Donnerstag, 29. April 2021

Buchrezension: Lorraine Brown - Und dann war es Liebe

Inhalt:

Nach einem wunderschönen Urlaub mit ihrem Verlobten setzt sich Hannah im Nachtzug aus Versehen in den falschen Waggon und wacht am Morgen nicht wie geplant in Amsterdam, sondern in Paris auf. Der nächste Zug nach Amsterdam geht erst am Nachmittag. Wohl oder übel muss Hannah den Tag in Paris bleiben, aber was soll sie mit der Zeit anfangen, ganz allein?
Léo ist das gleiche Missgeschick passiert. Auch er ist aus Versehen im falschen Waggon gelandet, auch er muss am gleichen Abend geschäftlich in Amsterdam sein. Aber anders als Hannah kennt Léo Paris wie seine Westentasche.
Die beiden treffen sich am Ticketschalter und beschließen, den Tag zusammen zu verbringen. 

Rezension: 

Hannah ist mit ihrem Freund Simon von einem romantischen Urlaub in Venedig unterwegs nach Amsterdam, um dort die Hochzeit von Simons Schwester zu feiern. Als der Nachtzug in Genf geteilt wird, befindet sich Hannah versehentlich im falschen Zugteil. Sie kommt in Paris an, während Simon zusammen mit ihrem Gepäck weiter unterwegs nach Amsterdam ist. Dem Franzosen Léo ist derselbe Fehler passiert. Nach einer anfänglichen Abneigung, da Hannah Léo die Schuld dafür gibt, die Durchsagen nicht gehört zu haben, überredet er sie, "sein" Paris zu zeigen, denn der nächste Zug nach Amsterdam fährt erst sechs Stunden später. In der Zeit führt er Hannah durch Paris. Sie kommen an typischen Sehenswürdigkeiten vorbei, aber er zeigt ihr auch unbekannte Ecken, sein Arrondissement, kleine Cafés und Bistros, während sie innige Gespräche führen. Léo bleibt dabei eher verschlossen, aber Hannah erzählt einiges über ihre Beziehung zu Simon, ihre Eltern und ihre beruflichen Aussichten. Durch die intensiven Fragen und sein aufrichtiges Interesse gerät Hannah ins Grübeln, ob sie wirklich das Leben führt, das sie führen möchte und ob Simon der richtige Partner an ihrer Seite ist. 

"Und dann war es Liebe" - Der Titel verrät bereits sehr viel und auch die Geschichte ist sehr vorhersehbar geschrieben. Bereits während der Zugfahrt kommt es zu Spannungen zwischen Hannah und Simon und man spürt, dass die beiden nicht so wirklich glücklich miteinander sind. Dann trifft Hannah auf den smarten Franzosen Léo, der ganz anders ist, als der geerdet wirkende, durchgeplante Simon. 
Zu Beginn ereignen sich eine ganze Reihe an Pleiten, Pech und Pannen, was zwar unterhaltsam ist, aber auch etwas überzogen wirkte. Hannah ist eine etwas schusselige Person, die unter Minderwertigkeitskomplexen leidet und sich nur allzu gern auf ihren Freund verlässt. Sie traut sich nur wenig zu, hat Angst zu versagen und geht stets den bequemsten Weg. Sie wirkt dabei deutlich jünger, als die 30 Jahre, die sie ist. 
Der Trip mit Léo durch Paris ist für Hannah ein Abenteuer. Sie bewegt sich dadurch heraus aus ihrer Komfortzone und geht ein Risiko ein. Sie sieht nicht nur Paris von einer ganz anderen Seite, sondern denkt, angeregt durch die Gespräche mit Léo, über ihr eigenes Leben nach. 
Der Roman liest sich leicht und besonders gut haben mir die Szenen gefallen, in denen Léo Hannah die Besonderheiten von Paris zeigt. Die Geschichte ist für mich zu konstruiert gewesen - von der Zugfahrt, über die ganzen Missgeschicke bis hin zu der umfangreichen Städtetour innerhalb weniger Stunden. 

Es ist ein Coming-of-Age-Roman über Selbstreflexion und weniger eine romantische Liebesgeschichte, wie ich sie eigentlich erwartet hatte. Die Handlung ist einfach aufgebaut und das Ende von Anbeginn vorhersehbar, so dass der Roman gleichförmig dahinplätschert, ohne dass sich viel ereignet. Abrupt wirkt dagegen, wie die unsichere, abhängige und von Ängsten geprägte Hannah nur in einem Tag zu (neuem) Selbstbewusstsein findet. Die Geschichte ist eine süße Idee, Entwicklung und Ende sind jedoch zu gewollt. 

Dienstag, 27. April 2021

Buchrezension: Anika Landsteiner - So wie du mich kennst

Inhalt:

Karlas Leben ist stehengeblieben. Sie trägt eine Urne nach Hause, darin die Asche ihrer Schwester Marie. Und plötzlich ist nichts mehr so, wie es einmal war. Marie war Karlas Seelenverwandte, ihr Kompass in diesem Chaos, das sich Leben nennt. Und während sich dieses Chaos um sie herum einfach weiterdreht, reist Karla nach New York, um dort die Wohnung ihrer Schwester aufzulösen. Als sie Fotos findet, die so verstörend wie alltäglich sind, fragt sie sich, wie gut sie Marie wirklich kannte. Die Schwester, die so ganz anders lebte als sie. Die erfolgreich und selbstbewusst war. Was Karla auf den Bildern sieht, verändert ihren Blick auf Marie, ihren Blick auf sich selbst und auf das ganze Leben vor ihr. 

Rezension: 

Als Karlas Schwester Marie überraschend und viel zu jung im Alter von 32 Jahren bei einem Unfall in New York stirbt, reist Karla nach der Beisetzung in ihrer Heimat, einer Kleinstadt in Nordbayern, nach New York, um dort die Wohnung ihrer jüngeren Schwester aufzulösen. 
Die beiden standen sich schon als Kinder sehr nahe und auch als Marie Karriere als Fotografin machte und zunächst nach München, Boston und New York zog, haben sie stets die Verbindung gehalten und täglich telefoniert. Karla hat Marie in New York häufig besucht und glaubte, ihrer Schwester wirklich nahezustehen. Als sie nun in Maries Wohnung verstörende Fotos von Maries Nachbarn findet und mit Freunden und Bekannten Maries spricht, tun sich immer mehr Geheimnisse auf. Karla fragt sich zurecht, ob sie ihre Schwester wirklich kannte, weshalb sie ihr nicht alles erzählen konnte und was sie ihr vielleicht darüber hinaus noch verschwiegen hat. 

Der Roman wird abwechselnd aus der Perspektive von Karla - die Wochen nach Maries Tod - und Marie - die Monate vor ihrem Tod - geschildert. Dabei gibt es in beiden Erzählsträngen Rückblenden und Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse und Gespräche als Kinder und junge Erwachsene. Man spürt das enge Band, das die Schwestern auch über Tausende Kilometer hinweg verband. Umso spannender ist es herauszufinden, was sie letztlich doch unbemerkt auseinanderdriften ließ. 

Die Geschichte handelt zunächst von der Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen. Der Fokus wird jedoch bald auf die Beziehung der beiden unterschiedlichen Schwestern gelegt: Marie, eine erfolgreiche Fotografin, die ihre Heimat verlassen hat, um Karriere zu machen, früh geheiratet hat und vor ihrem Tod bereits vier Jahre geschieden war und Karla, die als Lokaljournalistin zufrieden ist und Bayern nur für ihre Reisen zu Marie verlassen hat. Trotz ihrer unterschiedlichen Persönlichkeiten liebten sie sich innig und konnten ohne die andere nicht sein: "Ich bin nicht ich ohne dich". 

Die melancholische Stimmung zieht sich durch den gesamten Roman und liegt nicht nur in der allgemeinen Trauer um Marie begründet. Nach der Trauer und der Wut über Maries Tod ist die Enttäuschung bei Karla vorherrschend, dass Marie ihr bewusst Dinge aus ihrem Leben verschwiegen hat. Es macht sie traurig, dass ihre Schwester offenbar nicht das Gefühl hatte, sich ihr anvertrauen zu können und dass sie damit auch keine Chance hatte, Marie bei Problemen helfen zu können. 
Die Verzweiflung und das Ohnmachtsgefühl sind sehr eindringlich beschrieben. So entwickelt man auch Verständnis für Karla, die sich in New York auf der Spurensuche nach ihrer Schwester nicht immer ganz korrekt verhält. Beide Schwestern sind authentische Figuren, wobei man Karla schneller näher kommt, als Marie, von deren Geheimnissen man als Leser auch nur peu à peu erfährt. Die Frage nach den ominösen Fotos als auch die Umstände von Maries Tod sorgen für Spannung, denn nach all den Offenbarungen ist es fraglich, ob der Tod beim Überqueren einer roten Ampel wirklich ein Unfall war. 

"So wie du mich kennst" besticht durch eine sensible Charakterzeichnung, lebensnahe Schicksale und die Frage, ob man einen anderen Menschen jemals wirklich kennt. Die Geschichte ist emotional, aber nicht rührselig geschildert und fesselt durch die Geheimnisse, die Marie umgaben und Karlas Suche nach Wahrheit und Gewissheit. 

Sonntag, 25. April 2021

Buchrezension: Johannes Anyuru - Sie werden in den Tränen ihrer Mütter ertrinken

Inhalt:

Eine Winternacht in Göteborg. Ein Anschlag auf einen Comicshop. Unter den Attentätern: ein junges Mädchen, die das Ganze filmen und später ins Internet stellen soll. Mitten im Angriff kommen ihr Zweifel. Auf einmal ist sie sich sicher, dass falsch ist, was sie tut. Zwei Jahre später, inzwischen untergebracht in der Psychiatrie, bittet sie um ein Treffen mit einem Schriftsteller, dessen Bücher sie gelesen hat. Ihm überreicht sie ein Manuskript, in dem sie eine düstere Zukunftsvision zeichnet. Was aber will sie ihm sagen? Was ist wirklich passiert? Der Schriftsteller macht sich auf die Suche nach Antworten, spricht mit Zeugen und Opfern des Attentats. Es ist die Suche nach Wahrheit, aber auch die Suche nach einer Antwort auf die Frage, ob man als Muslim noch in Schweden leben kann. 

Rezension: 

Während eines Anschlags auf einen Comicshop in Göteborg kommen dem Mädchen, das die drei anderen Attentäter mit dem Handy filmen soll, plötzlich Zweifel, ob es richtig ist, was sie im Namen Gottes vollziehen. Nour, wie sie genannt wird, ist die einzige Überlebende unter den Attentätern und wird anschließend in einer der forensischen Psychiatrie Tundra, einer Hochsicherheitsklinik unweit von Göteborg, untergebracht. 
Nach zwei Jahren sucht sie den Kontakt zu einem muslimischen Schriftsteller und gibt ihm die Seiten, die sie über ihr Leben aufgeschrieben hat. Diese geben auch den Ärzten in der Klinik Anhaltspunkte über das Denken der "Terroristin vom 17. Februar". Sie leidet offenbar unter Schizophrenie und behauptet, nur in den Körper der Attentäterin geschlüpft zu sein, um den Anschlag zu verhindern. Sie identifiziert sich nicht mit der konvertierten Belgierin, die in das Gefängnis al-Mima in der Wüste Jordaniens verschleppt und dort gefoltert worden war. Sie stamme aus der Zukunft, 15 Jahre später, wo sie im Kaninchenviertel in Göteborg gelebt hat und spricht tatsächlich fließend Schwedisch statt Flämisch. Sie erzählt von einer Einteilung der Bürger in Schweden und Schwedenfeinden, von Wächtern und von Ritterherzen. Es ist ein düsteres Szenario, das sie zeichnet, in dem Vielfalt und Freiheit in Schweden keinen Platz mehr haben und Andersdenkende oder Andersgläubige ghettoisiert werden. 

Ich habe mich sehr schwer damit getan, mich in die Geschichte hineinzufinden. Da die Abschnitte nicht durch Überschriften gekennzeichnet, fand ich es schwierig, die beiden unterschiedlichen Erzählstimmen auseinanderzuhalten. Auch haben mich die jiddischen und arabischen Worte und Redewendungen, die nicht übersetzt wurden, immer wieder aus dem Lesefluss gebracht. Begriffe wie Scharia, Dschihad, Sunniten und Schiiten mögen inzwischen auch im westlichen Sprachgebrauch bekannt sein, Worte wie yani, balagan oder wallah hätten meiner Meinung nach jedoch durch Fußnoten oder ein Glossar erklärt werden sollen. 

Über den Schriftsteller erfährt man wenig, außer dass er Familienvater ist und wie das Mädchen muslimischen Glaubens. Er bleibt fremd und auch dem Mädchen, der "belgischen schwarzen Witwe" kommt man nicht wirklich nahe. Es bleibt reine Spekulation, ob sie eine Geschichte erfinde, um sich selbst vor Bestrafung zu schützen, ob sie schizophren ist oder ob die erlebte Folter ursächlich für ihre Gedanken sind, aus der Zukunft zu stammen und sie damit schreckliche Erlebnisse verdrängt, indem sie in eine andere Person schlüpft. 

Nichtsdestotrotz ist die fiktive Geschichte, die das Mädchen erzählt, erschreckend. Sie zeichnet ein Bild einer schwedischen Gesellschaft, in der Muslime, die den Bürgervertrag nicht unterzeichnen, als Schwedenfeinde stigmatisiert werden. Ihrer Freiheit beraubt, werden sie in einem eigenen Wohnviertel untergebracht, wo sie ihren Glauben nicht ausleben können und sogar gezwungen werden, Schweinefleisch zu essen. Nicht ganz klar ist, ob diese Art der Freiheitsberaubung und Bestrafung eine Auswirkung des Anschlag auf den Comicladen sind. Dieser Anschlag muss Schweden jedoch massiv getroffen haben, denn das dort aufgezeichnete Video wird auch Jahre später noch an öffentlichen Plätzen wie Bushaltestellen gezeigt. 

"Sie werden in den Tränen ihrer Mütter ertrinken" ist ein schockierender Roman über Terrorismus, Gewalt und Islamophobie, der durch die (utopische) Vorstellung einer düster gezeichneten Zukunft eines undemokratischen, unfreien schwedischen Gesellschaft, die stellvertretend für andere westliche Staaten ist, eine Warnung sein sollte. Die Art der Erzählweise hat es mir jedoch erschwert, die Geschichte zu durchdringen, die scheinbar willkürlich zwischen den Perspektiven und Zeitebenen wechselt und mich am Ende verwirrt zurückließ. 

Samstag, 24. April 2021

Buchrezension: Izabelle Jardin - Libellenjahre: Was wir waren (Die Warthenberg-Saga 1)

 

Inhalt:

Königsberg, 1930: Die selbstbewusste Constanze von Warthenberg ist neunzehn Jahre alt, als sie während einer Segelregatta dem weltläufigen Clemens Rosanowski aus Warschau begegnet. Es wird die große Liebe. Trotz einigen Widerstandes in Constanzes Familie heiratet das Paar und lässt sich in Danzig nieder. Die beiden erleben Jahre voller Leichtigkeit.
Doch die politische Lage in der alten Hansestadt wird unter den neuen Machthabern zunehmend schwieriger, und mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges muss Clemens als Soldat der Wehrmacht gegen sein Heimatland Polen kämpfen.
Seine Feldpostbriefe werden immer seltener, und eines Tages erreicht Constanze eine erschütternde Nachricht. Für sie beginnt nun eine dramatische Odyssee Richtung Westen.

Rezension: 

1930 lernt die aus einem Adelsgeschlecht stammende Constanze von Warthenberg bei einer Segelregatta in Königsberg den Polen Clemens Rosanowski kennen. Ein Jahr stehen sie in Briefkontakt, bis sie sich wiedersehen und in einander verlieben. Constanze möchte Clemens heiraten, muss dafür jedoch ihre Familie, insbesondere ihren Vater Karl, überzeugen. Dieser ist in Bezug auf die politische Einstellung Rosanowskis skeptisch, gibt aber nach anfänglichem Widerstand nach und willigt in die Ehe ein. Das Ehepaar zieht nach Danzig, sie bekommen 1933 eine Tochter und erleben glückliche Jahre, auch wenn das politische Pflaster in Danzig heiß ist und sich nach dem Wahlsieg der NSDAP und dem Erstarken Adolf Hitlers die Lage, insbesondere für die jüdische Bevölkerung, aber auch für die Polen, zuspitzt. Clemens hatte als Beamter im Staatsapparat die Gefahr frühzeitig erkannt und war zur deutschen Staatsbürgerschaft gewechselt. Als 1939 der Krieg ausbricht, steht Clemens vor der Wahl, sich der SA anzuschließen oder auf dem Feld gegen das Land seiner Väter zu kämpfen. Clemens entscheidet sich für den Einsatz an der Front und geht an Scham und schlechtem Gewissen fast zugrunde. Und während die sowjetische Armee immer weiter in Richtung Westen rückt, muss sich Constanze die Frage stellen, wie lange sie noch in Danzig würde bleiben können. 

Ich habe bereits viele Romane über den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg gelesen, aber dieser hat mir mit den Schauplätzen Königsberg und Danzig eine ganz neue Perspektive aufgezeigt. Die Autorin verbindet geschickt historische Fakten mit der fiktiven Geschichte um eine intelligente, starke und selbstbewusste junge Frau, die es aufgrund ihrer Abstammung bisher leicht im Leben hatte. Ohne ihren Mann und auf sich alleingestellt, wächst sie dann während der Wirren des Krieges über sich hinaus. Gut gefallen hat mir auch die Rolle der Großmutter, Charlotte von Warthenberg, die für Constanze stets Ratgeberin und ein fester Halt war. 

Der Schreibstil ist bildhaft und lebendig, die Sprache zeitgemäß, weshalb man sich gut in die damalige Zeit versetzen lassen kann, die Gräueltaten hautnah miterlebt und mit den Protagonisten, insbesondere Constanze, aus deren Sicht der Roman überwiegend erzählt wird, mitfühlen kann. Angst, Verzweiflung und der Blick in eine ungewisse Zukunft sind spürbar. Die Geschichte hat Tiefe, denn die Charaktere beschäftigen sich mit politischen Fragen und das politische Weltgeschehen und die historischen Ereignisse werden harmonisch mit der Familiengeschichte der von Warthenbergs verbunden. 

"Libellenjahre" ist der Auftakt der dreiteiligen Familiensaga von dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs, von Flucht und Vertreibung. Die Familiengeschichte ist symbolisch für viele Schicksale der damaligen Zeit und sowohl dramatisch als auch spannend geschildert und konnte mir durch die besondere Situation der Hansestadt Danzig neue Aspekte aufzeigen. Der Roman handelt im Zeitraum von 1930 bis 1949 - eine für lange Zeitspanne für den nicht ganz 400 Seiten umfassenden Roman, weshalb nicht alle Ereignisse in der gleichen Intensität dargestellt werden und ich stellenweise das Gefühl hatte, nur einzelne Episoden zu erleben. 

Mit dem bereits erschienen Band "Wunderjahre" wird "Libellenjahre" fortgesetzt. Der abschließend dritte Band "Erntejahre" erscheint im Juni 2021. 

Freitag, 23. April 2021

Buchrezension: Claire Douglas - Beste Freundin: Niemand lügt so gut wie du

Inhalt:

Als Kinder waren Jess und Heather die allerbesten Freundinnen. Sie teilten alles miteinander. Bis ein einziger Tag ihre Freundschaft unwiderruflich zerstörte. Jahre später kehrt Jess in ihre idyllische Heimatstadt an der Küste Englands zurück. Dort soll sie die Berichterstattung zu einem brutalen Doppelmord übernehmen. Doch als Jess erfährt, dass Heather die Hauptverdächtige ist, ist sie fassungslos. Kann ihre beste Freundin von damals eine eiskalte Mörderin sein? Jess beginnt zu recherchieren und stellt mit Grauen fest, dass alle Hinweise zu dem Tag führen, den sie für immer aus ihrem Leben streichen wollte. Der Tag, an dem Heathers Schwester spurlos verschwand und sie alle ins Unglück stürzte. 

Rezension: 

Eine Frau tötet scheinbar willkürlich zwei Menschen, eine 76-jährige Frau und ihren 58-jährigen Sohn, mit einer Schrotflinte. Anschließend scheitert die Frau mit einem Selbstmordversuch und fällt ins Koma. Die mutmaßliche Täterin kann als Heather Underwood, verheiratet und Mutter eines 18 Monate alten Sohnes, identifiziert werden. Jess Fox ist Journalistin einer Lokalzeitung, die vor kurzem von London wieder zurück in ihre Heimat Somerset gezogen ist und soll über den Doppelmord berichten. Sie kennt Heather aus ihrer Jugend. Zwei Jahre waren die beiden beste Freundinnen, bis es im Alter von 14 Jahren zu einem Zerwürfnis zwischen den beiden kam. Jess hat Hemmungen über die Familie ihrer ehemaligen Freundin zu berichten, schafft es jedoch den Kontakt zu Heathers Mutter herzustellen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Beide glauben sie nicht daran, dass die sanftmütige Heather diese Tat mit vollem Bewusstsein verübt haben kann. Die Beweislast gegen Heather ist dagegen erdrückend, aber Jess recherchiert weiter und muss sich dabei den Fehlern der Vergangenheit stellen und sieht sich plötzlich selbst ominösen Drohungen ausgesetzt. 

"Beste Freundin - Niemand lügt so gut wie du" ist ein Thriller, der mit einem kaltblütigen Doppelmord beginnt, dann jedoch sehr gemächlich weitererzählt wird und nur langsam Spannung aufbaut. Er handelt in der Gegenwart im Jahr 2012 und führt in der Vergangenheit zurück in den Sommer 1994, als Heathers Schwester Flora spurlos verschwand und es zum Streit zwischen Heather und Jess kam. Dabei kommen immer mehr Geheimnisse über Heathers Familie ans Licht, die letztlich auch zu einem Motiv für die Tat führen. 

Durch den Wechsel aus Vergangenheit und Gegenwart kann man frühzeitig erahnen, was der Hintergrund für die Tat sein könnte. Thriller, die nach dieser Manier aufgebaut sind, die Geheimnisse und Lügen aus der Vergangenheit offenbaren, die bis in die Gegenwart hineinwirken und die Protagonisten wieder einholen, gibt es viele und auch dieser hebt sich nicht von dem bekannten Schema ab. Auch der Clou am Ende ist für einen Psychothriller nicht wirklich überraschend. 
Trotz einer gewissen Vorausschaubarkeit empfand ich es als spannend, alle Details aus Vergangenheit und Gegenwart aufzudecken und zusammenzuführen. Auch schafft es die Autorin, den Charakteren aller Generationen Leben einzuhauchen, wobei vor allem Jess eine charakterliche Weiterentwicklung erfährt. Wenig überzeugen konnte mich dagegen die Polizeiarbeit der lokalen Ermittler. Die Ermittlungen spielten für den Roman zwar nur eine untergeordnete Rolle, wirkten aber bis zum Schluss unbeholfen und dilettantisch. 

"Beste Freundin - Niemand lügt so gut wie du" ist ein solider, unblutiger Thriller mit einer interessanten Familiengeschichte, der zwar keinen Nervenkitzel verursacht, aber in sich schlüssig ist und für unterhaltsame Lesestunden sorgt. 

Dienstag, 20. April 2021

Buchrezension: Catherine Shepherd - Nachtspiel

Inhalt:

Rechtsmedizinerin Julia Schwarz beherrscht ihren Job wie kaum jemand sonst. Mit dem Tod kann sie umgehen, nicht aber mit den Albträumen, die ihr in letzter Zeit den Schlaf rauben. Hartnäckig konzentriert sie sich daher auf die Jagd nach einem Frauenmörder, der sein Opfer zuvor grausam gefoltert und dann achtlos in den Kofferraum eines Kleinwagens gestopft hat. Obwohl sich der ermittelte Täter kurz darauf das Leben nimmt, landet eine weitere Leiche auf Julias Obduktionstisch. Kriminalkommissar Florian Kessler geht von einem neuen Fall aus, doch für Julia sprechen die Spuren eine andere Sprache. Als sie endlich die Handschrift des Mörders entziffert, muss sie erkennen, dass sie längst selbst in der Falle sitzt und dem Spiel eines unberechenbaren Serienkillers ausgeliefert ist.

Rezension: 

Rechtsmedizinerin Julia Schwarz wird in ihrem Institut "Eislady" genannt, denn sie geht ihrem Beruf der Obduktion von Leichen akribisch und sehr gewissenhaft nach, insbesondere wenn es sich um die Opfer von Gewaltverbrechen handelt. Ursächlich mag sein, dass ihr jüngerer Bruder vor 15 Jahren missbraucht und ermordet wurde und der Täter nicht ermittelt werden konnte. Immer noch hat sie mit Albträumen zu kämpfen und hört seine Stimme.  
Mit dem Kölner Kriminalkommissar Florian Kessler arbeitet sie gern zusammen. Als dieser den Fall einer ermordeten Polizistin bearbeitet, die im Drogenmilieu ermittelte, führt Julia die Autopsie durch. Ihr mutmaßlicher Mörder wird wenig später tot aufgefunden, hat sich den Umständen nach selbst getötet. Die einzelnen Fakten ergeben kein klares Bild. Weitere Menschen werden brutal getötet und weisen offenbar alle eine Verbindung zu Julia auf. 

"Nachtspiel" ist nach "Mooresschwärze" Band 2 der Reihe um die Rechtsmedizinerin Julia Schwarz, der jedoch problemlos ohne Vorkenntnisse des Vorgängerromans zu lesen ist. 
Julia Schwarz ist mit ihrer fachlichen Expertise, aber auch mit ihren kleinen persönlichen Schwächen eine authentische und interessante Figur. Das Trauma ihrer Vergangenheit wirkt nach, belastet sie emotional, lenkt sie aber nicht von ihrer sorgfältigen Arbeit ab. Julia lebt für ihren Beruf und kann nur unter Zwang daran gehindert werden, die Leichenschau vorzunehmen, als sie selbst persönlich betroffen ist. 
Durch verschiedene Perspektiven und zahlreiche Wendungen, die die Spannung immer wieder neu entfachen, ist "Nachtspiel" fesselnd geschildert. Deuten die ersten beiden Toten auf eine Tat aus dem Drogenmilieu hin, gehen die nächsten Opfer in die Richtung von Sadismus, Sexualdelikten und "Sensation Seekers". Lange ist nicht ganz klar, ob es sich dabei um zwei verschiedene Fälle handelt oder ob hinter allen Toten ein und derselbe Täter stecken. Julias Träume und Wahnvorstellungen und die persönliche Bedrohung, der sie im Laufe des Romans ausgesetzt wird, steigern den Nervenkitzel und gestalten die Aufklärung mit dem wechselvollen Zusammenspiel aus Kriminalarbeit und Rechtsmedizin bis zum Ende packend. 

"Nachtspiel" ist ein temporeicher, lebendig geschilderter Thriller mit einem raffinierten Fallkomplex, der letztlich schlüssig aufgeklärt wird. Die persönliche Wende für Julia Schwarz macht zudem neugierig auf weitere Titel der Reihe um die sympathische Rechtsmedizinerin, von der es inzwischen bereits fünf Bände gibt. 



Sonntag, 18. April 2021

Buchrezension: Linn Strømsborg - Nie, Nie, Nie

Inhalt:

Linn Strømsborgs Erzählerin ist fünfunddreißig – und hat sich schon vor Jahren dazu entschlossen, keine Kinder zu bekommen. Davon, wie sich ihre Entscheidung auf die Beziehungen zu Freunden, den Eltern und nicht zuletzt dem Partner auswirkt, handelt dieses Buch: Ihr Umfeld hat Schwierigkeiten, ihre Haltung zu akzeptieren, immer wieder wird sie mit dem Thema konfrontiert. Da ist ihr langjähriger Partner Philip, der zunehmend daran zweifelt, ob er mit dem Entschluss seiner Freundin leben kann. Ihre Mutter strickt ohnehin seit Jahr und Tag Babykleidung in der Hoffnung auf ein Enkelkind. Als dann die beste Freundin Anniken Nachwuchs bekommt, verändert sich alles. 

Rezension: 

Die Protagonisten des Romans ist 35 Jahre alt, lebt in Oslo und ist seit acht Jahren mit ihrem Freund Philip zusammen. Sie hat für sich entschieden, keine Kinder zu bekommen und hat auch zu Beginn der Beziehung kein Geheimnis daraus gemacht. Als die beste Freundin Anniken schwanger ist und damit den gemeinsamen Vorsatz gebrochen hat, nicht Mutter werden zu wollen, verändert sich auch die Einstellung von Philip. Er fragt sich, wie die namenlose Ich-Erzählerin sich sicher sein kann, auch später keine Kinder zu wollen und wendet sich von ihr ab. 
Die Hauptfigur hat nichts gegen Kinder, besucht weiterhin ihre besten Freunde, als die kleine Ella geboren ist, aber in ihr regen sich keine Muttergefühle und keine Sehnsucht danach, selbst etwas zu hinterlassen. 
In verschiedenen Situationen wird die Ich-Erzählerin mit ihrer Kinderlosigkeit konfrontiert und erntet in der Regel Verständnislosigkeit. Sie selbst ist jedoch jemand, die gerne mit sich allein ist, die sich stets Auszeiten von ihrem Freund genommen hat und für keinen anderen Menschen ihr Leben lang Verantwortung tragen möchte. 
Interessant ist, dass nicht krampfhaft versucht wird, einen konkreten Grund für ihre Entscheidung für Kinderlosigkeit zu präsentieren. Hier spielt weder eine Karriere, noch ein aufwändiges Hobby oder die Meinung, dass die Welt zu kaputt für Nachwuchs ist, eine Rolle. Sie möchte einfach nicht. Punkt. 

"Nie, nie, nie" ist ein Roman, der sich einem Tabu-Thema widmet, was durch die Namenlosigkeit der Protagonistin noch betont wird. So erhält man das Gefühl, dass sie anonym bleiben möchte, denn der Wunsch einer Frau, keine Kinder in die Welt zu setzen, wird gesellschaftlich nicht anerkannt. 
Das Buch bleibt dabei völlig wertfrei. So werden glückliche junge Familien vorgestellt, aber auch junge Eltern mit Startschwierigkeiten. Kinder sind kein Horrorszenario, aber eine Familie ist auch keine Garantie für Glück, Zufriedenheit und sich nicht doch einsam zu fühlen. 
Die Geschichte ist nüchtern und episodenartig geschildert, Gefühlsausbrüche der Protagonistin erhofft man vergebens. Sie bleibt in ihrer Entscheidung konsequent, verteidigt sie aber nicht leidenschaftlich. 

Das Buch lässt sich in einem Rutsch lesen, denn die Kapitel sind kurz, der Umfang insgesamt kompakt. Das Thema Kinderlosigkeit ist sehr zentral und lässt keinen Raum für den Rest des Lebens der Protagonistin. Auf jeder Party, in jedem Café, bei jedem Treffen mit alten Freunden oder guten Bekannten steht in irgendeiner Form immer die Frage nach dem Kinderkriegen im Mittelpunkt, was mir in der Summe zu viel war. Gerade wenn man sich keine Kinder wünscht, hätten auch noch andere Interessen der Protagonistin in Erscheinung treten können. Auch fand ich es schade, dass sie sich überhaupt nicht mit ihrer gescheiterten Beziehung zu Philip auseinandersetzt oder ein Gespräch mit ihrer Großmutter sucht, die für die Mutterrolle nicht geschaffen war. 

"Nie, nie, nie" ist ein Aufruf zu mehr Toleranz und eigentlich sollte es nicht verwundern, dass es Frauen ohne Kinderwunsch gibt, sondern dass es heutzutage noch nötig ist, so eine persönliche Entscheidung rechtfertigen zu müssen. Schließlich sind Menschen, Beziehungen und Familienkonstellationen so vielfältig und lange nicht mehr auf das klassische Modell Vater-Mutter-Kind beschränkt. Vielleicht kann das Buch insofern für mehr Verständnis für einen eher ungewöhnlichen Lebensentwurf sorgen. 



Samstag, 17. April 2021

Buchrezension: Angie Kim - Miracle Creek

Inhalt:

In der Kleinstadt Miracle Creek in Virginia geht ein Sauerstofftank in Flammen auf. Zwei Menschen sterben – Kitt, die eine Familie mit fünf Kindern zurücklässt, und Henry, ein achtjähriger Junge. Im Prozess wegen Brandstiftung und Mord sitzt Henrys Mutter Elizabeth auf der Anklagebank. Und die Beweise sind erdrückend. Hat sie ihren eigenen Sohn ermordet? Während ihre Freunde, Verwandten und Bekannten gegen sie aussagen, wird klar: In Miracle Creek hat jeder etwas zu verbergen. 

Rezension: 

In der Kleinstadt Miracle Creek explodiert während einer HBO-Behandlung ein Sauerstofftank, an denen zwei der Patienten angeschlossen waren. Der achtjährige autistische Henry sowie die Mutter des ebenfalls autistischen, gleichaltrigen TJ kommen bei dem Brand ums Leben. 
Ein Jahr später beginnt der Gerichtsprozess. Angeklagt ist Elizabeth, die Mutter von Henry. Sie war während der Therapiestunde in dem sogenannten U-Boot nicht anwesend und soll den Brand absichtlich mit einer Zigarette verursacht haben. 
Während Elizabeth von der Kleinstadt bereits vorverurteilt und als Rabenmutter dargestellt wurde, die ihr Kind angeblich physisch, psychisch und umstrittene Methoden medizinisch misshandelte, ergeben sich während des Gerichtsverfahrens durch Indizien gegen andere Personen und Zeugen, die sich in Lügen verstricken, Zweifel an der Schuld von Elizabeth. 

"Miracle Creek" ist eine fesselnde Mischung aus Justizthriller und Familiendrama. Die Gerichtsverhandlung wird aus der Perspektive verschiedener betroffener Personen geschildert, wobei man in Rückblenden Einzelheiten über den Abend des Unglücks erfährt. Zudem wird durch die persönlichen Eindrücke und Erinnerungen mehr über die Hintergründe und Motive der einzelnen Personen bekannt. 

Die Beweislast gegen die angeklagte Elizabeth ist zunächst erdrückend, aber durch gezieltes Hinterfragen ihrer gewieften Anwältin ergeben sich nicht nur Zweifel am Tathergang und Motiv, sondern auch an der Beweisaufnahme durch die Zuständigen Ermittler und die widersprüchlichen Aussagen der vernommenen Zeugen. 
In Miracle Creek scheint jeder etwas zu verbergen zu haben und jeder seinen Teil zu dem Brand - bewusst oder unbewusst - beigetragen zu haben. Die Aufdeckung der Geheimnisse der Bewohner erfolgt raffiniert durch zahlreiche Wendungen während der Verhandlungstage und macht den Roman zu einem wahren Pageturner. 
Unabhängig davon, wen welche und wie viel Schuld trifft, fesseln und berühren die einzelnen Schicksale der Patienten, ihrer Angehörigen und der Verantwortlichen für die HBO-Behandlung. Da ist die koreanische Einwandererfamilie, der die Integration auch nach Jahren noch schwerfällt und deren Traum von einem Neuanfang in den USA geplatzt ist; der erwachsene Patient Matt, der wegen eines unerfüllten Kinderwunsches in Behandlung ist und dem Druck und den Erwartungen seiner Ehefrau nicht mehr gewachsen ist sowie die Mütter, die sich aufopferungsvoll um ihre besonderen Kinder kümmern und sich nicht nur der permanenten Sorge um ihre Kinder ausgesetzt sehen, sondern zudem mit harscher Kritik durch Außenstehende umgehen müssen. 

"Miracle Creek" ist damit alles andere als ein trockener Justizkrimi. Verzweiflung, Neid, Eifersucht und Wut sind die vorherrschenden Gefühle, mit denen die Protagonisten zu kämpfen haben. Die Charaktere sind authentisch und mit ihren jeweiligen Problemen lebensnah dargestellt. Auch die angesprochenen Themen des Romans sind vielschichtig, wobei keines nur oberflächlich behandelt wird. Die Themenkomplexe Rassismus, Diskriminierung, Behinderung, Mutterliebe und Zukunftsängste werden empathisch aufgearbeitet und lassen den Leser für jeden am Prozess Beteiligten Verständnis empfinden. Umso spannender ist letztlich die Frage, ob es in dem Fall der Brandstiftung den EINEN Schuldigen geben kann oder ob nicht jeder einen Teil zu dem Unglück beigetragen hat. 

"Miracle Creek" ist ein spannend aufgebauter Roman, der einfühlsam geschildert ist und mit den komplexen Geheimnissen jedes einzelnen Charakters bis zum Schluss fesselt, wobei sich einerseits Abgründe menschlichen Handels auftun, aber andererseits auch viel Mitmenschlichkeit, Fürsorge und Liebe demonstriert wird. 

Donnerstag, 15. April 2021

Buchrezension: Fredrik Backman - Oma lässt grüßen und sagt, es tut ihr leid

Inhalt:

Oma ist 77, Ärztin, Chaotin und treibt die Nachbarn in den Wahnsinn. Elsa ist 7, liebt Wikipedia und Superhelden und hat nur einen einzigen Freund: nämlich Oma. In Omas Märchen erlebt Elsa die aufregendsten Abenteuer. Bis Oma sie eines Tages auf die größte Suche ihres Lebens schickt – und zwar in der wirklichen Welt. 

Rezension: 

Elsa lebt zusammen mit ihrer schwangeren Mutter und deren neuen Freund in einem Neun-Parteienhaus. Nebenan wohnt Oma. Oma ist Elsas beste und einzige Freundin. Sie erzählt ihr fantastische Märchen aus dem Land-Fast-Noch-Wach, aber auch in der realen Welt erlebt sie mit Oma die tollsten Abenteuer. Denn Oma ist eine Superheldin, die sich von niemandem etwas sagen lässt, nicht einmal vor der Polizei hat die 77-Jährige Respekt. 
Als Oma Elsa bittet, Briefe an die Bewohner des Hauses zu verteilen, wird sie erstmals alleine auf eine nicht ganz einfache Mission geschickt. Jeder der Bewohner ist ein Sonderling und hat ein ganz eigenes Verhältnis zu Oma, von dem Elsa bisher nichts wusste. 

Der Roman ist aus der Perspektive der fast 8-jährigen Elsa geschrieben, die jedoch viel älter wirkt, als sie tatsächlich ist. Das mag an ihrer Intelligenz liegen oder dass sie so viel Zeit mit Oma verbringt, aber auf mich wirkte viel zu reif und verständig für eine Siebenjährige, sogar altklug und frech bei ihren Gesprächen mit Erwachsenen auf Augenhöhe. Auch Oma ist nicht unbedingt eine Sympathieträgerin. Sie ist eine Nörglerin, die sich rücksichtslos verhält und nur ihre Ansichten gelten lässt. Für Elsa ist Oma ein Vorbild, was dafür sorgt, dass Elsa von Gleichaltrigen argwöhnisch betrachtet und in der Schule schlimmen Mobbing ausgesetzt ist. 
Durch Omas Erzählungen und sehr ideenreiche Märchen kann Elsa in andere Welten eintauchen und den Alltag vergessen. Die Märchen dienen nicht nur der Unterhaltung, sondern haben Mut machende, intelligente Botschaften. 
Durch Omas Briefe muss Elsa auf andere Menschen zugehen, weiß dabei aber nicht, was in den Briefen steht und wie die Menschen darauf reagieren werden. Offenbar möchte sich Oma am Ende ihres Lebens mit den Briefen bei anderen entschuldigen, was bei ihrer forschen Art nicht weiter verwundert. Elsa hat die Hoffnung, dass am Ende der Kette ein Brief von Oma an ihre Tochter wartet, um die beiden, die ein schwieriges Verhältnis zueinander hatten, miteinander zu versöhnen. 

Die Märchen sind für eine Siebenjährige lehrreich und haben Symbolcharakter, mir waren sie in der Häufigkeit und Länge für den Roman jedoch zu fantastisch und langatmig. Die Realität wird gar mit den Geschichten vermischt, so dass die Bewohner des Hauses, die die Briefe erhalten sollen, nicht mehr nur merkwürdig, sondern selbst etwas märchenhaft wirkten. Monster, Wors, Wolfsherz, Meeresengel - mir war das zu viel. Das sehr selbstständige Verhalten Elsas, ihr Umgang mit Fremden, ihr Denken und Handeln passte nicht zu einer "Fastachtjährigen" und ließen die Geschichte wenig wirken. Elsas belehrende Art strapaziert die Nerven und die Vorstellung, dass sie mit fünf oder sechs Jahren schon Briefe an den Weihnachtsmann geschrieben hat, um sich über den Kommerz des Weihnachtsfest zu beschweren, ist abwegig. 
Der etwas bemüht witzige Roman hat einfach nicht meinen Humor getroffen. Omas Art und Weise war doch sehr derbe. Polizisten mit Kacke bewerfen? Android-User sind alle blöd? Nicht lustig. 

Das Buch ist ein Hoch auf die Individualität und das Besondere. "Menschen, die ungewöhnlich sind, verändern die Welt".
Es ist ein Roman über Familie und Freundschaft, Zusammenhalt und die Toleranz für und Unterstützung von schwächeren Personen. Es hat eine schöne Botschaft, aber die Art der Erzählweise, Wiederholungen und Übertreibungen haben mir gar nicht gefallen. 

Dienstag, 13. April 2021

Buchrezension: Bernhard Aichner - Dunkelkammer

Inhalt:

Es ist Winter in Innsbruck. Ein Obdachloser rettet sich in eine seit langem leerstehende Wohnung am Waldrand. Im Schlafzimmer findet er eine Leiche, die dort seit zwanzig Jahren unentdeckt geblieben war. Ein gefundenes Fressen für Pressefotograf David Bronski. Gemeinsam mit seiner Journalistenkollegin Svenja Spielmann soll er vom Tatort berichten und die Geschichte der Toten recherchieren. Dass dieser Fall jenseits des Spektakulären aber auch etwas mit ihm zu tun hat, verschweigt er.
Seit er denken kann, fotografiert Bronski das Unglück. Richtet seinen Blick auf das Dunkle in der Welt. Dort wo Menschen sterben, taucht er auf. Er hält das Unheil fest, ist fasziniert von der Stille des Todes. Es ist wie eine Sucht. Bronski ist dem Tod näher als allem anderen, er lebt nur noch für seine Arbeit und seine geheime Leidenschaft. Das Fotografieren, analog. Dafür zieht er sich zurück in seine Dunkelkammer. Es sind Kunstwerke, die er hier schafft. Porträts von toten Menschen. Es ist sein Versuch, wieder Sinn zu finden nach einem schweren Schicksalsschlag. 

Rezension: 

Der Pressefotograf David Bronski wird eines Winters überraschend von einem ehemaligen Kollegen angerufen, der ihm von einem Leichenfund in einer Wohnung in Innsbruck berichtet. Bronski soll dorthin kommen, um die Leiche noch vor der Spurensicherung durch die Polizei zu fotografieren und eine Exklusiv-Story zu erlangen. Bronski findet in der Wohnung nicht nur die mumifizierte Leiche einer vor 20 Jahre verschwunden Milliardärin auf, sondern auch eine Fotografie, die den Leichenfund mit seiner eigenen, traurigen Vergangenheit verbindet. Mit Hilfe seiner Schwester Anna, die ein Detektivbüro in Berlin führt, möchte er endlich Gewissheit haben, was in der Vergangenheit passiert ist, um selbst vielleicht Frieden finden zu können. 

"Dunkelkammer" ist der Auftakt einer neuen Krimireihe um den Pressefotografen David Bronski, der einen schweren Schicksalsschlag erlitten hat, der seine Familie zerstörte. Er ist seitdem schwermütig und zurückgezogen und fühlt sich den Toten näher als den Lebenden. Nicht nur beruflich fotografiert er Leichen, für ihn ist es eine Kunst die Leichen mittels analoger Fotografie in Szene zu setzen. 
Da es sich um Band 1 der Reihe handelt, erfährt man als Leser viel über den persönlichen Hintergrund der Hauptfigur, was dem Kriminalroman Dramatik verleiht und viele Elemente einer Familientragödie beinhaltet. 
Die Aufklärung des Kriminalfalls und insbesondere wie dieser mit Bronskis persönlicher Lebensgeschichte in einem Zusammenhang steht, ist spannend geschildert und mutet durch das Motiv und die Handlungen es Täters, der bald offenbart wird, wie ein Psychothriller an. 
Weniger steht die Frage im Raum, wer die millionenschwere Immobilienhändlerin getötet hat, sondern aus welchem Grund und wie die Leiche über 20 Jahre unbemerkt bleiben konnte. 

Der Erzählstil ist eigenwillig, denn jedes zweite Kapitel besteht ausschließlich aus einem Dialog verschiedener Protagonisten. Ohne wörtliche Rede und ergänzende Beschreibungen wird einzig das Gespräch zwischen zwei Personen geschildert. Die weiteren Kapitel sind kurz und knackig geschildert, was der Geschichte Dynamik verleiht. Gerade am Anfang gibt es einige überraschende Wendungen, die Spannung steigern, während der Roman ab einem gewissen Punkt vorhersehbarer wird. Der Nervenkitzel geht durch die persönliche Involvierung Bronskis in den Kriminalfall aber nicht verloren. 
"Dunkelkammer" ist ein gelungener, rasanter Auftakt einer neuen Krimireihe, die neugierig auf das ungewöhnliche Duo Pressefotograf und Journalistin macht, die sich in Band 1 näher gekommen sind. Enttäuscht hat mich ein wenig die Kürze des Romans, denn die Schrift ist groß und das Buch enthält durch die vielen Kapitel, die nur auf ungeraden Seiten beginnen, unzählige leere Seiten, die den Umfang des Paperbacks deutlich reduzieren, aber auch die schnelle Auflösung am Ende war mir ein wenig zu einfach. 


 

Sonntag, 11. April 2021

Buchrezension: Clare Empson - Eines Tages für immer

Inhalt:

2000: Nach außen hin wirkt Lukes Leben perfekt – wäre da nicht eine Frage, die ihn seit Kindertagen umtreibt: Wer ist seine leibliche Mutter? Als er nach langer Suche schließlich vor dem Anwesen der Malerin Alice steht, ahnt er nicht, dass deren tragische Geschichte nicht nur bei ihm alte Wunden aufreißen wird.
1972: Eigentlich sollte es nur ein ausgelassener Konzertbesuch werden, doch als die 19-jährige Kunststudentin Alice das erste Mal auf Jacob Earl trifft, ist es um sie geschehen. Der Sänger der Band Disciples ist nicht nur unglaublich talentiert und gut aussehend, ihn umgibt auch etwas Geheimnisvolles, dem Alice sich nicht entziehen kann. Aus einer stürmischen Affäre wird bald ein gemeinsames Leben, doch Alice’ Familie und Freunde sind gegen eine Verbindung der beiden. Jacob sei zu ungestüm, zu wankelmütig und würde sie für seine Karriere im Stich lassen. Entgegen aller Widerstände versuchen Alice und Jacob zusammenzuhalten. Aber manchmal sind selbst die größten Hindernisse nichts gegen das, was das Schicksal für einen vorgesehen hat. 

Rezension:

Luke ist 27 Jahre alt und hat gerade seine leibliche Mutter Alice gefunden, die ihn als Baby zur Adoption frei geben musste. Er möchte Alice kennenlernen, endlich mehr über seine Wurzeln erfahren und verstehen, was dazu geführt hat, dass Alice ihn nicht großziehen konnte. Für Alice sind die Erinnerungen auch nach fast 30 Jahren noch so schmerzhaft, dass sie gegenüber ihrem Sohn nicht offen sein kann. Stattdessen stürzt sie sich in die Betreuung des Enkels, Lukes und Hannahs neugeborenen Sohn. Die beiden sind froh, eine zuverlässige Tagesmutter gefunden zu haben, die sich so liebevoll um Samuel kümmert. Für Luke reißen damit wieder alte Wunden auf, denn er fühlt sich von seiner Mutter vernachlässigt und reagiert eifersüchtig als Alice Samuel mehr Interesse entgegenbringt als ihm selbst. 

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen und schildert in der Gegenwart im Jahr 2000 die erste Begegnung von Luke und Alice und die Folgen, die sich daraus für sie und ihre Familie ergeben. Jedes zweite Kapitel ist eine Rückblende in die Vergangenheit, die Jahre ab 1972, die aus der Perspektive der damals 19-jährigen Alice geschildert sind. Sie ist eine Kunststudentin, die ihrem tyrannischen Vater imponieren möchte. Durch einen Auftrag zur Gestaltung eines Albumcovers lernt sie den Leadsänger Jake der aufstrebenden Band Disciples kennen und verliebt sich in ihn. Wenn sie Zweifel an ihrem Können hat, bestärkt er sie und auch sie wird zu seiner Muse. Die beiden erleben eine alles überwältigende Liebe, doch da ist eine tiefe Dunkelheit in Jake. Alice möchte ihn vor seinen seelischen Abgründen retten, doch die Depression ist ein Teil von ihm, er benötigt sie für seine Kreativität. 

Während zu Beginn in beiden Erzählsträngen Liebe, Glück und Harmonie vorherrschend sind, ahnt man bald, dass sich jeweils eine Katastrophe anbahnt. In der Vergangenheit sind es die Sorgen Alice um ihren geliebten Jake, der psychisch labil ist und kurz vor dem Durchbruch mit seiner Band steht. Er trinkt immer mehr Alkohol und hat Angst um ihn, insbesondere als er mit seiner Band auf Europatournee geht und sie die Kontrolle über ihn verliert. 
In der Gegenwart sind es die Geheimnisse, die zwischen Luke und Alice stehen und eine Mutter-Sohn-Bindung verhindern. Alice holt mit ihrem Enkel nach, was sie mit ihrem Sohn verpasst hat. Luke ist enttäuscht über die Distanz und ihr mangelndes Interesse an ihm und fragt sich, was Alice ihm verschweigt. 
Die Adoption war für beide traumatisch. Auch wenn es Luke als Kind bei seinen Adoptiveltern an nichts mangelte, fühlte er sich nicht zugehörig. Alice ist nie über seinen Verlust hinweggekommen und hat bis in die Gegenwart Schuldgefühle. Fraglich ist deshalb, ob die Begründung, ein Kind nicht in Armut großziehen zu wollen der wahre Grund für die Adoption war. 

Es ist ein Roman über eine Suche nach Identität und die eigenen Wurzeln, der sehr berührend und zudem spannend geschildert ist. Es ist ein Familiendrama, das sich in der Gegenwart phasenweise wie ein Psychothriller liest. Interessant ist auch der Aufbau des Romans, der in der Vergangenheit die Trennung einer Familie und in der Gegenwart eine Familienzusammenführung beschreibt. 
"Eines Tages für immer" ist eine perfekte Mischung aus Emotionen und Spannung. Lukes und Alices Geschichte ist faszinierend, voller spannender Wendungen und einem Auf und Ab an Gefühlen. Die Autorin schafft es durch den Perspektivwechsel und den Wechsel von Gegenwart und Vergangenheit, den Charakteren Leben einzuhauchen und ihnen Tiefe und Verletzlichkeit zu verleihen, die man spüren kann. 

Samstag, 10. April 2021

Buchrezension: Anna Hope - Was wir sind

Inhalt:

Nach einer atemlosen gemeinsamen Zeit in London stehen Hannah, Cate und Lissa mit Mitte dreißig an ganz unterschiedlichen Punkten. Hannah liebt ihr Leben und das Leben mit Nathan, doch alles scheint wertlos ohne ein Kind. Cate ist nach der Geburt ihres Sohnes nach Canterbury gezogen und hat das Gefühl, sich mehr und mehr selbst zu verlieren. Und Lissa steht nach einer schwierigen Beziehung auf der Schwelle zu ihrem Traum. Was wollen wir, was können wir sein?  

Rezension: 

Im Jahr 2010 sind die Freundinnen Hannah, Cate und Lissa Mitte 30 und in unterschiedlichen Lebenssituationen angekommen. Hannah ist seit zwei Jahren glücklich mit Nathan verheiratet, den sie schon über zehn Jahre kennt, aber ihr Kinderwunsch ist bislang unerfüllt. Sie haben mehrere Versuche der künstlichen Befruchtung hinter sich, bis Nathan beschließt, aufzugeben. Cate ist dagegen von ihrem Internetflirt ungeplant schwanger geworden, inzwischen mit Sam verheiratet und Mutter eines Sohnes. Sie leidet unter Depression und hat das Gefühl, ein Leben zu leben, das nicht das ihre ist. Lissa ist Schauspielerin, die endlich eine größere Rolle in einer Theateraufführung bekommen hat, heischt jedoch weiterhin um Anerkennung und fühlt sich einsam. Eine folgenschwere Entscheidung droht die Freundschaft der drei Frauen zu zerstören. 

Der Roman wird abwechselnd aus den Perspektiven der drei Frauen geschildert, erzählt die Gegenwart in den Jahren 2010/ 2011 und springt dabei immer wieder zurück in die Vergangenheit, wodurch man erfährt, wie die drei sich kennenlernen, wie sich ihre Freundschaft entwickelte, was sie zusammenhält, aber auch, was sie trennt. 
Alle drei Frauen sind nicht unbedingt sympathische Figuren, denn sie haben Ecken und Kanten und sind häufig so ich-bezogen, dass sie die Sorgen und Nöte der anderen Freundinnen nicht wahrnehmen, für weniger wichtig als die eigenen erachten oder gar aus Neid und Eifersucht gönnen. 
Schon als die drei noch Studentinnen waren, zeigten sich bereits Spannungen in ihren Beziehungen. Gerade Hannah und Cate sahen sich in direkter Konkurrenz zu einander wollten die andere in Schönheit und Erfolg stets übertrumpfen. Als erwachsene Frauen mit Mitte 30, die alle drei auf ihre Weise unglücklich sind, damit hadern, falsche Entscheidungen getroffen zu haben und die Träume und Erwartungen ihrer Jugendjahre nicht verwirklicht zu haben oder nicht mehr verwirklichen zu können, beneiden sie die jeweils andere um ihr vermeintlich besseres Leben, was die angespannten Beziehungen noch weiter verschärft und die Freundschaft auf eine harte Probe stellt. 

"Was wir sind" ist ein beeindruckend authentischer, ehrlicher und beklemmender Roman über drei Frauen, die als Erwachsene an einem Punkt angelangt sind, wo sie ihr Glück verloren haben. So unterschiedlich die Frauen auch sind, so gut kann man sich in ihre jeweilige Situation und Gefühlslage hineinversetzen. Die Geschichte ist empathisch geschildert und zeigt sehr deutlich - zumal auf deprimierende Art und Weise - dass was wir sind nicht immer das ist, was wir gerne wären. Das Buch handelt von der andauernden Suche nach Glück und den Hürden, die sich im Leben ergeben, vom Scheitern und Wiederaufstehen und dem Setzen neuer Ziele. Erfrischend ehrlich zeigt der Roman, wie schwierig und wenig harmonisch Freundschaften phasenweise sein können, aber auch, was Freundschaft letztlich alles aushalten kann. 



Donnerstag, 8. April 2021

Buchrezension: Ashley Audrain - Der Verdacht

Inhalt:

Violet ist ein Wunschkind, und Blythe möchte die liebevolle Mutter sein, die ihr selbst so sehr fehlte. Doch als man ihr das Neugeborene in den Arm legt, fühlt sich alles falsch an. Da ist nur Ablehnung, und je älter das Mädchen wird, desto mehr wächst die Angst vor Violet und ihrem feindseligen Verhalten, das sich Blythe nicht erklären kann. Alles nur Einbildung? Oder ist das Mädchen tatsächlich absichtsvoll böse? Fox, der seine Tochter von ganzem Herzen liebt, beobachtet seine Frau mit wachsendem Misstrauen. Bis eines Tages das größtmögliche Unglück über die Familie hereinbricht – und Blythe sich ihrer Wahrheit stellen muss. 

Rezension: 

Als Blythe von ihrem Mann Fox schwanger ist, ist sie verunsichert, da sie selbst von einer lieblosen Mutter aufgezogen wurde, die sie letztlich verlassen hat. Blythe möchte alles besser machen und ihre Tochter nie das spüren lassen, was sie selbst erleben musste. Als Violet zur Welt kommt, spürt sie nicht die innige Mutterliebe wie sie es sich erhofft hatte. Die Zeit allein mit dem Neugeborenen ist schwierig. Violet ist anstrengend, schreit viel und schläft wenig. Blythe fühlt sich von ihrer Tochter abgelehnt und ist enttäuscht, dass Violet sich gegenüber ihrem Vater ganz anders verhält. Je älter Violet wird, desto distanzierter wird die Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Das Mädchen zeigt sich hinterhältig, gefühllos und gemein und hat deshalb auch schon im Kindergarten Probleme. Blythe möchte eine zweite Chance und überredet Fox zu einem zweiten Kind. Mit Sam ist alles anders - Blythe liebt den Jungen heiß und innig und er gibt ihr die Liebe zurück. Für sie ist Sam der Beweis, dass sie doch eine gute Mutter sein kann. Doch das Glück ist nur von kurzer Dauer. Ein Unglück vernichtet das harmonisch gewordene Familienleben. Und in Blythe keimt ein Verdacht auf...

Der Roman ist aus der Perspektive von Blythe geschrieben, die rückwirkend ihrem Mann Fox ihre Geschichte, ihre Sicht der Dinge, schildert. Bereits der Prolog ist so aufwühlend, dass man sich fragt, was geschehen ist, dass eine Mutter so abfällig über ihre Tochter denkt. 

In kurzen Kapiteln wird ein Familiendrama geschildert, das so erschreckend und brutal wie ein Psychothriller anmutet. Blythe ist eine Frau, die kurz davor ist, Mutter zu werden, aber so geprägt ist von der Kaltherzigkeit ihrer eigenen Mutter Cecilia, dass sie selbst nicht weiß, ob sie die Erwartungen an eine Mutter erfüllen kann. Rückblenden in die 1960er- und 1970er-Jahre zeigen, dass schon Cecilia unter mangelnder Mutterliebe, Ablehnung und Gewalt leiden musste. 

Die Figuren sind fein gezeichnet und authentisch dargestellt. Blythe ist nahbar und es fällt leicht ihre Verunsicherung und ihre widerstreitenden Gefühle in Bezug auf ihre Tochter nachzuvollziehen. Da man als Leser nur die Perspektive von Blythe kennt, ist es schwierig zu sagen, ob sie als Mutter versagt hat und ihrer Tochter trotz aller guten Vorsätze nicht die Liebe entgegenbringen konnte, die ein unschuldiges kleines Kind verdient hat oder ob Violet ein Kind ist, das tatsächlich von Grund auf böse ist. Wie viel machen Erziehung und Sozialisation aus und wie viel ist von einem Charakter geprägt?

"Der Verdacht" ist ein Roman, der ein Bild auf das Mutterdasein wirft, das nicht nur von Glück, Freude, Liebe und Harmonie geprägt ist, sondern das auch anstrengend und enttäuschend sein kann. Er zeigt dabei deutlich, dass so ein Bild nicht erwartet wird, dass eine Mutter mit solchen Empfindungen hilflos allein gelassen wird und allenfalls als postpartal depressiv eingeordnet wird. Besonders erschreckend sind jedoch die Schilderungen über die junge Violet, die ihre Mutter nicht nur mit Trotzanfällen schikaniert, sondern schon als Kleinkind durch psychische und physische Gewalt brutal und herzlos ihren eigenen Willen durchsetzt. Es sind Dinge, die man einem Kind nur schwer zutraut und was Blythe nur noch unglaubwürdiger erscheinen lässt. 

Es ist ein fesselndes und schockierendes Buch über regretting motherhood und wie sehr schwierige Beziehungen in der Kindheit prägend sind und sich über die Generationen hinweg durchziehen. 



Dienstag, 6. April 2021

Buchrezension: Mina Gold - Das Leuchten der Inselblumen

Inhalt:

Das blaue Meer, der Wind in den Haaren, das Leuchten der Dünen: Anna ist glücklich auf der schönen Nordseeinsel Texel. Gemeinsam mit ihrer großen Liebe Ole genießt sie die Zweisamkeit und endlich hat sie den Mut, einem Geheimnis aus ihrer Kindheit auf den Grund zu gehen. Nur ihr Blumencafé bereitet ihr Sorgen, denn immer mehr Kunden bleiben aus. Da erfährt sie von einer unerwarteten Erbschaft: Ihre verstorbene Nachbarin Roos hat ihr das Haus mit dem wunderschönen Rosengarten vermacht. In Anna reifen Pläne für eine neue Zukunft und sie hat eine Idee, wie sie ihr Café zu neuem Leben erwecken kann. Doch dann steht auf einmal ihre gesamte Existenz auf dem Spiel. 

Rezension: 

Anna lebt seit einigen Monaten mit ihrem Dackel Harry auf der niederländischen Nordseeinsel Texel, liebt ihren Freund Ole, hat Freundschaften geschlossen und fühlt sich inzwischen angekommen und Zuhause. Die Vergangenheit kann sie jedoch nicht hinter sich lassen. Sie weiß immer noch nicht, wie ihre Schwester ums Leben gekommen ist, welche Schuld der Enkel ihrer inzwischen verstorbenen Nachbarin Roos trägt und wer sie auch weiterhin auf der Insel zu bedrohen scheint. Die Beziehung zu Ole ist wacklig, denn beide sind geprägt von schmerzhaften Erfahrungen und können ihre Eifersucht nicht unterdrücken. 
Annas Blumencafé hat sich bislang nicht etabliert, denn die Kunden bleiben aus. Die unerwartete Erbschaft von Roos ist deshalb eine beruhigende Unterstützung. Das alte Rezeptbuch von Roos hat Anna schon länger bei sich und so versucht sie, die Kuchen und Torten nach Originalrezept nachzubacken und das Café neu zu eröffnen. 

"Das Leuchten der Inselblumen" ist der zweite Band der Inselblumen-Trilogie und die Fortsetzung von "Der Sommer der Inselblumen".  
Das Buch schließt nahtlos an den ersten Teil an und durch kurze Rückblicke und Erinnerungen ist man als Leser wieder sofort mitten im Geschehen und angekommen auf der heimeligen Nordseeinsel. 
Anna ist eine liebenswürdige Figur, die etwas chaotisch und ungeschickt ist, eine ausgesprochene Tierliebe hat und sich auch stets um die Menschen in ihrer Umgebung sorgt und sich selbstlos kümmert. Die Beziehung zu Ole hat sich weiterentwickelt und wirkt authentisch, gerade da die sie nicht immer einfach und harmonisch ist. Die beiden lieben sich, aber Eifersucht und Misstrauen stehen ihnen immer wieder im Weg. 
Doch nicht nur in der Partnerschaft hat Anna Probleme, auch das Blumencafé und sein geringer Umsatz machen ihr Sorgen, die unverhoffte Erbschaft sorgt für Streit und der Geist ihrer verstorbenen Schwester Anouk lässt ihr keine Ruhe. Es ist nur zu verständlich, dass sie endlich wissen möchte, wie Anouk ums Leben gekommen ist, ob es ein Unfall war oder ob sie auf der friedlichen Insel tatsächlich getötet wurde. Hoffnung, endlich Gewissheit zu bekommen, entsteht, da der Todesfall als Cold Case wieder aufgerollt werden soll. 

Wie Band 1 ist auch die Fortsetzung unterhaltsam geschrieben, selbst wenn häufig nur Szenen aus dem Alltag von Anna und ihrem quirligen und leicht übergewichtigem Dackel Harry geschildert werden. Anna hat mit vielen Problemen zu kämpfen, aber es gibt auch viele schöne, sonnige Momente um Freundschaften und die Zuneigung zu den Tieren. 
Spannung wird weiterhin durch den unaufgeklärten Tod von Anouk und einem Gefühl der Angst erzeugt, denn Anna und ihr Erbe werden bedroht. 

"Das Leuchten der Inselblumen" ist ein abwechslungsreicher Roman über einen Neuanfang auf der beschaulichen Insel Texel, bei dem Anna jedoch zahlreiche Steine in den Weg gelegt werden. Doch sie ist nicht allein und kann stets auf Unterstützung von Nachbarn und Freunden hoffen. Es ist eine warmherzige Geschichte, die durch die Vielfalt der Charaktere und das bildhafte Setting der Nordseeinsel mit ihrer Fauna für Unterhaltung sorgt und durch die Krimielemente zusätzlich Spannung erzeugt. 
Auf den Abschluss der Trilogie muss man noch bis ins Jahr 2023 warten, was in Bezug auf die offenen Fragen, die auch nach diesem Band wieder bleiben, die Geduld etwas strapaziert. 

Montag, 5. April 2021

Buchrezension: Stephanie Butland - Die Frau auf dem Foto

Inhalt:

In jedem Foto steckt ein Leben – niemand weiß das besser als die ehemalige Star-Fotografin Veronica Moon. Deshalb hatte sie als junge Frau mit dem Fotografieren begonnen. Und deshalb hat sie vor Jahren damit aufgehört.
Doch nun wird eine Ausstellung über ihr Lebenswerk für die Fotografin zu einer Reise in die Vergangenheit: von jenen wilden Tagen 1968, als sie in der Feministin Leonie Barratt eine Freundin fürs Leben findet, bis zu Leonies tragischem Tod, über den Veronica bis heute schweigt.
Die Ausstellung leitet ausgerechnet Leonies Nichte Erica, die so vieles von Veronica wissen möchte. Ist endlich die Zeit gekommen, ihr Schweigen zu brechen und die Vergangenheit loszulassen?

Rezension: 

Veronica "Vee" Moon ist eine berühmte Pressefotografin, die den Höhepunkt ihrer Karriere von den 1970er- bis Anfang der 1980er-Jahre feierte. 1968, als sie noch verlobt und als Hochzeitsfotografin aktiv war, lernte sie die Journalistin und Feministin Leonie Barratt kennen. Die beiden freunden sich an, sie leben sogar einige Jahre gemeinsam in einer Wohnung, Vee bewundert Leonie und ist gar ein bisschen verliebt in sie. Durch Leonie schließt sie sich ebenfalls der Frauen-Befreiungsfront an und wird Teil einer Bewegung, die davon träumt, die Welt zu verändern. 
Im April 2018 plant die studierte Historikerin und Kuratorin Erica, die Nichte von Leonie, die auf dem Dachboden ihrer Mutter eine Kiste von Leonie mit Fotos und Andenken von Vee gefunden hatte, eine Retrospektive über Veronica Moon. Sie möchte ihr Lebenswerk ausstellen und trifft sich mehrere Wochen vor der Ausstellung, um diese zusammen mit Vee vorzubereiten und auch Vee erstmalig kennenzulernen. Die ältere Dame, die seit Jahren die Öffentlichkeit gemieden hat, ist zunächst zurückhaltend, erzählt aber dann die Geschichten zu den Fotos und öffnet damit Erica die Augen, sich mehr für ihre Rechte als Frau einzusetzen. Nur über die Umstände des Todes von Leonie macht sie ein Geheimnis und möchte nicht darüber sprechen. 

"Die Frau auf dem Foto" ist ein Roman, der anhand der fiktiven Biografien der Fotografin Veronica Moon und der Journalistin und Buchautorin Leonie Barratt die Geschichte der Frauenbewegung ab Ende der 1960er-Jahre darstellt. Er handelt auf zwei Zeitebenen und erzählt in der Vergangenheit die Lebensgeschichten von Vee und Leonie. Die Gegenwart dreht sich um die Vorbereitung der Foto-Ausstellung und Erica als nächste Generation von Frauen, für die sich während der vergangenen 50 Jahre erschreckend wenig verändert hat. Aus feministischer Sicht herrscht noch lange keine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, Frauen werden in die Mutterrolle gedrängt, schlechter bezahlt und auf ihr äußeres Erscheinungsbild reduziert. 

Der Roman ist abwechslungsreich gestaltet, um reale Ereignisse mit der Geschichte zu verknüpfen und den Kampf der Frauen für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit anschaulich darzustellen. Die beiden Erzählstränge werden durch Leonies Kolumne "Dear John" - Briefe einer Feministin, einen Abriss geschichtlicher Ereignisse zu der betreffenden Zeit in Großbritannien, durch Beschreibungen der Fotos der Ausstellung, die überwiegend den Protest der Feministinnen darstellen sowie durch Ausschnitte aus Vees Lehrbuch über Fotografie unterbrochen. Dies stört den Lesefluss jedoch in keiner Weise, sondern macht die Geschichte noch bildhafter und authentischer. 
Die Charaktere sind vielschichtig, nicht immer sympathisch, wirken damit aber besonders lebensecht. Selbst wenn man ihre Entscheidungen nicht immer gutheißen mag, kann man sie aus ihrer Perspektive nachvollziehen. 
Durch die Umstände von Leonies Tod, über den Vee nicht sprechen kann, und die Frage, warum sie letztlich die Fotografie aufgeben, sich öffentlich zurückgezogen und nicht weiter für eine Gleichberechtigung der Geschlechter gekämpft hat, wird neben der streitbaren Thematik zudem Spannung erzeugt. 
Der Roman schildert drei unterschiedliche, berührende Frauenschicksale und gibt der Frauenbewegung damit eine Stimme. Neben allen Erfolgen demonstriert er jedoch auch, dass das Ziel der Frauenbewegung und der Kampf gegen die Diskriminierung der Hälfte der Weltbevölkerung noch lange nicht erreicht ist. 

 

Samstag, 3. April 2021

Buchrezension: Katrin Bongard - Junimond

Inhalt: 

Olivia, Ares und Nick sind Freunde seit dem Kindergarten, wohnen in derselben Gegend, gehen auf die gleiche Filmschule. Sie sind eine eingeschworene Freundesclique, bis Stella in ihre Gegend zieht und das sensible Gleichgewicht der Gruppe verändert. Auf einmal kommt Liebe ins Spiel und Leidenschaft. Als die vier für ein gemeinsames Filmprojekt zusammenziehen, wird schnell klar, dass jeder ein Geheimnis hat, das man selbst dem besten Freund nicht anvertrauen kann. 

Rezension: 

Olivia, Ares und Nick wohnen in einem gut situierten Villenviertel in Potsdam und sind seit dem Kleinkindalter die besten Freunde. Als die "drei Musketiere" sind sie ein eingeschworenes Team. Im Frühling zieht Stella mit ihrer Mutter aus Berlin nach Potsdam, wo sie ein Haus am Griebnitzsee geerbt haben. Es ist ein heruntergekommenes, lange Zeit unbewohntes Haus, in dem sich Stella zunächst sehr einsam fühlt. Schnell lernt sie Ares kennen, der den Keller des verlassenen Hauses als Proberaum für seine Band nutzen wollte und dreist darin einbricht. Stella geht zudem in die selbe Klasse an dem Filmgymnasium wie Ares und seine Freunde. Bei einem Filmprojekt werden sie zu einer Gruppenarbeit zusammengewürfelt, was zunächst für wenig Begeisterung sorgt. Beim näheren Kennenlernen stellen sie jedoch fest, dass sich die drei und Stella ganz gut verstehen und ziehen in den Ferien sogar bei Stella ein, um intensiver an dem Film zu arbeiten. 
Dabei wird immer deutlicher, dass Olivia, Ares und Nick keine Kinder mehr sind und sich die Gefühle für einander verändert haben. Um die Freundschaft nicht zu gefährden, traut sich keiner wirklich offen darüber zu sprechen, so dass bald mehrere Geheimnisse zwischen den vieren stehen. 

"Junimond" ist ein Jugendbuch, das abwechselnd aus der Perspektive der vier Hauptfiguren geschrieben ist. Die Kapitel sind kurz und beginnen jeweils mit einem Zitat aus einem Film oder Serie, das passend zum Inhalt gewählt ist. Der Roman ist mit Cast und Abspann selbst ähnlich aufgebaut wie ein Film und auch das Making-of als Nachwort passt perfekt. 
Die Geschichte handelt von Freundschaft und der ersten Liebe und den typischen Problemen, die unter Teenagern entstehen, wenn aus Freundschaft mehr wird und man sich über seine eigenen Gefühle nicht sicher ist. 
Das gemeinsame Filmprojekt schweißt die vier zusammen, sie können sich kreativ austoben und lernen durch die Erkundungen in ihrer Gegend mehr über die geschichtlichen Hintergründe ihres Viertels, historisch bedeutenden Persönlichkeiten dort gewohnt haben und welche geschichtsträchtigen Entscheidungen dort getroffen worden sind. 

Die Geschichte ist abwechslungsreich geschrieben, die Teenager sind sympathisch und bestätigen in keiner Weise den ersten Eindruck, es mit verwöhnten Snobs zu tun zu haben. Auch wenn sie keine Geldsorgen haben, haben sie Probleme in den Familien, die nicht zu bezahlen sind. 
Stella fügt sich deshalb auch gut in die Dreiergruppe ein und ich hatte nicht das Gefühl, dass sie deren Gleichgewicht gestört hätte - ganz im Gegenteil. Durch die Viererkonstellation ist der Weg offen für Nick, seine Gefühle für Olivia zu offenbaren. 
Aufgrund des Klappentextes hatte ich mir mehr Konflikte und Dramen innerhalb der Freundschaft erwartet, empfand die Beziehungen zu einander jedoch sehr gefestigt und harmonisch. So konnte mich das Buch nicht komplett fesseln. Insbesondere gegen Ende hatte es seine Längen, da die Geschichte rund um das Filmprojekt ins Stocken geriet und die Teenager ihre Gefühle zu lange hinter dem Berg hielten, obwohl das Ende schon frühzeitig vorhersehbar war.