Montag, 31. August 2020

Buchrezension: Karen Raney - Vielleicht auf einem anderen Stern

Inhalt:

Endlich ist Eves Leben genau so, wie sie es sich immer vorgestellt hat. Sie ist Kuratorin in einem Museum, hat einen liebevollen Partner an ihrer Seite und eine Tochter, die ihr das Wichtigste ist. Doch dann wird Maddy schwer krank. Hungrig nach Leben muss die Sechzehnjährige schnell erwachsen werden – und macht sich auf die Suche nach ihrem Vater, der von ihrer Existenz nichts weiß. Eve erkennt, dass sie Maddy immer vor allem beschützen wollte. Vieles hat sie ihr deshalb verschwiegen. Nun bricht sich das Ungesagte unaufhaltsam Bahn, und je weiter Maddy sich entfernt, desto klarer wird Eve, dass sie nicht alles in der Welt kontrollieren kann. 

Rezension: 

Maddy ist sechzehn Jahre alt, als sie an Blutkrebs erkrankt. Ihren Vater Antonio hat sie nie kennengelernt, da er ihre Mutter Eve noch vor ihrer Geburt verlassen hat. Eigentlich wollte sie sich mit achtzehn Jahren zusammen mit Eve auf die Suche nach ihrem Vater machen, aber nun befürchtet sie, dass ihr nicht mehr genügend Zeit bleiben könnte. Maddy kann Antonio ausfindig machen und kontaktiert ihn heimlich per E-Mail. 
Eve liebt ihre Tochter und wollte sie immer von allen Unwägbarkeiten beschützen. Sie ist geprägt von ihrer enttäuschenden Erfahrung mit Antonio und als Maddy nun erkrankt, sind ihr die Hände gebunden. Als sie von Maddys heimlichen Briefverkehr mit Antonio erfährt, begreift Eve, dass sie sich ihrer Vergangenheit stellen muss, um die Wut und Enttäuschung zu verarbeiten, denn durch Maddy wird Antonio stets ein Teil ihres Lebens sein. 

"Vielleicht auf einem anderen Stern" ist ein berührender Roman über eine intensive Mutter-Tochter-Beziehung. Neben ihren Eltern gab es für Eve immer nur ihre Tochter Maddy, auf die sich ihre ganze Liebe fokussierte. Als Maddy älter wird und sich die Sehnsucht nach ihrem Vater wieder zeigt und auch aufgrund ihrer schweren Erkrankung muss Eve lernen loszulassen. 
Der Roman ist abwechselnd aus der Perspektive von Eve und Maddy geschrieben. Während Eves Sicht in der Gegenwart handelt, stellen Maddys Schilderungen Rückblenden in die jüngste Vergangenheit dar. 
Auch wenn der Roman mit Krebserkrankung / Suche nach Vater keine wirklich neuen Themen bietet, greift er diese auf eine neuartige Weise auf und legt den Fokus auf andere als die gewohnten Aspekte. So handelt der Roman nicht von medizinischen Aspekten und verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten. Die Krankheit bildet nur den Rahmen der Handlung für Fragen nach dem Dasein, dem Gegensatz von Wissenschaft und Glauben, nach Gerechtigkeit und einer Sinnsuche. Natürlich geht es dabei aber auch um die Beziehungen der Menschen untereinander, um Vertrauen und Verrat, um Liebe, Trauer und Versöhnung. 
Es ist spannend zu lesen, wie unterschiedlich sowohl Maddy und Eve mit der Erkrankung umgehen und welchen Auswirkungen der Kontakt zu Antonio auf beide Frauen hat. 
Beide sind starke, authentische Charaktere, die nicht verzweifeln, sondern weitermachen und wie Maddy Antrieb in Kunst und Musik finden oder wie Eve sich nach langem Verdrängen ihrer Vergangenheit stellt. Die letzten Kapitel zogen sich dabei jedoch etwas in die Länge, waren dialoglastig, ohne dass ich das Gefühl hatte, dass Eve in Gesprächen mit Antonio, ihrem Freund Robin, Nachbarin Norma oder Kollegin Alison einen Schritt weitergekommen ist. 
Trotz der ernsten Themen ist der Roman nicht deprimierend, da er auch den Fokus auf den Zusammenhalt in der Familie legt, auf die enge Bindung von Eves zu ihren Eltern und Maddys zu ihren Großeltern. Durch die Auseinandersetzung mit Leben und Tod erfährt man zudem, wie man Hoffnung und Trost im spirituellen Glauben finden kann, aber wie auch Fakten aus der Wissenschaft in diesen Fragen Halten geben kann. 

"Vielleicht auf einem anderen Stern" ist ein Mutter-Tochter-Roman, der essentielle Fragen des Daseins behandelt und durch die unterschiedlichen Perspektiven von humorvoll, optimistisch über feinfühlig, traurig und verzweifelt bis hinzu trotzig alle Emotionen enthält und zeigt, wie man Kraft im Glauben, der Hoffnung und der Familie findet. 
Am Ende überwiegt ein positives Gefühl wie es auch der englische Titel des Romans "All the Water in the World" vermittelt:


"Alles Wasser in dieser Welt [...] Kann ein Schiff nicht zum Sinken bringen." (S. 410) 




Samstag, 29. August 2020

Buchrezension: Rebecca Martin - Das Kind der Wellen

Inhalt: 

Bei einem tragischen Unfall am Meer verlor Lisa ihre Tochter in den Fluten. Unfähig ihr altes Leben wieder aufzunehmen, kehrt sie an die Nordsee zurück. Im Ferienhaus der Familie ist noch alles so, wie sie es damals hinterließen. Mit der unerwarteten Hilfe von Schreiner Lars und seinem Sohn dem Arktisforscher Jonas beginnt sie zu renovieren - und findet unter den alten Holzdielen die Notizen zu einem Märchen über eine Meerjungfrau. Der Verdacht, dass dieses auf realen Begebenheiten beruht, lässt die drei nicht los. Im alten Zeitungsarchiv lesen sie von einer blutjungen Frau, die 1920 ihr Kind am Strand verlor. War es ein Unfall oder Mord, wie die Leute damals behaupteten? Auf den Spuren der Meerjungfrau muss sich Lisa ihren verworrenen Gefühlen und dem eigenen Verlust stellen. 

Rezension: 

2018: Während eines Urlaubs in ihrem Ferienhaus an der Nordseeküste ist die dreijährige Millie ums Leben gekommen, als ihre Mutter Lisa sie für einen Augenblick aus den Augen verloren hat. Lisa gibt sich ihrer Trauer hin und zieht sich vor ihrem Ehemann und ihren beiden Söhnen zurück. Die Familie zerbricht an dem Unglück. Um den Tod Millies zu verarbeiten kehrt Lisa ein Jahr später in das Ferienhaus an der Nordsee zurück, das sie wegen eines Wasserschadens zusammen mit dem ortsansässigen Schreiner Lars und seinem Sohn Jonas renoviert. Dabei findet sie Zeichnungen und Fragmente eines Märchens über eine Meerjungfrau. Die Bilder zeigen den Teil des Strandes, an dem Millie verschwand und das Märchen handelt von einem verlorenen Kind, weshalb Lisa neugierig wird und nachforscht, wer Urheber der Zeichnungen und des Märchen ist. 
1919/1920: Nach Ende des Ersten Weltkriegs ist Mainz von den Franzosen besetzt. Der junge Marokkaner Jamal ist dort als Übersetzer stationiert und lernt Victoria Schwayer kennen. Die beiden treffen sich heimlich und verlieben sich ineinander. Ihre Liebe ist nicht standesgemäß und als Vicky ungewollt schwanger wird, wird sie von ihren Eltern nach Nordfriesland geschickt, um die Schande zu verbergen. Vicky vermisst Jamal und möchte das Kind trotz aller Widerstände behalten. 

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen, in der Vergangenheit in den Jahren 1919/1920 und in der Gegenwart 100 Jahre später. Die Vergangenheit handelt von einer berührenden Geschichte über eine Liebe, die nicht sein durfte und über eine Zeit der Besatzung, in der die Deutschen unter der Kriegsschuld leiden und alles Fremde ablehnen. Victoria, die aus gutem Hause stammt, aber auch das Stubenmädchen Ilse sind authentisch geschildert. Ihre Gedanken und Gefühle nachvollziehbar, was die beiden jungen Frauen nahbar macht. Während man bei Ilse Neid und Eifersucht auf ihre Herrin spürt, ist Victoria - wenn auch etwas naiv - ein durchweg sympathischer Charakter. In der Gegenwart kann man sich durch die emotionalen Schilderungen auch gut in Lisa hineinversetzen und Mitgefühl für ihr Schicksal empfinden. Dennoch fällt es schwerer sie zu mögen, da sie in ihrer blinden Trauer egoistisch handelt und nicht nur ihre Söhne vernachlässigt, sondern auch ihren Ehemann linksliegen lässt. 

Die beiden Zeitebenen werden durch die Parallelen von Gegenwart und Vergangenheit miteinander verknüpft. Während die Vergangenheit jedoch wenig Überraschungen enthielt und sich erwartungsgemäß entwickelte, kam in der Gegenwart durch das rätselhafte Märchen etwas mehr Spannung auf, die jedoch durch die parallel verlaufende Vergangenheit wieder zunichte gemacht wurde. Auch die verschiedenen Perspektivwechsel, die nicht nur Einblicke in die Köpfe von Lisa und Vicky brachten, gaben letztlich zu viel preis.  
"Das Kind der Wellen" ist eine schicksalhafte Geschichte über Trauer und Mutterliebe. Aufgrund des Klappentextes hatte ich mir jedoch mehr Spannung und eine mitreißendere Verknüpfung von Gegenwart und Vergangenheit erwartet. 



Freitag, 28. August 2020

Buchrezension: Tom Barbash - Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens

Inhalt: 

Dieser Roman ist eine Hommage an das New York der späten Siebzigerjahre: das Showbusiness boomt, die Hochzeit des Fernsehens ist angebrochen, die Kennedys kämpfen erneut um den Posten des Präsidenten der Vereinigten Staaten und Yoko Ono wird weiterhin für das Aus der Beatles verantwortlich gemacht. Mittendrin: Familie Winter. Wir schreiben das Jahr 1979 in New York City, als der 23-jährige Anton Winter zurück vom Freiwilligendienst in Afrika wieder nach Hause ins berüchtigte New Yorker Dakota Building zieht. Antons Vater ist der berühmte Late-Night-Show-Moderator Buddy Winter. Er hatte erst kürzlich einen Zusammenbruch live im Fernsehen erlitten, jetzt soll Anton seinem Vater wieder auf die Beine helfen, genauer gesagt: seiner Karriere. Eine Mission, bei der ihm solch illustre Persönlichkeiten wie Johnny Carson, Ted und Joan Kennedy – allesamt Bekannte der Winters – helfen könnten. Doch der größte Hoffnungsträger für Anton ist Nachbar und Freund John Lennon, denn mit einem Comeback der Beatles in Buddys neuer Show würden die Einschaltquoten durch die Decke gehen. Je mehr Anton jedoch in die berufliche und spirituelle Neuerfindung seines Vaters involviert wird, desto mehr stellt er seinen eigenen Weg infrage. 

Rezension: 

Wegen einer Malaria-Erkrankung muss der 23-jährige Anton Winter seinen Freiwilligeneinsatz in Gabun abbrechen und kehrt im Herbst 1979 wieder zurück in seine Heimat New York City. Sein Vater ist der bekannte Showmoderator Buddy Winter, der sich gerade nach einem Zusammenbruch vor laufender Kamera in der Apartmentanlage Dakota in der Upper Westside erholt. Anton, der beruflich eigentlich eigene Wege gehen wollte, sieht sich wieder in der Pflicht, seinem Vater auf die Beine zu helfen und seine Karriere wieder anzukurbeln. In Dakota wohnen bekannte Persönlichkeiten wie John Lennon, zu dem Anton auf einem Segelturn auf die Bahamas Freundschaft schließt. Während Lennon nach einer Schaffenskrise auf der Reise wieder zu komponieren beginnt, motiviert er Anton dazu, seinen Vater zu unterstützen und so erhält Buddy Winter schon bald wieder seine eigene Freitagabend-Show. 

"Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens" schildert eindrücklich den Zeitgeist 1979/ 1980 in New York, als Fernsehshows noch boomten, Groupies Prominenten nacheiferten, die Vorwahlen zu den Präsidentschaftswahlen in vollem Gang waren und Yoko Ono immer noch beschuldigt wurde, die Beatles auseinandergetrieben zu haben. 
Zusammen mit Anton und seinem berühmten Vater Buddy Winter begegnet man vielen weiteren bekannten Showgrößen, Schauspielern und Politikern der damaligen Zeit. 

Es ist eine fiktive Geschichte über eine Vater-Sohn-Beziehung, die reale Figuren miteinbettet und einige historische Ereignisse wie die Olympischen Winterspiele oder die Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran/ Iran schildert, die auch die Winters bewegen. 
 Die vielen verschiedenen Ereignisse, die episodenhaft erzählt werden sowie die große Anzahl an Personen, die Anton und Buddy begegnen, sorgen dafür, dass die Geschichte um die Beziehung Antons zu seinem Vater und sowie Antons Sinnsuche und sein Wunsch nach Eigenständigkeit und nicht mehr nur im Schatten seines Vaters wirken zu müssen, zu wenig Raum erhält und nur oberflächlich bleibt. 
Das Buch handelt vom Erwachsenwerden, von Selbstfindung und von der Abnabelung vom Elternhaus, das vor allem zu Beginn eher melancholisch geschildert war, jedoch auch humorvolle Szenen beinhaltete. Der Tod John Lennons ist für die Protagonisten ein Schock und beendet den Roman sehr abrupt. 
Es ist eine anschauliche Zeitreise in die Jahre 1979/1980 und vor allem auch für diejenigen interessant, die sich für die Beatles und John Lennon interessieren, die Familiengeschichte gerät dabei allerdings in den Hintergrund.  



Mittwoch, 26. August 2020

Buchrezension: Kate Elizabeth Russell - Meine dunkle Vanessa

Inhalt: 

Vanessa ist gerade fünfzehn, als sie das erste Mal mit ihrem Englisch-Lehrer schläft. Jacob Strane ist der einzige Mensch, der sie wirklich versteht. Und Vanessa ist sich sicher: Es ist Liebe. Alles geschieht mit ihrem Einverständnis. Fast zwanzig Jahre später wird Strane von einer anderen ehemaligen Schülerin wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt. Taylor kontaktiert Vanessa und bittet sie um Unterstützung. Das zwingt Vanessa zu einer erbarmungslosen Entscheidung: Stillschweigen bewahren oder ihrer Beziehung zu Strane auf den Grund gehen. Doch kann es ihr wirklich gelingen, ihre eigene Geschichte umzudeuten – war auch sie nur Stranes Opfer? 

Rezension: 

Mit 15 Jahren wechselt Vanessa Wye dank eines Stipendiums auf ein Internat, wo sie auf einen Englisch-Lehrer trifft, der von ihren Aufsätzen begeistert ist. Jacob Strane ist 27 Jahre älter als sie, wird zudringlich und Vanessa wehrt sich nicht dagegen. Ihr gefällt nicht alles, was er mit ihr macht, aber sie genießt seine Aufmerksamkeit und fühlt sich geliebt. Als Gerüchte über die ungleiche Beziehung entstehen, muss Vanessa die Schule verlassen, während Strane ungestraft davonkommt. 
16 Jahre später wird Strane von einer anderen ehemaligen Schülerin wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt. Diese wusste von der Beziehung Vanessas zu Strane und bittet sie um Unterstützung, um gegen Strane vorzugehen. Vanessa überdenkt daraufhin ihre damalige Verbindung zu ihrem Lehrer und steht vor einem Dilemma. Einerseits sieht sie sich als Opfer, andererseits kann sie den Gedanken des sexuellen Missbrauchs jedoch nicht einräumen, schließlich hat sie doch allen Handlungen Stranes zugestimmt. 

"Meine dunkle Vanessa" ist ein Roman über die sexuelle Beziehung eines erwachsenen Lehrers zu seiner minderjährigen Schülerin und den Folgen, die sich für das weitere Leben der Misshandelten ergeben. 
Die Geschichte ist aus der Perspektive von Vanessa im Alter von 15 bzw. 16 Jahren und aus ihrer Sicht als Erwachsenen geschildert. Er handelt im Jahr 2017, als Vanessa von Taylor kontaktiert wird und stellt in Rückblenden in die Jahre 2000 bis 2007 die "Liebesbeziehung" dar. Vanessa schildert ihre Erfahrungen nüchtern, fast emotionslos. Sie möchte die Erlebnisse, die sie als junges Mädchen gemacht hat, offenbar nicht an sich heranlassen, versucht sie vor dem Stigma der missbrauchten und vergewaltigten Schülerin zu schützen. Als Charakter wirkt sie damit sehr authentisch. Ihr Trauma, das sie in den vergangenen Jahren verdrängt hat, ist nachvollziehbar und erschütternd geschildert. Wie sie immer wieder versucht, ihren Peiniger in Schutz zu nehmen, ist aus ihrer Sicht aufgrund ihrer Liebesbedürftigkeit logisch, objektiv betrachtet jedoch widerwärtig. 
Während Vanessa in ihrem Zwiespalt aus Opfer und (Mit-)schuldiger sehr nahbar wird, bleibt Strane als Täter und seine Motivation sowie seine Reaktion auf die Anschuldigungen undurchsichtig und vage. 
Es ist ein Roman, der die #Metoo-Debatte aus der Sicht eines unschuldigen Opfers aufgreift und zeigt, wie lange die Auswirkungen eines solchen Missbrauchs nachhallen. Es ist ein Buch, das die Frage nach Zustimmung und Mitschuld anschaulich darstellt und die Problematik von einer jugendlichen Schwärmerei für einen Lehrer, hin zu einem Abhängigkeitsverhältnis bis hin zu strafbaren Übergriffen eindrücklich schildert.   



Montag, 24. August 2020

Buchrezension: Lisa Kirsch - Das Glück in vollen Zügen

Inhalt: 

Marie liebt ihr Leben im kleinen Bauwagen am Ammersee. Aber ihren Traumjob in München würde sie nie aufgeben. Deshalb pendelt sie. Alles kein Problem, wenn da nicht die ständigen Bahn-Verspätungen und die Marotten ihrer Mitreisenden wären. Besonders der Benzin-Neandertaler, der immer lautstark mit seinen BMW-Kollegen telefoniert, geht ihr auf den Senkel. Schade, denn er sieht verdammt gut aus.
Der angebliche Benzin-Neandertaler heißt Johannes und findet Marie eigentlich ganz süß, traut sich aber nicht, sie anzusprechen. Wie hat man das nur vor Tinder gemacht? Dann ist Marie eines Tages nicht mehr im Zug, und Johannes merkt: Er will sie unbedingt wiedersehen. 


Rezension: 

Nachdem Tod ihres Vaters ist Marie wieder zu ihrer Mutter nach Herrsching gezogen und wohnt dort auf ihrem Grundstück am Ammersee mit Hündin Dexter in einem Bauwagen. Sie fühlt sich dort wohl, genießt ihre Freiheit und pendelt jeden Tag mit der S8 nach München. 

Johannes wohnt bei seinem Vater, der an Alzheimer erkrankt ist und kümmert sich rührend um den 72-Jährigen. Als Horst immer weiter abbaut, ist Johannes, der bei BMW in München arbeitet, mit der Situation bald überfordert. 
In der S-Bahn ist ihm die unkonventionelle Marie schon länger aufgefallen, er hat sich jedoch noch nicht getraut, sie direkt anzusprechen. Stattdessen hofft er, sie über eine der
Singlebörsen-Apps kennenzulernen, seitdem er erfahren hat, dass Marie dort angemeldet ist. 

"Das Glück in vollen Zügen" ist ein unterhaltsames Buch, das man auch gut in der Bahn lesen kann, denn den überwiegenden Teil der Handlung halten sich die beiden Protagonisten Marie und Johannes tatsächlich in der S-Bahn auf, mit der sie täglich morgens zur Arbeit pendeln. Sie beobachten sich klammheimlich gegenseitig und belauschen neugierig die jeweiligen Handygespräche, sprechen sich jedoch nicht an. Dafür sind sie auch mit ihren Gedanken, ihren Chats und Telefonate viel zu sehr beschäftigt. 
Statt der im Klappentext angekündigten Liebesgeschichte steht vielmehr das Privatleben der beiden im Vordergrund, das bei beiden problembehaftet ist. Während Marie selbst an einer chronischen Krankheit leidet, die ihr Sorgen bereitet und die sich auch davon abhält ernsthafte Beziehungen einzugehen, leidet Johannes unter der enormen Verantwortung für seinen Vater, die auch ihm kaum Zeit und Nerven lässt, eine Frau kennenzulernen. 

Der Roman ist kapitelweise abwechselnd aus der Sicht von Marie oder Johannes geschrieben, was einen guten Einblick in beider Leben und ihre Gefühlswelt bietet. Ich konnte mich sowohl in Marie als auch in Johannes hineinversetzen und ihre jeweiligen  Sorgen nachvollziehen. Trotz der ernsthaften Themen, die die beiden beschäftigen, liest sich das Buch aber nicht schwermütig. Es ist eine sommerliche, durch den Perspektivwechsel und die ganz unterschiedlichen Leben der Protagonisten abwechslungsreiche Lektüre. Die Geschichten der beiden laufen jedoch sehr lange parallel, so dass man sich keine allzu romantische Liebesgeschichte erwarten darf. Emotionen -sowohl unbeschwert fröhliche als auch nachdenklich traurige - gibt es jedoch dennoch genug durch das turbulente Privatleben beider Figuren. Und nach unzähligen verpassten Chancen - ob in der S-Bahn, am Eisbach in München, im Yoga-Studio oder im Supermarkt in Herrsching - am Ende kommt es dann doch etwas übereilt zum absehbaren Happy End. 






Sonntag, 23. August 2020

Buchrezension: Meg Mitchell Moore - Wir, im Sommer

Inhalt: 

Die alleinerziehende Bäckerin Joy betreibt auf Block Island ihr eigenes kleines Café. Die Frauen der Insel bewundern sie, weil sie es geschafft hat, sich und ihrer Tochter hier ein neues Leben aufzubauen. Doch insgeheim ist Joy am Ende mit ihren Kräften. Dann bekommt ihr Café auch noch unerwartet Konkurrenz, und ihre Tochter scheint sich immer mehr von ihr zu entfremden. Als sie Anthony begegnet, der den Sommer in einem Strandhaus auf Block Island verbringt, kehrt endlich ein wenig Leichtigkeit in Joys Leben zurück. Nur warum wird sie das Gefühl nicht los, dass auch Anthony ein Geheimnis verbirgt? 

Rezension: 

Joy Sousa ist alleinerziehende Mutter und lebt seit elf Jahren auf Block Island, wo sie Inhaberin eines Cafés für Whoopie Pies ist. Eines Sommers bekommt sie Konkurrenz einer New Yorker Kette, die mit einem Foodtruck erfolgreich Kunden auf der kleinen Insel mit Macarons anlockt.  
In diesem Sommer kommt Anthony Puckett nach Block Island, um sich eine Auszeit zu nehmen, nachdem er nach einem erfolgreich veröffentlichtem Roman bei seinem zweiten Buch des Plagiats bezichtigt und von seiner Ehefrau verlassen wurde. 
Lu Trusdale wohnt mit ihrem Mann und zwei Söhnen auf Block Island, ist vorgeblich Hausfrau und Mutter, betreibt jedoch einen Food-Blog, der zunehmend erfolgreicher wurde, so dass sie inzwischen ihr eigenes Geld damit verdient. Vor ihrem Mann, der sich ein drittes Kind wünscht, verheimlicht sie ihr "Hobby". 
Alle drei lernen sich in diesem Sommer kennen, der für jeden von ihnen mit einschneidenden Veränderungen verbunden ist. 

Der Roman ist abwechselnd aus der Perspektive der drei Protagonisten und Joys Tochter Maggie geschrieben. Jeder von ihnen hat mit anderen familiären und beruflichen Schwierigkeiten zu kämpfen, die sie zum Teil durch lose Freundschaftsbande gemeinsam bewältigen können. 
Es ist ein Buch über Emanzipation, über Liebe, Freundschaft und Solidarität, das sich leicht liest, durch die Probleme der einzelnen jedoch keine oberflächliche Urlaubslektüre ist, sondern ausreichend Tiefe erhält. Die Charaktere sind authentisch gezeichnet und es ist anschaulich dargestellt, wie ihre Leben zunächst parallel verlaufen und jeder auf sich allein gestellt ist, bevor sich ihre Leben auf der Insel kreuzen und verknüpfen. 
Am Ende überschlagen sich die Ereignisse im Vergleich zum sonst eher gemächlichen Verlauf der Geschichte und manches Problem wird deshalb letztlich etwas kurz gefasst und zu leicht gelöst. Dennoch habe ich mich mit den sympathischen Protagonisten auf der Rhode Island vorgelagerten kleinen Insel sehr wohl gefühlt. 



Samstag, 22. August 2020

Buchrezension: Christina Pishiris - This Is (Not) a Love Song

Inhalt:

Neben der Musik gab es für Zoë immer nur eine Liebe: Simon, ihren besten Freund. Aber bevor sie es ihm sagen konnte, zog er weg – und Zoë blieb wie eine zerkratzte Schallplatte an ihren Gefühlen hängen. Nun ist Simon wieder in London – frisch geschieden und so liebenswert wie einst. Doch ständig kommen Zoë der unausstehliche PR-Manager Nick, ihre hochzeitsbesessene Familie oder die Big Fat Greek Wedding ihres Bruders in die Quere. Und je schwieriger es für Zoë und Simon wird, desto mehr gilt: „Love Is All Around“. 

Rezension: 

Zoë Frixos ist Chefredakteurin eines Musikmagazins in London. "Re:Sound" hat mit sinkenden Absatzzahlen und Werbeanzeigen zu kämpfen, weshalb dringend eine verkaufsfördernde Story auf das Cover muss. Zoë möchte deshalb unbedingt ihr Musikidol Marcie Tyler interviewen, doch die verweigert sich gegenüber der Presse. Mit ihrem PR-Agenten Nick Jones kann Zoë jedoch einen Deal aushandeln. Sie soll einen Verriss des neuen Albums der Boygroup Hands Down geraderücken und Sänger Jonny Delaney interviewen, um dann das erhoffte Interview mit Marcie Tyler führen zu können. Dies gestaltet sich allerdings nicht so einfach wie gedacht, zumal Zoë des Öfteren mit Nick aneinandergerät. 
Ein privater Lichtblick ist Simon, Zoës Freund aus ihrer Jugend, der vor zwanzig Jahren wegziehen musste und nun - frisch geschieden - wieder in London ist. Sie schwärmt nach wie vor für Simon und hofft, dass sie sich als Erwachsene nun endlich näherkommen. 

"This is (not) a Love Song" ist ein lebendiger, unterhaltsamer Roman über eine 34-jährige Frau, die Zeit ihres Lebens ihrer Jugendliebe hinterhertrauerte, deshalb nicht bereit war, andere Beziehungen einzugehen und sich stattdessen auf ihre Karriere konzentriert hat. Als ihr Jugendfreund dann überraschend nach all den Jahren wieder zurück in England ist, sind Zoës Gefühle für ihn sofort wieder da, jedoch sieht sie sich plötzlich damit konfrontiert, zwischen zwei Männern zu stehen - und das Gefühlschaos ist perfekt. 

Neben dem typischen Hin und Her einer Liebesgeschichte handelt der Roman von den beruflichen Problemen Zoës und der fraglichen Zukunft des Musikmagazins, das ihr, sowie die Mitarbeiter, am Herzen liegt. Sie möchte nicht aufgeben und versucht mit allen Mitteln, die Verkaufszahlen durch ein Interview mit der medienscheuen Musiklegende Marcie Tyler zu steigern. 

Die einzelnen Kapitel sind zur Geschichte passend mit bekannten Musiktiteln überschrieben, spielen jedoch inhaltlich keine Rolle. Aufgrund des Titels und der Aufmachung des Romans hatte ich mir einen stärkeren Bezug zur Musik und einen tieferen Einblick in die Musikbranche gewünscht. So bleibt die Handlung, wie auch die Charaktere, an der Oberfläche. 

Es ist eine turbulente Liebeskomödie, die sich zwar nicht überraschend entwickelt, jedoch dennoch unterhaltsam geschrieben ist, auch wenn insbesondere durch die vielen alkohollastigen Feierabende Längen auftreten. Am Ende darf man gespannt sein, ob Zoë ihren Mr Right findet und ob sie das Musikmagazin rette kann, das ihr bisheriges Leben ausmachte. 




Freitag, 21. August 2020

Buchrezension: Isolde Peter - Der halbe Russ

Inhalt: 

In München steht ein Hofbräuhaus, davor liegt ein Mann, der schaut betrunken aus … Ist er aber nicht, wie eine resolute Passantin feststellt, als sie die vermeintliche Alkohol-Leiche freundlich anstupst: Der Straßenmusiker Oleg Wodka ist ganz und gar tot, und auf natürliche Weise ist er nicht gestorben.
Weil Olegs Straßenmusiker-Kollegen der Polizei gegenüber äußerst maulfaul sind, hat der junge Kripo-Beamte Sepp Leutner schließlich eine geniale Idee: Seine gute Bekannte Daisy Dollinger – Sekretärin der Münchner Staatsanwaltschaft und weder auf den Kopf noch auf den Mund gefallen –, spielt Akkordeon, und ein Dirndl besitzt sie auch. Ehe sie sich's versieht, befindet sich Daisy nebst Dackel Wastl als Straßenmusikerin auf ihrem ersten Undercover-Einsatz. 

Rezension: 

Desirée Dollinger ist Sekretärin bei der Staatsanwaltschaft in München, wird jedoch aktiv in die Ermittlungen in einem Mordfall involviert, als ein russischer Straßenmusiker in München tot aufgefunden wird. Daisy, ihres Zeichens Hobby-Akkordeonspielerin, soll undercover in der Straßenmusikerszene versuchen an Informationen zu gelangen, nachdem Kriminalkommissar Sepp Leutner bisher wenig erfolgreich war. Nach einem Kontakt mit Straßenmusiker Igor, der im Gespräch mit Daisy ihren Heimatort Dachselkofen erwähnte, stirbt auch dieser und Daisy fühlt sich daraufhin selbst nicht mehr sicher. Der Fall lässt sie nicht los und so begibt sie sich zu ihrer Familie im Bayerischen Wald, um herauszufinden, welche Verbindungen es zwischen den Mordopfern und ihrem Heimatdorf geben könnte. 
In Dachselkofen trifft sie nicht nur auf ihren Vater, den pensionierten Kriminaloberkommissar Blochner, der dann plötzlich verschwindet, sondern auch auf ihren Jugendschwarm Vinzenz, der die verheiratete Daisy durcheinanderbringt. 

"Der halbe Russ" ist ein Kriminalroman mit viel Lokalkolorit und bayerischem Charme, der abwechslungsreich, mitunter aber auch etwas sprunghaft geschrieben ist. Sekretärin Daisy Dollinger gerät dabei in die Ermittlungen der Münchner Polizei und ist durch die Vergangenheit ihres Vaters letztlich sogar familiär betroffen. 

Die Autorin setzt auf schrullige Charaktere, skurrile Situationen und humorvolle Dialoge. Der Mordfall an sich weiß jedoch wenig zu fesseln und auch die Verbrecherjagd ist nicht wirklich spannend, unterhält allenfalls durch den dörflichen Charakter in Dachselkofen und die bayerische Lebensart. 
Bis auf den Undercover-Einsatz zu Beginn des Romans hat Daisy Dollinger keine wirklich aktive Rollen, sondern gerät mehr unbeabsichtigt in die Verbrechensaufklärung hinein und bringt sich dabei selbst in Gefahr. 
Dackeldame Wastl ist nichts weiter als schmückendes Beiwerk und wirkt mit der wiederholten Beschreibung des Beinchenhebens eher als Seitenfüller als wesentlich für den Roman oder gar die laufenden Ermittlungen. Dabei hätte sich ein Hund schon per se als Spürnase angeboten. 

"Der halbe Russ" ist der Auftakt einer Regional-Krimi-Reihe um Daisy Dollinger, der mich aber aufgrund des eher lahmen Kriminalfalls nur bedingt neugierig auf die weiteren Teile machen konnte. 



Mittwoch, 19. August 2020

Buchrezension: Caroline Corcoran - Die Nachbarin

Inhalt: 

In Lexies Leben scheint alles perfekt: Sie liebt ihren Freund Tom, die beiden planen eine Familie, und sie wohnen in einem eleganten Apartment mitten in London, das keine Wünsche offen lässt. Doch Lexies Idylle trügt. Wenn sie allein ist, lauscht sie den Geräuschen aus der Nachbarwohnung. Und stellt sich dabei das mondäne Leben ihrer Nachbarin vor. 
Harriet führt ein ausschweifendes Leben voller wilder Partys, ihr Leben ist ein Abenteuer. Nur selten gesteht sie sich ein, wie unglücklich sie in Wahrheit ist. Sie wünscht sich einen Freund wie Tom. Sie möchte das Leben ihrer Nachbarin Lexie. Und sie ist bereit, alles zu tun, damit dieses Leben ihr gehört. 

Rezension: 

Lexie und Harrie wohnen in London Tür an Tür in einem anonymen Mehrfamilienhaus und kennen sich bisher nicht persönlich. 
Lexie ist mit Tom verheiratet und versucht nach einer erlittenen Fehlgeburt vergeblich schwanger zu werden. Sie ist unzufrieden, verzweifelt und ihr ganzes Dasein dreht sich nur noch um den unerfüllten Kinderwunsch. 
Harriet, die vor Kurzem von ihrem Freund Luke verlassen wurde, beneidet Lexie um ihr Leben mit Tom und versucht alles, um ihn für sich zu gewinnen. 

Der Roman ist abwechselnd aus der Perspektive von Lexie und Harriet geschrieben, so dass man tief in die Seelen der beiden Frauen blicken kann. Beide sind mit ihrem Leben denkbar unzufrieden und haben jeweils den Eindruck, dass es der anderen hinter der Wand um ein Vielfaches besser geht. Sie sind klammheimlich neidisch, missgünstig und bemitleiden sich vor allem selbst. Auf den Leser wirken sie damit unsympathisch, was für einen Thriller nichts ungewöhnliches ist, ihre Leben, Denkweisen und Handlungen konnten mich jedoch nicht fesseln. Ich empfand ihr Selbstmitleid, das sich aber der ersten Seite durch die gesamte Geschichte zieht weder interessant noch bemitleidenswert, dafür anstrengend und eintönig. Ein Nervenkitzel kam leider nur auf den allerletzten Seiten auf, als Harriet und Lexie endlich persönlich aufeinander trafen. 

"Die Nachbarin" ist ein Buch über Neid, Eifersucht, Stalking und psychisch labile Persönlichkeiten, das mir zu eintönig und langweilig war. Mir rückte Lexie und ihr unerfüllter Kinderwunsch und die medizinische Therapie im Vergleich zur tragischen Person Harriet zu sehr in den Vordergrund, so dass aus dem Psychothriller ein zu einseitiges Drama wurde. 



Montag, 17. August 2020

Buchrezension: Sue Monk Kidd - Das Buch Ana

Inhalt: 

Mein Name ist Ana. Ich war die Frau von Jesus aus Nazareth.
So beginnt der lange erwartete neue Roman von Bestsellerautorin Sue Monk Kidd. Es ist die fiktive Lebensgeschichte von Ana, der Gefährtin Jesu. Die Erzählung setzt im Jahr 16 nach Christus ein, im von den Römern besetzten Galiläa. Dort wächst Ana in einer wohlhabenden jüdischen Familie auf. Sie ist ein kluges Mädchen mit rebellischem Geist und messerscharfem Verstand. Ana lernt Lesen und Schreiben, studiert die Thora und beginnt heimlich die Geschichten der vergessenen Frauen der Heiligen Schrift aufzuzeichnen: Eva, Sarah, Rebecca, Rachel und Ruth. Als Ana vierzehn ist, soll sie an einen alten Witwer verheiratet werden, doch sie lernt auf dem Markt einen jungen Mann mit dunklen Locken und einer großen Sehnsucht in den Augen kennen, der ihre wahre Bestimmung wird.


Rezension: 

Ana soll im Alter von vierzehn Jahren mit dem deutlich älteren Witwer Nathaniel verheiratet werden. Sie versucht sich dagegen zu wehren, denn Ana, die lesen und schreiben gelernt hat, möchte wie ihr Vater Schriftgelehrte werden und sich keinesfalls einem Mann unterordnen müssen. Noch vor der Vermählung stirbt Nathaniel plötzlich und Ana ist daraufhin als verwitwete Verlobte gebrandmarkt. Zudem herrschen Gerüchte in Sepphoris, dass Ana sich unzüchtig verhalten hat. Auf dem Marktplatz wird sie sogar tätlich angegriffen, als sie aus Wut auf den Tetrarchen, der sie als Konkubine in seinen Haushalt aufnehmen wollte, ein Elfenbeinblatt stahl. Jesus ben Joseph, für den sie seit einer ersten Begegnung schwärmte, rettet Ana vor der Steinigung und heiratet sie wenig später. Ana verzichtet damit auf den Reichtum ihrer Familie und zieht zusammen mit ihrer liberalen Tante Yaltha, die ihr stets eine Stütze war, zu Jesus' Familie nach Nazareth. Dort lernt Ana, was es bedeutet in Armut zu leben und was körperliche Arbeit ist. Jesus, der seit einer Offenbarung auf der Suche nach Gott als seinen Wegweiser ist, schließt sich dem Prediger Johannes an und lässt Ana allein zurück. Ana verliert sich wieder in ihren Schriftrollen, die sie von zu Hause mitgebracht hatte und träumt selbst davon, eine Stimme zu sein. Als Johannes verhaftet wird, wird Jesus Kopf seiner Bewegung und geht mit seinen Jüngern davon, um die Menschen davon zu überzeugen, dass das Reich Gottes nah ist. Jesus wird schon bald als Messias gefeiert, begibt sich damit jedoch in die Gefahr der Verfolgung durch Herodes, während Ana nach Alexandria fliehen. 

"Das Buch Ana" ist die Stimme Anas, der Gefährtin von Jesus aus Nazareth. Sie war ihrer Zeit weit voraus, hat sich über alle Konventionen hinweg gesetzt und die typische Rolle der Frau abgelehnt. Sie wollte sich nicht darauf reduzieren lassen, treusorgende Ehefrau zu sein und Kinder zu gebären, sondern sich weiterbilden, in der Bibel forschen und die Aufmerksamkeit auf alle darin enthaltene Frauenschicksale lenken. 
Ana ist eine mutige Frau, ein starker Charakter mit einem einnehmenden Wesen, so dass Jesus in der fiktiven Geschichte zu einer Randfigur wird. Auch wenn Jesus nicht oft anwesend ist, da er als Wanderarbeiter für die Familie sorgt, unterstützt er Ana indirekt, indem er ihr vertrauensvoll alle Freiheiten lässt. 

Die Geschichte Anas ist eine fiktive Geschichte, der jedoch profunde historische Recherchen zugrunde liegen. Es geht nicht um den christlichen Glauben und darum Jesus' Wirken oder seine Wunder darzustellen oder die Frage zu klären, ob es sich bei ihm um Gottes Sohn handelt, sondern um Ana und ihre Emanzipationsbestrebungen. Jesus ist schlicht ein einfacher, gottesfürchtiger Mann, der sich mit einem großen Herz für die Armen und Entrechteten einsetzt. 

Das Buch ist mitreißend geschrieben, da die Geschichte, eingewoben in die Fakten, so lebendig dargestellt wird. Ana ist eine authentische Figur, eine Rebellin in einer patriarchalen Gesellschaft, in deren Emotionen man sich hineinfühlen und ihre Sehnsüchte und Ambitionen nachvollziehen kann. Es ist spannend, ihren Weg zu verfolgen, der sie immer neuen Gefahren aussetzt. denen sie sich furchtlos stellt. Sie widersetzt sich allen Regeln und Gepflogenheiten der damaligen Zeit, um sich Gehör zu verschaffen. Sie möchte kein totgeschwiegenes Frauenschicksal sein, wie sie sie aus der Bibel kennt, sondern der Nachwelt etwas von sich hinterlassen. 

Der Roman berührt, fesselt und begeistert und ist trotz der Zeit vor 2000 Jahren, in der er handelt, aufgrund der Thematik nach wie vor aktuell. Er löst nicht das Mysterium, ob es die Ehefrau Ana wirklich gegeben hat, erweckt die Figur jedoch so zum Leben, dass ihre Existenz durchaus möglich gewesen ist und nicht abwegig ist, dass sie aufgrund ihrer unerbittlichen emanzipatorischen Haltung aus Geschichtsbüchern herausgeschrieben wurde oder ihr zumindest nicht die von ihr sehnsüchtig erhoffte Stimme gegeben wurde. 



Sonntag, 9. August 2020

Buchrezension: Emma Rowley - Ein gutes Mädchen

Inhalt: 

Auch zwei Jahre nach dem plötzlichen Verschwinden ihrer 16-jährigen Tochter Sophie hat Kate Harlow die Suche nach Antworten nicht aufgegeben. Zwar hat die Polizei Sophie wegen einer entsprechenden Notiz des Mädchens recht schnell als Ausreißerin eingestuft, doch Kate kann sich einfach nicht vorstellen, weshalb ihre Tochter hätte weglaufen sollen.
Seitdem arbeitet Kate bei einer Hotline für Ausreißer – wo sie eines Nachts einen erschütternden Anruf erhält: "Ich war nie weg", sagt eine Mädchen-Stimme, dann wird aufgelegt. War es tatsächlich Sophie? Fieberhaft geht Kate erneut alle Unterlagen durch, nimmt Kontakt zu Sophies alten Freunden auf – und entdeckt schließlich etwas, dass das Verschwinden ihrer Tochter und ihre idyllische Kleinstadt-Nachbarschaft in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt. 


Rezension: 

Vor zwei Jahren ist die 16-jährige Sophie Harlow verschwunden. Sie hat einen Abschiedsbrief hinterlassen und in unregelmäßigen Abständen kommen Postkarten mit ihrer Handschrift an die Adresse ihrer Eltern, die mitteilen, dass es ihr gut geht und dass sich ihre Eltern keine Sorgen machen sollen. Die Polizei stuft den Fall deshalb nicht als Verbrechen ein und hat die Ermittlungen eingestellt. Kate glaubte nicht, dass ihre Tochter einfach so ausgerissen ist; die Ehe der Eltern ist an dem Unglück zerbrochen. 
Kate arbeitet inzwischen bei der "Flaschenpost"-Hotline, einer gemeinnützigen Organisation für Ausreißer und Angehörige von vermissten Personen. In einer Nachtschicht erhält Kate einen Anruf - es ist Sophie, die sich abermals meldet, um zu sagen, dass sich ihre Eltern nicht sorgen sollen. Die Polizei unternimmt weiterhin nichts und so beginnt Kate erneut mit Nachforschungen zum Verschwinden ihrer Tochter und findet tatsächlich neue Spuren. 

Der Roman ist in drei Teile untergliedert, wobei ich den ersten Teil am spannendsten fand. Darin ist noch unklar, was es mit dem Verschwinden Sophies auf sich hat und ob sie tatsächlich noch am Leben sein könnte oder ob irgendjemand ein perfides Spiel mit Kate treibt. Ab Teil zwei verliert der Thriller etwas an Schwung, während Kate weiter nach ihrer Tochter sucht, niemand ihr glaubt und sie als paranoid abgestempelt wird. Sodann schafft es die Autorin jedoch durch eine unerwartete Wende den Leser zu überraschen, auch wenn der Showdown den Nervenkitzel eines Psychothrillers vermissen lässt und ein wenig knapp abgehandelt wird. Gerade die Motive von Opfer und Täter bleiben zu sehr im Unklaren und hätte dem Roman weitaus mehr Tiefer verleihen können. 



Samstag, 8. August 2020

Buchrezension: Hannah Richell - Geheimnis der Gezeiten

Inhalt: 

Dora Tide ist vierzehn, als ihr kleiner Bruder beim Spielen an den steilen Klippen von Dorset spurlos verschwindet. Eine Katastrophe, an der Doras Familie zerbricht. Elf Jahre später kehrt die junge Frau zurück in das Haus am Meer – und zu den Erinnerungen an jenen schrecklichen Tag. Endlich wird sie eine Wahrheit erfahren, die ihre Mutter zu lange verschwieg. Denn alles begann mit einer unheilvollen Lüge. 

Rezension: 

Als die Eltern von Richard Tide überraschend bei einem Autounfall ums Leben kommen, tritt er sein Erbe an und übernimmt das Anwesen Clifftops in Dorset. Seine Ehefrau Helen und die beiden Töchter müssen sich der Entscheidung letztlich beugen. Gerade Helen, der ihre Unabhängigkeit und ihre Karriere neben dem Familienleben immer wichtig war, leidet unter dem Umzug, der sie zur Hausfrau und Mutter degradiert. Das Verhältnis zu den pubertierenden Mädchen, insbesondere zu der älteren Cassie, wird schwieriger, weshalb ein Lichtblick für Helen die ungeplante Schwangerschaft mit dem Nachzügler Alfie ist. Als dieser im Alter von drei Jahren am Strand unbemerkt verschwindet, da ihn seine älteren Schwestern unbeaufsichtigt gelassen haben, bricht für Helen eine Welt zusammen. Die Trauer um den geliebten Sohn, die Ungewissheit über seinen Verbleib und die Wut auf Dora, die Cassie und Alfie allein ließ, sowie das eigene schlechte Gewissen quälen Helen. Die Familie zerbricht an der Tragödie. 
Als Dora mit Mitte 20 selbst schwanger ist und aufgrund ihres Erlebnisses in der Kindheit große Angst vor der Verantwortung hat, kehrt sie nach Clifftops zurück und sucht das Gespräch mit ihrer Mutter. Dabei muss sich auch Helen ihren inneren Dämonen stellen und die Frage der Schuld neu aufgeworfen werden. 

"Geheimnis der Gezeiten" ist eine Familiengeschichte, die auf zwei Zeitebenen handelt und aus den Perspektiven von Cassie, Dora und Helen geschrieben ist. In Rückblenden erfährt man, wie es zu dem Umzug nach Dorset kam, von den schwierigen Anfangsjahren in Clifftops und der Unzufriedenheit Helens und was sich in dem tragischen Sommer vor elf Jahren ereignet hat. Der Klappentext verrät dabei fast zu viel, denn Alfies Verschwinden ereignet sich erst nach gut einem Drittel des Romans. 

Dennoch ist das Buch spannend, denn der Verlust des Dreijährigen bildet nur den Rahmen für die Handlung. Im Fokus stehen vielmehr die Folgen der Tragödie und die Geheimnisse, die die Familie umgeben, das Ungesagte, das das Familienleben belastet und die Schuldgefühle und Gewissensbisse, die das Zusammenleben letztlich unmöglich machen. Die Tides schaffen es nicht zusammenzuhalten und sich gegenseitig Trost zu spenden, sondern driften vielmehr auseinander. Vor allem die Frauen der Familie erlauben es sich nicht, wieder Glück empfinden zu dürfen. 

Dramatik und Spannung stehen in einem ausgewogenen Verhältnis. Zudem sind die Charaktere authentisch dargestellt und ihr Handeln nachvollziehbar, auch wenn sie nicht unbedingt Sympathieträger sind. 

Es ist ein Familiendrama, das zeigt, welchen Einfluss belastende Ereignisse der Vergangenheit auf die Gegenwart und Zukunft haben können. Dabei bleibt bis zum Ende spannend, ob alle Beteiligten mutig genug sind, sich der (unangenehmen) Wahrheit zu stellen, Verantwortung zu übernehmen und damit den Weg frei für eine Chance auf Vergebung und einen Neuanfang für die nachfolgende Generation machen. 



Freitag, 7. August 2020

Buchrezension: Julia Drosten - Die Honigprinzessin

Inhalt: 

Als Alina beim Inline-Skaten mit einem Doppelgänger von George Clooney zusammenstößt, ahnt sie nicht, dass der Unfall ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen wird. Plötzlich muss die erfolgreiche Marketingmanagerin zehn stechlustige Bienenvölker versorgen. Doch Sven, der gut aussehende Sohn des Unfallopfers, argwöhnt dass sie seinen Vater ködern will. Doch dann verenden die Bienen unter ungeklärten Umständen und Sven und Alina müssen gemeinsam gegen einen mächtigen Feind kämpfen. 

Rezension: 

Alina verursacht im Volkspark Friedrichshain beim Inlineskaten einen Unfall, als sie mit dem Imker Georg Westphal zusammenstößt. Dieser bricht sich das Bein und muss mehrere Tage ins Krankenhaus. Alia, die in der Marketing-Agentur ihres Freundes angestellt ist, nimmt sich wegen ihres schlechten Gewissens Urlaub und erklärt sich bereit, sich um Georgs Bienenvölker zu kümmern. 
Die emsigen Tierchen wachsen ihr ans Herz und von Georg erfährt sie zudem mehr Informationen über die Pflege und das Leben der Bienen und wie wichtig sie für den Kreislauf des Lebens und unser Ökosystem sind. 
Währenddessen hat Alinas Freund Marc die Walbaum AG, einen Hersteller für Pflanzenschutzmittel, als neuen Kunden für seine Werbeagentur gewinnen können. Alina überträgt er nach ihrer Rückkehr in die Agentur die Verantwortung für die Imagekampagne der Firma. Begeistert geht sie ans Werk, bis sie von Georg erfährt, dass die Walbaum AG das Pestizid Super Killer 2.0 produziert, das für das Bienensterben mitverantwortlich sein soll. 
Alina gerät zunehmend in einen Gewissenskonflikt - einerseits in Bezug auf ihre Arbeit, andererseits in Bezug auf ihre private Beziehung zu Marc, denn von Georgs Sohn Sven, der sie bei ihrer ersten Begegnung so rüde beleidigte, fühlt sie sich auf den zweiten Blick angezogen. 

Der Roman ist in zwölf Kapitel unterteilt, die als Bienenjahr den Rahmen für die Geschichte vorgeben. Das Buch behandelt ein wichtiges Thema auf sehr lebendige und leicht zu verstehende Art und Weise. Es wird deutlich, welche Rolle die Honigbienen für unser Ökosystem haben und wie unbedingt schützenswert diese Insekten für uns sind. Die Bienen bestäuben Pflanzen, die wiederum Nahrung und Lebensraum für viele weitere Tiere und auch uns Menschen sind. Ob Obst, Schokolade oder Kaffee - so viele Pflanzen sind von der Bestäubung durch Insekten wie die Bienen abhängig. 
Durch die fiktive Geschichte lernt man ganz nebenbei einiges über Achtsamkeit, Nachhaltigkeit und Artenschutz. 

Aufgrund ihres uneigennützigen Engagements für die Bienen, mit der sie sogar ihren Arbeitsplatz gefährdet, weckt Alina unweigerlich Sympathien. Sie hat ein gutes Herz und steht für ihre Wertvorstellungen ein. 
In Bezug auf ihren Umgang mit Marc oder Sven verhält sie sich dagegen nicht ihrem Alter entsprechend, sondern unüberlegt und kindisch. Darüber hinaus ist die Liebesgeschichte zu plump und vorhersehbar und allenfalls nur eine körperliche Anziehung zwischen den Protagonisten spürbar. Die in diesem Zusammenhang geführten Dialoge bewegen sich im Vergleich zum Rest des Buches auf Groschenromanniveau. Das Missverständnis, das über weite Teile des Romans unaufgelöst zwischen Alina und Sven steht, zieht das zu erwartende Happy End unangenehm in die Länge. 
Zudem passte das Konsumverhalten wie der Kauf von Luxusartikeln und auch die Eröffnung eines französischen Gourmetrestaurants durch Sven, der offenbar auch Gänsestopfleber auf die Speisekarte setzt, nicht wirklich mit dem Kampf für den Naturschutz zusammen. Diesbezüglich waren mir die Charaktere zu ambivalent. Auch fragte ich mich, was es mit der Darstellung von Georg als George-Clooney-Double auf sich haben sollte. 

Fazit: Daumenhoch für die Intention des Autorenpaares, das Augenmerk literarisch auf die Rolle und den Schutz der Bienen zu lenken, die Charaktere wirkten dagegen unrund, die Liebesgeschichte oberflächlich und langweilig. 




Mittwoch, 5. August 2020

Buchrezension: Beth Morrey - Sterne bei Tag

Inhalt: 

Mit 79 Jahren blickt Missy Carmichael auf ein erfülltes Leben zurück, sie und ihr geliebter Mann Leo haben zwei wundervolle Kinder großgezogen. Doch nun ist Leo fort, ihr Sohn lebt mit seiner Familie im fernen Australien und zu ihrer Tochter hat Missy keinen Kontakt mehr. Tagein, tagaus sitzt sie allein in ihrem großen alten Haus in London, umgeben von Erinnerungen an schönere Zeiten.
Bis ein Spaziergang im Park alles verändert, denn dort trifft die einsame alte Lady auf die alleinerziehende Angela mit ihrem kleinen Sohn Otis und Angelas Freundin Sylvie. Ganz langsam entwickelt sich zwischen den drei Frauen eine zarte Freundschaft, die Missy Schritt für Schritt aus ihrem Schneckenhaus lockt. Sie beginnt auf Otis aufzupassen, sucht sich einen Job in der Bibliothek und nimmt sogar die Hundedame Bobby bei sich auf, obwohl Hunde doch eigentlich nur Dreck und Arbeit machen … Kann Missy mit der Hilfe ihrer Freundinnen auch mit der Vergangenheit Frieden schließen? 


Rezension: 

Millicent Carmichael ist 79 Jahre alt und lebt einsam in einem Haus London, das zu groß für sie allein ist. Ihr Ehemann Leo ist nicht mehr bei ihr , mit ihrer Tochter Melanie ist sie im Streit auseinandergegangen, ihr Sohn Alistair ist nach Australien gezogen. Missy erwartet nicht mehr viel vom Leben, als sie eines Tages bei einem Spaziergang die alleinerziehende Mutter Angela und ihre Freundin Sylvie kennenlernt. Angela hat keinerlei Berührungsängste und bringt Missy kurzerhand dazu, vormittags auf ihren Sohn Otis aufzupassen, bis sie ihr  auch noch Hündin Bob aufdrängt, obwohl Missy anderen Menschen in den letzten Jahren lieber aus dem Weg gegangen ist und auch noch nie etwas für Hunde übrig hatte. In der Zwischenzeit gestaltet Sylvie Missys trostloses Haus um und fördert ungeahnte Schätze von ihrem Dachboden zutage. 
Unversehens findet sich Missy in einer Gemeinschaft wieder, schließt Freundschaften und merkt, dass sie gebraucht wird und noch Liebe zu geben hat. Vielleicht schafft sie dann auch durch ihren neuen Lebensmut die quälenden Gedanken loszuwerden, denn Missy weiß, das sie in der Vergangenheit Fehler gemacht hat und ist der Meinung, dass sie deshalb auch die Einsamkeit der letzten Jahre verdient hat. 

"Sterne bei Tag" ist ein Roman über eine einsame, verbitterte ältere Dame, die mit ihrem Leben abgeschlossen hat und durch einen Zufall auf Menschen trifft, die unerwartet zu Freunden werden und die ihr zeigen, dass man auch im hohen Alter ein Recht auf Glück und eine zweite Chance hat. 
In Rückblenden, die manchmal etwas abrupt in die Gegenwart eingestreut werden, erfährt man durch Missys Erinnerungen mehr über ihr Leben und ihre Familie. Zu Beginn wirkt Missy schrullig und unnahbar, bevor sie sich allmählich zu öffnen beginnt. Auch wenn der Roman aus der Ich-Perspektive geschrieben ist, bleibt Missy lange etwas geheimnisvoll, denn sie hält Informationen zurück und man wird unweigerlich neugierig, was ihr in der Vergangenheit passiert ist bzw. was sie getan hat, das sie so quält. 

Es ist eine bittersüße Geschichte über Freundschaft, Hoffnung und Wiedergutmachung. Dabei ist schön zu sehen, wie schnell fremde Menschen ganz unvoreingenommen zu Freunden werden können und wie Missy aufblüht, ein Gefühl erhält, gebraucht zu werden und damit wieder Lebensfreude empfindet. Gleichzeitig ist es spannend zu erfahren, welche Schuldgefühle Missy plagen und warum sie sich selbst mit Einsamkeit bestraft. 
Es ist ein Roman über eine ältere Lady, der aber dennoch zeitlos ist und vor allem durch die emotionalen Momente packt und das Herz des Lesers durch die authentischen und liebenswürdig schrulligen Charaktere gewinnt. 



Montag, 3. August 2020

Buchrezension: Catherine Bybee - Herz zu gewinnen (Creek Canyon, Band 1)

Inhalt: 

Die resolute Parker Sinclair kümmert sich seit dem frühen Tod ihrer Eltern mit Hingabe um ihre beiden jüngeren Geschwister und die Ranch in den Bergen Kaliforniens. Doch dann zerstört ein verheerender Waldbrand fast den ganzen Besitz und Parker muss sich mit dem herrischen, aber verdammt attraktiven Colin herumschlagen. 
Colin Hudson will Parkers Ranch vor weiterem Schaden bewahren. Doch das ist gar nicht so einfach, denn die junge Frau hat ihren eigenen Willen und will partout nicht auf ihn hören. Während die beiden notgedrungen zusammenarbeiten, stellen sie plötzlich fest, dass sie sich zueinander hingezogen fühlen. 

Rezension: 

Vor zwei Jahren sind die Eltern von Parker Sinclair viel früh bei einem Unfall gestorben und seitdem kümmert sich die 26-Jährige liebevoll um ihre beiden jüngeren Geschwister Mallory und Austin sowie die gemeinsame Ranch in Kalifornien. Als ein Waldbrand weite Teile des Forsts zerstört und um ein Haar auch die Ranch erwischt hätte, drohen Erdrutsche und Schlammlawinen durch die Regengüsse im Winter. Das Bauamt muss zu Zwangsmaßnahmen greifen, um nicht nur Parkers Ranch sondern auch die Grundstücke unterhalb zu schützen. Notgedrungen stimmt sie den Bauarbeiten zu und lernt dabei einen der hilfsbereiten Mitarbeiter näher kennen. Colin findet die resolute Parker auf den ersten Blick attraktiv und zudem ist sein Beschützerinstinkt geweckt, denn die junge Frau ist auf dem abgelegenen Grundstück ganz auf sich allein gestellt und muss nicht nur mit den Unwägbarkeiten der Natur sondern auch mit der finanziellen Not zurechtkommen.  

"Herz zu gewinnen" ist der erste Band der "Creek Canyon"-Reihe von Catherine Bybee. Die Geschichte ist Fiktion, aber die Autorin verarbeitet darin auch ihre persönlichen Erfahrungen, denn sie war selbst im Juni 2016 von einem Waldbrand betroffen, der ein Haus auf ihrem Grundstück zerstörte. 
Der Roman ist überwiegend aus der Perspektive von Parker, ergänzend aber auch aus der Sicht von Colin geschrieben. 
Parker ist eine toughe junge Frau, die das College aufgegeben hat, um den jüngeren Geschwistern die Eltern zu ersetzen und sich selbst verantwortungsbewusst um das Erbe zu kümmern. Seit zwei Jahren managt sie das Leben trotz aller Schwierigkeiten allein und scheut sich davor, Hilfe anzunehmen. Die finanzielle Not wird allerdings erdrückend, da sie mit einem Aushilfsjob an einer Schule kaum Geld verdient. Zudem ist das Anwesen durch Naturkatastrophen und Wetterkapriolen bedroht. 
Es ist nicht nur Colins Job als Projektleiter für den Creek Canyon, Parkers Ranch und die umliegenden Grundstücke durch Flutvorkehrungen zu schützen, er fühlt sich auch bald persönlich für den Schutz von Parker und ihrer Familie verantwortlich. 
Die drohenden Katastrophen und die Anziehung zwischen den beiden sorgen dafür, dass sie sich zusammenraufen. Beide müssen dazu über ihren Schatten springen - Parker muss lernen, Hilfe zuzulassen und Colin muss sich in Zurückhaltung üben und verhindern, Parker mit seiner Fürsorge zu erdrücken. 

Es ist eine warmherzige Geschichte über Freundschaft, Familie und Nächstenliebe, bei der auch die Liebe nicht zu kurz kommt. Der Roman ist in weiten Teilen vorhersehbar und die Charaktere etwas stereotyp, die Geschichte ist aber dennoch abwechslungsreich und unterhaltsam geschrieben und die Figuren nicht überzeichnet. 

Aufgrund der vielen herzlichen Menschen, die Parker unter die Arme greifen, ist es eine Feel-good-Lektüre, bei der durch persönliche Dramen und mittlere und größere Katastrophen für das notwendige Quäntchen Spannung gesorgt wird. Die Nebencharaktere, insbesondere Parkers Mieterin des Gästehauses, Erin, die im ersten Band der Reihe noch etwas geheimnisvoll bleiben, machen zudem neugierig auf die Fortsetzung mit Teil zwei "Glück im Angebot".