Mittwoch, 30. Oktober 2019

Buchrezension: John Marrs - The One - Finde dein perfektes Match

Inhalt: 

In der nahen Zukunft ist der Traum von der großen Liebe Wirklichkeit geworden. Dank der revolutionären Entschlüsselung eines bis dahin verborgenen genetischen Codes können die Menschen durch einen simplen Gentest ihren perfekten Partner finden. Das beschert der Welt Millionen glücklicher Paare und dem Online-Portal MatchyourDNA.com Milliarden auf dem Konto. Moment mal, Millionen glücklicher Paare? Nicht so ganz, denn auch Seelenverwandte haben Geheimnisse voreinander – und manche davon sind tödlicher als andere. 

Rezension: 

Dank der Entdeckung eines bisher verborgenen Gens ist es möglich, durch einen Gentest den einen perfekten Partner zu finden. Millionen von Menschen weltweit haben bereits davon Gebrauch gemacht und ihr "Match" gefunden. Darunter ist die Engländerin Jade, die ihren Traumpartner in Australien gefunden hat; Mandy, deren Match Richard bereits verstorben ist; Ellie, die Inhaberin einer milliardenschweren Firma ist, bisher keinem ihrer Partner wirklich trauen konnte und nun den bodenständigen Tim als idealen Partner gefunden hat. Nicky und Sally stehen kurz vor ihrer Hochzeit, als Sally darauf drängt, den Gentest zu machen, da sie unbedingt wissen möchte, ob sie wirklich perfekt zusammen passen. Und dann ist da noch Christopher mit seinem dunklen Geheimnis, der bisher der Meinung war, sich nicht verlieben zu können und mit der toughen Polizistin Amy unerwartet sein Match gefunden hat. 

Der Roman schildert fünf ganz unterschiedliche Liebesgeschichten, die alle in einer Weise vom Onlineportal MatchyourDINA.com beeinflusst sind. Dabei zeigt sich, dass der Test seine Tücken hat, wenn die Liebe sich doch nicht einstellen will oder wenn man plötzlich damit konfrontiert wird, dass der ideale Partner ein ganz anderer ist, als gedacht. 
Bei allen fünf Geschichten handelt es sich um alles andere als romantische Liebesgeschichten und jede konnte mich auf ihre Weise fesseln. Dabei stört es nicht, dass die Perspektiven durch die Kürze der Kapitel ständig wechseln. Im Gegenteil - durch die vielen Cliffhanger in den einzelnen Geschichten muss man unweigerlich weiterlesen. 

Das Szenario, das der Autor mit dem bisher unentdeckten Gen aufbaut, ist nicht abwegig, sondern durchaus vorstellbar. MatchyourDNA.com ist ein Programm, das einerseits eine Traumvorstellung ist, denn wer wünscht sich nicht, den perfekten Partner und eine lebenslange garantierte Liebe zu finden. Andererseits gleicht es aber auch einer Horrorvorstellung, wenn es tatsächlich nur den EINEN Partner geben soll, der rein aufgrund der Genetik für einen bestimmt ist. Das Streben nach Perfektion, das ohnehin schon immer stärker in der Gesellschaft verankert ist und Druck auf jeden einzelnen von uns ausübt, wird mit dieser Vorstellung auch noch auf die Liebe ausgedehnt. Hier wird gar ein Geschäft mit der Liebe betrieben, das nicht nur positive Folgen haben kann, wie der Roman zeigt. Die Gesellschaft wird geteilt in Menschen mit einer perfekten Partnerschaft, die sich auf das gesamte Wohlbefinden, Gesundheit und Beruf positiv auswirkt und in Menschen zweiter Klasse, die aller Wahrscheinlichkeit leistungsschwacher und anfälliger für Krankheiten sind, da ihnen die Aussicht auf das vollkommene Glück fehlt.  

"The One - Finde dein perfektes Match" ist ein durchgängig spannend geschriebener Thriller mit einer faszinierenden Grundidee, die gelungen umgesetzt wurde und bei der die Handlung mit vielen unerwarteten Wendungen und Überraschungsmomenten aufwarten kann. Der Verlauf jeder einzelnen Geschichte, die anfangs so glücklich und perfekt erschien, zeigt die Gefahr, die von einer Abhängigkeit von so einem Programm ausgehen kann. 





Montag, 28. Oktober 2019

Buchrezension: Jules Wake - Covent Garden im Schnee

Inhalt:

Tilly Hunter hat alles, was sie sich nur wünschen kann: fabelhafte Freunde, ihren Traumjob als Maskenbildnerin im Londoner Opernhaus und Felix, ihren liebenswürdigen und fürsorglichen Verlobten. Es sieht ganz so aus, als würde dieses Weihnachten das beste überhaupt werden.
Doch dann legt Tilly durch eine peinliche Dummheit die Server des Opernhauses lahm und wird dazu verdonnert, sich vom neuen IT-Chef Marcus Walker schulen zu lassen. Zwar sieht Markus in seinen schicken Business-Anzügen ganz ansehnlich aus, aber seine super-seriöse, ernsthafte Art ist ein Albtraum für die kreative Tilly.
Als sich jedoch herausstellt, dass Tillys Verlobter Felix ganz und gar nicht der ist, für den sie ihn hält, ist es Marcus, der ihr mit einer überraschend starken Schulter zur Seite steht. Plötzlich sind die Maronen-Stände in Tillys heiß geliebtem Covent Garden nicht mehr das Einzige, das Funken fliegen lässt …
Vielleicht ist Marcus ja das beste Weihnachtsgeschenk, das sie je bekommen hat? 


Rezension:

Mathilde, genannt Tilly, arbeitet als Maskenbildnerin am Opernhaus in London. Ihrer Arbeit geht sie mit Leidenschaft nach, auch wenn sie - im Gegensatz zu ihrer Schwester Christelle, die erfolgreiche Anwältin ist - dafür gefühlt nie eine Anerkennung von ihren Eltern bekommen hat. Mit Technik und Computern steht Tilly allerdings auf Kriegsfuß und ist Schuld, als ein Virus ins System des Opernhauses eindringen kann. Sie wird deshalb dazu verdonnert, einen IT-Kurs zu belegen und den neu eingestellten IT-Fachmann Marcus Walker zu unterstützen, der die Abläufe der Oper optimieren möchte. 

Tilly sträubt sich zwar gegen die neuen Ideen von Marcus und ist ihm zunächst auch keine große Hilfe bei seinen Überlegungen, fühlt sich aber von seinem attraktiven Äußeren und seinem kompetenten Auftreten angezogen. Sie kann ihre Empfindungen selbst nicht verstehen, aber ihre Welt gerät erst so richtig aus den Fugen, als sie von ihrem Verlobten Felix auf eine Weise hintergangen wird, die ihr den Job kosten könnte. Er hat ihr allerdings noch mehr verschwiegen...

"Covent Garden im Schnee" ist kein sorgenloser Weihnachts-Wohlfühlroman, wie es Cover und Klappentext mit der Beschreibung als "Liebes-Roman, romantische Komödie und Weihnachts-Märchen" suggerieren. Es ist Winter, aber von weihnachtlicher Stimmung ist lange nicht viel zu spüren. Im Fokus des Romans steht insbesondere das Opernhaus mit seinen Inszenierungen und Tillys damit verbundenen Aufgaben. Die Beschreibungen der Arbeitsabläufe sind nicht uninteressant, aber sehr detailliert und etwas zu nüchtern und sachlich für einen romantischen Winterroman. 
Tilly ist dagegen eine liebenswerte Protagonistin, die aber unter einem mangelnden Selbstbewusstsein leidet und sich deshalb zu einfach in die Ecke "ungeschickt, einfältig und altbacken" drängen lässt, in ihrem erlernten Beruf ist sie nämlich eine echte Koryphäe. 

Die eingeschlafene Beziehung zu Felix spielt während der Handlung nur eine untergeordnete Rolle, so dass man sich auch nicht wundert, dass Tilly Augen für andere Männer wie Marcus oder ihren E-Mail-Flirt-Kontakt hat. 
Die Anziehung zu Marcus und die Annäherung zwischen den beiden ist zwar vorhersehbar, aber nicht zu plump dargestellt. Es dauert, bis die beiden ihre Gefühle zugeben und offenbaren können.

Spannung kommt dagegen auf, als sich für Tilly diverse berufliche und private Probleme ergeben, die die letzten Tage vor Weihnachten deutlich trüben. Bei der Bewältigung ihrer Schwierigkeiten ist Christelle an ihrer Seite, so dass sie ihrer Schwester endlich wieder näher kommt. 

Ich hätte mir noch mehr weihnachtliche Stimmung, Magie und eine romantischere Atmosphäre gewünscht, und zu Beginn etwas weniger über den Arbeitsalltag hinter der Bühne in einem Opernhaus gelesen. 
Es ist keine klassische Weihnachtsgeschichte, sondern mehr eine Geschichte über die charakterliche Weiterentwicklung von Tilly zu mehr Selbstbewusstsein, eine Versöhnung mit ihrer Familie und einen Neuanfang in Sachen Liebe. Tilly wird erwachsen und lernt verantwortungsvoller zu handeln. 



Samstag, 26. Oktober 2019

Buchrezension: Jørn Lier Horst - Wisting und der Tag der Vermissten (Cold Cases, Band 1)

Inhalt: 

Seit 24 Jahren hat Kommissar William Wisting ein Ritual: Am Jahrestag des Verschwindens von Katharina Haugen nimmt er sich die Fallakten erneut vor. Dieser Cold Case lässt ihm einfach keine Ruhe. Jedes Jahr trifft er zudem Martin Haugen, den Ehemann der Vermissten und damaligen Hauptverdächtigen, dem nie eine Schuld nachgewiesen werden konnte. Doch dieses Jahr sind zwei Dinge anders: Aus Oslo reist Adrian Stiller an, der in einem anderen Fall über die Fingerabdrücke von Martin Haugen gestolpert ist. Und als Wisting Haugen wie immer treffen will, ist dieser spurlos verschwunden. 

Rezension:

Kriminalkommissar William Wisting trifft sich jährlich mit Martin Haugen, dessen Ehefrau Katharina vor 24 Jahren verschwunden ist. Haugen war zunächst selbst verdächtig, hat jedoch ein Alibi, was die vermeintliche Tatzeit betrifft. Wisting hat sich mit dem zurückgezogen lebenden Mann angefreundet, auch wenn er nach wie vor glaubt, dass Haugen mehr über das Verschwinden seiner Ehefrau weiß. 

In diesem Jahr verläuft der Jahrestag anders als sonst, denn Wisting trifft Haugen zunächst nicht an. Dafür erfährt er, dass Haugen Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren eines anderen Vermisstenfalls ist, der sich vor 26 Jahren ereignet hat und nicht aufgeklärt werden konnte. Damals ging es um die Entführung einer gut situierten 17-Jährigen. Zusammen mit einem Kriminalkommissar für Cold Cases aus Oslo, Adrian Stiller, beginnt die Polizei beide Fälle wieder aufzurollen - in der Hoffnung, Haugen nach all den Jahren überführen zu können. 

"Wisting und der Tag der Vermissten" ist Band 1 der "Cold Cases" von Jørn Lier Horst, aber bereits Band 12 um den norwegischen Kriminalkommissar William Wisting. Der Krimi entwickelt sich gemächlich, wirkt aber durch die kurzen Kapitel und Perspektivenwechsel sehr dynamisch. Der Fall und die Ermittlungen werden überwiegend aus Sicht von Wisting, aber auch aus der Perspektive des jungen, ehrgeizigen Ermittlers Stiller sowie Wistings Tochter Line geschildert, die als Journalistin den "Cold Case" um die Entführung aufarbeitet, mit dem Haugen aus der Reserve gelockt werden soll. 

Der Krimi ist abwechslungsreich erzählt, da man nicht nur Einblick in die Ermittlungen, sondern auch in die Pressearbeit und das Privatleben von Wisting erhält. Zudem ist Wisting ein Polizist, der ruhig und besonnen agiert und im Gegensatz zu vielen anderen literarischen Kommissaren herrlich normal und glaubwürdig ist. 

Es ist ein unblutiger, ruhiger Krimi, bei dem es um die Aufklärung jahrzehntealter Fälle geht, weshalb die Ermittler weitgehend ohne Druck neuen Spuren folgen und von neuen Ermittlungsmethoden, die Ende der 1980er-Jahre noch nicht existierten, Gebrauch machen können. Spannung entsteht damit nicht durch die Frage, ob die vermissten oder entführten Personen noch gerettet werden können, sondern wie die beiden Fälle mit einander in Zusammenhang stehen, welche Rolle dabei der ominöse "Katharina-Code" spielt, der bisher nicht entschlüsselt werden konnte, und ob der oder die Täter nach all den Jahren zur Rechenschaft gezogen werden können. 

Fazit: ein unaufgeregter, solider Krimi aus Skandinavien mit einem sympathischen Ermittler und subtiler Spannung. 
Band 2 der Reihe erscheint bereits am 3. Januar 2020, in dem Wisting wieder mit Stiller einen unaufgeklärten Kriminalfall aufrollt. 




Freitag, 25. Oktober 2019

Buchrezension: Katherine Webb - Die Schuld jenes Sommers

Inhalt:

Bath 1942: Im Chaos eines Bombenangriffs ist der kleine Davy plötzlich unauffindbar. Frances, die auf den Jungen aufpassen sollte, macht sich auf die Suche. Sie ist verzweifelt, denn schon einmal ist ein Kind verschwunden: Vierundzwanzig Jahre zuvor war ihre beste Freundin Wyn nach einem Streit nie wieder aufgetaucht. Ausgerechnet in dieser schicksalhaften Nacht fördert der Einschlag einer Bombe das Skelett eines Kindes zutage. Das tote Mädchen ist Wyn. Frances ist zutiefst erschüttert, und dunkle Erinnerungen aus der Vergangenheit werden lebendig. Was geschah in jenem Sommer vor über zwanzig Jahren? Wo ist Davy? Und hat er überlebt?

Rezension: 

Während eines Bombenangriffs im April 1942 verschwindet der sechsjährige Davy spurlos, als Frances auf ihn aufpassen sollte. Schuldbewusst sucht sie die darauf folgenden Tage verzweifelt nach ihm. 
In dem zerstörten Bath werden währenddessen die sterblichen Überreste von Wyn, Frances bester Freundin gefunden, die vor 24 Jahren verschwunden war. Damals hatte man einen österreichischen entflohenen Kriegsgefangenen als ihren vermeintlichen Mörder zum Tode verurteilt. Durch den Fund der Leiche zweifelt Frances inzwischen daran, dass der richtige Täter zur Verantwortung gezogen wurde und beginnt sich zu fragen, ob der Täter von damals auch mit Davys Verschwinden in Zusammenhang stehen könnte. Sie kann einfach nicht glauben, dass der Junge in der Bombennacht ums Leben gekommen ist. 

Frances ist eine junge Frau, die den Verlust ihrer besten Freundin nie überwunden hat. Ihr Leid und Schmerz und die Tatsache, dass sie nie glücklich geworden ist, ist spürbar. Als 24 Jahre später das Skelett von Wyn gefunden wird und Gewissheit herrscht, dass sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist, erinnert sich Frances wieder an ihre Kindheit ab dem Jahr 1916. Sie denkt daran zurück, wie sie Wyn kennengelernt und sich mit dem dünnen, armseligen Mädchen angefreundet hat, das aus einer Familie stammte, in der Gewalt an der Tagesordnung war. 
Als Frances Davy, für den sie verantwortlich war, während der Bombardierung von Bath verliert, übermannen sie die Schuldgefühle. Zudem kommen Erinnerungen in ihr hoch, die sie zunächst nicht einordnen kann, Dinge, die sie damals verschwiegen hatte. 

Es ist ein Roman mit einem eigentlich spannenden Plot, der auf zwei Zeitebenen spielt, der aber etwas langatmig erzählt wird. Sowohl die Gegenwart als auch die Vergangenheit - zu Zeiten eines der beiden Weltkriege - handelt von einem vermissten Kind, das für Frances jeweils eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielte. Die Suche nach Davy ist allerdings repetitiv und eintönig, Frances Erinnerungen an ihre Kindheit, die aufgrund Wyns dysfunktionaler Familie erschütternd sind, dagegen von mehr Ideenreichtum geprägt. Dass der falsche Täter gefasst wurde, ist offensichtlich und so beginnt man als Leser selbst Vermutungen anzustellen, wer am Tod von Wyn Schuld ist und hofft, dass Frances endlich abschließen und zur Ruhe kommen kann. Auch ist fraglich, ob es nur Frances Wunschvorstellung entspricht, dass Davy die Bombennacht überlebt hat oder ob er unter den Trümmern begraben liegt. 

"Die Schuld jenes Sommers" ist ein historischer Roman mit Krimielementen über Freundschaft, qualvolle Erinnerungen, Schuldgefühle und die Suche nach Wahrheit. Frances ist eine traumatisierte, gebrochene Frau, die sich der Vergangenheit stellen muss, davor jedoch eine seltsame Abneigung hat. Es ist etwas ermüdend, immer wieder sich wiederholenden Sätze zu lesen, die in Frances Verzweiflung in ihrem Kopf herum schwirren und dadurch wird auch die Aufklärung von Wyns Verschwinden nicht enden wollend in die Länge gezogen. Am Schluss kam zwar doch noch die bislang vermisste Spannung auf und auch die Klärung des Falls war so nicht vorhersehbar, aber selbst nach der Auflösung schafft es die Autorin noch das Ende weiter hinauszuzögern. 


Mittwoch, 23. Oktober 2019

Buchrezension: Rindert Kromhout - Anders als wir

Inhalt:

Angelica wächst in einer Welt voller Freiheit, Kunst und Kultur auf. Sie wird ermutigt, ihren eigenen Weg zu gehen, sich selbst zu behaupten. Doch in dem Moment, wo sie beginnt, Freundschaften mit Gleichaltrigen zu schließen, entdeckt sie eine ihr unbekannte „normale Welt“. Erst jetzt fällt ihr auf, welch ungewöhnliches Leben ihre Familie führt. Sie beginnt sich nach Normalität zu sehnen, denn zu viel Freiheit kann auch bedrückend sein. 

Rezension: 

Im Frühling 1941 verschwindet die Schriftstellerin Virginia Woolf spurlos. Sie hat einen Brief hinterlassen, über dessen Inhalt sich Vanessa Bell, ihre Schwester, gegenüber ihren Kindern Quentin und Angelica ausschweigt. Die beiden Geschwister rätseln, wo ihre wundervolle, geistreiche Tante sein könnte, wobei die 16-jährige Angelica überzeugt ist, dass sie nicht zurückkommen wird. Sie beginnt Quentin, einem angehenden Schriftsteller, von ihren Erinnerungen zu erzählen. Aus Angelicas Eindrücken über Virginia entwickelt sich eine Geschichte über Angelica selbst, die bewegender ist, als Quentin je vermutet hätte. 

Angelica und Quentin sind in einer Familie voller exzentrischer Künstler aufgewachsen und vor allem die junge, sensible Angelica, die ein enges Verhältnis zu ihrer Tante Virginia pflegte, fühlte sich von ihrer Mutter Vanessa vernachlässigt, gar ignoriert. Ihr war stets alles erlaubt, Verbote oder strenge Worte gab es nicht. Als sie durch die Schule, in der sie ihr unangenehm von der Lehrerin gegenüber ihren Mitschülern bevorzugt wurde, Gleichaltrige kennenlernt, erfährt sie, wie diese leben und welche Beziehungen sie zu ihren Eltern haben. Sie lernt die "normale" Welt kennen und wünscht sich, auch so ein gewöhnliches Leben zu führen - einfach Kind zu sein statt von der grenzenlosen Freiheit überfordert zu werden. 

"Anders als wir" ist ein Jugendbuch, das auf Fakten und wahren Figuren basiert und ohne Weiteres von Erwachsenen gelesen werden kann. 
Es ist unheimlich interessant, durch die Erzählung mehr über die Künstlerfamilie um Virginia Woolf und Vanessa Bell, Angehörige der Bloomsbury Group, die Anfang des 20. Jahrhunderts schöpferisch tätig war, zu erfahren. Sehr anschaulich wird das etwas andersartige Leben der Schriftsteller, Maler und Verleger beschrieben, in der Kinder scheinbar keinen Platz haben. Aus Sicht der Kinder wird eindrucksvoll beschrieben, wie sich ihre Familienkonstellation, in der Vater und Mutter nicht zusammenleben, von anderen Familien unterscheidet und wie vor allem die Jüngste, Angelica, darunter leidet. Das Verschwinden ihrer Tante mit ihrem einnehmenden Wesen, die im Gegensatz zu ihrer Mutter mit ihr spielte oder mit ihr einkaufen ging, trifft sie besonders hart. Während sie gegenüber Quentin offen erzählen kann, bekommt sie den Eindruck, dass ihre Mutter auch für ihre Schwester nicht genügend da war und begegnet ihr vorwurfsvoll, ohne zu wissen, welche Wahrheit Vanessa und Virginia verbargen.  
Ihre Kindheit und Jugend bewegt und lässt das Verschwinden Virginia Woolfs in den Hintergrund treten. Dennoch bleibt es spannend zu erfahren, was mit ihr passiert ist und aus welchen Gründen, sie Monk`s House verlassen hat. 
Der Roman über die kleine Schwester Angelica hat mir so gut gefallen, dass ich nun auch "Brüder für immer", in der die beiden Söhne Vanessa Bells, im Vordergrund stehen, lesen möchte. 


Montag, 21. Oktober 2019

Buchrezension: Emma Heaterhington - Das Weihnachtswunder von Hope Street

Inhalt:

Ruth Ryans scheint alles zu haben, was man sich wünschen kann: den perfekten Job, ein schönes Zuhause, Freunde. Doch gerade zu Weihnachten fühlt Ruth sich so alleine wie nie zuvor.
Der Todestag ihres geliebten Vaters jährt sich zum ersten Mal, und am liebsten würde Ruth Weihnachten einfach ausfallen lassen. Doch dann beschließt sie, ihr großes, leeres Haus mit neuem Leben zu füllen. Sie lädt Fremde ein - Einsame, Verlassene und Vergessene -, um das Fest der Liebe gemeinsam zu feiern. Für alle ist dieser Akt der Nächstenliebe ein Geschenk. Doch das größte Geschenk bekommt am Ende Ruth. 

Rezension: 

Ruth schreibt eine Kolumne bei einer Zeitung und hat eine eigene Radiosendung, in der sie Menschen, die Rat suchen, versucht zu helfen. Sie ist eine hilfsbereite "Kummerkastentante", jedoch selbst einsam und allein. Besonder spürt sie das in der Vorweihnachtszeit, als sich der erste Todestag ihres Vaters, der für sie ein großes Vorbild war, nähert. Ruth möchte Weihnachten dieses Jahr am liebsten ausfallen lassen und überlegt auch, ihr Elternhaus zu verkauf, das für sie allein viel zu groß ist. 
Da begegnet sie Michael, einem Kellner in ihrem Stammcafé, dem sie bisher wenig Beachtung geschenkt hatte. Er ist der Obdachlose, dem sie vor einem Jahr Geld gegeben hat und der damit eine neue Perspektive im Leben erhalten hatte. Er bringt sie zum Nachdenken und zum Handeln statt in Trübsal zu verfallen. Sie beschließt, an Weihnachten ein Dinner zu veranstalten und neben Michael sechs weitere einsame Menschen einzuladen. Während der Vorbereitungen kommt sie Michael näher und erlebt ihr persönliches Weihnachtswunder. 

Der Roman ist trotz der unterschwelligen Traurigkeit, die aufgrund der vielen Einzelschicksale unweigerlich vorhanden ist, eine Feelgood-Geschichte. Ruth ist ein herzensguter Mensch, der sich lieber den Problemen Fremder widmet, als sich ihren eigenen zu stellen. Sie verdrängt die Einsamkeit bis sie sie wenige Tage vor Weihnachten einfach nicht mehr ignorieren kann. Statt zu verzweifeln erfährt sie Halt durch Michael, dem sie das Leben gerettet hatte, was ihr ein gutes Gefühl vermittel. Sie stürzt sich in die Vorbereitungen für ein Weihnachtsfest, dass sie für einsame Menschen ausrichtet, die in ihrer Kolumne Rat gesucht haben. 

"Das Weihnachtswunder von Hope Street" ist ein modernes Weihnachtsmärchen, das die Botschaft der Nächstenliebe und das Gefühl von Weihnachten als ein Fest der Liebe und Gemeinschaft sowie der Achtsamkeit und Vergebung vorbildhaft vermittelt. Es ist eine süße Geschichte, die einen schon jetzt wunderschön in Weihnachtsstimmung versetzt und trotz des Happy-End-Charakters mit Wendungen aufwarten kann, so dass man über die zumal hölzernen Dialoge zwischen Ruth und Michael hinwegsehen kann. 



Samstag, 19. Oktober 2019

Buchrezension: Rosa Ventrella - Die Geschichte einer anständigen Familie

Inhalt:

Maria wächst in den Gassen der Altstadt von Bari heran – in einer rauen Welt, die in den Achtzigerjahren noch geprägt ist von Traditionen und den strengen Regeln innerhalb der Familie. Aber Maria hat einen unbändigen Freiheitswillen, und sie lehnt sich auf: gegen den tyrannischen Vater, den groben Bruder, die Rolle als folgsames Mädchen. Ihr einziger Verbündeter ist Michele, Sohn einer verhassten Familie in der Stadt und Außenseiter wie sie. Doch durch ein tragisches Ereignis werden die beiden gezwungen, getrennte Wege zu gehen. Bis sie sich einige Jahre später wiedersehen – und Maria einen kühnen Entschluss fasst. 

Rezension: 

Maria de Santis wächst in den 1980er-Jahren in Bari in Süditalien zusammen mit ihren beiden Brüder Giuseppe und Vincenzo bei ihren Eltern heran. Maria ist ein Wildfang und sieht mit ihrer dunkleren Hautfarbe etwas exotischer aus als die anderen Kinder in ihrer Umgebung. Unter den Gleichaltrigen fällt sie auf und ist nicht besonders beliebt. Sie wehrt sich gegen gemeine Mitschüler, was ihr auch innerhalb der Familie den Spitznamen "Malarcarne" (Teufelsbraten) einfängt. 

Ihr bester Freund wird Michele, in den sie sich später verliebt. Dieser gehört allerdings einer Familie an, die von den Einwohnern Baris ausgeschlossen wird und die auch Marias Vater als Feindbild sieht. Er verbietet ihr in seiner tyrannischen Art den Umgang mit Michele. Trotz ihres Freiheitsdranges fügt sich Maria aus Angst vor dem Jähzorn ihres Vaters seinem Willen bis sie als erwachsene Frau ihre Gefühle nicht mehr unterdrücken kann und möchte. 

Mir fiel es schwer, mich in den Roman einzufinden, da man zu Beginn  mit sehr vielen Namen von Familienmitgliedern, Mitschülern und Stadtbewohnern konfrontiert wird, die sich in der Masse auf einmal gar nicht so leicht einordnen lassen. Es folgt eine Beschreibung der Kindheit und Jugend von Maria, die sich nirgendwo wirklich zugehörig fühlt. Bis auf Michele, der selbst ein Außenseiter ist, hat sie keine engen Freunde und in ihrer Familie herrscht ihr Vater als autoritärer Patriarch, der vor Drohungen und Gewalt nicht zurückschreckt. Die Mutter ordnet sich ihm unter flüchtet sich in Fantasien, dass der Geist ihrer toten Schwester noch im Haus ist und ihr beisteht. 

Man wird an einen Ort versetzt, in dem Kriminalität und Gewalt zwischen den Familien in den späten 1980er-/ frühen 1990er-Jahren allgegenwärtig sind und nicht weiter hinterfragt werden. Die Atmosphäre des Romans ist deshalb eher düster, auch wenn am Beispiel des älteren Bruders Giuseppe gezeigt wird, dass ein Ausbruch aus dem monotonen, armseligen Leben in der Kleinstadt möglich ist. Dies wünscht man auch Maria, die intelligent genug erscheint, die Stadt und die Verbote ihres Vaters hinter sich zu lassen. 

Trotz der Erzählungen aus ihrer Sicht über knapp zehn Jahre bleibt Maria unnahbar und ihre Gefühlswelt verborgen. Es ist schwer nachzuvollziehen, was sie für ihre Mutter, ihren Vater und Michele wirklich empfindet. Gerade in Bezug auf Michele waren ihre Emotionen so zurückhaltend, dass die Frage offen blieb, ob sie ihn tatsächlich liebt oder nur als Gelegenheit nutzt, um aus ihrer Familie ausbrechen zu können und vor allem ihrem Vater seine Grenzen aufzuzeigen. 

"Die Geschichte einer anständigen Familie" ist eine Geschichte über das Heranwachsen eines Mädchens in einem sozial schwachen Milieu, die einen halbherzigen Versuch unternimmt, aus der Enge von Kleinstadt und Familie auszubrechen. Es ist keine Geschichte über die Familie de Santis  - dafür ist sie in Bezug auf die Charaktere zu oberflächlich und zu kurz gefasst. 
Für mich plätscherte die Geschichte ohne merkliche Höhepunkte dahin - mir fehlten Spannungsmomente und Emotionen, Maria blieb mir zu passiv und unnahbar und ich hatte Schwierigkeiten mich in ihre Gefühlswelt hineinzudenken. 




Freitag, 18. Oktober 2019

Buchrezension: Caroline Lea - Die Farbe von Glas

Inhalt:

Island 1686: Die junge Rósa leidet unter so bitterer Armut, dass sie befürchtet, den Winter nicht zu überleben. In ihrer Verzweiflung nimmt sie den Antrag des reichen Händlers Jón an, der eine Frau für Haus und Hof sucht. Rósa folgt ihm in sein Dorf und trifft bei den Einwohnern auf eine Mauer aus Argwohn und Ablehnung. Düstere Legenden ranken sich um Jón. Man erzählt sich, er habe seine erste Frau Anna umgebracht. Jón schweigt dazu unerbittlich. Einziger Trost für Rósa ist eine kleine Glasfigur, die er ihr zur Hochzeit schenkte. Trotz aller Widrigkeiten erscheint sie unzerbrechlich, während das Böse um Rósa herum immer greifbarer wird.
Als das Dorf eines Nachts von Schnee und Eis bedeckt wird, rückt die Bedrohung näher, und diesmal steht Rósa im Auge des Sturms. 

Rezension:

Die 25-jährige Rósa lebt mit ihrer Mutter Sigridúr zusammen in Skálholt in Island. Im Sommer 1686 erkrankt die Mutter an einem Husten, dass Rósa die Befürchtung hat, dass diese den Winter aufgrund von Kälte und Hunger nicht überleben könnte. In ihrer Verzweiflung heiratet sie Jón Eiríksson, einen reichen Händler, der verspricht, ihre Mutter mit Medizin und Lebensmitteln zu versorgen. 

Rósa muss sodann ihr Dorf verlassen und in Jóns abgelegene Kate nach Stykkishólmur ziehen, wo sie sich um Haushalt und Hof kümmern soll. Jón, um den verschiedene düstere Gerüchte ranken, macht ihr Angst und auch in seiner Kate scheint es zu spuken. Rósa hört Geräusche, ist einsam, darf sich aber nicht der Dorfgemeinschaft anschließen. Auch Jón ist kaum bei ihr, arbeitet auf dem Feld und schläft im Stall. 

Die Dorfbewohner misstrauen Jón, der in aller Heimlichkeit seine erste Ehefrau Anna begraben haben soll. Rósa weiß nicht, was sie von den Gerüchten und düsteren Legenden halten soll, kann ihren Ehemann, der ihr die kalte Schulter, aber dann und wann auch menschliche Züge zeigt, nicht einschätzen. Sie spürt eine lauernde Bedrohung, wünscht sich nach Hause und befürchtet, dass sie nach Anna, die Aufgrund von Einsamkeit verrückt geworden sein soll, das nächste Opfer sein könnte. 

"Die Farbe von Glas" ist ein atmosphärischer Roman mit einer tragischen Geschichte und vielschichtigen Charakteren. Durch die anschauliche Beschreibung fühlt man sich bildlich in das 17. Jahrhundert nach Island versetzt und kann die eisige Kälte nachempfinden. Es herrschen Armut und Hungersnot um Winterhalbjahr. Aberglaube und Sagen sind tief verwurzelt in der Mentalität der Menschen, aber wie Hexerei verboten und mit dem Tode zu bestrafen. Frauen haben sich den Männern zu unterwerfen und ihnen zu dienen. So ergeht es auch Rósa, die ihre Freiheit aufgibt und den reichen Bonði statt dem von ihr geliebten Jugendfreund Páll zu heiraten, um ihre Mutter zu retten. Man fühlt mit ihr mit und kann in der Abgeschiedenheit schon bald ihre Angst nachvollziehen, in der Kate, die Geheimnisse verbirgt und aus Einsamkeit, den Verstand zu verlieren. 

Der Roman ist zunächst nur aus der Perspektive von Rósa geschrieben, so dass man nur ihren begrenzten Horizont betrachten kann. Später wird diese durch Jóns Sicht ergänzt, die zwei Monate später handelt. Aus der Ich-Perspektive blickt dieser zurück, was sein abweisendes und herrisches Verhalten besser erklären kann. Die Motive und Charaktere erscheinen damit nicht mehr nur Schwarz-Weiß und es ist spannend zu sehen, wie Rósa, aber vor allem Jón, auf den durch die Dorfgemeinschaft erzeugten Druck reagieren werden. 

"Die Farbe von Glas" ist eine düstere, mysteriöse Geschichte, die ruhig beginnt und als sich die Geheimnisse um Jón und seine erste Ehefrau offenbare, fesselnd geschrieben ist. Es ist eine Geschichte über Liebe, Verrat und Vergebung, die durch Wendungen überrascht und insbesondere durch die Kulisse, Atmosphäre und starken Charaktere überzeugt. 





Mittwoch, 16. Oktober 2019

Buchrezension: Helen Hoang - Kissing Lessons (Kiss, Love and Hearts-Trilogie, Band 1)

Inhalt: 

Küssen sollte einfach sein. Jeder tut es. Es ist nicht viel dabei. Aber Stella kommt sich jedes Mal vor wie ein Hai, dem gerade ein paar Pilotfischchen die Zähne reinigen. Und das ist nicht schön, weder für sie noch für den Mann. Sie hat die Sache mit der Liebe schon beinahe aufgegeben – als Asperger-Autistin mag sie ohnehin nichts, was ihre Routine stört –, doch dann bringt ein dahingesagter Satz sie ins Grübeln: Übung macht den Meister. Stimmt das? Braucht sie einfach mehr Erfahrung? Und wenn ja, wer bringt einem das Küssen bei – und mehr? Vermutlich ein Profi, ein Escort. Wie Michael Phan. Auch wenn der eine ganz eigene Vorstellung von ihrem Unterricht hat. 

Rezension: 

Stella ist 34 Jahre alt, erfolgreiche Ökonometrikerin, unfassbar reich, hat aber keine Ahnung von der Liebe. Sie leidet unter dem Asperger-Syndrom, einer Variante des Autismus, und hat deshalb enorme Probleme auf zwischenmenschlicher Ebene zu interagieren und fühlt sich deshalb oft überfordert und reizüberflutet. 
Sie hat dennoch die Hoffnung nicht aufgegeben, die Liebe und den passenden Partner zu finden und denkt, dass ihr einfach nur die Übung fehlen könnte. Sie engagiert daraufhin Escort Michael, ihr das Küssen und noch viel mehr beizubringen, um sicherer im Umgang mit dem anderen Geschlecht zu werden. 

Michael arbeitet aufgrund einer finanziellen Notlage als Escort und hat wegen seiner schlechten Erfahrungen den Vorsatz gefasst, sich nur einmalig mit einer Frau zu treffen, um die Nacht mit ihr zu verbringen. Von Stella ist er jedoch so fasziniert, dass er für sie eine Ausnahme macht. 

"Kissing Lessons" wurde von "Goodreads" als bester Liebesroman des Jahres 2018 ausgezeichnet und beginnt auch erfrischend unterhaltsam, so dass ich den Roman von Helen Hoang, die offenbar selbst am Asperger Syndrom leidet, nach der Leseprobe weiter lesen wollte. Der weitere Verlauf des Romans war für mich jedoch enttäuschend, da die Geschichte sich denkbar platt entwickelte und letztlich vorhersehbar ist. Voll von Klischees und rein auf das Sexuelle abzielend ist das Buch weder originell noch romantisch. 

Die Beziehung zwischen Stella und Michael entwickelte sich - gerade im Hinblick darauf, dass Stella aufgrund ihrer Störung Probleme hat, mit Gefühlen umzugehen und sie richtig zu deuten und Michael Frauen bisher nur als Objekt seiner Begierde betrachtet hat - viel zu schnell, ohne dass romantische Gefühle zwischen den beiden zu spüren waren. 
Ohne große Annäherungen ging es direkt zur Sache. Stella konnte sich bereits während des ersten Dates auf Michael einlassen und dieser war auch unmittelbar dazu bereit, seinen Grundsatz zu brechen und ihr an mehreren Abenden Unterricht zu erteilen und sich als ihr persönlicher "Übungsfreund" zur Verfügung zu stellen. Geld spielte für den bad guy keine Rolle mehr, er wollte einfach nur noch "seine" Stella befriedigen und besitzen. Die eigentlich intelligente Stella lief ihm wie ein läufiges Hündchen hinterher. 

"Kissing Lessons" ist eine erotische Geschichte mit eindimensionalen Charakteren, einer völlig banalen Handlung und einer Überdosis an Sex und dirty talk, die mich nicht dazu verleiten kann, weitere Teile der "Kiss, Love and Hearts"-Trilogie zu lesen. Statt der erhofften originellen Liebeskomödie habe ich einen pornografischen Roman mit sich monoton wiederholenden expliziten Szenen erhalten. 

Die Moral von der Geschichte, Liebe mit Ökonomie zu vergleichen und Kaufen bzw. Geschenke als DEN Liebesbeweis zu sehen, finde ich nicht nur unglaubwürdig, sondern auch bedenklich. Man gewinnt den Eindruck, dass Liebe tatsächlich käuflich ist und dass Liebe nur aus Sex besteht bzw. durch den wollüstigen Sex entwickelt. Eine gemeinsame emotionale Ebene von Stella und Michael gibt es nicht bzw. konnte sich in der Kürze der Zeit nicht entwickeln, weshalb es schon fast lächerlich erscheint, dass die beiden doch wirklich schon über Heirat nachzudenken scheinen. Stellas Asperger-Syndrom und ihre daraus resultierende mangelnde soziale Kompetenz geriet völlig in den Hintergrund bzw. war in Bezug auf Michael nur durch seine Finger in ihrem Höschen schon behoben. 




Montag, 14. Oktober 2019

Buchrezension: David Garnett - Mann im Zoo

Inhalt:

John Cromartie besucht mit seiner Freundin Josephine Lackett den Zoologischen Garten, dabei kommt es zu einem Streit. Josephine hält John seine "atavistischen Ansichten" vor und meint, er gehöre selber in den Londoner Zoo. Gesagt, getan: Kurzerhand schreibt Cromartie an die Zoo-Direktion, seinem Anliegen wird entsprochen und bald darauf zieht er in einen Käfig im Affenhaus. Seine beiden Nachbarn, ein Schimpanse und ein Orang-Utan, sind alles andere als begeistert und würden den neuen Mitbewohner, vor dessen Käfig die Leute Schlange stehen, vor lauter Eifersucht am liebsten in der Luft zerreißen. 

Rezension:

John Cromartie ist mit seiner Freundin Josephine Lackett gemeinsam im Zoo und erklärt ihr, dass er sie gern heiraten würde. Für Josephine kommt dies nicht in Frage. Sie möchte sich nicht nur an ihn binden und hat Angst um ihre Freiheit. Es kommt zum Streit, in dem sie ihm ein barbarisches Verhalten vorwirft und meint, er gehöre zu den Tieren im Zoo. John ist enttäuscht, dass seine Liebe so abgeschmettert wurde und beschließt, ihrer Idee Folge zu leisten. Er schreibt einen Brief an den Zoo und zieht anschließend in das Affenhaus. 

Das Buch ist bereits 1924 erschienen hat aber nichts von seiner Aktualität verloren. Es ist eine Novelle über die Liebe und über das Infragestellen der Konzeption Ehe. Dabei enthält die kurze Erzählung aber noch viel mehr Anspielungen auf das widersinnige Verhalten der Menschen. 
So werden die Besucherzahlen des Zoos enorm gesteigert, da die Menschen in Scharen einfallen, um den "Homo Sapiens" zu sehen. Die Affen um John reagieren eifersüchtig, da er die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dieser erlangt bald einen Käfigkoller, erhält einen Karakal als "Schmusekatze" und Freund, während er sich von dem nebenan einziehenden "Neger" - der Zoo möchte ein ganzes "Menschenhaus" - errichten, belästigt fühlt. 
Josephine besucht ihn mehrfach, als sie merkt, wie sehr sie John liebt, fühlt sich durch seine freiwillige Inhaftierung in den Zoo jedoch gedemütigt. Das durch den Käfig getrennte Paar streitet sich und niemand möchte nachgeben. Man selbst erkennt sich in Beziehungsfragen in der Unnachgiebigkeit und Sturheit der beiden wieder, was die skurrile Geschichte so lebensnah und unterhaltsam macht. Sie regt zum Nachdenken an über lebenslange Bindungen und wie man in einer Trennung die Chance für eine Gemeinsamkeit finden kann und ist überhaupt nicht altbacken, sondern mit einem Augenzwinkern geschrieben.





Freitag, 11. Oktober 2019

Buchrezension: Mary Torjussen - Schlaf schön, solange du noch kannst

Inhalt: 

Maklerin Gemma wächst das Leben über den Kopf. Sie verbringt lange Tage im Büro, dabei hätte sie gern mehr Zeit für ihren Sohn. Ihr Mann wiederum plant schon das zweite Kind und den Umzug zu den Schwiegereltern. Als Gemma eine Einladung zu einer Konferenz in einem Hotel erhält, kommt diese Auszeit wie gerufen – dass sie dort zufällig ihren Klienten David trifft, noch mehr. Doch am nächsten Morgen kann sich Gemma an nichts mehr erinnern, und auch David scheint verschwunden. Plötzlich erreichen Gemma Fotos von besagter Nacht. Die 36-Jährige ahnt nicht, dass diese auch ein verdrängtes Trauma aus ihrer Jugend wieder an die Oberfläche zerren. 

Rezension: 

Gemma Brogan ist Immobilienmaklerin, verheiratet und Mutter eines dreijährigen Sohnes. Da sie mehr verdiente als ihr Ehemann, hatte sich das Paar während der Schwangerschaft darauf geeinigt, dass Joe zu Hause bleibt und sich um Söhnchen Rory kümmert. Inzwischen ist die Immobilienblase geplatzt und Gemma muss als Selbstständige annähernd rund um die Uhr arbeiten. Sie ist ausgelaugt, vermisst ihren Sohn und beneidet ihren Mann. 

Um etwas Abstand zu gewinnen, nimmt Gemma deshalb gerne an einem zweitägigen Seminar in London teil. Abends trinkt sie zu viel Alkohol, kann morgens kaum an der Konferenz teilnehmen und sich zu Hause nur noch bruchstückhaft an die Stunden im Hotel erinnern, die sie mit ihrem neuen Kunden David verbracht hat, der zufällig auch dort übernachtet hatte. Dass er sie vor ihrem Hotelzimmer geküsst hat, weiß sie noch, aber Wochen erhält sie Fotos und Videos, die noch viel mehr zeigen und die die ohnehin schon angespannte Beziehung zu ihrem Ehemann zerstören könnten. 

Der Roman beginnt mit einem spannenden Prolog über eine Party vor 15 Jahren, bevor er in der Gegenwart ohne weiteren Bezug zur Vorgeschichte beginnt. Er ist aus der Ich-Perspektive von Gemma geschrieben, die jedoch im zweiten Teil des Romans durch die Sichtweise einer anderen Person ergänzt wird. 

Gemma ist gestresst und man kann sich in ihre Rolle als unter Druck stehende Selbstständige mit viel zu wenig Zeit für die Familie gut hineinversetzen. Gegen ihren Mann kann sie sich nicht durchsetzen. Während sie das Geld verdient, schmiedet er eigene private Pläne oder sorgt sich, dass er zu spät zum Sport kommt, wenn Gemma wieder Überstunden macht. 
Der Alltag von Gemma wird dabei sehr ausführlich erzählt, zusätzlich ist ihre Angst spürbar, dass Joe von ihrem vermeintlichen Ehebruch erfahren und ihr Rory entziehen könnte. 

Die Nachrichten, die Gemma erhält, sind subtil und nicht fernab der Wirklichkeit. Es ist eine Mischung aus Stalking und Erpressung - etwas, das jeden treffen könnte, so dass die Geschichte nicht reißerisch, sondern sehr real und glaubhaft wirkt. Das Buch ist dennoch ein wenig ermüdend, denn die Abfolgen wiederholen sich: Gemma ist unkonzentriert bei der Arbeit, erhält Botschaften und weiß sich nicht zu helfen. 
Ab der zweiten Hälfte erhält der Erzählung durch die zweite Perspektive eine Wendung und nach und nach löst sich auf, wer und warum hinter der perfiden Intrige steckt. Doch dann dauert es wieder lange, bis Gemma endlich handelt. 
Schon früh war klar, dass eigentlich nur Rache hinter den kompromittierenden Fotos und unterschwelligen Warnungen stecken kann, doch wie diese schlussendlich erklärt wird, empfand ich nicht schlüssig. Die Handlungen des Täters waren vor diesem Hintergrund für mich nicht stimmig. 

"Schlaf schön, solange du noch kannst" ist eine Geschichte, die sich gemächlich entwickelt und die die Bezeichnung "Thriller" nicht verdient hat. Es ist eher ein Drama, bei dem man Gemmas Paranoia miterlebt und spürt, wie sie die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren scheint. Mir war dies jedoch zu langatmig und spannungsarm erzählt und der Plot Twist nicht wirklich gelungen. Zudem fühlte ich mich vom egoistischen Verhalten von Gemmas Ehemann genervt. 



Mittwoch, 9. Oktober 2019

Buchrezension: Rachel Joyce - Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie

Inhalt: 

Mister Frank hat eine besondere Gabe: Er spürt, welche Musik die Menschen brauchen, um glücklich zu werden. In Franks Plattenladen in einer vergessenen Ecke der Stadt treffen sich Nachbarn, Kunden und die anderen Ladenbesitzer der Straße und hören Klassik und Jazz, Pop und Punk. Keiner weiß, wie lange sie hier noch überleben können. Da taucht eines Tages die Frau in Grün vor Franks Schaufenster auf. Sosehr er sich auch bemüht, Frank kann einfach nicht hören, welche Musik in ihr klingt. 

Rezension:

Ende der 1980er ist Frank Inhaber eines Plattenladens und auch wenn die CD auf dem Vormasch ist, hält er an Vinyl fest. Frank ist nicht nur nostalgisch. Er hat auch ein besonderes Talent und kann für jeden Kunden die passende Musik finden, die diesen in die richtige Stimmung versetzt bzw. ihm zu seinem persönlichen Glück verhilft. 

Eines Tages kommt eine Frau in seinen Laden und wird dort ohnmächtig. Die deutsche Ilse Brauchmann ist geheimnisvoll und Frank kann in ihrer Gegenwart nicht spüren, welche Musik die richtige für sie ist. Ilse kommt wieder und möchte Musikstunden von Frank. Sie treffen sich daraufhin regelmäßig in einem Café, wo Frank ihr von bekannten Musikstücken aus Klassik und Poprock erzählt. 

"Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie" ist eine charmante Geschichte über Frank und seinen besonderen Laden in einer heruntergekommenen Straße in London mit mehreren Geschäften, die um ihre Existenz kämpfen und verdrängt werden sollen. 
Frank lässt sich allerdings nicht unterkriegen und beugt sich dem Druck, seinen Laden zu verkaufen oder fortschrittlicher zu wirtschaften. Er ist Idealist, der auch Kunden auf der Suche nach Musiktiteln berät, die nie etwas bei ihm kaufen. 

In Rückblenden erfährt man von seiner Kindheit und Jugend, wie er bei seiner alleinerziehenden Mutter aufgewachsen ist, die ihm zwar einerseits die Liebe zur Musik geschenkt hat, ihn aber andererseits aber mehr als einen Partner als als Kind behandelt und entsprechend vernachlässigt hat. So hat er sich zu einem etwas verschrobenen Menschen entwickelt und geprägt von der Mutter die Liebe von sich ferngehalten. 

Die geheimnisvolle Deutsche zieht ihn dennoch an und so gibt er ihr Musikstunden, womit er es schafft, sich ihr anzunähern. Die von ihm besprochenen Musikstücke lösen etwas in Ilse aus, das sie zurückschreckt. Die Musikstunden werden deshalb zunächst immer wieder abrupt von ihr abgebrochen und sie flieht regelrecht vor Frank. Dieser bleibt regelmäßig verstört zurück und weiß gar nicht, was er bei ihr anrichtet. 

"Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie" ist ein Buch, in dem Musik eine zentrale Rolle spielt, weshalb man als Leser sich bestenfalls mit Songs aus den 1980er-Jahren auskennen sollte oder zumindest ein Interesse dafür haben sollte. Es ist ein magischer Roman mit liebenswerten Charakteren, die allesamt Außenseiter sind. Es ist eine symbolkräftige Geschichte, in der Musik eine Form von Therapie ist, die zwar nicht sonderlich packend geschrieben ist, aber durch das geheimnisvolle Verhalten von Ilse die Neugier des Lesers weckt. 

Es ist eine Geschichte der leisen Töne über Zusammenhalt, Gemeinschaft, Freundschaft und am Ende auch über die Liebe.
Die Liebesgeschichte konnte mich allerdings nicht überzeugen, ich Frank und Ilse einfach nicht als Paar in Einklang bringen konnte. Eine rein platonische hätte ich als stimmiger empfunden. Statt den Fokus auf eine Liebesgeschichte zu lenken, hätte ich lieber mehr über die Vita einzelner Nebencharaktere erfahren, um diese nicht nur als etwas weltfremde Statisten wirken zu lassen. 

Wer gerne moderne Märchen mit einem Hauch Nostalgie liest, wird diesen über weite Strecken zauberhaften Roman über die magische Wirkung und heilende Kraft der Musik genießen. 



Montag, 7. Oktober 2019

Buchrezension: Dani Atkins - Sag ihr, ich war bei den Sternen

Inhalt: 

Stell dir vor, an deiner Seite steht der Mann, den du liebst. Du spürst seine Hand in deiner, und sie passt perfekt in deine. Es ist sein Lächeln, das dich morgens weckt. Die Zukunft gehört euch beiden, ihr werdet heiraten. Und in deinem Bauch wächst euer Kind heran. Allein der Gedanke daran lässt dein Herz überlaufen vor Glück.Doch dann: ein unachtsamer Schritt. Ein abgelenkter Autofahrer. Ein schrecklicher Unfall.
Du fällst in einen tiefen Schlaf. Und während du schläfst, geht das Leben einfach weiter. Wenn du erwachst, wird nichts mehr so sein wie zuvor. Denn dein Happy End gehört nun einer anderen. 

Rezension:

Die 28-jährige Maddie ist schwanger und in den letzten Vorbereitungen für die Hochzeit, als sie von einem Transporter angefahren wird und ins Koma fällt. 
Als sie wie durch ein Wunder aufwacht, ist nichts mehr wie es wahr. Die Welt hat sich weiter gedreht und ihr Verlobter Ryan hat eine andere Frau, Chloe, die als Freiwillige Sozialstunden im Krankenhaus ableistet. 

Alle haben es gehofft, aber niemand hatte wirklich damit gerechnet, dass Maddie wieder aufwachen und sich zurück ins Leben kämpfen könnte. Selbst für die Ärzte gilt sie als "miracle girl". Und so erscheint es auch nur menschlich, dass Ryan um seine Liebe getrauert und mit dem Leben weitergemacht hat. 

Der Roman ist aus der Sicht von Maddie und interessanterweise aus der Sicht ihrer Konkurrentin Chloe geschrieben, wobei beide Frauen fast gleich alt, aber komplett unterschiedlich sind und man als Leser zu beiden dieselben Sympathien hegt. Auch Ryan kann man nicht böse sein, dass er sich gegen seine totgesagte Verlobte und für die zunächst engagierte Helferin und Freundin Chloe entschieden hat. 

Es ist ein emotionaler Roman, der zu Tränen rührt und bei dem man sich in die Gefühlslagen beider Frauen anschaulich hineinversetzen kann. Maddie hadert mit dem Schicksal und der Zeit, die ihr gestohlen worden ist, während Chloe verunsichert ist und in Angst lebt, ob Ryan nicht doch wieder zu seiner hübschen ehemaligen Verlobten zurückkehren könnte. In Rückblenden erfährt man darüber hinaus, was in der Zeit von Maddies Koma passiert ist, wodurch man nach dem Einstieg in Maddies Leben vor allem Chloe noch näher kommt. 

Es ist eine emotionale und anrührende Geschichte über zweite Chancen, Familie, Liebe und Freundschaft, die durchgehend flüssig zu lesen ist und den Leser mit der ein oder anderen Wendung überrascht. Am Ende war sogar wieder ein wenig des typischen Dani-Atkins-Effekts zu spüren, der den Leser verblüfft und was ihren romantischen Büchern stets einen Hauch von Magie verleiht. 
Dennoch hätte ich mir vor dem Hintergrund dieser schicksalhaften Erzählung noch mehr Drama gewünscht. Die Figuren waren zwar durchweg sympathisch, aber es fehlte ihnen an Ecken und Kanten, so dass es trotz des Konkurrenzdrucks zwischen den Frauen erstaunlich wenig Reibereien gab, die Protagonistinnen die Fassung wahrten und für meinen Geschmack einfach zu selbstlos und gut waren. 




Samstag, 5. Oktober 2019

Buchrezension: Virginia Macgregor - Die Bilder in unseren Herzen

Inhalt: 

Eines Morgens begegnen Isabel und ihre elfjährige Tochter River einem Mann vor dem Londoner Zoo. Vom Regen durchnässt sitzt er auf einer Parkbank. Als sie ihn ansprechen, kann er nicht antworten – er erinnert sich nicht einmal an seinen Namen. Isabel beschließt, ihn mit ins Krankenhaus zu nehmen, in dem sie arbeitet. River knüpft schnell eine besondere Beziehung zu dem Mann: Statt zu reden, malen sie gemeinsam Bilder. Je mehr Zeit vergeht, desto näher kommen sich auch Isabel und der talentierte Künstler. Doch langsam kommen die Erinnerungen an seine Vergangenheit zurück, und Isabel muss sich fragen, ob er je bereit sein wird für eine neue Liebe. 

Rezension:

Isabel und ihre Tochter River entdecken einen verwirrten Mann im Regent's Park, der sich nicht einmal an seinen Namen erinnern kann. Sie bringen ihn in das Krankenhaus, in dem Isabel als Raumpflegerin arbeitet. Sie kennt den Arzt David Deardorff gut, der sich dem Patienten annimmt und auch ohne  Papiere und Krankenversicherung behandelt. 
River hat Sommerferien und so kommt sie täglich in das Krankenhaus, um Reg, wie sie ihn inzwischen nennt, zu besuchen. An seiner Seite wird die unter ADHS leidende River ruhiger und genießt es, mit ihm Bilder zu malen. Die Hoffnung besteht auch, dass er durch das Zeichnen, denn er entpuppt sich als wahrer Künstler, wieder seine Erinnerung erlangt. 
Je länger Reg im Krankenhaus bleibt, desto größer wird der Druck auf David und desto mehr Misstrauen entsteht seitens der Klinikleitung und Behörden, ob die Amnesie nur vorgetäuscht ist und was der offensichtlich nicht aus England stammende Mann verbergen könnte. 

Der Roman ist abwechselnd aus den Perspektiven der elfjährigen River, ihrer Mutter Isabel, dem Arzt David und von Reg geschrieben. Allesamt sind sie liebevoll und individuell gezeichnete Charaktere, die die herzerwärmende Geschichte glaubhaft machen. 
Jeder Figur ist bis zu den Nebencharakteren einzigartig und hat mit seinen ganz eigenen Problemen zu kämpfen, die nachvollziehbar dargestellt sind. River ist ein aufgewecktes Mädchen, das nicht still sitzen und sich in der Schule nicht konzentrieren kann und sich deshalb als Last für ihre Mutter empfindet. Isabel wohnt mit ihrer besten Freundin Jules zusammen, liebt ihre Tochter über alles, hadert aber dennoch damit, dass sie aufgrund ihrer frühen Schwangerschaft nicht studieren konnte und sie deshalb am Existenzminimum leben. David lebt für seinen Beruf als Arzt, leidet aber unter Minderwertigkeitskomplexen und würde sich nie trauen, eine Frau anzusprechen. Ihm bleibt nur seine Mutter im Pflegeheim. 
Reg ist der geheimnisvollste Protagonist, von dem man lange nichts weiß. Bis zur Auflösung seiner Herkunft und Identität ist er ein verunsicherter Mann, der unter Gedächtnisverlust leidet. Als er mit Hilfe eines ehemaligen Kommilitonen Davids identifiziert werden kann, werden die Protagonisten vor neue Probleme gestellt und geben der Geschichte eine aufregende Wendung. 

Auch wenn der Roman zwischendurch etwas langatmig erschien, ist es eine warmherzige Geschichte über einen geheimnisvollen Mann, dessen Rätsel spannend zu lösen ist. Es ist ein Roman über Loyalität und Nächstenliebe, über Vertrauen und Selbstvertrauen, eine Geschichte über Liebe und moderne Familien. Gleichzeitig enthält der Roman durch Regs Hintergrund eine politische Komponente, die tagesaktuell ist und zum Nachdenken anregt, wie man selbst in einer solchen Situation handeln würde. 
Es ist schön zu lesen, welche Entwicklung jeder Charakter durchmacht und wie der Zusammenhalt und die gemeinsame Hilfe für Reg für jeden einzelnen zu einem persönlichen Happy End führt. 



Freitag, 4. Oktober 2019

Buchrezension: Ava Dellaira - Auf der Suche nach dem Kolibri

Inhalt:

Marilyn weiß genau, wie ihre Zukunft aussehen soll: Nach der Schule will sie einfach nur weit weg, an ihrer Wunsch-Uni studieren und Fotografin werden. Dann lernt sie James kennen, der sie in ihren Träumen unterstützt, ihr aber auch zeigt, dass es sich lohnt, im Hier und Jetzt zu leben. Bis sie vom Schicksal auseinandergerissen werden.
Angie hat keine Ahnung, was sie mit ihrem Leben anfangen will. Sie weiß nur, dass sie unbedingt in Erfahrung bringen muss, was wirklich mit ihrem Vater James passiert ist. Laut ihrer Mutter Marilyn ist er bereits vor ihrer Geburt bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Aber dann findet Angie Hinweise darauf, dass ihre Mutter nicht die ganze Wahrheit erzählt hat. Mit ihrem Exfreund macht sie sich auf den Weg nach L.A., um endlich herauszufinden, woher sie kommt und wer sie ist. 


Rezension: 

Die 17-jährige Marilyn lebt zusammen mit ihrer Mutter Sylvie bei ihrem jähzornigen Onkel in L.A. Ihre Mutter hat große Erwartungen an sie, hofft sie doch, dass ihre Tochter eine berühmte Schauspielerin wird und so viel Geld verdient, dass sie beide endlich in den Verhältnissen leben können, die sie verdienen. Marilyn teilt die Träume ihrer Mutter nicht, traut sich aber nicht mit ihr darüber zu reden. Sie hält dem Druck kaum noch stand und möchte ihre Freiheit genießen und aufs College gehen. Da lernt sie James kennen, der aufgrund seiner dunklen Hautfarbe ein Dorn in den Augen ihres Onkels ist, bei dem sie sich aber ungewohnt geborgen fühlt und in seinem Zuhause ein Gefühl von Familie erfährt. 

Knapp 20 Jahre später ist Marilyn selbst Mutter einer 17-jährigen Tochter, die sie abgöttisch liebt und die sie mit ihrer Liebe fast erdrückt. Angie liebt ihre Mutter auch, die jedoch immer so einsam und traurig auf sie wirkt. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt, dieser sei bereits vor ihrer Geburt gestorben und sie wünscht sich, dass ihre Mutter sich neu verlieben würde. Als sie ein Foto von ihren Eltern findet und dadurch auch erfährt, dass sie einen Onkel hat, kommen ihr Zweifel, ob ihr Vater wirklich tot ist. Zum ersten Mal in ihrem Leben lässt sie ihre Mutter allein und macht sich auf den Weg nach L.A. um nach James zu suchen. 

Der Roman wechselt zwischen den Zeitebenen 1998, als Marilyn noch jung war und in der Gegenwart, in der die Geschichte aus Sicht ihrer jugendlichen Tochter erzählt wird. Beide haben Mütter, die Druck auf ihre Töchter ausüben. Die eine, da sie ihre Hollywood-Träume auf ihre Tochter überträgt, die andere, für die ihre Tochter das ein und alles ist. Marilyn und Angie hängen an ihren Müttern, wünschen sich aber mehr Freiheiten und Unabhängigkeit. 

"Auf der Suche nach dem Kolibri" ist ein Roman über das Erwachsenwerden, der etwas melancholisch ist und der sehr feinfühlig erzählt ist. Sowohl Marilyn als auch Angie sehen sich einer Erwartungshaltung ihrer Mütter ausgesetzt, die sie fast erschlägt und haben ihren Platz im Leben für sich noch nicht gefunden. Beide begeben sich in dem Roman auf eine Suche und finden am Ende zusammen. Gerade Marilyns Schicksal berührt, so dass man ihr klammerndes Verhalten ihrer Tochter gegenüber nachvollziehen kann. Aber auch Angies etwas egoistische Flucht nach L.A. ist verständlich, da sie endlich die Wahrheit über ihre Herkunft erfahren möchte. 
Der Roman beschreibt eine ergreifende Liebesgeschichte, eine generationenübergreifende Geschichte über die Beziehungen zwischen Mutter und Tochter und regt über den auf beiden Zeitebenen angeprangerten Alltagsrassismus in den USA zum Nachdenken an.