Freitag, 30. Juni 2023

Buchrezension: Lily King - Hotel Seattle

Inhalt:

Eine Vierzehnjährige verknallt sich in einen verheirateten Mann und träumt von der großen Romantik, bis sie erfahren muss, dass Liebe und Lust zwei einander entgegengesetzte Dinge sein können. Ein junger Mann outet sich und verliert daraufhin seinen besten Freund, dessen Unsicherheit in Aggression umschlägt. Eine Frau kämpft damit, die Abweisung ihrer Teenager-Tochter zu ertragen und fühlt sich dabei so einsam wie nie, doch die Verbindung einer Mutter zu ihrem Kind kann so leicht nicht erschüttert werden. 

Rezension: 

"Hotel Seattle" ist eine Sammlung von zehn Kurzgeschichten, die zwischen zehn und 44 Seiten lang sind. Sie handeln von Liebe, Begehren, Sehnsüchten und Familie und haben Charaktere verschiedenen Alters - vom Kind bis zum alten Mann - als Erzählstimme. Auch wenn die Liebe ein zentrales Thema ist, sind es keine romantischen Geschichten. Es geht um unerfüllte Liebe, um Verlust und Tod, um die Annäherung zwischen Eltern und Kindern, zwischen Großeltern und Eltern, brüchigen Familien und missbräuchlicher Liebe.
Nicht alle Geschichten sind gleich einnehmend oder verständlich, nicht immer fällt es leicht, sich in die Hauptfiguren hineinzuversetzen. Die Geschichten sind so bunt wie das Cover des Buches und lassen nie auf das Ende schließen.

Ich tauche lieber tief in Charaktere und ihre Geschichten ein, befasse mich lieber intensiver mit einer Thematik, weshalb ich kein großer Freund von Kurzgeschichten bin. Auch wenn die Einzelgeschichten nicht lang sind, ist nicht jede pointiert und fesselnd. Viele enden abrupt, manche ganz ohne Aha-Effekt.

Die Geschichten sind abwechslungsreich, aber nur einige wenige konnten mich durch einen gekonnten Twist überraschen und mit einem zufriedenen Gefühl zurücklassen. Andere sind schnell vergessen und nicht umsonst nur als Kurzgeschichte verblieben, deren schmaler Inhalt keinen ganzen Roman gefüllt hätten. 

Mittwoch, 28. Juni 2023

Buchrezension: Shelley Read - So weit der Fluss uns trägt

Inhalt:

Am Fuße der Berge Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater und ihrem Bruder in rauer Abgeschiedenheit. Doch der Tag, an dem sie dem freiheitsliebenden Wil begegnet, verändert alles. Bald ist Victoria gezwungen, das Leben, das sie kennt, aufzugeben und in die Wildnis zu fliehen. Dort muss sie ums Überleben kämpfen – um ihr eigenes und um das ihres ungeborenen Kindes. Als sie endlich die Kraft findet, neu anzufangen, droht der Fluss, alles zu zerstören, was ihrer Familie seit Generationen ein Zuhause war. 

Rezension: 

Die 17-jährige Victoria Nash lebt am Rande der Kleinstadt Iola am Fluss des Gunnison River in Colorado, wo ihre Familie eine Pfirsichfarm betreibt. Nach einem Verkehrsunfall vor sechs Jahren, bei der ihre Mutter, ihre Tante und ihr Cousin ums Leben gekommen sind, ist Torie allein in einem Männerhaushalt. Sie hat die Aufgaben ihrer Mutter übernommen und kocht und putzt für ihre verstockten Vater, den verbitterten Kriegsveteran Onkel Ogden und ihren aggressiven Bruder Seth sowie die Hilfsarbeiter auf der Farm. 
Ohne eine mütterliche Ratgeberin manövriert sich Torie durch die eintönigen Tage und ist deshalb umso aufmerksamer für einen Fremden, der ihr zufällig begegnet. Doch Wilson Moon ist indigener Abstammung, für die Bewohner der Kleinstadt nur ein krimineller Vagabund, den es zu vertreiben gilt. Torie aber überträgt alle Sehnsüchte auf ihn, schenkt ihm ihre ganze Liebe und wird unbedarft schwanger. Diese kann sie über Monate hinweg geheim halten, flieht aber letztendlich aus Angst um das Leben ihres ungeborenen Kindes in die Berge. 
Aus einer einsamen Entscheidung heraus entwickelt sie eine ungeahnte Stärke und kämpft um die Bewahrung des Erbes ihrer Familie, als Iola geflutet werden soll. 

Der Roman handelt von 1948 bis 1971, weshalb der Klappentext nur einen kleinen Ausschnitt beschreibt. Tatsächlich konnte mich die Geschichte auch erst nach einem Drittel für sich einnehmen, als Victoria mehr Mut und Stärke entwickelt hatte, eigeninitiativ handelte und unerschrocken für ihre Ziele kämpfte. Bis dahin ist die Geschichte in der Beschreibung des Alltags auf der Farm düster und eintönig und auch die Liebesgeschichte bringt kein Licht und Hoffnungsschimmer in das Leben der 17-jährigen Torie. Statt einer romantischen Liebe wirkt ihre Leidenschaft für Wil wie eine Flucht vor den rauen Männern, die sie bisher kannte. 
Die Schwangerschaft und Flucht sind letztlich doch ein Ausweg aus der Monotonie, wenn auch anders als gedacht. 

Victoria entwickelt sich weiter, reift zur Frau und agiert vorausschauender und mutiger als so manch anderer Bewohner Iolas, als deutlich wird, dass der Ort keine Zukunft mehr hat. Sie hat weiterhin nur wenig Kontakt zu Menschen, kümmert sich lieber um Tiere, Pflanzen und die Ernte und möchte das schier Unglaubliche schaffen - das Erbe ihrer Familie bewahren. Auch wenn die Farm und die Plantage verloren scheint, setzt sie Hoffnung in ihre Bäume, um auch weiterhin die berühmten Nash-Pfirsiche ernten zu können. 

Nach einem schwachen und zähen Anfang entwickelte sich die Geschichte anders als erwartet und fasziniert mit dem Kampf für die Natur und was mit Mut, den richtigen Helfern und einem Quäntchen Glück alles möglich ist. Allerdings verliert sich die Handlung auf dem Weg zum versöhnlichen Ende ein wenig. Der Perspektivwechsel ist zwar aufschlussreich, wirkt jedoch unbeholfen und wenig kreativ. 
Der Roman ist naturverbunden, handelt von Einsamkeit und Rassismus, von Verlust, Entwurzelung und Heimat und insbesondere von Außenseitertum, Unerschrockenheit und der grenzenlosen Liebe für das, was wichtig erscheint. Die Geschichte hatte ich mir jedoch packender, emotionaler und gehaltvoller erhofft. 

Montag, 26. Juni 2023

Buchrezension: Lene Hansen - Wo die Sonne die Wellen berührt

Inhalt:

Annie hat einen herausfordernden Job als Anwältin. Für ein Privatleben – geschweige denn für Urlaub – bleibt kaum Zeit, dabei sehnt sie sich nach Sonne und Meer.
Hannah arbeitet als Innenarchitektin, ihre Entwürfe sind kreativ und spektakulär. Doch ein schwerer Schicksalsschlag lässt ihren Lebensplan zu Staub zerfallen.
Henriks Leben ist eine Erfolgsstory. Mit seinem Start-up schafft er es ganz nach oben, bis er durch eine Fehleinschätzung alles verliert.
Das Schicksal führt die drei Fremden an die Côte d’Azur – wo ausgerechnet ein Federball, der in einer Tasse landet, zum Beginn ihrer gemeinsamen Geschichte wird. 

Rezension: 

Annie ist promovierte Rechtsanwältin in Berlin und nach einer beruflich stressigen Phase und der Trennung von ihrem Freund, der sich lieber ein Heimchen am Herd wünschte, urlaubsreif und reist auf Empfehlung ihrer Assistentin an die Côte d'Azur. 
Hannah hat ihre Krebserkrankung überstanden, ist aber dennoch am Boden zerstört und hat Angst, erneut zu erkranken. Seit der Diagnose wohnt sie als verlassene Ehefrau bei ihren Eltern, die sie rührend umsorgt haben, sie aber nun wieder ins Leben entlassen möchten. Sie zwingen sie zu einem Urlaub in Südfrankreich, wo sie ihre depressive Phase überwinden soll. 
Der Hamburger Henrik hat sich mit seinem Bruder erfolgreich selbstständig gemacht, durch die Teilhabe ihrer gewieften Cousine jedoch ins Abseits manövriert. Für eine Auszeit fährt er in das alte Ferienhaus seines Großvaters nach Bonnemer in die Nähe von Nizza. 
Alle drei treffen in Südfrankreich auf einander, wo sie sich den Herausforderungen eines neuen Anfangs stellen. 

Der Roman ist wechselnd aus den Perspektiven aller drei Protagonisten geschildert, die aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlicher Motivation an die französische Riviera gelangt sind. Während Annie und Henrik eine berufliche Auszeit nötig haben, um sich neu zu orientieren und bewusst in die Urlaubsstimmung eintauchen, ist Hannah dagegen nicht freiwillig dort, missmutig und lässt dies auch an allen Menschen, die es gut mit ihr meinen, aus. Schon bald kann sich aber auch Hannah nicht dem Charme des Mittelmeeres und des liebevoll bewirtschafteten Hotels entziehen. 
Henrik, Annie und Hannah lernen sich allmählich besser kennen, verbringen ihre Freizeit miteinander, genießen die kulinarischen Köstlichkeiten und das Flair der Côte d'Azur. Sie teilen ihre Sorgen und Probleme, können sich gegenseitig unterstützen und werden zu Freunden. 

Nach den Umbrüchen in Deutschland in Südfrankreich ereignet sich nicht allzu viel und es wird nur am Ende ein wenig dramatischer. Der Roman wird deshalb mehr von der wunderschönen Kulisse und der Urlaubsstimmung getragen, die sich schon bald beim Lesen einstellt. Landschaft, Klima, Kulinarik sowie die Ausflüge und Shoppingbummel in nahe gelegene Ortschaften versetzen die/ den Leser*in bildhaft an die Côte d'Azur. Durch die eindrucksvollen Beschreibungen ist auch nachvollziehbar, dass sich bei den Hauptfiguren trotz ihrer Probleme, die der Grund für die Reise sind, eine Leichtigkeit einstellt, sie ihre Ängste verlieren und neuen Lebensmut und Lebensfreude entwickeln. 
Durch Selbstreflexion und den Austausch mit ihren neuen Freunden, die ebenfalls vor Herausforderungen stehen, wird ihnen bewusst, dass es andere Werte als Geld und Erfolg sind, worauf es im Leben wirklich ankommt. 
Auch wenn die drei Protagonisten zu einem finanziell und gesellschaftlich besser gestellten Personenkreis zählen und bis auf Hannah nicht unbedingt mit existenziellen Problemen zu kämpfen haben, ist die Besinnung auf die Werte von Freundschaft, Liebe und Gesundheit dennoch authentisch. 

Samstag, 24. Juni 2023

Buchrezension: Beate Sauer - Wunder gibt es immer wieder (Die Fernsehschwestern, Band 1)

Inhalt:

1953 bezaubert die Krönungszeremonie von Elizabeth II. die Menschen vor den Fernsehbildschirmen. Das neue Medium bietet einen Blick in die große weite Welt, wie es ihn nie zuvor gegeben hat. Auch die siebzehnjährige Eva Vordemfelde ist begeistert von der jungen Königin, von der frischen Brise einer neuen Zeit und der Aussicht auf ein aufregendes, unabhängiges Leben. Ihrem Vater passen diese Ambitionen überhaupt nicht. Ein junges Mädchen gehört nach Hause. Als Eva sich auch noch in den unkonventionellen Journalisten Paul verliebt, setzt ihr Vater alles daran, seine Tochter den konservativen Regeln zu unterwerfen, die er für richtig hält. Doch Eva lässt sich nicht unterkriegen. Und als sie die unglaubliche Chance erhält, bei der Kostümbildnerin der "Sissi"-Filme zu lernen, setzt sie alles daran, ihren Traum Wirklichkeit werden zu lassen. 

Rezension: 

Eva Vordemfelde träumt nach einem Blick hinter die Kulissen der Dreharbeiten von "Sissi" in Fuschl am See, wo sie bei einem Ferienaufenthalt bei ihrer Cousine zufällig als Statistin ausgewählt wurde, davon Kostümbildnerin zu werden. Sie näht schon länger selbst Kleider und entwirft für sich Kostüme. Im Jahr 1955 ist sie als 19-Jährige jedoch noch nicht volljährig und muss sich ihrem Vater Axel unterordnen, der ihr die Flausen aus dem Kopf treiben möchte. Er selbst arbeitet an seiner Karriere als Journalist und zieht nach einer Beförderung mit der ganzen Familie von München nach Bonn, wo er für Eva eine Anstellung als Sekretärin bei dem Fernsehsender NWDR in Köln erwirken kann. Dort lernt sie den linkspolitischen Hörfunkredakteur Paul Voss kennen und verliebt sich nach einer ersten Antipathie in ihn. Ihrem politisch konservativen Vater und strengem Patriarch der Familie ist auch diese Liebschaft ein Dorn im Auge. 
Eva lässt sich trotz aller Widrigkeiten und Rückschläge nicht unterkriegen, ihre Träume zu leben, denn sie möchte nicht einmal wie ihre Mutter Annemie enden, die ihre beruflichen Ambitionen für die Familie zurückstellte und nach der Rückkehr ihres Ehemanns aus Kriegsgefangenschaft ihre Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein verloren zu haben scheint. 

"Wunder gibt es immer wieder" ist der erste Band der dreiteiligen Reihe "Die Fernsehschwestern".
Der Roman versetzt die/ den Leser*in eindrücklich in die Nachkriegsjahre 1955/ 1956 in der noch jungen Bundesrepublik. Er ist überwiegend aus der Perspektive der selbstbewussten, modern denkenden und zumal etwas trotzköpfigen Eva geschrieben, die aus einer gut bürgerlichen Familie stammt und unverdrossen gegen ihren streng konservativen Vater aufbegehrt, der ihr Leben nach seinen Ansichten bestimmen möchte. Daneben gibt es Einblicke aus der Sicht der weiteren Familienmitglieder, insbesondere des Patriarchen, die der/ dem Leser*in so manchen Wissensvorsprung verschaffen.

Die Verhältnisse der damaligen Zeit werden anschaulich, lebendig und lebensecht beschrieben. Die Rollenbilder und Machtverhältnisse in der Familie sowie im Berufsleben können so wunderbar nachvollzogen werden. Auch die Orte, von München über Bonn und Köln sind so eindrücklich beschrieben, dass man Bilder vor Augen hat. Reale politische und gesellschaftliche Ereignisse fließen harmonisch in die fiktive Handlung ein. Die Autorin schafft es, dass Geschichte lebendig wird.

Die Charaktere sind facettenreich, wenn auch manchmal etwas stereotyp, agieren als Abbild der damaligen Zeit aber authentisch. Prominente Persönlichkeiten finden Erwähnung und ergänzen damit die Rahmenhandlung aus Politik, Film, Fernsehen und Hörfunk perfekt.
Die Geschichte zieht auch ohne größere Dramen in ihren Bann, ist abwechslungsreich und bietet beste Unterhaltung. Gespannt verfolgt man, wie Eva versucht ihren Träumen treu zu bleiben und diese auch zu leben.

Ich freue mich schon auf die Fortsetzung "Morgen ist ein neuer Tag", der im Januar 2024 erscheint und Evas jüngere Zwillingsschwestern Franzi und Lilly Ende der 1960er-Jahre in den Fokus rückt. 

Freitag, 23. Juni 2023

Buchrezension: Emiko Jean - Mika im echten Leben

Inhalt:

Mika Suzukis Leben ist eine ziemliche Katastrophe: Ihre letzte Beziehung ist implodiert, für ihre Eltern ist sie eine konstante Enttäuschung und vor Kurzem wurde sie auch noch gefeuert. Doch ein Anruf ändert plötzlich alles: Ihre 16-jährige Tochter Penny, die sie als junges Mädchen zur Adoption freigeben musste, meldet sich überraschend und möchte ihre leibliche Mutter kennenlernen. Doch Mikas Leben ist alles andere als präsentabel und so erfindet sie spontan einige neue Aspekte hinzu, malt ihren Alltag in den schillerndsten Farben, erfindet einen gutaussehenden Freund, eine stylische Wohnung. Doch als Penny ihren Besuch ankündigt, gerät Mika in Panik. Wo soll sie das wundervolle Leben, von dem sie erzählt hat, nur herbekommen. 

Rezension:

Mika Suzuki führt mit 35 Jahren ein chaotisches Leben. Ihr Freund hat sie verlassen und ihren Job hat sich auch gerade wieder verloren. Für ihre konservativen japanischen Eltern, die sie gerne unter der Haube wüssten, scheint sie eine einzige Enttäuschung zu sein. An diesem Tiefpunkt angekommen, erhält Mika einen Anruf von Penelope Calvin, ihrer leiblichen Tochter, die sie vor 16 Jahren zur Adoption geben musste und die sie klammheimlich ausfindig gemacht hat. 
Mika ist überwältigt, hatte sie sich doch bisher mit den jährlichen Briefen der Adoptiveltern begnügen müssen. Penny, deren Adoptivmutter verstorben ist, möchte ihre leibliche Mutter besser kennenlernen und so telefonieren die beiden, bis Penny einen Besuch bei Mika ankündigt. Mika, die am Telefon ihr Leben in schillerndsten Farben ausgeschmückt hat, um ihre Tochter zu beeindrucken, gerät in Panik und versucht zusammen mit ihren treuen Freunden und der Hilfe ihres Exfreundes ihr Fake-Leben aufzubauen, um den schönen Schein zu wahren, was nicht lange gutgeht. 

"Mika im echten Leben" ist eine lebendige Geschichte, die sensibel erzählt wird und sich gar nicht so vorhersehbar entwickelt und tiefer geht, als gedacht.  
Mika wirkt mit ihrer unsteten Lebensweise jünger als ihre 35 Jahre, hat ihr Leben nicht ganz im Griff und setzt sich verständlicherweise nach dem überraschenden Anruf ihrer bislang unbekannten Tochter unter Druck, mehr aus sich zu machen oder zumindest so zu tun, als führte sie ein annähernd perfektes, glückliches Leben mit einem festen Partner und beruflichem Erfolg. Dass der schöne Schein nicht dauerhaft aufrechterhalten werden kann und Enttäuschungen folgen werden, ist abzusehen.  

Im Verlauf des Romans erkennt Mika, dass es gar nicht notwendig ist, perfekt zu sein und Äußerlichkeiten nicht der Grund sind, um geliebt zu werden. Sie ist immer noch stark von einem Trauma der Vergangenheit geprägt und leidet darunter, nie die Anerkennung bekommen zu haben, die sie für ihr Selbstvertrauen braucht. Keinesfalls möchte sie die Fehler ihrer Eltern wiederholen und ihre Tochter bedingungslos lieben. Es ist jedoch schwierig, die richtige Balance aus Freundschaft, Muttersein und Verantwortung als Erwachsene zu halten. Ihr gemeinsamer ethischer Hintergrund als Amerikanerinnen japanischer Abstammung bietet ihnen zusätzlich zur Blutverwandtschaft die Möglichkeit ihre Bindung zu vertiefen. Neben der Annäherung zu Penny verändert sich auch Mikas Beziehung zu Pennys verwitwetem Adoptivvater Thomas von einer gegenseitigen Skepsis über ein vorsichtiges Herantasten bis zu einer zart aufblühenden Liebe. 

Aufgrund Mikas liebenswert chaotischer Art ist die Geschichte humorvoll geschrieben, hat aber durch die Unsicherheit in Bezug auf sich selbst, das schwierige Verhältnis zu ihren Eltern, die Erwartungen, die sie erfüllen möchte, dem Wunsch, angenommen und geliebt zu werden und vor allem ihre Tochter nicht zu enttäuschen sowie die Erinnerungen an die Umstände der Schwangerschaft viele ernste Themen, die nachvollziehbar und einfühlsam verarbeitet werden. Auch die Sorgen des Adoptivvaters, der seine Tochter vor Enttäuschungen und einem weiteren schmerzhaften Verlust bewahren möchte, sind verständlich. 
Alle drei Hauptfiguren machen eine authentische Entwicklung durch, kommen sich näher und sind am Ende auch bei sich selbst angekommen. 
Es ist eine tiefgehende und berührende Geschichte über Identität, (Mutter-)Liebe, Selbstfindung, die Suche nach den eigenen Wurzeln, Versöhnung und dem Spagat zwischen den eigenen Träumen und dem Erwartungsdruck, der auf einem lastet. 

Mittwoch, 21. Juni 2023

Buchrezension: Kate Morton - Heimwärts

Inhalt:

Adelaide Hills, Australien, 1959: Eine Familie picknickt gemütlich an einem Bach. Als etwas später ein Mann aus dem Nachbarort zufällig dort vorbeikommt, stößt er auf ein erschütterndes Todesszenario. Die Polizei beginnt zu ermitteln, doch der Fall bleibt ein einziges Mysterium. 
Fast sechzig Jahre später wird die Journalistin Jess aus England zurück nach Australien gerufen. Ihre Großmutter Nora liegt nach einem Unfall im Sterben. Geschwächt und verwirrt, murmelt Nora Unverständliches vor sich hin. Der Sinn erschließt sich Jess erst, als sie eine überraschende Verbindung zu den tragischen Geschehnissen in den Adelaide Hills herstellt – und zu ihrer eigenen Familiengeschichte. 

Rezension:

Am Heiligabend im Jahr 1959 wird in den Adelaide Hills eine Mutter mit ihren drei ältesten Kindern tot bei ihrem Picknick aufgefunden. Das jüngste Kind ist nicht unter den Toten, das Weidenkörbchen ist leer. Für Nachbarn und Ermittler ist das Szenario ein Rätsel. Die Tat wird später als erweiterter Suizid bewertet. 
Knapp 60 Jahre später kehrt die Journalistin Jess in ihre Heimat Australien zurück, als ihre betagte Großmutter nach einem Sturz im Krankenhaus liegt. Jess, die kein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter hat, ist die nächste Angehörige. Sie war ab ihrem zehnten Lebensjahr bei Nora aufgewachsen und steht ihr noch immer sehr nahe. Im Halbschlaf gibt Nora verwirrte, rätselhafte Sätze von sich. Jess möchte ihr helfen, sich zu beruhigen und forscht deshalb nach, was Nora belasten könnte. In ihrem Schlafzimmer findet sie ein Buch, das eine tragische Familiengeschichte aus dem Jahr 1959 beschreibt und deckt eine Verbindung zu ihrer eigenen Familie auf, die Nora ihr offenbar bewusst verschwiegen hatte. 

"Heimwärts" handelt auf zwei Zeitebenen und rückt in beiden Erzählsträngen eine Familientragödie und ungelösten Kriminalfall in den Adelaide Hills im südlichen Australien in den Fokus. Neben der Aufklärung eines Verbrechens und den Ermittlungen der Polizei geht es auch um Mutterschaft, Liebe, Heimatverbundenheit, Manipulation und Lügen. 

Während die Gegenwart aus Sicht der Enkelin Jess und später auch aus der Perspektive der Tochter Polly erzählt werden, die beide aufgrund des schlechten Gesundheitszustands von Nora nach Hause zurückkehren, erfolgt die Schilderung der Ereignisse der Vergangenheit überwiegend auf eine erfrischend neue Weise in Form eines Buches im Buch. Ein Journalist hatte sich fiktiv mit dem Kriminalfall befasst, Interviews geführt und das Buch "Als würden sie schlafen" geschrieben, das Jess liest, um die verwirrte und verängstigte Nora zu verstehen und ihr helfen zu können, sich zu beruhigen. Sie hatte nicht geahnt, darin ihre eigene Familiengeschichte zu lesen, die Ungeahntes über ihre Wurzeln und ihre geliebte, wenn auch etwas überfürsorgliche, Großmutter zu erfahren. 

Die Geschichte erstreckt sich über fast 700 Seiten, ist aber dennoch nie langweilig, da der Erzählstil abwechslungsreich ist und sich immer mehr Teilaspekte ergeben, die die Charaktere und ihr Handeln in ein anderes Licht rücken und die Aufklärung der Familientragödie dadurch schrittweise ermöglicht wird. 
Während manche Details zu offensichtlich sind und allzu frühzeitig zu erahnen sind, ergeben sich andere Einzelheiten erst am Schluss und auch die Motive der Figuren werden erst durch die Nacherzählung der Ereignisse klarer. 

"Heimwärts" ist damit eine spannende Familientragödie mit langwierigen Ermittlungen in einem Kriminalfall, die in den Jahren 1959/ 1960 technisch nur begrenzt möglich waren und über drei Generationen von Frauen, die über Mutterliebe, aber auch über Lügen und Geheimnisse verbunden sind, die erst am Lebensende der Ältesten ans Licht kommen. Die Geschichte ist mit ihren Enthüllungen wendungsreich, dabei sehr authentisch und liest sich deshalb wie ein realer Cold Case. 

Montag, 19. Juni 2023

Buchrezension: Stephanie Marie Thornton - Die Mutige: Sie liebt Kennedy und muss ihre eigene Geschichte finden

Inhalt:

Gegen den Widerstand ihrer Familie löst die junge Jacqueline Bouvier ihre vielversprechende Verlobung. Dann trifft sie ihre große Liebe: John F. Kennedy. Das strahlend schöne Paar wird zum Symbol der Hoffnung des jungen Amerikas: Jackies Eleganz und ihr Charisma machen sie zum Vorbild der Frauen, zugleich ist die hochintelligente Journalistin Triebfeder der Karriere ihres Mannes. Doch die Ehe ist unglücklich, und das Leben als First Lady gerät zur Zerreißprobe für sie. Trotz allem kämpft sie um ihre Liebe zu JFK – bis zu jenem Tag in Dallas. Auf der Suche nach einer Zukunft für sich und ihre Kinder muss Jackie nun ihren eigenen Weg finden. 

Inhalt: 

Jacqueline Bouvier entstammt einer europäischen Bankiersfamilie, studierte Kunst und Literatur und lernte mehrere Sprachen. Voller Ambitionen löst sie die Verlobung mit einem Börsenmakler, denn sie möchte nicht nur die Ehefrau von sein. Wenig später lernt sie den charismatischen John Fitzgerald Kennedy kennen und heiratet 1953 in den mächtigen Kennedy-Clan ein. Die Ehe ist nicht glücklich, denn der Lebemann vergnügt sich auf seinen Reisen mit anderen Frauen und demütige Jackie damit öffentlich. Kurz vor einer endgültigen Trennung macht Jackie ihrem Jack bewusst, dass er nur mit ihr an seiner Seite seinen Traum der Präsidentschaft verwirklichen werden wird. Mit einem knappen Wahlsieg wird der junge Hoffnungsträger JFK 1961 zum 35. Präsidenten der Vereinigen Staaten und Jackie zur drittjüngsten First Lady der Geschichte. Sie gestaltet das Weiße Haus um und engagiert sich kulturell, bis ihr Mann am 22. November 1963 einem Attentat zum Opfer fällt. Die von der Öffentlichkeit beliebte möchte das Vermächtnis ihres Ehemannes fortsetzen, sieht sich aber nach einem weiteren Unglück gezwungen, zum Schutz ihrer Kinder ihren eigenen Weg zu gehen, denn auf der Familie Kennedy scheint ein Fluch zu liegen.  

"Die Mutige" ist eine eindrucksvolle Romanbiografie über die ehemalige First Lady und Stilikone Jacqueline Kennedy Onassis. Basierend auf historischen Fakten zeichnet die Autorin ein umfassendes Bild über eine Frau, über die wohl jeder - egal welchen Alters - schon etwas gehört hat und zeigt sie von ihrer starken, aber auch verletzlichen Seite, als Frau des Präsidenten, Ehefrau, Mutter und Kulturschaffende. 

Es ist spannend, einen Einblick in ihr Leben von 1952 bis 1977 und einen Blick hinter die Kulissen des Kennedy-Clans und des Weißen Hauses zu erhalten.
Durch die Ich-Perspektive kommt man der Persönlichkeit Jackie Kennedy unheimlich nahe. Sie ist einerseits eine starke Figur, die ihren Mann Jack unerschütterlich unterstützte und zum Wahlsieg verhalf und andererseits eine tragische Figur, die viel Leid erfahren hat.

So liest sich "Die Mutige" mehr wie ein Roman als eine Biografie, denn statt rein sachlicher Informationen stehen die Emotionen im Vordergrund und auch wenn man schon einige Details aus dem Leben der Kennedys/ Onassis aus den Medien kennt, ist das Buch spannend zu lesen, denn die Autorin hat aufwändig recherchiert und die Fakten gefällig zu einer facettenreichen, bewegenden Geschichte arrangiert. 
Neben der Darstellung der Persönlichkeit Jackie Kennedy Onassis ist "Die Mutige" auch eine lebendige Zeitreise in die damalige Zeit, die einen informativen Einblick in Politik und Gesellschaft der 1950er-, 60er- und 70er-Jahre bietet.

Samstag, 17. Juni 2023

Buchrezension: Rainer Wekwerth, Rita Schwarz - Fisch Land Tod (Stein & Peters ermitteln, Band 1)

Inhalt:

Er ist Bestattungsunternehmer in dritter Generation. Neunundzwanzig Jahre alt, steif und konservativ. Jesper Stein trägt altmodische Anzüge, lebt für seine Arbeit und seine Schmetterlingszucht. Er braucht dringend einen Gehilfen.
Sie ist Studienabbrecherin, Pfarrerstochter und Punkerin. Vierundzwanzig Jahre, pinkfarbenes kurzes Haar und jede Menge Piercings. Nina Peters liebt ihre Freiheit und braucht dringend einen Job.
Als im beschaulichen Ostsee-Ferienort Born ein berüchtigter Immobilienhai stirbt, geht die Polizei von einem natürlichen Tod aus. Michael Stetten hat angeblich seit zehn Jahren das Haus nicht mehr verlassen, doch als Bestattungshelferin Nina den Toten für die Beerdigung vorbereitet, macht sie eine seltsame Entdeckung. Im Haar des Verstorbenen findet sie eine Raupe des Passionsblumenfalters, der ausschließlich in Südamerika vorkommt. Außerdem entdeckt sie einen Einstich zwischen den Zehen des Toten. Was hat es damit auf sich?
Die Polizei will nichts davon wissen und so bleibt nur eine einzige Möglichkeit: Stein & Peters ermitteln auf eigene Faust! 

Rezension: 

Jesper Stein ist Inhaber eines Bestattungsunternehmens in Born am Darß und nach dem Tod seines Angestellten auf der Suche nach einem Nachfolger. Da die Anzahl der Bewerber übersichtlich ist, stellt er die Punkerin Nina Peters ein, die nach dem Abbruch ihres Studiums dringend einen Job sucht. Auch wenn ihr äußeres Erscheinungsbild für den biederen Jesper nicht zu einem seriösen Bestattungsunternehmen passt, ist Nina bei der Arbeit sehr engagiert und wird direkt bei ihrer zweiten Leiche auf eine Besonderheit aufmerksam. Sie findet im Haar des Toten eine Raupe, die nicht heimisch ist, obwohl der Verstorbene angeblich sein Haus vor seinem Tod kaum mehr verlassen hatte. Bei genauerem Hinsehen finden die beiden noch eine Einstichstelle zwischen den Zehen und befürchten, dass der Immobilienhai nicht eines natürlichen Todes gestorben ist. Die Polizei, die sie darauf aufmerksam machen, nehmen ihre Bedenken nicht ernst, weshalb das ungewöhnliche Paar auf eigene Faust zu ermitteln beginnt. Nicht ungewöhnlich ist, dass der raffgierige Geschäftsmann Feinde hatte, ist in der Urlaubsregion wirklich jemand so weit gegangen, Michael Stetten zu ermorden?

Der Roman handelt im Jahr 2021 in Born und Umgebung, wobei die gegenwärtige Handlung von zwei Erzählsträngen in der Vergangenheit unterbrochen werden, die im Jahr 1991 und 1998 in Hamburg und Tirana handeln und Verbindungen zu Prostitution und Menschenhandel offenlegen. In welchem Zusammenhang, die Handlungsstränge stehen, ist nicht so schnell zu durchschauen. 

Der Krimi profitiert von dem ungewöhnlichen Ermittlerteam aus Bestatter und seiner Gehilfin. Beide sind nicht nur optisch sondern auch von ihrer Mentalität völlig unterschiedlich und ergänzen sich damit erstaunlich gut. Nina kann den steifen, konservativen Bestatter mit ihrer offenen und unerschrockenen Art aus der Reserve locken und zu Nachforschungen in dem Todesfall überreden.

Die Geschichte ist unterhaltsam und die Dialoge als Kontrast zu den doch recht detaillierten Beschreibungen der Arbeit eines Bestatters humorvoll.
Je weiter auch der Erzählstrang der Vergangenheit voranschreitet, desto klarer erscheint ein Motiv hinter der Tat.

Am Ende überschlagen sich die Ereignisse und auch wenn der Fall schlüssig aufgelöst wird, kommt das Ermittlerduo doch recht schnell auf den Täter ohne die wirklichen Hintergründe zu kennen. Auch das plötzliche Geständnis erscheint so unrealistisch wie das Verhalten der Polizei, die zu Beginn nichts tut, um am Ende dann sofort zur Stelle zu sein.
Die Hauptfiguren sind insofern originell gewählt, die Krimihandlung allerdings nicht ganz überzeugend. Als humorvoller Ostseekrimi ist "Fisch Land Tod" gut als Urlaubslektüre geeignet.

Freitag, 16. Juni 2023

Buchrezension: Lucy Clarke - Der Ozean unserer Erinnerung

Inhalt:

Eine kleine Insel im Südwestpazifik, Sonne, Palmen und wunderschöne Korallenriffe – für die Schwestern Erin und Lori sollte es ein Traumurlaub werden. Doch auf dem Hinflug kommt es zwischen den beiden zum Streit, und Erin lässt ihre Schwester nach einem Zwischenstopp alleine weiterfliegen. Eine Entscheidung, die sie bitter bereut. Denn die Maschine verschwindet spurlos, Lori kommt nie an ihrem Ziel an. Erins Welt gerät ins Wanken. Fieberhaft sucht sie nach einem Lebenszeichen ihrer Schwester, ohne Erfolg. Bis zwei Jahre später der Pilot des Flugzeugs überraschend wieder auftaucht. Ist auch Lori noch am Leben? Aber warum meldet sie sich dann nicht? Noch einmal begibt sich Erin an den Ort, an dem das Schicksal seinen Lauf nahm. 

Rezension: 

Die beiden Schwestern Erin und Lori fliegen gemeinsam auf die Fidschi-Inseln. Nach einem Zwischenstopp auf der Hauptinsel sollte es in das eigentliche Urlaubsresort, zu türkisblauem Meer, weißen Sandstrand und bunten Cocktails weitergehen. Doch nach einer durchzechten Nacht und einem Streit tritt von den beiden nur Lori den Flug an - mit einem Flugzeug, das vom Radar verschwindet. Erin recherchiert zum Flugzeug, den Passagieren, dem Pilot und möglichen Absturzursachen, findet jedoch keine Erklärung für das Verschwinden und warum kein Wrack gefunden wird. 
Knapp zwei Jahre später wird der Pilot auf den Fidschi-Insel wiedererkannt. Er ist schwerkrank und macht bei einer ersten Aussage nur wirre Angaben. Erin begibt sich daraufhin zurück nach Fidschi, um den Piloten selbst zu befragen - in der Hoffnung, dass auch ihre Schwester noch am Leben sein könnte. 

Der Roman wird abwechselnd aus einer der Sicht der beiden Schwestern erzählt - in der Gegenwart aus der Ich-Perspektive Erins und in der Vergangenheit aus der Perspektive von Lori. 
Beide Handlungsstränge sind emotional und spannend zugleich und schildert neben dem Mysterium um das verschwundene Flugzeug eine innige Schwesternbeziehung. 
Erin kann die Hoffnung nicht aufgeben, so lange es keine Leiche Loris gibt, die sie beisetzen kann. Sie sucht seitdem das Flugzeug vom Radar verschwunden ist nach Antworten und reist nach Fidschi, als der Pilot des Flugzeugs nach knapp zwei Jahren auftaucht. Lori schildert den Flug und das Unglück, das sich ereignet und auch wenn man damit als Leser mehr weiß als Erin bei ihrer Suche, verliert der Roman mit dem Wissensvorsprung nicht an Spannung. 
Wie Erin möchte man nicht nur herausfinden, wie es zum Flugzeugabsturz kam, sondern auch wie es sein kann, dass der Pilot erst nach so langer Zeit erscheint, was er zu verbergen hat und ob die Chance besteht, dass auch Lori noch am Leben ist. 

Die Situation beider Schwestern ist eindringlich geschildert. Sie vermissen einander, bereuen den Abschied im Streit und leiden jede auf ihre Weise. Es fällt leicht, sich in sie hineinzuversetzen und den Überlebenskampf sowie die verbissene Suche nach der Wahrheit nachzuempfinden. Die Kulisse im Südpazifik hat man bildhaft vor Augen, die Atmosphäre aus Dreck, Angst und Schweiß ist in dem schwülwarmen Klima und durch undurchsichtige und unberechenbare Nebencharaktere spürbar beengend. 

Auch wenn die Kapitel aus Loris Sicht stellenweise etwas langatmig erscheinen und Erins Suche im Alleingang nicht immer ganz authentisch erscheint, möchte man gebannt von der Sympathie für die Charaktere und die Frage, ob es ein Wiedersehen der beiden Schwestern geben wird, unweigerlich weiterlesen. 
"Der Ozean unserer Erinnerung" ist ein emotionaler Pageturner in atemberaubender Kulisse über zwei innig verbundene Schwestern und die Hoffnung, die zuletzt stirbt. 

Mittwoch, 14. Juni 2023

Buchrezension: Petra Hülsmann - Morgen mach ich bessere Fehler

Inhalt:

Eigentlich ist Elli auf dem Weg zu einer Familienfeier ins Allgäu, zusammen mit ihrer sechsjährigen Tochter Paula und dem chronisch schlecht gelaunten Großonkel Heinz. Aber als ihr der Rechtsanwalt Cano fünfhundert Euro bietet, wenn sie ihn umgehend nach München bringt, greift Elli zu, denn das Geld ist knapp. Die Fahrt quer durch die Republik erweist sich als echte Herausforderung für das ungleiche Quartett. Heinz hat an allem etwas auszusetzen, Cano treibt Elli mit seiner Arroganz zur Weißglut, Murphys Gesetz schlägt erbarmungslos zu, und alles geht schief. Wenn sie jemals in München ankommen wollen, müssen die vier sich zusammenraufen und so manches Vorurteil über Bord werfen. Elli und Cano, die Chaos-Queen und der Paragrafenreiter, kommen sich dabei unerwartet näher, als ihnen lieb ist. 

Rezension: 

Elli ist 27 Jahre alt, alleinerziehende Mutter einer sechsjährigen Tochter und lebt und arbeitet in Plön in Schleswig-Holstein. Als sie zu einer Familienfeier im Allgäu eingeladen ist, wird sie dazu gedrängt, Großonkel Heinz mitzunehmen, der in einem Altenheim in Hamburg wohnt. Diesem kann man scheinbar nichts recht machen, zudem hat er Vorbehalte ob Ellis unehelicher Tochter und ihrem Lotterleben. An einer Tankstelle trifft Elli einen Rechtsanwalt wieder, den sie von einer missglückten Guerilla-Gardening-Aktion kennt. Cano muss dringend zu einem Termin nach München und braucht eine Mitfahrgelegenheit. Aufgrund ihrer finanziell misslichen Lage geht Elli einen Deal mit Cano ein. Während Töchterchen Paula schnell für den attraktiven Anwalt schwärmt, fühlt auch Elli bald ihr Herz höher schlagen, obwohl der Schnöselanwalt doch so ganz anders ist, als die Chaos-Queen. 

"Morgen mach ich bessere Fehler" ist eine turbulente romantische Komödie, die einen abenteuerlichen Roadtrip vom hohen Norden Deutschlands bis ins tiefste Bayern beschreibt. Statt der geplanten Tagestour dehnt sich die einfache Fahrt aufgrund widriger Umstände und ungeplanter Pausen auf mehrere Tage aus. Elli, die sich immer stärker zu ihrem Mitfahrer Cano hingezogen fühlt, hat bald nichts mehr dagegen, dass sich die Fahrt ins Unendliche zu ziehen scheint und auch Töchterchen Paula hat auf der Fahrt mit den ungleichen Erwachsenen und den interessanten Eindrücken ihren Spaß. 

Die Geschichte ist humorvoll geschildert, schlägt jedoch mit den Themen Rassismus, Umwelt- und Tierschutz, Einsamkeit im Alter, Armut und den alltäglichen Sorgen einer alleinerziehenden Mutter auch ernste Töne an. 
Hinsichtlich der Liebesgeschichte fehlte mir ein Knistern zwischen den Protagonisten, ihre Anziehung für einander entwickelte sich nach anfänglicher Abneigung sehr schnell. 
So manche Station auf dem Weg nach Bayern empfand ich etwas albern und übertrieben dargestellt. 

Die Geschichte ist - positiv ausgedrückt - ideenreich und unterhält auf leichte Art und Weise. Kritischer betrachtet, ist sie zu konstruiert und mit Absurditäten überfrachtet: der Besuch einer Kaninchenschau und eines Schützenfests, wenn man doch eigentlich ein ganz anderes Ziel vor Augen hat? Eine Schießerei mit einem Feuerzeug und eine Übernachtung im Speiseraum eines Gasthofs? Diesbezüglich driftete mir die Geschichte zu sehr ins Alberne ab.
Während der Beginn des Buches mit Eindrücken vom Hof, auf dem Elli lebt und ihrer Tätigkeit als Umweltaktivistin gut gefallen hat, hatte der Roadtrip mit seinen zahlreichen Stopps seine Längen. Nach der großen Fahrt war die Luft etwas heraus, im Allgäu ereignete sich wenig und so wartete man einfach nur noch auf das Happy End. 

Die Schlussfolgerungen, die die Charaktere aus ihrem Roadtrip ziehen, um ihr Leben umzukrempeln, erscheinen überstürzt und für die Botschaft des Romans zu gewollt. 
"Morgen mach ich bessere Fehler" ist ein Roman über Zusammenhalt und Toleranz, der sich erwartungsgemäß entwickelt, witzig und wortgewandt ist, aber gänzlich ohne Spannungsmomente auskommt.  

Montag, 12. Juni 2023

Buchrezension: Wiebke Salzmann - Sturm in Moordevitz (Ein Krimi zum großen Sturmhochwasser an der Ostsee 1872)

Inhalt:

Der Neffe von Hauptkommissarin Katharina Lütten stößt nach einem Sturmhochwasser am Strand auf freigespülte Knochen und ein Medaillon mit dem Wappen derer von Musing-Dotenows, der Familie von Katharinas Freundin Johanna. Johannas Cousine Ilka verschwindet und wird tot in der Ostsee aufgefunden. Der unheimliche Nachbar von gegenüber benimmt sich merkwürdig – ist er der Mörder? Dann verschwindet Johannas Großmutter und Johanna gerät in Lebensgefahr. Hat Katharina es mit zwei Fällen zu tun? Oder doch nur mit einem? Die Lösung liegt in der Vergangenheit – Johanna und Katharina stellen überrascht fest, dass ihre Familiengeschichten sich im 19. Jahrhundert schon einmal gekreuzt haben. Was geschah wirklich mit Ludwig Lüttin und Hedwig von Musing-Dotenow in dem tobenden Unwetter am 13. November 1872, als Küstenstädte und Dörfer vom Ostseewasser verschlungen wurden? 

Rezension:


Nach einem Sturmhochwasser findet Jörn ein menschliches Skelett im Sand, das mehrere Jahrzehnte alt ist und später einer ungefähr 20 Jahre alten männlichen Person zuzuordnen ist. Da bei den Knochen ein Medaillon mit einem Familienwappen aufgefunden wurde, könnte es sich bei dem Toten um einen Urahn der adeligen Familie der von Musing-Dotenows handeln. Jörn meldet den Fund seiner Tante Katharina Lütten, die als Kommissarin bei der Polizei arbeitet und zudem mit Johanna Freifrau von Musing-Dotenows befreundet ist.
Die forensische Untersuchung der Überreste der Leiche wirft Fragen auf. Zudem wird Johanna von einem Unbekannten erpresst und ihre im Altenheim lebende Großmutter bedroht. Fast zeitgleich wird Johannas Cousine Ilka tot aufgefunden. Trotz eines Abschiedsbriefs gibt es Zweifel an einem Suizid.

"Sturm in Moordevitz" handelt auf zwei Zeitebenen. Der Roman verbindet fiktive Kriminalfälle der Vergangenheit und Gegenwart mit dem Ostseesturmhochwasser vom 12./ 13. November 1872. Die Geschichte wird in kurzen Kapiteln erzählt und wechselt deshalb häufig zwischen den Ereignissen von 1872 und dem Heute. Durch die fortlaufenden Wechsel fiel es mir schwer, mich in die Geschichte einzubinden und einen Bezug zu den Charakteren herzustellen. Möglicherweise hätte ein Vorwissen aus dem Buch "Mord in Moordevitz" geholfen, um ein Gefühl für Orte und Figuren zu erhalten.

Während der Erzählstrang der Vergangenheit aufgrund des recht offensichtlichen Motivs recht plausibel ist, empfand ich das Heute ein wenig konstruiert und das Verhalten der Personen nicht immer schlüssig. Die Herangehensweise der Polizei wirkte auf mich wenig professionell, mehr wie eine Tätigkeit von Hobbyermittlern, 
mehr persönlich als beruflich motiviert und damit wenig authentisch. Die Schlussfolgerungen bei den Ermittlungen waren mir nicht immer nachvollziehbar, die Reaktionen des Täters widersinnig. 
Ich hatte sogar den Eindruck, als würden mir Teile der Geschichte fehlen, die vieles erklärt hätten. So konnte mich die Gegenwart nicht fesseln und am Ende wurde ich vom abrupten Ende überrumpelt.

Problematisch war für mich zudem die Einleitung der Kapitel der Vergangenheit mit Zeitungsartikeln und Aufzeichnungen, die in Kurrentschrift verfasst sind. Das Entziffern der Worte empfand ich als mühselig und ermüdend. Die Wiedergabe veranschaulicht den historischen Bezug, eine Fußnote wäre für mich jedoch hilfreich gewesen. Auch sind die abgedruckten Bilder von Landschaften, Orten und Gebäuden veranschaulichend und nicht uninteressant, weisen aber regelmäßig keinen Bezug zum folgenden Kapitel auf, was sie wiederum entbehrlich macht.
Aufgrund der fehlenden Plausibilität und Spannung konnte mich der Roman wenig begeistern. Weder die Idee hinter der Geschichte, die Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit, noch die Aufmachung des Buches fand ich gelungen.

Samstag, 10. Juni 2023

Buchrezension: Ella Lindberg - Das Leben braucht mehr Schokoguss

Inhalt:

Mias Praktikum in einer Schweizer Schokoladen-Manufaktur könnte so schön sein: die Schweizer Berge genießen, nette Kollegen kennenlernen und Schokolade, so viel sie will. Die Realität sieht leider etwas anders aus. Die Manufaktur hat finanzielle Schwierigkeiten, keiner fühlt sich für Mia verantwortlich, und dann soll sie auch noch der im Sterben liegenden Großmutter des Juniorchefs vorspielen, sie sei dessen Verlobte Isabella. Widerwillig lässt sich Mia auf die falsche Liebesgeschichte ein und muss bald feststellen, dass sie sich nicht nur in die Schweizer Berge und die skurrile Belegschaft der Schokoladen-Manufaktur verliebt hat – sondern auch in ihren Chef Fabian. Da taucht plötzlich die echte Isabella auf und macht das Liebes-Chaos perfekt.
Aber wer sagt eigentlich, dass Schokolade keine Probleme lösen kann? 

Rezension: 

Mia ist Mitte 20, studiert Marketing und hat eine Praktikumsstelle in einer Schweizer Schokoladenmanufaktur angetreten, wo der Ehemann ihrer Halbschwester arbeitet. Nach einem holprigen Start arbeitet sich Mia selbstständig ein und versucht die Manufaktur mit ein wenig frischem Wind und neuen Ideen aus den roten Zahlen zu verhelfen. Im Schweizer Kollegenkreis fühlt sie sich auch dank der stetig vorhandenen Schokolade bald wohl. Zudem findet mit ihrer lange unbekannten Halbschwester allmählich eine Annäherung statt. Interessiert wird ihr Verhältnis zum Juniorchef Fabian Zuckermann beobachtet, denn durch eine Verwechslung ist Mia in die Rolle seiner Verlobten geschlüpft und muss insbesondere Fabians Großmutter etwas vorspielen, was das ein oder andere Fettnäpfchen beinhaltet und was Mia durch die aufkeimenden Gefühle zu Fabian, seiner Familie und der Schokoladenmanufaktur zunehmend schwerer fällt. 


"Das Leben braucht mehr Schokoguss" ist eine Liebeskomödie, die lebendig und abwechslungsreich geschildert ist und die/ den Leser/in anschaulich in das Schweizer Dorf und insbesondere die dortige familiengeführte Schokoladenmanufaktur versetzt.
Die Geschichte ist durch die Verwechselung und Inszenierung von Mia als Verlobte des Juniorchefs witzig, ohne albern zu sein und enthält durch Mias schwierigen familiären Hintergrund und die prekäre finanzielle Situation des Familienbetriebs zudem ernste Töne, die der Geschichte Tiefe verleihen und sie facettenreich gestalten.

Während die Liebesgeschichte sich eher nebenbei entwickelt und die Gefühle der Hauptfiguren für einander nicht so sehr im Vordergrund stehen, erhält man einen sehr guten Einblick in die Schokoladenproduktion und den schwierigen Spagat aus neuen Gesundheitstrends und der Nostalgie und dem Genuss von handgefertigter Schokolade.

Mia ist zudem ein sympathischer, ehrlicher und bodenständiger Charakter, der sich in der Rolle der Verlobten nicht wohlfühlt und der es schwerfällt, Menschen etwas vorzuspielen, die sie allmählich in ihr Herz schließt. Ihre Unsicherheit im Umgang mit Fabian, den sie selbst nicht einzuschätzen weiß, ist nachvollziehbar wie auch die Verbindung zu ihrer Halbschwester Annette, die verschlossen ist und ihr nicht offen zeigt, was ihr Familie bedeutet. Mit Engagement und jugendlichem Leichtsinn stürzt sie sich in die Arbeit und versucht insbesondere Fabian von neuen Ideen zu überzeugen, die gleichzeitig das Familienerbe bewahren. 

Trotz ihrer Vorhersehbarkeit ist es eine Feel-Good-Geschichte mit viel Genuss, die herzerwärmend und unterhaltsam ist und genau das hält, was sie verspricht: das Leben mit Schokolade zu versüßen. 

Freitag, 9. Juni 2023

Buchrezension: Stine Volkmann - Das Schweigen meiner Schwestern

Inhalt:

Vor über zwanzig Jahren waren Jenni, Mona, Sonja und Kaja das letzte Mal gemeinsam auf Langeoog. Jetzt kehren sie als erwachsene Frauen zur Beerdigung ihrer Mutter zurück auf die Insel. Zuverlässig wie das Rauschen des Meeres und der Geruch von Salz, sind alle Erinnerungen an ihre Sommer auf der Insel wieder da: Zwischen ausgelassene Strandtage, Mutproben und erste Küsse mischen sich die heftigen Auseinandersetzungen ihrer Eltern und die Frage nach Schuld und Sühne. Denn die Schwestern eint ein dunkles Geheimnis, das sie hat verstummen lassen, das keiner von ihnen Ruhe lässt, bis heute nicht. 

Rezension: 

Die Familie Neumann verbringt jedes Jahr den Sommerurlaub auf Langeoog. Die vier Schwestern fühlen sich in ihrem zweiten Zuhause wohl, genießen die Tage am Meer und haben auf der Insel über die Jahre hinweg Freundschaften geschlossen. Der Sommer 1998 verändert jedoch alles und wird der letzte gemeinsame Urlaub der Familie auf Langeoog sein. 
Zwanzig Jahre später ist die Mutter nach langem Krebsleiden gestorben und hatte den Wunsch, auf Langeoog beigesetzt zu werden. Sonja, die das Ferienhaus auf der ostfriesischen Insel geerbt hat, lebt seit dem Tod des Vaters auf der Insel. Die anderen Schwestern müssen anreisen und es ist die älteste Jenni, die sich regelrecht zwingen muss, zurückzukehren. Zu tief sitzt das Trauma, zu belastend ist die Schuld und das Geheimnis, das die Schwestern verbindet und entzweite.
All die Jahre haben die Schwestern ihre eigenen Leben gelebt und es vermieden sich zu treffen, um die Geschehnisse von damals zu verdrängen und zu begraben. 

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen und erzählt aus unterschiedlichen Perspektiven der vier Schwestern im Alter von sechs bis achtzehn Jahren, was sich im Sommer 1998 ereignet hat. In der Gegenwart im November 2018 treffen sie erstmalig nach längerer Zeit wieder aufeinander, um ihre Mutter auf Langeoog beizusetzen. 

Während die Schwestern in jungen Jahren trotz ihres Altersunterschieds eng zusammenhielten, ihre Freizeit miteinander verbrachten, Geheimnisse teilten, die jüngeren ihre älteren Schwestern bewunderten und die älteren auf ihre jüngeren Schwestern aufpassten, haben sich Jenni, Mo, Sonja und Kaja als Erwachsene entfremdet. 

Spannend ist zu erfahren, was sich im Sommer 1998 ereignet hat, das so zerstörerisch gewesen sein muss, dass die Familie am Ende entzwei brach. Ein Streit der Eltern führt zur Eskalation, lügen offenbaren sich und ein Vertrauen wird zerstört, das nicht mehr zu kitten scheint. Neben der Sorgen um die Eltern haben aber auch die Schwestern ihre Geheimnisse, machen Erfahrungen mit Jungs, erleben die erste Liebe und haben mit Selbstzweifeln zu kämpfen. Die Situation spitzt sich zu und eine Katastrophe scheint sich anzubahnen, denn eine ungute Atmosphäre ist spürbar. Nach einem Point of No Return ist schöne Urlaubsstimmung umgeschlagen, was bleibt ist Hilflosigkeit, Schuld, Gewalt und Angst. 

Auch zwanzig Jahre später ist die Stimmung zwischen den Schwestern angespannt. Im Vordergrund steht nicht die Trauer um die verstorbene Mutter, sondern ihre zerrüttete Geschwisterbeziehung, gegenseitiges Misstrauen, Eifersucht und gegenseitige Schuldzuweisungen. Während ein Teil der Schwestern sichtbar gemüht ist, einander anzunähern, ist ein Teil zurückhaltend bis gleichgültig. Neben den traumatischen Ereignissen aus dem letzten Sommerurlaub scheint noch mehr zwischen ihnen zu stehen, aus Provokationen werden wieder Konflikte.
Die Charaktere sind individuell und lebendig gezeichnet. Jede Schwester wird in ihrer Einzigartigkeit dargestellt und so fällt es schwer, gleichgut hinter jede Fassade zu blicken, jedoch leicht ihre Verletzungen, Ängste, Wut und Unsicherheiten nachzuempfinden.  

"Das Schweigen meiner Schwestern" ist eine tragische Familiengeschichte, die durch die langsame Annäherung an verborgene Geheimnisse und unverzeihliche Taten spannend geschildert ist. Das anfängliche Drama entwickelt sich zu einem regelrechten Thriller. 
Die Erzählung ist auf beiden Zeitebenen gleichermaßen spannend, die Dynamik unter den Schwestern packend und lebensecht. Der Wechsel zwischen den Handlungssträngen und Protagonisten erhöht die Spannung, zahlreiche Wendungen machen das Ende unabsehbar. 

Dienstag, 6. Juni 2023

Buchrezension: Elena Ferrante - Die Geschichte eines neuen Namens (Neapolitanische Saga, Band 2 - Jugendjahre)

Inhalt:

Lila und Elena sind jung, und sie sind verzweifelt. Lila hat am Tage ihrer Hochzeit erfahren, dass ihr Mann sie hintergeht – er macht Geschäfte mit verhassten Camorristi. Arm geboren und durch die Ehe schlagartig zu Geld und Ansehen gekommen, brechen für Lila leidvolle Zeiten an. Elena hingegen verliebt sich Hals über Kopf in einen jungen Studenten, doch der scheint nur mit ihren Gefühlen zu spielen. Sie ist eine regelrechte Vorzeigeschülerin geworden, muss aber feststellen, dass das, was sie sich mühsam erarbeitet hat, in ihrer neapolitanischen Welt kaum etwas gilt. Halt finden die beiden Frauen einzig in ihrer Freundschaft, ihre Liebe füreinander wirkt grenzenlos. Wären sie nur beide nicht immer wieder von dem brennenden Verlangen getrieben, die andere auszustechen. 

Rezension:

Lila ist frisch mit dem gut situierten Stefano Caracci verheiratet, aber bereut bereits am Tag der Hochzeit die Ehe mit ihm eingegangen zu haben. Sie ist unglücklich, verbittert, verbirgt ihre Gefühle jedoch hinter einer unnahbaren Arroganz, die es schwer macht, sie zu mögen. Darunter leidet auch immer wieder ihre Freundin Lenù. Diese geht im Gegensatz zu Lila weiterhin zur Schule, obwohl sie diese zeitweise abgebrochen hatte. Sie lernt und arbeitet fleißig, wird dabei von Lila herausgefordert und finanziell unterstützt, hat trotz ihrer Leistungen jedoch nur wenig Selbstvertrauen. Von Antonio wurde sie verlassen, schwärmt jedoch insgeheim ohnehin für Nino, der inzwischen studiert. 
Als Lila von ihrer Familie gezwungen wird, sich von einem Arzt untersuchen zu lassen, da sie nach einer Fehlgeburt nicht wieder schwanger geworden ist, verordnet dieser ihr, sich zu erholen. Aus eigenem Interesse überredet Lenù sie, den deshalb geplanten Urlaub auf Ischia zu verbringen, wo sich Nino aufhält. Doch der Sommer entwickelt sich ganz anders als erwartet und wieder ist es Lila, die Lenù verletzt, was lange Zeit zu getrennten Wegen der einstigen "Freundinnen" führt. 

"Die Geschichte eines neuen Namens" ist nach "Meine geniale Freundin" der zweite Band der "Neapolitanische Saga" und handelt von den Jugend- und frühen Erwachsenenjahre von Lina und Lenù. 

Der zweite Teil der Tetralogie setzt Band 1 nahtlos fort und schildert die Jahre von 1960 bis 1967.
Die Anzahl der handelnden Personen ist groß. Die Vorstellung zu Beginn des Romans bietet jedoch einen bequemen Einstieg in Band 2 und eine gute Übersicht zum Zurückblättern während des Handlungsverlaufs. 

Wieder ist die Geschichte aus Sicht von Lenù erzählt, die rückblickend aus ihrem Leben mit Lila berichtet. Die beiden verbindet eine Art Hassliebe, die die Faszination der Buchreihe ausmacht. Es ist keine Freundschaft auf Augenhöhe, denn Lila ist die dominante von beiden, gibt den Takt vor und Lenù beugt sich ihrem Willen. Beide sind sie missgünstig und eifersüchtig auf die andere, neiden einander das, was sie nicht haben können und wollen aus dem Käfig des Rione ausbrechen.

Trotz aller Differenzen, Enttäuschungen und Grenzüberschreitungen spornt Lila Lenù nach wir vor an. Sie lernt fleißig, verdient Geld durch Nachhilfestunden und kann im Gegensatz zur verheiraten Lila auf weiterführende Schulen gehen.
Lenù bewundert Lila für ihr Selbstbewusstsein, ihren Mut und ihre Abenteuerlust, dafür dass sie das tut, was ihr gefällt, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen. Sie scheut kein Risiko und ist in ihrer Dramatik sogar bereit, den eigenen Tod in Kauf zu nehmen.
Doch Lila kann gemein sein, auch Lenù gegenüber, so dass man sich unwillkürlich fragt, was die beiden zusammenhält, was sie zu Freundinnen macht.

Neben des Porträts dieser anstrengenden Freundschaft wird Neapel in den 1960er-Jahren anschaulich dargestellt. Das Viertel mit den Geschäften und Familien, die alle wirtschaftlich oder verwandtschaftlich miteinander verbunden sind, wird leicht vorstellbar. Mafiöse Strukturen und Gewalt sind allgegenwärtig. Das bekommt vor allem Lila am eigenen Leib zu spüren, was sie jedoch nicht davon abhält, zu provozieren. Die Rolle der Frau wird auf das Kinderkriegen und die Mitarbeit in den jeweiligen Familienbetrieben oder einfachen Angestelltenverhältnissen im Rione beschränkt. Doch Lila und Lenù wollen mehr, mehr Bildung, mehr Anerkennung, mehr persönliche Freiheit, mehr Liebe. Diese Sehnsucht macht Lilas Gemeinheiten, ihren Trotz und ihre regelrechte Kampfeslust erklärbar, während Lenù auch ohne die Unterstützung ihrer Eltern ihre Wissbegier befriedigt, um dem Traum von einem besseren Leben näher zu kommen. 

Als sich Lenùs und Lilas Wege trennen und Lenù während des Studiums in Pisa nur noch vom Hörensagen über die Ereignisse in Neapel berichten kann, verliert der Roman ohne die Rivalität der beiden Frauen seinen Reiz und zieht sich im letzten Drittel arg in die Länge. 

Band 2 endet wiederum mit einem Cliffhanger und macht neugierig auf die Fortsetzung und der weiteren (getrennten) Lebenswege von Lila und Lenù als erwachsene Frauen.



Montag, 5. Juni 2023

Buchrezension: Lea Santana - Der Sommer der Blütenfrauen

Inhalt:

Als die impulsive Rose auf einem Biohof anheuert, ist sie sogleich fasziniert von dem liebevoll angelegten Blumenfeld der verstorbenen Gärtnerin Martje. In deren Notizbuch findet Rose köstliche Blütenrezepte, die sie zu einem kulinarischen Blog inspirieren – und das mit großem Erfolg. Die Französin Marguerite, die in Paris gegen die Schließung ihres kleinen Restaurants ankämpft, ist bezaubert von Roses duftigen Rezepten. Ebenso wie die Foodjournalistin Viola, die in Italien vor einer schweren Entscheidung steht. Als sich die drei Frauen im Piemont treffen, geben sie sich ein Versprechen: Gemeinsam wollen sie einen lang gehegten Traum zum Leben erwecken. 

Rezension: 

Nachdem Rose schon wieder einen Job verloren hat, möchte sie als Erntehelferin über den Sommer arbeiten und wird unverhofft als Saisonarbeiterin auf einem Biohof eingestellt. Dort finden sie nicht nur ein unbetreutes Blumenfeld sondern auch die Aufzeichnungen der verstorbenen Martje, die mit Blüten experimentierte und Rezepte entwickelte. Auf ihr Talent für Fotografie aufmerksam gemacht, wird Rose zu einem Blog inspiriert und setzt damit auch Martjes Wunsch um, ihre Rezepte zu veröffentlichen. 
Marguerite wurde von ihrem Ehemann verlassen, der damit auch ihr Restaurant, in dem er als Patron fungierte, im Stich ließ. Mit Hilfe ihrer engagierten Mitarbeiter versucht sie das Restaurant vor der Schließung zu retten und neu aufzubauen. Anregungen für neue Rezepte findet sie von einer deutschen Bloggerin. 
Viola arbeitet als Journalistin und Restauranttesterin in Verona. Sie fühlt sich fremdbestimmt, versteckt sich vor ihrer Familie, die sie unter Druck setzt zu heiraten und bricht nach einem Streit endgültig mit ihrem Chefredakteur. 
Die drei unterschiedlichen Frauen treffen sich im Piemont bei einer Foodmesse und werden durch ein gemeinsames Erlebnis zusammengeschweißt. Sie versprechen sich, auch in Zukunft füreinander da zu sein. 

"Der Sommer der Blütenfrauen" handelt nicht nur im Sommer, sondern beginnt im Frühling und zieht sich durch das gesamte (Garten-)jahr. Die Geschichte ist abwechselnd aus den Perspektiven von Rose, Marguerite und Viola geschildert und führt die/ den Leser*in von Deutschland nach Frankreich und Italien. 

So unterschiedlich die Frauen aufgrund ihrer Berufe, Herkunft, persönlichen Erfahrungen und Voraussetzungen auch sind, so verbindet sie doch alle drei eine innere Leere, die im Verlauf der Handlung durch neue Herausforderungen, ihre Liebe zum Essen und ihre Freundschaft gefüllt wird. 
Die jüngste Rose, die aufgrund ihrer vagabundierenden Eltern heimatlos ist, sich einsam fühlt und durch Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten hat, findet durch ihre Arbeit auf dem Biohof in den Pflanzen und der Fotografie ihre Berufung. Marguerite überwindet die Trennung von ihrem betrügerischen Ehemann, nutzt die Herausforderung und macht sich mit einem neuen Konzept zur neuen Chefin des Restaurants "Le Bon Goût", bis sie ihre Liebe zum Kochen als Küchenchefin umsetzen kann. Viola übernimmt mehr Verantwortung im Familienbetrieb und baut das dortige Restaurant im Weingut neu auf. 

Titel und Cover suggerieren eine eher fröhliche Geschichte über die Freundschaft dreier Frauen, tatsächlich ist der Roman lange Zeit jedoch eher betrüblich. Die Hauptfiguren haben alle mit existentiellen Problemen zu kämpfen und verhalten sich dementsprechend angespannt. Insbesondere Rose und Viola wirken abweisend und trotzig, so dass man erst mit mehr Hintergrundwissen Verständnis für sie und ihre Launen aufbringen kann. Marguerite hat dagegen ein einnehmendes Wesen, wird in ihrer Beschreibung jedoch zunächst arg auf ihren kurvigen Körper und mehrfach auf ihren schokoladen- oder puderzuckerverschmierten Mund reduziert. 

Durch die Schwierigkeiten, die es zu bewältigen gilt und die drei ganz unterschiedlichen Schauplätze in verschiedenen Ländern ist die Geschichte abwechslungsreich und vielseitig. Die Freundschaft, die sich im Verlauf des Romans entwickelt, wirkt jedoch arg bemüht, da die Frauen trotz Gemüseanbau/ Foodfotografie/ Kochen/ Foodjournalismus/ Weinbau, was sie kulinarisch und beruflich verbindet, keine Gemeinsamkeiten haben und das Versprechen der gegenseitigen Treue und Unterstützung aus der Not heraus in Champagnerlaune entstanden ist und trotz der späteren Umsetzung ein wenig halbherzig und für die Geschichte konstruiert wirkt. Eine gegenseitige Empathie und Wertschätzung sind kaum nachzuempfinden. Vor allem Rose und Viola machen es mit ihren (sinnlosen) Streitigkeiten einer Freundschaft schwer. 

Während Marguerites Probleme und persönlichen Entwicklungen nachvollziehbar ausgeführt sind, wird Violas Rolle stark vernachlässigt. Ihr Geheimnis, das sie von ihrer Familie trennt, wird nur mit einem Halbsatz erwähnt und erscheint damit völlig lieb- und belanglos in die Geschichte integriert. 

"Der Sommer der Blütenfrauen" ist ein Roman über drei unterschiedliche Frauen, die durch einen Zufall zusammenfinden und über die gemeinsame Leidenschaft für Genuss und Kulinarik mit einander verbunden werden und sich gegenseitig dabei unterstützen, ihre Probleme, die ihre Leben aus den Fugen geraten haben lassen, zu lösen. Es ist ein Roman über Neuanfänge und Selbstentfaltung, über Versöhnung und die Kraft der Gemeinschaft, Dinge zu erreichen, der an mancher Stelle übertrieben dramatisch inszeniert ist und insgesamt nicht ganz rund wirkt. 

Samstag, 3. Juni 2023

Buchrezension: Jasmin Schreiber - Marianengraben

Inhalt:

Paula braucht nicht viel zum Leben: ihre Wohnung, ein bisschen Geld für Essen und ihren kleinen Bruder Tim, den sie mehr liebt als alles auf der Welt. Doch dann geschieht ein schrecklicher Unfall, der sie in eine tiefe Depression stürzt. Erst die Begegnung mit Helmut, einem schrulligen alten Herrn, erweckt wieder Lebenswillen in ihr. Und schließlich begibt Paula sich zusammen mit Helmut auf eine abenteuerliche Reise, die sie beide zu sich selbst zurückbringt – auf die eine oder andere Weise. 

Rezension: 

Paulas Bruder Tim ist gestorben und auch zwei Jahre nach seinem Tod weiß sie nicht, wie sie ohne ihn weiterleben soll. Aufgrund ihrer Depression macht sie eine Therapie, kann sich aber nicht wirklich öffnen. Als sie sich eines nachts aufraffen kann, um Tims Grab ohne störendes Publikum zu besuchen, trifft sie auf dem Friedhof auf den 83-jährigen Helmut, der dabei ist, die Urne seiner Freundin auszugraben. Er möchte ein Versprechen einlösen und plant eine Reise in ihre alte Heimat. Paula, die nicht weiß, wohin mit sich selbst, begibt sich zusammen  mit dem Misanthrop auf einen Roadtrip, der ihr dabei hilft, die Trauer zu verarbeiten und die nagenden Schuldgefühle loszulassen. 

Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive der trauernden Paula erzählt, deren Leben still zu stehen scheint. Sie hat sich in ihre Trauer zurückgezogen und sieht keinen Grund mehr selbst weiterleben zu wollen. Sie gibt sich zudem die Schuld am Tod ihres Bruders, obwohl oder gerade weil sie nicht da war, als er ertrank. 
Helmut, der bereits Verluste erlitten und nur noch einen Hund an seiner Seite hat, ist der erste Mensch, der sie zu verstehen scheint und dem sie ihre Gefühle offenbaren kann. Auf dem ungewöhnlichen Roadtrip sind sie sich gegenseitig mental oder körperlich eine Hilfe. 

Der Roman handelt von Trauer, vom Sterben, vom Abschiednehmen, aber auch von neuen Perspektiven und vom Mut trotz Schmerz weiterleben zu wollen. Trotz der traurigen Thematik ist das Buch nicht melancholisch oder deprimierend. Die außergewöhnliche Reise ist bewusst unterhaltsam angelegt und führt zu manch absurd-witziger Situation. Das wirkt vielleicht etwas zu gewollt komisch und gekünstelt, driftet jedoch nicht ins Alberne ab. 
Durch die vielen einfühlsam geschilderten Erinnerungen wird deutlich, wie nahe Pauls und Tim sich trotz des großen Altersunterschieds standen. Sie hatten so eine innige Beziehung, dass nachvollziehbar ist, wie schwer Paula vom Verlust gezeichnet ist. Auf dem Roadtrip findet sie wieder zu sich selbst und zur Besinnung, dass sie auch für Tim weiterleben muss, der viel zu früh gestorben ist und noch so viel in seinem Leben hätte erreichen und bewirken können. 

Auch wenn die Geschichte um einen generationenübergreifenden Roadtrip, einem skurrilen Ascheverstreuen und der Entwicklung einer Freundschaft mit einem mürrischen Charakter sicher nicht neu oder sonderlich kreativ ist, ist die Reise unterhaltsam und die aufgesuchten Orte leicht vorstellbar. Berührend sind Paulas Erinnerungen und die Gespräche mit Helmut über das Sterben und auch die Symbolik um das Wasser und den Marianengraben, in den sich Paula so lange hinunter gezogen fühlt, gibt der Geschichte einen roten Faden und macht sie am Ende rund.