Freitag, 31. März 2017

Buchrezension: Christian Buder - Das Gedächtnis der Insel

Inhalt:

Als der Pariser Archäologe Yann Schneider für zwei Tage zur Beerdigung seines Vaters auf seine bretonische Heimatinsel zurückkehrt, spürt er die Schatten seiner familiären Vergangenheit: Als Kind traumatisiert durch den Unfalltod seiner Mutter Abigale, muss er dreißig Jahre später erkennen, dass hinter dem Tod seiner Mutter andere Kräfte wirkten, als er immer annahm. Während ein fürchterlicher Sturm aufzieht, kommt Yann seiner eigenen Geschichte, seiner Wahrheit, seinem Schicksal auf die Spur und konfrontiert die Inselbewohner mit ihrer Vergangenheit und ihrer Schuld.

Rezension:

Der 38-jährige Archäologe Yann Schneider kehrt nach 20 Jahren Abwesenheit anlässlich des überraschenden Todes seines Vaters aus Paris auf seine Heimatinsel im französischen Atlantik zurück.

Seine Mutter ist bereits in seiner Kindheit bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommen. Die Fischer sprechen von "Verschwinden", da ihre Leiche nie gefunden wurde.

Als sich die Beerdigung von Yanns Vater aufgrund eines angekündigten Sturms verzögert, beginnt Yann zusammen mit seiner Schulfreundin und Jugendliebe Gwenn, die bei der französischen Gendarmerie arbeitet, mit Nachforschungen, was den Tod seiner Mutter vor fast 30 Jahren betrifft. Sie hatte sich unmittelbar vor ihrem Tod mit einem Schriftsteller mit dem Pseudonym Jojo getroffen, der auch auf dem Unglücksschiff gewesen sein soll. Auch seine Leiche wurde nie gefunden, zudem wurde sein Name auch nie in der Berichterstattung in den Zeitungen erwähnt. Nicht nur der Tod der Mutter, die mit einem seeuntauglichen Segelboot aufs Meer gefahren ist, auch der angebliche Selbstmord seines Vaters, der vor seinem Tod noch ein Ticket nach Paris gekauft hatte, geben Yann immer mehr Rätsel auf...

Aufgrund der schon kurz nach Veröffentlichung des Romans zahlreichen 5-Sterne-Bewertungen hatte ich mich auf einen spannenden Plot um ein jahrzehntealtes Geheimnis gefreut.
"Das Gedächtnis der Insel" konnte mich zu Beginn allerdings gar nicht fesseln. Der Autor schafft es zwar, den Leser unmittelbar auf die kleine französische Insel in der Bretagne zu versetzen und eine nicht nur wetterbedingt bedrohlich anmutende Atmosphäre aufzubauen, die Handlung selbst blieb jedoch lange wenig spannungsgeladen.
Diese baute sich sehr gemächlich auf, bis sich ab der zweiten Hälfte die Abgründe der einzelnen Bewohner der verschlafenen Insel auftun und die Geheimnisse der Vergangenheit, die Vertuschung von Verbrechen, deutlich werden, die nur in einer verschworenen Gemeinschaft der übersichtlichen Anzahl der Inselbewohner über Jahrzehnte im Verborgenen geblieben sind, ohne dass es Ermittlungen der nationalen Polizei gegeben hatte.
Gleichzeitig war der Roman damit aber auch sehr vorhersehbar, weshalb das Ende und der "Showdown" im Sturm für mich dann nicht überraschend war.

"Das Gedächtnis der Insel" ist ein Roman, der sich innerhalb eines Tages lesen lässt, der mich aber vor allem aufgrund der überschwänglichen Kommentare letztendlich enttäuscht hat. 


Mittwoch, 29. März 2017

Buchrezension: Patry Francis - Die Schatten von Race Point

Inhalt:

Cape Cod, 1978. Als Kinder sind Hallie Costa und Gus Silva unzertrennlich, als Teenager werden sie ein Liebespaar – bis ein dramatischer Vorfall am Strand von Race Point sie scheinbar unwiederbringlich auseinandertreibt. Doch Hallie kann ihren Freund nie vergessen, und als Gus Jahre später eines Mordes angeklagt wird, muss sie sich ihren Gefühlen stellen, denn seine gesamte Existenz steht auf dem Spiel. Kann sie ihm noch einmal helfen, bevor es zu spät ist? Hallie kehrt in ihre Heimatstadt zurück und stößt dort unerwartet auf dunkle Geheimnisse von ungeahnten Dimensionen.

Rezension:

Der Roman ist in sieben Abschnitte gegliedert und aus unterschiedlichen Perspektiven einzelner Protagonisten verfasst.
Er beginnt mit der Kindheit von Hallie Costa und Gus Silva im Jahr 1978/ 79 und erstreckt sich über deren Jugend bis ins Jahr 2010.

Die Kinder werden Freunde, als sich die aufgeweckte, neunjährige Hallie, Gus annimmt, der seit dem Tod seiner Mutter und der Verurteilung seines Vaters als Mörders in sich gekehrt und abgekapselt bei seiner Tante lebt.
Als Jugendliche werden Hallie und Gus ein Paar, was zu einem Konflikt mit ihrem besten Freund Neil führt, der schon seit Jahren mehr für Hallie empfindet als nur Freundschaft. Es kommt zu einem folgenschweren Streit, bei welchem Hallie schwer verletzt wird.

Gus zieht sich wieder in sich zurück und entschließt sich dazu, Priester zu werden. Auch Hallies Beteuerungen, dass es sich bei dem Vorfall mit Neil um einen Unfall handelte, kann ihn nicht umstimmen.

Die beiden sehen sich einige Jahre nicht wieder, bis Gus Anfang der 2000er Jahre in massive Schwierigkeiten gerät und die inzwischen verheiratete Hallie versucht, den Kontakt wiederherzustellen, um ihm zu helfen.

"Die Schatten von Race Point" ist ein 600 Seiten-starkes Buch, das aber aufgrund der Entwicklung über die Jahrzehnte und der Perspektivenwechsel keine Längen aufweist. Es ist ein Roman über Freundschaft und eine tiefe Verbundenheit, der auch ein Kontaktabbruch über mehrere Jahre nichts anhaben kann, aber auch ein Roman über Enttäuschung und Verrat.
Zentrales Thema ist immer wieder Gewalt und vor allem Gewalt innerhalb von Familien. Gus hat einen gewalttätigen Vater, der seine Mutter auf dem Gewissen hat und als Jugendlicher wird auch Gus selbst handgreiflich, auch wenn er dies zutiefst bereut und er sich selbst das Priesteramt als Buße auferlegt. Seine gewalttätige Vergangenheit wird ihm später zum Verhängnis, als ein Opfer von Gewalt bei ihm Hilfe sucht.
Die Frauen nehmen dabei klassisch einen sehr passiven Part ein und können sich gegenüber ihren gewalttätigen Ehemännern nicht zur Wehr setzen, versuchen jedoch alles, um ihre Kinder zu schützen.

Da der Roman jeweils aus Sicht ganz unterschiedlicher Charaktere geschrieben ist, taucht man als Leser unmittelbar in die Geschichte ein und kann mit allen Protagonisten - auch generationenübergreifend - mitfühlen.
Die Schicksale berühren, da so viel Tragik, Drama Intrigen und schreiende Ungerechtigkeit auf sie einprasseln.
"Die Schatten von Race Point" ist kein Liebesroman, was Cover und Klappentext vielleicht vermuten lässt. Auch das Ende ist so nicht vorhersehbar war, weshalb der Roman durch überraschende Wendungen bis zum Schluss spannende, unterhaltsame Lesestunden garantiert. 



Montag, 27. März 2017

Buchrezension: Jojo Moyes - Ein Bild von dir

Inhalt:

Zwei Paare – getrennt durch ein Jahrhundert, verbunden durch ein Gemälde.
Während um sie herum der Erste Weltkrieg tobt, versucht Sophie stark zu sein – für ihre Familie, für ihren Mann Édouard, der auf Seiten Frankreichs kämpft. Nur ein Gemälde ist ihr geblieben, das sie an ihr gemeinsames Glück erinnert. Ein Porträt, das Édouard einst von ihr malte. Und das ihn jetzt retten soll …
Hundert Jahre später. Liv trauert um ihren Mann David. Vor vier Jahren ist er gestorben, viel zu früh. Livs kostbarster Besitz: ein Gemälde, das er ihr einst schenkte. Der Maler: Édouard. Das Modell: Sophie. Als ihr dieses Gemälde genommen werden soll, ist sie bereit, alles zu opfern. Auch das eigene Glück...

Rezension:

St. Péronne im Jahr 1916. Frankreich ist zu dieser Zeit des Ersten Weltkrieges von den Deutschen besetzt. Sophie Lefèvre führt mit ihrer Schwester Hélène das Hotel Le Coq Rouge weiter und wird gezwungen, den deutschen Soldaten allabendlich ein Menü zu servieren, während die französische Bevölkerung selbst Hunger leidet. Von ihrem Ehemann Édouard an der Front hat Sophie schon seit Längerem nichts mehr gehört, weshalb sie sehr an einem Porträt hängt, das ihr Mann von ihr gezeichnet hat.

Der deutscher Kommandant Friedrich Hencken ist von der starken Frau fasziniert und ein Bewunderer des Porträts.
Als die Ungewissheit um das Wohlergehen von Édouard für Sophie unerträglich wird, ist sie bereit, sich dem deutschen Kommandanten, dem sie ihr Vertrauen entgegenbringt, hinzugeben und das Porträt gegen eine Fahrt zu ihrem Mann einzutauschen.

2006 ist das Porträt im Besitz von Olivia Halston, deren Ehemann David, ein begabter Architekt, der im Alter von nur 38 Jahren überraschend gestorben ist. Liv lebt seit seinem Tod zurückgezogen in dem großen Glashaus und hält sich scheinbar nur durch das Porträt aufrecht, das ihr David auf der Hochzeitsreise in Barcelona geschenkt hat. Das Gemälde ist nicht nur eine Erinnerung an ihren verstorbenen Mann, die "Jeune Femme", die ihr angeblich ähnlich sieht, zeigt eine starke Frau, die ihr Kraft gibt.

Liv ist verschuldet und musste ihr Haus bereits mit mehreren Hypotheken belasten. Als dann auch noch ihre Handtasche gestohlen wird, nachdem sie ihr Konto überzogen hat, um die Grundsteuer für das Architektenhaus bezahlen zu können, lernt sie Paul McCaffrey kennen. Der ehemalige Polizist ist ihr an dem Abend behilflich und kann ihr später sogar ihre Handtasche zurückbringen.

Sie lernen sich näher kennen und für Liv ist Paul der erste Mann, dem sie sich nach vier Jahren wieder öffnet. Als er das Porträt von Sophie in ihrem Schlafzimmer sieht, reagiert er plötzlich abweisend. Es stellt sich heraus, dass es ein millionschweres Kunstwerk ist, das von den Nachfahren von Sophie gesucht wird, die Anspruch darauf erheben. Paul ist der Mitarbeiter der Firma, die sich mit der Forderung der Rückgabe an die rechtmäßigen Besitzer beschäftigt.

Liv kämpft für alle Beteiligten unverständlich wie eine Löwin um das Porträt, wobei ihr der materielle Wert egal ist. Es beginnt ein Gerichtsprozess um Kunstraub durch Nationalsozialisten, auf den sich die Medien stürzen, die Liv als Diebin darstellen. Sie droht alles zu verlieren: die junge Liebe zu Paul, das Porträt und aufgrund der Gerichts- und Anwaltskosten das von ihrem Ehemann entworfene Haus.

"Ein Bild von dir" ist wieder ein emotionaler Roman der Bestseller-Autorin Jojo Moyes, der wie "Eine Handvoll Worte" einen Handlungsstrang in der Vergangenheit und einen in der Gegenwart hat. Auf beiden Zeitebenen geht es jeweils um das berührende Schicksal einer Frau in einer Ausnahmesituation. Beide Erzählungen gehen unheimlich nah und man leidet mit der starken, aber am Ende völlig verzweifelten Sophie mit. Die Situation in ihrem Heimatort in Nordfrankreich zur Zeit der Besatzung durch die Deutschen ist sehr anschaulich beschrieben. Die Bevölkerung ist gebeutelt von den dort stationierten Soldaten und dem andauernden Krieg, auch wenn die Front weit weg ist. Durch Missgunst und gegenseitige Bespitzelung ist das Vertrauen in Bekannte und Nachbarn erschüttert. Auch Sophie, die sich selbstlos um die Einwohner des Orts gekümmert hat, wird am Ende verstoßen.

Auch wenn es in der Gegenwart in London im Jahr 2006 nicht mehr um Leben und Tod geht, geht einem das Schicksal noch immer um ihren Ehemann trauernden Liv nahe, die sich in ihrer Einsamkeit irrational an ein Gemälde klammert.

Der Schreibstil von Jojo Moyes ist gewohnt flüssig und die Handlung selbst, die sich auf über 540 Seiten erstreckt, zu keinem Zeitpunkt langweilig. Nachdem der letzte Roman "Im Schatten das Licht", den ich von der Autorin gelesen habe, für mich enttäuschend war, ist dieser Roman wieder große emotionale Unterhaltung mit einem interessanten historischen Hintergrund.



Freitag, 24. März 2017

Buchrezension: Rufi Thorpe - Ein Sommer in Corona del Mar

Inhalt:

Es ist Sommer in der südkalifornischen Stadt Corona del Mar. Die beiden Freundinnen Mia und Lorrie Ann sind unzertrennlich. Doch als Lorrie Anns Vater stirbt, weiß Mia nicht, was sie für ihre Freundin tun kann. Und dies ist nur der erste von vielen schweren Schicksalsschlägen, die Lorrie Ann treffen werden … Jahre später steht Lorrie Ann plötzlich wieder vor Mias Tür: barfuß, hungrig und vom Leben gezeichnet. Und Mia kann nicht verstehen, wie das Leben ihrer scheinbar makellosen Freundin so aus dem Ruder laufen konnte. Kann es sein, dass sie Lorrie Ann nie wirklich gekannt hat?

Rezension:

Mia und Lorrie Ann wachsen in Corona del Mar in Kalifornien auf und sind während ihrer Schulzeit beste Freundinnen, auch wenn sie grundsätzlich verschieden sind. Mia, aus deren Sicht der Roman geschrieben ist, ist schon immer "die Böse" gewesen. Sie ist das rebellische Mädchen, das im Gegensatz zu der zurückhaltenden, hübschen Lorrie Ann auffällt und nicht in so liebevollen, geordneten Familienverhältnissen aufwächst. Mias Mutter ist aufgrund ihres Alkoholkonsums häufig nicht ansprechbar und kümmert sich auch nicht um ihre jüngsten Söhne.

"Für mich war meine Freundin Lorrie Ann die Gute, und ich war die Böse. Sie war wunderschön (geradezu skandalös, wie ein Gemälde von Vermeer), ich hingegen sexy (mit dreizehn bedurfte es nichts weiter als einer Tonne kirschfarbenem Labello). Wir waren beide schlau, aber Lorrie Ann auf die nachdenkliche Art, wohingegen ich gewieft war, sie ernst und ich verschroben. Während sie sentimental war, war ich sarkastisch."

Während sich Mia mit 15 Jahren, ungewollt schwanger, für eine Abtreibung entscheidet, wird Lorrie Ann früh ungeplant Mutter. Auch wenn sie der Vater des Kindes heiratet und Jim sich sogar als Soldat verpflichtet, um seine kleine Familie zu ernähren, verläuft Lorrie Anns Leben nicht glücklich.

Mia fängt an zu studieren und zieht nach Europa, weshalb sich die Freundinnen über Jahre nicht sehen und sich fremd werden. Da kommt Lorrie Ann unerwartet zu Mia nach Istanbul: ohne Mann und Kind, ohne Schuhe, aber vollgepumpt mit Drogen.

Mia, die mit inzwischen 28 Jahren mit ihrer Vergangenheit in Corona del Mar abgeschlossen hat und sich ein eigenes Leben zusammen mit einem Freund, der sie liebt, aufgebaut hat, ist entsetzt über den Zustand ihrer ehemals so schönen, gutherzigen Freundin, Sie nimmt Lorrie Ann bei sich auf, in der Hoffnung, sie zu einem Entzug zu bewegen, damit sie auch wieder zu ihrem Sohn nach Kalifornien zurückkehren kann.
In Rückblenden erzählt Lorrie Ann ihre Geschichte und was sich seit der Trennung der Freundinnen ereignet hat.

"Ein Sommer in Corona del Mar" ist keine leichte (Urlaubs-)lektüre, wie der Titel suggeriert. Ich habe mich allerdings aufgrund der Kurzbeschreibung für den Roman entschieden und bin nicht enttäuscht worden.
Es ist ein Roman über eine langjährige Freundschaft zweier junger Frauen in den 90er-Jahren, die sich, aufgrund von verschiedenen Schicksalsschlägen und letztlich auch der räumlichen Distanz über zwei Kontinente hinweg geschuldet, verläuft. Während die beiden unmittelbar nach dem Wegzug von Mia den Kontakt telefonisch halten und Mia auch noch später in Corona del Mar zu Besuch ist, haben sie sich - schon fast unbemerkt - später über Jahre nicht gesehen.
Völlig hilflos und fertig mit dem Leben, taucht Lorrie Ann überraschend in Istanbul auf uns drängt sich kurze Zeit in Mias Leben, die ihrerseits ihre Freundin kaum wiedererkennt.

Es scheint, als haben die beiden Protagonistinnen die Rollen getauscht: Nun ist Lorrie Ann "die Böse", die ihre Familie in Kalifornien zurückgelassen hat, um durch Indien zu reisen, und Mia diejenige, die sich zum Positiven verändert hat, erwachsen und sesshaft geworden ist.

Die Schicksale beider Frauen sind unheimlich eindringlich geschildert, gehen sehr nah und stimmen traurig. Die Geschichte einer zerbröckelnden Freundschaft gleicht einer feinfühligen Charakterstudie und zeigt, in welch ganz andere Richtungen Menschen sich entwickeln können. Zu keinem Zeitpunkt vorhersehbar, ist das Debüt von Rufi Thorpe berührend und literarische Unterhaltung auf hohem Niveau - eine Geschichte, die ich so schnell nicht vergessen werde. Ein Lesehighlight!



Montag, 20. März 2017

Buchrezension: Björn Berenz - Ach du dickes Ding

Inhalt:

Okay, in einer Nacht- und Nebelaktion ein Nilpferd aus dem Kölner Zoo zu entführen, war vielleicht nicht unbedingt Simons beste Idee. Aber er ist nun mal davon überzeugt, dass in Daisy die Seele seiner verstorbenen Frau wohnt - und kann nicht zulassen, dass der skrupellose Zoodirektor das Hippo als Lebendfutter verwurstet! Und so kutschiert Simon jetzt gemeinsam mit Spediteurin Eva und dem buddhistisch angehauchten Tierpfleger Hagen, der ebenfalls an Simons Seelenwanderungstheorie glaubt, ein reisekrankes Nilpferd quer durch Europa. Ziel: ein Nationalpark in Kenia. Aber wie soll man so ein Vieh bloß unerkannt nach Afrika bringen - wenn gleichzeitig die Polizei, eine rumänische Diebesbande und die Mafia hinter einem her sind?

Rezension:

Simon Berger trauert noch immer um seine vor fünf Jahren verstorbene Ehefrau Sandra und nimmt deshalb kaum aktiv am Leben teil. Seinen Job als Filialleiter einer Bank, wo er größtenteils damit beschäftigt ist, Kreditanträge nicht zu genehmigen, befriedigt ihn schon lange nicht mehr.

Simons lebenslustige Mutter ist der Meinung, dass die Zeit der Trauer nun endgültig vorbei ist und möchte ihren Sohn aus seiner Lethargie befreien. Bei einem Zoobesuch an ihrem Geburtstag entreißt sie ihm seine Halskette, an der er den Ring von Sandra trägt. In panischer Angst um ihr Andenken bringt Simon sich in Lebensgefahr, als er die Kette aus dem Hippodrom vor der aggressiven Nilpferd-Dame Daisy rettet. zu ihm ist Daisy allerdings überraschend zahm und ein später folgender Reinkarnationstest, den Simon zusammen mit dem buddhistisch angehauchten Tierpfleger Hagen durchführt, legt nahe, dass Sandra als Nilpferd Daisy wiedergeboren wurde.

Simon freut sich, seine Sandra wiederzuhaben, bis er erfährt, dass der berechnende Zoodirektor die in seinen Augen unsoziale und unwirtschaftliche Daisy den Löwen zum Fraß vorwerfen möchte.

Zusammen mit Hagen und der Inhaberin einer Speditionsfirma vor der Pleite startet Simon die Aktion "Rettet Daisy" und entführt das Nilpferd kurzerhand aus dem Kölner Zoo, um sie in das über 10.000 km entfernte Kenia zu bringen. Es beginnt ein turbulenter Roadtrip, auf dem Simon wirklich alles für Daisy bzw. seine Sandra riskiert.

"Ach du dickes Ding" ist ein leicht zu lesender Roman voller aberwitziger und absurder Situationen. Simon krempelt sein bisheriges Leben komplett um, riskiert sogar seine Freiheit, um seiner geliebten Sandra noch einmal nah sein zu können.

Auch wenn man die Geschichte nicht ganz ernst nehmen kann, sie stellenweise sehr überzeichnet ist wirkt und irgendwie von vornherein klar ist, dass das Gespann Kenia nie erreichen wird, ist das Buch unterhaltsam geschrieben - die großen Lacher sind für mich jedoch ausgeblieben.

Während des Roadtrips zog sich der Roman ein wenig in die Länge und war meiner Meinung nach mit Geschichten von Mafia bzw. Kopfgeldjägern und aufkeimender Romantik zwischen den Protagonisten etwas überladen. Zudem fügte sich so manches durch zu viele wohlgemeinte Zufälle zu einem glücklichen Ende zusammen. Hier wäre weniger mehr gewesen!
Trotzdem bleibt es spannend zu erfahren, wo Daisy letztlich ihr weiteres Lebens als Nilpferd-Mama verbringen darf und welche (strafrechtlichen) Konsequenzen die Rettungsaktion für Simon haben wird.


Samstag, 18. März 2017

Buchrezension: Julie Cohen - Der Tag, an dem der Sommer begann

Inhalt:

Großmutter, Mutter und Tochter unter einem Dach – ob das gut gehen kann? Nur widerwillig gibt die achtzigjährige Honor ihre Unabhängigkeit auf und zieht zu Schwiegertochter Jo und Enkelin Lydia. Bald stellt sich heraus, dass die drei so unterschiedlichen Frauen mehr verbindet als geahnt: Jede von ihnen hütet ein Geheimnis um Liebe und Schuld. Doch was passiert, wenn sie den Mut finden, einander zu vertrauen?

Rezension:

"Der Tag, an dem der Sommer begann" ist ein Roman über drei Generationen von Frauen. Im Zentrum der Handlung steht die 40-jährige Joana, genannt Jo, die vor zehn Jahren auf tragische Weise ihren ersten Ehemann Stephen verloren hat und vor Kurzem von ihm zweiten Ehemann Richard für das Au-Pair-Mädchen verlassen wurde. Sie ist nun alleinerziehende Mutter ihrer ältesten Tochter Lydia und den beiden Jüngsten, Oscar und Iris.
Schon mit dem ersten Kapitel wird man sehr anschaulich mit Jos anstrengendem, vollgepacktem Alltag konfrontiert. Dennoch schafft sie es durch ihre geduldige, liebenswürdige und selbstlose Art allen Widrigkeiten zum Trotz ihr Leben zu meistern, immer das Positive zu sehen und als Problemlöser stets Tee und Gebäck zu servieren.

Für sie ist es auch selbstverständlich, ihre ruppige Schwiegermutter Honor, die Mutter ihres verstorbenen Mannes, zu sich in Pflege zu nehmen, als sie in ihrem Haus von der Treppe stürzt und sich die Hüfte bricht, Honor ist ein richtiges Biest, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass sie sich nicht gern bemuttern lässt und schon gar nicht akzeptieren kann, mit 75 Jahren ihre Selbstständigkeit aufgeben zu müssen. Als ihr dann bewusst wird, dass Lydia ihre letzte lebende Verwandte ist, versucht sie zumindest zu ihr eine Beziehung aufzubauen und öffnet anschließend auch die Augen dafür, was die in ihre Augen viel zu nette und naive Jo leistet, ohne auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten.

Lydia steckt mitten in den Abschlussklausuren, die sie als sehr gute Schülerin eigentlich mit Bravour leisten müsste, sieht sich aber mit ganz anderen Problemen eines Teenagers belastet und trägt all ihre inneren Konflikte mit sich selbst aus. In Tagebucheinträgen öffnet sie nur dem Leser ihre Gefühlswelt.

Honor, Jo und Lydia wohnen zwar zusammen, verschweigen aber Dinge, die sie belasten bzw. die sie aus Angst vor Ablehnung nicht offenbaren können. Die Beweggründe sind menschlich und nachvollziehbar, machen den Frauen allerdings ihr Leben schwer, was am Ende fast zur Katastrophe führt.

"Der Tag, an dem der Sommer begann" ist der vierte Roman, den ich von Julie Cohen gelesen habe und der wie die Vorgänger berührend geschrieben ist und Schicksale von ganz normalen Frauen beschreibt, so dass sich jede Leserin in einer der Frauen wiederfinden kann.

Einziger Kritikpunkt ist für mich der Titel der deutschen Ausgabe des Romans. Das Original wurde unter dem Titel "Falling" (bzw. später "After the Fall") veröffentlicht, der in seiner Knappheit sehr viel Aussagekraft besitzt und optimal zur Handlung passt. Das "Fallen" zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman, beginnend mit dem Sturz Honors, erstreckt sich über einen Rückblick zu Stephens Unfalltod und wird im dramatischen Schluss noch einmal aufgegriffen.

Bücher von Julie Cohen sind voller Wärme und emotionaler Tiefe geschrieben, ohne kitschig zu sein oder auf ein gewolltes Happy End hinzuarbeiten. Mit einer Leidenschaft beschreibt sie tiefgründige Charakteren, in deren Leben man buchstäblich eintaucht.

"Der Tag, an dem der Sommer begann" ist ein Roman über Familie, Vertrauen, Verlust und den Mut zu einem Neuanfang, der mit vergnügliche Lesestunden bereitet hat und zu schnell vorbei war. Gerne hätte ich noch länger am Leben von Jo, ihrer Schwiegermutter und Teenager-Tochter und ihrer beiden quirligen Kleinsten teilgehabt.


Freitag, 17. März 2017

Buchrezension: Shari Lapena - The Couple next door

Inhalt: 

Jedes Paar hat seine Geheimnisse. Manche sind tödlich ...

Deine Nachbarin möchte nicht, dass du dein Baby zur Dinnerparty mitbringst. Dein Ehemann sagt, das sei schon in Ordnung. Ihr wohnt ja gleich nebenan. Außerdem habt ihr ein Babyfon und könnt abwechselnd nach der Kleinen sehen. Deine Tochter schläft, als du das letzte Mal nach ihr siehst. Doch jetzt herrscht Totenstille im Haus. Du rennst ins Kinderzimmer - und dein schlimmster Alptraum wird wahr: Die Wiege ist leer.

Es bleibt nur eins: die Polizei zu rufen - doch wer weiß, was sie finden wird ...

Rezension:

Das Ehepaar Anne und Marco Conti ist bei einer Party bei seinen Nachbarn Cynthia und Graham, als ihre sechs Monate alte Tochter Cora entführt wird. Sie haben sie zum ersten Mal allein mit einem Babyphone zu Hause gelassen, da die Babysitterin kurzfristig abgesagt hatte.

Die Polizei in Person des Detective Rasbach verdächtigt als erstes die Eltern, da diese in den meisten Fällen von Gewalt gegenüber Kindern selbst die Täter sind. Es gibt auch keine Einbruchsspuren oder sonstige Spuren, die auf einen fremden Täter hindeuten.

Anne, die unter postnatalen Depressionen leidet, macht sich schwere Vorwürfe. Sie wollte Cora nie allein lassen, aber Marco hatte sie letztlich dazu überredet, zumal sie stündlich nach dem Baby sehen wollten.
Annes Eltern sind Muli-Millionäre, weshalb der Verdacht nahe liegt, dass es sich doch um einen Fall von Kindesentführung handeln könnte, um die Großeltern zu erpressen.

Die Nerven liegen bald bei allen Beteiligten blank, als keine Lösegeldforderung eingeht. Nach und nach werden sowohl Informationen über Anne als auch Marco bekannt, die als Indizien für eine Beteiligung am Verschwinden von Cora gewertet werden. Hat Anne die Kontrolle über sich verloren und das kleine Mädchen versehentlich im Affekt getötet? Gab es einen Unfall? Hilft Marco dabei, den Vorfall zu vertuschen, um seine Ehefrau zu schützen? Oder ist er gar aufgrund seiner finanziellen Notlage der Schuldige?

"The Couple Next Door" ist ein Psychothriller, der zeigt, dass es hinter der Fassade einer scheinbar intakten Familie brodeln kann. Schon während der Party bei den Nachbarn wird offensichtlich, dass die Beziehung zwischen Anne und Marco nicht intakt ist. Als Cora verschwunden ist, misstrauen und verdächtigen sich die Protagonisten gegenseitig.

Während die Ermittlungsarbeit der Kriminalpolizei nur eine untergeordnete Rolle spielt, werden immer mehr Hintergründe über Anne und Marco und die Nacht der vermeintlichen Entführung von Cora bekannt. Der Thriller bleibt durch überraschende Wendungen und neue Offenbarungen bis zum Ende spannend.

Die Charaktere sind allerdings eindimensional und wenig sympathisch. Detective Rasbach legt eine überhebliche Art an den Tag und ermittelt von Anbeginn sehr einseitig gegen die Eltern. Auch Anne und Marco sind beides keine Personen, deren Schicksal berührt. Ihr Verhalten ist oft übertrieben bis unrealistisch, was den Thriller etwas konstruiert wirken lässt. Dennoch bietet er gute Unterhaltung bis fast zum Schluss. Am Ende überschlagen sich die Ereignisse und die Handlung nach der Auflösung des Falls hätte die Autorin meiner Meinung nach besser nicht weiterspinnen sollen. 


Montag, 13. März 2017

Buchrezension: Luisa Buresch - Wenn die Liebe hinfällt

Inhalt:

Wann hatten Sie das letzte Mal Liebeskummer … aber so richtig?
Alia und Leander gelten als Traumpaar. Sogar als Traumfamilie, denn da gibt es noch Töchterchen Katie. Wie alle Freunde um sie herum glaubt die liebenswert-chaotische Alia, das mit ihr und Leander sei etwas Besonderes. Umso schlimmer ist der Absturz, als Leander auf einmal den Satz raushaut, den Alia nur aus den Groschenromanen kennt, über die sie an der Uni forscht: »Alia, ich muss dir was sagen, es gibt da eine andere …« Für Alia bricht eine Welt zusammen. Dass Liebe so verdammt wehtun kann, hatte sie nicht für möglich gehalten. Mühsam rappelt sie sich mithilfe ihrer Freundinnen und des neuen grummeligen Nachbarn halbwegs auf, da steht Leander plötzlich wieder vor der Tür.
»Wenn die Liebe hinfällt« ist ein Roman, der uns voller Witz und Wärme an die Stellen führt, wo wir am empfindlichsten, am lebendigsten sind. Wer jemals Liebeskummer hatte, weiß, dass kaum ein Gefühl so intensiv ist wie dieses. Wer nicht mit Alia mitfiebert und dabei selbst wohlig schaudernd alle Höhen und Tiefen miterlebt, ist scheintot. So viel ist sicher.

Rezension:

Die 35-jährige Alia ist im letzten Abschnitt ihres Studiums angelangt und schreibt gerade an ihrer Magisterarbeit. Als Mutter einer kleinen Tochter findet sie zu wenig Zeit sich auf den Abschluss ihres Studiums zu konzentrieren und ist zusätzlich genervt von ihrem Freund, der auch noch Ansprüche an sie erhebt. Da die beiden trotz ihrer eheähnlichen Gemeinschaft und der gemeinsamen Tochter getrennte Zimmer in ihrer gemeinsamen Wohnung haben, hat jeder einen Rückzugsraum für sich. Die Streitereien zwischen den beiden gehen jedoch so weit, dass Leander nur noch nach Hause kommt, um Katie in den Kindergarten zu bringen und ansonsten in seiner kleinen Wohnung aus Single-Zeiten über seiner Kneipe schläft.
Die beiden entfernen sich immer weiter voneinander, bis Leander Alia gesteht, dass es eine andere Frau in seinem Leben gibt. Es handelt sich nicht nur um eine Affäre, offensichtlich hat sich Leander in die rassige Brasilianerin verliebt, die schon bald bei ihm einzieht.

Trotz ihrer schon seit längerem sehr distanzierten Beziehung kommt dies für Alia sehr überraschend. Für sie bricht eine Welt zusammen. Sie kann nicht akzeptieren, dass Leander eine andere Frau an seiner Seite hat und möchte ihn zurückgewinnen, auch wenn vor allem ihre beste Freundin Majken ihr davon abrät.

Alia ist mit den Nerven völlig am Ende und muss ihr Studium unterbrechen und die Prüfungen um ein halbes Jahr verschieben. Als sie einen psychischen Zusammenbruch erleidet, wird sie eine Woche in einer Klinik untergebracht. Um ihr Leben wieder auf die Reihe zu kriegen, wird ihr eine absolute Kontaktsperre zu Leander empfohlen. Nach ihrer Entlassung beschließt Alia deshalb, sich eine Auszeit zu nehmen und für drei Monate zusammen mit ihrer Tochter zu ihrer Mutter nach Cornwall zu gehen.

Als sie zurückkommt, sieht sie sich nicht nur mit den Problemen ihrer Freundin Bianca und ihres sehr hilfsbereiten Nachbarn konfrontiert, sondern auch mit Annäherungsversuchen Leanders.

"Wenn die Liebe hinfällt" ist eine schöne Metapher, die den Inhalt des Buches sehr gut zusammenfasst. Dreh- und Angelpunkt des Romans ist die Liebe zwischen Alia und Leander, die vor dem Aus steht. Beide haben sich im Alltag von Beruf, Studium und der Erziehung der kleinen Tochter keine Zeit mehr für sich als Paar genommen und keine Mühe mehr um einander gegeben. Sie haben nur noch aneinander vorbei gelebt, zunächst räumlich und dann auch noch emotional getrennt.

Leander lernt eine neue Frau kennen, die ihn begehrt und ihm wieder das Gefühl gibt, ein Mann zu sein. Gleichzeitig verbindet ihn aber auch durch die zehnjährige Beziehung und die gemeinsame Tochter Katie, die er regelmäßig sehen möchte, viel mit Alia.

In Rückblenden erfährt man als Leser, wie sich Alia und Leander kennengelernt haben und wie romantisch ihre Beziehung zu Beginn war. Auch der Absturz von Alia, wie sie unter der Trennung leidet, ist sehr bewegend geschrieben.

Auch wenn die Liebesgeschichte zwischen Alia und Leander im Vordergrund steht, überzeugt der Roman auch mit interessanten Nebencharakteren, deren Probleme Stoff für eine eigene Geschichte geben würden.

"Wenn die Liebe hinfällt" ist ein tiefgründiger, emotionaler Roman ohne Längen, der mich bis zum Schluss sehr gut unterhalten hat und der zeigt, wie wichtig es ist, an einer Beziehung zu arbeiten, so dass die Liebe nicht ins Stolpern gerät.


Samstag, 11. März 2017

Buchrezension: Marie-Sabine Roger - Das Labyrinth der Wörter

Inhalt:

Mit Mitte 40 und ohne festen Job haust Germain in einem alten Wohnwagen, schnitzt Holzfiguren, baut Gemüse an und trifft sich ab und zu mit Annette – ob es Liebe ist, kann er jedoch nicht sagen, denn die hat er im Leben noch nie erfahren. Bis er eines Tages im Park die zierliche Margueritte kennen lernt, die dort, genau wie er, die Tauben zählt. Obwohl sie unterschiedlicher nicht sein könnten, sind die beiden bald ein Herz und eine Seele. Die lebenskluge alte Dame ist zudem eine passionierte Leserin, und als sie dem ungeschliffenen Hünen vorzulesen beginnt, eröffnet sich Germain eine völlig neue Welt.

Rezension:


Germain Chaze ist 45 Jahre alt und lebt in einem Wohnwagen auf dem Grundstück seiner Mutter. Schon von jeher wurde er von ihr als dumm und ungewollt abgelehnt und entsprechend vernachlässigt. Nicht nur aufgrund der mangelnden Liebe und Unterstützung seiner Mutter sowie der unzureichenden Schulbildung, ist er geistig unterentwickelt.

Mit handwerklichen Gelegenheitsjobs verdient er sein Geld, ansonsten beschäftigt er sich mit dem Gemüseanbau in seinem Garten und geht regelmäßig in die Dorfkneipe auf ein Bier, wo er aber auch nicht wirklich ernst genommen wird.

Im Park, wo er die Tauben zählt und ihnen sogar Namen gibt, lernt er die 86-jährige Margueritte kennen, die die erste Person ist, die sich unvoreingenommen mit ihm unterhält. Von ihrer gewählten Ausdrucksweise ist er zunächst ein wenig irritiert, freundet sich mit der älteren Dame aber bald an, die für ihn wie eine "Oma" wird. Sie beginnt, ihm aus Büchern vorzulesen, so dass Germain den Ehrgeiz entwickelt, diese verstehen zu wollen. Als Marguerittes Sehfähigkeit dann immer eingeschränkter wird, ist es Germain selbst, der sich aus der Bibliothek Bücher leiht und ihr daraus vorliest.

Durch Margueritte hat Germain mit 45 Jahren erstmalig erfahren, wie es ist, geschätzt zu werden und Liebe und Vertrauen zu empfinden. Dieses Gefühl von Geborgenheit, das ihm durch seine neue "Oma" vermittelt wurde, wirkt sich auch positiv auf seine bisher rein auf das Sexuelle reduzierte Beziehung zu der jüngeren Annette aus.

Der kurze Roman gibt inhaltlich nicht viel für eine Handlung her, weshalb sie mich nicht fesseln konnte. Der Großteil der Geschichte spielt sich in den Gedanken von Germain ab, was mich irritierte, da er geistig eingeschränkt sein sollte. Er denkt aber so viel über Gesagtes nach, macht sich Gedanken über einzelne Wörter und kann sich viele Details aus Wörterbüchern und Lexika merken, dass ich dies für einen bewusst als sehr einfach dargestellten Menschen unrealistisch empfand.

Mit der gutmütigen, zierlichen, sanften Omi konnte der Gegensatz zu dem bulligen Germain mit der Fäkalsprache nicht größer sein, weshalb das Buch etwas Schwarz-Weiß-Malerisch ist.
Der Roman zeigt jedoch, dass für die Entwicklung eines Menschen nicht (nur) angeborene, genetische Faktoren ausschlaggebend sind, sondern dass die erste Sozialisation, Familie, Liebe und Vertrauen einen Menschen prägen und fördern oder verkümmern lassen.


Freitag, 10. März 2017

Buchrezension: Timur Vermes - Er ist wieder da

Inhalt:

Sommer 2011. Adolf Hitler erwacht auf einem leeren Grundstück in Berlin-Mitte. Ohne Krieg, ohne Partei, ohne Eva, dafür unter Tausenden von Ausländern und Angela Merkel. 66 Jahre nach seinem vermeintlichen Ende startet er gegen jegliche Wahrscheinlichkeit eine neue Karriere im Fernsehen. Dieser Hitler ist keine Witzfigur, sondern erschreckend real. Und das Land, auf das er trifft, ist es auch: zynisch, hemmungslos erfolgsgeil und vollkommen chancenlos gegenüber dem Demagogen und der Sucht nach Quoten, Klicks und »Gefällt mir!«-Buttons.

Eine Persiflage? Eine Satire? Polit-Comedy? All das und mehr: Dieser Roman ist ein literarisches Kabinettstück erster Güte.


Rezension:

Timur Vermes' Satire-Bestseller wurde in 41 Sprachen übersetzt und kam im Jahr 2015 als Spielfilm in die Kinos. 
Auch ich empfinde es als originelle Idee für ein Buch, Adolf Hitler im Jahr 2011 in Deutschland wieder auferstehen zu lassen. 

Hitler ist zunächst irritiert, 66 Jahre nach seinem Ableben in Berlin zu erwachen. Weder ist der Traum eines Endsiegs in Erfüllung gegangen, noch wurde Deutschland komplett zerstört. Hitler passt sich schnell an die neuen Gegebenheiten an und findet zunächst Unterschlupf bei einem Kioskbesitzer, bevor er fürs Fernsehen entdeckt wird. Statt auf Ablehnung zu stoßen, sind die Deutschen neugierig auf diesen Comedian, der dieselben Parolen so authentisch verbreitet wie zu Zeiten des Dritten Reiches. 

Natürlich handelt es sich um eine unwirkliche Situation, weshalb niemand glaubt, dass DER Hitler tatsächlich wieder da ist. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass es sich bei dem "Führer" um einen Grimme-Preis-verdächtigen Schauspieler handelt, der in der Rolle des Adolf Hitler völlig aufgeht. 

Hitler begegnet im Alltag der Bevölkerung, wo er erstaunlich viele Fans hat, so dass sich Hitler auch für das ein oder andere Selfie nicht zu schade ist. Er wird schnell zum Youtube-Star und führt Gespräche mit Politikern, macht sich gar Gedanken über die Parteienlandschaft und geeignete Koalitionen. Als einzige Partei kommt für ihn "Die Grünen" in Frage, schließlich sei Umweltschutz gleich Heimatschutz. Die NPD lehnt er schon aufgrund der Bezeichnung als "Demokraten" ab, zudem war sein Besuch in der wenig eindrucksvollen Parteizentrale in Berlin-Köpenick für ihn ernüchternd. 

Zu Beginn ist es recht unterhaltsam, wie auf Hitler, aus dessen Ich-Perspektive die Satire verfasst ist, die Dinge einprasseln, die er ironisch-böse analysiert und mit markigen Sprüchen darauf reagiert. Ab spätestens einem Drittel des Buches ist der Gag eines wieder auferstandenen Hitlers, der völlig unreflektiert zu einem Comedy- und Fernsehstar avanciert, nicht mehr neu. Die rechten Gedankengänge wiederholen sich, weshalb das Buch für mich zu lang gewesen ist. 

Abgesehen von den Stellen, an denen man über Hitler noch lachen kann, fragt man sich als Leser, ob es wirklich möglich ist, dass ein Hitler 2.0 in Deutschland wieder Gehör findet. Vom Publikum gefeiert, nutzen die Medien ihn insbesondere aufgrund der Quote und aus kommerziellen Gründen. Hat Deutschland wirklich nichts dazugelernt, auch wenn in der Schule das Dritte Reich und Nazi-Deutschland einen so großen Part einnehmen? Nachdem Hitler bereits in den 20er-Jahren unterschätzt wurde und Jahre später als Alleinherrscher die Macht übernahm, wird auch Hitler 78 Jahre nach der Machtergreifung als Impro-Comedian abgetan und die Gefahr nicht ernst genommen. 

Am Ende muss jeder Leser selbst wissen, ob er das Buch als Klamauk bzw. fiktive, überspitzte Unterhaltung sieht oder ob er es mehr als Warnung ansehen sollte, wie leicht sich Geschichte im schlimmsten Fall wiederholen könnte. 

So endet "Er ist wieder da" in meinen Augen äußerst fragwürdig mit den Worten "Es war nicht alles schlecht." 


Montag, 6. März 2017

Buchrezension: Lisa O'Donnell - Bienensterben

Inhalt:

Heiligabend in Glasgow: Die fünfzehnjährige Marnie und ihre kleine Schwester Nelly haben gerade ihre toten Eltern im Garten vergraben. Niemand sonst weiß, dass sie da liegen und wie sie dahin gekommen sind. Und die Geschwister werden es niemandem sagen. Irgendwie müssen sie jetzt allein über die Runden kommen, doch allzu viel Geld verdient Marnie als Gelegenheits-Dealerin nicht. So ist es ihnen ganz recht, als ihr alter Nachbar Lennie, stadtbekannter (vermeintlicher) Perversling, sich plötzlich für sie interessiert. Lennie merkt bald, dass die Mädchen seine Hilfe brauchen. Er nimmt sich ihrer an und gibt ihnen so etwas wie ein Zuhause. Als die Leute jedoch beginnen, Fragen zu stellen, zeigen sich erste Risse in Marnies und Nellys Lügengebäude, und es kommen erschütternde Details aus ihrem Familienleben zum Vorschein, was ihre Lage nur noch komplizierter macht.
Mit schnörkelloser Präzision, großem Einfühlungsvermögen und finsterem Humor erzählt Lisa O’Donnell die verstörend komische Geschichte dreier verlorener Seelen, die für sich selbst keine Verantwortung tragen können, aber füreinander bedingungslos einstehen.

Rezension:

Zu Beginn des Romans wird der Leser unmittelbar mit dem Tod der Eltern von Marnie und Nelly konfrontiert. Der Vater liegt seit mehreren Tagen tot im Bett und die Mutter baumelt erhängt in der Gartenhütte. Scheinbar ohne Skrupel und emotionslos verscharren die beiden Schwestern den Vater unter Lavendel, als der Verwesungsgeruch im Haus unerträglich wird.

Die beiden unterschiedlichen Mädchen - die hübsche, sensible, musikalisch begabte Nelly und die etwas burschikose, abgebrühte Marnie - vertuschen das Ableben ihrer Eltern und versuchen mit den übrig gebliebenen Ersparnissen über die Runden zu kommen. Um zumindest etwas zu Essen zu bekommen, freunden sie sich sogar mit dem als Perversling verschrienen Nachbarn Lennie an, dem die beiden schon fast verwahrlosten Mädchen Leid tun. Bald kommt es aber nicht nur der Schule, sondern auch ihm seltsam vor, dass die Eltern so lange verreist sein sollen und dann beginnt auch noch Hund Bobby damit, Leichenteile auszugraben...

Das Buch ist ähnlich wie ein Tagebuch aufgebaut und erzählt die Geschichte aus den drei Perspektiven der Protagonisten.

"Bienensterben" ist ein Roman voll von schwarzem Humor, das Schicksal der Mädchen allerdings traurig. Es ist eine makabre, zu tief bedrückende Geschichte über zwei vernachlässigte Teenager, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen, obwohl es sie völlig überfordert.

Lisa O'Donnell schreibt sehr direkt, so dass der Roman nichts für Zartbesaitete sein dürfte, aber genau dieser Schreibstil macht die Geschichte so berührend authentisch. Bis zum Schluss ist man gebannt zu erfahren, ob es für Marnie und Nelly ein positives Ende geben wird und wie dies aussehen soll.


Freitag, 3. März 2017

Buchrezension: Frances Whiting - Über den Wolken scheint immer die Sonne

Inhalt:

Als Lulu an einem Morgen im August die Augen aufschlägt, liegt er neben ihr: Joshua – wunderschön und ihr so vertraut wie kein anderer Mann. Es ist der Tag nach der Hochzeit, doch hat Joshua nicht Lulu sein Ja-Wort gegeben, sondern ihrer besten Freundin Annabelle ... Einst waren die beiden Frauen unzertrennlich – bis eine bittere Enttäuschung Lulus Vertrauen und ihren Glauben an die große Liebe zutiefst erschütterte. Doch auch wenn das Leben manchmal herbe Rückschläge bereithält: Was wirklich zählt, sind Familie, Freundschaft und die unbezahlbaren Momente des Glücks!

Rezension:

Das Buch beginnt direkt mit dem Schockmoment für Tallulah, genannt Lulu, die am Morgen nach der Hochzeit von Annabelle und Joshua neben dem Bräutigam, ihrem Exfreund, aufwacht.

Anschließend folgt ein Rückblick und der Leser lernt Lulu als Schülerin kennen, die selbst ruhig und zurückhaltend ist und sich mit der sehr selbstbewussten neuen Mitschülerin Annabelle anfreundet. Annabelle steht gern im Mittelpunkt und legt nicht viel Wert auf das, was andere von ihr denken könnten. Einerseits setzt sie sich für Lulu ein, wenn diese von anderen Kindern wegen ihrer sonderbaren Mutter gehänselt wird, andererseits ist sie aber auch fordernd und duldet keine weiteren Freundinnen von Lulu neben sich. Auch als Lulu mit ihrem ersten Freund Josh zusammenkommt, ist Annabelle allgegenwärtig, Unternehmungen erfolgen stets zu dritt. Als Lulu Josh und Annabelle in flagranti erwischt, bricht eine Welt für sie zusammen: Auf einen Schlag verliert sie ihre große Liebe, ihre beste Freundin und auch deren Eltern, zu denen sie sich immer zurückziehen konnte, wenn es bei ihr zu Hause Probleme gab.

Jahrelang kommt Lulu nicht über den Betrug hinweg, kann sich selbst gegenüber keinem Mann öffnen und hat auch nicht das Bedürfnis dazu. Sie lebt ohne wirklich zu leben. Ein Anker in ihrem Leben wird der berühmte Moderator und Lebemann Duncan, bei dem sie als Assistentin eine Anstellung findet. Er ist das genaue Gegenteil von der sehr zurückgezogen lebenden Lulu und versucht ihr dabei zu helfen, mit der Vergangenheit abzuschließen, weshalb sie den Kontakt zu Annabelle und Josh erst sucht und auch zu ihrer Hochzeit eingeladen wird.

Nach ihrer "Revanche" an Annabelle wird sich öffentlich als "Hochzeitsvöglerin" angeprangert und zieht sich erneut in ihr Schneckenhaus zurück. Zudem hat sie im weiteren Verlauf des Romans noch mit ganz anderen, schwerwiegenden Schicksalsschlägen zu kämpfen.

Der Klappentext von "Über den Wolken scheint immer die Sonne" mutet eine Liebesgeschichte von Lulu und Josh an. Diese nimmt allerdings nur einen Teil der Jugend von Lulu ein. Weiterhin spielen die Freundschaft zwischen ihr und Annabelle eine große Rolle sowie die belastende Situation von Lulus Familie aufgrund der Erkrankung der Mutter.
Das Buch erstreckt sich über Schulzeit, Jugend und das Leben als junge Erwachsene von Lulu, das immer wieder Rückschläge für sie bereithält.

Lulu ist sehr passiv und fügt sich immer wieder ihrem Schicksal ohne für ihr persönliches Glück zu kämpfen. Der Roman ist sehr emotional und bewegend, weil der Leser einfach mit der sympathischen Lulu mitleiden muss. Sie ist immer für die anderen da - sei es Annabelle, ihre Eltern und jüngeren Zwillingsbrüder oder Duncan - und scheint dabei gar nicht darüber nachzudenken, was sie selbst eigentlich möchte.

Ich konnte mich gut in Lulu hineinversetzen, weshalb mir der Roman, der zwar sehr viele Themen umfasst und auch phasenweise kürzer hätte gefasst werden können, trotzdem sehr gut gefallen hat. Er ist kein klassischer Liebesroman für zwischendurch, sondern der Teil einer Lebensgeschichte über Liebe, Familie, Freundschaft und Enttäuschungen, die das Leben bereithält - ein vielschichtiger, tiefgehender und ganz besonderer Roman, der zu keinem Zeitpunkt vorhersehbar ist.


Mittwoch, 1. März 2017

Buchrezension: Evelyn Holst & York Pijahn - Oh Boy, oh Girl!

Inhalt: 

Männer und Frauen krabbeln nebeneinander durch die Sandkiste, durchtorkeln Seite an Seite die Pubertät und stehen irgendwann in einer gemeinsamen Wohnung. Und dabei sind sie doch vor allem eines: unfassbar unterschiedlich. Sie küssen, essen, leben: anders. Sie fahren anders Auto und kaufen anders ein. Sie werden anders krank, trennen sich anders, werden anders alt. Sie wollen zueinander und bekommen es trotzdem oft nicht hin. Woran das liegt? In "Oh Boy, oh Girl" lassen sich eine Frau und ein Mann tief in die Karten schauen.

Rezension:

"Oh boy, oh girl" ist ein amüsantes Sachbuch, das die Unterschiede zwischen Mann und Frau aus der persönlichen Sicht von York Pijahn und Evelyn Holst darstellt. 

Die Kolumne von York Pijahn in der Zeitschrift Myself, "100 Zeilen Liebe", verfolge ich jeden Monat. Aufgrund seines Charmes und des selbstironischen Humors wollte ich ein ganzes Buch von Pijahn lesen. 

Die beiden Journalisten schildern in der "Gebrauchsanleitung für Männer und Frauen" ihre persönlichen Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht in 24 Kapiteln. So werden die unterschiedlichen Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen von "typischen" Männern bzw. Frauen von Kindesbeinen bis ins hohe Alter beschrieben

Dabei werden zahlreiche altbekannte Klischees bedient, wie shoppende Frauen, leidende Männer, unterschiedliche Ansichten in Sachen Hygiene im Haushalt etc., die dem Leser zwar keine neuen Informationen bieten, aber dennoch zum besseren Verständnis des anderen Geschlechts beitragen können, indem man vieles einfach nicht so ernst sehen darf. 
Jede Frau und jeder Mann wird sich selbst mit dem Buch bzw. den Partner oder Ex-Partner an der ein oder anderen Stelle wiederfinden und über sich selbst lachen können. 

Die recht unterhaltsame Darstellung der geschlechtsspezifischen Unterschiede wird am Ende eines jeden Kapitels durch Experteninterviews zum entsprechenden Thema ergänzt, so dass zur rein persönlichen Meinung von Pijahn und Holst auch wissenschaftliche Aspekte zum Tragen kommen. 

"Oh boy, oh girl" ist weniger als ernsthafter Ratgeber in Beziehungsfragen zu gebrauchen und enthält auch nichts wesentlich Neues, erklärt jedoch auf humorvolle Art den alltäglichen Kampf der Geschlechter und ist deshalb auch als Geschenkbuch für das andere Geschlecht zu empfehlen.

Die monatliche Kolumne von York Pijahn empfinde ich dennoch als pointierter und witziger als diese "Gebrauchsanleitung für Männer und Frauen".