Mittwoch, 29. November 2023

Buchrezension: Corina Bomann - Die Farben der Schönheit: Sophias Träume (Sophia 2)

Inhalt:

New York, 1932. Sophia hatte nicht erwartet, je wieder glücklich zu sein. Nachdem sie in Paris ihr Kind verloren hatte, war sie verzweifelt. Doch in New York blüht sie auf: Ein Angebot von der charismatischen Elizabeth Arden bietet ihr eine unerwartete Chance. Unversehens gerät Sophia damit mitten in den „Puderkrieg“, der zwischen Elizabeth Arden und Helena Rubinstein tobt. Plötzlich stehen ihre Liebe, ihre Zukunft und ihr Glück auf dem Spiel. 

Rezension:

Nachdem Sophia einen anonymen Brief erhalten hat, der Unglaubliches enthüllt, kehrt sie zurück nach Paris um die Wahrheit über das Schicksal ihres Sohnes zu erfahren. Dort trifft sie jedoch auf eine Mauer des Schweigens, aber auch einen ambitionierten Detektiv, der ihr neue Hoffnung schenkt.
Nachdem ihr nach dem Verkauf von Helena Rubinsteins Kosmetikfirma gekündigt worden war, findet Sophia eine Anstellung bei Elizabeth Arden in New York, die damit die Konkurrenz ausforschen möchte. Statt im Labor arbeitet Sophia als Kosmetikerin, etabliert sich und darf wenig später ein neues Projekt von Miss Arden im ländlicheren Maine übernehmen.
Während Sophia beruflich voranschreitet, hält sie die Männer auf Abstand und lässt sie die Frage nach dem Verbleib ihres Sohnes nicht los.

"Sophias Träume" ist nach "Sophias Hoffnung" der zweite Band der Trilogie um den Puderkrieg zwischen Madame Rubinstein und Miss Arden. Der Roman setzt nahtlos an Band 1 fort und schildert Sophias weiteren Lebensweg, der durch die wechselnden Orte sowie kleinere und größere Dramen abwechslungsreich geschildert ist. Im Gegensatz zum ersten Teil kann Sophia in der Fortsetzung ihr berufliches Können nicht wirklich zeigen, ist fremdbestimmt und agiert passiv. Ihr scheint alles ohne große Anstrengung zuzufliegen, was sie trotz Schminke blass aussehen lässt. Ihr Weg hin zur Leiterin einer Schönheitsfarm ist deshalb nur wenig spannend skizziert. Auch ist schade, dass nur wenig Interaktion mit anderen stattfinden, nachdem es zum Bruch mit ihrer besten Freundin Henny gekommen war.

Die Geschichte wird gut in den historischen Kontext von Weltwirtschaftskrise und politischen Umbrüchen Ende der 1920er-/ Anfang der 1930er Jahre eingebettet. Sophias Rückkehr nach Berlin aufgrund eines unerwarteten Todesfalls zeigt die Veränderungen in Deutschland unter Hitler eindrücklich und wie wenig davon zunächst in Amerika zu erahnen war. Auch wird der Roman durch die Reise mit ihrem Ex-Geliebten Darren und aufgrund der Details, die sie über ihre Familie erfährt, lebendiger und emotionaler, bis es auch beruflich zu reichlich Konfliktpotenzial im Umgang mit den exzentrischen und dominanten Kosmetikunternehmerinnen kommt. 

Sophia geht in Band 2 weiter ihren Weg, durchlebt Höhen und Tiefen und entwickelt sich von einem naiven Mädchen zu einer reiferen jungen Frau, die aus ihren Fehlern gelernt hat. Sie handelt privat und beruflich umsichtiger, lässt dadurch jedoch nur wenige Menschen an sich heran und ist einsamer. Ihre Entwicklung ist nachvollziehbar und authentisch und macht - trotz einiger Längen in dem über 500 Seiten langen Wälzer - neugierig, wie es im abschließenden 3. Teil der Reihe "Sophias Triumph" mit ihr privat und beruflich weitergehen wird. 

Montag, 27. November 2023

Buchrezension: Silvia Hildebrandt - Trümmerland

Inhalt:

1941. Das nationalsozialistische Rumänien zu Beginn des Ostfeldzugs. Der Jungoffizier Ion "Nelu" Nicolescu bereitet sich auf den Kampf gegen die Russen vor. Bevor er an die Front versetzt wird, schwört er, seine Jugendliebe Andrada nach seiner erfolgreichen Mission zu heiraten. Aber Nelus Einheit wird unter das Kommando des deutschen Oberfeldwebels Schmidt gestellt, der seine rumänischen Untergebenen schikaniert. Aus Monaten werden Jahre und Nelu wird in der Schlacht um Stalingrad gefangen genommen. Während er in einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager gefoltert wird, verliebt sich Andrada in den Bauern Cristian. Als Rumänien im Sommer 1944 die Fronten wechselt und nach und nach zu einem sozialistischen Staat umgebaut wird, werden aus alten Verbündeten Feinde, aus ehemaligen Feinden notwendige Partner. Für welche Seite entscheidet sich Nelu? Kann Andrada mit Cristian glücklich sein, während ihr Herz immer noch an einem gebrochenen Kriegsgefangenen hängt? 

Rezension:

Der Rumäne Nelu glaubt an den Sieg der Deutschen über die russischen Kommunisten und bereitet sich euphorisch und voller Stolz auf seinen Einsatz als Offizier vor. Seine Freundin Andrada tröstet er damit, dass er in wenigen Monaten schon wieder erfolgreich zurückkehren werde. 
Andrada hört nichts von Nelu an der Front, weiß jedoch auch, dass er nicht dafür gemacht ist, romantische, sehnsuchtsvolle Briefe zu schreiben. Aufmerksamkeit erhält sie stattdessen von ihrem Cousin Cristian, der eigentlich mit ihrer Schwester Nina zusammen ist. 
Während Nelu mit der rumänischen Division gelangweilt Stellung hält, kommt er seinem Kameraden Marius näher. Als ihre Armee weiter in den Osten vorrückt und sie nicht einmal gegen den Winter gerüstet sind, wird Nelu schmerzhaft bewusst, dass die rumänischen Soldaten nur als Vorhut für die Deutschen und Kanonenfutter vorangetrieben werden. 
Nach Beendigung des Krieges und dem Sieg der Russen entwickelt sich Rumänien vom faschistischen Königreich zu einem kommunistischen Staat. Die Folgen des Krieges betreffen Nelu, Andrada und Cristian auf unterschiedliche Art und Weise, erzählen eine Geschichte von Begehren, Enttäuschung, geplatzten Träumen, Armut, Unterdrückung und Politik im Wandel der Zeit. 

"Trümmerland" ist Band 1 einer dreiteiligen Buchreihe um die historische Entwicklung Rumäniens vom 1941 bis 1979. Der Roman selbst ist in drei Teile untergliedert, beginnt mit dem Zweiten Weltkrieg, wird zur Zeit des Wiederaufbaus 1950/ 1951 fortgeführt und endet mit der Entwicklung zur Unabhängigen Sozialistischen Republik Rumänien von 1956 bis 1968. 

Die fiktive Geschichte vor dem Hintergrund der Entwicklung Rumäniens wird aus den Perspektiven von Nelu und Andrada erzählt, die beide keine einnehmenden oder sympathischen Charaktere sind. Überhaupt sticht keine Figur in dem Buch positiv hervor. Die Kriegsereignisse und die Folgen für Land und Leute sind betrüblich und die Protagonisten böse, egoistisch, manipulativ, wankelmütig und unnahbar. 
So konnte mich nicht einmal die Liebesgeschichten für sich gewinnen, denn auch diese sind wenig liebe- oder gefühlvoll, sondern allein von einer körperlichen Anziehung geprägt. 

Der unübliche Schauplatz Rumänien hatte mein Interesse für den Roman geweckt, der den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen thematisiert und nicht in einem der gewohnten Länder Deutschland, Österreich, Frankreich oder Amerika handelt. Die Schilderungen über den Krieg sind einseitig von amourösen Beziehungen geprägt, die mich langweilten und weiter von den Charakteren entfernten, so dass mir ihr weiteres Schicksal schon fast egal wurde. 
Die Zeit des Wiederaufbaus handelt von einer eigenartigen Dreiecksbeziehung und weiteren Liebesabenteuern von Nelu, die seiner Romeo-Mission als geheimer Mitarbeiter der Securitate geschuldet ist. Während die verheiratete Andrada sich nach Nelu verzehrt, hysterisch oder überdreht agiert, ist sein Verhalten von Hass gegen das herrschende System, die Russen und die Deutschen geprägt. Cristian scheint hingegen stoisch zu akzeptieren, dass seine Frau für Nelu schwärmt und dabei sogar weitergeht, was augenscheinlich nicht ohne Folgen bleibt. 

Die Verhaltensweisen der Hauptfiguren sind kaum nachvollziehbar, die Dialoge hölzern und stupide, so dass die Geschichte stellenweise unfreiwillig und unpassend komisch ist. Die ewige Litanei an Selbstmitleid und Eifersüchteleien lässt weder eine charakterliche Weiterentwicklung zu, noch gestaltet sie die Geschichte interessant oder gar spannend. Die historischen und politischen Anteile daran bleiben oberflächlich und nicht nur aufgrund der Zeitsprünge bruchstückhaft. 

"Trümmerland" hat Erwartungen an einen historischen Roman über ein umkämpftes, zerrissenes Land geweckt, aber am Ende überwiegt der Eindruck einer leidvollen Geschichte voller unsympathischer Charaktere, in der weder das Land als solches noch seine Geschichte näher gebracht wurde. 

Samstag, 25. November 2023

Buchrezension: Lucy Clarke - One of the Girls

Inhalt:

Es sollte der perfekte Kurzurlaub werden: Lexi reist mit fünf Freundinnen auf eine griechische Insel, um ihren Junggesellinnenabschied zu feiern. Von der abgelegenen Villa mit Meerblick bis hin zu den malerischen Tavernen und weiß getünchten Straßen scheint der Urlaub zu schön, um wahr zu sein. Und tatsächlich bekommt die Idylle bald Risse, denn abgesehen von ihrer Freundschaft mit Lexi haben die Frauen nur eines gemeinsam: Sie alle haben etwas zu verbergen. Nach und nach kommen versteckte Absichten ans Licht, Geheimnisse werden enthüllt und die Masken fallen – bis eine Leiche auf den Klippen unterhalb der Villa liegt. 

Rezension:

Lexi reist mit ihren fünf Freundinnen auf die griechische Insel Aegos, um dort ihren Junggesellinnenabschied zu feiern. Sie selbst legt keinen Wert auf eine exzessive Hen Party, aber ihre selbst ernannte beste Freundin und Trauzeugin Bella wollte in Erinnerung an alte Zeiten unbedingt ein ausgelassenes Wochenende organisieren.
Die Stimmung ist nicht so entspannt, wie man sie sich bei einem Kurzurlaub mit Freundinnen vorstellt. Jede von ihnen hat ein  Geheimnis zu verbergen und nicht jede ist aus dem selben Grund vor Ort.
Am Ende der Reise wird es eine Leiche geben und eine von ihnen trägt die Schuld für den Tod.

"One of the Girls" ist ein spannender Roman, der den/ die Leser/in eindrucksvoll auf eine fiktive griechische Insel versetzt. Bei Ouzo, Retsina, Tsatsiki, Oliven und Saganaki feiern die Frauen Lexis kommende Hochzeit.
Die Geschichte ist wechselnd aus der Perspektive aller sechs Charaktere geschildert, wobei die dominante Bella, die stets ihren Anspruch auf Lexi erhebt, in den Vordergrund rückt. Es dauert ein paar Kapitel bis man alle sechs Hauptfiguren sortiert und ein Gefühl für sie entwickelt hat. Durch ihre unterschiedlichen Eigenheiten ist dies dann jedoch problemlos möglich.
Bella birgt ein Geheimnis aus der Vergangenheit, das ihre Lebensgefährtin Fen kurz vor der Abreise erfahren hat, weshalb es zwischen ihnen brodelt. Auch über ihre Beziehung hinaus schafft es Bella zu provozieren und andere zu verletzen. Robyn ist wie Bella eine der ältesten Freundinnen Lexis und ein ausgleichendes Element, die jedoch selbst nicht mit sich im Reinen ist. Ana und Eleanor sind neu in dem Kreis. Lexi kennt Ana von ihren Yogakursen, wo sie sich angefreundet haben und Eleanor ist Lexis zukünftige Schwägerin. Beide bergen ein Wissen, von dem die zukünftige Braut nichts ahnt. 

Die Geheimnisse, aber auch die Frage, wer am Ende Opfer und wer Täterin sein wird, machen die Geschichte spannend. Wie sich immer wieder unterdrückte Konflikte und brenzlige Situationen ergeben, die die erhoffte Harmonie unter Freundinnen und die Ausgelassenheit eines Junggesellinnenabschied stören, ist wendungsreich, packend und unterhaltsam. Letztlich würde man fast jeder von ihnen zutrauen, einen Mord zu begehen oder zum Opfer zu fallen.
Die Mischung aus Whodunit-Krimi, Psychothriller und Frauenroman um durch Lügen und Geheimnisse vergiftete Freundschaften zusammen mit dem Setting einer düsteren Atmosphäre auf einer sonnigen Urlaubsinsel ist rund, herrlich böse und lädt bis zum Schluss zum Rätseln ein. 

Freitag, 24. November 2023

Buchrezension: Cathy Woodman - Dann muss es Liebe sein

Inhalt:

Es muss Liebe sein. Warum sonst sollte die Tierärztin Maz mit ihrem neuen Leben auf dem Dorf so zufrieden sein? Die Praxis, die sie sich mit ihrer schwangeren Freundin Emma teilt, floriert, und ebenso gut läuft es mit dem umwerfenden Alex. Doch dann verliert Emma ihr Baby, und Maz’ Leben steht Kopf. Sie arbeitet pausenlos, behält die lüsterne Vertretung im Auge und kümmert sich um Emma. Als sie zudem überraschende Neuigkeiten erhält, wird es sich zeigen, ob die Liebe von Maz und Alex der Probe gewachsen ist. 

Rezension:

Tierärztin Maz Harwood ist von London in das beschauliche Talyton St. George gezogen und führt dort gemeinsam mit ihrer Freundin Emma die Kleintierarztpraxis Otter House. Emmas sehnlichster Wunsch ist es Mutter zu werden und nach vielen vergeblichen Versuchen ist sie nun schwanger, weshalb sie sich aus der Praxis zurückzieht. Als Vertretung wird Dawn, ein Tierarzt aus Australien eingestellt. Bei den Frauchen kommt der attraktive junge Mann sehr gut an, den Tieren gegenüber ist er jedoch häufig weniger sorgsam. Als Emma zur Bewältigung eines Schicksalsschlag dauerhaft ausfällt, droht Maz die Arbeit in der Praxis über den Kopf zu wachsen. Und dann erhält sie auch noch eine Nachricht, mit der sie nicht umgehen kann und die nicht nur ihre Freundschaft zu Emma, sondern auch ihre Beziehung zu Alex auf eine harte Probe stellt.

"Dann muss es Liebe sein" ist der zweite Band um die Tierarztpraxis Otter House in Talyton St. George. Auch wenn sich die Geschichte unabhängig von Band 1 lesen lässt, empfiehlt es sich die Reihenfolge einzuhalten, um mehr Nähe zu den Hauptfiguren zu schaffen, die mir ohne Vorkenntnisse fremd geblieben sind. Maz und Emma haben beide Seiten an sich, die sie nicht unbedingt sympathisch machen. Vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten, die für einschneidende Folgen für ihre Leben haben, kann man den Egoismus und das Unverständnis für die jeweils andere aber zumindest einordnen.
Diese Missstimmung erwartet man in Anbetracht des blumigen Covers und der fröhlichen Devise "Raus den High Heels, rein in die Gummistiefel" allerdings nicht. Traurige Ereignisse reihen sich aneinander und viele trotzige Verhaltensweisen, genauso wie Handlungen, die das Tierwohl gefährden, kann man nicht gutheißen. Von Freundschaft, Zusammenhalt und Verantwortungsbewusstsein ist wenig zu spüren.

Der Praxisalltag ist lebendig und turbulent dargestellt. Die persönlichen Probleme sind dagegen oberflächlich erzählt. So manch entscheidender Sinneswandel ist viel zu kurzgefasst und deshalb wenig verständlich. Auch werden manche Handlungsstränge nicht zu Ende erzählt, weshalb am Schluss Fragen offen bleiben, die vermutlich im Folgeband wieder aufgegriffen werden.
Der Roman kann aufgrund von Längen bei medizinischen Behandlung und des retardierenden Babythemas nicht durchgängig fesseln, zumal die Charaktere wenig gefällig sind.

Mittwoch, 22. November 2023

Buchrezension: Thomas Olde Heuvelt - November

Inhalt:

In Lock Haven, einer beschaulichen kleinen Stadt in Washington State, gibt es eine ganz besondere Straße. Die Bird Street. Wer in der Bird Street wohnt, ist erfolgreich, wohlhabend, gesund und glücklich. Die Kinder allesamt ausgeglichen, wohlerzogen und klug. Zumindest für elf Monate im Jahr. Im November jedoch brechen die dunklen Tage an. Pech, Misserfolg und Krankheit halten Einzug. Im November kommt der Fremde in die Bird Street, um bei den Bewohnern die Schulden einzutreiben. Im November ist die Zeit gekommen, den Preis für all das Glück zu zahlen. Denn es kehrt erst zurück, wenn ein Menschenleben geopfert wird. 

Rezension:

In der Bird Street in der Kleinstadt Lock Haven sind die Bewohner beruflich erfolgreich, die Kinder überdurchschnittlich begabt, die Menschen finanziell abgesichert, glücklich und zufrieden - zumindest für elf Monate im Jahr. Aber im November, wenn der Buchhalter für seine jährliche Abrechnung erscheint und die Dunklen Tage Einzug halten, herrschen Angst und Schrecken, dass Schreckliches passiert. Um die Gefahr abzuwenden, braucht es ein Menschenopfer und das wurde bisher noch jedes Jahr gefunden, denn die Nachbarschaft hält zwischen Fluch und Segen zusammen und bewahrt ihr Geheimnis. 

Es ist wieder November und nachdem die Dunklen Tage in den Jahren zuvor durch Ralph Lewis da Silva als Richter und moralische Instanz der Nachbarschaft durch das Finden eines möglichst gerechten und freiwilligen Opfers überstanden werden konnten, ziehen sich die Dunklen Tage im Jahre 2022 in die Länge. Die Kinder sind inzwischen älter und neugieriger und hinterfragen die Aktivitäten ihrer Eltern, während diese in Streit darüber geraten, welches Opfer geeignet ist. Je länger sich die Ungewissheit hinzieht und der Druck steigt, desto verzweifelter und aggressiver wird die Stimmung in der Bird Street. Doch dann ist auch dieser November, wenn auch noch unschöner als sonst, vorbei.  
Die Situation verschärft sich, als es schon wenige Monate zu Schwierigkeiten kommt, die am Glück und damit an der Grundlage des Deals zweifeln lassen. 

"November" ist eine moderne Version des klassischen Faust-Paktes und ein düsterer Psychothriller über die Frage, wie weit man für das persönliche Glück geht. Was bin ich bereit zu tun, um mich und meine Familie zu schützen oder meinen Status Quo zu erhalten? Wie verlässlich ist der moralische Kompass? Und wie schwer lastet die Schuld auf der eigenen Seele? Rechtfertigen elf Monate Glückseligkeit die Opfer, die die Nachbarschaft bringt?

Die Geschichte ist spannend aufgebaut und beschreibt eindrücklich die zunehmende Eskalation in der Bird Street. Sie zeigt einen düsteren Einblick in die Abgründe der Seele, einen grenzenlosen Egoismus und die Skrupellosigkeit der Menschen bei Entscheidungen über Leben und Tod. 
Während im ersten Teil des Romans die Hintergründe des Paktes erklärt werden, zieht im zweiten Teil die Spannung massiv an. Dabei wird der Roman aus wechselnden Perspektiven der Familienmitglieder der Lewis da Silvas erzählt, die von Geistererscheinungen und Wahnvorstellungen gequält werden und beginnen, am eigenen Verstand zu zweifeln. 
"November" ist eine teuflisch gute Geschichte, ein Psychothriller mit Horrorelementen, der eine Personengruppe in einen Teufelskreis einschließt und Fragen über Moral aufwirft. Intelligenter Grusel, der an Bücher von Stephen Kind erinnert.

Montag, 20. November 2023

Buchrezension: Pip Williams - Die Buchbinderin von Oxford

Inhalt:

England, 1914: Als die Männer in den Krieg ziehen, halten die Frauen die Nation am Laufen. Zwei von ihnen sind die Zwillingsschwestern Peggy und Maude, die in der Buchbinderei der Oxford University Press im Arbeiterviertel Jericho arbeiten und auf einem Hausboot voller Bücher leben. Peggy träumt davon, eines Tages an der Universität zu studieren. Doch ihr wird gesagt: „Dein Job ist es, die Bücher zu binden und nicht zu lesen!“. Maude ist ein ganz besonderes, verletzliches Mädchen, und Peggy fühlt sich nach dem Tod ihrer Mutter für ihre Schwester verantwortlich. Mit der Ankunft von belgischen Flüchtlingen in Oxford und der Unterstützung neuer Freunde rücken Peggys Träume ganz unerwartet in greifbare Nähe. Und sie beschließt, eine andere Zukunft für sich zu erschaffen – eine, in der sie nicht nur ihre Hände, sondern auch ihren Verstand einsetzen kann. 

Rezension: 

Die Zwillingsschwestern Maude und Peggy Jones leben seit dem Tod ihrer Mutter alleine auf einem Hausboot in Oxford. Beide arbeiten sie in der Buchbinderei der Universitätsbibliothek. Während Maude mit der Gleichförmigkeit des Faltens von Buchseiten zufrieden ist, möchte Peggy mehr als nur mit ihren Händen arbeiten und fühlt sich durch ihre Schwester beschränkt und unfrei, da die einfache Maude auf ihre Unterstützung angewiesen ist.
Als der Krieg im Jahr 1914 ausbricht und Flüchtlinge und verletzte Soldaten aus Belgien nach England kommen, engagiert sich Peggy als Vorleserin und Briefeschreiberin. Dabei lernt sie den schwer verletzten belgischen Soldaten Bastiaan kennen und verliebt sich in ihn, träumt jedoch weiterhin davon, Bücher nicht nur zu falten sondern auch zu studieren.

"Die Buchbinderin von Oxford" kann unabhängig von "Die Sammlerin der verlorenen Wörter" gelesen werden, dennoch sind die beiden Bücher mit einander verbunden, hat doch Peggy geholfen, das Wörterbuch mit Esmes gesammelten Worten zu drucken.
Neben dem Handwerk des Buchbindens handelt der Roman von den grausamen Folgen des Ersten Weltkriegs und der Stärke der Frauen, die zu diesen schweren Zeiten Verantwortung übernehmen, hart arbeiten und sich mit großer Fürsorge um andere kümmern. 

So wie sich Peggy bei ihrer Tätigkeit in der Buchbinderei bisweilen langweilt, ist auch die Handlung zu Beginn gleichförmig und monoton. Es ereignet sich schlicht nicht viel und die sehr ruhige Erzählweise trägt auch nicht zu mehr Spannung bei. 

Abgesehen von Büchern rückt der Roman die Frauen und ihre Rolle in der Gesellschaft in den Vordergrund. Frauen möchten politisch mitbestimmen, wählen dürfen und das unabhängig von ihrer sozialen Stellung oder ihres Vermögens. Peggy begehrt einen Zugang zu Bildung, möchte studieren, jedoch auch geliebt werden und das Versprechen an ihre Mutter einhalten, für ihre Schwester da zu sein. Ihre Ambitionen, Sehnsüchte und Verpflichtungen scheinen miteinander unvereinbar.

Gerade zu Beginn war mir der monotone Alltag von Peggy zu detailliert beschrieben und auch im weiteren Verlauf konnte mich die sich so langsam entwickelnde Geschichte trotz der gewichtigen Themen, die eigentlich eine leidenschaftliche Auseinandersetzung rechtfertigen, nicht fesseln. Der Kampf um Gleichberechtigung, Freiheit und Bildung wie die besondere Schwesternbeziehung und die gegenseitige Abhängigkeit waren mir zu leidenschaftslos dargestellt. Auch die Romanze zwischen Peggy und Bastiaan blieb sehr zurückhaltend. Insgesamt wurden in den Roman mit der Rolle der Frau, Frauenwahlrecht, Klassenunterschiede, Erster Weltkrieg, Trauma, Verwundungen, Spanische Grippe, Bildung, Selbstentfaltung, Verantwortung und Liebe zu viele Sachverhalte in das Leben der nach mehr gierenden Buchbinderin gepackt, die nicht in der nötigen Tiefe verarbeitet werden konnten. 

Freitag, 17. November 2023

Buchrezension: Emma V.R. Noyes - Guy's Girl

Inhalt:

Zwei Menschen, deren innere Probleme sie daran hindern, sich wirklich aufeinander einzulassen: Die lebenslustig wirkende Ginny, die in die WG ihrer besten männlichen Freunde zieht, obwohl es in deren Gesellschaft ungleich schwerer ist, ihre Essstörung zu verbergen. Und Adrian, der seit dem frühen Tod seines Vaters ein Meister im Unterdrücken von Gefühlen ist. Schnell kommen die beiden sich näher. Doch mehrfach – nämlich immer dann, wenn es ernst zu werden verspricht zwischen den beiden – weist Adrian Ginny von sich. 

Rezension: 

Ginny Murphy war schon immer ein Jungsmädchen: Mit ihren Brüdern hat sie sich besser verstanden als mit ihrer älteren Schwester und am College waren ihre besten Freunde ausschließlich Jungs. Als Ginny einen Job in New York erhält, zieht sie sogar in die Wohngemeinschaft ihrer Collegefreunde und lernt dort Adrian Silvas kennen. Zu ihm fühlt sie sich auf Anhieb hingezogen und auch wenn sie schon Beziehungen zu anderen Jungs hatte, könnte es mit ihm zum ersten Mal Liebe sein. Doch Adrian hält sie auf Distanz und weist sie immer wieder von sich. Er hat durch den frühen Verlust seines Vaters kein Vertrauen in die Liebe und stürzt sich lieber in die Arbeit als Investmentbanker. Die beiden führen eine toxische On-Off-Beziehung, die vor allem für Ginny gefährlich sein könnte, betäubt sie ihre Ängste doch mit einer Essstörung, die sie vom Hungern in Minnesota zum Erbrechen in New York geführt hat, um ihr krankes Verhältnis zum Essen zu verstecken. 

Der Roman ist abwechselnd aus der Perspektive von Ginny und Adrian geschrieben. Die Kapitel haben eine ganz unterschiedliche Länge, bestehen manchmal nur aus einer Seite oder ziehen sich über einen längeren Abschnitt. 
Adrian ist als Kind aus Ungarn nach Amerika eingewandert und seit seiner Geburt mit einem Trauma behaftet. Er hat mit Mitte 20 noch nie eine richtige Beziehung geführt und hat Angst davor, sich zu verlieben und diese Liebe möglicherweise wieder zu verlieren. Auch wenn man den Grund dafür nachvollziehen kann, steht in der Geschichte vielmehr Ginny und ihre psychische Gesundheit im Vordergrund. Ginny verliebt sich leicht und sucht die Schuld stets bei sich und ihrem Körper, wenn sie zurückgewiesen wird. Sie leidet seit Jahren an Magersucht, hat aber mit der Ankunft in New York genug von der permanenten Kontrolle und der Einschränkungen. Sie möchte endlich alles essen, aber ihr guter Vorsatz mündet bald in ein anderes krankhaftes Essverhalten. Ihre Ess-Brechsucht verbirgt sie geschickt, was sie aber nicht von einem endgültigen Zusammenbruch retten kann. 

Der Roman behandelt das Thema Essstörungen sehr anschaulich und intensiv. Man spürt die eigenen Erfahrungen der Autorin, was die Erzählung besonders authentisch und auch verstörend macht. Es wird deutlich, wie schwierig der Weg einer Heilung ist und dass die Betroffene diesen Weg trotz guter Absichten niemals allein schaffen kann. Der holprige Weg und die Rückschläge sind berührend und die Darstellung der Gedanken Ginnys sind hilfreich, um mehr Verständnis für die Erkrankung zu gewinnen. 

Auch wenn die romantische Liebe in dem Roman nicht zu kurz kommt, stehen in der Geschichte insbesondere die Selbstliebe und Selbstakzeptanz im Fokus. Wie das Nachwort beweist, ist "Guy's Girl" ein zutiefst persönliches Buch, das nicht leicht verdaulich ist, aber hoffnungsvoll endet. Dabei ist der Schluss nicht verklärend positiv, aber auch nicht unbefriedigend offen, sondern zeigt, dass Ginny und Adrian am Anfang stehen und das der Weg von Heilung und Genesung, vom Ablegen von Ängsten und Selbstzerstörung, erst begonnen hat. 

Mittwoch, 15. November 2023

Buchrezension: Malin Stehn - Nur eine Lüge: Zwei Familien, eine tödliche Verbindung

Inhalt:

Emily Brandt hat ihre Schlosshochzeit mit William Nihlzén minutiös geplant. Nur drei Dinge hat sie nicht unter Kontrolle: das Wetter, ihre Mutter Annika und ihren Bruder Erik. Das Wetter spielt mit, doch während der extravaganten Feier kommt es zu Spannungen, verschüttete Wahrheiten kommen an die Oberfläche – und kurz nach Mitternacht liegt eine Leiche am Ufer des Öresunds.
Acht Jahre zuvor zerriss die idyllische Mittelklasse-Existenz der Familien Brandt und Nihlzén durch ein furchtbares Ereignis. Freundschaften und Ehen zersplitterten. Und jetzt treffen alle wieder aufeinander – bei dieser Hochzeit, die sie für immer verbinden soll. 

Rezension: 

Emily Brandt heiratet William Nihlzén, den sie seit ihrer Kindheit kennt - eine Traumhochzeit in einem Schloss soll es werden. William war früher der beste Freund ihres Bruders Erik, bis es zu einem verheerenden Unfall kam, der insbesondere das Leben der Familie Brandt grundlegend verändert hat. 
Die Hochzeit ist ein großes Event, bei der sogar die Presse zugegen ist, weshalb Emily trotz Spannungen ihre geschiedenen Eltern Annika und Mats und ihren Bruder einlädt. 
Während der Feierlichkeiten brodelt es unter den Gästen und ein Detail des Unfalls vor acht Jahren, das vertuscht wurde, drängt unaufhörlich ans Licht - bis es nach Mitternacht einen Toten gibt. 

"Nur eine Lüge" wird aus wechselnden Perspektiven und auf zwei Zeitebenen erzählt. Zu Beginn erfordert es ein wenig Aufmerksamkeit, die Vielzahl an Personen und Familienkonstellationen zu sortieren, bis man die Hauptfiguren besser einordnen kann. Die Kapitel sind kurz, die Perspektivwechsel erfolgen schnell und auch der Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit vor acht Jahren passiert zügig. Auf diese Weise gibt es permanent Mini-Cliffhanger und viele einzelne Puzzlestücke, die auf dem Weg zur Wahrheit ganz allmählich offenbart werden, so dass man unaufhörlich weiterlesen muss. 

Die Geschichte ist auf beiden Zeitebenen spannend, da gegenwärtig von Anbeginn bekannt ist, dass es einen Toten geben wird, nicht aber klar ist, wer und warum, und im Hinblick auf die Vergangenheit eine Lüge über den Unfall schwelt. 

Dass keiner der Charaktere wäre wirklich sympathisch ist und fast alles etwas zu verbergen scheinen, stört dabei nicht. Die Probleme der einzelnen Personen und ihre Motive bleiben allerdings oberflächlich. 

Der Roman regt zu reichlich Spekulationen an, wer Täter und wer Opfer ist und was noch passieren muss, damit die Wahrheit über den Unfall, der aufgrund der Folgen noch immer sehr präsent ist, herauskommt. 
Durch immer neue Offenbarungen ist die Geschichte spannend bis zum Schluss. "Nur eine Lüge" aus der Vergangenheit belastet zwei Familien, bis der Druck beim Zusammentreffen aller Beteiligten nicht mehr auszuhalten scheint. Es ist eine spannende, wendungsreiche Geschichte mit Thrillerelementen, die aufgrund der Kürze der Kapitel schnell zu lesen ist. 

Montag, 13. November 2023

Buchrezension: Lydia Schmölzl - Ein guter Plan ist die halbe Liebe

Inhalt:

Roxy will keinen Mann. Roxy braucht keinen Mann. Denn Roxy hat bereits drei: ihren Ex für Reparaturen, ihren Kollegen für heiße Flirts und ihren Kumpel für gemütliche Abende mit Pasta und Wein. Als ihre Ärztin ihr eröffnet, dass Roxy nur noch wenige Eizellen übrig hat, bricht sie in Panik aus. Sie mag auf einen festen Partner verzichten wollen, aber nicht auf ein Kind! Als Personalchefin weiß Roxy schnell, wie sie den perfekten Baby-Daddy finden kann: Sie wird mit den drei Männern in ihrem Leben einen »Einstellungstest« machen – ohne dass die davon wissen, versteht sich. Nur was, wenn das Herz etwas anderes sagt als der Fragebogen? 

Rezension:

Als Roxy bei einer Routineuntersuchung bei ihrer Frauenärztin erfährt, dass ihr mit Mitte 30 nur noch wenig Eizellen zur Verfügung stehen und ihre jüngere Schwester ihr fast gleichzeitig erklärt, dass sie zum zweiten Mal schwanger ist, beschließt sie ihren Kinderwunsch, von dem Roxy bisher gar nicht so sicher war, dass er in ihr schlummerte, auch ohne festen Partner an ihrer Seite zu verwirklichen. Einen Mann benötigt sie für die Zeugung zumindest dennoch, aber die Vorstellung eines anonymen Samenspenders schreckt sie ab. Warum keinen Mann aus ihrem Umfeld für die Idee gewinnen? So möchte sie klammheimlich drei Kandidaten casten: ihren besten Freund Max, ihren Ex-Freund Jonas und ihren Kollegen Dorian, mit dem sie den ganzen Sommer über geflirtet hatte. Während sie versucht, den perfekten Vater zu finden, kommen ihr bei ihren rationalen Erwägungen ihre Gefühle dazwischen.  

Roxy ist eine Protagonistin, die viel mit sich selbst ausmacht, weshalb sich auch ein Großteil der Handlung in ihrem Gedankenwelt abspielt. Sie reflektiert ihr Leben, schmiedet Pläne und verrennt sich in eine Idee, ohne auf die Gefühle anderer Rücksicht zu nehmen. Sie kann keine Kontrolle abgeben, was sie bitter und einsam macht. 
Ihre inneren Monologe sind ernsthaft, aber durch den Wortwitz und die lockere Erzählweise ist der Roman trotz Problemschilderungen durchaus humorvoll, aber letztlich viel dramatischer und weniger unbeschwert, als erwartet. 

Die Geschichte wirkt trotz der etwas bizarren Idee des heimlichen Vatercastings authentisch, setzt sie sich doch mit den vorherrschenden Problemen der Generation Y auseinander. Singledasein und Einsamkeit, Zukunftsängste und tickende biologische Uhr, Unentschlossenheit und Ich-Bezogenheit sind die Schwierigkeiten, die hier geballt aufeinander treffen. Nicht nur Roxy, aus deren Ich-Perspektive der Roman geschildert ist, auch wirklich alle anderen Protagonisten haben ihre Päckchen zu tragen, erscheinen allesamt unglücklich sowie vom Leben und vor allem von der Liebe enttäuscht. 

Roxy ist eine Frau, die ihren Platz im Leben noch nicht gefunden hat und versucht ihre Leere mit einem Kind zu füllen, bevor es zu spät ist. Ihre Panik und der Drang, einen Plan zu entwickeln, ist nachvollziehbar. Ihre Vorgehensweise dennoch unüberlegt, was sie schmerzhaft erfahren muss. 
Die Geschichte dreht sich ein wenig im Kreis, was vor allem auf Roxys andauernde Zwiesprache mit sich selbst zurückzuführen ist. Ein wenig mehr äußere Handlung hätte der Geschichte gutgetan, gaben doch die Dates, das schwierige Verhältnis zu ihrer Schwester und der Unmut auf ihre Mutter sowie ihre Eigenschaft als Patentante durchaus Impulse für eine abwechslungsreichere Handlung. Erst im letzten Drittel wird die Geschichte lebendiger und zeigt, dass man noch so viel planen kann, am Ende jedoch das Leben erbarmungslos dazwischen funkt. 
Roxy erfährt dies auf die harte Tour, muss lernen, Kontrolle anzugeben und anderen zu vertrauen und bereit sein, Liebe zuzulassen, die genauso wenig wie Gefühle kontrollierbar ist.

Samstag, 11. November 2023

Buchrezension: Guillaume Musso - Eine himmlische Begegnung

Inhalt:

Juliette Beaumont hat es nicht geschafft, in New York als Schauspielerin zu reüssieren. Am Vorabend ihrer Abreise nach Paris wird sie auch noch fast von einem Auto überfahren. Doch der Fahrer, Sam Galloway, kümmert sich rührend um sie. Sie verlieben sich ineinander und erleben eine leidenschaftliche Nacht. Als Juliettes Flugzeug am nächsten Morgen startet, explodiert es in der Luft. Sam ist verzweifelt. Er ahnt nicht, dass das Schicksal ihrer Liebe einen Aufschub gewährt. 

Rezension: 

Der Klappentext gibt nicht einmal annähernd den Kern der Handlung wieder. Wer sich von "Eine himmlische Begegnung" eine romantische und dramatische Liebesgeschichte erwartet, wird enttäuscht sein. Wer allerdings schon Romane von Guillaume Musso kennt, weiß, dass seine Geschichten immer auch ein mysteriöses und/ oder übernatürliches Element enthalten. Dies ist auch in diesem Roman der Fall, was mich allerdings nicht grundsätzlich gestört hat. Die Eigenschaften der "Botin" passten allerdings nicht zu der Vorstellung, die man von solchen Wesen hat, unterschied sie sich doch nicht von einem gewöhnlichen Menschen. 

Die Handlung wird aus verschiedensten Perspektiven erzählt, die häufig - auch innerhalb der Kapitel - wechseln. Als Leser erhält man damit einen Überblick über die Handlung, die jedoch trotzdem wirr und ohne einen erkennbaren roten Faden ist. Positiv betrachtet, weiß man wirklich nicht, in welche Richtung der Roman gehen wird. Negativ gesehen, passt kein Erzählstrang zum anderen und selbst wenn man aufgeschlossen gegenüber Mystery- oder Fantasyelementen ist, ist die Geschichte absurd und in Teilen unlogisch. Organisierte Kriminalität und Drogen, Mord und Totschlag, Terrorverdacht, Bombendrohungen, Armut und Elendsviertel, abgerutschte Menschen und Selbstmord, Vergangenheitstrauma und Vorherbestimmung - der Roman enthält vieles, aber wenig, was man von einer romantischen Begegnung und einer sich abzeichnenden Liebesgeschichte im Winter in New York erwarten würde. 

Freitag, 10. November 2023

Buchrezension: Kristin Hannah - Das Mädchen mit dem Schmetterling / Wohin das Herz uns führt

Inhalt:

Die Kinderpsychologin Julia Cates steht vor den Trümmern ihrer Karriere. Von Schuldgefühlen gepeinigt, kehrt sie zu ihrer Schwester in ihren Heimatort am Mystic Lake zurück, wo ein schwer traumatisiertes Kind auftaucht. Gemeinsam mit dem Arzt Max versucht sie herauszufinden, was dem Kind angetan wurde. Bis sich ein Mann meldet, der behauptet, der Vater zu sein. Julia muss alles riskieren, um zu verstehen, wer das Mädchen tatsächlich ist – und zu wem es gehört. Ein berührender Roman darüber, wie ein Kind, das Hilfe braucht, das Leben einer Frau verändert. 

Rezension:

Nachdem Julia ihre gute Reputation als Kinderpsychologin und ihr Selbstvertrauen nach einem medienwirksamen, tragischen Unglück verloren hat, kehrt sie zurück von Los Angeles in ihre Heimat nach Rain Valley, wo ihre ältere Schwester Ellie als Polizeichefin arbeitet. Diese beschäftigt sich gerade mit dem Fall eines aufgefundenen Mädchens, das ungefähr sechs Jahre alt ist und die letzten Jahre offenbar im Wald gelebt hat. Sie spricht nicht und verhält sich autistisch. Während Ellie versucht die Eltern des Mädchens ausfindig zu machen, nimmt sich Julia dem Mädchen als Kinderpsychologin an und übernimmt sogar die Fürsorge für das traumatisierte Kind. Dabei muss sie erneut mit den Schlagzeilen in den Medien zurechtkommen, die an ihrer Kompetenz zweifeln je länger das "Wolfsmädchen" nicht spricht. 
Doch nicht nur das Mädchen scheint Schreckliches durchgemacht zu haben, auch die Erwachsenen haben mit ihren Dämonen zu kämpfen, sehnen sich nach Anerkennung und Liebe.  

Das Buch ist erstmalig unter dem Titel "Wohin das Herz uns trägt" erschienen und wurde bereits für das deutsche Fernsehen verfilmt.
Es ist eine berührende Geschichte über ein verstörtes und schwer traumatisiertes Mädchen, dem eine gesellschaftliches Leben fremd ist und für das zwei Frauen unermüdlich kämpfen, um es zurück in die Welt zu holen. Dabei wird nicht nur dem Mädchen geholfen auch die beiden Schwestern heilen ihre Verletzungen. Die Kinderpsychologin Dr. Julia Bates findet zu ihrer alten Stärke zurück und beginnt wieder an sich und ihr Talent zu glauben. Die einsame Ellie blüht in der Gesellschaft ihrer Schwester und des kleinen Mädchens spürbar auf, legt ihre Verdrossenheit ab und merkt, dass die Liebe gar nicht so weit weg ist. Auch Julia, die bisher wenig Glück mit Männern hatte, beginnt sich zu öffnen und zu vertrauen - genauso wie der Arzt Dr. Max Cerrasin, der verschlossen ein Geheimnis um sein Privatleben macht.

Liebe und Emotionen spielen in dem Roman eine zentrale Rolle. Die Geschichte ist empathisch geschrieben und die Figuren authentisch dargestellt, so dass es leicht fällt, sich in die Hauptcharaktere hineinzuversetzen und ihren Schmerz, aber auch ihre Hoffnungen und Glücksmomente nachzuempfinden. Durch wechselnde Perspektive erhält mein Einblicke in Ellie und Julia, aber vereinzelt auch in Max und das Mädchen.

Der Roman ist zu Beginn etwas schwerfällig, bevor die Entwicklung der Beziehungen eindrücklich dargestellt wird und das Buch im letzten Viertel im Kampf um das Mädchen, das vor allem Julia ans Herz gewachsen ist und die Frage, wie sie überhaupt in die Situation geraten ist, mehr Spannung entfaltet.
Es ist eine gefühlvolle Geschichte über gebrochene Herzen, die heilen, über Liebe und Zuneigung, über Geschwisterliebe und das Zusammenwachsen zu einer Familie, die nicht nur über die Gene definiert wird. Was Liebe und der Glaube an sich selbst bewirken können, wird anschaulich bewiesen. Etwas fragwürdig ist allerdings die Entwicklung von Arzt-Patienten-Verhältnis zu einer Mutter-Kind-Beziehung. 

Mittwoch, 8. November 2023

Buchrezension: Ellen Sandberg - Keine Reue

Inhalt:

Eigentlich könnte man Barbara Maienfeld beneiden. Sie lebt in einer schönen Stuttgarter Altbauwohnung, mit dem Mann, den sie seit Studententagen liebt. Niemand ahnt, dass ein Verrat ihrem Glück zugrunde liegt. Doch nun stehen die Maienfelds kurz davor, alles zu verlieren. Und der einzige Weg, der sie retten kann, stößt die Tür zu ihrer Vergangenheit auf – mit der sie längst abgeschlossen hatten. Damals, Ende der 80er Jahre, wohnten die Maienfelds mit ihren Kindern zurückgezogen in der Eifel. Scheinbar genossen sie dort die ländliche Idylle – doch tatsächlich versteckten sie sich vor dem Verfassungsschutz. Bis zu einem verhängnisvollen Tag.
Jetzt – Jahrzehnte später – erkennt Barbara, dass das Vergangene nie wirklich vorbei ist. Und schon bald balancieren die Maienfelds zum zweiten Mal in ihrem Leben am Rande eines Abgrunds. 

Rezension: 

Ben Maienfeld hat ein Verbrechen beobachtet, beherzt eingegriffen und sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt und sich damit den Zorn eines kriminellen Clans aufgeladen. Die für die Aufklärung des Mordfalls zuständige Kriminalkommissarin Charlotte Bodmer hat noch eine persönliche Rechnung mit dem mutmaßlichen Täter offen und verhält sich deshalb so unprofessionell, dass sie vom Dienst suspendiert wird. Um den Zeugen Ben zu schützen, nimmt sie sich selbst seinem Personenschutz an. 
Ben flüchtet von München in seine alte Heimat in die Eifel, ins "Landidyll", und setzt sich dort auch mit seiner Vergangenheit auseinander, einer Kindheit, die nicht immer rosig war. Als seine Eltern ihn um finanzielle Unterstützung bitten, um die Hypothek ihres Hauses bezahlen zu können, möchte er aus familiärer Verbundenheit spontan zusagen, erinnert sich jedoch daran, dass er und seine Geschwister von ihren Eltern nie eine Unterstützung erhalten hatten. Stets waren andere Dinge, wie der Widerstand gegen staatliche Strukturen und der Kampf für politische Gefangene wichtiger. 
Bens Eltern, Barbara und Gernot Maienfeld versuchen auf anderem Weg die Zwangsversteigerung ihres Hauses zu verhindern und nehmen Kontakt zu alten Bekannten auf, einem Pärchen, das seit Jahren im Untergrund lebt. 

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen und schildert die Ereignisse in der Gegenwart im November und Dezember 2019 sowie die Vergangenheit Ende der 1980er-Jahre, als die dritte Generation der RAF noch aktiv war. 
Anfangs überfordert die Vielzahl der Personen und die schnellen Perspektivwechsel, bis man im Geschehen angekommen ist und gebannt und entsetzt immer weiterlesen muss. 

Die Geschichte ist auf beiden Erzählebenen spannend geschildert. In der Gegenwart steht Ben im Vordergrund, der unfreiwillig auf der Flucht vor einem verbrecherischen Clan ist. Zudem reaktiveren seine Eltern Kontakte aus ihrer Vergangenheit in die linksextremistische Szene und sehen sich damit konfrontiert, erneut Beteiligte an einem Verbrechen zu werden, bis sie ihr Verrat der Vergangenheit wieder einholt. 
Die Rückblenden in die Vergangenheit offenbaren die familiären Abgründe der Maienfelds, die Vernachlässigung ihrer Kinder, die Ignoranz darüber und die Involvierung in einen Staatsterrorismus, der aus Eigenschutz gründen in einen Verrat mündete. Die allmähliche Offenbarung fesselt und erklärt die Verhaltensweisen der Charaktere in der Gegenwart. 

Ellen Sandberg hat wieder einen Spannungsroman geschrieben, der reale Ereignisse der Vergangenheit mit einer Familiengeschichte um fiktive Figuren vermischt. Die politischen Motive geben dem Roman Tiefe, die Aktivitäten der Personen und ihre Denkweisen wecken Emotionen, denn die Charaktere haben nicht nur Ecken und Kanten, sondern verhalten sich zum Teil unverantwortlich und egoistisch. Handlung und Charakterzeichnung sind gelungen und ein spannendes Lesevergnügen über Kriminalität und Gewalt, einen Kampf um Gerechtigkeit mit falschen Mitteln und eine tragische Geschichte über Ereignisse innerhalb einer Familie, die die Gegenwart auch nach über dreißig Jahren prägen. 

Montag, 6. November 2023

Buchrezension: Charlotte Link - Die letzte Spur

Inhalt:

Elaine Dawson ist vom Pech verfolgt. Als sie nach Gibraltar zur Hochzeit einer Freundin reisen will, werden sämtliche Flüge in Heathrow wegen Nebels gestrichen. Anstatt in der Abflughalle zu warten, nimmt sie das Angebot eines Fremden an, in seiner Wohnung zu übernachten – und wird von diesem Moment an nie wieder gesehen.
Fünf Jahre später rollt die Journalistin Rosanna Hamilton den Fall neu auf. Plötzlich gibt es Hinweise, dass Elaine noch lebt. Doch als Rosanna diesen Spuren folgt, ahnt sie nicht, dass sie selbst bald in Lebensgefahr schweben wird. 

Rezension: 

Elaine Dawson ist zur Hochzeit einer Freundin nach Gibraltar eingeladen, kommt jedoch aufgrund eines gestrichenen Fluges nie dort an. Ein Mann, dem sie auf dem Flughafen London-Heathrow in die Arme gelaufen war, nahm sich ihrer an und ließ sie bei sich übernachten. Angeblich brachte er sie am nächsten Morgen noch zur U-Bahn, doch Elaine blieb verschollen. Ein Verbrechen konnte Marc Reeve nicht nachgewiesen werden, die polizeilichen Ermittlungen wurden bald eingestellt. 
Fünf Jahre später soll Rosanna Hamilton eine Serie über Vermisstenfälle schreiben. Sie ist Journalistin und gleichzeitig die Freundin, zu deren Hochzeit Elaine nicht erschienen ist. Aus Schuldgefühlen und journalistischem Ehrgeiz und weil sie ihre Heimat London vermisst, reist sie nach England, wo sie auf Hinweise stößt, dass Elaine untergetaucht ist. Zusammen mit Marc Reeve begibt sie sich auf die Suche nach der alten Freundin, wodurch mehr Staub aufgewirbelt wird, als sie vermutet hätte - beruflich und privat. 

"Die letzte Spur" ist kein klassischer Kriminalroman, denn die Ermittlungen der Polizei spielen in diesem Cold Case keine wesentliche Rolle. Ausgangspunkt ist die Journalistin Rosanna Hamilton und ihre Recherchen fünf Jahre nach dem Verschwinden ihrer Bekannten, für das sie sich verantwortlich fühlt. Ob Elaine Opfer eines Verbrechens geworden ist oder freiwillig einen Ausstieg aus ihrem trostlosen Leben gewählt hat, um irgendwo neu anzufangen, ist unklar. Für beide Szenearien gibt es Theorien und Spekulationen. 

Der Roman ist aus der Sicht diverser Personen geschildert, die in kurzer Abfolge wechseln, was der Geschichte einerseits eine gewisse Dynamik verleiht, andererseits aber unnötig überladen wirkt und vom Kern der Geschichte ablenkt. Sie verliert sich dadurch in zahlreichen Nebenschauplätzen und Schilderungen, die nichts zur Aufklärung des Kriminalfalls beitragen. 
Persönliche Dramen, Ehekrisen und familiäre Konflikte werden retardierend erzählt, was ermüdend und langatmig ist, zumal auch ein Charakter ein einnehmendes, sympathisches Wesen hat. 

Dennoch ist die Geschichte wendungsreich und lange unvorhersehbar. Spannung setzt allerdings erst nach über 500 Seiten ein, als mehr Details zum Tag des Verschwindens von Elaine bekannt werden und die Gründe dafür sowie die verdächtigen Personen in schneller Abfolge wechseln und auch eine Gefahr für Rosanna, die durch ihre persönliche Involvierung blauäugig und nativ agiert, nicht ausgeschlossen werden kann. 
Die Lösung am Ende ist nicht abwegig, aber für die umfangreiche und sehr detailliert geschilderte Geschichte doch enttäuschend banal. 

Samstag, 4. November 2023

Buchrezension: Tommi Kinnunen - Wege, die sich kreuzen

Inhalt:

In einem Städtchen im Norden Finnlands, 1996. Lahja liegt auf dem Totenbett. Sie kann zurückblicken auf ein langes Leben, in dem sie ihre Leidenschaft zum Beruf machen konnte: das Fotografieren. Aber eines war ihr nicht vergönnt: körperliche Erfüllung. Ihr treu sorgender Ehemann Onni konnte ihr nicht geben, nach was sie sich sehnte – bis sie sich nach Jahren der unterdrückten Gefühle zu einer grausamen Tat hinreißen ließ. Erst nach ihrem Tod findet ihre Schwiegertochter Kaarina auf dem Dachboden einen Brief, der die entsetzliche Wahrheit ans Licht bringt. Er erzählt von einer Familientragödie, die schon fast hundert Jahre zuvor mit Lahjas Mutter Maria ihren Anfang genommen hat. 

Rezension:

Maria arbeitet Anfang des 20. Jahrhunderts als Hebamme in Finnland und ist eine selbstbewusste Frau, die sich bewusst für ein Leben als alleinerziehende Mutter entschieden hat. Ihre Tochter Lahja ist Fotografin und sehnt sich später nach Liebe und Geborgenheit in einer Partnerschaft, die ihr Ehemann Onni ihr nicht geben kann. Er kämpft mit seiner Krankheit und seinem schlechten Gewissen und möchte zumindest ihren drei Kindern ein guter Vater sein. Kaarina kommt mit der Gefühlskälte und rückständigen Art ihrer Schwiegermutter Lahja, die sie ihr Leben lang siezen wird, nicht zurecht. Das Leben unter einem Dach, das Onni mit eigener Kraft gebaut hat, ist von Konflikten geprägt. Erst nach dem Tod ihrer betagten Schwiegermutter kann Kaarina das Geheimnis der Familie ihres Ehemannes lüften und eine Erklärung für das Verhalten und die Sprachlosigkeit finden.

Tommi Kinnunen erzählt eine 100-jährigen Familiengeschichte, die spannender klingt, als sie tatsächlich ist.
Der Aufbau und die Schilderung aus verschiedenen Perspektiven der Generationen, wobei die Erzählung nicht stringent chronologisch erfolgt, sondern der/ die Leser/in immer wieder Jahre zurückversetzt, ist schon fast der interessanteste Aspekt der Geschichte. Details der Familiengeschichte, die aus einer Perspektive nur angedeutet werden, werden erst durch einen anderen Blickwinkel klarer und erzeugen ein facettenreicheres Bild über die Charaktere.
Das Familiengeheimnis wird dennoch zu früh gelüftet, weshalb die Geschichte an Spannung einbüßt und viele rein nebensächliche Episoden dagegen zu ausführlich beschrieben werden.

Die Familie lebt zusammen in einem Haus, das jedoch so groß ist, dass jeder seinen eigenen Raum beanspruchen kann und sich die Wege der Familienangehörigen kreuzen und mehr neben- statt miteinander leben. Eine offene Kommunikation ist unter diesen Umständen erschwert. Die Geschichte ist von Enttäuschungen und Unzufriedenheit geprägt, auch wenn durch kleine Gesten auch Hoffnung und Zeichen von Verantwortung durchschimmern, die über ein bloßes Verwandtschaftsverhältnis hinausgehen.

Freitag, 3. November 2023

Buchrezension: Mikki Brammer - Dieses schöne Leben

Inhalt:

Umgeben von Büchern, vielfältigem Wissen und geliebten Ritualen verbringt Clover eine ungewöhnliche, aber liebevolle Kindheit bei ihrem Großvater, einem Professor, in New York. Als er unerwartet stirbt, während sie verreist ist, beschließt Clover, Sterbebegleiterin zu werden. Denn niemand soll allein, ohne Trost, aus dem Leben scheiden müssen. Mit ihrer ruhigen, mitfühlenden Art ist Clover die Beste auf ihrem Gebiet, doch das Leben droht sie zwischen ihrem Beruf und einsamen Abenden mit romantischen Filmen zu verpassen.
Das ändert sich schlagartig, als die quirlige Sylvie nebenan einzieht, die von den Aufgaben einer Sterbebegleiterin fasziniert ist statt wie die meisten anderen Menschen abgeschreckt von dem Kontakt mit Trauer. Dann bekommt Clover mit der resoluten alten Dame Claudia eine neue Klientin, die sie auf die Suche nach ihrer verlorenen großen Liebe schickt – eine Suche, die Clover ihrem eigenen Seelenverwandten näher bringen wird, als sie ahnt. 

Rezension: 

Clover kam schon als junges Mädchen mit dem Tod in Berührung. Im Alter von sechs Jahren sterben ihre Eltern bei einem Unfall, weshalb sie sodann bei ihrem Großvater in New York aufgewachsen ist. Zu ihm hatte sie als einzigen Angehörigen ein inniges Verhältnis. Dieser stirbt allein, als Clover auf Reisen ist, was sie so bedrückend empfindet, dass sie sich entscheidet, Sterbe-Doula zu werden. In New York gibt es so viele Menschen, die einsam sind und nicht auch noch allein und ohne Trost sterben sollen. 
Selbst ist Clover aufgrund ihrer zurückhaltenden Art einsam. Sie vermeidet Kontakte zu anderen Menschen aus Angst für ihren Beruf verurteilt zu werden, schließlich möchte niemand gerne mit dem Tod konfrontiert werden. Ihr Leben ändert sich, als sie Sebastian bei einem Treffen des Death Café kennenlernt und er sie zur Betreuung seiner sterbenden Großmutter engagiert. 

Clover ist mit 36 Jahren so sehr mit dem Tod vertraut, dass sie das Leben aus den Augen verloren hat. Sie selbst bemerkt dies erst, als sie Kontakt zu ihrer neuen Nachbarin Sylvie, zu Sebastian aus dem Death Café und zu ihrer Klientin Claudia schließt, der über ihren Beruf hinausgeht. Auch wenn Clover schon immer eine Einzelgängerin war und ihr bewusst ist, dass sie anders ist, beginnt sie ihr Leben zu hinterfragen, dass ihr wie eine leere Hülle vorkommt.
Clover ist ein vielschichtiger und authentischer Charakter, deren Lebensweg nachvollziehbar erzählt ist. Über Rückblenden und Erinnerungen erfährt man mehr über ihre Vergangenheit und was sie geprägt hat.
Die Mischung aus Vergangenheit, Gegenwart und eine vertiefte Befassung mit der Lebensgeschichte der älteren Dame Claudia macht die Geschichte abwechslungsreich und gibt ihr eine interessante Wendung.

Der Tod, das Sterben, Verlust, Bedauern und Reue sind zentrale Themen des Romans, der aber dennoch nicht deprimierend, sondern erwartungs- und hoffnungsvoll ist. In Clovers Leben beginnt sich etwas zu bewegen, das sie zugänglicher macht und das ihr die Chance gibt, Freundschaft und Liebe zu erfahren. Sie stellt sich selbst und ihre Bedürfnisse mehr in den Mittelpunkt statt sich zurückzuziehen und ausschließlich um die Geständnisse und Reue ihrer Klienten zu kümmern.

Es ist eine feinfühlig erzählte Geschichte, die zeigt, wie einfach es ist, in Gewohnheiten zu verharren, wie schwierig es ist, die eigene Komfortzone zu verlassen und dass es Impulse von außen und Mut braucht, um Fehler einzugestehen und Dinge zu ändern.
"Ein schönes Leben" zeigt auf lebendige und warmherzige Art und Weise, dass der Tod zum Leben gehört, dass es man jedoch nutzen und nicht einfach nur existieren sollte, um am Ende nicht über verpasste Chancen zu verzweifeln und den Blick für die Dinge verliert, die das Leben erst lebenswert machen.

Mittwoch, 1. November 2023

Buchrezension: Alison Espach - Und plötzlich warst du fort

Inhalt:

Sally hat ihre große Schwester schon immer bewundert. Kathy scheint alles zu wissen, über die Liebe und das Leben und über ihren Freund Billy, von dem auch Sally heimlich fasziniert ist. Als Kathy durch einen Autounfall viel zu früh aus dem Leben gerissen wird, bricht Sallys Welt zusammen. Sie muss lernen, ohne Kathy zu sein. Und sie muss akzeptieren, dass sie selbst älter wird, weiterlebt und weiterliebt. Ausgerechnet Kathys Exfreund Billy ist derjenige, der Sallys Verlust am besten verstehen kann. Er füllt die Lücke in Sallys Innerem, und doch scheint es ausgeschlossen, dass er mehr für sie sein könnte als ein guter Freund – immerhin ist er Kathys Ex, dem alle die Schuld an ihrem Tod geben. Über Jahre kreuzen sich Sallys und Billys Wege immer wieder, fast, als dürften sie einander nicht verlieren. 

Rezension: 

Als Sally dreizehn Jahre alt ist, stirbt ihre größere Schwester Kathy bei einem Autounfall. Für die Familie ist es schwer über den Verlust hinweg zu kommen und insbesondere Sally vermisst ihre ältere Schwester, die für sie Freundin und Ratgeberin war, sehr. Beide haben sie für den angehenden Basketball Billy Barnes geschwärmt, mit dem Kathy bis zu ihrem Tod zusammen war. Er ist es, mit dem Sally nachts heimlich telefoniert und dem sie alles anvertrauen kann. Er könnte die Lücke füllen, die Kathy hinterlassen hat, aber er war Kathys Freund und Fahrer des Unfallwagens, so dass er eigentlich Tabu sein sollte. 

"Und plötzlich warst du fort" handelt im Zeitraum von 15 Jahren - von 1998 bis 2013 - und wird aus der Sicht von Sally erzählt, die dabei direkt zu ihrer Schwester spricht. Der erste Teil schildert die enge Beziehung der beiden Schwestern und das amüsante Familienleben, bis es mit Kathys Tod zu einem Bruch kommt. Sally muss fortan allein erwachsen werden und findet in Billy einen Bezugspunkt. Sally, Billy und ihre Eltern haben einen Verlust zu verarbeiten und tun dies auf unterschiedliche Art und Weise. Während die Mutter an paranormale Erscheinungen glaubt, Kathy schon mal als Geist wahrnimmt und ihren Schmerz mit Alkohol und Tabletten, bündelt der Vater seine Wut und sieht in Billy den Schuldigen. Billy hingegen bestraft übt sich in Selbstzerstörung und Selbstkasteiung. Sally stürzt sich in wechselnde Liebschaften. 
Alle Arten der Trauer und des Umgangs mit dem Verlust eines geliebten Menschen sind nachvollziehbar und berührend geschildert. Die Geschichte wird durch die humorvollen Szenen und so manches eigenartiges Verhalten der Figuren jedoch nie deprimierend, sondern abwechslungsreich und unterhaltsam. 

Es ist einerseits eine eine Geschichte über das Erwachsenwerden und andererseits eine Liebesgeschichte, die nicht sein darf und sich deshalb nur zögerlich entwickelt. Es spürbar, wie Sally und Billy sich zueinander hingezogen fühlen, aber Kathy und die Schuld Billys zwischen ihnen steht. Auch das immer schwieriger werdende Verhältnis Sallys zu ihren Eltern, insbesondere zu ihrer überfürsorglichen und hysterischen Mutter, das letztlich in ein distanziertes Auskommen mündet, ist eindringlich dargestellt. 

Die Mischung aus ironischer Coming-of-Age-Geschichte und sehnsuchtsvoller Romanze ist gut ausbalanciert und auch der Zeitgeist der späten 1990er- und frühen 2000er-Jahre wird durch Alltagsszenen, Wetterkapriolen oder Tagespolitik anschaulich eingefangen. 
Anhand des Klappentextes hatte ich mir zwar eine erwachsenere Geschichte erwartet, aber die junge Sally und die Emotionen aller Figuren in Form von Liebe, Schuld, Vergebung konnten mich für sich einnehmen. Auch wirkten die Charaktere mit ihren Eigenarten und Fehlern individuell gezeichnet und authentisch.