Montag, 30. Januar 2023

Buchrezension: Lea Adam - Stigma (Milosevic und Frey ermitteln, Band 1)

Inhalt:

In einem Park im Hamburger Norden wird eine Männerleiche gefunden, eine mit Kabelbinder fixierte Tüte über dem Kopf, die Augenhöhlen leer. Warum wurde der Tote nach seiner Ermordung verstümmelt? Mordermittlerin Jagoda »Milo« Milosevic und ihr Kollege Vincent Frey glauben zunächst an organisierte Kriminalität. Allerdings laufen alle Spuren ins Leere: Der Tote scheint ein völlig unbescholtener Bürger zu sein. Erst als eine Kollegin des Opfers von einem sexuellen Übergriff bei einer Weihnachtsfeier berichtet, ändert sich das Bild. Und als ein zweiter Toter gefunden wird, dieser ein verurteilter Sexualstraftäter, müssen Milo und Vince sich die Frage stellen: Macht jemand Jagd auf Männer, die in der Vergangenheit Frauen Gewalt angetan haben? Das Morden geht weiter, und auch Milo fühlt sich zunehmend beobachtet. Erkennt sie das Böse, wenn es vor ihr steht? 

Rezension:

Als in Hamburg eine grauenhaft zugerichtete Männerleiche gefunden wird, nehmen Jagoda Milosevic und ihr Partner Vincent Frey vom LKA die Ermittlungen auf. Eine Woche später wird ein weiterer Toter aufgefunden, der vermutlich vom selben Täter hingerichtet wurde. Die Ermittlungen ergeben, dass es sich bei beiden Opfern um Sexualstraftäter handelt und führen zu einer Selbsthilfegruppe für Frauen, denen sexualisierte Gewalt angetan wurde. Wurden die ehemaligen Opfer zu Tätern? Handelt es sich um einen Rachefeldzug?

"Stigma" ist als Thriller gekennzeichnet und auch wenn die Morde grauenvoll inszeniert werden und auch Milo bedroht wird und ins Visier des Täters zu geraten scheint, ist es eher ein Kriminalroman, denn im Mittelpunkt stehen die Ermittlungen und die Aufklärungen des Falls eines mutmaßlichen Serienmörders.
Trotz des recht offensichtlichen Motivs ist der Fall spannend, denn in Frage kommen gleich mehrere Täter - männlich wie weiblich.

Milo, die ihr Privatleben vor ihren Kollegen verschleiert und sich bei der Arbeit streng an die Vorschriften hält, und Vince, der aufgeschlossener und zugänglicher wirkt, sind ein originelles Team, das sich perfekt ergänzt und Potential für eine Krimireihe hat.

Die Fallaufklärung ist schlüssig, Täter und Motiv nachvollziehbar und authentisch. Der Roman bezieht ein brisantes und aktuelles Thema ein, das an #metoo-Debatten erinnert, aber nicht nur übergriffige Männer, sondern auch lückenhafte Strafverfolgung, unzureichende Bestrafung und die Angst vor Anzeigen anprangert.

Auch wenn ich mir von einem Thriller mehr Nervenkitzel versprochen hatte und überraschende Wendungen bei der Aufklärung des Falls ausblieben, ist der Plot, in dem Täter zu Opfern und Opfer zu Tätern werden, und in dem der Wunsch nach Sühne und Gerechtigkeit nachvollziehbar entwickelt wird, schlüssig konstruiert. D
as neue Ermittlerteam macht Lust auf ein Wiedersehen in Hamburg.

Samstag, 28. Januar 2023

Buchrezension: Jonathan Evison - Alles über Lulu

Inhalt:

Fleisch und Bodybuilding – das sind die beiden Leidenschaften, denen Big Bill und die beiden Zwillingsbrüder Doug und Ross frönen. Will, kurzsichtig und Vegetarier, hat es schwer in dieser Familie, in der zu Thanksgiving gleich mehrere Truthähne im Ofen schmoren. Als Lulu mit ihrer Mutter in die Familie zieht, fängt Will sofort Feuer: Obwohl er erst neun Jahre alt ist, weiß er, dass Lulu und er zusammengehören. Inniges Vertrauen und gemeinsame Interessen machen die beiden Heranwachsenden unzertrennlich. Doch als Lulu nach den Sommerferien in einem Cheerleading-Camp wieder nach Hause kommt, will sie nichts mehr von Will wissen. Doch der lässt nicht locker. 

Rezension: 

Als Will sieben Jahre alt ist, stirbt seine Mutter an Krebs. Sein Vater stürzt sich danach noch intensiver in sein Training als Bodybuilder und auch seine drei Jahre jüngeren Zwillingsbrüder gehen schon früh ins Fitnessstudio und eifern dem Vater nach. Will dagegen hört auf zu wachsen und verliert seine Stimme. Das ändert sich erst wieder, als Wills Vater "Big Bill" eine neue Frau kennenlernt, die zusammen mit ihrer Tochter Lulu bei den Millers einzieht. Durch die quirlige Lulu blüht Will auf und schafft es, sich von seinen unterbelichteten Brüdern abzugrenzen. Als Lulu nach den Ferien in einem Cheerleadingcamp völlig verändert nach Hause zurückkehrt, zieht sie sich zurück und möchte auch von Will nichts mehr wissen. Dieser versteht die Welt nicht mehr. Er hat gleichzeitig seine Stiefschwester, beste Freundin und große Liebe verloren. 
Auch als Lulu zum Studium auszieht, kann Will sie nicht loslassen. All die Jahre hängt er weiter an ihr und versucht auch nur bei kleinsten Annäherungsversuchen ihrerseits, sie wieder an sich zu binden. 

"Alles über Lulu" ist ein Coming-of-Age-Roman über einen Jungen, der sich unsterblich verliebt und dessen gesamter Lebensinhalt seine Stiefschwester wird. Er ist regelrecht besessen von ihr, hat keine Blicke für andere Mädchen oder Frauen übrig und geht ziellos durchs Leben. 
Gerade zu Beginn ist der Roman melancholisch-anrührend, aber auch frivol-witzig und unterhaltsam geschrieben. Nach Lulus Rückkehr aus dem Camp versteift sich die Hauptfigur Will jedoch so sehr auf diese für ihn unerreichbare Liebe, dass er wie betäubt ist. Er führt ein Leben mit angezogener Handbremse, hat einen Aushilfsjob in einem Burgerladen und kein klares Ziel vor Augen. Auch als es beruflich für Will als Radiomoderator oder Selbstständiger voran geht, ist es nicht sein eigener Erfolg, sondern auf Zufällen beruhend oder dass anderen ihn mitziehen. 
Der Roman enthält zwar stellenweise ganz amüsante Episoden, in Wills Leben passiert jedoch lange Zeit relativ wenig. Das Geheimnis, das Lulu belastet, bleibt durchgehend unausgesprochen, wobei zu erahnen ist, was ihr passiert ist. Ein klärendes Gespräch innerhalb der Familie oder zwischen Lulu und Will findet nicht statt. Wills philosophische Anwandlungen empfand ich als langweilig und überflüssig, denn sie brachten ihm auch keine Erkenntnisse in Bezug auf Lulu. Während Lulus fast schon aggressives Verhalten nervte, störte mich vor allem auch Wills Passivität und dass er keine Versuche unternommen hat, ihr zu helfen, sondern sie stattdessen sexuell bedrängte. 

"Alles über Lulu" dümpelte zu sehr auf der Stelle, zog sich deshalb sehr für mich in die Länge und enttäuschte mit einer schwachen Hauptfigur, die einer Obsession nachhing, aber nicht dafür kämpfte. Am Ende fand ich sogar den Titel irritierend, denn über Lulu erfährt man doch recht wenig. 

Freitag, 27. Januar 2023

Buchrezension: Lydia Schmölzl - Was nicht war, kann ja noch werden

Inhalt:

Als ihre beste Freundin ihr erzählt, dass sie schwanger ist, wird die fast 30-jährige Freya mit Überschallgeschwindigkeit in eine Krise katapultiert. Sie ist sich sicher: Jetzt ist es mit der Jugend offiziell vorbei. Statt mit Langzeitfreund Thorsten die nächsten Schritte zu gehen, fordert sie eine Beziehungspause, kündigt ihren Job und flieht zurück in das Zuhause ihrer Kindheit. Als sie dort ihrer Jugendliebe Chris – und auch ihren alten Gefühlen für ihn – über den Weg läuft, weiß Freya, was sie will: Mit Chris für immer jung sein! Gemeinsam organisieren sie eine Party für ihre alten Mitschüler, auf der alle nochmal sein dürfen wie mit 18. Doch dann macht ausgerechnet Chris ihr klar, dass sie ihre Geschichte verklärt hat. Warum hat sie nicht mitbekommen, wie unglücklich er war? Und wie soll sie in der Gegenwart ankommen, wenn sie nicht einmal die Vergangenheit versteht? 

Rezension: 

Freya Talia Thun ist 30 Jahre alt, stammt aus einer Kleinstadt im Münsterland und lebt seit ihrem Studium in Hamburg, wo sie auch ihren Verlobten Thorsten kennengelernt hat. Als die lang ersehnte Beförderung an eine jüngere Frau vergeben wird, ihre beste Freundin ihr eröffnet, dass sie schwanger ist und Thorsten immer mehr Druck auf sie ausübt, sesshaft zu werden, wird Freya alles zu viel und flieht zurück in ihr Elternhaus. Dort wird sie zunächst verhalten aufgenommen, denn sie hatte sich all die Jahre nur sporadisch gemeldet und auch jeden Kontakt zu ihren Freunden aus der Schulzeit verloren. Als ihre Eltern Freya mitteilen, dass sie den Bauernhof verkaufen möchten, wo Freya aufgewachsen ist, ist es ein weiterer Schockmoment für Freya, für die sich am liebsten nichts ändern soll. Zu Hause angekommen, schwelgt sie in Erinnerungen an ihre Teenagerzeit und trifft ihre Jugendliebe Chris wieder, der nach seiner Scheidung ebenfalls nach Werne zurückgekehrt ist. Trotz ihrer Verlobung mit Thorsten fühlt sich Freya zu Chris hingezogen. Zusammen mit ihm möchte sie ein letztes Mal eine Party in der Scheune ihrer Eltern feiern und ihre ehemaligen Mitschüler und alten Freunde dazu einladen. Freya flüchtet sich in das Gefühl von Nostalgie und verklärte Erinnerungen und blendet dabei aus, dass auch in ihrer Jugend nicht alles perfekt war und warum sie damals Werne so fluchtartig verlassen hatte. 

Die Geschichte wird überwiegend aus der Perspektive von Freya in der Gegenwart erzählt. Daneben gibt es Rückblenden in die Vergangenheit vor zwölf bzw. elf Jahren, als Freya und ihre Freunde vor dem Abitur standen und sich ihre Wege für Studium und Beruf trennten und einzelne Abschnitte aus der Sicht von Chris. 

Der Roman ist kurzweilig und unterhaltsam. Durch die Ich-Perspektive fällt es leicht sich in Freya hineinzuversetzen, die sich einfach noch nicht wie 30 fühlt und sich dementsprechend verhält. Sie möchte sich nicht wirklich mit ihrer Zukunft beschäftigen und schon gar nicht über Hausbau und die Gründung einer Familie nachdenken. Sie fühlt sich dafür zu jung und ist überfordert damit, dass alle anderen selbstverständlich erwachsen geworden sind und an ihr vorbeiziehen. Auch wenn man ihr unreifes Verhalten und ihre Ich-Bezogenheit nicht unbedingt gutheißen kann, ist es zumindest nachvollziehbar dargestellt. 
Die Schilderungen sind lebhaft und Freyas Gedanken sowie die Dialoge erfrischend witzig. Die Handlung über den Wunsch, die Zeit stehenbleiben zu lassen, ist authentisch. Wer hat nicht schon einmal davon geträumt, für immer jung zu sein und ein Gefühl von damals, von Jugend, Unbeschwertheit und einer offenen Zukunft zu bewahren? Dabei zeigt der Roman, dass Veränderungen die Konsequenz des Lebens und letztlich unaufhaltbar sind und dass es Mut braucht, sich der Vergangenheit zu stellen, um bereit für die Zukunft zu sein. 

Die Geschichte ist in ihren Grundzügen vorhersehbar, was ich bei humorvollen Liebesgeschichten jedoch verzeihlich finde. Zudem hat der Roman einen Plottwist, der der Geschichte neben allen bereits geschilderten Problemen, Spannung verleiht und Tiefe gibt. Auch erhält man durch die Offenbarung eines Geheimnisses aus der Vergangenheit, das Freya offenbar erfolgreich verdrängt hatte, eine Erklärung, die mehr Verständnis für die rastlose Protagonistin erzeugt. 
"Was nicht war, kann ja noch werden" ist ein Roman über Freundschaft und Liebe, über Angst vor Veränderungen, Neuanfänge und das Erwachsenwerden, aber auch über Trauer, Schuld und Versöhnung. Es ist eine Geschichte, die aus dem Leben gegriffen ist und dabei unterhaltsam und lebendig geschildert ist. 

Mittwoch, 25. Januar 2023

Buchrezension: Anna Schneider - Grenzfall: In der Stille des Waldes (Jahn und Krammer ermitteln, Band 3)

Inhalt:

Ratlos begutachtet Chefinspektor Bernhard Krammer den Fund auf einer Baustelle am Ortsrand von Gnadenwald in Tirol. Zwei präparierte Dachse, in deren Inneren Babykleidung versteckt wurde. Weshalb? Und wer hat die ausgestopften Tiere vergraben? 
Zur gleichen Zeit erholt sich Oberkommissarin Alexa Jahn in Lenggries von einer Schussverletzung. Bis ein ehemaliger Kollege aus Aschaffenburg mit schlechten Nachrichten vor der Tür steht: In einem alten Fall wurde der Falsche verhaftet. Alexa macht sich Vorwürfe – hat sie damals bei den Ermittlungen etwas übersehen? 
Während sie den Fall neu aufrollt, kommt Krammer einer Tragödie auf die Spur, deren wahres Ausmaß zunächst niemand ahnt. 

Rezension: 

In Gnadenwald in Tirol werden bei Bauarbeiten zwei präparierte Dachse mit Babykleidung gefunden. Bernhard Krammer vom LKA Tirol steht vor einem Rätsel, da kein Baby vermisst gemeldet wurde. Stattdessen wird ein Mann vermisst, der für das Museum Tiere präparierte. Er soll mit seinem Sohn bei einem Wanderunfall ums Leben gekommen sein. Beim Versuch der Befragung der trauernden Ehefrau wird festgestellt, dass auch sie seit Längerem nicht mehr gesehen wurde. Bei einer Hausdurchsuchung werden Blut und eine Reihe merkwürdiger Spuren gefunden.
Zeitgleich erholt sich Oberkommissarin Alexa Jahn von ihrer Schussverletzung in ihrer neuen Wohnung in Lenggries. Sie würde am liebsten schon wieder arbeiten, aber ihr Vorgesetzter legt ihr nahe, auch aus psychischen Gründen auszusetzen. Ein Kollege aus ihrer ehemaligen Dienststelle in Aschaffenburg besucht sie und teilt ihr mit, dass in einem Fall, den sie gemeinsam bearbeitet haben, vermutlich die falsche Person verhaftet wurde. Durch einen Zeuge wurde ein anderer mutmaßlicher Täter im den Vordergrund gerückt, der sich in den Bergen aufhalten soll. Zusammen machen sie sich auf den Weg, um seinen Spuren zu folgen.

"In der Stille des Waldes" ist der dritte Band der "Grenzfall"-Reihe. Im Gegensatz zu den ersten beiden Bänden handelt es sich dieses Mal nicht um einen typischen Grenzfall, denn es geht um zwei verschiedene Fälle in Bayern und Tirol.
Krammer und Jahn ermitteln deshalb unabhängig von einander, was ich etwas schade fand. Die Kapitel über die zwei unterschiedlichen Fälle wechseln sich ab, so dass es auch möglich ist, jedes zweite Kapitel für sich zu lesen.

Beide Kriminalfälle - egal ob der neu aufgerollte Fall in Deutschland oder der mysteriöse Fall in Österreich um die vermisste Familie - sind spannend und temporeich erzählt. Die Perspektiven wechseln schnell, die Kapitel enden oft mit Mini-Cliffhangern, die zum Weiterlesen animieren. In dem Fall in Bayern ist der Täter bekannt, weshalb nicht die Ermittlungen als solche interessant sind, sondern die Suche in den bayerischen Bergen. Der Fall in Tirol ist dagegen wesentlich komplexer und offenbart eine tragische Familiengeschichte.

Der Erzählstil ist gerade während der Wanderung durch die Berge bildhaft und auch die Hauptfiguren bleiben durch ihr nicht ganz einfaches Privatleben, das jedoch stets im Hintergrund bleibt und Stoff für folgende Reihen bietet, interessant und facettenreich.
Beide Kriminalfälle handeln von Schuld und Sühne, die im Fall in Bayern durch die Suche nach dem wahren Täter wieder ausgeglichen werden können, während in Österreich bereits jede mögliche Hilfe zu spät kommt.

Teil 1 und 2 haben mir durch das Zusammenspiel der bayerischen Polizei mit den Kollegen in Tirol besser gefallen. Die Fälle waren raffinierter und weniger vorhersehbar. Dennoch freue ich mich mit "In den Tiefen der Schuld" auf Band 4 der Reihe und hoffe, dass das Duo Krammer / Jahn wieder gemeinsam in Erscheinung treten. 

Montag, 23. Januar 2023

Buchrezension: Anne Eekhout - Mary

Inhalt:

Im Jahre 1816 hat Mary Shelley, gerade einmal achtzehn Jahre alt, die Geschichte von Frankensteins Monster erschaffen, eine der außergewöhnlichsten, einflussreichsten und faszinierendsten Horrorgeschichten der Weltliteratur. 
Es ist der Sommer, den Mary mit ihrem Geliebten Percy Shelley, ihrem neugeborenen Sohn William und ihrer Stiefschwester Claire bei Lord Byron und John Polidori am Genfer See verbringt. Draußen toben Gewitter, nachts sitzen die Freunde am Feuer, trinken mit Laudanum versetzten Wein und lesen sich Gespenstergeschichten vor. Als Lord Byron eines Abends vorschlägt, jeder solle selbst eine Gruselgeschichte schreiben, erinnert sich Mary an einen Sommer in Schottland, als sie und ihre Freundin Isabella den mysteriösen Mr. Booth kennenlernten, einen wesentlich älteren Mann voller Charme und düsteren Geheimnissen. 

Rezension:

Den Sommer 1816 verbringt Mary Godwin zusammen mit ihrem Geliebten Percy Shelley bei Freunden am Genfer See. Ihr gemeinsamer Sohn ist wenige Monate alt und Mary kümmert sich liebevoll um ihn, trauert jedoch gleichzeitig um ihre Tochter, die im Kindbett gestorben ist.
Abends sitzen die Freunde bei mit Laudanum versetzten Wein zusammen und erzählen sich Geschichten. 
Im Sommer und Herbst 1812 war Mary aus gesundheitlichen Gründen auf dem Land in Schottland bei einem Freund ihres Vaters untergebracht. Dort verliebt sie sich in dessen Tochter, mit der sie zusammen ein Monster entdeckt. Bald sind sich beide unsicher, was in diesem Sommer real ist und was ihren Fantasien entspringt.

"Mary" ist eine Romanbiografie über die 1797 geborene Mary Shelley. Die Geschichte bietet einen Einblick in zwei sie prägende Abschnitte in ihrem Leben, die Sommer 1812 und 1816, aus denen "Frankenstein" resultierte.
Beide Handlungsstränge sind düsterer Natur, geprägt von Eifersucht, Tod, Trauer und Gruselgeschichten. Dabei verschwimmen Realität und Fiktion, weshalb die geschilderten Erlebnisse nur schwer einzuordnen sind.
Während die Zeit am Genfer See aus Erzählersicht wiedergegeben wird, wird die Vergangenheit in Schottland, die den Schwerpunkt des Romans bildet, aus der Ich-Perspektive von Mary erzählt. Dennoch fällt es schwer eine Verbindung zu ihr aufzubauen, weshalb die Teenagergeschichte mit der Entdeckung der Sexualität und den Träumen, Einbildungen oder Wahnvorstellungen über Monster, Hexen und nicht näher fassbare Ängste, nicht fesseln kann, sondern in ihrer Monotonie langweilt. 
Das Schreiben ihres Romans, der sie berühmt machen sollte, wird zur Nebensache, was angesichts der Erwartungen an eine Romanbiografie nicht nachvollziehbar ist.

Letztlich bietet insbesondere die Zeit bei den Baxters in Schottland eine Erklärung für Mary Shelleys Inspiration zu "Frankenstein", die Geschichte wird im Vergleich zu diesem Schauerroman allerdings unaufgeregt erzählt, kann nur mit einem Hauch Mystik, Düsternis und der Ungewissheit über Illusion und Wirklichkeit für ein wenig Spannung sorgen.

Samstag, 21. Januar 2023

Buchrezension: Max Seeck - Feindesopfer

Inhalt:

Zetterborg, ein erfolgreicher Geschäftsmann, wird in seinem Haus in Helsinki tot aufgefunden. Er hatte zuvor harte Maßnahmen und Entlassungen angekündigt und sich so unzählige Feinde gemacht. Das Mordmotiv scheint klar, als Jusuf die Ermittlungen übernimmt. Der findet jedoch heraus, dass Zetterborg noch ganz andere Feinde hatte. Auf einem Foto, das man in seinem Haus findet, sind neben dem Ermordeten zwei Männer zu sehen, deren Gesichter vom Täter ausgekratzt wurden. Wer sind diese zwei Männer? Sind sie weitere Opfer? Jusufs Kollegin Jessica Niemi, noch geschwächt von ihrem psychischen Zusammenbruch, wird durch dieses Foto gezwungen, sich erneut den Dämonen der Vergangenheit zu stellen. 

Rezension:

Der Firmeninhaber Eliel Zetterborg wird erstochen in seiner Wohnung in Helsinki aufgefunden, nachdem er zuvor Einsparungsmaßnahmen und Entlassungen von Mitarbeitern angekündigt hatte. Ein Mord aus Vergeltung erscheint offensichtlich und die Anzahl mutmaßlicher Täter unüberschaubar. Jusuf Pepple wird erstmals zum Hauptermittler im Dezernat für Schwerverbrechen ernannt, da seine erfahrene Kollegin Jessica Niemi sich nach ihrem letzten Fall eine Auszeit genommen hat.
Bei der Spurensicherung in Zetterborgs akribisch aufgeräumter Wohnung wird ein ungelöstes Puzzle mit Tausenden von Teilen und ein verstecktes Foto gefunden, auf dem Zetterborg in jüngeren Jahren mit weiteren Männern abgebildet ist, deren Gesichter unkenntlich gemacht worden sind. Unklar ist, ob der Täter damit weitere Morde ankündigt oder ob das Foto auf ein anderes Motiv hindeutet. Jusuf sucht sich Unterstützung bei Jessica, doch diese hat mit ihren eigenen Dämonen der Vergangenheit zu kämpfen.

"Feindesopfer" ist nach "
Hexenjäger" und "Teufelsnetz" Band 3 der Reihe um die Kriminalhauptkommissarin Jessica Niemi, die durch Flashbacks und Erinnerungen aus ihrer Vergangenheit psychisch belastet ist. In diesem Band stellt möchte sich ihrer Vergangenheit stellen und hat deshalb bei der Aufklärung des Kriminalfalls nur eine untergeordnete Rolle, während Jusuf, der aus den letzten Bänden als ihr Partner bekannt ist, die Leitung der Ermittlungen übernimmt.

"Feindesopfer" wird in kurzen Kapiteln erzählt, die sehr dynamisch sind, da der Fall innerhalb von 24 Stunden mit der Verhaftung von zwei Tatverdächtigen als gelöst gilt. Daneben gibt es Rückblenden in den Winter 1990, die der/ dem Leser*in einen Wissensvorsprung geben, wodurch die Handlung jedoch nichts an ihrer Spannung einbüßt.
Dazu trägt auch der zweite Handlungsstrang um Jessica Niemi bei, die sich mit einem alten Fall konfrontiert sieht. Darüber hinaus sorgt ihre Vergangenheit mit ihren toten Angehörigen weiterhin für Rätselraten, seit Band 1 immer wieder angedeutet wurde. Auch wenn es zur Lösung des Kriminalfalls nicht nötig ist die beiden Vorgängerbände zu kennen, bieten sie doch wichtiges Hintergrundwissen, um Jessicas Tun besser einordnen zu können.

Der Kriminalfall ist durch Wendungen und Rückblenden in die Vergangenheit abwechslungsreich, die Ermittlungen wie die handelnden Personen authentisch. Insbesondere in Jusuf, der zum ersten Mal Verantwortung übernehmen muss und immer wieder mit dem Druck der Verantwortung zu kämpfen, wirkt nahbar und seine Gefühle nachvollziehbar.
Band 3 ist ist aufgrund des leichter durchschaubaren Plots greifbarer und auch bodenständiger als Band 1 und 2, jedoch auch unaufgeregter und weniger ein Thriller.

Dennoch ist die Aufklärung des Falls aufgrund mehrerer Verdächtiger, Motive und unvorhersehbarer Ereignisse spannend bis zur endgültigen Sicherheit über die Identität des Täters. Da Jessica immer noch ein Mysterium bleibt, freue ich mich, dass die Reihe, die als Trilogie angelegt war, fortgesetzt wird und darin hoffentlich Jessica und ihr genialer Instinkt wieder eine größere Rolle spielen werden. 

Freitag, 20. Januar 2023

Buchrezension: Elena Ferrante - Das lügenhafte Leben der Erwachsenen

Inhalt:

Giovannas hübsches Gesicht verändert sich. Es wird hässlich. Zumindest meint das Giovannas Vater. Er sagt, sie werde ihrer Tante immer ähnlicher, seiner verhassten Schwester Vittoria, die er immer von Giovanna fernhalten wollte. Giovanna ist am Boden zerstört – aber fühlt sich von dieser Tante plötzlich magisch angezogen. Und sie macht sich auf eine Suche, die ihrer aller Leben erschüttern wird. 

Rezension:

Giovanna ist 13 Jahre alt, als sie ein Gespräch ihrer Eltern mithört, in dem sie sagen, dass ihre Tochter wie die Schwester des Vaters wird. Tante Vittoria gilt als bösartig und hässlich, weshalb der Vater zu ihr und dem Rest der Familie den Kontakt abgebrochen hat. Giovanna, die stets eine artige und gute Schülerin war und sich der Liebe ihres Vaters sicher war, ist zutiefst verunsichert. Sie hat Angst davor, hässlich zu werden, auch wenn ihre Freundinnen ihr versichern, dass sie sympathisch und hübsch ist. Giovanna hat noch nicht einmal ein Foto von ihrer Tante gesehen und wird neugierig. Ihr Vater willigt in ein Treffen ein und so lernt sie die verhasste Frau kennen, die aufbrausend, gehässig und vulgär ist. Giovanna fühlt sich einerseits von ihr abgestoßen und verängstigt, andererseits bewundert sie Vittoria. 
Bald bereut sie es jedoch, den Kontakt zu ihrer Tante gesucht zu haben. Giovanna verliert jegliche Orientierung und ihre Familie bricht auseinander. 

"Das lügenhafte Leben der Erwachsenen" ist ein Coming-of-Age-Roman, der aus der Sicht der 13-jährigen Giovanna geschrieben ist. Sie steckt mitten in der Pubertät, ist verunsichert ihres Körpers, aber mehr noch ihres Charakters. Sie möchte nicht wie die von den Eltern verhasste Tante werden, deckt aber in der Folge des Kennenlernens auf, dass auch ihre Eltern nicht so integer sind, wie sie vorgaben zu sein. Giovanna wird hin- und hergerissen, soll sich zwischen zwei Seiten entscheiden, was Wut und Frustration auslöst. Giovanna rebelliert, fühlt sich damit jedoch nicht wohl in ihrer Haut. Mit 13 Jahren ist sie noch mehr Kind als Erwachsene und auf der Suche nach ihrer Identität. Daneben macht sie erste sexuelle Erfahrungen und mit dem Verliebtsein.

Die Probleme und Unsicherheiten einer Heranwachsenden und die Umbrüche, die sie in ihrem Leben erfahren muss, sind eindringlich dargestellt. Es fällt leicht, sich in Giovanna hineinzuversetzen. Sie ist auf der Suche nach Rat und Halt, kann den nach der Aufdeckung der Lügen ihrer Eltern jedoch nicht mehr finden. 
Die Geschichte tritt dabei häufig auf der Stelle. Nach der Erkenntnis über Tante und Eltern ereignet sich nicht mehr viel im Hinblick auf die komplizierte Familienkonstellation. Giovannas  Wunsch nach dem Erwachsenwerden - in der Form ihre Unschuld zu verlieren - rückt unangenehm in den Mittelpunkt und lässt Giovanna damit nicht hässlich, aber wenig sympathisch aussehen. Mich konnte die Geschichte damit im weiteren Verlauf immer weniger für sich einnehmen.  
Das Buch bietet einen authentischen Blick in die Welt eines Teenagers, die auseinanderbricht, kann dabei jedoch nicht fesseln und polarisiert mit einer derben Sprache und einer unschönen Beschreibung sexueller Handlungen, mit denen die unerfahrene Giovanna überfordert erscheint. Ab der Hälfte des Romans hat man jedoch das Gefühl, dass der Autorin die Ideen ausgegangen sind. Die Geschichte wird zäh und immer belangloser. 

Mittwoch, 18. Januar 2023

Buchrezension: Sabine Thiesler - Verschwunden

Inhalt:

Elena Ludwig ist eine attraktive, gut situierte Maklerin und wohnt im Herzen von Siena. Gelangweilt von ihren Mitmenschen, lebt sie ihre sexuelle Leidenschaft auf eine riskante Art und Weise aus. Ein hochgefährlicher Kick, wenn sie an den Falschen gerät. 
Unterdessen erschüttert eine brutale Verbrechensserie die Toskana. Menschen verschwinden, und die wenigen, die zurückkommen, sind traumatisiert und für immer zerstört. Commissario Neri ermittelt, träumt aber schon von einem Altersruhesitz am Meer, den ihm die Maklerin Elena vermitteln soll. Doch dann verschwindet auch sie. 

Rezension: 

Auf einem Dorffest in dem beschaulichen Ort Ambra in der Toskana verschwindet der siebenjährige Jonas, der mit seinen Eltern im Urlaub ist. Der von den besorgten Eltern alarmierte Carabinieri Maresciallo Donato Neri beginnt nur zögerlich mit den Ermittlungen. Neri ist ausgebrannt, überfordert von der Verantwortung und träumt von seiner baldigen Rente. Seine Frau Gabriella unterstützt ihn, wo sie kann, gibt ihm hin und wieder hilfreiche Ratschläge bei seinen Fällen und begibt sich auf die Suche nach einem Altersruhesitz. Sie kontaktiert deshalb die Maklerin Elena Ludwig, die sie noch aus ihrer Zeit in Rom kennt.
Elena lebt inzwischen in Siena und vermittelt millionenschwere Häuser. Niemand ahnt etwas von ihrem geheimen Hobby. Sie ist Mitglied einer Agentur und lässt sich von lukrativen Männern für gemeinsame Abenteuer buchen. Sie ist auf der Suche nach sexueller Befriedigung und liebt den Adrenalinkick im Kontakt mit den fremden und anonymen Gönnern. Für die Neris findet sie eine bezahlbare Immobilie mit Meerblick, ist aber vor dem avisierten Notartermin verschwunden. 

"Verschwunden" ist der inzwischen 13. Band der Thrillerreihe um Commissario Donato Neri in der Toskana. Zum Verständnis des Buches ist jedoch kein Vorwissen nötig, jeder Band kann unabhängig gelesen werden.
Auch wenn die Buchreihe sich um Commissario Neri dreht, spielen die polizeilichen Ermittlungen nur eine untergeordnete Rolle. Im Fokus sind vielmehr die Abgründe menschlichen Handelns, die sich auftun.

"Verschwunden" beginnt recht harmlos mit dem Entführungsfall, irritierend ist nur Lethargie von Neri, der kopf- und lustlos agiert. Verschiedene Handlungsstränge werden eröffnet. Neben dem zögerlichen Neri und der frivolen Maklerin gibt es Kapitel über den neuen Arzt in Ambra und seinen geistig zurückgebliebenen jüngeren Bruder.
Früh ist jedoch klar, was hinter der Entführung des Jungen steckt und bald auch in welchem Zusammenhang alle Handlungsstränge und Protagonisten stehen. Dieses umfassende Wissen nimmt dem Thriller seine Spannung. Nichtsdestotrotz folgt man gebangt dem Handeln der Akteure, das sich in seiner Grausamkeit unaufhörlich steigert. Der Täter erscheint wie im Wahn und nur so ist erklärlich, warum er, der bisher so planvoll und unerkannt vorgegangen ist, plötzlich so überdreht und ein derartiges Risiko eingeht, dass seine Machenschaften aufgedeckt werden.

Ich empfand die Entwicklung des Thrillers deshalb nicht ganz realistisch. Am Schluss konnte ich das Handeln des Täters kaum mehr nachvollziehen und war auch enttäuscht darüber, wie leicht es Commissario Neri gemacht wurde.
"Verschwunden" ist durch die kurzen Kapitel und die schnellen Perspektivwechsel dynamisch und durch die grausam und gefährlichen Aktivitäten der Protagonisten aufregend zu lesen, der Kriminalfall und seine Aufklärung dagegen ist wenig raffiniert und nur mäßig spannend. Auch das Ende zeugt mehr von Effekthascherei als von einem intelligentem Abschluss der Ermittlungen. 

Montag, 16. Januar 2023

Buchrezension: Jenny Colgan - Happy Ever After: Wo das Glück zu Hause ist (Happy-Ever-After-Reihe 1)

Inhalt:

Nina ist am Boden zerstört, als sie ihren Job als Bibliothekarin verliert. Ein reiner Brotjob macht sie nicht glücklich. Also macht sie sich mit einem Bücherbus selbstständig und will Leseglück in die Dörfer der schottischen Highlands bringen. Dabei stößt sie auf ungeahnte Hindernisse. Wird sie die Liebe ihres Lebens finden? Oder sucht sie am falschen Ort? 

Rezension: 

Nina ist Bibliothekarin in Birmingham, verliert jedoch aufgrund von Einsparmaßnahmen und Schließungen ihrer Anstellung. Die Aussicht auf eine neue Arbeit in dem Bereich sind schlecht, weshalb Nina ins Grübeln gerät und ihren Traum einer eigenen Buchhandlung verwirklichen möchte. Ohne Startkapital ist auch dieses Unterfangen schwierig, weshalb sich Nina kurzerhand einen Lieferwagen in den schottischen Highlands als mobile Buchhandlung zulegt und in dem kleinen Dorf Kirrinfief bleibt. 
Der Kontrast zur Großstadt ist groß, aber schnell beginnt sich Nina dort wohlzufühlen und genießt es, für ihre Kunden das passende Buch zu finden. Die Menschen sind aufgeschlossen und nehmen das Angebot des Bücherbusses gerne an. Dennoch fühlt sich Nina an den langen Abenden einsam und träumt von einem Mann an ihrer Seite. Mit dem hilfsbereiten Zugführer Marek tauscht sie romantische Botschaften aus, während sie sich mit ihrem Vermieter, dem kernigen Schafbauern Lennox, regelmäßig in die Wolle bekommt. 

Wird es für Nina ein "Happy Ever After" geben, wie sie ihre mobile Buchhandlung genannt hat? Darum dreht es sich in dem Auftakt der neuesten Romanreihe von Jenny Colgan. 

"Wo das Glück zu Hause ist" ist ein Wohlfühlroman, der einen durch die bildhaften Beschreibungen von Landschaft, Klima und Traditionen anschaulich in die schottischen Highlands und die beschauliche fiktive Kleinstadt Kirrinfief versetzt. Nina ist eine sympathische Protagonistin, eine Träumerin, für die es keine größere Leidenschaft als das Lesen und ihre Bücher gibt. In Birmingham hat sie sich hinter ihren Büchern versteckt, während sie in Schottland aktiver am Leben teilnimmt und ihr durch die Arbeit als Selbstständige auch kaum noch Zeit zum Lesen bleibt. Sie schließt Kontakt mit den eigenwilligen Einwohnern, hat bald einige Stammkunden und ist Teil einer Gemeinschaft, die aufeinander Acht gibt. 

Die Leidenschaft für das Lesen und das Bedauern über das Aussterben von Büchereien ist auf jeder Seite spürbar. Dem Roman umweht ein Hauch von Nostalgie und vermittelt das Gefühl, das Bücher Halt geben und glücklich machen. Doch selbst Nina muss feststellen, dass Bücher allein nicht reichen und sich auch auf Anraten ihrer besten Freundin, der kecken Surinder, für Menschen öffnen und aufhören, sich in ihren Tagträumen zu verlieren. 

Auch wenn Nina mit sehr offenen Armen in Empfang genommen wird, viel Glück mit ihrem Bücherbus hat und das Leben auf dem Land im Vergleich zur Stadt allzu positiv hervorgehoben wird, hat mir die Geschichte dennoch über weite Teile gut gefallen. Die Liebesgeschichte ist vorhersehbar, hat aber zunächst ihren Reiz und auch dass neben dem Büchereisterben ernste Themen wie die Trennung, Neuanfänge und die Vernachlässigung von Kindern angesprochen werden, versucht dem Roman, der eine Hommage an Zusammenhalt, Freundschaft und natürlich (!) Bücher ist, eine gewisse Tiefe zu geben. Leider wird der Roman am Ende jedoch recht zäh und seicht. Nahezu alle Probleme lösen sich allzu leicht in Wohlgefallen auf. Der Liebesgeschichte fehlt am Ende Knistern und Romantik und wird stattdessen dramatisch in Szene gesetzt, um ein Happy End hinauszuzögern. 
Bis auf das etwas lieblose Ende ist "Happy Ever After" eine herzliche, unprätentiöse Geschichte, die neugierig auf die weiteren Bände in der Ortschaft Kirrinfief macht. 

Samstag, 14. Januar 2023

Buchrezension: Anne Freytag - Mind Gap

Inhalt:

"Wir stehen an der Schwelle zu einer technischen Revolution, die unser Denken und Handeln für immer verändern wird." Das verspricht Erik Fallberg bei der Vorstellung des NINK. Ursprünglich in der Militärforschung entwickelt, sollte der NINK-Chip ein Auslöschen traumatischer Kampferinnerungen ermöglichen. Die Journalistin Silvie wird Opfer dieser Realitätsveränderungen, als es heißt, ihr Bruder habe zwei Menschen ermordet und sich danach in den Kopf geschossen. Nichts von all dem ergibt einen Sinn. Also beginnt Silvie zu recherchieren und schnell wird klar, dass jeder noch so bahnbrechende Fortschritt in den falschen Händen aufs Schrecklichste pervertiert werden kann. 

Rezension: 

Silvie Mankowitz ist Journalistin in Berlin, die für ihre Arbeit bereits ausgezeichnet wurde. Als sie von ihrem Bruder kontaktiert wird, von dem sie ausgegangen ist, dass er als Soldat im Kampf gefallen ist, ist sie irritiert, freut sich jedoch auf das anvisierte Treffen mit ihm. Wenig später ist er tot. Er soll Suizid begangen haben und zuvor zwei weitere Personen getötet haben, darunter den Kanzlerkandidaten Nowak.
Silvie kann es nicht glauben und forscht nach. Sie stößt auf Widerstand auf höchster Ebene und entdeckt eine unglaubliche Verschwörung. Offenbar kann der NINK, ein Chip, der Menschen implantiert wird, um ihr Leben durch einen unmittelbaren Zugriff auf das Internet zu optimieren, manipuliert werden und den freien Willen des Menschen ausschalten. Silvie möchte nicht nur ihren Bruder rehabilitieren, sondern auch die ungeahnten und gefährlichen Folgen der Einführung des als revolutionär gefeierten NINK öffentlich machen.

Mit "Mind Gap" wird ein spannendes Szenario beschrieben, dass in naher Zukunft im Jahr 2033 handelt. Es ist ein Thriller, der die Schattenseiten des technischen Fortschritts erschreckend realistisch darstellt. Eine Einführung eines Chips, der in den Kopf implantiert wird und mit dem Gehirn verbunden wird, klingt nach Science Fiction, erscheint jedoch in Anbetracht der vermeintlichen Vorteile für jeden einzelnen Nutzer nicht unwahrscheinlich.

Der Thriller wird aus verschiedenen Perspektiven der handelnden Personen in Berlin geschildert. Ein zweiter Erzählstrang, der bald eng mit dem Geschehen in Deutschland verknüpft wird, handelt in Manila. Weiterhin gibt es Einblicke zu Machthabern in Ländern wie Aserbaidschan, Ruanda und Simbabwe, die nicht wirklich einzuordnen sind.
Die Kapitel sind kurz, die Perspektiven wechseln häufig, was der Geschichte, die nur innerhalb weniger Stunden handelt, Dynamik verleiht.
Aufgrund der Schnelligkeit und der Vielzahl der Protagonisten fehlt die emotionale Nähe, was jedoch nicht weiter störend ist, denn die Geschichte, die immer mehr Details über NINK und wie der Chip als Machtinstrument genutzt werden kann, was nicht nur den freien Willen ausschaltet, sondern auch tödliche Folgen in einem skrupellosen Ausmaß hat, ist beängstigend.

"Mind Gap" warnt mit einer erschreckend real anmutenden Dystopie vor den Folgen einer alle umfassenden Vernetzung ohne sicheren Schutz personenbezogener Daten, die Tür und Tor für Manipulation und Machtmissbrauch öffnet. Denn das ein Instrument, das eigentlich als Hilfsmittel und Erleichterung des Alltags erdacht wurde, in falsche Hände gerät, ist aufgrund des unaufhörlichen Strebens des Menschen nach mehr, eine logische Konsequenz.

Freitag, 13. Januar 2023

Buchrezension: Holly Bourne - Orte, an denen ich geweint habe (wegen dir)


Inhalt:

Amelie hat häufig geweint, während sie mit Reese zusammen war, und trotzdem war es zu Beginn die perfekteste Beziehung, die sie sich vorstellen konnte. Sie erinnert sich daran, wie sie die Neue in der Klasse war und wie sie sich in Reese verliebte. Wie er ihr Songs schrieb, sie auf die schönsten Dates ausführte, zum ersten Mal mit ihr schlief und wie er sagte, dass er noch nie so für jemanden empfunden habe … Und sie erinnert sich, wie er immer mehr anfing, sie unsicher und schwierig und verrückt zu nennen. Wie er sie immer mehr isolierte. Amelie sucht all die Orte auf, an denen sie Tränen verschüttet hat. Wenn sie versteht, was in ihrer Beziehung schiefgelaufen ist, findet sie vielleicht einen Weg, endlich zu heilen. 

Rezension: 

Wegen eines neuen Arbeitsplatzes ihres Vaters muss Amelie mit ihren Eltern von Sheffield in den Süden Englands ziehen. Sie vermisst ihre Freunde, aber die Musik gibt der jungen Singer-/ Songwriterin Kraft und Anerkennung. An ihrer neuen Schule lernt sie Reese kennen, der wie sie die Leidenschaft zur Musik teilt und Sänger einer Band ist. Er umgarnt sie, macht ihr Komplimente und bezirzt sie mit romantischen Dates. Die Beziehung geht in die Vollen und Amelie schwebt auf Wolke 7, auch wenn ihre neu gewonnenen Freunde sie vor Reese warnen. Amelie ignoriert alle roten Flaggen und liebt es, von ihm geliebt zu werden. Doch nach vier Wochen platzt die Blase und Amelie ist wieder allein, Reese hat sich von ihr getrennt und ihre Freunde hatte sie schon zuvor verloren, da es nur noch sie beide gab. 
Amelie ist verwirrt, verletzt und fühlt sich innerlich gebrochen. Die Trennung schmerzt, auch wenn die kurze Beziehung nicht nur schöne Momente hatte. Amelie blickt zurück und reflektiert ihre Beziehung zu Reese. Sie geht ihre Landkarte der Liebe ab und sucht alle Orte auf, an denen sie wegen Reese geweint hat. 

"Orte, an denen ich geweint habe (wegen dir)" ist, wie der Titel und das dazu passende tränenverschmierte Cover impliziert, eine emotionale, anrührende Geschichte. Sie ist aus Sicht der 16-jährigen Amelie geschildert, die gegenwärtig seit vier Wochen von ihrem letzten Freund getrennt ist und versucht diese Beziehung, die sich im Nachhinein so seltsam anfühlt, zu verarbeiten. 
Auch wenn die Zielgruppe des Buches junge Erwachsene sind, ist es auch für reifere Leser*innen geeignet, denn emotionale Geschichten über gescheiterte Liebesgeschichten und den Schmerz, der am Ende übrig bleibt, sind keine Frage des Alters. 

Die Geschichte vermischt die Gegenwart mit der Vergangenheit, indem Amelie wie ferngesteuert die Orte aufsucht, an denen sie mit Reese zusammen war und von ihm verletzt wurde. Durch die beiden unterschiedlichen Schriftarten fällt es leicht, die Gedanken- und Zeitsprünge einzuordnen. 
Wie in einem Tagebuch spricht Amelie Reese direkt an und konfrontiert sich mit schönen und hässlichen Momenten, um die Beziehung zu verarbeiten. Frühzeitig hatte Amelie durch das Auf und Ab ihrer Gefühlswelt erkannt, dass in ihrer Beziehung etwas nicht stimmt, aber alle Signale ignoriert, schließlich liebte er sie - und sie ihn. Immer noch. Herz und Verstand sind für Amelie nicht in Einklang zu bringen. Im Gegensatz zu ihr ist für Außenstehende offensichtlich, dass Reese manipulativ und erdrückend ist. Er neidet ihren Erfolg und steht lieber selbst im Mittelpunkt. Sein Verhalten ist dabei zu Beginn subtil und wird von seiner Leidenschaft überdeckt, bis er Grenzen überschreitet, die mehr als ein ungutes Gefühl hinterlassen. Amelie macht sich klein und lässt sich zu viel gefallen, um Reese nicht zu verärgern. 
Die Schilderungen sind erschreckend realistisch, denn es sind so viele kleine Dinge, die aus der jungen, leidenschaftlichen Liebe eine toxische Beziehung machen. Es ist kein physischer Missbrauch, auch wenn Amelie (zu) viel zulässt, sondern ein psychischer, der mindestens genauso schwerwiegt. Die Geschichte geht nahe, denn sie macht wütend zu sehen, wie Amelie immer weiter in Reese verschwindet und verständnislos, wie Amelie während der Beziehung bei allen Gemeinheiten Reeses die Schuld bei sich sucht, welchen Selbsthass sie dabei entwickelt und ihn danach immer noch lieben kann - oder glaubt, es zu tun. 
Die Geschichte rüttelt wach und zeigt, dass auch gescheiterte Teenagerbeziehungen nicht kleinzureden sind und dass es kein Fehler ist, Schuld- oder Schamgefühle zu empfinden, so behandelt zu werden. Sie ermuntert, sich Hilfe zu suchen und Probleme nicht mit sich selbst auszumachen. 
Das Buch ist anstrengend zu lesen. Die Atmosphäre ist bedrückend und melancholisch, der weinerliche Tonfall, der aber wiederum so gut zu der feinfühligen Künstlerseele Amelie passt, ist Kräfte zehrend. Zudem verunsichert die Frage, ob Reese nicht einfach nur egoistisch und dominant und Amelie zu naiv und schwach war, für sich einzustehen. Die Geschichte ist sehr emotional und dramatisch dargestellt und ist am Ende vor allem lehrreich, wie Amelies verwirrende Gefühle einzuordnen sind und dass Liebe alles, nur nicht selbstzerstörerisch sein und unglücklich machen darf. 
Passend zur Zielgruppe und zur Botschaft des Romans werden im Anhang Notrufnummern und Hilfsangebote aufgezeigt. 

Mittwoch, 11. Januar 2023

Buchrezension: Katherine Webb - Der Tote von Wiltshire (Lockyer & Broad ermitteln)

Inhalt:

Vierzehn Jahre ist es her, dass auf dem Anwesen von Professor Ferris ein Mann heimtückisch im Schlaf erstochen wurde – eine grauenvolle Bluttat, die in der pittoresken Grafschaft Wiltshire einiges Aufsehen erweckte. Zwar sorgte Inspector Matthew Lockyer damals für die Verurteilung der Haushälterin Hedy Lambert, doch diese beteuerte stets ihre Unschuld. Als Hedy nun eindringlich um seinen Besuch im Gefängnis bittet, wird Lockyer gemeinsam mit seiner Kollegin Constable Gemma Broad in den Fall zurückkatapultiert. Lockyer und Broad rollen das Verbrechen erneut auf. Bei ihren Ermittlungen stoßen sie auf eine Mauer des Schweigens und Zeugen, die alles dafür tun, hinter einer vornehmen Fassade wohlgehütete Geheimnisse zu wahren. 

Rezension: 

Im Juni 2005 leitete Detective Inspector Matthew Lockyer die Ermittlungen im Mordfall eines zunächst unbekannten Mannes, der erstochen in einer Scheune von Professor Ferris in der Grafschaft Wiltshire aufgefunden wurde. Nach einem Indizienprozess wurde seine Haushälterin Hedy Lambert verurteilt, die jedoch stets ihre Unschuld beteuerte. 
Vierzehn Jahre später meldet sie sich bei Lockyer, um einem Hinweis nachzugehen, der ihren Prozess neu aufrollen könnte. Lockyer, der nach einem Fehler in einem anderen Ermittlungsverfahren zu einem Cold Case-Ermittler degradiert worden war und nie ganz von der Schuld Hedys überzeugt war, nimmt sich erneut des Mordfalls an. Zusammen mit seiner Kollegin, Constable Gemma Broad begibt er sich auf Spurensuche, nutzt die Fortschritte der Kriminaltechnik und befragt die beteiligten Personen von damals. Dabei findet er entlastende Indizien, aber auch ein neues mögliches Motiv, das Hedy zur Mörderin machen könnte. 

"Der Tote von Wiltshire" ist der erste Band einer neuen Krimireihe und nach einer Vielzahl an historischen Romanen der erste Kriminalroman der Bestseller-Autorin Katherine Webb. 

DI Lockyer ist ein Eigenbrötler, der von einer Familientragödie belastet ist und aufgrund von Fehlern bei der Arbeit seine Fähigkeit als Ermittler kritisch hinterfragt. Zudem hat er Gefühle für die im Gefängnis sitzende Hedy Lambert, so dass das Wiederaufrollen des Falles ihm die Chance gibt, sie zu rehabilitieren und gleichzeitig die Ermittlungen von damals zu überprüfen. Seine junge Kollegin Gemma Broad ist seine willige Assistentin, deren Rolle trotz der auch nach ihr bezeichneten Krimireihe eher verhalten ist. 

Der Roman entwickelt sich zunächst gemächlich, alte Beweisstücke werden überprüft und Zeugen befragt, die sich jedoch überwiegend als unzuverlässig oder zumindest verschlossen herausstellen, so dass die Ermittlungen immer wieder ins Stocken geraten. Durch die Verbindung zu einem anderen Kriminalfall, neuer möglicher Motive und Täter, wird die Geschichte im letzten Drittel spannender. Durch zahlreiche Wendungen und neuer Indizien, die mehrfach andere Verdächtige in den Fokus rücken, werden die Ermittlungen und Schlussfolgerungen, die sich aufgrund der vergangenen Zeit lange im Kreis drehten, interessanter und lassen die/ den Leser*in aktiv miträtseln, wer aus welchem Grund den Mann ermordete, der vorgab, der Sohn des Professors zu sein. 

Durch tragische Ereignisse, die mit dem Mordfall verbunden werden, bietet der Roman neben der Neugier auf die Aufklärung des Kriminalfalls Raum für Emotionen und macht das Verhalten von Verdächtigen, Zeugen und auch von DI Lockyer nachvollziehbar. Durch die andauernde Frage, ob Hedy selbst aus dem Gefängnis manipulativ handelt und inwiefern Lockyer sich bei seinen Ermittlungen damals wie heute möglicherweise blind von seinen Gefühlen leiten lässt, bleibt der Roman anhaltend spannend. Die Aufdeckung von Ermittlungsansätzen, denen im Jahr 2005 nicht nachgegangen war und die Offenbarung immer neuer Geheimnisse sorgen für raffinierte Wendungen und zeugen von einem aufwändig konstruierten Fall, der 2005 möglicherweise zu früh mit nur einer Verdächtigen als aufgeklärt zu den Akten gelegt wurde. Am Ende verliert sich die Autorin etwas, vermittelt aber gleichzeitig den Eindruck, dass schon ein nächster Fall auf DI Lockyer wartet. 

Montag, 9. Januar 2023

Buchrezension: Guillaume Musso - Nachricht von dir

Inhalt:

Als Madeline und Jonathan am Flughafen zusammenstoßen, denken sie nicht im Traum an ein Wiedersehen. Doch zuhause angekommen stellen sie fest, dass sie ihre Handys vertauscht haben. Sie beginnen, das Telefon des anderen zu durchstöbern, und entdecken, dass ihre Leben schon seit langem miteinander verknüpft sind – genau wie tiefe Wunden aus der Vergangenheit, die sie nun mit aller Macht einholen. 

Rezension: 

Der Amerikaner Jonathan Lempereur und die Engländerin Madeline Greene stoßen am Flughafen New York JFK zusammen und vertauschen versehentlich ihre Smartphones. Den Irrtum merken sie erst, als sie in San Francisco bzw. Paris angekommen sind. Neugierig stöbern sie jeweils im Mobiltelefon des anderen und erhalten interessante Einblick in deren Leben, die sie zu weiteren Recherchen im Internet anregen. Während Jonathan stutzig wird, warum Madeline ihren Verlobten verliebt und regelmäßig eine Psychologin aufsucht, fragt sich Madeline, warum der ehemalige Sternekoch nur noch ein einfaches Lokal führt und von seiner glamourösen Frau getrennt ist.
Im weiteren Verlauf wird deutlich, dass die beiden mehr verbindet als der Zusammenprall am Flughafen. Ein eigentlich gelöster Kriminalfall führt beide zurück in ihre Vergangenheit.

"Nachricht von dir" ist keine Liebesgeschichte, die sich aus ausgetauschten Nachrichten von Fremden ergibt, wie man vielleicht meinen könnte, sondern eine mysteriöse Geschichte über zwei Protagonisten mit bewegter Vergangenheit, die sich zu einem Kriminalroman entwickelt.
Der Handlungsverlauf ist durch die wechselnden Schauplätze, eingefügte Briefe, Nachrichten und Zeitungsartikel abwechslungsreich. Zudem ist es spannend zu entdecken, was Madeline und Jonathan über einander nur durch die Auswertung ihres Handys und Internetrecherchen herausfinden. Als dann auch noch klar wird, dass sie beide in einen vermeintlich abgeschlossenen Kriminalfall verwickelt sind, kreuzen sich ihre Wege wieder, um die Ungereimtheiten, die sie bewegen, aufzuklären. Die Geschichte ist wendungsreich und typisch für den Autor Guillaume Musso geheimnisvoll.

"Nachricht von dir" ist weder klassischer Kriminalroman noch Liebesgeschichte. Es ist ein Spannungsroman, der durch die Geheimnisse, die peu à peu ans Licht kommen, fesselnd, temporeich und unterhaltsam ist, dabei jedoch an mancher Stelle nicht ganz glaubwürdig ist und von vielen Zufällen geprägt ist. So fragt man sich, ob es tatsächlich realistisch ist, dass beide Charaktere kein PIN-geschütztes Smartphone haben und beide von einer derartigen Neugier auf einen Fremden getrieben sind. Auch die "Ermittlungen" der beiden Hauptfiguren am Ende erscheinen ein wenig fern der Realität.
Da ich aber keinen klassischen Kriminalroman erwartet hatte, konnte mich die Geschichte, die sogar Thrillerelemente entwickelte, trotz der überzogenen und konstruierten Darstellung und letztendlich unvorhersehbaren, aber doch sehr abenteuerlichen Geschichte, gut unterhalten. 

Samstag, 7. Januar 2023

Buchrezension: Dolores Redondo - Alles was ich dir geben will

Inhalt:

Als der Schriftsteller Manuel Ortigosa erfährt, dass sein Mann Álvaro bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, eilt er sofort nach Galicien. Dort ist das Unglück passiert. Dort ist die Polizei auffallend schnell dabei, die Akte zu schließen. Dort stellt sich heraus, dass Álvaro ihn seit Jahren getäuscht und ein Doppelleben geführt hat. Doch was suchte Álvaro in jener Nacht auf einer einsamen Landstraße? Zusammen mit einem eigensinnigen Polizisten der Guardía Civil und Álvaros Beichtvater stellt Manuel Nachforschungen an. Eine Suche, die ihn in uralte Klöster und vornehme Herrenhäuser führt. In eine Welt voller eigenwilliger Traditionen – und in die Abgründe einer Familie, für die Ansehen wichtiger ist als das Leben der eigenen Nachkommen. 

Rezension: 

Als der bekannte Schriftsteller Manuel Ortigosa erfährt, dass sein Ehemann Àlvaro bei einem Autounfall in Galicien ums Leben gekommen ist, ist er zunächst irritiert, da er ihn auf Geschäftsreise in Barcelona vermutete. Bei einer Reise zum Unfallort muss Manuel feststellen, dass Álvaro der Erbe einer Adelsfamilie ist und offenbar seit dem Tod seines Vaters vor drei Jahren ein Doppelleben geführt hat, von dem Manuel nichts ahnte. Enttäuscht und wütend hinterfragt er die Ehe und was Álvaro möglicherweise noch verborgen hat. 
Als sich zudem Ungereimtheiten über den angeblichen Unfalltod häufen, die die Familie nicht gewillt ist, aufzuklären, schließt sich Álvaro mit einem pensionierten Ermittler der Guardía Civil zusammen und beginnt mit Nachforschungen bei Freunden und Verwandten. Manuel taucht dabei tief in die Vergangenheit ein, um nicht nur den unerwarteten Tod seines Ehemannes aufzuklären, sondern auch um herauszufinden, warum Álvaro ihm nie etwas von seiner Herkunft erzählt hat. 

"Alles was ich dir geben will" ist eine Geschichte, die sich von einem Familiendrama zu einem Kriminalroman entwickelt. Dabei werden dunkle Familiengeheimnisse aus der Vergangenheit aufgedeckt, die ursächlich für die Ereignisse in der Gegenwart sind. 
Fakt ist zunächst nur, dass Álvaro bei einem Autounfall gestorben ist, aber offenbar vorher schon schwer verletzt war. In seiner adeligen Winzerfamilie ist es nicht der erste ominöse Todesfall, der nicht weiter aufgeklärt werden soll, denn schon Álvaros jüngerer Bruder ist unter mysteriösen Umständen gestorben. 
Es dauert lange bis es erste konkrete Ermittlungsansätze gibt, die von dem pensionierten Polizisten Nogueira und Manuel weiter verfolgt werden. Dabei werden typische Klischees über Adelsfamilien, deren Ruf über alles geht, und die katholische Kirche, die vor pädophilen Geistlichen die Augen verschließt, bedient. 

Der Roman ist in Bezug auf die Nachforschungen zum Unfalltod und den familiären Hintergründen langatmig geschrieben, denn die Handlung tritt oft auf der Stelle und die große Anzahl der Charaktere bleibt trotz der epischen Art der Erzählung blass gezeichnet. 
Nicht nur für die Hauptfigur Manuel ist es frustrierend, dass in der bis dato unbekannten Familie seines Ehemanns so viel im Verborgenen bleibt und dass auch weitere Personen die Wahrheit hinter dem Berg halten und die Vergangenheit ruhen lassen möchten, sondern auch für den Leser*in. 
Erst auf den letzten hundert Seiten, als sich lose Fäden miteinander verbinden, nimmt die Geschichte über Standesdünkel, Eifersucht und den schönen Schein, den es zu wahren gilt, ein wenig an Fahrt auf und entwickelt sich doch noch zu dem erhofften Spannungsroman. 

Freitag, 6. Januar 2023

Buchrezension: Liane Wilmes - Erst der Regen verzaubert das Licht

Inhalt:

Nizza, 1989. Lilith verbringt unbeschwerte Tage am Strand und bummelt durch die Museen der Stadt, ehe sie nach dem Urlaub Pius heiraten will, die Liebe ihres Lebens. Doch kurz vor ihrer Abreise begegnet sie dem mysteriösen Alex, und ihr Herz weiß plötzlich nicht mehr, was es will. Verunsichert kehrt sie nach Hamburg zurück, und beim Wiedersehen mit Pius wird ihr klar: Es gibt nur eine richtige Entscheidung. Zehn Jahre später hat Lilith sich den Traum einer eigenen Kunstgalerie erfüllt. Als ihre beste Freundin jedoch ihren neuen Freund vorstellt, steht Liliths Leben plötzlich Kopf. Denn den Mann an Bines Seite hat sie schon einmal getroffen. 

Rezension: 

Am Tag der Beerdigung ihres Mannes Pius, als Lilith zum ersten Mal seit drei Jahren ihren nach Australien ausgewanderten Sohn Theo und ihren Enkel Aaron wieder sieht, hält sie ihr schlechtes Gewissen nicht mehr aus und beschließt ihren Söhnen reinen Wein einzuschenken. 
So dann erfolgt ein Rückblick in den Sommer 1989, den Lilith mit ihrer besten Freundin als Junggesellinnenabschied vor ihrer Hochzeit mit Pius verbrachte. Dort lernt sie den Künstler Alexander Favre kennen und verbringt eine Nacht mit ihm. Sie ist durcheinander und weiß nicht, für welchen Mann ihr Herz schlägt und lässt letztlich das Schicksal entscheiden. Sie bleibt bei Pius, gründet eine Familie und sieht zehn Jahre später Alexander wieder - an der Seite von Bine. Erinnerungen und Sehnsucht kommen auf und dann muss Lilith auch noch mit Alex zusammenarbeiten und kommt ihm dabei unweigerlich näher. 

Über 350 Seiten Scham und Schuldgefühl und ein Wehklagen darüber zwischen zwei Männer bzw. einem Mann und einer Familie zu stehen. Während der Beginn in Nizza noch ganz einnehmend mit einem Gefühl von Sommer, Leidenschaft und einer Verliebtheit unter gleichgesinnten Kunstinteressierten ist, hat mich das elende Hin und Her und die immer gleichen Entscheidungen, mit denen Lilith am Ende hadert und sich selbst bemitleidet nur noch genervt. 
"Erst der Regen verzaubert das Licht" ist mit seinem gefühligen Titel und seinem rosa Cover keine romantische Liebesgeschichte zum Wohlfühlen und der Hoffnung auf ein Happy End von Seelenverwandten. Das Verhältnis zwischen Lilith und Alex wird rein auf eine körperliche Anziehung (hellblaue Augen, sehnige Arme, Muskeln einer Bernini-Skulptur,...) beschränkt, während die Beziehung zwischen Lilith und Pius mehr einer platonischen Partnerschaft gleicht. Auf keiner Ebene konnte ich eine Liebe und tiefe Verbundenheit verspüren, auch wenn schon nach wenigen Stunden Kontakt von der großen, einzigen, ewigen Liebe gesprochen wird. 
Mir war das Drama zu aufgesetzt, zu retardierend und Lilith wahrlich keine Figur, mit der ich mich identifizieren konnte. Ihre Opferhaltung trotz mehrfachen Betrugs und selbst gewählter Entscheidungen für eine Alternative, die sie dann doch nur wieder in Frage stellte und ihr daraus resultierendes Selbstmitleid, fand ich anstrengend. Die Geschichte dreht sich im Kreis, Lilith entwickelt sich in dreißig Jahren kein Stück weiter. Alle anderen Protagonisten sind Statisten, die Lilith verzeihen. 
Aufgrund des Klappentextes kann man sich die gesamte Geschichte bereits erschließen, sie bietet keine Überraschungen oder interessante Wendungen. 

Mittwoch, 4. Januar 2023

Buchrezension: Annabel Monaghan - Immer wenn die Sonne aufgeht

Inhalt:

Der Moment in den frühen Morgenstunden, in dem ihre Füße die knarzenden Holzbretter ihrer Veranda berühren, in dem sie die ersten Vogelgesänge vernimmt und ihren Garten in voller Pracht und mit Morgentau überzogen bewundern kann, ist für Nora die kostbarste Zeit des Tages. Die Zeit, in der sie Kraft tankt, um ihren zwei Kindern Halt geben zu können und ihre gescheiterte Ehe hinter sich zu lassen.
Doch eines Morgens ist sie nicht allein auf ihrer Veranda. Jemand hat sich über Nacht bei ihr einquartiert. Jemand, der die Nähe zu ihr mehr zu genießen scheint, als ihr recht ist. Jemand, der ihr mit jedem morgendlichen Sonnenstrahl zeigt, dass es noch nicht zu spät ist, die Liebe ins Leben zu lassen. 

Rezension: 

Nora Hamilton ist Mutter zweier Kinder und arbeitet als Drehbuchautorin für den Romance Channel. Ihr Ehemann, der sich abfällig über ihre Arbeit äußerte, aber selbst keinen Finger krumm machte, hat sie vor einem Jahr verlassen. Genugtuung verschafft Nora ihr Durchbruch mit "Das Teehaus", worin sie ihre eigene Geschichte erzählt. Zu schade für den Romance Channel wird das Buch für Hollywood verfilmt. Drei Drehtage finden auf ihrem Grundstück statt, wo Nora auch die Besetzung ihres Ehemanns kennenlernt, den ehemaligen Sexiest Man Alive, Leo Vance. 
Als das Drehteam abgereist ist, findet Nora Leo auf ihrer Veranda vor, wo er wie sie den Sonnenaufgang betrachtet. Er unterbreitet ihr das Angebot, gegen 1000 Dollar pro Tag weitere sieben Tage bleiben und in ihrem Teehaus übernachten zu dürfen. Zunächst misstrauisch und um ihren durchgetakteten Alltag besorgt, willigt Nora ein, denn die Bezahlung kann die alleinerziehende Mutter gut gebrauchen. 
Während Leo das für ihn unbekannt gewordene bodenständige Leben in der Provinz genießt und Nora erlebt, mit wieviel Empathie und Charme er mit ihr und ihren Kindern umgeht, kommen sich die beiden unweigerlich näher, auch wenn die Tage gezählt sind. Doch Leo bleibt - vorerst. 

"Immer wenn die Sonne aufgeht" ist ein facettenreicher Roman, der sich zu einer originellen, unterhaltsamen und wendungsreichen Liebesgeschichte voller Gefühl entwickelt.  

Schon das Setting zu Beginn ist außergewöhnlich, als die bodenständige Nora Hollywood in ihrem Garten vorfindet, um ihr eigenes Leben über ihre gescheiterte Ehe zu verfilmen. Nora trauert ihrem Mann nicht hinterher und ist froh, dass sie den Mann und Vater ihrer Kinder, der sich um nichts gekümmert und sie mit allen Alltagsproblemen alleingelassen hat losgeworden ist und ihr Häuschen im Grünen behalten konnte. Sie ist eine liebenswerte Figur, die es nicht leicht hat, aber dennoch das Beste daraus macht und ihr Leben inzwischen perfekt strukturiert hat. Deshalb ist sie zunächst auch nicht begeistert, als sich der Schauspieler, der offenbar dem Alkohol zugeneigt ist und offen zugibt, dass Geld allein nicht glücklich macht, sich bei ihr einquartiert. 
Aufgrund ihrer nüchternen Art und ihrer sarkastischen Kommentare sind die Dialoge wunderbar witzig. Der Alltag einer alleinerziehenden Mutter, die alles managen muss, aber in ihrem Gerüst alles im Griff hat, ist anschaulich und authentisch dargestellt. Die leidenschaftslose Betrachtung ihrer Arbeit als Verfasserin von romantischen Geschichten, die nach Schema F ablaufen, ist hinreißend ehrlich. 

Auch wenn man den Eindruck gewinnt, dass Nora nicht (mehr) an die Liebe glaubt und ihre Kinder an erster Stelle stehen, verliebt sie sich in den charmanten Leo, der das Gegenteil ihres Ehemanns ist. Die zarte Entwicklung ihrer Verliebtheit bis zu ernsten Gefühlen der Sehnsucht und Beständigkeit ist dagegen romantisch, aber dennoch realistisch und glaubwürdig. Klar ist jedoch auch, dass die beiden komplett unterschiedliche Leben führen und dass Leo in der Lage ist, Noras Herz, das sie bisher geschützt hat, zu brechen. 
Es bleibt spannend zu erfahren, wie sich die Konflikte lösen und ob Nora ein Happy End erleben wird, wie es nicht schöner, als in ihren erdachten Geschichten sein könnte. 

Die Geschichte ist voller individueller, liebenswerter Protagonisten, der Plot herzerwärmend und spannend zu lesen. Der hollywoodreife Schluss war mir aber aber doch etwas zu dick aufgetragen. Der Roman hätte weniger überhastet und kitschig enden können. 

Montag, 2. Januar 2023

Buchrezension: Shida Bazyar - Drei Kameradinnen

Inhalt:

Seit ihrer gemeinsamen Jugend in der Siedlung verbindet Hani, Kasih und Saya eine tiefe Freundschaft. Nach Jahren treffen die drei sich wieder, um ein paar Tage lang an die alten Zeiten anzuknüpfen. Doch egal ob über den Dächern der Stadt, auf der Bank vor dem Späti oder bei einer Hausbesetzerparty, immer wird deutlich, dass sie nicht abschütteln können, was jetzt so oft ihren Alltag bestimmt: die Blicke, die Sprüche, Hass und rechter Terror. Ihre Freundschaft aber gibt ihnen Halt. Bis eine dramatische Nacht alles ins Wanken bringt

Rezension: 

Ein Zeitungsartikel über einen Brandanschlag mit mehreren Toten. Beschuldigt wird Saya M., die mutmaßlich ein islamistisches Motiv für ihre Tat hatte.
Saya ist anlässlich der Einladung zu einer Hochzeit in ihrer Heimatstadt zu Besuch. Dort trifft sie sich mit ihren beiden Freundinnen Hani und Kasih, mit denen sie aufgewachsen ist. Alle drei haben Migrationshintergrund und seit ihrer Kindheit mit Vorurteilen, Ausgrenzung und ihrer Andersartigkeit zu kämpfen.

Kasih ist die Ich-Erzählerin, die eine Woche zusammen mit ihren Freundinnen schildert, die offenbar mit einem von Saya gelegten Brand endet. Saya ist eine wütende junge Frau, die impulsiv auftritt und aggressiv Streit sucht. Ihre Feindbilder sind die Nazis und eigentlich alle "Weißen". Sie hat eine aufgestaute Wut in sich, die Kasih Sorgen macht. Auch die obsessive Beschäftigung mit einem Prozess gegen Nazis, die wegen Mordes angeklagt sind, empfindet Kasih als bedenklich. Hani hingegen ist zurückhaltend und ruhig. Sie führt ein angepasstes Leben, ist pflichtbewusst und möchte nicht auffallen. Kasih steht in ihrer Persönlichkeit zwischen ihren beiden Freundinnen.

Kasih ist eine unzuverlässige Erzählerin. Sie gibt unumwunden zu, die/ den Leser*in zu "verarschen". Sie beschreibt ihre eigene Realität, nicht alle geschilderten Episoden sind wahr. Sie beschreibt zudem nur das, was sie möchte, spart beispielsweise ihre Herkunft sowie die ihrer Freundinnen aus, um die/ den Leser*in im Ungewissen zu lassen.
Ihre Gedanken schweifen oft ab, wenn sie rückblickend aus der Vergangenheit berichtet. Die Sprünge zwischen den Zeiten machen es gerade zu Beginn schwer, ihr zu folgen und einen Zusammenhang zu erkennen, was noch dadurch unterstützt wird, dass der Roman in keine Kapitel unterteilt ist.
Roter Faden ihrer Schilderungen ist der Alltagsrassismus, mit dem sich die drei Freundinnen konfrontiert sehen. Besonders unbequem ist, dass Kasih die/ den Leser*in direkt anspricht, vielmehr direkt angreift. In ihren Augen scheint jeder weiße Deutsche Rassist oder Nazi zu sein, Polizei und Verfassungsschutz wird misstraut. In dem Buch wird bewusst provoziert, denn die Kameradinnen präsentieren ein Schubladendenken und Vorurteile, die sie umgekehrt den Weißen zum Vorwurf machen.

Es ist erschreckend zu lesen, wie wenig die Frauen sich in Deutschland beheimatet fühlen, auch wenn sie in hier aufgewachsen sind und sehr gute Schul- und Studienabschlüsse haben. Es stimmt nachdenklich, ob die Erzählung, die auch ausgedachte Episoden von Kalih enthält, übertrieben ist, oder ob sie in Konfliktsituationen auch fälschlicherweise Rassismus unterstellt.

Die Erzählung ist extrem einseitig. Das Buch fordert heraus und lässt durch die Anschuldigungen und wenn "deutsch" als Schimpfwort benutzt wird, nicht kalt. Die Erzählweise und bewusste Provokation machen den Roman besonders. Zudem wird durch die Aussparungen Spannung aufgebaut, denn bis zum Schluss bleibt offen, was es mit dem Brandanschlag auf sich hat, wie es dazu kommen konnte und wie viel Schuld Saya trifft. Der Roman schürt Erwartungen, die nicht erfüllt werden und lässt die/ den (weißen) Leser*in mit ihren/ seinen Vorurteilen irritiert zurück.