Freitag, 31. Dezember 2021

Buchrezension: Sebastian Fitzek - Der Augensammler (Augen-Reihe, Band 1)

Inhalt:

Erst tötet er die Mutter, dann verschleppt er das Kind und gibt dem Vater 45 Stunden Zeit für die Suche. Das ist seine Methode. Nach Ablauf der Frist stirbt das Opfer in seinem Versteck. Doch damit ist das Grauen nicht vorbei: Den aufgefundenen Leichen fehlt jeweils das linke Auge. Bislang hat der "Augensammler" keine brauchbare Spur hinterlassen. Da meldet sich eine mysteriöse Zeugin: Alina Gregoriev, eine blinde Physiotherapeutin, die behauptet, durch bloße Körperberührungen in die Vergangenheit ihrer Patienten sehen zu können. Und gestern habe sie womöglich den Augensammler behandelt. 

Rezension: 

Ein Mörder tötet Frauen, entführt anschließend ihre Kinder und gibt dem Vater 45 Stunden und 7 Minuten Zeit, um das Versteck zu finden. Nach Ablauf der Frist tötet er das Kind und entfernt ihm das linke Auge. Der Mörder wird deshalb in den Medien nur als "Augensammler" bezeichnet. 
Alexander Zorbach ist ehemaliger Polizeibeamter und aktiver Journalist, der über den Serienmörder berichtet. Als er selbst in Verdacht gerät, der "Augensammler" zu sein, trifft er auf eine blinde Physiotherapeutin, die behauptet, der "Augensammler" habe sie zur Behandlung aufgesucht. Mit ihr als Medium, denn sie wird seitdem von Visionen heimgesucht, versucht Zorbach den entführten 9-jährigen Jungen zu finden, bevor das Ultimatum abläuft. 

"Der Augensammler" ist die Vorgeschichte des aktuellen Bestsellers "Playlist" von Sebastian Fitzek. Der Thriller wird aus der Perspektive mehrerer Protagonisten geschildert und ist dabei ähnlich wie ein Countdown aufgebaut, denn der Roman beginnt mit dem Epilog und endet mit dem Prolog, wobei von Kapitel 84 auf S. 442 bis Kapitel 1 heruntergezählt wird. 

Der Fall ist spektakulär und nichts für schwache Nerven, denn die Qualen des entführten Kindes werden aus dessen Sicht geschildert, was Beklemmungen auslöst. Zudem schreckt auch die Polizei bei ihrer verzweifelten Suche nach dem Kind nicht vor Gewalt und Folter gegen die Verdächtigen zurück. 

Die Suche nach dem "Augensammler" ist ein Wettlauf gegen die Zeit, der allerdings zunehmend langatmig erzählt wird. Dabei ist die Rolle von Zorbach undurchsichtig. Die Polizei unterstellt ihm Täterwissen und als Leser fragt man sich, warum der "Augensammler" ausgerechnet ihn in seine Taten hineinzieht. Man kann nur spekulieren, ob es sich um einen Akt der Rache handeln könnte, denn Zorbach hat in einem Einsatz als Polizist eine Frau erschossen. Die blinde Physiotherapeutin wurde offenbar an ihn herangespielt, was ebenfalls zunächst nicht erklärlich ist. Warum sollte der "Augensammler" ihm eine Hilfestellung in seinem perfiden Spiel geben? 
Alina Gregoriev ist nach einem Unfall als Dreijährige blind, findet sich jedoch im Alltag sehr gut zurecht und möchte nicht als "behindert" abgestempelt werden. Sie hat zudem eine Gabe bei Körperkontakt unter Schmerz in die Vergangenheit blicken zu können. So hat sie offenbar auch die Morde des "Augensammlers" gesehen. Mir war die Rolle von Alina als blindes Medium etwas zu esoterisch und abgehoben. Auf diese Weise fand ich die Aufklärung des Falls fernab der Realität, so dass mich der Thriller ab diesem Zeitpunkt nur noch wenig fesseln konnte. 

Mittwoch, 29. Dezember 2021

Buchrezension: Jennifer Robson - Der Stoff der Träume

Inhalt:

London 1947: Das ganze Land fiebert der Hochzeit von Kronprinzessin Elizabeth entgegen – allen voran die beiden Freundinnen Ann und Miriam. Sie sind überglücklich, dass sie als Stickerinnen am Kleid der zukünftigen Königin mitarbeiten dürfen. Doch ihr Glück ist nicht von Dauer.
Toronto 2016: Nach dem Tod ihrer geliebten Großmutter Ann findet die Journalistin Heather kunstvolle Stickereien, die dem Blumenmuster auf dem Hochzeitskleid der Queen entsprechen. Was hat es damit auf sich? Und warum hat Ann nie über ihr Leben in England gesprochen? Heather begibt sich auf Spurensuche nach London und stößt auf eine dramatische Geschichte. 

Rezension: 

Miriam Dassin zieht im Frühjahr 1947 von Paris nach London, um ihre Vergangenheit und die schrecklichen Kriegsereignisse hinter sich zu lassen. Dank einer Empfehlung erhält sie eine Anstellung bei dem berühmten Modeschöpfer Norman Hartnell als Stickerin. Dort lernt sie Ann Hughes kennen und freundet sich mit ihr an. Die beiden sind die talentiertesten Arbeiterinnen und werden dafür ausgewählt, das Hochzeitskleid von Prinzessin Elizabeth mit Blüten zu besticken. Während sie mit Stolz ihrer Arbeit nachgehen, sind sie auch auf der Suche nach ihrem privaten Glück. 
Knapp 70 Jahre später erbt Heather Mackenzie von ihrer verstorbenen Großmutter Ann Musterstücke kostbarer Stickereien, die dem Blumenmuster des Hochzeitskleids von Queen Elizabeth entsprechen. Heather hatte eine enge Bindung zu ihrer Nan und kann nicht verstehen, warum sie ihr von ihrer Tätigkeit als Stickerin und der Ehre, an dem Hochzeitskleid der Queen mitzuwirken, nie etwas erzählt hat. Sie reist von Toronto nach England, um sich auf Spurensuche zu begeben. 

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen, ist in der Vergangenheit abwechselnd aus der Perspektive von Ann beziehungsweise Miriam geschildert, während die Gegenwart aus Sicht von Heather erzählt wird. Die Erzählstimmen unterscheiden sich dabei kaum, was es vor allem im Vergangenheitsstrang erschwert die beiden jungen Frauen auseinanderzuhalten. Auch die Erzählungen über die drei Frauen ähneln sich zu Beginn arg, denn alle lernen im Verlauf der Geschichte einen Mann kennen, der jeweils empathisch und hilfsbereit ist und jede bei ihren kleineren oder größeren Problemen unterstützt. 
Das Setting in London kurze Zeit nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges ist anschaulich geschildert. Die Bevölkerung leidet nach wie vor an Rationierungen und Entbehrungen und es erscheint nachvollziehbar, dass sich alle auf die royale Hochzeit als Großereignis freuen. Die Autorin schafft es jedoch nicht, diese euphorische Stimmung oder auch einen möglichen Neid in der Bevölkerung wegen des Prunks zu vermitteln. 

Die mühsame Tätigkeit der Stickerinnen wird detailliert beschrieben, während die Charakterzeichnung eher schwach ist. Keine der Haupt- oder Nebenakteure hat herausragende Eigenschaften, sie blieben blass und leblos. Die Schicksale der Frauen berühren deshalb auch nicht so, wie sie könnten. Auch der Aufbruch Anns nach Kanada wirkte auf mich zu abrupt und problemlos. 
Die Schilderung der royalen Hochzeit ist dagegen gelungen. Authentisch wird diese aus Sicht von Miriam und Ann beschrieben, von denen eine am Gottesdienst in Westminster Abbey teilnehmen durfte, während die andere im Hintergrund für letzte Verbesserungen an den Kleidern des Hofstaats im Buckingham Palace zur Verfügung stehen durfte.  

Der Strang in der Gegenwart trägt nicht viel zur Geschichte bei, da das Wesentliche über Ann in der Vergangenheit erzählt wird. Allerdings fragt man sich natürlich, was passiert sein mag, dass Ann nie über ihr Leben und ihre Tätigkeit bei dem berühmten Modeschöpfer Norman Hartnell mit ihrer Familie gesprochen hat, was somit auf beiden Zeitebenen für ein wenig Spannung sorgt. Die Liebesgeschichte von Heather entwickelte sich zu vorhersehbar und zu schnell und hätte die Geschichte auch nicht benötigt. 
Letztlich hatte ich mir von dem Historienanteil mehr Gefühl für das Zeitgeschehen und von der angekündigten Dramatik der Geschichte mehr erwartet. 

Montag, 27. Dezember 2021

Buchrezension: Sarah Morgan - Das Fest der Weihnachtsschwestern

Inhalt:

Den Schwestern Samantha und Ella Mitchell ist die Weihnachtszeit heilig. Jedes Jahr verbringen sie die Feiertage gemeinsam, backen Kekse und schmücken gemeinsam den Baum. Dieses Jahr aber haben sie einen unerwarteten Gast: ihre Mutter, die sie seit dem großen Streit vor fünf Jahren eigentlich nur noch aus dem Fernsehen kennen. Kann es sein, dass sie wirklich neue Prioritäten setzen und doch eine Rolle im Leben ihrer Töchter spielen will? Samantha und Ella geben ihr eine letzte Chance und treffen sie im romantisch verschneiten Schottland. Schließlich ist ja Weihnachten! 

Rezension:

Gayle Mitchell ist ein Workaholic, Leiterin eines florierenden Unternehmens und Bestsellerautorin für Lebensratgeber. Als sie während eines Interviews einen Unfall erleidet, stellt sie fest, dass Arbeit nicht alles ist und dass sie sich nach ihren beiden Töchtern Samantha und Ella sehnt. Seit fünf Jahren hat sie ihre Töchter nicht mehr gesehen. Nach einem verheerenden Streit ist eine Kluft entstanden, die nun schier unüberwindbar erscheint. 
Als Samantha und Ella ihre Mutter im Krankenhaus besuchen, sehen sie zum ersten Mal eine verletzliche Seite ihrer taffen Mutter. Ihrem Wunsch, Weihnachten in diesem Jahr gemeinsam zu verbringen, stehen sie misstrauisch gegenüber. Sie wünschen sich ein friedliches Fest ohne Streit und ohne eine Mutter, die hohe Erwartungen an ihre Töchter hat. Dennoch geben sie sich als Familie eine Chance und reisen gemeinsam in die schottischen Highlands, wo Samantha als Inhaberin eines Reisebüros einen Auftrag zum Test einer abgelegenen Lodge hat. 

Der Roman ist abwechselnd aus den Perspektiven der unterschiedlichen Frauen geschildert. Die Kapitel sind verhältnismäßig lang, was einem ermöglicht, tief in die Charaktere einzutauschen. Gayle ist vordergründig ein diszipliniertes Arbeitstier, verbirgt jedoch ein Trauma, das ihre strenge Art und den Druck, den sie auf ihre Töchter ausübte, erklärt. Samantha ist beruflich erfolgreich, sehnt sich jedoch nach einer romantischen Liebesbeziehung, wie sie sie bisher nur aus Romanen kennt. Ella ist verheiratet und Mutter einer fünfjährigen Tochter und geht in dieser Rolle voll auf. Die weiblichen Charaktere wirken mit ihren Stärken und Schwächen menschlich und authentisch. Die Männer bleiben dabei nur Statisten und insbesondere der Inhaber der Lodge Brodie McIntyre wirkt als sexy, intelligent, empathisch und fürsorglich allzu perfekt. 

Auch das Setting in den verschneiten schottischen Highlands, die abgelegene Lodge am See mit Rentieren ist anschaulich und passt gut zu einem Weihnachtsroman. 
Aufgrund der gedrückten Stimmung, der Missverständnisse und Probleme, die gewälzt werden, mag sich jedoch trotz Schneemannbauens und Plätzchenbackens keine richtige (vor-)weihnachtliche Stimmung einstellen. Der ungelöste Konflikt, der zwischen den beiden Töchtern und ihrer Mutter steht, schwelt lange, während die Protagonisten sich fremden Menschen gegenüber öffnen, aber nicht mit den eigentlich Betroffenen offen sprechen. Diese retardierenden Momente ziehen den Roman ungemein in die Länge, zumal auch nicht so richtig klar wird, was vor fünf Jahren zu diesem gravierenden Zerwürfnis geführt hat. 

"Das Fest der Weihnachtsschwestern" ist weniger ein Weihnachtsroman, sondern vielmehr ein Roman über Mutter-Tochter-Beziehungen. Die Geschichte schildert anschaulich den den Wert der Familie - nicht nur zu Weihnachten - und dass es nie zu spät für eine Veränderung und Versöhnung ist. Die Liebesgeschichte ist vorhersehbar, steht jedoch nicht im Vordergrund, weshalb die verlässliche Aussicht auf ein romantische Happy End nicht gestört hat. Ich hätte mir ein ausgewogeneres Verhältnis aus Problemen und Weihnachtsatmosphäre gewünscht. Zudem fand ich, dass die Konflikte nach der langen Zeit des Schweigens zu beiläufig gelöst worden sind. 



Sonntag, 26. Dezember 2021

Buchrezension: Catherine Quinn - Drei Witwen

Inhalt:

In der Wüste von Utah wird ein Mann grausam ermordet und verstümmelt aufgefunden. Blake Nelson, Angehöriger der Heiligen der Letzten Tage, lebte zurückgezogen auf einer Farm in der Wildnis – mit drei Ehefrauen: Der pragmatischen Rachel, ebenfalls aus einer Mormonenfamilie stammend. Der rebellischen Ex-Prostituierten Tina, die Blake alles bietet, was Rachel nicht hat. Und der blutjungen, schüchternen Emily, die völlig von Blake abhängig ist, nachdem ihre Familie mit ihr gebrochen hat.
Nichts verbindet die drei "Schwesterfrauen" außer Blake – und dem Mordverdacht, der nun auf alle drei fällt. Jede von ihnen hätte ein Motiv gehabt. Aber Rachel, Tina und Emily sind sicher, dass die Polizei etwas übersieht. Nur gemeinsam können sie die Wahrheit herausfinden. Doch dazu müssen sie einander vertrauen – und in den Abgrund der eigenen Vergangenheit blicken. 

Rezension: 

Der Polygamist Blake Nelson wird tot und verstümmelt auf seinem Anwesen in der Wüste Utahs aufgefunden. Des Mordes verdächtigt werden seine drei Frauen. Die erste Ehefrau ist Rachel, die in einer Sekte aufgewachsen ist und sich mütterlich um Blake und die anderen Frauen gekümmert hat. Schwesterfrau Tina ist eine ehemalige Prostituierte, die Blake für seine sexuellen Vorlieben nutzte. Zweite Schwesterfrau ist Emily, die noch blutjung und unschuldig ist und Halt sucht, nachdem sie von ihrer Familie verstoßen wurde. 
Jede von den drei Frauen hätte ein Motiv gehabt, ihren Ehemann zu töten, aber Rachel erscheint zu gottesfürchtig, Tina zu ausgebufft und Emily zu schwach. Sie misstrauen sich gegenseitig, aber als Emily überraschend ein Geständnis ablegt und die Polizei damit eine Täterin hat, beginnen Rachel und Tina gemeinsam nachzuforschen, was Blake vor seinem Tod getan hat und ob er sich damit Feinde gemacht hat. 

Der Roman ist abwechselnd aus der Perspektive der drei Frauen geschrieben, wobei sich die Erzählstimme kaum unterscheidet, so dass das Lesen Konzentration erfordert. Dennoch kann man sich in jede von ihnen hineinversetzen und nachvollziehen, in welchem Verhältnis sie zu ihrem Ehemann standen. Durch die diversen Traumata, mit denen jede von ihnen zu kämpfen hat, erhält man zudem eine Vorstellung davon, warum sie sich überhaupt auf ein Leben in einer Vielehe mit einem streng religiösen Mormonen einließen. Wer die Mörderin sein könnte, erfährt man dadurch jedoch nicht, so dass die Tätersuche und das Mordmotiv durchgehend spannend bleiben.  
Der Weg bis zur Auflösung ist jedoch zäh. Die Ermittlungen der Polizei schreiten kaum voran und das eigenmächtige Vorgehen von Rachel und Tina ist langatmig geschildert. 
Details aus dem Zusammenleben der vier erfährt man kaum, auch wenn bestimmte Verhaltensweisen und Riten von Mormonen Erwähnung finden. 

Die Geschichte ist meiner Meinung nach kein Thriller, denn dafür fehlt ihr der Nervenkitzel. Es geht um die Aufklärung eines Mordes und die Schuldfrage, während man einen Einblick in das Leben von Mormonen erhält, das durch die Auslegung Blakes noch extremer und rückwärtsgewandter und abstoßender wirkt, als man vermuten konnte.

Freitag, 24. Dezember 2021

Buchrezension: Lori Nelson Spielman - Nur einen Horizont entfernt

Inhalt:

Mit zittrigen Fingern öffnet die TV-Moderatorin Hannah Farr einen Brief. Der Absender ist eine ehemalige Schulfreundin, die sie jahrelang gemobbt hat. Die Frau bittet sie nun um Vergebung. Dem Brief beigelegt sind zwei kleine runde Steine und eine Anleitung. Einen Stein soll sie als Zeichen dafür zurücksenden, dass sie ihrer früheren Klassenkameradin vergibt. Den anderen soll sie an jemanden schicken, den sie selbst um Verzeihung bitten möchte. Hannah weiß sofort, wer das sein könnte: ihre Mutter. Aber soll sie wirklich zurück zu den schmerzhaften Ereignissen von damals und die Auseinandersetzung mit dem Menschen suchen, der sie am besten kennt? Denn Hannah hat etwas getan, das das Leben ihrer Mutter für immer verändert hat. 

Rezension: 

Hannah Farr ist 34 Jahre alt und Fernsehmoderatorin in New Orleans mit einer eigenen Talkshow. Vor zwei Jahren hat sie einen Brief ihrer Mitschülerin Fiona Knowles erhalten, die sie gemobbt hatte und wofür sie sich entschuldigen möchte. In dem Brief waren zwei Steine gelegt - einer als Symbol der Entschuldigung und einer um einen weitern Menschen um Vergebung bitten zu können. 
Fiona Knowles hat inzwischen ein Buch über ihre Erfahrungen mit den Steinen des Vergebens geschrieben und ist in Hannahs Sendung eingeladen worden. Nachdem sie ihr bisher nicht verziehen und den Stein zurückgesendet hat, muss sie sich nun mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen und steht nicht nur vor der Entscheidung, ihrer Mitschülerin zu verzeihen sondern auch vor dem Versuch, sich nach über zwanzig Jahren Funkstille mit ihrer Mutter zu versöhnen. 

Die Geschichte liest sich leicht und die Symbolik mit den Steinen, um einen ersten Schritt auf einen Menschen zuzugehen und um Verzeihung zu bitten, ist eine schöne Idee. Die Thematik um Reue, Vergebung und Schuldeingeständnisse durchzieht den Roman wie ein roter Faden. 
In Bezug auf Hannah handelt der Roman weniger um das Mobbing als Schülerin und die Vergebung der Mitschülerin, sondern vielmehr darum, sich mit ihrer Familiengeschichte und insbesondere mit der Beziehung zu ihrer über Tausend Meilen entfernt wohnenden Mutter auseinanderzusetzen. Hannah konnte mich dabei als Charakter nicht rundum überzeugen, denn statt als toughe Fernsehmoderatorin wirkt sie eher verunsichert und wenig souverän. In ihrem Sender kann sie ihre Meinung kaum durchsetzen und sich selbst vertreten. Auch die Beziehung zu ihrem Freund, dem Bürgermeister der Stadt, ist nicht auf Augenhöhe.  

Das Setting des Romans ist dagegen gelungen. Sowohl Hannahs Arbeitsplatz mit Intrigen von Kollegen und dem Druck der Quote als auch der Schauplatz in Michigan, wo Hannahs Mutter wohnt und wo sie den Weinbauern RJ kennenlernt, ist anschaulich und in Bezug auf die Landschaft malerisch geschildert. 
Die Auseinandersetzung mit ihrer Mutter empfand ich jedoch als sehr oberflächlich und simpel, selbst wenn man in Betracht zieht, dass beide Seiten Fehler gemacht haben. Auch dass am Ende der Vorfall mit ihrem Stiefvater nicht aufgeklärt und letztlich verharmlost wird, hat einen faden Beigeschmack. 

Die Botschaft um Versöhnung und den Mut, Fehler zuzugeben ist vordergründig, es werden jedoch noch weitere Missverständnisse und Geheimnisse aufgedeckt und eine zarte Liebesgeschichte entwickelt, so dass die Geschichte nicht langweilig wird. Hannah muss sich mit sich selbst und ihrer Vergangenheit auseinandersetzen und geht dabei einen holprigen, aber nachvollziehbaren Weg. 
Der Roman beweist, dass es nie zu spät ist, andere um Entschuldigung zu bitten, aber auch selbst die Größe zu besitzen, verzeihen zu können, um eine Last abzuschütteln, die das weitere Vorankommen behindert. Dabei wird jedoch auch deutlich, dass eine Entschuldigung allein in manchen Fällen nicht ausreicht und bestimmte Fehler unverzeihlich sind. 

Mittwoch, 22. Dezember 2021

Buchrezension: Anthony McCarten - Englischer Harem

Inhalt:

Eine junge Frau zu ihren Eltern, untere Mittelschicht im Londoner Vorort: "Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Ich heirate, die schlechte: Er ist Perser. Und übrigens: Er hat bereits zwei Frauen." 
So beginnt ein provozierender Roman über Heimat, Kochen und die Faszination des Fremden… und eine Liebesgeschichte wie keine andere – für diese Zeit. 

Rezension: 

Nachdem Tracy Pringle ihre Arbeitsstelle als Kassiererin in einem Supermarkt verloren hat, erhält sie die Chance, als Kellnerin in einem persischen Restaurant zu arbeiten. Tracy ist schnell angetan von der Atmosphäre in dem Restaurant, von dem Inhaber Saaman Sahar und seiner Ehefrau Yvette. Sie bemüht sich und kennt bald die Speisekarte auswendig und versucht sich auch in Bezug auf das Land Iran und den Islam weiterzubilden. Saaman bewundert die junge Frau und ihren Eifer. Während ihrer Gespräche über den Islam und die persische Kultur kommen sich die beiden näher. 
Als die beiden ihre Beziehung besiegeln und vor Gott heiraten möchten, regt sich Widerstand bei Tracys Eltern und auch Saamans Eltern sind mit der Beziehung zu der deutlich jüngeren Engländerin nicht einverstanden. Saaman ehelicht Tracy dennoch nach islamischem Recht. Tracy ist damit neben Yvette und Firouzeh Saamans dritte Ehefrau. Vor Allah darf Saaman bis zu vier Frauen haben, solange er sich gleich behandelt und da mit keiner standesamtlich verheiratet ist, verstößt er auch nicht gegen britisches Recht. Dennoch schaltet sich das Jugendamt ein, um zu prüfen, ob die vier Kinder unter der ungewöhnlichen Familienkonstellation leiden. Unterschwellig schwingt der Vorwurf eines Sittenverfalls mit, weshalb Saaman empört die Zusammenarbeit mit den Behörden verweigert und damit alles nur noch schlimmer macht. 

"Englischer Harem" ist ein provokanter Titel für eine Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen unterschiedlicher Kultur. Durch Neugier, Faszination am Fremden und Bewunderung kommen sich der Perser Saaman Sahar und die Britin Tracy Pringle näher. Ihre Beziehung stößt jedoch auf wenig Verständnis, nachdem Saaman bereits mit zwei anderen Frauen verheiratet ist. Tatsächlich ist Saaman jedoch ein ehrenwerter Mann, der sich bereitwillig an die britischen Gesetze hält und der nur zu Tracy eine Liebesbeziehung pflegt. Erst- und Zweitfrau hat er vielmehr aus Fürsorgegründen geheiratet. Ihre beiden Familien sind dennoch misstrauisch und fühlen sich vor den Kopf gestoßen. Auch die britischen Behörden unterziehen Saamans Haushalt nach einem anonymen Hinweis einer eingehenden Prüfung. 

Die Geschichte ist abwechslungsreich und unterhaltsam geschildert, auch wenn sie vereinzelte Längen aufweist und sich in Bezug auf Saamans für Außenstehende irritierendes Zusammenleben mit drei Frauen widerholt. So ist vor allem der Beginn des Romans mit der Annäherung von Saaman und Tracy interessant, da man durch ihre Neugier selbst viele interessante Details über den Iran und den Islam erhält. Nachvollziehbar sind jedoch auch das Misstrauen von Familien und Behörden dargestellt, die keinen klaren Einblick in das familiäre Zusammenleben haben und auch nicht wirklich haben möchten. Vorurteile sind allgegenwärtig und auch die Angst vor dem Fremden, Intoleranz bis hin zu Rassismus werden deutlich. 

Die Geschichte ist trotz des ernsten Hintergrunds humorvoll geschildert und treibt Klischees auf gewitzte Art und Weise an die Spitze. Dieser satirische Stil stimmt nachdenklich, wobei man in Betracht ziehen muss, dass die Geschichte Anfang der 2000er-Jahre handelt und ein derartiges Zusammenleben gegenwärtig weniger argwöhnisch betrachtet und eher als Patchwork-Familie bezeichnet werden würde. 
Das Buch ist weniger eine romantische Liebesgeschichte als vielmehr ein Aufruf zu Toleranz und Respekt und dem Verzicht auf vorschnelle Verurteilungen von Umständen und Wertvorstellungen, die man nicht kennt oder versteht. 

Sonntag, 19. Dezember 2021

Buchrezension: Cecelia Ahern - Zeit deines Lebens

Inhalt:

Lou Suffern ist ein "BWM", ein Beschäftigter Wichtiger Mann. So wichtig und beschäftigt, dass er den 70. Geburtstag seines Vaters vergisst, seine Frau leichthin betrügt und seinem kleinen Sohn noch nicht ein einziges Mal die Windeln gewechselt hat. Eines Tages verwickelt ihn ein Obdachloser namens Gabriel in ein Gespräch. Lou fühlt sich dem Unbekannten seltsam verbunden und verschafft ihm kurzerhand einen Job – was nun wirklich nicht seine Art ist. Doch auch Gabriel hat ein Geschenk für Lou: ein rätselhaftes Mittel, durch das Lou ein anderer wird. 

Rezension: 

Ein Junge wirft aus Wut auf die neue Familie seines Vaters an Heiligabend mit einem gefrorenen Truthahn die Fensterscheibe ihres Wohnzimmers ein und verletzt damit fast seine kleinen Halbgeschwister. Er gelangt vorläufig in Gewahrsam, wo ihm der diensthabende Polizist die Geschichte von  Lou Suffern erzählt.
Lou Suffern ist seit zehn Jahren mit seiner Frau Ruth verheiratet, hat zwei Kinder, kümmert sich aber vielmehr um seine Karriere als seine Familie. Seine Ehefrau hat er bereits mehrfach betrogen, zu seinen Kindern hat er keine Bindung und den 70. Geburtstag seines Vaters lässt er von seiner Sekretärin organisieren. 
Eines Tages begegnet er vor dem Bürogebäude, in dem er arbeitet, einem Obdachlosen und spendiert ihm einen Kaffee. Wenig später verhilft er ihm sogar zu einer Arbeitsstelle in seiner Firma. Seit diesem Zeitpunkt ist Gabe wie ein Schatten an seiner Seite und wirkt auf ihn ein. Er gibt ihm zudem eine Pille, durch die Lou sich selbst mit anderen Augen sieht und beginnt, sich und sein eigenes Verhalten zu reflektieren. 

Die zu vermittelnde Botschaft des Romans springt einem schon auf den ersten Seiten derart plakativ ins Auge, dass der Verlauf des Romans vorhersehbar und langweilig ist. 
Selbst wenn man in Betracht zieht, dass die Geschichte wie ein Gleichnis einem fehlgeleitetem Teenager erzählt wird und der Roman zur Weihnachtszeit spielt, wirkt das Geschehen aufgesetzt. 
Gerade der Hauptcharakter Lou ist keine authentische Figur, denn es ist nicht klar, warum er dem Obdachlosen plötzlich hilft und warum er sich ihm gegenüber geradezu menschlich verhält. Auch benimmt er sich bei der Arbeit so unsouverän, dass man kaum nachvollziehen kann, wie er so Karriere machen konnte. 
Gabe, der stets aus dem Nichts auftaucht und Lou offensichtlich auf den rechten Weg führen möchte, erscheint wie eine Märchenfigur. Würden ihn andere nicht sehen, könnte man glatt meinen, dass er nur in Lous Einbildung existiert. Der Kniff mit Gabes Pille und deren Auswirkungen ist dann jedoch noch abwegiger, dass die fragwürdige Rolle Gabes in den Hintergrund tritt. 

Die Botschaft des Romans, die richtigen Prioritäten zu setzen, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, weniger Wert auf Karriere und materielle Dinge zu legen, ist unstrittig moralisch korrekt und vorbildhaft. Wie diese jedoch vermittelt wird, ist mir jedoch nicht nur zu penetrant und monoton sondern auch zu fantasievoll. Wendungen und glaubwürdige Charaktere sowie mehr Symbolik statt einer Moralkeule hätten dem Roman gutgetan. 

Samstag, 18. Dezember 2021

Buchrezension: Sarah Hogle - Ist für immer nicht viel schlimmer?

Inhalt:

Eigentlich hat Naomi alles – einen Job in einem charmanten Tante-Emma-Laden, ein Traumhaus und Nicholas, ihren gut aussehenden Verlobten. Es könnte alles so schön sein, wäre da nicht die Hochzeit. Die Hochzeit, die jedes Budget zu sprengen droht. Die Hochzeit, die ihre übergriffige Schwiegermutter zur eigenen Party umfunktioniert. Die Hochzeit, in der sie ausgerechnet ihn heiraten muss: Nicholas, der sich seit der Verlobung wie ein rücksichtsloser Vollidiot benimmt! Naomi würde sich am liebsten aus dem Staub machen, doch wer die Hochzeit platzen lässt, bleibt auch auf den Kosten sitzen! Da hilft nur eines: Nicholas das Leben zur Hölle machen und dafür sorgen, dass er zuerst das Handtuch wirft. Dumm nur, dass Nicholas wohl dieselbe Idee gehabt zu haben scheint. 

Rezension: 

Naomi bekommt wenige Monate vor ihrer geplanten Hochzeit Bedenken, ob sie ihren Verlobten Nicholas noch heiraten möchte. Die Hochzeitsvorbereitungen hat die Schwiegermutter in spe an sich gerissen, so dass weder Nicholas noch Naomi große Einflussmöglichkeiten bleiben. Darüber hinaus findet Naomi, dass Nicholas sich viel zu sehr von seiner Mutter einnehmen lässt und ihr im Gegensatz dazu zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. Als sie zu der Überzeugung kommt, Nicholas maximal noch "vierzig Prozent" zu lieben, versucht sie die Hochzeit zu sabotieren, indem sie sich so schlecht benimmt, dass Nicholas nur die Möglichkeit bleibt, die Hochzeit abzusagen. Selbst möchte sie sich die Blöße nicht geben und auch nicht mit den bereits getätigten Ausgaben belastet werden. 
Naomi und Nicholas schikanieren sich gegenseitig und inszenieren einen regelrechten Rosenkrieg, bis sie merken, dass es doch noch Dinge gibt, die sie beide vereinen. 

"Ist für immer nicht viel schlimmer?" ist ein Liebesroman der anderen Art. Naomi und Nicholas stehen vor ihrer Hochzeit, aber auf dem Weg vom Kennenlernen bis zur Verlobung und den Hochzeitsvorbereitungen ist die Liebe erloschen oder zumindest auf der Strecke geblieben. Insbesondere Naomi, aus deren Sicht der Roman geschildert ist, fühlt sich ungeliebt und ungerecht behandelt. Dies ist zunächst auch nachvollziehbar, da es sich bei Nicholas auf den ersten Blick tatsächlich um ein Muttersöhnchen handelt, der sich nicht von seinem Elternhaus abnabeln kann. 
Im weiteren Verlauf wandelt sich das Bild. Naomi agiert derart kindisch und entwickelt sich zu einem kleinen Monster, so dass die Sympathien unweigerlich zu Nicholas wechseln, der besonnener und erwachsener agiert und dem offensichtlich etwas an der Beziehung zu Naomi zu liegen scheint. 

Die Geschichte ist überspitzt dargestellt. Naomi und Nicholas provozieren sich gegenseitig und machen sich das Leben schwer, so dass man kaum nachvollziehen kann, warum sie sich jemals verlobten. Die Reibereien und Schlagabtauschs sind witzig, ermüden jedoch ein wenig im Verlauf der Erzählung. Eine Trennung könnte eigentlich so einfach sein, bis ist es zu einer unerwarteten Wendung kommt, die doch noch Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft macht. Dieser Wechsel, der dem Roman eine 180 °-Wendung gibt, kommt jedoch so abrupt, und ohne nachvollziehbare Gründe, dass der Verlauf der Geschichte nicht mehr glaubhaft ist. Die Protagonisten agieren auch nach ihrer Einsicht übertrieben, eine Aussprache oder vernünftige Kommunikation findet nicht statt - weder zwischen Naomi und Nicholas, noch zwischen dem Paar und den Eltern bzw. Schwiegereltern.  

Turbulent, voller Sarkasmus und wenig romantisch beginnt diese Liebesgeschichte, bevor sie an Originalität verliert und im letzten Drittel des Romans arg seicht wird und sich zu vorhersehbar entwickelt. Die Protagonistin, die sich selbst als Opfer sieht, ist keine Sympathieträgerin oder gar eine Identifikationsfigur, was den Roman schwerfällig macht und am Verhalten von Nicholas zweifeln lässt. Die Geschichte stellt rein auf Unterhaltung und einen fragwürdigen Humor ab und lässt dabei an Tiefgang und Glaubwürdigkeit vermissen. 

Freitag, 17. Dezember 2021

Buchrezension: Max Seeck - Teufelsnetz (Jessica-Niemi-Reihe, Band 2)

Inhalt:

Helsinki 2020: Zwei erfolgreiche Blogger sind spurlos verschwunden. Kurz darauf wird deren Tod in den sozialen Medien gemeldet. Ein geschmackloser PR-Gag? Als eine junge Frau, gekleidet wie ein Manga-Mädchen, am Strand tot angespült wird, vermutet die Kriminalpolizei einen Zusammenhang. Jessica Niemi übernimmt die Ermittlungen, und sie kommt schon bald einem skrupellosen Netzwerk auf die Spur, das offenbar Mädchen an Manga-Fetischisten vermittelt. Zum Sex – und zum Töten. 

Rezension: 

An einem eisigen Strand bei Helsinki wird die Leiche einer jungen Frau angespült, die wie ein Manga-Mädchen gekleidet ist. Sie war offenbar illegal aus der Ukraine eingereist. Zeitgleich verschwinden zwei Blogger, Lisa Yamamoto, eine junge Finnin mit japanischen Wurzeln, und ihr Exfreund Jason Nervander. Während Jason einen Fetisch für Sado-Maso hatte, interessierte sich Lisa künstlerisch für den Mangakult. 
Die Ermittlungen ergeben eine Verbindung zwischen der Leiche und den Bloggern. Lisa hatte in ihren Socialmedia-Profilen für Kambo geworben, ein Froschgift, das in den sozialen Netzwerken als alternatives Heilmittel gepriesen wird und mit dem das Manga-Mädchen behandelt wurde. 

"Teufelsnetz" ist nach "Hexenjäger" der zweite Band aus der Reihe um Hauptmeisterin Jessica Niemi, der ungefähr sechs Monate später handelt. Es ist nicht unbedingt nötig, den Vorgänger zu kennen, hilft jedoch weiter um den persönlichen Hintergrund von Jessica besser zu verstehen. In diesem Band gibt es weitere Andeutungen auf ihre Vergangenheit, die sie nicht nur persönlich durch Albträume von ihrer toten Mutter, ihres toten Bruders und ihres toten Mentors Enre belasten, sondern auch berufliche Konsequenzen haben könnten. Ihre neue Vorgesetzte Helena Lappi begegnet Jessica mit großem Misstrauen und ist bestrebt, sie aus dem Polizeidienst zu entfernen. 

Der Schreibstil ist wie in Band 1 sehr dynamisch. Der Fall ist aus wechselnden Perspektiven einer großen Anzahl von Protagonisten geschildert. Die Kapitel sind kurz und handeln nicht nur von der Aufklärung des komplexen Falles, bei dem es nur wenig handfeste Beweise und Indizien gibt, sondern auch von den persönlichen Befindlichkeiten der handelnden Ermittler. 

"Teufelsnetz" ist meiner Meinung nach mehr Kriminalroman als Thriller, da die Ermittlungen und die Polizeiarbeit im Vordergrund stehen und weniger der Nervenkitzel um die vermeintlich entführten Blogger. Zu ihren persönlichen Hintergründen erfährt man dafür auch zu wenig, um um ihr Schicksal zu bangen. Oft sind es Zufallsfunde, die die Ermittler auf neuen Spuren aufmerksam machen. Der Roman ist modern und am Puls der Zeit, denn ohne Zweifel stehen bei der Fallaufklärung fast ausschließlich die sozialen Medien, Blogs, Instagram, Nutzung von Fake-Accounts, Verschleierung von IP-Adressen, Löschung und Wiederherstellung von Beiträgen und Bildern im Fokus der Ermittlungen. 
Nach einem interessanten Einstieg entwickelt sich die Handlung zäh und wenig ereignisreich. Die Ermittlungen der Polizei sind schwerfällig und wirken unbeholfen. Der Leser wird bewusst auf falsche Fährten gebracht, ein Tatmotiv ist schwer zu erahnen, worunter die Spannung leidet. 
Der Roman ist auf den letzten Seiten ohne Frage wendungsreich und entwickelt sogar noch Nervenkitzel, was aber nicht über die lange Durststrecke hinweghelfen kann, zumal am Ende auch wiederum der Zufall und weniger das Können der Ermittler entscheidend zur Aufklärung des verworrenen Falls beiträgt, bei dem der Leser keine Chance hat, die Hintergründe frühzeitig zu durchblicken. 

Mittwoch, 15. Dezember 2021

Buchrezension: Isabell May - Wir zwei in diesem Augenblick

Inhalt:

Die BWL-Studentin Anna und der Fotograf Max haben sich nicht gesucht, aber gefunden. Bei einem "Wahrheit oder Pflicht"-Spiel auf einer Party in Bamberg. Bald darauf sind sie scheinbar unzertrennlich. Die stets kontrollierte Anna und der eher spontane Max werden mitgerissen von der Flut ihrer Gefühle. Sind viel zusammen unterwegs. Max meist mit der Kamera. Tausend Bilder der Liebe. Doch plötzlich liegen die Träume von ihrer gemeinsamen Zukunft in Scherben, und Max steht allein im Herbstwind auf der Brücke über der Regnitz. Weil ausgerechnet ein Foto alles zerstört hat.

Rezension: 

Auf einer Party lernen sich die pflichtbewusste BWL-Studentin Anna und der vor kurzem von München nach Bamberg gezogene Fotograf und Mitarbeiter einer Werbeagentur, Max, kennen. Sie verbringen den Abend gemeinsam mit dem Spiel "Wahrheit oder Pflicht" und verlieben sich nach mehreren anschließenden Treffen ineinander. 
Während Max spontan und voller Ideen ist und Anna damit mitreißt, hat diese immer wieder Bedenken, ob Max der richtige Partner für sie ist. Sie ist festgefahren in ihren Gewohnheiten und bürdet sich selbst eine Vielzahl an Pflichten auf, möchte ihr Studium bestmöglich abschließen, in der Firma ihres Vaters Verantwortung übernehmen und die perfekte Tochter sein. Durch Max lernt sie eine neue Seite an sich kennen, die ihr Angst macht und sie innerlich zu zerreißen droht. 

Der Klappentext klingt nach einer dramatischen Young Adult-Liebesgeschichte, bietet jedoch unerwartet so viel mehr. Die Geschichte handelt auf zwei Zeitebenen und schildert nicht nur die Romanze von Anna und Max in der Gegenwart in Bamberg, sondern auch eine scheinbar eigenständige Geschichte in der Vergangenheit, beginnend im Jahr 1989. Darin zieht die Galeristin Charlotte mit ihrem Ehemann Thomas aufs Land und wird in ein in ihren Augen spießiges Leben gedrängt, das ihr nicht behagt. Als Hausfrau und Mutter wechselt sie zwischen Über- und Unterforderung, der Dorfklatsch ist ihr zuwider. Mit dem Versuch, ein Stück ihrer Freiheit wiederzuerlangen und aus der Tristesse auszubrechen, beginnt sie ein gefährliches Spiel, bevor das Schicksal brutal zuschlägt.  

Die Erzählebenen wechseln in kurzer Abfolge und sind empathisch aus unterschiedlichen Perspektiven der handelnden Personen geschildert. Es fällt leicht, sich in Anna und Charlotte hineinzuversetzen und in ihre Rollen, in die sie sich gedrängt fühlen. Ihre Hintergründe sind aufschlussreich, während es in Bezug auf Max und ein Unglück in seiner Familie zunächst nur vage Andeutungen gibt. 

Vergangenheit als auch Gegenwart fesseln gleichermaßen, denn sowohl die noch junge Liebe von Anna und Max als auch die Ehe von Charlotte und Thomas bergen Konfliktpotenzial und sind brüchig. 
Mindestens genauso spannend ist jedoch zu erfahren, was hinter dem traurigen Prolog steckt und in welchem Zusammenhang die beiden Erzählebenen stehen, denn weder die Namen noch die Handlungen geben unmittelbar Aufschluss und lassen den/ die Leser*in eigene Vermutungen anstellen. Die Tragödie, die die Protagonisten miteinander verbindet, ist dann so einschneidend, dass sie sich Jahre später noch, zerfressen von Trauer und Schuldgefühlen, selbst und ihrem Glück im Wege stehen. 

"Wir zwei in diesem Augenblick" ist eine dramatische Geschichte, hinter der viel mehr Gefühl und Tiefgang steckt, als der Klappentext und das etwas kitschige Cover vermuten lassen. Die Geschichte ist einfühlsam und lebendig geschildert und erzeugt durch die Undurchschaubarkeit und die Geheimnisse, die die glaubwürdig und individuell gezeichneten Protagonisten bergen, eine Sogwirkung. Romantik, Drama, Vergangenheitsbewältigung und Selbstfindung sind die Themen, die auf beiden Erzählebenen auf ihre Art berühren und für einen spannenden und dynamischen Handlungsverlauf sorgen. 

Montag, 13. Dezember 2021

Buchrezension: Claire Lombardo - Der größte Spaß, den wir je hatten

Inhalt:

Vierzig glückliche Ehejahre: Für die vier erwachsenen Sorenson-Schwestern sind ihre Eltern ein nahezu unerreichbares Vorbild – und eine ständige Provokation! Wendy, früh verwitwet, tröstet sich mit Alkohol und jungen Männern. Violet mutiert von der Prozessanwältin zur Vollzeitmutter. Liza, eine der jüngsten Professorinnen des Landes, bekommt ein Kind, von dem sie nicht weiß, ob sie es will. Und Grace, das Nesthäkchen, bei dem alle Rat suchen, lebt eine Lüge, die niemand ahnt. Was die vier ungleichen Schwestern vereint, ist die Angst, niemals so glücklich zu werden wie die eigenen Eltern. Dann platzt Jonah in ihre Mitte, vor 15 Jahren von Violet zur Adoption freigegeben. Und Glück ist auf einmal das geringste Problem. 

Rezension: 

Marilyn und David Sorenson sind seit vierzig Jahren verheiratet und Eltern von vier inzwischen erwachsenen Töchtern. Die älteste Wendy hat ihren Mann früh verloren und tröstet sich mit wechselnden Liebschaften und erhöhtem Alkoholkonsum. Die wenig jüngere Violet ist verheiratet, Anwältin, aber vorwiegend Mutter von zwei Kindern. Liza ist schwanger, jedoch aufgrund ihrer Beziehung zu dem depressiven Ryan unsicher, was die Zukunft betrifft. Nesthäkchen Grace fühlt sich ein wenig außen vor und hat Angst, mit ihren Schwestern nicht mithalten zu können. Alle vier Mädchen blicken neiderfüllt auf ihre Eltern, die ihnen eine vorbildhafte Beziehung vorlebten und immer noch so glücklich miteinander sind. 
Als Wendy Violets ersten Sohn auftut, den diese ohne das Wissen des Rests der Familie zur Welt gebracht und zur Adoption frei gegeben hatte, wird das Leben der Familie durcheinandergewirbelt. 

"Der größte Spaß, den wir je hatten" ist eine epische Familiengeschichte, die in der Gegenwart die Probleme der vier unterschiedlichen Töchter der Familie beschreibt. Kapitelweise wird man als Leser durch Rückblenden zurück in die Vergangenheit versetzt, als sich Marilyn und David Ende der 1970er-Jahre in einander verliebten und sehr schnell ungewollt zwei Töchter unmittelbar nacheinander in die Welt setzten. Fünf Jahre später folgte Liza und weitere zehn Jahre später Wunschkind Grace. Marilyn brach ihr Studium ab und verzichtete der Kinder zuliebe auf eine Karriere, während David als Arzt in einer Klinik arbeiten konnte. Den Mädchen fehlte es an nichts - weder in materieller noch emotionaler Hinsicht. 
In chronologischer Abfolge wird deutlich, dass auch Marilyn und David Probleme hatten, überfordert von der Erziehung von vier Töchtern waren und sich dabei zeitweise von einander entfremdeten. Das Familienleben war nicht nur eitel Sonnenschein, auch wenn ihre Töchter dies überwiegend so empfanden. 

Nach anfänglichen Startschwierigkeiten aufgrund der Vielzahl der Personen und der schnell aufeinanderfolgenden Perspektivenwechsel habe ich gut in die Geschichte hineingefunden. Sie ist abwechslungsreich und unterhaltsam und wird vor allem von den individuell gezeichneten Charakteren getragen, die alle nicht ganz so durchschaubar sind, wie sie zunächst scheinen. Jede Figur hat ihre Ecken und Kanten und größere oder kleinere Geheimnisse zu verbergen. 
Auch wenn der Einzug von Jonah, Violets Sohn der Geschichte einen Aufhänger gibt, dreht sie sich doch um die Sorgen und Probleme aller Protagonisten. Interessant ist zu sehen, wie die Töchter, unabhängig ihres Alters, immer wieder Halt bei ihren starken Eltern suchen und finden. 

Es ist ein mal amüsanter, mal traurig oder nachdenklich stimmender Roman, der alle Höhen und Tiefen eines Familienlebens beschreibt und dabei vor allem auf die Beziehung der Eltern zu ihren unterschiedlichen Kindern Bezug nimmt. Der Roman handelt von der andauernden Sorge der Eltern um ihre auch erwachsenen Kinder und vom Streben nach Vorbildern und einer Sehnsucht nach Glück und Erfüllung. 
Die Geschichte wirkt dabei authentisch, denn auch wenn nach außen die gut situierte Familie Sorenson mit wohl geratenen Töchtern perfekt erscheint, gab es über die Jahre hinweg auch Dramen und Streit hinter der perfekten Fassade. Kinder kriegen und groß ziehen war nicht immer ein großer Spaß und die Sorgen um sie hören nie auf - ein aus dem Leben gegriffene Erzählung mit Problemen, die es in jeder Familie geben könnte.  

Samstag, 11. Dezember 2021

Buchrezension: Dani Atkins - Bis zum Mond und zurück

Inhalt:

Für Alex bricht die Welt zusammen, als seine Frau Lisa bei einem tragischen Unfall ums Leben kommt. Sie war nicht nur seine große Liebe, sondern auch die Mutter ihres gemeinsamen Sohnes Connor, der erst 6 Jahre alt ist.
Dass etwas von Lisa noch immer da ist, spürt Alex plötzlich ganz deutlich, als sich die herzkranke Molly mit einem sehr emotionalen Brief an ihn wendet: Lisa war Organ-Spenderin, und ihr Herz hat Molly ein neues Leben geschenkt. Nach und nach melden sich drei weitere Organ-Empfänger bei Alex. Von Beginn an besteht eine starke Verbindung zwischen den so unterschiedlichen Menschen.
Als der kleine Connor von zu Hause fortläuft, um seine Mutter zu suchen, und dabei in Lebensgefahr gerät, werden die neuen Freundschaften auf eine harte Probe gestellt. 

Rezension: 

Die Astronomin Lisa Stevens stirbt im Alter von 33 Jahren bei einem Zugunglück und hinterlässt ihren Ehemann Alex und ihren sechsjährigen Sohn Connor. Ohne ihr Wissen hatte sie sich als Organspenderin registrieren lassen und kann auf diese Weise vier Menschen helfen, deren Leben sie rettet oder ganz entscheidend verbessert. Alex nimmt Kontakt zu den Empfängern der Organe auf und spürt ganz besonders bei Molly, die Lisas Herz bekommen hat, dass Lisa noch da ist. Für ihn ist ihre Liebe da, solange ihr Herz schlägt, wofür er den Beweis in ominösen Studien zum zellulären Gedächtnis sucht. 
Zwischen Lisas Hinterbliebenen und ihren Organempfängern besteht eine einzigartige Verbindung. Es entwickeln sich Freundschaften und nicht klar einzuordnende Gefühle untereinander, die einerseits Halt geben andererseits aber auch verstörend sind. 

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive des Witwers Alex und der Transplantatempfängerin Molly geschildert. Durch den empathischen Schreibstil fällt es leicht, in beide Sichtweisen einzutauchen. Beide Schicksale gehen zu Herzen, aber insbesondere Alex, der zusammen mit seinem Sohn Connor hart an dem Verlust der geliebten Ehefrau und Mutter zu knabbern hat, stimmt traurig. 
Trotz der auch positiven Veränderungen, die sich für die Transplantatempfänger ergeben, umweht die Geschichte ein Hauch von Melancholie, denn der Tod von Lisa ist allgegenwärtig. Connor versteht nicht, wo seine Mummy ist und rechnet jederzeit mit ihrer Rückkehr, während Alex seine Ehefrau unweigerlich in den vier Organempfängern Barbara, Jamie, Mac und Molly sucht. So fühlt sich seine Kontaktaufnahme und die beginnenden Freundschaften bizarr und nicht ganz ehrlich an. 
Die widersprüchlichen Gefühle und Unsicherheiten sind auf beiden Seiten spürbar. Die Organempfänger empfinden tiefe Dankbarkeit, aber wie weit muss diese gehen? Wie weit müssen und dürfen sie an der Trauer der Hinterbliebenen teilhaben? Wurden sie zufällig ausgewählt oder haben ihre Verbindungen einen tieferen Sinn? Lebt Lisa in ihnen weiter oder verrennt sich Alex in eine fixe Idee, die ihn Lisa nicht loslassen lässt? 

Die Geschichte zeigt auf anrührende Weise, wie dicht Anfang und Ende, Hoffnung und Trauer, beieinander liegen können. Die Unsicherheiten in den Beziehungsgeflechten sind authentisch geschildert. Wie für die Protagonisten als auch für den/ die Leser*in ist es schwierig einzuordnen, ob die Gefühle untereinander echt sind und ob die Figuren wirklich mehr verbindet als die Organe einer toten Frau. 
Der Showdown am Ende um das Verschwinden Connors gibt Aufschluss und macht die Geschichte am Ende rund. 
Der Roman stellt rein auf die Beziehungen der Menschen untereinander ab und hält sich nicht medizinischen Details auf, was vielleicht etwas einseitig ist, aber dennoch jeden darüber nachdenken lassen sollte, Organspender zu werden. Wer sich dann auch nicht daran stört, dass alle Charaktere ein wenig zu gutherzig erscheinen und das Ende kitschig glücklich ist, für den ist "Bis zum Mond und zurück" die perfekte Herz-Schmerz-Lektüre. 

Freitag, 10. Dezember 2021

Buchrezension: Matt Haig - Ein Junge namens Weihnacht

Inhalt:

Er hieß Nikolas, wuchs in großer Armut irgendwo in Finnland auf und dies ist seine wahre Geschichte... 
Der elfjährige Nikolas begibt sich allein auf eine gefährliche Reise an den Nordpol, um seinen Vater zu finden. Er besteht haarsträubende Abenteuer, begegnet Rentieren mit erstaunlichen fliegerischen Fähigkeiten, einer Elfe, die eine seltsame Vorliebe für explodierende Köpfe hat, einem gewalttätigen Troll namens Sebastian – und er stellt fest: Wichtel gibt es wirklich! Und in ihm reift ein Entschluss: Er will die Welt zu einem glücklicheren Ort machen. 

Rezension: 

"Ein Junge namens Weihnacht" ist der erste Band der inzwischen vierteiligen Kinderbuchreihe "Weihnacht" von Matt Haig und das erste Buch, das verfilmt wurde und aktuell im Kino ist. 
Die Geschichte handelt von der Kindheit des Weihnachtsmanns und wie es dazu kam, dass aus dem Jungen Nikolas aus dem finnischen Dorf Kristiinankaupunki der Weihnachtsmann wurde. 

Nikolas ist ein Halbwaise, der bei seinem Vater, dem armen Holzfäller Joel lebt. Dieser möchte seinem Sohn mehr bieten und nutzt deshalb die Gelegenheit, zusammen mit sechs weiteren Männern in Richtung Norden aufzubrechen, um im Auftrag des Königs das Wichteldorf zu finden. Es ist ein hoher Geldbetrag für den Beweis ausgesetzt, dass es Wichtel tatsächlich gibt. Auf den elfjährigen Jungen passt in der Zeit der Abwesenheit des Vaters seine schreckliche Schwester Carlotta auf. Diese macht Nikolas das Leben schwer und so beschließt er, seinen Vater zu suchen, als der nach mehreren Monaten immer noch nicht zurück von seiner Mission ist. 
Nikolas gelangt tatsächlich in das Wichteldorf, wo allerdings einiges im Argen liegt. Er muss seinen ganzen Mut entwickeln und an Wunder glauben, um nicht nur die Wichtel, sondern auch die Menschen glücklich zu machen. 

Die Geschichte von der Kindheit des Weihnachtsmanns ist ein Abenteuer für Groß und Klein, das lebendig und abwechslungsreich geschildert ist. Die witzigen Illustrationen passen perfekt, um die fantasievolle Geschichte zu untermalen. 
Nikolas begegnet auf seinem Weg fliegenden Rentieren, Wichtel, Trollen und Elfen, wovon ihm nicht alle wohlgesonnen sind. Immer wieder kommt es zu einem Kampf zwischen Gut und Böse bis am Ende das Gleichgewicht wieder hergestellt ist. Der Verlauf der Geschichte ist an manchen Stellen unnötig gewalttätig und brutal, weshalb sie für ganz kleine Kinder mit Sicherheit nicht geeignet ist. Auch die Stimmung ist zwischendurch richtig traurig und melancholisch und deshalb nichts für sensible Gemüter. 
Die Botschaft, die vermittelt wird, ist jedoch wieder kindgerecht und wunderschön magisch. Am Ende gibt es nicht nur eine Erklärung, wer der Weihnachtsmann ist, warum er nicht altert und wie er es schafft, an einem Abend die Welt zu bereisen und mit seinen Gaben glücklich zu machen. Es wird auch deutlich, wie wichtig Herzensgüte und Nächstenliebe sind, dass es sich lohnt, an Wunder zu glauben, dass nichts unmöglich ist und dass das Gute am Ende siegt. 

Mittwoch, 8. Dezember 2021

Buchrezension: Kathleen Winter - Sein Name war Annabel

Inhalt:

Croydon Harbour, ein verschlafener kleiner Ort an der Küste Labradors, 1968. Die Aufbruch- und Proteststimmung der Zeit ist nicht bis in diese abgelegene Gegend vorgedrungen, als ein freudig erwartetes Baby zur Welt kommt. Doch dieses Kind ist anders: nicht ganz Junge und auch nicht ganz Mädchen. Die Eltern – in erster Linie jedoch der Vater – entscheiden, es als Jungen aufwachsen zu lassen. Aber das männliche Rollenbild, verhaftet in alten Traditionen und bestimmt durch Jagen und Fischen, bleibt dem Jungen fremd. Und er sucht einen Weg, um zu sich selbst zu finden und selbstbestimmt leben zu können. Zur Seite steht ihm dabei eine gute Freundin der Eltern, die um sein Geheimnis weiß. 

Rezension:

In der kanadischen Provinz Labrador kommt im Jahr 1968 ein Baby zur Welt, das weder eindeutig Junge noch Mädchen ist. Es hat beide Geschlechtsmerkmale und von dem Geheimnis wissen nur seine Eltern, Jacinta und Treadway, sowie die Nachbarin und Freundin Thomasina, die bei der Geburt dabei war. Treadway trifft die Entscheidung, das Baby als Jungen großzuziehen und versucht ihm Freude an Jungssachen zu vermitteln, während Jacinta auch die sensible, weibliche Seit des Jungen akzeptiert. Thomasina, deren Tochter kurz nach der Geburt von Wayne ertrunken ist, nennt ihn dagegen heimlich Annabel. Wayne macht sich darüber keine Gedanken, denn er weiß nicht, dass er anders ist. Erst als er in die Pubertät kommt und von Bauschmerzen gequält wird, klärt ihn Thomasina während eines Arztbesuches auf, dass er ein Hermaphrodit ist. 

Die ersten 300 Seiten beschreiben die Kindheit Waynes und die Unsicherheit seiner Eltern im Umgang mit seiner Besonderheit. Dass Wayne weder eindeutig Junge noch eindeutig Mädchen ist, ist ein Tabuthema, das totgeschwiegen wird. Auch sonst sprechen die Eltern wenig miteinander und führen eine distanzierte Beziehung. 
Über die Gefühle der handelnden Figuren erfährt man wenig, was insbesondere in Bezug auf Wayne schade ist. Weder unmittelbar nach der Geburt noch im weiteren Verlauf des Heranwachsens wurde das Thema Intersexualität von den Eltern mit einander, mit Ärzten oder Psychologen diskutiert. Lange weiß Wayne selbst nicht, dass er ungewöhnlich ist und als ihm die Tatsache notgedrungen offenbart wird, hinterfragt er sie nicht oder ist gar erschüttert. Diese Nicht-Reaktion empfand ich als vollkommen unrealistisch - gerade im Alter eines verunsicherten Teenagers, die selbst unter "normalen" Bedingungen mit den Veränderungen ihres Körpers hadern. Auch blieb im Dunkeln, welche Medikamente Wayne (vermutlich zur Unterdrückung der weiblichen Hormone) einnimmt und weshalb er trotzdem seine Periode bekommt. 

Im sehr langatmigen Mittelteil entwickeln sich die Charaktere nicht wirklich weiter, es ereignet sich wenig. Die Abreise von Wayne in die größere Stadt St. John's erfolgt abrupt, nachdem ihm eine weitere Offenbarung gemacht wurde, mit der sich das Buch jedoch nicht tiefer beschäftigte, so dass diese - wenig wahrscheinliche - "Nebenwirkung" der Intersexualität an dieser Stelle reißerisch wirkte. Die Geschichte bleibt durchgehend emotionslos und beklemmend kühl. Darüber kann auch die blumige, poetische Sprache nicht hinweghelfen. 

Von dem Roman hatte ich mir eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Fragen der Identität, mit Ausgrenzung, Toleranz und Diskussionen über psychologisch fundierte Lösungswege gewünscht, wurde jedoch enttäuscht. Die Geschichte mäandert ohne klares Ziel vor sich hin und klammert viele Fragen und Details, die sich bei der Geburt eines intersexuellen Kindes unweigerlich ergeben, einfach aus. Selbst wenn man in Betracht zieht, in welcher Zeit der Roman handelt und dass die schlichte Hilflosigkeit aller Beteiligten ein wesentlicher Faktor ist, bleibt die Auseinandersetzung mit dieser Besonderheit durch das allgegenwärtige Schweigen zu oberflächlich. Erklärungen zur medizinischen Behandlung Waynes blieben genauso außen vor wie zur Entwicklung seines Körpers unter der Verabreichung von Medikamenten. Gerade in Bezug auf die Fragestellungen richtig oder falsch bzw. wann der Zeitpunkt ist, sich auf ein Geschlecht festzulegen und ob dies aus ärztlicher Sicht überhaupt erforderlich ist, wird der Leser völlig allein gelassen, weshalb der Roman meiner Meinung nach viel Potenzial in Sachen Aufklärung und Toleranz verschenkt hat. 

Montag, 6. Dezember 2021

Buchrezension: Lisa Jewell - Was damals geschah

Inhalt:

In einem großen herrschaftlichen Haus in Londons elegantem Stadtteil Chelsea liegt ein Baby in seinem Bettchen. Das kleine Mädchen ist satt und zufrieden, es fehlt ihm an nichts. In der Küche des Hauses liegen drei verwesende Leichen. Neben ihnen eine hastig hingekritzelte Nachricht. Die drei sind seit Tagen tot. Doch wer hat sich dann um das Kind gekümmert? Und wo ist diese Person jetzt?
Fünfundzwanzig Jahre später erhält eine junge Frau namens Libby einen Brief, der sie überraschend zur Erbin des Anwesens erklärt. Die Fragen von damals wurden nie beantwortet. Und schon bald beschleicht Libby das Gefühl, dass sie nicht allein im Haus ist. 

Rezension: 

Kurz nach ihrem 25. Geburtstag erhält Libby die Nachricht, dass sie ein Haus im Londoner Stadtteil Chelsea geerbt hat. Dort wurde sie 1994 als zehn Monate alter Säugling neben drei Leichen aufgefunden. Die anderen Kinder, die in dem Haus gelebt haben sollen, wurden nie aufgefunden. 
Libby wurde adoptiert und weiß nicht, wer ihre Eltern wirklich waren und was damals passiert ist. Bevor sie das heruntergekommene, millionenschwere Haus veräußern wird, möchte sie endlich herausfinden, wer sie ist. 

Der Roman ist aus drei Erzählsträngen aufgebaut, von denen einer die Vergangenheit von 1988 bis 1994 in dem Haus in Chelsea aus der Sicht des Jugendlichen Henry erzählt. Er wohnte dort zusammen mit seiner Schwester und seinen Eltern, bis merkwürdige Menschen bei ihnen eingezogen sind und sich das Zusammenleben aufgrund der finanziellen Notlage seiner Eltern zu einer Art Kommune entwickelte. 
Die beiden Erzählstränge in der Gegenwart werden aus der Perspektive der Erbin Libby sowie von Lucy, die mit zwei Kindern von der Hand in den Mund in Südfrankreich lebt und nach London zurückkehren möchte, geschildert. 
Auch wenn die Erzählstränge parallel verlaufen und sich zunächst nicht kreuzen, ist offensichtlich, was die drei Personen miteinander verbindet. 

Es ist ein Familiendrama mit Thrillerelementen, das durch die dynamischen Perspektivenwechsel spannend aufgebaut ist. Alle Erzählstränge fesseln dabei auf ihre Weise, wobei das Mysterium rund um das unheilvolle Haus und die Ereignisse der Vergangenheit im Fokus stehen, die es aufzudecken gilt. Was ist mit den Bewohnern passiert? Handelte es sich um kollektiven Selbstmord? Was ist mit den anderen Kindern geschehen und warum hat von ihnen niemand Anspruch auf das Erbe erhoben? 
Diese Fragen gilt es zu klären, während Libby das verlassene Haus inspiziert, während Lucy sich ihrem ärgsten Peiniger stellt, um nach London zu kommen und während Henrys Geschichte unweigerlich dem Todestag des Jahres 1994 näher rückt und dem "was damals geschah". Die Beschreibungen des Zusammenlebens in dem Haus, das von einem spirituellen Pärchen in Beschlag genommen wird und die eigentlichen Bewohner auf subtile Weise ihrer Rechte beraubt, sind kaum zu fassen. Offensichtlich ist dabei nur, dass das Henrys Offenbarungen, die von psychischer und physischer Gewalt und Vernachlässigung der dort lebenden Kinder zeugen, zu einer Katastrophe führen mussten. Je tiefer Libby mit Hilfe eines Journalisten in die Vergangenheit einzutauchen versucht, desto unheimlicher und undurchsichtiger erscheint auch ihre Lage in der Gegenwart. 

Sonntag, 5. Dezember 2021

Buchrezension: Simone Paganini, Claudia Paganini - Von wegen Heilige Nacht!

Inhalt:

Kaum ein Ereignis hat die Welt so stark beeinflusst wie die Geburt Jesu. Aber: Was geschah damals eigentlich? Die Bibel erzählt Widersprüchliches. Wann Jesus geboren ist und wo das war, ist nicht so ganz deutlich. Auch andere Details sind höchst unklar: Wieso wurde Jesus als Heiland wahrgenommen? War seine Mutter wirklich Jungfrau? Und ihr Ehemann ein alter Knacker? Und was hat es mit den Engeln, Hirten und den drei Königen auf sich? Woher kamen Ochs und Esel und hat es in jener Nacht wirklich geschneit?
Bibelwissenschaftler haben viel geforscht, um Licht in das Dunkel der Heiligen Nacht zu bringen. Dieses Buch präsentiert die Ergebnisse. Sie sind ernüchternd und befreiend zugleich: Weihnachten war ganz anders und darf doch bleiben, was es ist. Ein faszinierendes Fest, das Kinderaugen zum Glänzen bringt und die Großen in den Bann seiner Botschaft schlägt. 

Rezension: 

In 17 kurzen Kapiteln werden Details aus der überlieferten Weihnachtsgeschichte mit Fakten aus historischen Schriften gegenübergestellt. Dabei werden viele Fragen zur Heiligen Nacht und zur Geburt Jesu beantwortet - die Geschichte, an die sich viele Gläubige klammern aber auch entmythologisiert. Es wird jedoch nicht in Abrede gestellt, dass ein Kind geboren wurde, das später als Messias verehrt wurde und vielen Menschen Hoffnung geschenkt und den Glauben gestärkt hat, dass Gott den Menschen nahe ist. 

Ich fand es sehr interessant zu erfahren, wie wenig Wahrheit von der Weihnachtsgeschichte letztlich übrig bleibt, wenn man Übersetzungsfehler oder schlicht ungenaue Nacherzählungen aufdeckt. So wurde Jesus weder im Jahr 0, noch in Bethlehem und auch nicht in einem Stall, gewärmt von Ochs und Esel geboren. 

Die Kapitel lassen sich der Reihe nach lesen, man kann aber auch gezielt aus dem Inhaltskapitel eine Fragestellung auswählen und damit beginnen. Wie in einem Lexikon wird in den einzelnen Kapiteln auf vorhergehende oder nachfolgende Abschnitte verwiesen. Die Illustrationen sind humorvoll angehaucht und passen zum nicht trockenen Schreibstil. 

Egal ob man religiös interessiert ist oder einfach mehr über den historischen und biblischen Hintergrund zum Weihnachtsfest erfahren möchte - das Buch bietet einen Anreiz für jedermann (oder jederfrau - vom Gendersternchen wird ausgiebig Gebrauch gemacht). Sehr gelungen ist die Darstellung von Fakten, die stark von der christlichen Weihnachtsgeschichte abweichen, ohne den Glauben damit ins Lächerliche zu ziehen oder der symbolträchtigen Geschichte ihren Glanz zu nehmen. 

Samstag, 4. Dezember 2021

Buchrezension: Jana Voosen - Unser Weg nach morgen

Inhalt:

Hamburg, 1937: Lilo wächst als behütetes Nesthäkchen in einer parteitreuen Kaufmannsfamilie auf. Schon lange ist sie unsterblich in den Freund ihres Bruders verliebt. Als Ludwig endlich auf sie aufmerksam wird, entführt er sie in die verlockende und verbotene Welt der Swing-Jugend. Braves Hitlermädchen bei Tag, durchtanzt sie nun heimlich die Nächte im Alsterpavillon. Doch dann verschwindet Ludwig—und Lilo ist schwanger. Im Kampf um ihre Tochter wächst sie über sich hinaus.
2019: Nele hat den kleinen Buchladen ihres Vaters in Ottensen übernommen. Eines Tages übergibt ihr eine Kundin die Lebenserinnerungen von Lilo: Es ist das richtige Buch zur richtigen Zeit. Denn es gibt Nele den Mut, endlich ihren eigenen Weg zu gehen. 

Rezension: 

Schon als junges Mädchen war Lieselotte Wiegand in den Freund ihres älteren Bruders, Ludwig, verliebt. Die Wege der Jungs trennen sich und so sehen sich auch Lilo und Ludwig erst Jahre später wieder, als Lilo mit 15 Jahren deutlich reifer und attraktiver ist. Ludwig bringt das wohlerzogene und systemtreue BDM-Mädchen dazu, mit ihr heimlich die Abende zu verbotener "Negermusik" zu tanzen. Lilo genießt das Gefühl von Freiheit und verliebt sich in Ludwig, was nicht ohne Folgen bleibt. Als Ludwig nach einer Razzia eingezogen wird und an die Ostfront muss, sieht sich Lilo plötzlich der Willkür des Patenkindes ihres Vaters ausgesetzt, SS-Oberscharführer Werner Huber, der vorgibt, die vom Weg abgekommene junge Frau zu erretten. 
Jahre später liest Buchhändlerin Nele in einem Manuskript die Geschichte von Lilo und ist tief bewegt. Für sie ist es eine Flucht, in die Geschichte der fremden Frau einzutauchen, da sie selbst vor schwierigen Entscheidungen steht. Ihre Buchhandlung kämpft ums Überleben und ihr Lebensgefährte Julian scheint sich mehr um die Belange seiner Exfrau und des gemeinsamen Sohnes als um Nele zu kümmern. 

Vielleicht habe ich schon zu viele ähnlich anmutende Geschichten gelesen, die auf zwei Zeitebenen handeln und Schicksalsschläge während des Zweiten Weltkrieges thematisieren, weshalb mich dieser Roman im Vergleich zu anderen nicht ganz überzeugen konnte. 
Ich hatte mir mehr von der Swing-Bewegung der 1930er Jahre erhofft, mehr Hintergrund zu den Jugendlichen, die sich dieser Bewegung anschlossen und mehr Leidenschaft für die Musik. Stattdessen lässt sich Lilo einfach treiben und tanz bereitwillig mit um Ludwig zu gefallen. Die Swing-Jugend als Akt des Widerstands gegen das herrschende System blieb mir viel zu vage und hat ihr Potenzial in der Geschichte nicht ausgeschöpft. 
Der weitere Verlauf von Lilos Schicksal, das Verhalten von Ludwig und ihr eigenes ist vorhersehbar. Die Geschichte ist tragisch, einfühlsam geschildert und bewegt durch das körperliche und seelische Leid, das die Liebenden ertragen müssen, aber bietet eben auch keine interessanten neuen Aspekte. 

Neles Situation wird nicht in der Ausführlichkeit beschrieben und kann schon allein aufgrund des historischen Hintergrunds nicht so ergreifend sein wie Lilos Geschichte. Nele ist eine unabhängige junge Frau, die genau damit zu kämpfen hat. Die Zukunft ihrer Buchhandlung ist ungewiss, nachdem Kunden ausbleiben und der Umsatz stetig zurückgeht. Auch die Beziehung zu Julian ist ein ständiger Kampf um Aufmerksamkeit, denn diese teilt sie sich notgedrungen mit seinem Sohn und seiner Exfrau. Auf beiden Seiten fehlen klare Worte, um ihre Standpunkte deutlich zu machen, bis die Situation letztlich eskalieren muss. 

Beide Erzählstränge sind lebendig und voller Empathie geschildert. Die beiden jungen Frauen brauchen jedoch eine ganze Weile bis sie aus ihrer Passivität treten und für sich und ihre Belange einstehen. In Bezug auf Lilo mag dies nachvollziehbar sein, im Fall von Nele jedoch etwas enervierend. Beide wachsen letztlich jedoch über sich hinaus. 
Die Themenfelder des Romans wie Swing-Jugend, Lebensbornheime, Einschränkungen durch den Krieg, Mutterschaft und Selbstfindung blieben mir allesamt zu sehr an der Oberfläche. Zudem fehlten mir bei beiden Geschichten überraschende Wendungen, die dem Roman das nötige Quäntchen Spannung verliehen hätten.