Samstag, 4. Dezember 2021

Buchrezension: Jana Voosen - Unser Weg nach morgen

Inhalt:

Hamburg, 1937: Lilo wächst als behütetes Nesthäkchen in einer parteitreuen Kaufmannsfamilie auf. Schon lange ist sie unsterblich in den Freund ihres Bruders verliebt. Als Ludwig endlich auf sie aufmerksam wird, entführt er sie in die verlockende und verbotene Welt der Swing-Jugend. Braves Hitlermädchen bei Tag, durchtanzt sie nun heimlich die Nächte im Alsterpavillon. Doch dann verschwindet Ludwig—und Lilo ist schwanger. Im Kampf um ihre Tochter wächst sie über sich hinaus.
2019: Nele hat den kleinen Buchladen ihres Vaters in Ottensen übernommen. Eines Tages übergibt ihr eine Kundin die Lebenserinnerungen von Lilo: Es ist das richtige Buch zur richtigen Zeit. Denn es gibt Nele den Mut, endlich ihren eigenen Weg zu gehen. 

Rezension: 

Schon als junges Mädchen war Lieselotte Wiegand in den Freund ihres älteren Bruders, Ludwig, verliebt. Die Wege der Jungs trennen sich und so sehen sich auch Lilo und Ludwig erst Jahre später wieder, als Lilo mit 15 Jahren deutlich reifer und attraktiver ist. Ludwig bringt das wohlerzogene und systemtreue BDM-Mädchen dazu, mit ihr heimlich die Abende zu verbotener "Negermusik" zu tanzen. Lilo genießt das Gefühl von Freiheit und verliebt sich in Ludwig, was nicht ohne Folgen bleibt. Als Ludwig nach einer Razzia eingezogen wird und an die Ostfront muss, sieht sich Lilo plötzlich der Willkür des Patenkindes ihres Vaters ausgesetzt, SS-Oberscharführer Werner Huber, der vorgibt, die vom Weg abgekommene junge Frau zu erretten. 
Jahre später liest Buchhändlerin Nele in einem Manuskript die Geschichte von Lilo und ist tief bewegt. Für sie ist es eine Flucht, in die Geschichte der fremden Frau einzutauchen, da sie selbst vor schwierigen Entscheidungen steht. Ihre Buchhandlung kämpft ums Überleben und ihr Lebensgefährte Julian scheint sich mehr um die Belange seiner Exfrau und des gemeinsamen Sohnes als um Nele zu kümmern. 

Vielleicht habe ich schon zu viele ähnlich anmutende Geschichten gelesen, die auf zwei Zeitebenen handeln und Schicksalsschläge während des Zweiten Weltkrieges thematisieren, weshalb mich dieser Roman im Vergleich zu anderen nicht ganz überzeugen konnte. 
Ich hatte mir mehr von der Swing-Bewegung der 1930er Jahre erhofft, mehr Hintergrund zu den Jugendlichen, die sich dieser Bewegung anschlossen und mehr Leidenschaft für die Musik. Stattdessen lässt sich Lilo einfach treiben und tanz bereitwillig mit um Ludwig zu gefallen. Die Swing-Jugend als Akt des Widerstands gegen das herrschende System blieb mir viel zu vage und hat ihr Potenzial in der Geschichte nicht ausgeschöpft. 
Der weitere Verlauf von Lilos Schicksal, das Verhalten von Ludwig und ihr eigenes ist vorhersehbar. Die Geschichte ist tragisch, einfühlsam geschildert und bewegt durch das körperliche und seelische Leid, das die Liebenden ertragen müssen, aber bietet eben auch keine interessanten neuen Aspekte. 

Neles Situation wird nicht in der Ausführlichkeit beschrieben und kann schon allein aufgrund des historischen Hintergrunds nicht so ergreifend sein wie Lilos Geschichte. Nele ist eine unabhängige junge Frau, die genau damit zu kämpfen hat. Die Zukunft ihrer Buchhandlung ist ungewiss, nachdem Kunden ausbleiben und der Umsatz stetig zurückgeht. Auch die Beziehung zu Julian ist ein ständiger Kampf um Aufmerksamkeit, denn diese teilt sie sich notgedrungen mit seinem Sohn und seiner Exfrau. Auf beiden Seiten fehlen klare Worte, um ihre Standpunkte deutlich zu machen, bis die Situation letztlich eskalieren muss. 

Beide Erzählstränge sind lebendig und voller Empathie geschildert. Die beiden jungen Frauen brauchen jedoch eine ganze Weile bis sie aus ihrer Passivität treten und für sich und ihre Belange einstehen. In Bezug auf Lilo mag dies nachvollziehbar sein, im Fall von Nele jedoch etwas enervierend. Beide wachsen letztlich jedoch über sich hinaus. 
Die Themenfelder des Romans wie Swing-Jugend, Lebensbornheime, Einschränkungen durch den Krieg, Mutterschaft und Selbstfindung blieben mir allesamt zu sehr an der Oberfläche. Zudem fehlten mir bei beiden Geschichten überraschende Wendungen, die dem Roman das nötige Quäntchen Spannung verliehen hätten. 

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