Freitag, 31. März 2023

Buchrezension: Felicitas Geduhn - Sommer

Inhalt:

Vier Wochen Sommerferien liegen hinter Martin und ihr, vier Wochen noch vor ihnen, als ihre zeitlosen Kinderabenteuer plötzlich erste Einschnitte erleben. Denn mit elf Jahren beginnt man zu ahnen, was die Erwachsenen um einen herum längst wissen: wie man Kriege beginnt und verliert, wie man Mauern baut, Tiere einschläfert, Lügen für sich behält und wie man trotz Einschlägen im Leben – oder mit ihnen – weiterlebt. Bis die Freundschaft mit der siebzigjährigen Fanni Ereignisse in Gang setzt, die das Mädchen für lange Zeit prägen werden. Zehn Jahre danach hat Anna sich in der Anonymität der Großstadt ein eigenes Leben eingerichtet. Sie hält ihre winterkalte Welt leise und geordnet wie die Bücherstapel der Bibliothek, in der sie arbeitet, und wie die Gemüseschublade ihres Kühlschranks, in der die Schildkröte Greta überwintert. Doch als Jahre später das Haus, in dem Martin aufgewachsen ist, zum Verkauf steht, kehren beide zurück in den Kosmos ihrer Familie in dem kleinen, längst gewandelten Ort nahe der immer gleichen Elbe. 

Rezension: 

Im Sommer 1989 ist Anna zehn Jahre alt und freut sich über die Wochen, die sie mit ihrem Cousin und gleichzeitig besten Freund Martin in ihrem Heimatdorf an der ostdeutschen Elbe verbringen darf. Freundschaft schließt sie auch mit der siebzigjährigen Fanni, von der die Kinder aufgrund ihrer Eigenschaft als Zwilling fasziniert sind. Doch was am Ende des Sommers beim Angeln passiert, wird Auswirkungen auf Annas Leben haben, das durch den frühen Tod der Eltern ohnehin schon von Verlust bestimmt war. 
Zehn Jahre später lebt Anna über 300 km von ihrer Heimat entfernt in der Anonymität der Großstadt. Sie hat sich in einer WG arrangiert, wo sie sich um die Schildkröte ihrer Wohnungsgeberin kümmert. Beide Frauen sind froh, wenn sie sich nicht allzu häufig begegnen. 
Im Sommer 2015 ist Anna zurück in ihrer Heimat, als das Haus ihrer Tante verkauft werden soll. Es ist der Sommer, in dem Martins Sohn Erik elf Jahre alt wird und der wieder alles verändern wird.  

"Sommer" ist ein Roman der leisen Töne, der eine melancholische Stimmung ausstrahlt. Die Charaktere sind als Erwachsene in sich gekehrt und zurückhaltend. Vieles bleibt ungesagt und den Gedanken der Leser überlassen. Auch die großen Zeitsprünge vom Sommer 1989 in den Winter 1999/2000 und den Sommer 2015 tragen dazu bei, dass Informationslücken entstehen. So ist auch die Tragik des Sommers 1989 und dessen Auswirkungen nicht leicht fassbar. Der Einschnitt wird ausschließlich in dem eintönigen und einsam wirkenden Leben von Anna deutlich, mit dem sie allerdings zufrieden scheint. Die Traurigkeit zieht sich durch den Roman, denn auch der Sommer 2015 ist mit einem Verlust verbunden. Hoffnung und Zuversicht schenkt die Geschichte trotz aller Schwermut durch die Bedeutung der Familie, die Halt gibt und die sich immer wieder neu zusammensetzt. 

"Sommer" zeigt, welche Auswirkungen Erlebnisse aus der Vergangenheit auf die weitere Zukunft und den eigenen Lebensweg haben können. Die Geschichte stellt eindringlich dar, dass sich die Geister der Vergangenheit nicht leicht verdrängen lassen, dass man sie annehmen muss, um weiterleben zu können. Anna hat ihre ganz eigene Überlebensstrategie entwickelt, die ihr Halt gibt. 
"Sommer" ist bestimmt keine heitere Urlaubsgeschichte, sondern erzählt vielmehr von den Erschwernissen des Lebens, von Tod und Traurigkeit, die auch in einer scheinbar unbeschwerten Ferienzeit voller Abenteuerlust, Entdeckungsgeist und flirrender Hitze, Einzug halten können und für Düsternis und Kälte sorgen können. Doch trotz Verlust ist am Ende immer jemand da, der Halt und Fürsorge gibt, auch wenn es nicht die nächsten Verwandten sind. 

Donnerstag, 30. März 2023

Buchrezension: James Norbury - Großer Panda und Kleiner Drache: Die Reise

Inhalt:

Großer Panda und Kleiner Drache haben in einem Tempel hoch oben in den Bergen ein Zuhause gefunden, umgeben von endlosen Wäldern. Und obwohl sie dort zufrieden leben, spürt der Kleine Drache, dass ihm etwas fehlt. Die beiden beschließen, sich gemeinsam auf eine Reise zu begeben, in unbekannte und weit entfernte Gegenden. Auf ihrem Weg müssen sie sich Gefahren und Herausforderungen stellen, aber sie erkennen, dass sie alles, was sie brauchen, tief in sich tragen. Und dass Veränderung, auch wenn sie ein wenig Angst macht, möglich ist –und sie auf einen besseren Weg führt, wenn sie nur geduldig genug sind. 

Rezension: 

Großer Panda und Kleiner Drache leben in einem etwas in die Jahre gekommenen Tempel auf einem hohen Berg, wo sie Tee trinken und gemeinsam die Tiere oder die Sterne beobachten. Kleiner Drache weiß, dass er sich eigentlich glücklich schätzen sollte, spürt jedoch, dass ihm etwas fehlt. Großer Panda findet, dass es wichtig ist, sich zu spüren, dass man offen für Veränderungen und neue Wege sein sollte und schlägt Kleiner Drache deshalb eine Reise vor. Kleiner Drache ist zunächst skeptisch, da er für die Reise ins Ungewisse fast alle seine Besitztümer zurücklassen und den Tempel verlassen muss, doch Großer Panda überzeugt ihn: 

"Alles, was du brauchst, ist bereits in dir". 

"Großer Panda und Kleiner Drache: Die Reise" ist die Fortsetzung des illustrierten Buches über die beiden Freunde "Großer Panda und Kleiner Drache". Bei dem zweiten Band handelt es sich im Vergleich zur ersten Ansammlung von Weisheiten und passenden Tuschezeichnungen um eine vollständige Erzählung. 

Das Buch besteht wieder auf fast jeder Seite aus ausdrucksstarken Zeichnungen und kurzen Zeilen, die nachdenklich stimmen. Die Gestaltung der Illustrationen ist passend zu den Texten und der Stimmung in der Geschichte. Wenn Kleiner Drache traurig und unsicher ist und die beiden Freunde in Gefahr geraten, sind die Bilder Schwarz-Weiß gehalten, hektisch und düster. Bei schönen Episoden, innigen Zeichen der Freundschaft und Lebensfreude sind die Bilder farbenfroh und mit mehr Liebe zum Detail gestaltet. 

Es ist ein illustriertes Buch für Erwachsene, das viele weise Botschaften enthält, ohne zu philosophisch zu sein. Die Texte sind kurz und leicht verständlich und sehr dialoglastig. Kleiner Drache stellt immer wieder Dinge in Frage, zweifelt und ist unsicher und Großer Panda gibt ihm Halt und schenkt ihm mit Worten Hoffnung. Er scheint auf alles eine Antwort zu haben. 

Beide lernen auf ihrer Reise, dass Veränderungen und Herausforderungen ein Teil des Lebens sind und für ein Fortkommen unerlässlich sind. 

"Große Veränderungen erfordern große Bemühungen". 

Es braucht Mut, sich ihnen zu stellen, aber gemeinsam ist schaffbar. 

"Angst zu haben ist ganz natürlich (...) Angst bewahrt dich nicht davor zu sterben, aber sie kann dich davon abhalten zu leben."

Es ist eine herzerwärmende Geschichte über Freundschaft und die Abenteuer des Lebens, die Ängste nimmt, Mut macht und Hoffnung schenkt. Das Buch ist sowohl zum selber lesen, zum Vorlesen, aber auch bestens als Geschenk geeignet. Es lässt zur Ruhe kommen und inneren Frieden finden. Die beiden Tiere beweisen, dass es nicht viel auf der Welt braucht um glücklich zu sein und wenn man unglücklich ist, einen neuen Weg einschlagen muss. 

Mittwoch, 29. März 2023

Buchrezension: Stephanie Schuster - Glückstöchter: Einfach leben (Glückstöchter, Band 1)

Inhalt:

München, 1976: Minze, Vanille und Rosenholz … Für Eva ist die Welt voller Gerüche – und diese sind für sie die Basis aller Gefühle. Besonders Pflanzen und deren heilende Wirkung begeistern sie. Ein Pharmazie-Studium scheint genau das Richtige für Eva zu sein, und sie stürzt sich voller Neugier in das wilde, freie Schwabinger Studentenleben. Doch dann findet Eva etwas heraus, das ihre ganze Welt infrage stellt. 
Gut Dreisonnenquell im Voralpenland 1910: Wenn Anna Lindenblüten pflückt, die zartgrünen Blätter des Frauenmantels sammelt oder ganz einfach mit den Händen in der Erde arbeitet, fühlt sie sich frei. Als Tochter des bekannten Botanikers Christoph von Quast, möchte sie die Geschicke des Guts weiterführen und die Pflanzenzucht übernehmen. Doch als ihr Vater wieder heiratet, muss sie erfahren, dass sie in seinen Zukunftsplänen nicht auftaucht. 

Rezension: 

Eva Klein wächst in einem Vorort von München auf, wo ihre Eltern einen Friseursalon haben. Sie hat eine Begabung für Gerüchte, interessiert sich für Pflanzen und ihre heilende Wirkung, weshalb sie selbst Cremes herstellt, in einer Apotheke einen Nebenjob hat und Pharmazie in München studiert. Ihr bisher so ruhiges, unaufgeregtes Leben als strebsame Studentin und fleißige Tochter gerät ins Wanken, als sie bei einem Dachbodenfund ein Familiengeheimnis lüftet. Eva zieht aus und stürzt sich in ein freieres, unkonventionelles Leben in der Stadt, wo sie schnell Anschluss findet.
Einige Jahrzehnte zuvor lebt Anna zusammen mit ihrem Vater, dem Botaniker Christoph von Quast auf Gut Dreisonnenquell, einem ehemaligen Kloster, wo sie sich der Pflanzenzucht widmen und die aufwendige Herstellung von Seide als Pioniere in Deutschland umsetzen möchten. Als ihr Vater ihr eine neue Frau in seinem Leben vorstellt und sie wenig später heiratet, fühlt sich Anna überrumpelt und hintergangen. Der plötzliche Tod des Vaters sorgt dafür, dass Anna das Gut verlässt und auf sich alleingestellt ein neues Leben beginnen muss. 

"Glückstöchter - Einfach leben" ist der erste Band einer Trilogie um die beiden jungen Frauen Eva und Anna, die in unterschiedlichen Zeiten durch unvorhergesehene Ereignisse gezwungen sind, neue Wege zu gehen. 

Der Schreibstil ist bildhaft und anschaulich und mit viel Liebe zum Detail. Besonders die Welt der Pflanzen und Düfte, die Natur als schützenswerte Ressource, wird inhaltlich mit der Geschichte verbunden. 
Es ist erstaunlich, dass sich die Menschen bereits Anfang des 20. Jahrhunderts Gedanken um fleischfreie Ernährung gemacht haben und sich schon bewusst über die negativen Auswirkungen des Menschen auf die Umwelt waren. In den 1970er-Jahren wird der Gedanke noch nachhaltiger und radikaler fortgeführt. Vegetarische Ernährung, ökologischer Anbau, Nachhaltig und Anti-AKW-Bewegungen sind in aller Munde. 

Während es die Autorin insofern schafft, den Zeitgeist besonders unter dem Aspekt Natur und Umwelt lebendig einzufangen, ist die Entwicklung der Lebensgeschichten von Eva und Anna vergleichsweise zäh. Als Trilogie angelegt, ist sehr deutlich zu erahnen, dass sich die Autorin noch Ideen für die Nachfolgebände offen lässt und die/ den Leser*in deshalb mit so einigen offenen Fragen zurücklässt. Die Verbindung zwischen Eva und Anna lässt sich zwar erahnen, andere Details wie Fragen der Herkunft bleiben jedoch verborgen. 
Weiterhin fiel es mir schwer, mich in Eva und Anna hineinzuversetzen. Beide Frauen waren mir nicht wirklich sympathisch, da ich viele ihre Entscheidungen als zu überstürzt und kopflos empfand und ich ihre Handlungen nicht nachvollziehen konnte. Beide fliehen vor Problemen statt sie zu lüften und haben keine Skrupel damit, Brücken abzubrechen. Vielleicht ist das mutig und emanzipiert, vielleicht aber auch einfach eine Trotzreaktion. Die weiteren Charaktere blieben blass und bestenfalls klischeehaft als böse Stiefmutter oder Öko-Kiffer-Hippie-Studenten. 
Bis auf wenige Höhen und Tiefen plätschert die Handlung recht ereignislos dahin. Evas und Annas Lebensgeschichten, die in Band 1 noch so oberflächlich blieben, konnten mich trotz des Muts für Veränderungen und dem Wunsch nach persönlicher Freiheit und Unabhängigkeit nicht fesseln. Positiv bleibt zu resümieren, dass noch viel Potenzial für Band 2 und 3 bleibt, die im Frühjahr und Herbst 2024 erscheinen. 

Montag, 27. März 2023

Buchrezension: Rachel Joyce - Das Jahr, das zwei Sekunden brauchte

Inhalt:

Die Freunde Byron und James sind elf Jahre alt, als sich alles für immer verändert. Niemand sieht das Mädchen mit dem roten Fahrrad. Nur Byron, der mit seiner schönen Mutter im Wagen sitzt, als der Unfall im dichten Nebel geschieht. Byron weiß sofort: Er darf keinem etwas davon erzählen. Doch in nur zwei Sekunden ist die ganze Welt aus den Fugen geraten, und er braucht James an seiner Seite. Können zwei Sekunden existieren, die es vorher nicht gab? Und wird ihre perfekte Welt jemals wieder in den Takt kommen? 

Rezension:

1972 ist Byron elf Jahre alt, als sein bester Freund James, zu dem er aufblickt, ihm von den Schaltsekunden erzählt, die von der Regierung eingeführt wurden. In dem Moment, als die Uhren dann tatsächlich rückwärts zu gehen scheinen, fährt Byrons Mutter auf dem Schulweg ein Mädchen auf einem Fahrrad an und merkt es offenbar nicht, denn sie fährt einfach weiter. Byron jedoch kann mit den Schuldgefühlen nicht leben und weiß nicht, was er tun kann. Er sorgt sich um seine Mutter, die so ganz anders ist, als die anderen Mütter in der Kleinstadt. Er hat Angst vor einer Bestrafung und möchte seine Mutter beschützen. Ein Gespräch mit seinem strengen Vater ist keine Option. Jim ist in den 50ern und arbeitet als Aushilfe in einem Café. Er stottert und wirkt auf andere zurückgeblieben, leidet jedoch an einer Zwangsstörung und Depressionen. Er war mehrfach in einer psychiatrischen Einrichtung, die ihm Halt gab, bevor diese geschlossen wurde. Als er bei einem Unfall angefahren wird, die Fahrerin jedoch nicht anzeigen möchte, kümmert sich eine Kollegin um ihn und Jim ist nicht mehr allein.

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen, im Sommer 1972 und im Winter in der Gegenwart. In beiden Erzählungen haben Verkehrsunfälle eine Schlüsselrolle. Lange ist jedoch nicht klar, in welchem Zusammenhang beide Abschnitte stehen.
Die Atmosphäre ist melancholisch und angstbehaftet. Byron fühlt sich für seine Mutter verantwortlich, die sich nicht gegen den herrischen Vater zur Wehr setzen kann und in der Gemeinde nicht integriert ist. Das Wissen über den Unfall wirft ihn aus der Bahn. Es ist nachvollziehbar und eindrücklich geschildert, wie dieses Geheimnis auf ihm lastet. Halt gibt ihm sein Freund James, der immer eine Idee hat. Dennoch schwingt stets ein ungutes Gefühl mit, dass die Situation trotz aller kindlicher Ideen eskalieren wird. Auch Jims Erkrankung ist authentisch dargestellt und erklärt sein zurückhaltendes Verhalten und den schwierigen Umgang mit anderen Menschen.
Neben der Frage, wie die Schicksale von Byron und Jim verknüpft werden, ist reizvoll zu lesen, was die Unfälle bewirken und welche Folgen sie für die Protagonisten haben. So stellen sie eine Wende dar, die nicht zu erwarten war und erzählen abseits von Zwangsstörungen und Ängsten eine Geschichte über Freundschaft und Zusammenhalt, die der Geschichte ein wenig ihre Melancholie nimmt und Hoffnung schenkt.
Es ist eine Geschichte der leisen Töne, bei der die Empathie für die verletzlichen Figuren im Vordergrund steht. Dennoch erzeugen beide Erzählebenen ihre ganz eigene Spannung, um zu erfahren, wer sich hinter Jim verbirgt und mit was der junge Byron, auf dem so eine große Verantwortung lastet, noch konfrontiert werden wird. Die Auflösung kommt dann jedoch etwas kurz und letztlich doch wenig überraschend und enttäuschend simpel. 

Samstag, 25. März 2023

Buchrezension: Marie Reiners - Frauen, die Bärbel heißen

Inhalt:

Bärbel Böttcher, 54, ledig, keine Kinder, von Beruf Tierpräparatorin, lebt mit ihrer Mischlingshündin Frieda im Haus ihrer toten Eltern abgelegen am Rand einer Kleinstadt. Sie hat weder Familie noch Freunde, und das ist gut so, denn Bärbel ist Eigenbrötlerin aus Überzeugung. 
Als sie eines Morgens mit Frieda spazieren geht, findet sie im Wald einen Toten, dem ein Stock im Auge steckt. Nachdem Bärbel wohl oder übel die Polizei verständigt und ihre Aussage gemacht hat, ist sie froh, wieder zu Haus auf dem Sofa zu sitzen und ihrer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen: Verkaufssendungen im Shoppingkanal schauen. 
Bis es an der Tür klingt. Was es sonst nie tut. Und vor Bärbel eine Frau steht, die behauptet, die Ehefrau des Opfers zu sein und die Bärbel im nächsten Moment wenig charmant mit einem Elektroschocker außer Gefecht gesetzt hat. 
Dass das erst der Anfang allerlei sich überschlagender Ereignisse war, wird Bärbel schnell klar. Denn alsbald hat sie eine verletzte Schauspieler-Gattin (die Frau des Toten im Wald) im Keller, einen schnüffelnden Lokalreporter im Garten und unwillkommene Scherereien am Hals. Vorbei ist es mit dem beschaulichen Einsiedlerdasein, und Bärbel bleibt nichts anderes übrig, als sich auf die neue Situation einzulassen. 
Was Erfahrungen wie Enthüllungen ungeahnten Ausmaßes nach sich ziehen wird. 

Rezension: 

Bärbel Böttcher ist Mitte 50 und führt schon seit ihrer Jugend ein sehr zurückgezogenes Leben im Haus ihrer Eltern am Waldrand in der Nähe einer Kleinstadt. Einziger Kontakt bis auf den Briefboten ist Hündin Frieda. Bei einem ihrer morgendlichen Spaziergänge treffen sie auf die Leiche eines toten Schauspielers, dem ein ideales Wurfstöckchen im Auge steckt. Nach Kontaminierung des Tatorts und versehentlicher Beseitigung eines Beweismittels verständigt Bärbel die Polizei, bevor sie sich wieder ihren alltäglichen Shoppingsendungen widmet. Als plötzlich die Ehefrau des Toten vor Bärbels Haustür steht, gerät ihr eintöniges, aber für sie zufriedenstellendes Leben aus den Fugen. Bärbel, in der schon als Kind kriminelle Energie steckte, wird plötzlich selbst zur Täterin und befindet sich bald auf der Flucht vor Strafverfolgung, wobei es am Ende selbst für sie beruhigend ist, nicht mehr allein zu sein. 

Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive der sehr eigenwilligen Bärbel erzählt, die nach dem Fund einer Leiche von einer absurden Situation in die nächste stolpert und auf ihre spezielle Art und Weise reagiert. Bärbel führt ein Leben am Rand der Gesellschaft, geht gerade einmal einkaufen, hat aber sonst nichts mit Menschen zu tun, so dass ihr der Umgang mit ihnen nachvollziehbar schwerfällt. Durch geschickte Rückblenden, wenn sich Bärbel in ihren Gedanken verliert, erfährt man zudem Details aus ihrer Vergangenheit, die ihren Charakter und ihr Verhalten erklären.

Die Handlung ist durch die sich überschlagendem Ereignisse kurzweilig und voll schwarzem Humors. Der Kriminalfall überrascht zudem durch ungeahnte Wendungen, die noch mehr Menschen mit krimineller Energie offenbaren und Bärbels Wege unerfreulich kreuzen.

Die Geschichte ist lebendig geschildert, allerdings wirkt sie mit den zahlreichen skurrilen Charakteren und Handlungen, die die plötzlich verzwickte Situation nur noch schlimmer macht, auch reichlich überzogen und gewollt witzig. Auch wenn Bärbel als Hauptfigur durchaus durchdacht ist und ihre Vergangenheit der Geschichte Tiefe gibt, bleibt die Offenbarung zu ihren Wurzeln unaufgeklärt, ein Anreiz für eine Fortsetzung, aber für diese Krimikömödie ohne Mehrwert. So wie man den zumal pietätlosen Humor mögen muss, darf man sich auch nicht an einem etwas unbefriedigend offenen Ende stören.

Freitag, 24. März 2023

Buchrezension: Mhairi McFarlane - Vielleicht mag ich dich morgen

Inhalt:

Wiedersehen macht nicht immer Freude. Schon gar nicht Anna, die nach 16 Jahren beim Klassentreffen mit genau jenem Typen konfrontiert wird, der ihr damals den Schulalltag zur Hölle machte. Damals, als sie noch die ängstliche, pummelige und so gern gehänselte Aureliana war. Wie wenig sie heute als schöne und begehrenswerte Frau mit dem Mädchen von einst gemein hat, wird klar, als James sie nicht erkennt. Er ist fasziniert von der schönen Unbekannten. Anna kann es kaum glauben und wittert ihre Chance: Endlich kann sie ihm alles heimzahlen. Beide ahnen nicht, wie sehr sie das Leben des anderen noch verändern werden. Nicht heute. Aber vielleicht morgen. 

Rezension:

Anna Alessi ist Anfang 30, studierte Historikerin und Single. Als sie 16 Jahre nach ihrem Schulabschluss eine Einladung zum Klassentreffen erhält, beschließt sie hinzugehen, um sich ihren Dämonen der Vergangenheit zu stellen. Als Schülerin war Anna (damals noch Aureliana) ein dickes, pickliges Mädchen mit strubbeliger Frisur, die von ihren Mitschülern gehänselt wurde. Den Höhepunkt ihrer Peinigung erlebte sie beim Abschlussball, als ihr Schwarm James Fraser sie vor der gesamten Schule bloßstellte. 
Auf dem Klassentreffen erkennt niemand die inzwischen hübsche und schlagfertige Anna als die verschüchterte Aureliana wieder. Selbst James und sein Kumpel Laurence rätseln, wer die schöne, unbekannte Frau ist. 
Anna, die ihre Identität nicht preisgibt, trifft wenig später unerwartet beruflich auf James wieder. Nach anfänglicher Abneigung freunden sich die beiden an, denn James, der in Scheidung lebt und von seiner Ehefrau verletzt wurde, versucht Anna vor Schwerenöter Laurence zu bewahren. Während der gemeinsamen Zeit kommen sie sich näher, bis James erfährt, wer Anna ist. 

Nach mehreren Romanen von Mhairi McFarlane, die mir aufgrund ihrer spritzigen Schreibweise gut gefallen haben, habe ich mit "Vielleicht mag ich dich morgen" zu einem älteren Exemplar der Autorin gegriffen. 
Anders als erwartet, ist es keine "Vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan"-Geschichte, denn von Aurelianas Verwandlung erfährt man nichts. Fakt ist, dass sie 16 Jahre nach ihrem Schulabschluss schlank und attraktiv ist und sich gegenüber ihren Mitmenschen behaupten kann. Dennoch ist sie Single und auf der Suche, wobei ihre Datings Desaster sind. 

Die Liebesgeschichte ist vorhersehbar, was bei romantischen Komödien verzeihbar ist. Viel spannender sollte sein, wie die Hauptfiguren am Ende zu einander finden. 
Der Verlauf der Geschichte ist allerdings langatmig und fade. Weder der Erzählstrang aus der Perspektive von Anna, noch der aus Sicht von James kann ein Interesse für die Charaktere wecken. Es passiert gefühlt nichts, nicht einmal die Begegnungen von Anna und James zeugen von einer Anziehung oder gar Herzklopfen. Auch die Nebenschauplätze wie James Scheidung oder die Hochzeit von Annas Schwester sorgen für Lebendigkeit oder bringen die Handlung entscheidend voran. 
Das Buch enthält zwar die ein oder andere amüsante Szene und unterhält durch die mitunter spritzigen Dialoge, die sich aus Annas sarkastischer Art ergeben, können damit aber nicht die belanglose Geschichte retten. Das moderne Aschenputtel-Märchen krankt an der wenig innovativen und zu simpel konstruierten Umsetzung. 

Mittwoch, 22. März 2023

Buchrezension: Heidi Furre - Macht

Inhalt:

Liv ist Pflegerin, Mitte dreißig und führt ein scheinbar perfektes Leben in einem Osloer Einfamilienhaus. Sie liebt ihren Mann Terje und ihre beiden Kinder Rosa und Johannes. Aber was kaum jemand weiß, nicht einmal ihr Mann: Liv ist vor Jahren vergewaltigt worden.
Der Gang zum Zahnarzt ist für sie eine Herausforderung, wenn sie nachts von der Bushaltestelle nach Hause läuft, muss sie Terje anrufen. Überall lauert die Angst. Liv bemüht sich, die Oberfläche frei von Kratzern zu halten. Auch wenn sie hinter der Fassade damit beschäftigt ist, ihr Trauma zu bewältigen: Sie will die Opferrolle nicht annehmen. Der Vorfall liegt ein halbes Leben zurück, warum soll er immer noch bestimmen, was sie im Hier und Jetzt tut? Doch als eine neue Patientin ins Pflegeheim eingeliefert wird, deren Bruder vor Jahren wegen einer Vergewaltigung angeklagt worden ist, muss Liv ihr mühsam aufgebautes Leben verteidigen. Bei ihrer Familie und ihrer Freundin Frances findet sie Kraft und Trost: Sie wagt die Konfrontation und übt den Befreiungsschlag – denn sie will unbedingt die Macht über sich selbst zurück. 

Rezension: 

Liv ist verheiratet, hat zwei Kinder und arbeitet als Altenpflegerin. Die Familie ist privilegiert, hat keine Geldsorgen. Nach Außen scheint alles perfekt. Doch Liv verbirgt hinter ihrer Botox-Fassade, dass sie vor Jahren vergewaltigt worden ist, nicht einmal ihr Ehemann weiß etwas von dem "Vorfall". Schon bei der Geburt ihres Sohnes stürzten die Erinnerungen auf Liv ein, als sie die Kontrolle über ihren Körper verlor. Nun besucht jeden Donnerstag ein bekannter Schauspieler, der vor Jahren der Vergewaltigung bezichtigt, aber frei gesprochen wurde, seine Schwester im Altenheim, weshalb sich Liv erneut intensiv mit ihrem Trauma auseinandersetzt - zumindest innerlich. 

"Macht" ist ein dünnes Büchlein, das sich mit einer schlimmen Straftat und nichts zu rechtfertigendem Vergehen beschäftigt, das mit der unaufhörlichen #Metoo-Debatte den Nerv der Zeit trifft. Die Tat an sich steht jedoch nicht im Vordergrund, sondern wie das Opfer, das kein Opfer sein möchte, nach Jahren mit der Vergewaltigung umgeht. 
Rein Äußerlich verdrängt Liv die Tatsache, dass sie vergewaltigt wurde, denn sie möchte nicht als Leidtragende gelten und stigmatisiert werden. Innerlich beschäftigt sie sich rundum die Uhr damit, sieht hinter jeder zehnten Frau ein Opfer und fragt sich, wer die Täter sind. Zwanghaft kreisen ihre Gedanken um ihr Trauma und lässt ihr keinen Raum für ein unbeschwertes Leben als Ehefrau, Mutter, Freundin und Arbeitnehmerin. 

Dass Livs Leben nur von einem Thema bestimmt wird, ist eindrücklich dargestellt, was allenfalls Gleichgültigkeit oder Mitleid hervorruft als Bewunderung für ihre Stärke, die durch den "Befreiungsschlag" im Klappentext angedeutet wird. Dieser findet schlicht nicht statt. Weder findet eine Art von Aufarbeitung der Gewalttat stand, denn als Leser*in erfährt man (zum Glück) nichts über die Umstände der Tat oder den Täter, den Liv gut kannte, noch kommt es zu einer Konfrontation oder Anzeige. Die einzige Macht, die Liv behält, ist das Nicht-darüber-sprechen, obwohl es doch so sehr in ihr brodelt. 

Die Erzählweise ist verwirrend, Livs Gedanken springen munter hin und her, vor und zurück. Auch das zeigt, wie verstört die Hauptfigur ist, ist aber so konfus, dass keinerlei Zusammenhänge oder Einordnung in eine zeitliche Reihenfolge möglich wäre. Die Rahmenhandlung ist inhaltlich sehr stark begrenzt, langweilig und bietet in der Aufzählung belangloser Alltagshandlungen keinen Mehrwert. Deshalb ist auch Livs Selbsteinschätzung als "ohne besondere Fähigkeiten und Interessen" absolut zutreffend. 

So wichtig es sein mag, ein Buch über das Opfer einer Vergewaltigung zu schreiben, so unbefriedigend ist das Resultat. "Macht" ist mir mit seinem Ende  - das Buch hört auf Livs Reise einfach auf - mächtig auf die Nerven gegangen, denn am Ende steht man da wie am Anfang. Liv hat nichts bewirkt, nichts erreicht, sich nicht aus der Opferrolle befreit. Für mich hatte das Buch keine "große Schlagkraft", sondern war nach der vollmundigen Ankündigung des Verlags letztlich enttäuschend.  

Montag, 20. März 2023

Buchrezension: Katja Keweritsch - Agnes geht

Inhalt:

Nach einem riesigen Streit mit ihrem Mann will Agnes nur noch weg. Ohne Plan geht sie los – zunächst ins Hotel, dann zu Fuß quer durch Hamburg, immer weiter, bis ins grüne Marschland der Elbe. Was, wenn sie einfach weiterliefe? Am Fluss entlang, bis nach Berlin. Ob das Gehen ihr Antworten schenkt? Vielleicht könnte sie herausfinden, wohin ihre beruflichen Träume verschwunden sind. Wo sie selbst eigentlich während all der Jahre des Kümmerns um Kinder, Haushalt und Familie geblieben ist. Und: ob ihre Ehe noch eine Chance verdient. Unter weitem Himmel wandert Agnes durch malerische Auen, begegnet Menschen und Möglichkeiten und geht Schritt für Schritt einer unerwarteten Zukunft entgegen. 

Rezension: 

Nach einem heftigen Streit mit ihrem Ehemann Tom, von dem Agnes sich gedemütigt und nur als Hausfrau und Mutter wahrgenommen sieht, flieht die Mutter zweier Teenager in ein Hotel und beschießt am nächsten Morgen zu gehen - von Hamburg an der Elbe entlang bis nach Berlin, wo sie auf Empfehlung ihrer Freundin Britta eine neue Arbeitsstelle antreten könnte. 
Auf ihrem Weg, wo sie verschiedenen Menschen begegnet, zu denen sie mehr oder weniger intensive Kontakte hat, wird ihr bewusst, wie unglücklich sie mit ihrem Leben, ihrem Körper und ihrem Dasein als unbezahlte Familienmanagerin ist. 
Währenddessen übernimmt Tom, als der Kühlschrank leer ist und die Teller sich in der Spüle stapeln, sukzessive Agnes' Aufgaben und entwickelt nach Abklingen der Wut über den Egoismus seiner Ehefrau Verständnis für ihre Empfindungen und ist bereit, mehr Verantwortung abseits seines Berufes als Arzt zu übernehmen. 

"Wenn nichts mehr geht, geht gehen" ist Agnes' Devise, um ihren Frust auf der tagelangen Wegstrecke und emotionalen Ballast abzuladen. Agnes' Weg ist einerseits ein Ausbruch aus dem Alltag als Mutter, Putzfrau, Köchin und Chauffeurin, andererseits eine bewusste Auszeit, um sich selbst zu finden und sich klar zu werden, was Agnes sich von ihrem Leben erwartet und ob ihre Ehe mit Tom noch eine Chance hat. Agnes bricht jeglichen Kontakt nach Hamburg ab und lässt sich trotz schmerzenden Füßen immer weiter treiben. Sie fühlt sich frei und unabhängig und macht sich nicht einmal Gedanken um ihre Kinder, die vor den Kopf gestoßen sind. Ist sie deshalb eine schlechte Mutter? Und darf ihr Körper nach zwei Schwangerschaften nicht auch genau so aussehen? 

Agnes ist stellvertretend für viele Frauen, die sich unbezahlt um Haushalt und Kinder kümmern, dafür keine Anerkennung finden und an sich selbst zweifeln. Der Roman handelt von Gleichberechtigung, Mutterschaft, Erschöpfung vom Alltag, Achtsamkeit und Selbstwahrnehmung. Ihre Geschichte ist lebendig geschildert und so authentisch.  
Die Kapitel aus Toms Perspektive zeigen zudem, dass auch er sich verändert und versucht, sich in Agnes und ihr Dilemma hineinzuversetzen. Das rundet den Roman ab und ist durch die Einsichten in das Familienleben ohne die selbstverständliche Mama zu den sonst so ernsten Themen ein passender Ausgleich. 
Auch wenn Agnes etwas radikal vorgeht und sicher auch selbst ein wenig Schuld daran ist, dass sie in den Jahren zuvor nie ein klärendes Gespräch mit ihrem Ehemann geführt hat, ist ihr Weglaufen und ihr Achtsamkeitsweg gut nachvollziehbar. Auch die Landschaften, durch die Agnes streift, sind anschaulich beschrieben, so dass man Agnes innerlich und äußerlich auf ihrem Weg zu mehr Selbstachtung, Anerkennung und Zufriedenheit begleitet. 

Freitag, 17. März 2023

Buchrezension: Jenny Colgan - Happy Ever After: Wo dich das Leben anlächelt (Happy-Ever-After-Reihe 2)

Inhalt:

Die Erzieherin und alleinerziehende Mutter Zoe hasst alles: ihren Job, ihre Miete, die selbst gewählte Stummheit ihres Sohnes. Als sie das Angebot bekommt, die Kinder eines schottischen Schlossherrn zu betreuen und einen Bücherbus zu übernehmen, packt sie sofort ihre Koffer. Doch die schottischen Highlands haben mehr als eine unangenehme Überraschung für Zoe parat. Bis Zoe Schottland und seine Bewohner vollends in ihr Herz schließt, wird es turbulent. 

Rezension: 

Zoe lebt in London, arbeitet als Erzieherin und ist Mutter eines vierjährigen Sohnes, der unter elektivem Mutismus leidet. Ihr Exfreund kümmert sich wenig um das gemeinsame Kind und als auch noch ihre Miete erhöht wird, weiß Zoe nicht weiter. Durch die Schwester ihres Exfreundes erhält Zoe das Angebot, in Schottland als Au-Pair für drei Kinder gegen Kost und Logis in ein altes Herrenhaus am Loch Ness zu ziehen und nebenbei als Schwangerschaftsvertretung die mobile Bücherei zu übernehmen. 
Zoes Start in Schottland ist holprig - das Herrenhaus heruntergekommen, die Kinder frech, vernachlässigt und kaum zu bändigen und auch die schwangere Nina ist mehr ruppig als dankbar dafür, dass Zoe sie unterstützt. 
Zoe merkt jedoch, wie sehr sie in dem Herrenhaus gebraucht wird, lässt bei der Erziehung der Kinder nicht locker und bringt das alte Schloss allmählich auf Vordermann. Während der gleichgültig wirkende Schlossherr Ramsay zugänglicher zu werden beginnt, spürt auch Zoe, dass sie in "The Beeches" mit ihrem Sohn ein Zuhause gefunden hat. 

"Wo dich das Leben anlächelt" ist nach "Wo das Glück zu Hause ist" der zweite Band der "Happy-Ever-After-Reihe" rund um den Bücherbus in der schottischen Kleinstadt Kirrinfief. 

Der Aufbau der Geschichte ist ähnlich. Eine junge Engländerin kommt nach Schottland, um neu anzufangen und verliebt sich nach einem nicht ganz einfachen Neustart in Land und Leute. Auch der Bücherbus spielt eine Rolle und erneut geht eine heilende Macht von Büchern aus.

Band 2 wird wieder als Wohlfühlroman beschrieben, aber wirklich happy ist zunächst niemand. Zoe hat nicht nur Geldsorgen und fühlt sich von ihrem Exfreund hängen gelassen, auch ihr Sohn ist krank und spricht nicht. Die Kinder, um die sich Zoe kümmern soll, sind traumatisiert und vermissen ihre Mutter. Nina, die im ersten Band noch so zugänglich gewesen ist, ist als Schwangere unsympathisch und macht Zoe den Beginn in Kirrinfief nicht leichter. Statt Glück überwiegen die Sorgen, was für eine trübsinnige Stimmung sorgt. Die Vernachlässigung der Kinder wird verharmlost und für Haris Leiden wird nicht nach einer Lösung gesucht. Zoes Anstellung als schlecht bezahltes Au-Pair-Mädchen erscheint nicht zukunftsfähig, aber auch das Problem wird ausgeblendet. Auf der einen Seite ist zwar augenscheinlich, wohin die Geschichte führen soll, auf der anderen Seite wirkt ein Happy End weit entfernt und ohne eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den offenkundigen Problemstellungen unrealistisch. 

Interesse weckt die Geschichte durch das Mysterium um die verschwundene Mutter aus dem Herrenhaus, eine Liebesgeschichte spielt hingegen nur eine zweitrangige Rolle. Im Vordergrund stehen Neuanfänge und das Zusammenleben als Familie. 
Band 2 ist weit weniger charmant und liebenswürdig, auch wenn der warmherzige Schreibstil der Autorin und auch die Liebe zu Büchern spürbar sind. Für Band 3 erhoffe ich mir eine glaubwürdigere, kreativere und optimistischere Geschichte.

Donnerstag, 16. März 2023

Buchrezension: Ulrike Draesner - Die Verwandelten

Inhalt:

Eine nationalsozialistische Vorzeigemutter, die anderen beibringt, wie Kinder zu erziehen sind, doch über das Wichtigste, was sie verloren hat, niemals spricht. Eine Köchin, die lieber Frauen geliebt hätte als den Dienstherrn, unterwegs durch das zerstörte Deutschland im Sommer 1945. Ein Mädchen in München Solln, geboren in einem Lebensbornheim der SS. Eine alleinerziehende Anwältin von heute, die nach dem Tod ihrer Mutter unverhofft eine Wohnung in Wrocław erbt – und einen polnischen Zweig der Familie entdeckt. Alle Figuren verbindet ein Jahrhundert von Krieg und Nachkrieg, Flucht und Vertreibung, von Gewalt. Was bedeutet es, in einem Staat zu leben, der Menschenzucht betreibt? Und wie darüber schreiben, was den Frauen im Krieg geschieht? Was ihnen die Sprache nimmt. Was sie für immer verwandelt. Und wie über die unsichtbare Kraft, die verhindert, dass sie daran zerbrechen? 

Rezension:

Es kommt selten vor, dass ich einen Roman abbreche, aber zu dieser Geschichte habe ich einfach keinen Zugang gefunden, obwohl ich ihr knapp 100 Seiten lang die Chance dazu gegeben habe.

Der Roman handelt von Kinga Schöcking, einer geschiedenen Rechtsanwältin Mitte 50, die Mutter eines adoptierten Kindes ist. Sie erfährt, dass ihre Mutter in einem Lebensbornheim geboren wurde und trifft auf eine Frau aus Polen, die ihr zum Verwechseln ähnlich sieht.
Der Hintergrund ist spannend, denn er befasst sich mit einem Teil deutscher Geschichte, über die ich bereits bewegende und erschütternde Romane gelesen habe. Welche Grausamkeiten Eltern und Kinder während des Nationalsozialismus in Heimen erleben mussten, die zur Erhaltung der arischen Rasse eingerichtet worden waren, macht sprachlos und ist ein Beispiel für das Leid, dass die Kriegsgeneration erfahren hat und dass sich auch auf nachfolgende Generationen ausgewirkt hat.

Der kaum zu beschreibende lyrische (?) Schreibstil verwehrte mir jedoch ein Eintauchen in die Geschichte. Insbesondere die Perspektive der Dorota, in der fortlaufend schlesische oder polnische Worte und Redewendungen eingedeutscht eingefügt werden, unterbrechen den Lesefluss. Die inneren Dialoge verlieren sich in unnötigen Randbemerkungen und trotz der Übersichtlichkeit der Charaktere überfordern die vielen Namen, Spitznamen und Namensneugebungen, mit denen man eingangs auf wenigen Seiten erschlagen wird. 

Der Roman mag sprachgewaltig und hohe literarische Kunst sein, für mich ist er schlicht kein Lesevergnügen.
Den Inhalt kann ich fairerweise nicht bewerten, da ich nicht weiß, ob sich "Die Verwandelten" zu einer spannenden und bewegenden Geschichte über die Auswirkungen unmenschlicher Rassenhygiene entwickelt hätte. Die Art der Erzählweise ist mir jedoch zu anstrengend, unzugänglich und ermüdend und ruft keine Bilder in meinem Kopf hervor, so dass ich nach wiederholtem Lesen einzelner Seiten kapituliert habe. 

Sonntag, 12. März 2023

Buchrezension: Lucinda Riley - Das Orchideenhaus

Inhalt:

Als junges Mädchen verbrachte Julia Forrester jede freie Minute bei ihrem Großvater, einem bekannten Orchideenzüchter, im Gewächshaus von Wharton Park. Nach einem schweren Schicksalsschlag führt der Zufall Julia Jahre später noch einmal zu dem Anwesen zurück. Der jetzige Besitzer Kit Crawford überreicht ihr ein altes Tagebuch, das bei den Renovierungsarbeiten gefunden wurde und womöglich Julias Großvater gehörte. Als Julia ihre Großmutter Elsie mit dem Tagebuch konfrontiert, drängt ein jahrelang gehütetes Familiengeheimnis ans Licht, das auch Julias Leben komplett verändern wird. 

Rezension:

Nach einem tragischen Schicksalsschlag kehrt Julia Forrester in ihre Heimat Norfolk zurück, wo sie nach dem Tod ihrer Mutter viel Zeit bei ihren Großeltern verbracht hat, die in dem Herrenhaus Wharton Park angestellt waren. Nach all den Jahren steht das Anwesen zum Verkauf, denn der Erbe, Christopher Crawford, ist mit den Schulden und der Sanierung überfordert. Bei einer Auktion ersteht Julia Aquarelle, die ihre Mutter gemalt hat und trifft dabei auf Christopher "Kit", den sie noch von früher kennt. Er gibt ihr ein Tagebuch aus dem Jahr 1941, das bei den Renovierungsarbeiten gefunden wurde und das ihrem Großvater gehört haben soll. Es wurde während einer drei Jahre andauernden Kriegsgefangenschaft im Changi-Gefängnis in Singapur geschrieben. Julia übergibt es ihrer Großmutter Elsie, die daraufhin von ihren Jahren im Herrenhaus erzählt und von einer dramatischen Familiengeschichte und wohlgehüteten Geheimnissen zeugt. 

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen und wird aus der Perspektive verschiedener handelnder Personen erzählt. Dabei kann man tief in die Geschichte eintauchen, denn die jeweiligen Zeitabschnitte werden über mehrere Kapitel hinweg erzählt und wechseln damit nicht häufig.
Die Vergangenheit beginnt mit dem ersten Jahr des Zweiten Weltkriegs in England, wo der Sohn von Wharton Park, Harry Crawford, und Gärtner Bill als Soldaten in den Krieg ziehen müssen. Zuvor hatte Harry Olivia geheiratet, um das Erbe des Anwesens zu sichern. Die Ehe steht im Gegensatz zu Bills, der seine große Liebe heiratete, unter keinem guten Stern. Olivia fühlt sich getäuscht und Harry merkt erst nach Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft, was Liebe bedeutet.

In der Gegenwart sucht Julia nach einem schweren Verlust nach Ruhe und Heilung und lernt dabei Kit neu kennen. Die Liebesgeschichte entwickelt sich dabei sehr hastig, was vor dem Hintergrund der Trauer und der kurzen Phase des Kennenlernens wenig glaubwürdig erscheint. Auch die Dialoge in der Gegenwart wirken oftmals aufgesetzt, weshalb dieser Erzählstrang weniger einnehmend ist als die Vergangenheit. Zudem wird man durch das zögerliche Erzählen der Großmutter lange auf die Folter gespannt, welches Geheimnis es zu offenbaren gilt.

Durch wechselnde Zeiten und wechselnde Orte, die sogar nach Südostasien führen, ist die Geschichte abwechslungsreich und unterhaltsam. Gespannt wartet man darauf zu erfahren, was in Wharton Park passiert ist, was die beiden Familien Crawford und Stafford/ Forrester so eng verbindet und inwiefern Julias Leben erneut erschüttert wird. 
Die Familiengeschichte ist von Dramen durchzogen, was die Geschichte um Trauer, Verlust und Verrat, aber auch um Liebe und mit der Hoffnung auf zweite Chancen dynamisch vorantreibt. So manche Wende, insbesondere die Überraschung am Ende in der Gegenwart wirkt dabei jedoch völlig überzogen und hätte der ohnehin schon dramatische Roman auch gar nicht benötigt.
Der Plot ist ideenreich und atmosphärisch geschildert, die Liebesgeschichten transportieren dagegen keinerlei romantische Gefühle. Die Geschichte ist spannend und weiß zu überraschen, wobei die Glaubwürdigkeit allerdings gerade am Ende auf der Strecke bleibt. 

Samstag, 11. März 2023

Buchrezension: Kate Thompson - Die Bibliothek der Hoffnung

Inhalt:

London, 1944: In der stillgelegten U-Bahn-Station Bethnal Green suchen die Londoner Schutz vor den Fliegerbomben. Hier haben sie sich eine Art neues Leben aufgebaut, es gibt sogar ein Theater, einen Kindergarten – und eine kleine Bibliothek.
Die hilfsbereite Clara Button und die rebellische Ruby Munroe haben unzählige Bücher vor den Bomben gerettet, jetzt schenken sie vor allem Frauen und Kindern Ablenkung, Wissen und Hoffnung. Doch je länger der Krieg dauert, desto härter wird die Entschlossenheit der Frauen, stark zu bleiben, auf die Probe gestellt – denn es könnte die Leben derer kosten, die ihnen am nächsten stehen.

Rezension:

Während des Zweiten Weltkrieges dient die U-Bahn-Station Bethnal Green in London als Luftschutzbunker, da noch nicht alle Tunnel fertiggestellt worden sind. Die Station bietet nicht nur eine Zuflucht, sondern auch eine Heimat für Menschen, deren Wohnungen zerstört und die Angehörige verloren haben. Über die Kriegsjahre hat sich ein regelrechtes Dorf und eine eingeschworene Gemeinschaft entwickelt. Neben einer Krankenstation, einem Kindergarten und einem Theater gibt es eine Bibliothek, die von der ehemaligen Kinderbibliothekarin Clare Button voller Hingabe geleitet wird. Zusammen mit ihrer offenherzigen Freundin Ruby Munroe bietet sie vor allem Frauen und Kindern in diesen schweren Zeiten eine warmherzige Anlaufstelle und Ablenkung durch Bücher. Die beiden unterschiedlichen Frauen sind Freundinnen, Sozialarbeiterinnen, Ratgeberinnen und Lehrerinnen zugleich und sind trotz ihrer guten Absichten immer wieder gezwungen, sich gegen verstaubte patriarchale Strukturen durchzusetzen. Sie finden Trost in ihrer Arbeit, denn auch sie haben Traumatisches erlebt und müssen Verluste verarbeiten und können von ihren verbliebenen Familienangehörigen nur wenig Halt erfahren.

"Die Bibliothek der Hoffnung" versetzt die/ den Leser*in in das letzte Kriegsjahr 1944 nach London, wobei der Schauplatz in der stillgelegten U-Bahn-Station ein ungewöhnlicher Ort ist, wo die unterschiedlichsten Menschen zusammenkommen. 
Das Buch handelt von starken Frauenfiguren, die während des Krieges Großartiges leisten. Trotz aller Erschwernisse mit knappen Ressourcen und Männern, die eine Gefahr in der Weiterbildung und zunehmenden Unabhängigkeit der Leserinnen wittern, hält Clara Button zusammen mit ihrer Freundin Ruby eine Bibliothek am Laufen und bietet damit vielen Menschen Ablenkung und einen Halt in dieser unsicheren Zeit. 

Abwechselnd aus der Perspektive von Clara oder Ruby geschildert, taucht man regelrecht unter und kann sich in die Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht, anschaulich einfinden. Der Schreibstil ist durch die Beschreibung der ganz unterschiedlichen Charaktere, ihrer Eigenheiten und humorvollen, aber auch schicksalhaften Ereignisse, die die Menschen trennen oder zusammenschweißen, lebendig und warmherzig. Durch die Erwähnung zahlreicher (Kinder-)buchklassiker wird die Welt der Bücher im Untergrund vorstell- und erlebbar. Das Engagement der offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter der Bibliothek rührt zu Herzen und es ist nachvollziehbar, wie dieser Ort zu einer Platz voller Geborgenheit für viele heimatlose und einsame Menschen werden konnte. 

Auch die persönlichen Schicksale von Clara und Ruby, die beide facettenreich und ganz unterschiedliche Frauen sind, berühren und sind dicht mit ihrer Arbeit in der Bibliothek verbunden. Beide haben Verluste erlitten, trauern und kämpfen um einen neuen Platz im Leben. Die Liebesgeschichten stehen nicht im Vordergrund sondern fügen sich selbstverständlich in die Handlung ein und sind trotz manch kitschiger Momente authentisch. 

"Die Bibliothek der Hoffnung " ist der passende Titel für diesen warmherzigen Roman über einen Ort voller Zuversicht, Mut, Leidenschaft, Engagement und Menschlichkeit in dunklen Zeiten, der die heilende Wirkung von Büchern auf eindrucksvolle Weise demonstriert. 

Freitag, 10. März 2023

Buchrezension: Rebecca Ryan - Weil morgen ein neuer Tag beginnt

Inhalt:

Nachdem die 28jährige Emily Turner eine BBC-Dokumentation über das Leben der Briten gesehen hat, stellt sie fest: Sie ist ganz und gar durchschnittlich. Ihr Name, ihr Beruf, sogar ihre Blutgruppe. Um dies schleunigst zu ändern, verfasst sie eine Liste mit Vorsätzen, um aus ihrer Routine auszubrechen. Am wichtigsten jedoch ist, dass sie sich nicht verlieben darf, nicht mit 28! Aber genau das erweist sich als schwierig, als sie den gutaussehenden Josh kennenlernt. Und auch das restliche Umsetzen der Liste ist schwerer als gedacht, denn während sie ihr aufregendes, neues Ich zu gestalten versucht, funken ihr immer wieder alte Gefühle aus der Vergangenheit dazwischen, von denen Emily glaubte, sie längst hinter sich gelassen zu haben. 

Rezension: 

Emily Turner ist 28 Jahre alt, Lehrerin und Single. Als der 20. Todestag ihrer Zwillingsschwester Claire bevorsteht, gelangt sie ins Grübeln, ob sie nicht besser an ihrer Stelle gestorben wäre, denn Claire hätte sicher ein aufregenderes und besseres Leben geführt als sie. Emily fühlt sich profan und langweilig und möchte dies nicht länger hinnehmen. Sie entwickelt eine Lebensliste mit guten Vorsätzen, die sie in den nächsten Monaten umsetzen möchte. Sie möchte sich selbst optimieren und sozial mehr engagieren und sich bloß nicht verlieben, denn auch das wäre laut Statistik über die britische Bevölkerung in ihrem Alter einfach nur durchschnittlich. So stößt sie Josh mehrere Male vor den Kopf, bevor sie ihn besser kennenlernt und ihre Vorsätze ins Wanken geraten lassen. 

"Weil morgen ein neuer Tag beginnt" ist eine Mischung aus humorvollem Liebesroman, Selbstfindung und Buch über Trauerbewältigung - eine komplett gegensätzliche Kombination, die nicht immer gut zusammenpasst. So sind die Passagen aus der Vergangenheit, die deutlich kürzer als die Kapitel der Gegenwart ausfallen, gehaltvoller und feinfühliger. Die Gegenwart hingegen ist turbulent und abwechslungsreich. 

Emily ist eine junge Frau, die mit sich selbst hadert, als die Erinnerungen an ihre Zwillingsschwester, die in ihren Augen ihre bessere Hälfte war, sie immer wieder einholen. Um zu rechtfertigen, dass nicht sie an der Stelle von Claire gestorben ist, möchte sie sich beweisen und das Beste aus ihrem Leben herausholen, was gar nicht so leicht ist. Vage Vorsätze sind zwar bald gefasst, deren Umsetzung ist jedoch schwierig, denn sie entsprechen nicht gerade den üblichen Gewohnheiten von Emily. So zwingt sie sich zu einem Bootcamp, engagiert sich ehrenamtlich und versucht sich vegan zu ernähren. Zusammen mit den Vorsätzen inspirierend und spontan zu sein, gelangt sie immer wieder in aberwitzige und peinliche Situationen. Emilys Challenges sind unterhaltsam, zumal auch etwas überzogen und zu gewollt humorvoll geschildert. Gerade im Umgang mit Josh lässt Emily im Rosenkohl-Weihnachts-Pyjama mit Platz für den Menstruationsbauch kein Fettnäpfchen aus, so dass es verwunderlich ist, dass sich zwischen den beiden überhaupt eine Anziehung entwickelt. 

Die Erinnerungen an ihre Schwester sind berührend, auch wenn nicht ganz klar wird, warum Emily ausgerechnet nach zwanzig Jahren so einen Blues bekommt und sich an einer Achtjährigen misst. 

Auch wenn der Wechsel aus Witz und Tragik an mancher Stelle etwas holprig ist, sorgt "Weil morgen ein neuer Tag beginnt" mit einer liebenswert ungezügelten Protagonisten auf ihrem Selbstfindungs- und Selbstoptimierungstrip für lebendige Unterhaltung und hat mit der Trauer um die viel zu früh verstorbene Schwester ernste Töne, die der Geschichte mehr Gehalt geben. 

Mittwoch, 8. März 2023

Buchrezension: Mary Lawson - Rückkehr nach Crow Lake

Inhalt:

Kates Kindheit im Norden Ontarios endet jäh, als ihre Eltern tödlich verunglücken. Ihre beiden Brüder Luke und Matt beschließen, sie und die kleine Schwester Bo alleine großzuziehen. Halt findet die verschlossene und bildungshungrige Kate vor allem bei Matt, dessen Liebe zur Tier- und Pflanzenwelt auf sie überspringt. Jahre später arbeitet Kate erfolgreich als Biologin an der Universität von Toronto, weit weg von ihrer Heimat. Doch die Geschehnisse von damals schweben immer noch wie ein Schatten über ihr. Als sie für ein Familienfest nach Crow Lake zurückkehrt, gerät ihre Welt erneut aus den Fugen. 

Rezension: 

Kate Morrison ist Professorin an der Universität Toronto und hat sich aus eher ärmlichen Verhältnissen hochgearbeitet - im Gegensatz zu ihrem Lebensgefährten Daniel, der aus einer Akademikerfamilie stammt. Ihm gegenüber gibt Kate nur wenig über ihre Vergangenheit und ihre Familie preis. Als Siebenjährige hat sie ihre Eltern durch einen Autounfall verloren und ist allein mit ihren drei Geschwistern aufgewachsen. Ihr ältester Bruder war zu dem Zeitpunkt bereits erwachsen und hatte die Verantwortung für seine Geschwister übernommen. 
Als Kate eine Einladung von ihrem Neffen zu seinem 18. Geburtstag erhält, fühlt sie sich unter Druck gesetzt, Daniel ihre Familie vorzustellen und mit nach Crow Lake zu nehmen. Gleichzeitig holen sie die Erinnerungen an ihre Kindheit ein, wobei sie sich nicht nur an ihre eigene Familie sondern auch an die Pyes, auf deren Farm ihre Brüder sich ein Zubrot verdienten und dabei die dortigen Missstände ignorierten. 

In stetem Wechsel aus Vergangenheit und Gegenwart erfährt die Geschichte über vier Geschwister aus dem hohen Norden Kanadas, die zu Waisen wurden und Entbehrungen auf sich nahmen, um weiterhin als Familie zusammenbleiben zu können. Kate wird von Selbstzweifeln gequält und hadert mit ihrem schlechten Gewissen, dass sie sich von ihren Geschwistern, insbesondere von ihrem Bruder Matt, zu dem sie immer aufgesehen hatte und der ihr die Liebe zur Natur vermittelt hatte, entfremdet hat. Der 18. Geburtstag ihres Neffen gibt den Anlass wieder zurück in ihren Heimatort zu kommen. Doch geplagt von Erinnerungen würde sie am liebsten fortbleiben und scheut sich davor, ihrem Lebensgefährten ihre Familie vorzustellen. Der Grund dafür und was sich bei der benachbarten Farmersfamilie ereignet hat, erschließt sich nicht gleich. Kate hält die entscheidenden Details zurück, ist noch nicht bereit, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Doch um ihren Lebensgefährten nicht zu verlieren, muss sie sich ihren Dämonen stellen.

"Rückkehr nach Crow Lake" erzählt eine eindringliche Familiengeschichte voller Melancholie. Ohne große Dramen entwickelt sich die Geschichte leise und erzeugt damit eine beklemmende Atmosphäre und unterschwellige Spannung. Die Einblicke in das Verhältnis der Geschwister zu einander, der Zusammenhalt und das Verantwortungsbewusstsein für einander sind berührend geschildert. Aber auch die Hilfsbereitschaft in dem Dorf, in dem alle ungefragt und selbstverständlich helfen, sorgt trotz aller Tragik und Schwierigkeiten, mit denen die Geschwister im Alltag zu kämpfen haben, für einen Hoffnungsschimmer.
Während Kate ihre seit zwanzig Jahren verdrängte Vergangenheit und die Entfremdung von ihren Geschwistern aufarbeitet, wartet man gebannt auf das Wiedersehen der Morrisons und was es mit dem Geheimnis um die Nachbarsfamilie mit dem patriarchalischen Farmer auf sich hat. Auch wenn eine spektakuläre Offenbarung am Ende ausbleibt, überzeugt der Roman mit der geschaffenen Atmosphäre, dem Setting in der weiten Natur und einer emotionalen Geschwisterbeziehung. 


Montag, 6. März 2023

Buchrezension: Emma Steele - Die Sekunde zwischen dir und mir

Inhalt:

Robbie ist glücklich, dass Jenn nach acht Monaten Trennung wieder bei ihm ist. Zwei Mal drückt er ihre Hand – ihr geheimer Code für "Ich liebe dich". Doch dann dreht Jenn sich zu ihm und sagt: "Ich muss dir etwas sagen."
In dem Moment starrt Robbie in die Scheinwerfer eines LKWs, der in ihr Auto zu krachen droht.
Im nächsten Moment findet er sich als Zuschauer auf einer Reise durch Jenns wichtigste Erinnerungen wieder. Kann er so herausfinden, was acht Monate zuvor wirklich passiert ist? Und wenn er es weiß, kann er dann verhindern, was gleich geschehen wird – oder bereits geschehen ist?

Rezension: 

Nach über acht Monaten und einer überstürzten Abreise nach Australien ist Jenn wieder nach Edinburgh zurückgekehrt. Als Robbie und sie gemeinsam im Auto sitzen, kommt ihnen ein Lastwagen entgegen - gerade in dem Augenblick als Jenn Robbie etwas wichtiges sagen wollte. Die Zeit steht still und Robbie wird in die Vergangenheit versetzt, in der er Schlüsselerlebnisse aus Jenns Leben miterlebt. Er begreift, dass er diese Chance der geteilten Nahtoderfahrung nutzen muss, um seine Fehler wiedergutzumachen, um dahinter zu kommen, was Jenn so verstört hat und bedrückt und so vielleicht auch den drohenden Unfall zu vermeiden und ihr Leben zu retten.

"Die Sekunde zwischen dir und mir" handelt von der Existenz von Parallelwelten, von der Frage nach dem "Was wäre, wenn..." und der Möglichkeit einer zweiten Chance.

Der Roman wird überwiegend aus der Sicht von Robbie geschildert, der durch die Zeit zu reisen scheint und dabei nicht nur Szenen aus seinem eigenen Leben betrachtet sondern auch Momente aus Jenns Vergangenheit, die ihr Leben entscheidend beeinflussten. Er beobachtet entsetzt das Verhalten seines jüngeren Ichs und erkennt seine Fehler und was er Jenn, seiner großen Liebe, angetan hat. Daneben gibt es Einblicke in Jenns Empfindungen und mit welchen Enttäuschungen sie in ihrem Leben bereits zurechtkommen musste.

In kurzen Kapiteln und zahlreichen Zeitsprüngen, die nicht chronologisch erfolgen, werden Schlüsselereignisse aus Jenns Kindheit und Jugend, ihrer ersten Beziehung zu Duncan und der glückliche Anfang der Liebe zu Robbie geschildert, die mit der Zeit immer unkomplizierter und unschöner wurde.
Die Struktur des Romans ist dadurch komplex, aber je tiefer man in die Geschichte einsteigt, desto leichter fällt es, ihr zu folgen. Auch wenn ich gerade zu Beginn meine Probleme mit der paranormalen Wirklichkeit und der Vorstellung, wie Robbie als Geistererscheinung durch die Zeit reist und versucht, die Vergangenheit zu ändern, um die Zukunft positiv zu beeinflussen, konnte mich der Roman immer stärker fesseln, um wie Robbie herauszufinden, was Jenns Geheimnis ist und ob diese Offenbarung ausreicht, um den Unfall zu verhindern und ihre Leben oder zumindest das von Jenn zu retten.

Es ist eine ungewöhnliche, angenehm kitschfreie und durch die vielen ungelösten Probleme und ungesagten Wahrheiten und Empfindungen eine bedrückende und tragische Liebesgeschichte, bei der die Tatsache, wie glücklich Jenn und Robbie hätten sein können, sehr schnell in den Hintergrund rückt. Auch Jenns komplizierte Freundschaften und die familiäre Konstellation tragen zur tendenziell negativen Stimmung bei und rufen Verständnis für Jenns wiederholte Fluchten aus ihrem Leben hervor.
Es ist eine emotionale Geschichte über die Macht der Liebe, die Raum und Zeit überwindet, wobei das metaphysisch-spirituelle Ende mich nicht ganz überzeugen konnte und auch die Auflösung über Jenns Geheimnis etwas zu kurz gefasst erscheint. 


Samstag, 4. März 2023

Buchrezension: Martin Krist - Märchenwald

Inhalt:

Mitten in der Nacht wird Max von seiner Mutter geweckt. "Seid still", sagt sie weinend, als sie den Zehnjährigen und seine vier Jahre alte Schwester Ellie in einen Wandschrank sperrt. "Geht zu Opa ...", hören die Kinder sie noch flüstern, dann fliegt krachend die Haustür auf. Ihre Mutter schreit. Ellie weint. Um sie zu beruhigen, erzählt Max ihr die Geschichte vom Märchenwald. Während Max und Ellie auf dem Weg zu ihrem Großvater sind, erwacht auf dem Alexanderplatz eine junge Frau blutüberströmt und ohne Gedächtnis. Im Wedding stehen die Mordermittler Paul Kalkbrenner und Sera Muth vor dem rätselhaftesten Fall ihrer Karriere. Und der Märchenwald birgt nichts Gutes. 

Rezension: 

Kommissar Paul Kalkbrenner wird in Berlin kurz hintereinander an zwei Tatorte gerufen. Bei einem versuchten Einbruch in einen Friseursalon ist ein Mensch ums Leben gekommen, in einer Wohnung in Wedding werden Leichenteile in einer Gefriertruhe portionsfertig abgepackt gefunden. 
Währenddessen irrt der zehnjährige Max mit seiner vierjährigen Schwester hilflos durch Berlin, um zu seinem Großvater zu gelangen, nachdem die Mutter ihre beiden Kinder panikartig zu ihrer Sicherheit in einem Wandschrank versteckt hatte. 
Zugleich entkommt die an Amnesie leidende Zoe nur knapp einer Vergewaltigung und flüchtet vor ihren unbekannten Peinigern, auch wenn sie nicht, wohin. 

"Märchenwald" ist Band 6 der Reihe um den Berliner Kommissar Paul Kalkbrenner. Zum Verständnis ist es nicht erforderlich die Vorgängerbände zu kennen. 

Der Thriller besteht aus drei Handlungssträngen, die alle zur selben Zeit in Berlin angesiedelt sind, die aber auf den ersten Blick nichts miteinander verbindet, wobei sich aus den unterschiedlichen Perspektiven immer wieder Parallelen erkennen lassen. Die kurzen Kapitel und schnellen Szenenwechsel sorgen für Dynamik und eine kontinuierliche Spannung. Der Schreibstil, bei dem auf Details wie Radiomusik oder den Straßenverkehr aufmerksam gemacht wird oder Bemerkungen über Kalkbrenners lebhaften Bernhardiner fallen gelassen werden, ist mitunter süffisant und sehr anschaulich, ohne dass die Ausführungen wie Lückenfüller wirken würden. Auch die Beschreibungen der Szenerie in Berlin-Neukölln oder im Wedding lenken nicht zu sehr von der eigentlichen Handlung ab, sondern machen die Stadt auch für Ortsfremde vorstellbar. 
Der Fall im Wedding ist selbst für die Kriminalbeamten schockierend und nichts für zartbesaitete Leser*innen. Die Ermittlungen mit Befragungen und Auswertung der Beweismittel sind authentisch und decken sukzessive die Abgründe menschlichen Handels auf. 
Während die immer komplexer werdende Tätersuche einem üblichen Schema folgt, offenbart sich allmählich, vor wem Zoe auf der Flucht ist, warum Max und Ellie von ihrer Mutter zurückgelassen worden sind und sich durch den "Märchenwald" kämpfen müssen und was diese Schicksale mit den beiden Tatorten verbinden muss. 
Durch die eindringliche Charakterzeichnung und Beschreibungen ihrer Empfindungen fällt es leicht sich in die verängstigten Figuren und den gestressten Kommissar Kalkbrenner, der sich neben seinem Beruf auch noch um seine schwangere Tochter und demente Mutter Sorgen machen muss, hineinzuversetzen. 

"Märchenwald" ist ein spannender, zunächst rätselhafter Thriller, der durch die aufgefundenen Leichenteile und den vorgeblich beruhigenden Märchenbezug für Ekel und Grusel sorgt. Drei Handlungsstränge werden auf raffinierte Weise miteinander verbunden, zudem überzeugt der Thriller mit lebensechten Charakteren und einer authentischen Kriminalhandlung. Einziges Manko ist das Ende, das im Vergleich zu der sonst sehr detailverliebten Schreibweise arg überhastet und schon fast lieblos wirkt. 

Freitag, 3. März 2023

Buchrezension: Anna Shinoda - Die Mitte von allem

Inhalt: 

Clare liebt ihren Bruder Luke über alles – er ist ihr strahlender Held, mit dem sie Abenteuer erlebt, der ihr das Schwimmen beibringt und der sie beschützt. Seit ihrer Kindheit sitzt Luke jedoch immer wieder im Gefängnis. Als er nun nach vier Jahren frühzeitig entlassen wird, hofft sie, dass er sich dieses Mal geändert hat. Aber bald darauf wird Luke erneut verhaftet. Während Clares Eltern versuchen, den schönen Schein zu wahren, und Luke immer wieder mit offenen Armen empfangen, beginnt Clare, an seiner Unschuld zu zweifeln. War er nur zur falschen Zeit am falschen Ort? Als Clare schließlich selbst in Lukes Machenschaften hineingezogen wird, will sie wissen, wer ihr Bruder wirklich ist. Sie geht der Vergangenheit auf den Grund. Doch was sie dort findet, übertrifft ihre schlimmsten Befürchtungen. 

Rezension: 

Clare ist 17 Jahre alt, als ihr älterer Bruder Luke nach vier Jahren - wieder einmal - aus dem Gefängnis entlassen wird. "Zur falschen Zeit am falschen Ort", so haben seine Eltern scheine Schuld vor ihrer Tochter und ihrem Sohn Peter jedes Mal verdrängt. Inzwischen begreift Clare allerdings, dass Luke nicht immer nur Pech gehabt haben und unschuldig verurteilt worden sein kann. Sie liebt ihn dennoch abgöttisch, hat er seinen kleinen "Piepmatz", wie er sie liebevoll nennt, stets beschützt, macht sich aber Sorgen, wie lange Luke wieder bei ihnen sein wird oder ob er wieder in eine Abwärtsspirale geraten wird. 

Währenddessen herrscht eine angespannte Atmosphäre zu Hause, die dafür sorgt, dass die Eltern aus Gereiztheit und Fürsorge noch strenger zu Clare sind, die sich das ausgerechnet in den Sommerferien nicht gefallen lassen möchte, aber gleichzeitig auch nicht aus ihrer Haut kann, die gewissenhafte Schülerin und folgsame Tochter zu sein. 

Der Roman schildert den Sommer, als Luke vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wird und erneut beim Versuch einer Bewährung zu scheitern droht. Er ist aus der Sicht von Clare geschrieben, die persönlich die liebe volle Seite ihres Bruders kennt, aber auch sieht, wie Luke von der Kleinstadt als Verbrecher stigmatisiert wird. Sie wünscht ihm, dass er Arbeit findet und endlich Fuß fassen kann, fühlt sich von ihren Eltern aber auch ungerecht behandelt, da Luke stets mit offenen Armen empfangen wird und ihr wegen jeder Kleinigkeit Bestrafungen drohen. 

Unterbrochen wird die Gegenwart durch Rückblenden aus Clares Kindheit und wie sei ihren Bruder damals erlebt hat. 

"Die Mitte von allem" ist ein Jugendroman, der ein packendes Familiendrama schildert. Durch die einfühlsame Schilderung aus Sicht der jungen Clare, kann man sich sehr gut in ihre Situation hineinversetzen und bewundert sie einfach nur dafür, wie sie die Situation bei ihren Eltern so stoisch erträgt. Sie ist eine Musterschülerin und hilfsbereite, brave Tochter, was von ihren Eltern aber nicht honoriert wird. Diese erlauben Clare wenig und bestrafen die fast volljährige Tochter nur zu gerne mit diversen Schikanen. Das mittlere Kind Peter geht dabei etwas unter und ist der einzige, der zu Luke auf Distanz geht. 
Bis auf Clare, die ihrem Alter entsprechend noch etwas naiv, dafür aber umso liebenswerter ist, polarisieren die Charaktere, sind oft unfair und anstrengend, weshalb die Geschichte so aufwühlend ist.

Berührend ist für den Leser zu erkennen, wie ein Familienmitglied eine ganze Familie zugrunde richten kann. Die Eltern sind hilflos und fokussieren sich auf ihre Jüngste und schränken ihre Freiheit ein, nachdem sie ihrem älteren Sohn offenbar zu viel davon gegönnt haben. Luke nehmen sie dennoch im Alter von 29 Jahren wieder in ihrem Haus auf, kommen aber nicht so nah an ihn heran, um ihn vor dem kriminellen Milieu zu schützen. 

Dramatisch, emotional und fesselnd geschrieben, verfolgt man gespannt, ob dieser Sommer in einer Katastrophe enden wird und wie Clare damit leben kann, einen Straftäter zu lieben. Die Hoffnung bleibt, dass Luke die Kurve kriegt, nicht wieder straffällig wird und damit auch die Familie von Sorge, Schuld und steter Unsicherheit befreit.