videoabgleiche an öffentlichen Plätzen stellt sich heraus, dass es sich um zwei Frauen handelt, die identisch gekleidet offenbar mit einem Kind auf der Flucht sind. Zu ihrem eigenen Entsetzen erkennt Joanna eine der Frauen, unterschlägt diese Tatsache jedoch, um den Sachverhalt eigenmächtig zu klären und nicht wegen Befangenheit von dem Fall eines möglicherweise versuchten Mordes abgezogen zu werden. 

"Dunkle Seele" ist der zweite Band einer Reihe um Detective Sergeant Joanna Harper. Die Bücher können jedoch problemlos unabhängig voneinander gelesen werden. 

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen: wenige Tage vor Weihnachten, als der bewusstlose Mann aufgefunden wird und mehrere Monate davor, die eine Erklärung zu den beiden gesuchten Frauen liefern. Als Leser*in ist man dem Ermittlerteam um DS Harper deshalb mit einem Wissensvorsprung voraus. Aufgrund der Vorgeschichte ist bald zu erahnen, was in der Wohnung geschehen sein mag, weshalb ein Teil der Spannung eingebüßt wird. Letztlich bleibt der Fall jedoch verwirrend und erhält insbesondere durch die Bezüge zur schottischen Mystik einer der beiden gesuchten Frauen eine geheimnisvolle, nicht durchschaubare Komponente. Auch die persönliche Involvierung Joannas und ihre ungewöhnliche Familienkonstellation tragen dazu bei, dass die Aufklärung des Verbrechens und die Suche nach Opfern und Tätern trotz eines eindeutigen Verdachts fesselnd bleibt. 
Im letzten Drittel spitzt sich die Lage zunehmend zu, die Perspektiven wechseln schneller und enden mit Mini-Cliffhangern. Die drohende Gefahr ist allgegenwärtig und es wird immer rätselhafter, bei wem es sich um den Mann aus der Badewanne handelt. Umso enttäuschender ist dann, dass seine Rolle nach meinem Empfinden nur unzureichend aufgeklärt wird. 

Der Fall und die Hintergründe der Tat sind dabei nicht sonderlich komplex oder außergewöhnlich. Der Thriller weiß vielmehr durch seine interessanten Figuren, deren geheimnisvolle Vergangenheit und die Frage, wer Opfer und wer Täter ist, zu überzeugen. Es ist ein vielschichtiger Roman mit märchenhaften, mythologischen Elementen, der ein großes Augenmerk auf die Beziehungen zwischen Mutter und Kind legt, die hier auf beiden Erzählebenen nachvollziehbar und eindringlich geschildert werden. 



Freitag, 11. Februar 2022

Buchrezension: Charlotte Link - Die Betrogene (Die Kate-Linville-Reihe, Band 1)

Inhalt:

Um ein glückliches Leben betrogen – so fühlt sich Kate Linville, Polizistin bei Scotland Yard. Kontaktscheu und einsam, gibt es nur einen Menschen, den sie liebt: ihren Vater. Als dieser in seinem Haus grausam ermordet wird, verliert Kate ihren letzten Halt. Sie macht sich selbst auf die Spur dieses mysteriösen Verbrechens. Dabei entlarvt sie die Vergangenheit ihres Vaters als Trugbild. 
Zugleich bricht Drehbuchautor Jonas Crane mit seiner Familie aus London in die Ferien auf. Die drei ahnen nicht, dass die Geschichte um Kates ermordeten Vater auch sie in Lebensgefahr bringen wird: Ein flüchtiger Verbrecher ist in den Hochmooren von Yorkshire auf der Suche nach einem abgeschiedenen Versteck. 

Rezension: 

Nach dem Tod ihres Vaters Richard, einem pensionierten Polizisten, ist Kate Linville auf sich alleingestellt. Sie selbst ist Polizistin bei Scotland Yard und kehrt nun in ihr Elternhaus nach Scalby in North Yorkshire zurück, um mehr über die Hintergrund des brutalen Mordes in Erfahrung zu bringen und den Täter aufzuspüren. Mit ihrem Verhalten eckt sie bei dem ermittelnden Beamten der Yorkshire Police, Caleb Hale an, der sich bei der Tätersuche auf einen Verdächtigen fixiert hat, den Linville vor Jahren ins Gefängnis gebracht hat. Da während der Ermittlungen auf weitere ermordete Personen aus dem Umfeld von Richard Linville gestoßen wird, wird immer unwahrscheinlicher, dass es sich bei dem flüchtigen Straftäter, der bei seiner Verurteilung geschworen hatte, Rache an Linville zu nehmen, um den gesuchten Mörder handelt. 

Jonas Crane ist Drehbuchautor und steht aufgrund des finanziellen Drucks, der auf ihm lastet, vor einem Burnout. Zusammen mit seiner Ehefrau Stella und seinem fünfjährigen Adoptivsohn Sammy nimmt er sich eine Auszeit um in den Hochmooren im Norden Englands in aller Abgeschiedenheit zur Ruhe zu kommen. Die selbst gewählte Einsamkeit der alten Farm wird der Familie zum Verhängnis, als der gewalttätige Freund der leiblichen Mutter ihres Adoptivsohnes sie als Geiseln nimmt. 

"Die Betrogene" ist der erste Band der Krimireihe um Detective Sergeant Kate Linville. Diese ist ein einsamer Mensch ohne soziale Kontakte und Rückhalt bei Scotland Yard. Sie hat nur wenig Selbstvertrauen und fühlt sich in ihrer Haut unwohl. Es erscheint kaum vorstellbar, wie diese unscheinbare, verunsicherte Frau bei der Metropolitan Police eine Anstellung finden konnte, doch dann beweist sie bei ihren privaten Recherchen zum Tod ihres Vaters unerwartetes polizeiliches Gespür und ist den Beamten vor Ort unfreiwillig stets einen Schritt voraus. 
Detective Chief Inspector Caleb Hale ist Alkoholiker, der denkt, zusammen mit dem Alkohol auch seinen Polizeiinstinkt verloren zu haben. Er und sein Team tappen bei den Ermittlungen zum Mord an ihrem ehemaligen Kollegen lange Zeit im Dunkeln und werden durch Kate auf neue Spuren aufmerksam. 

Der Roman ist aus zwei Handlungssträngen aufgebaut, die lange parallel verlaufen und sich selbst immer weiter verzweigen. Beide Erzählebenen, die sich zeitgleich ereignen, sind für sich spannend geschildert. Während die Aufklärung des Mordes an Richard Linville ein klassischer Kriminalroman ist, mutet die Geschichte um den Drehbuchautor und seine Familie wie ein Thriller an. 
Der Roman ist dynamisch und voller raffinierter Wendungen. Bereits jeder Handlungsstrang für sich fesselt, bis auf wenige Längen, die sich vor allem aus den Unsicherheiten und persönlichen Gedanken von Kate und Caleb ergeben. Ungleich spannender ist, in welchem Ausmaß die beiden Erzählstränge und der tragische Prolog in einem Zusammenhang stehen und für welche Taten sich der Mörder an Richard Linville rächen möchte. 

Es ist ein gelungener Reihenauftakt mit interessanten Charakteren, die Potenzial zur Weiterentwicklung haben. Der Kriminalfall ist undurchsichtig, weshalb es kaum möglich ist, einen Täter und sein Motiv frühzeitig zu erahnen. Die Schilderungen sind authentisch, auf übertriebene Dramatik wird verzichtet, ohne dass die Emotionen von Ermittlern, Tätern und Opfern zu kurz kommen. 

Mittwoch, 9. Februar 2022

Buchrezension: Nita Prose - The Maid: Ein Zimmermädchen ermittelt

Inhalt:

Jeden Morgen freut sich die 25-jährige Molly Gray darauf, in ihre frisch gestärkte Uniform zu schlüpfen: Sie liebt ihren Job als Zimmermädchen im altehrwürdigen Regency Grand Hotel und ist erst zufrieden, wenn sie die eleganten Suiten wieder in einen tadellosen Zustand versetzt hat. Doch als Molly den ebenso berüchtigten wie schwerreichen Mr Black tot in seinem zerwühlten Zimmer vorfindet, bringt das nicht nur ihren Sinn für Sauberkeit gehörig durcheinander.
Denn Molly ist nicht wie andere, und ihr etwas eigenartiges Verhalten macht sie prompt zur Hauptverdächtigen. Zum Glück hat Molly die Sinnsprüche ihrer Oma, ein Faible für Inspektor Columbo – und echte Freunde im Hotel, die ihr helfen, die Ordnung wieder herzustellen. 

Rezension: 

Molly Gray ist 25 Jahre alt und arbeitet als Zimmermädchen in einem luxuriösen Hotel in London. Ordnung und Hygiene sind für sie das Maß aller Dinge, weshalb sie ihrem Beruf mit Leidenschaft nachgeht und unter den Stammgästen aufgrund ihres Fleißes und ihrer Diskretion beliebt ist. Ihre Routine gerät aus den Fugen, als sie eines nachmittags einen der Stammgäste, einen reichen Immobilienmagnaten, des ehrbaren Hotels tot in seinem Bett auffindet. Ermittlungen ergeben, dass Mr Black keines natürlichen Todes gestorben ist und Molly gerät durch ihr unbeholfenes Verhalten im Umgang mit andern Menschen unter Mordverdacht. 

Molly ist eine junge Frau, die von ihrer Großmutter aufgezogen wurde, die vor wenigen Monaten an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben ist. Von ihr hat sie das Faible zum Reinemachen und den Hang zur Perfektion übernommen. Sie lebt in festgefahrenen Strukturen, hat außerhalb des Hotels keine sozialen Kontakte und einige ihrer KollegInnen nehmen sie nicht ernst, denn Molly ist anders. Sie hat Probleme damit, Gesichtsausdrücke und Körpersprache zu deuten und Ironie zu verstehen. Offenbar hat sie leicht autistische Züge, weshalb ihr der Umgang mit anderen Menschen schwerfällt. Diese Einschränkung und ihr ungewöhnlich enger Kontakt zur Ehefrau des Toten werden ihr bei einer Befragung durch die Polizei zum Verhängnis. 

Der Roman wird vom Verlag als Cosy Krimi beschrieben. Er ist tatsächlich "cosy", denn es handelt sich nicht um einen brutalen Kriminalroman mit klassischen Ermittlungen zur Aufklärung eines Mordfalls. Der Roman ist nicht dem Genre üblich humorvoll, aber gemütlich, denn die Atmosphäre in dem vornehmen Grandhotel, in dem der Gast noch König ist, sorgt für Behaglichkeit. Durch die lange Einführung und detaillierte Beschreibung von Molly als Person, ihre Rückblenden in die Vergangenheit und das Kennenlernen ihrer Eigenheiten gerät die Krimihandlung in den Hintergrund, weshalb die Geschichte auch keine wesentliche Spannung aufbauen kann. Dafür sind die verdächtigen Personen für die/ den LeserIn auch zu offensichtlich. Auf Werte wie Freundschaft, Vertrauen, Solidarität und Zusammenhalt wird ein größerer Fokus gelegt als auf die Aufklärung des Mordfalls. 

Es ist durchaus unterhaltsam, wie sich Molly hilflos weiter verstrickt, andererseits empfindet man auch Mitgefühl für sie, denn sie ist eine Person mit dem Herz auf dem rechten Fleck. So hofft man, dass sie ihre wahren Freunde im Hotel erkennen und sich aus den Mordermittlungen herauslavieren kann. 

Wer aufgrund der Beschreibung einen Krimi à la Miss Marple oder Inspektor Columbo erwartet, wird vermutlich enttäuscht sein, denn so viel detektivisches Gespür hat Molly nicht. Deshalb passt auch der Unterteil "Ein Zimmermädchen ermittelt" nicht. Dennoch ist der Roman schon aufgrund Mollys eigenwilliger Persönlichkeit und ihrem "Talent" sich immer weiter in Schwierigkeiten zu bringen, kurzweilig und unterhaltsam und hat seinen eigenen Charme. Es ist letztlich ein Kriminalroman zum Wohlfühlen statt mit Nervenkitzel, bei dem man davon ausgehen kann, dass am Ende alles gut wird und Gut über Böse bzw. die Gerechtigkeit siegen wird. 

Montag, 7. Februar 2022

Buchrezension: Sandra Poppe - Liebe beginnt, wo Pläne enden

Inhalt:

Kristin entdeckt beim Brötchenholen, dass ihr Mann eine Geliebte hat. Um Abstand zu gewinnen und sich zu sortieren, nimmt sie kurz entschlossen an dem Projekt „Gelebte Geschichte“ teil und zieht mit ihren zwei Töchtern für die Sommerferien ins Freilichtmuseum. Sechs Wochen leben wie im 18. Jahrhundert – Einschränkungen und harte Arbeit inklusive. Dafür kein Termindruck, kein Stress, kein Handy. Kristin gewinnt eine ganz neue Perspektive auf ihr Leben. Zudem sorgen ihre Mitbewohner:innen im Museum für emotionalen Tapetenwechsel und machen den historischen Alltag viel bunter als erwartet. Kristin lernt skurrile, aber auch sehr liebenswerte Menschen kennen und vor allem einen Mann, der ihr Herz höher schlagen lässt. Obwohl die Liebe nun wirklich nicht in Kristins Pläne passt. 

Rezension: 

Als Kristin herausfindet, dass ihr Ehemann Carsten eine Affäre hat, spricht sie ihn zunächst nicht darauf an. Der gemeinsame Sommerurlaub auf Rügen wird von Carsten aus vorgeblich beruflichen Gründen abgesagt. Kristin beschließt daraufhin, mit ihren Töchtern an einem "Living History"-Projekt teilzunehmen. Sechs Wochen werden sie in einem Freilichtmuseum in der Eifel auf einem Hof aus dem Jahr 1756 leben und auf jeglichen Komfort der Gegenwart verzichten. Kristin möchte sich in dieser Zeit Gedanken um ihre Ehe machen und eine Entscheidung treffen, wie es am Ende für sie und ihre Familie weitergehen wird. 

Die drei schlüpfen in ihre Rollen und fühlen sich trotz der Anstrengungen unerwartet wohl. Mit den anderen Teilnehmern werden sie zu einer festen Gemeinschaft, lernen sich immer besser kennen und schließen Freundschaften. 
Kristin lernt während ihres Aufenthalts zudem Max kennen. Dieser ist frisch von seiner Ehefrau getrennt, die ihn nach einer Affäre vor die Tür gesetzt hat. Kristin findet Max deshalb alles andere als sympathisch und projiziert ihre gesamte Wut von Carsten auf Max. Dabei merkt sie bald, dass ihr Herz ganz andere Meinung ist als ihr Verstand und kann sich der Anziehung von Max kaum erwehren. 

"Liebe beginnt, wo Pläne enden" ist eine lebendige und unterhaltsame Geschichte mit einem ungewöhnlichen Setting. Es ist interessant zu lesen, wie die Teilnehmer des "Living History"-Projekts in ihre Rollen als Magd, Knecht, Bauernsohn oder Gutsherr schlüpfen und dass es ihnen gar nicht einmal so schwer fällt, auf die Annehmlichkeiten des 21. Jahrhunderts zu verzichten und sich auf das Wesentliche zu besinnen. 

Kristin wohnt neben ihren Töchtern mit sieben ihr bislang unbekannten Personen zusammen. Durch das gemeinsame Projekt und die Aufgaben, die sie zu bewältigen Haben, um im Alltag von 1756 zurecht zu kommen, schließen sich bald Freundschaften und die selbst zu Beginn unsympathisch wirkenden Teilnehmer werden nahbarer und zeigen ihre guten Seiten. Als verschworene Gemeinschaft wird auch gern geschummelt, die ein oder andere Flasche Wein getrunken oder ein heimlicher Ausflug nach Köln unternommen, was für Abwechslung sorgt. 
Jeder Charakter macht für sich eine Entwicklung durch, die am Ende auch authentisch wirkt. Sie bewegen sich aus ihrem Schneckenhaus oder ihrer Komfortzone und nehmen von dem Aufenthalt etwas für die Zukunft mit. 

Phasenweise hätte ich mir etwas mehr Ernsthaftigkeit gewünscht. Gerade am Anfang waren mir die Dialoge zu gewollt komisch, die Sprache zu derb und so manche spätere Anekdote zu albern. Auch fand ich es schade, dass die Charaktere so oberflächlich beschrieben blieben. Mir fehlten Erklärungen, warum sich der einzelne für eine Auszeit "back to the roots" entschieden hatte. Zudem lösten sich die Probleme der handelnden Figuren recht einfach ohne große Auseinandersetzungen. 

"Liebe beginnt, wo Pläne enden" ist ein reiner Unterhaltungsroman mit einer schönen Idee als Rahmenhandlung, der undramatisch und ohne große Emotionen erzählt wird. Zu keinem Zeitpunkt ergibt sich das Gefühl, mit den Protagonisten zu leiden, ihre Probleme zu teilen oder auf ein Happy End zu hoffen. Auch wenn ich keine tiefgängige Geschichte erwartet hatte, hätte ich mir zumindest in Bezug auf Kristins persönliche Geschichte mehr Gefühlsregungen gewünscht. 

Samstag, 5. Februar 2022

Buchrezension: Sybille Hein - Eure Leben, lebt sie alle


Inhalt:

Wer hat noch mal das Gerücht in die Welt gesetzt, dass man in der Mitte des Lebens auch in der Mitte von sich selbst angekommen ist? Ellen setzt den Abgründen ihrer Patienten immer bessere Rezepte entgegen, aber die eigenen werden zu Treibsand unter ihren Füßen. Freddy fragt sich, ob der enorme Umfang ihres Körpers die einzig sichtbare Größe in ihrem Leben darstellt. Luise verpfuscht ihre Bilderbuchfamilie, Johanna springt. Und Marianne? Der Grand Dame dieser Schicksalsgemeinschaft kriechen alte Geister durchs Schlüsselloch. Allen voran ihr früh verstorbener Sohn Jonas, der auch im Leben der anderen einmal eine große Rolle gespielt hat. Wie jede dieser fünf Frauen mit verrutschten Gewissheiten ringt, davon handelt dieser Roman. 

Rezension: 

Ellen, Frederike, Luise und Johanna sind Frauen Ende 40, die in der Vergangenheit alle ein Verhältnis mit Jonas Kiekhöfel hatten. Dieser ist bereits 1992 bei einem Verkehrsunfall gestorben, aber nach wie vor spukt er in ihren Köpfen herum. Eine Verbindung besteht zudem immer noch zu seiner Mutter Marianne, die 80 Jahre alt wird und vor allem für Ellens Kinder als Ersatzomi fungiert. 

Der Roman wird abwechselnd aus den Perspektiven von vier der fünf Frauen geschildert, denn Johanna liegt nach einem Sprung vom Balkon im Koma. Auf die/ den LeserIn prasseln zunächst viele Personen ein, aber durch die individuelle Gestaltung der Charaktere fällt es nach wenigen Kapiteln nicht schwer, sie auseinanderzuhalten und einen Überblick über die Personenkonstellationen zu behalten.

Ellen ist Mutter, arbeitet als Psychotherapeutin und betrügt ihren Ehemann mit einem 29-Jährigen. Sie hat ein schlechtes Gewissen, fühlt sich jedoch begehrt und kann deshalb nicht von ihm lassen. Zudem hat sie sich dazu überreden lassen, die Band wiederaufleben zu lassen, in der sie in der Vergangenheit u.a. mit Jonas gespielt hat. Ellen fühlt sich immer wieder an Jonas erinnert, aber die Musik ist ohne ihn nicht dieselbe. 
Luise ist verheiratet und Mutter zweier Kinder. Sie ist Vollzeitmama und möchte vor allem die Talente ihrer 12-jährigen Tochter fördern. Sie selbst hatte alle Karriereambitionen für die Familie aufgegeben. Dass Luise ihre Tochter damit unnötig unter Druck setzt und ihr ihre eigenen Träume aufzwängen möchte, merkt sie dabei nicht. 
Frederike ist alleinstehend und kümmert sich um ihren Vater, der im Altenheim wohnt. Sie hat Geldsorgen, nachdem ihr Bruder sie betrogen hat, und hadert mit ihrem Übergewicht. Sie ist Eifersüchtig auf Johannas Wohlstand und Luises Ehemann. 
Marianne sorgt sich um ihren Gesundheitszustand, denn sie befürchtet, erste Anzeichen von Demenz bei ihr erkannt zu haben. 

Alle Frauen und ihre Lebenswege sind komplett unterschiedlich. Im Verlauf des Romans wird deutlich, dass die vier Jüngeren eine Liebesbeziehung zu Jonas hatten, aber wie sich diese gestalteten und inwieweit die Frauen darüber hinaus miteinander verbunden sind, bleibt nur zu erahnen. 

Der Roman ist unterhaltsam und lebensecht. Alle Figuren haben ihre Ecken und Kanten und machen sich auf ihre Art und Weise interessant. Schade ist allerdings, dass es so wenig Verbindendes gab, so dass der Geschichte für mich ein innerer Zusammenhang fehlte und mir auch Jonas als roter Faden der Geschichte nicht deutlich genug zum Tragen kam. Zu ihm, seiner Persönlichkeit und seinen Beziehungen zu den vier Frauen und seiner Mutter erfährt man nichts. 

Die Geschichte ist humorvoll geschrieben und besticht durch die ironischen Bemerkungen der einzelnen Frauen, die zumindest der/ dem LeserIn gegenüber grundehrlich wirken, aber tatsächlich ihre Geheimnisse hüten. 
Ich mochte den erfrischend lockeren Schreibstil und wie lebendig die Alltagssorgen der Charaktere beschrieben wurden. Die Einzelgeschichten verlieben mir aber zu sehr parallel nebeneinander, ohne dass ein (freundschaftliches) Element zwischen Ellen, Frederike, Luise und Johanna zu erkennen war, was ich eigentlich erwartet hatte. Auch die "große Rolle" von Jonas konnte ich nicht ausmachen. 
Die Botschaft des Romans, dass es nie zu spät ist, sein Leben zu verändern, insbesondere dann, wenn man nicht glücklich ist, wird deutlich, motiviert und macht Mut. Vom Aufbau und Struktur der Erzählung hatte ich mir jedoch etwas anderes erwartet, denn ich hatte eher das Gefühl, mehrere Kurzgeschichten über Frauen in den besten Jahren zu lesen. Man wird kurz in ihre Leben geworfen, ohne erkennbaren Anfang und Ende, weshalb am Schluss ein unbefriedigendes Gefühl zurückbleibt. 

Freitag, 4. Februar 2022

Buchrezension: Megan Miranda - BAD DREAMS: Deine Träume lügen nicht

Inhalt:

Arden Maynor ist sechs Jahre alt, als sie schlafwandelnd das Haus verlässt und in einer Sturmnacht verschwindet. Die Polizei und Feuerwehr, Freunde und Fremde suchen alles nach ihr ab und halten verzweifelte Mahnwachen. Der Fall wird zu einem nationalen Medienspektakel. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit wird Arden Tage später gefunden, in einem unterirdischen Abwasserschacht – und am Leben. Die Rettung grenzt an ein Wunder, die Öffentlichkeit ist wie besessen von Arden.
Viele Jahre später lebt sie unter dem Namen Olivia hunderte Meilen entfernt. Doch nun, wo der zwanzigste Jahrestag ihrer Rettung näher rückt, fühlt sie sich wieder beobachtet. Eines Nachts wacht sie plötzlich außerhalb ihres Bettes auf, wie damals. Und zu ihren Füßen liegt die Leiche eines Mannes, den sie aus ihrem früheren Leben kennt. 

Rezension: 

Als Sechsjährige wurde Arden Maynor in Widow Hills während eines Regensturms beim Schlafwandeln davongespült und war drei Tage lang vermisst. Die halbe Nation betete und schien nach ihr zu suchen und wie durch ein Wunder wurde sie tatsächlich lebend im Abwassersystem an einem Gully gefunden. Arden wurde in den Medien gefeiert und ihre Mutter hat sogar ein Buch veröffentlicht. Doch der unerwartete Ruhm rief auch Neider und Stalker auf den Plan, weshalb Arden als Erwachsene ihren Namen änderte und versuchte ein neues, unbescholtenes Leben zu beginnen. 
Zwanzig Jahre später lebt sie unter dem Namen Olivia Meyer in einem anderen Bundesstaat, wo sie sich seit zwei Jahren sicher fühlt. Doch als ihre Mutter stirbt und das 20-jährige Jubiläum des Wunders von Widow Hills näher rückt, beginnt Arden wieder mit dem Schlafwandeln und stößt eines Nachts auf eine Leiche in ihrem Garten. Der Tote stellt sich als ein Mann heraus, den sie aus ihrem Leben als Arden Maynor kennt. 

Der Roman ist aus der Perspektive von Arden bzw. Olivia geschrieben, die zurückgezogen lebt und unter ihrem neuen Namen nie wieder über die Geschehnisse von damals gesprochen hat. Sich selbst gegenüber behauptet sie, sich an nichts zu erinnern. Als die Vergangenheit sie droht einzuholen, verhält sie sich panisch und paranoid. Sie fühlt sich beobachtet und weiß nicht, wem sie trauen kann. Der Leichenfund und die Verbindung in ihre Vergangenheit, von der an dem neuen Ort eigentlich niemand etwas wissen dürfte, verstärken ihre Ängste, bis sie sich wegen ihres Schlafwandelns selbst nicht mehr trauen kann. 

Die Geschichte ist stark auf die Gedanken der Protagonisten reduziert, während sich die Handlung kaum weiterentwickelt. Durch die ständigen Wiederholungen und vagen Andeutungen liest sich das Buch äußerst zäh. Was in der Vergangenheit geschehen sein mag, wirkt arg konstruiert und auch die Tatsache, dass Arden unter anderem Namen ein neues Leben angefangen hat, andere aber dennoch ohne große Mühen heimlich ihre Identität aufgedeckt haben, lässt die Geschichte nicht wirklich glaubhaft erscheinen. 

Die einzelnen Kapitel werden durch Zeitungsausschnitte, E-Mails und Protokolle von Telefonaten unterbrochen, was für Abwechslung sorgt. Die Ausschnitte tragen jedoch nichts Erhellendes zur Geschichte bei.

Die Charaktere sind blass und bleiben auf Distanz. Selbst zu Arden fällt es schwer, eine Verbindung aufzubauen und sich in ihre Situation hineinzuversetzen, weshalb mich das Buch nicht fesseln konnte. Einzig spannend ist, herauszufinden, wer aus welchem Grund für den Mord verantwortlich ist. Der Weg dorthin ist jedoch schon aufgrund der elendigen Gedankenspirale von Arden ermüdend, voller Wiederholungen und unglaubwürdiger Verhaltensweisen. Das Ende ist - positiv betrachtet - überraschend, aber realistisch gesehen - ähnlich wie die gesamte konstruierte Geschichte - absurd. Es kommt letztlich auch zu übereilt, mit einem Täter, mit dem schier nicht zu rechnen war und einem wirren Motiv, während das Mordopfer letztlich nur ein Statist ist. 

Mittwoch, 2. Februar 2022

Buchrezension: Eve Chase - Das Geheimnis des Sturmhauses

Inhalt:

Forest of Dean, 1971: Als die Familie Harrington tief in den Wäldern von Foxcote Manor ein Baby entdeckt, das jemand dort ausgesetzt hat, beschließen sie, es als ihr eigenes aufzuziehen. Das kleine Mädchen scheint der Familie das verloren geglaubte Glück zurückzubringen, doch dann wird wenige Tage später ein Toter auf dem Gelände des Hauses gefunden und neue Abgründe tun sich auf.
London in der Gegenwart: Die 46jährige Sylvie versucht, nach einer Scheidung neu anzufangen. Sie ahnt nicht, dass ein unerwarteter Vorfall sie nach Foxcote Manor zurückführen wird. Kann sie Licht in die Ereignisse von damals bringen, auch wenn es ungeahnte Folgen für sie haben könnte?

Rezension: 

Rita Murphy arbeitet als Kindermädchen bei der Familie Harrington. Nach einem Brand müssen sie ihr Haus verlassen und ziehen in das abgelegene Haus Foxcote Manor in den Wäldern Englands. Jeannie Harrington versinkt nach einer Tragödie in Trauer und blüht erst wieder auf, als ihre Tochter ein wenige Wochen altes Baby auf dem Anwesen findet, das offenbar von einer verzweifelten Mutter abgelegt worden war. Rita möchte die Behörden verständigen, aber Jeannie möchte das Geheimnis wahren. Rita kümmert sich liebevoll um die drei Kinder, verurteilt aber das Verhalten Jeannies, die noch mehr zu verbergen hat. Das junge Kindermädchen fühlt sich zunehmend unwohler und dann wird auch noch ein Toter auf dem Anwesen aufgefunden. 
Jahrzehnte später versucht Ritas Tochter Sylvie, als deren Mutter einen Unfall erleidet und schwer verletzt bewusstlos im Krankenhaus ist, herauszufinden, was sich im Sommer 1971 in Foxcote Manor ereignet hat und warum ihre Mutter ihr insbesondere nie von dem Todesfall erzählt hat. 

Der Roman wird aus drei Perspektiven geschildert. In der Vergangenheit ist es die Sicht von Rita und Jeannies Tochter Hera in dritter Person, in der Gegenwart die Sicht von Sylvie als Ich-Erzählerin. 
Die 46-jährige Sylvie wird nach der Trennung von ihrem Ehemann mit mehreren einschneidenden Ereignissen konfrontiert. Ihre Mutter befindet sich nach einem Unfall im Krankenhaus und ihre 18-jährige Tochter Annie ist ungewollt schwanger. Beides trägt dazu bei, dass Sylvie endlich mehr über ihre Herkunft herausfinden möchte, denn die Umstände ihrer Adoption sind mehr als ungewöhnlich. Parallel dazu erzählen Rückblenden in die Vergangenheit die Ereignisse des Sommers 1971, die peu à peu zur Aufklärung von Sylvies Wurzeln beitragen. Rita ist jung und unerfahren und hat mit einem Gewissenskonflikt zu kämpfen. Einerseits kann sie das Verhalten ihrer Arbeitgeberin nicht gutheißen, andererseits empfindet sie eine Solidarität für sie, nachdem ihre Ehemann Rita als Spitzel benutzen möchte. In erster Linie möchte sie allerdings für die Kinder des Ehepaars da sein. Die ältere Hera leidet darunter von ihrer depressiven Mutter kaum wahrgenommen zu werden und entwickelt in ihrer Sehnsucht nach Liebe gefährliche Züge, um Aufmerksamkeit zu erregen. 
In Bezug auf den Todesfall verrät der Klappentext fast zu viel, denn die Geschehnisse in der Vergangenheit entwickeln sich eher gemächlich. Die Atmosphäre ist dabei unheimlich und mysteriös. Es ist zu spüren, dass ein Sturm aufzieht und dass die Ereignisse in dem Herrenhaus zu einer Katastrophe führen werden und man fiebert unweigerlich darauf hin. 
Mini-Cliffhanger am Ende der Kapitel auf beiden Zeitebenen sorgen für Spannung, genauso wie die Frage, was die Herkunft des Findelkindes betrifft und bei wem es sich um den Toten handeln mag. 

"Das Geheimnis des Sturmhauses" ist ein spannendes Familiendrama mit dunklen Geheimnissen, die in der Vergangenheit ruhen, die durch die Verknüpfung beider Erzählebenen schrittweise entschlüsselt werden. Die Offenbarungen sind erschütternd und zeugen von einer verzweifelten, dysfunktionalen Familie. Selbst als man denkt, alle Geheimnisse zu kennen, wird man am Ende noch mit einem Plottwist überrascht.