Mittwoch, 30. September 2020

Buchrezension: Daisy Johnson - Untertauchen

Inhalt:

Sechzehn Jahre ist es her, dass sie ihre Mutter zuletzt gesehen hat. Die Hälfte ihres Lebens hat sie versucht, ihre Kindheit zu vergessen - die Zeit auf dem Fluss, auf einem Hausboot, frei und ungebunden. Die Jahre danach, als ihre Mutter plötzlich weg war und sie bei Pflegeeltern unterkam. Gretel hat nicht aufgegeben, bei Kliniken, Leichenhäusern und Polizeistationen nachgefragt. Dann bringt ein Anruf die beiden wieder zusammen. Doch die Zeit hat ihre Spuren hinterlassen. Während das Erinnerungsvermögen der Mutter zusehends schwindet, will die Tochter endlich verstehen. Warum wurde sie im Stich gelassen? Was ist damals geschehen, in jenem letzten Winter auf dem Fluss? 

Rezension: 

Gretel wurde vor sechzehn Jahren von ihrer Mutter verlassen. Sie lebten zuvor gemeinsam auf einem Hausboot, wo sie sogar eigene Wort erfanden und schotteten sich damit nicht nur räumlich von der Gesellschaft ab. Gretel wuchs bei Pflegefamilien heran und wurde Lexikografin. Sie hatte die Hoffnung nie aufgegeben, ihre Mutter wieder zu sehen und sie immer wieder gesucht. Dabei hat sie auch versucht, Marcus zu finden, der zeitweise mit ihnen auf dem Boot war.
Nach all den Jahren der Abwesenheit erreicht Gretel ein Anruf ihrer Mutter, der wie ein Hilferuf wirkt. Sarah ist inzwischen dement und kann sich kaum an die eigene Tochter erinnern. 

"Untertauchen" ist ein Roman, der in der Gegenwart im "Cottage" handelt, als Gretel ihre wiedergefundene verwirrte Mutter bei sich aufgenommen hat, und in Rückblenden von der "Jagd", der Suche Gretels nach Sarah sowie auf dem "Fluss", vom Leben auf dem Hausboot erzählt, wobei mit Marcus noch eine weitere Perspektive in Erscheinung tritt. 

Die unterschiedlichen Zeitebenen und verschiedenen Charaktere sind dabei nicht einfach in den Kontext einzuordnen und sorgen für einen komplexen Aufbau der Handlung. Die Geschichte beginnt mit der Suche Gretels nach Sarah, entwickelt sich dabei aber zu einem Ödipuskomplex, den ich so nicht erwartet habe. 

Es ist eine tragische, rätselhafte Geschichte, die melancholisch erzählt wird und eine beklemmende Atmosphäre schafft. Sie handelt von einer überforderten Mutter, die in ihrer eigenen kleinen Welt zu leben scheint, von der Sehnsucht nach Nähe und Heimat, einer Suche nach den eigenen Wurzeln und von Angst. Die Angst nimmt im Leben von Sarah einen so großen Raum ein, dass sie mit "Bonak" sogar ein eigenes Wort für die Gefahr geschaffen hat, vor der sie sich Zeit ihres Lebens fürchtet. Auch Marcus erscheint von "Bonak", einem Ungeheuer, dass ihn unter Wasser zieht, besessen. 

"Untertauchen" fesselt, da man als Leser diese komplexe, undurchsichtige Familiengeschichte entwirren möchte. Der bildhafte Erzählstil unterstützt dabei auch sprachlich die Mystik in der Geschichte, die an die Sagen der griechischen Mythologie erinnert und die Grenzen von Erinnerungen, Traum, Wahn und Wirklichkeit verschwimmen lässt. Das Ende empfand ich nicht nur im Hinblick auf Schuld und Sühne etwas unbefriedigend. Mir fehlte auch eine Erklärung für das Verhalten von Sarah in der Vergangenheit und so manches Ereignis, an das sich Gretel erinnerte. 


Montag, 28. September 2020

Buchrezension: Gil Ribeiro - Lost in Fuseta

Inhalt: 

Das Septemberlicht an der Algarve ist von betörender Schönheit. Am Flughafen von Faro nehmen Sub-Inspektorin Rosado und ihr Kollege Esteves einen schlaksigen Kerl in schwarzem Anzug und mit schmaler Lederkrawatte in Empfang: Leander Lost, Kriminalkommissar aus Hamburg, für ein Jahr in Diensten der Polícia Judiciária. Eine Teambildung der besonderen Art beginnt, als die portugiesischen Sub-Inspektoren feststellen müssen, dass ihr neuer Kollege aus Deutschland nicht nur merkwürdig gekleidet ist, sondern sich auch merkwürdig verhält. Erst langsam kommen sie dem Mörder eines Privatdetektivs auf die Spur, sowie der Tatsache, dass Leander Losts Merkwürdigkeiten dem Asperger-Syndrom geschuldet sind – und dass seine Inselbegabungen äußerst hilfreich sind bei der Lösung des Falls um die schmutzigen Machenschaften eines Wasserversorgers an der Algarve. 

Rezension: 

Aufgrund eines Brüsseler Austauschprogramms der europäischen Polizeien landet Kriminalkommissar Leander Lost in Portugal und soll dort für ein Jahr bei der Kriminalpolizei in Fuseta arbeiten. Schon an seinem ersten Arbeitstag wird die Leiche eines Privatdetektives gefunden. Die Ermittlungen ergeben, dass der Mann erschlagen wurde. Vermutlich hat der Privatdetektiv einen Betrugsfall von überregionaler Bedeutung aufgedeckt, der durch einen Auftragsmord vertuscht werden sollte. Leander Lost unterstützt bei der Verbrechensaufklärung seine beiden Kollegen, die Sub-Inspektoren Graciana Rosado und Carlos Esteves, die Lost zunächst als wunderlichen Kauz wahrnehmen, schon bald aber von seiner besonderen analytischen Begabung als Folge des Asperger Syndroms profitieren, aber auch mit den problematischen Seiten der Erkrankung im persönlichen Umgang mit Lost umgehen müssen. 

"Lost in Fuseta" ist der Auftakt einer Krimireihe um den deutschen Kriminalkommissar Leander Lost, der in Portugal ermittelt. 
Der erste Band stellt vor allem die Lebensart und Mentalität der Portugiesen, die Stellung Portugals in Europa und die handelnden Akteure in den Vordergrund. Insbesondere Hauptfigur Lost ist ein spezieller Charakter, der aufgrund seiner Erkrankung sozial wenig kompetent ist und die Menschen unabsichtlich vor den Kopf stößt, dabei aber unwahrscheinlich intelligent ist, ein enormes Gedächtnis und eine schnelle Auffassungsgabe hat. Die portugiesische Sprache hat er innerhalb weniger Wochen erlernt und auch bei der Lösung des Kriminalfalls zieht er aus wenigen Indizien Rückschlüsse, die anderen verborgen geblieben wären. 

Aufgrund der vielen Details über das Leben und Arbeiten in Portugal, die Landschaftsbeschreibungen und das Privatleben der Sub-Inspektoren und deren Familienangehörigen spielen die Ermittlungen und die Lösung des Kriminalfalls schon fast eine untergeordnete Rolle. Statt Spannung, wie man es von einem Krimi erwartet, steht eher die Unterhaltung vor der schönen Urlaubskulisse der Algarve im Fokus der Handlung. Dabei wächst dem Leser Leander Lost mit all seinen Eigenheiten ans Herz. Es ist interessant zu sehen, wie seine Inselbegabung hilfreich für die Ermittlungen ist, gleichzeitig aber auch eine Hürde sein kann, die die Ermittler in so manche aberwitzige Situation führt. 


Samstag, 26. September 2020

Buchrezension: Zsóka Schwab - 107 Schläge pro Minute

Inhalt: 

Die achtzehnjährige Romy leidet an einer unerklärlichen Krankheit: Sobald ihr Puls 107 Schläge pro Minute erreicht, verliert sie das Bewusstsein. Allerdings erfährt ihr überbehütetes Leben eine aufregende Wendung, als der lockere, junge Adam Schmidt ihren Lateinunterricht übernimmt. Anders als Romys übrige Hauslehrer denkt er nicht daran, sie wegen ihrer Herzkrankheit zu verhätscheln. Trotzdem fühlt sie sich bald wohler bei ihm, als ihr lieb ist. Zugleich spürt sie, dass etwas mit Adam nicht stimmt: Wieso ist er ihrem imaginären Freund, der sie seit ihrer Kindheit begleitet, wie aus dem Gesicht geschnitten? Und wer ist die stumme Frau mit dem grünen Hut, die immer wieder auftaucht und Romy wütend anstarrt? Für ihren Lateinlehrer ist sie keine Unbekannte. Als sich das Rätsel um die fremde Frau entwirrt und Romy begreift, welchen Plan Adam verfolgt, ist es fast schon zu spät. Denn ihre Krankheit schreitet fort. Und das Geheimnis dahinter bedroht nicht nur ihr eigenes Leben. 

Rezension: 

Die achtzehnjährige Romina Winter leidet an einer mysteriösen Krankheit. Sobald ihr Puls auf mehr als 107 Schläge pro Minute steigt, fällt sie in Ohnmacht. Ihre Mutter ist deshalb stets in Sorge um ihr Wohlergehen und lässt Romy seit der sechsten Klasse zu Hause unterrichten. Romy wuchs dementsprechend isoliert auf und ist zunehmend genervt davon, derart eingesperrt zu sein. 
Ihr neuer Lateinlehrer Adam Schmidt ist eine willkommene Abwechslung in ihrem eintönigen Alltag. Er wirkt auf den ersten Eindruck arrogant und fordert Romy damit heraus. Deren Ehrgeiz, mehr zu lernen, wird geweckt, was aber auch daran liegt, dass Adam sie an ihren Schwarm Edmond Dante erinnert. Immer öfter steigt Romys Puls dramatisch an und oft weiß sie nicht mehr, ob sie in Ohnmacht gefallen ist oder geträumt hat, wenn sie Edmonds bzw. Adams Gesicht vor Augen hat und von einer seltsamen Frau mit grünem Hut angestarrt wird. 

"107 Schläge pro Minute" ist ein Jugendroman mit Fantasyelementen. Protagonistin Romy ist eine sympathische Heranwachsende, die überbehütet aufgewachsen ist und sich zunehmend mehr Freiheiten herausnimmt. Dabei setzt sie sich aber aufgrund ihrer Erkrankung der Gefahr aus, in Ohnmacht zu fallen, denn mehr Aufregung führt zu einer erhöhten Herzfrequenz. Beruhigend wirkt das Antlitz von Edmond Dante auf sie, weshalb sie das Buch "Der Graf von Monte Christo" stets bei sich führt. Dass ihr neuer Lateinlehrer Adam Schmidt ihm zum Verwechseln ähnlich sieht, kann dabei kein Zufall sein. Die Grenzen zwischen Realität und Fantasie, zwischen Traum und Wirklichkeit, beginnen zu verfließen, wenn Romy ihren Puls nicht mehr unter Kontrolle hat. 

Es ist eine Geschichte über das Erwachsenwerden, die trotz aller Mystik nicht fernab der Realität ist. In Romy, die ihre Grenzen austestet, kann man sich sehr gut hineinversetzen. Man spürt ihren rang nach Freiheit und danach, Dinge auszuprobieren, denn bisher durfte sie kaum allein das Haus verlassene. Zudem ist es spannend zu erfahren, was es mit dem rätselhaften Adam Schmidt auf sich hat, der Romy als Person wahrnimmt und nicht wie viele andere ihre Krankheit in den Fokus rückt. 
Das Buch ist zu keinem Zeitpunkt vorhersehbar und man ahnt nicht, in welche Richtung es gehen könnte. Ist es eine Liebesgeschichte? Ein Abenteuerroman? In welche Gefahren begibt sich Romy durch ihre Krankheit oder ihre besondere Beziehung zu Adam, die offenbar von einer unbekannten Frau missbilligt wird? 

"107 Schläge pro Minute" ist eine originelle Geschichte, die sich magisch anfühlt, aber nicht von Fantasyelementen überfrachtet ist. Sie regt die Fantasie des Lesers an und macht neugierig darauf zu erfahren, wie sich die Ungereimtheiten um Romys Lateinlehrer und die Rolle der mysteriösen Dame letztlich erklären.


Freitag, 25. September 2020

Buchrezension: Sharon Bolton - Dein kaltes Herz

Inhalt: 

Die Angst vor ihrem Ehemann Freddie hat Felicity bis ans Ende der Welt getrieben: auf die kleine antarktische Insel Südgeorgien, kurz vor dem Südpol. Jedes Mal, wenn sich ein Schiff nähert, sucht Felicity ein Versteck auf und beobachtet die Passagiere durch ihr Fernglas. Sehnsüchtig wartet sie darauf, dass der Winter kommt und das Eis die Insel für ein paar Monate von der Außenwelt abschneidet. Schließlich trifft das letzte Schiff der Saison ein – und Felicitys Albtraum wird wahr: Freddie ist an Bord. Und er wird nicht ruhen, bis er ihr Auge in Auge gegenübersteht. 

Rezension: 

Aus Angst vor ihrem Ehemann Freddie, der vor Kurzem aus dem Gefängnis entlassen wurde, hat sich die promovierte Glaziologin nach Südgeorgien versetzen lassen, um einen möglichst großen Abstand zu Freddie zu bekommen. Ihre Psychotherapie wegen ihrer Ängste und zeitweisen Aussetzer bei ihrem Therapeuten Joe in Cambridge hatte sie eigenmächtig abgebrochen. 
Als ein Passagierschiff den Hafen in Südgeorgien erreicht, stellt Felicity mit Entsetzen fest, dass Freddie auf der Passagierliste steht. Ihr schlimmster Alptraum ist wahrgeworden, doch Felicity hatte sich vorbereitet. Mit einem Schlauchboot versucht sie im ewigen Eis zu entkommen. 
Währenddessen findet Joe in Cambridge mehr über Felicitys Vergangenheit heraus und sieht ihre Symptome unter ganz anderen Vorzeichen. Die Polizei, die in mehren Fällen getöteter Obdachloser ermittelt, um die sich Joe ehrenamtlich gekümmert hat, findet dagegen Spuren, die zu Felicity führen. 

Der Thriller ist in vier Abschnitte aufgeteilt, von denen zwei in Cambridge und zwei in Südgeorgien handeln. Die Perspektiven wechseln dabei zwischen mehreren handelnden Personen. 
Der Thriller beginnt auf der Insel Südgeorgien, als sich Felicity auf ihre Flucht vorbereitet. Ihre panische Angst ist spürbar und sorgt nicht nur aufgrund des eisigen Settings für Gänsehaut. Gleichzeitig fragt man sich jedoch, warum Felicity so irrational handelt und niemandem um Hilfe bittet. Ein Rückblick in die Vergangenheit mehrere Monate zuvor in Cambridge gibt tiefe Einblicke in die Seele von Felicity und was sie in der Vergangenheit erlebt haben mag. Joe versucht ihr mittels Hypnotherapie zu helfen, doch Felicity sträubt sich, kann sich ihrem Trauma nicht stellen und möchte nicht als verrückt abgestempelt werden. 
Joe, der die professionelle Grenze zwischen Arzt und Patientin nicht immer stringent einhält, ist der Sohn der leitenden Ermittlerin für die Mordfälle um die Obdachlosen in Cambridge. Durch das enge Mutter-Sohn-Verhältnis erhält man zusätzlich zu dem Familiendrama um Felicity noch Einblicke in einen Kriminalfall. 
 
Auch wenn man während der Therapiesitzungen bald ahnt, was mit Felicity los ist, ist der Thriller dennoch durchgehend spannend. Vor allem die zahlreichen Wendungen, die der Handlung immer wieder neue Impulse geben, machen neugierig darauf, wie die beiden Handlungsstränge um Felicitys Flucht und die Mordfälle an den Obdachlosen zusammenhängen, wobei Joe der gemeinsame Nenner zu sein scheint.

"Dein kaltes Herz" ist ein packender Thriller, der hervorragend konstruiert ist und nur einige wenige Längen bei der andauernden Beschreibung von Felicitys Ängsten aufweist. Die kalte und düstere Atmosphäre, die während des beginnenden Winters in der eisigen Landschaft Südgeorgiens hergestellt wird, unterstreicht die beängstigende Handlung. 


Mittwoch, 23. September 2020

Buchrezension: Helga Glaesener - Das Erbe der Päpstin

Inhalt:

Die junge Freya wird Zeuge, wie ihre von dänischen Wikingern entführte Mutter ermordet wird. Anschließend flieht sie gen Süden, getrieben von der Sehnsucht nach ihrem Großvater Gerold. Bald findet sie heraus, dass Gerold inzwischen in Rom lebt, als Schutzherr des Papstes. Verkleidet schafft Freya es, im Jahr 858 in die Heilige Stadt zu gelangen. Doch dort muss sie mitansehen, wie Gerold während einer Prozession ermordet wird – und mit ihm der Papst, der in Wahrheit eine Frau ist: die kluge Heilerin Johanna. Freya beschließt, herauszufinden, wer hinter dem Mord an der Päpstin steckt, auch wenn sie damit übermächtige Feinde auf den Plan ruft. 

Rezension: 

Nachdem Freyas Mutter Gisla, die als Leibeigene bei dänischen Wikingern arbeiten musste, 854 von ihrem Peiniger ermordet wurde, flieht Freya zusammen mit ihrer Schwester Asta in die Heimat ihrer Mutter nach Dorstadt. Sie möchte zu ihrem Großvater Gerold, dem einzigen verbliebenen Verwandten. Dieser ist inzwischen in Rom bei der Leibgarde des Papstes angestellt. Als Freya endlich in der ewigen Stadt ankommt, währt ihr Glück nur kurz. Bei der Osterprozession im Jahr 858 kommt Gerold ums Leben - und der Papst erleidet eine Fehlgeburt. Freya, die auf der Flucht mit Asta als Junge verkleidet war, ist beeindruckt von der Tatsache, dass der gütige Papst eine Frau, die Heilerin Johanna war. Freya hatte auf ihrer Flucht Lesen und Schreiben gelernt und Bücher von Medizinern gelesen. Auf ihren weiteren Fluchtwegen - immer auf der Hut vor den rachehungrigen, gierigen Dänen - erweitert sie ihr Wissen in der Heilkunst, kann vielen Menschen helfen und Linderung in ihrer Not schenken, bringt sich in ihrer Rolle als starke, unabhängige Frau, die ihr Leben und das ihrer Familie auch mit der Waffe verteidigt, immer wieder in Gefahr. 

"Das Erbe der Päpstin" ist inspiriert von dem Buch "Die Päpstin". Die Atmosphäre des Romans, der im Zeitraum von 854 bis 867 handelt, ist mit dem Bestseller durchaus vergleichbar. Aufgrund des Titels hatte ich jedoch eine engere Verknüpfung beider Romane erwartet und das Freya die Päpstin länger auf ihrem Weg begleitet hätte. So erzählt der Roman bis auf wenige kurze gemeinsame Szenen eine ganz neue Lebensgeschichte, die von Freya. 

Sie lebt in einer Zeit, die Geprägt ist von Konflikten mächtiger Könige mit der Kirche in Rom und von diversen Raubzügen und Schlachten der Wikinger, die sich weit über Skandinavien hinaus in Richtung Süden ausbreiteten. Der Zeitgeist ist spürbar und durch die bildhafte Beschreibung der Autorin kann man sich gut in die damalige Zeit versetzen lassen und auch Freyas Situation nachempfinden, die es immer wieder erforderte, entweder zurückzustecken in der Hoffnung, Frieden zu finden oder für ihr Recht zu kämpfen und damit in einen Teufelskreis aus Gewalt zu geraten. 
Wie die Päpstin ist Freya eine starke Frau, die ihrer Zeit weit voraus war, Konflikte nicht scheute und mutig für ihre Bedürfnisse kämpfte. Als Figur - einerseits stur und unerbittlich und andererseits mit einem großen Herzen für allem die ihr wohlgesonnen waren und sie auf ihrem Weg begleiteten - wirkte sie wie auch die Nebenfiguren, egal ob Freund oder Feind, authentisch. Man erlebt mit Freya viele Moment des Glücks, aber noch mehr Zeiten der Entbehrungen, der Angst und der Trauer. 

"Das Erbe der Päpstin" ist ein historischer Roman, der die fiktive Geschichte einer jungen Frau erzählt und diese in die historischen Fakten des Mittelalters einbettet. Der Roman ist nicht ganz so mitreißend wie "Die Päpstin", die durch ihre Stellung im Vatikan noch faszinierender in ihrer Rolle war. Er nimmt den Leser dennoch auf eine interessante Reise voller Widerstände, Liebe, Leid und Leidenschaft einer mutigen Frau, die maskulin gegen Wikinger kämpfte und sich auch von hochrangigen Würdenträgern nicht einschüchtern ließ. 


Montag, 21. September 2020

Buchrezension: Leonie Lastella - Das Glück so leise

Inhalt: 

Samuels Leben ist ein Scherbenhaufen. Plötzlich ohne Geld, Job und Freundin ist die einzige Rettung seine reiche, etwas verrückte Großmutter Henriette. Auf einem Gut im norddeutschen Niemandsland betreibt sie eine Agentur, mit der sie Wünsche erfüllt. Doch Henriette denkt gar nicht daran, ihrem Enkel bedingungslos Geld zu schenken. Also muss Samuel bleiben und ihr dabei helfen, die Träume anderer Menschen zu erfüllen. Dabei findet er nicht nur zu sich selbst zurück, er trifft auch Lillan, die seit ihrer Jugend gehörlos ist und mit ihrer kleinen Tochter auf dem Gut lebt. Zwischen den beiden ist es Feindschaft auf den ersten Blick. Doch Sam lernt, sich auf Lillans stille Welt einzulassen. Es folgen Momente des Glücks, bis Samuel einen fatalen Fehler macht. 

Rezension: 

Als Samuel seinen Job in einer Werbeagentur in Hamburg verliert, fährt er zu seiner Großmutter Henriette auf das norddeutsche Gut Auweide, um sie um einen Kredit zu bitten. Diese möchte ihn jedoch nur finanziell unterstützen, wenn er sich bewährt und eine Zeitlang für die Hilfsorganisation "Glücksmomente" gearbeitet hat. Diese hatte sie nach dem Tod ihres Mannes gegründet und hat den Zweck, Menschen einen letzten Wunsch zu erfüllen. 
Auf dem Gut von Henriette wohnt Lillan zusammen mit ihrer achtjährigen Tochter Ida. Lillan arbeitet sowohl auf dem Gestüt, als auch für "Glücksmomente", weshalb sich Sam und Lillan miteinander arrangieren müssen. Lillan lehnte ihn jedoch schon ab, ohne ihn zu kennen, da sie Sam unterstellte, das Erbe von Henriette erschleichen zu wollen. 
Die Antipathie verfliegt jedoch schon bald, als sich Sam und Lillan körperlich näher kommen. Aus Rücksicht auf Ida lassen sie sich nur zögerlich auf eine Beziehung ein. Als sich Lillan nach kurzer Zeit schon von Sam hintergangen sieht, fühlt sie sich in ihren Vorurteilen bestätigt und zieht sich von Sam zurück. 

Aufgrund der vielen positiven Rezensionen bin ich auf den Roman neugierig geworden und hatte mir eine originelle Liebesgeschichte erhofft. 
Der Roman entwickelt sich jedoch genauso wie man es anhand des Klappentextes erwartet. Nach anfänglicher Abneigung verlieben sich zwei Personen ineinander, dann kommt es zu einem Missverständnis, das zur Trennung führt, bevor es nach Umschiffung aller Hürden doch noch zu einem Happy End kommt. Das Konzept geht auch in "Das Glück so leise" auf, was aber so sehr nach Schema F umgesetzt ist, dass der Roman zwar nett, aber schlicht langweilig ist. 
Während Lillan eine toughe Frau ist, die ihre Gehörlosigkeit verbirgt und weder darüber definiert werden noch als behindert gelten möchte, ist Sam als Charakter ohne herausragende Eigenschaften nichtssagend. 
Die Liebesgeschichte entwickelt sich nach meinem Empfinden unglaubwürdig. Die Abneigung von Sam und Lillan wandelt sich abrupt in Liebe um, ohne dass es dafür einen konkreten Auslöser gegeben hätte. Die Liebe zeigt sich dann jedoch allein auf körperliche Art, Emotionen sind kaum spürbar. 
Auch abseits der vorhersehbaren Liebesgeschichte gibt es keine weiteren Erzählstränge, die mich gefesselt haben oder für überraschende Wendungen gesorgt hätten. So ist "Das Glück so leise" ein 08/15-Liebesroman, dem es an Drama und Romantik mangelt und der mich deshalb weder sonderlich gut unterhalten hat, noch Gefühle in mir wecken konnte. 

Samstag, 19. September 2020

Buchrezension: Jennifer B. Wind - Als der Teufel erwachte

Inhalt:

Bei einer Autoreparatur entdecken Mechaniker zwei Leichen im Kofferraum eines Wagens. Die Toten weisen zahlreiche Verletzungen und Narben auf. Die Ermittler Jutta Stern und Thomas Neumann kommen einem Schlepperring auf die Spur, der mit grausamen Methoden arbeitet. Und die beiden Toten sind erst der Anfang. 

Rezension: 

In einer Werkstatt in Wien finden zwei Mechaniker bei einer Reparatur zwei Leichen im Kofferraum eines Autos. Die Halterin des Wagens hat keine Ahnung, wie diese in ihr Fahrzeug gelangen konnten. Es stellt sich heraus, dass es sich bei den männlichen Leich um zwei Flüchtlinge handelt. In Mordverdacht gerät alsbald ihr gewalttätige Exmann, der Serben Milanovic, der jede Schuld von sich weist. Er räumt ein, mit Schmugglern zu kooperieren und dafür heimlich den Wagen seiner Exfrau benutzt zu haben, mit Schleppern habe er allerdings nichts zu tun. Im Zuge der Ermittlungen werden weitere tote Flüchtlinge aufgefunden. 

"Als der Teufel erwachte" ist der Nachfolger des Kriminalromans "Als Gott schlief" um die Kriminalkommissarin Jutta Stern, Polizeipsychologe Tom Neumann und ihren Chef Georg Kunze. Der zweite Band der Reihe setzt wenige Wochen nach dem Klerikerfall ein. Tom ist frisch zurück aus den USA von seiner Hospitation beim FBI, Georg nach seinen Verletzungen genesen - nur Jutta weilt noch in Asien, um ihren Vater zu suchen, benötigt aber auch eine Auszeit, um den Fehler aus dem letzten Fall zu verdauen und den Tod ihres Ehemanns zu verarbeiten. 
Der Roman setzt sich aus drei Handlungssträngen zusammen: Die Ermittlungen im aktuellen Fall der Schleuserkriminalität, Juttas tragisches Privatleben und die dramatischen und brutalen Umstände für die Millionen von Flüchtlingen auf ihrem Weg nach Europa, die anhand herausgehobener Einzelschicksale geschildert werden. Band 2 klärt damit die noch offenen Fragen in Bezug auf Juttas Privatleben aus Band 1 und ist mit der Thematik um die Flüchtlinge gerade wieder brandaktuell. 

Das Buch ist eine Mischung aus Drama und Kriminalroman. Aufgrund der sehr eindringlichen Schilderungen der Situation der Flüchtlinge auf der Flucht, in Auffanglagern oder als Asylsuchende in ihren Zielen in Europa ist spürbar, wie sehr dieses Thema die Autorin bewegt hat. Jedes einzelne Schicksal, das nur ein Beispiel für viele Flüchtende ist, ist bewegend. Die Autorin beschönigt nichts, die Route nach Europa, die Grausamkeit der Schlepper und die schier unerträglichen Bedingen in den Flüchtlingslagern wird auf brutale Art und Weise wiedergegeben. 
Die Aufklärung der Todesfälle gerät dabei fast ein wenig in den Hintergrund, ist jedoch dennoch spannend, da lange nicht durchschaubar ist, wie die einzelnen Fälle miteinander zusammenhängen. Die Ermittlungen und die dazu gehörigen Protagonisten sind glaubwürdig dargestellt. Jede Hauptfigur hat ihre persönlichen Eigenarten, die sie menschlich und authentisch machen. 

"Als der Teufel erwachte" ist für mich kein Thriller, aber ein spannender Kriminalroman, der realitätsnah und (leider) nach wie vor aktuell ist und mit der zwischen den Zeilen zu lesenden Sozialkritik dem Krimi noch eine zusätzliche Komponente gibt, die ihm mehr Tiefe verleiht. 


Freitag, 18. September 2020

Buchrezension: Dani Atkins - Wohin der Himmel uns führt

Inhalt: 

An einem schicksalhaften Tag beschließt Beth, eine lebensverändernde Entscheidung zu treffen. Denn für sie und ihren Mann Tim gibt es noch eine letzte Möglichkeit, Eltern zu werden. Ein letzter gemeinsamer Embryo ist in einer Klinik für künstliche Befruchtung eingefroren. Doch dann ändert ein Anruf der Klinik einfach alles.
Seit acht Jahren ist der kleine Noah das ganze Glück seiner Eltern Izzy und Pete und das Einzige, was die beiden noch zu verbinden scheint. Sie wundern sich nur hin und wieder, dass er keinem von ihnen ähnlich sieht …
Als Beth und Izzy aufeinandertreffen, geraten ihre jeweiligen Welten ins Wanken. Ein Ereignis vor acht Jahren bringt sie auf eine Weise zusammen, die keine von ihnen je für möglich gehalten hätte. Und sie müssen sich beide der Frage stellen: Wie viel Liebe braucht es, um ein Kind loszulassen? 


Rezension: 

Beth Brandon ist Besitzerin eines Blumengeschäfts, das sie zusammen mit ihrem Ehemann Tim aufgebaut hat. Doch Tim ist seit fünf Jahren tot und die Blumensträuße und exotischen Pflanzen können ihr nicht mehr genügend Trost spenden und seine Liebe ersetzen. Eine Möglichkeit bleibt Beth noch, mehr von Tim zu haben, als ihn nur auf dem Friedhof zu besuchen und die möchte sie jetzt nutzen. 
Izzy Vaughan und ihr Mann Pete haben eine Ehekrise, die Gefühle für einander sind verblasst, Pete ist inzwischen aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen und es scheint nur noch der gemeinsame Sohn Noah zu sein, der die beiden verbindet. 
Was Beth und Izzy nicht ahnen, ist, dass das Schicksal sie vor acht Jahren zusammengeführt hat. Als sie nun mit der Wahrheit konfrontiert werden, bricht für beide eine Welt zusammen. 

Der neue Roman der Bestsellerautorin ist wie gewohnt eine schicksalhafte Geschichte über zwei Fremde, die aufeinander treffen, die voller Herzschmerz und Emotionen steckt. 
Abwechselnd wird die Geschichte aus der Perspektive von Beth und Izzy erzählt. Der Schreibstil ist gewohnt empathisch, so dass man sich als Leserin sehr gut in die Gefühlswelten von Beth und Izzy hineinversetzen kann. Als die beiden eine Nachricht erhalten, die sie vor lebensverändernde Entscheidungen stellt, ist es unmöglich, sich auf eine der beiden Seiten zu stellen. Beide sind unschuldig in eine Situation geraten, die nie hätte entstehen dürfen, aber auch nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. 
Es ist unmöglich zu sagen, wie man selbst reagieren würde und so ist es auch nicht vorhersehbar, wie sich Beth und Izzy arrangieren werden. 
In meinen Augen haben sie eine sehr versöhnliche Entscheidung getroffen, die zeigt, wie stark die beiden sind und wie viel ein Mensch an Ängsten und Schmerz aushalten kann. 

Es ist ein Roman der eher leisen Töne über Trauer und Mutterliebe, über Loslassen können und Neuanfänge. Auch wenn ich bei Dani Atkins am Ende immer auf einen Knall-Effekt hoffe, der die ganze Geschichte wieder ins Wanken bringt, konnten mich die Schicksale beider Frauen auch ohne eine überraschende finale Wende berühren. Eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit den Themen Herkunft und Identität, die ein wichtiger Teilaspekt der Geschichte sind, findet leider nicht statt. 


Mittwoch, 16. September 2020

Buchrezension: Rachel Elliott - Bären füttern verboten

Inhalt: 

Sydney Smith ist Freerunnerin, doch an einen Ort wollen ihre Füße sie einfach nicht mehr tragen: nach St. Ives an der Küste Südenglands. Als sie an ihrem 47. Geburtstag endlich den Aufbruch dorthin wagt, wird sie nicht nur mit dem schmerzhaftesten Moment aus ihrer Vergangenheit konfrontiert, sondern auch mit einer Reihe skurriler Menschen: Zahntechnikerin Maria backt Muffins mit heilenden Kräften, Buchhändler Dexter ist mit der Liebe durch und trägt manchmal gerne Kleider, und Belle wohnt mit Ende zwanzig noch immer bei ihren Eltern, trägt "Ich ♥ Otter"-T-Shirts, und führt das Hängebauchschwein der Nachbarn aus. Sie alle eint die Frage, wer eigentlich bestimmt, wann unser Leben einen Sinn hat, und ihre Schicksale verweben sich zu einer tröstlichen Geschichte: über Hilfe, die man nur von anderen bekommt, und darüber, wie man weitermachen kann, wenn die eigene Welt sich nicht mehr dreht. 

Rezension: 

Sydney ist Freerunnerin und 47 Jahre alt, als sie nach St. Ives zurückkehrt, den Ort, an dem ihre Familie vor 37 Jahren auseinandergebrochen ist. Das Freerunning ist mehr als nur ein Hobby. Es wirkt wie ein Weglaufen von Problemen, denen sich Sydney nicht stellen möchte. Als sie jedoch im Rahmen eines Projekts als Karikaturistin ihre eigene Geschichte aufzeichnen sol, sieht sie sich gezwungen, sich den Dämonen der Vergangenheit zu stellen. 
Maria ist Dentalhygienikerin, 58 Jahre alt und lebt in St. Ives. Sie ist unglücklich mit dem Maler Jon verheiratet, der seine Ehefrau schikaniert, um sein eigenes Selbstbewusstsein zu heben. Ihre 29-jährige Tochter Belle wohnt noch bei ihnen und gibt sich den Kick durch kleinere Ladendiebstähle, die nur von ihrem treuen Hund Stuart beobachtet werden. 

Anfangs liest sich die Geschichte nicht ganz einfach, da sie scheinbar wahllos zwischen Vergangenheit und Gegenwart und den einzelnen Protagonisten wechselt. Sie ist so sprunghaft wie Sydney, wenn sie ihrem Hobby nachgeht und von Hausdach zu Hausdach springt. Die Figuren sind jedoch so charakteristisch und individuell gezeichnet, dass ich mir schon nach wenigen kurzen Kapiteln einen Überblick über das Beziehungsgeflecht verschaffen konnte. 

Der Roman ist durch den schnellen Perspektivwechsel sehr lebendig geschrieben. Die Geschichte mutet durch den Tod von Sydneys Mutter, an dem sich Sydney die Schuld zu geben scheint, melancholisch an. Es gibt jedoch immer wieder Passagen - wie die aus Sicht des Hundes Stuart oder die eines Spielzeughasen - die der Geschichte einen heiteren Unterton verleihen. 

Der Roman handelt von Verlust, Schuldgefühlen und dem hilflosen Umgang damit. 
Mit Sydney gibt man sich auf eine Reise, die für sie lebensverändernd ist. Aber auch die anderen Menschen, denen der Leser in St. Ives begegnet, machen am Ende für sich eine Veränderung durch, die erhellend  ist. Trotz der unterschwelligen Traurigkeit und der verschiedenen Probleme, mit denen sich jeder einzelne konfrontiert sieht, ist es ein lebensbejahender Roman, der von Selbstakzeptanz zeugt und Mut macht, sich den Schwierigkeiten des Lebens zu stellen, da einem dabei unvorhergesehen Menschen begegnen können, die ganz uneigennützig helfen. Eine freundliche Geste kann ein ganzes Leben retten!

Am Ende kommt es für alle zentralen Personen zu einem Umbruch in ihren Leben. Dabei hätte ich es favorisiert, wenn die Autorin ein paar Seiten mehr dafür verwendet hätte, die Veränderung zu skizzieren und die Bedeutung für den einzelnen zu vertiefen. 



Montag, 14. September 2020

Buchrezension: Wiebke von Carolsfeld - Das Haus in der Claremont Street

Inhalt:

Wie überlebt man das Undenkbare? Tom weigert sich zu sprechen, nachdem seine Eltern auf brutale Weise sterben. Seine unfreiwillig kinderlose Tante Sonya nimmt ihn auf, kommt aber nicht an den traumatisierten Jungen heran. Bald ist Tom gezwungen, erneut umzuziehen, diesmal in die Claremont Street in der Innenstadt von Toronto, in der ihm seine liebenswert-chaotische Tante Rose und sein Weltenbummler-Onkel Will ein Zuhause geben. Mit der Zeit wird Toms Schweigen zu einer mächtigen Präsenz, die es dieser zerrütteten Familie ermöglicht, einander zum ersten Mal wirklich zu hören. Ein Roman darüber, wie mit viel Humor und Liebe selbst aus den schlimmst möglichen Umständen etwas Positives erwachsen kann. 

Rezension: 

Nachdem Tom Zeuge einer Familientragödie wurde, bei der seine Eltern auf brutale Art und Weise ums Leben kamen, wird er von seiner Tante Sonya aufgenommen, die als sein Vormund bestimmt wurde. Die perfektionistische Sonya und ihr Ehemann Alex sind mit der Situation bald überfordert, denn Tom schweigt beharrlich. Er leidet nach der traumatischen Erfahrung unter selektivem Mutismus. Nach zwei Monaten, in denen Sonya nicht an Tom herangekommen ist, gibt sie resigniert auf und Tom zieht zu seiner Tante Rose, die alleinerziehende Mutter eines 14-jährigen Teenagers ist und im Vergleich zu Sonya chaotischer ist und keine Erwartungen an Tom stellt. Bei ihr wohnt auch Will, das Jüngste der vier Geschwister, der sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält und sich von Toms Schweigen nicht weiter irritieren lässt. 
Alle trauern sie um Mona und geben sich zum Teil sogar die Schuld an ihrem Tod, da sie Warnsignale ignoriert und nicht den Mut hatten, hinzusehen oder gar sich in Monas Familienangelegenheiten einzumischen. Durch die Präsenz von Tom, dem traumatisierten Jungen, der am allermeisten unter dem Verlust seiner Mutter leidet, müssen sich die drei Geschwister der neuen Situation und ihren Gefühlen stellen und haben keine Möglichkeit, den Tod und die Todesumstände ihrer Schwester zu ignorieren. Die Familie wächst in der neuen Konstellation zusammen. 
Während Sonya erkennt, dass ihr Leben nicht so perfekt ist, wie sie dachte, lernt Rose Verantwortung zu übernehmen und zu ihren Fehlern zu stehen und auch Will entwickelt sich weiter und verhält sich mehr seinem Alter entsprechend. 

"Das Haus in der Claremont Street" ist eine berührende Familiengeschichte über einen tragischen und sinnlos brutalen Tod und die Folgen für die Angehörigen. Sie handelt von vier Geschwistern, die nicht nur mit dem Tod der Schwester fertig werden müssen, sondern sich auch noch um den Waisen Tom kümmern müssen, der traumatisiert ist und sich vollkommen in sich zurückgezogen hat. 

Das Buch ist aus wechselnden Perspektiven geschrieben, so dass man Einblicke in die Gefühlswelt jeder Hauptfigur erhält. Der differenzierte Umgang mit Trauer und Verantwortung ist aufgrund der unterschiedlichen Charaktereigenschaften nachvollziehbar dargestellt. Jeder Charakter ist authentisch und individuell gezeichnet. 

Die Geschichte zeigt, wie wichtig es ist, in schwierigen Zeiten (als Familie) zusammenzuhalten und sich gegenseitig Halt zu geben. Trotz der traurigen Thematik ist der Roman nicht rührselig und alles andere als deprimierend zu lesen. Dabei sind es Protagonisten wie Rose und Will, die in der bedrückenden Atmosphäre unfreiwillig für amüsante Episoden sorgen und mit ihrer unkonventionellen Art die Leser*innen für sich einnehmen und auch Tom aus seinem tiefen Tal der Trauer holen und neuen Lebensmut schenken können. 

Es ist eine abwechslungsreiche, lebensbejahende Geschichte voller Emotionen und spannender Momente, die einfach tragisch-schön ist und das Herz erwärmt. Für mich ist das Buch ein Highlight unter den Neuerscheinungen 2020, das ich uneingeschränkt weiterempfehlen kann. 



Samstag, 12. September 2020

Buchrezension: Violet Thomas - Jeden Tag ein neuer Himmel

Inhalt: 

Die junge Krankenschwester Charlotte hat gerade ihre neue Stelle in einem Londoner Kinderhospiz angetreten, als sie auf dem Weg nach Hause einen Song von dem Straßenmusiker Sam hört. Charlotte ist zu Tränen gerührt, denn das Lied heißt „Daisy“, wie ihre vor einem Jahr verstorbene Tochter.
Sam bemerkt Charlottes intensive Reaktion und spricht sie an. Er ist fasziniert von dieser Frau, in der seine Musik so tiefe Gefühle hervorruft, und will Charlotte unbedingt näher kennenlernen. Am Anfang ist Charlotte zurückhaltend, doch bald erliegt sie Sams warmherzigen Charme. Aber das Schicksal legt der gerade erblühenden Liebesbeziehung einige Steine in den Weg. 


Rezension: 

Charlottes Tochter Daisy ist vor knapp einem Jahr verstorben. Nach einer schweren Zeit der Trauer tritt die Kinderkrankenschwester eine neue Stelle in einem Hospiz an und betreut dort den elfjährigen Jungen Hamish, der fünf Jahre auf der Straße gelebt hat. Auf ihrem Weg nach Hause kommt sie an dem Straßenmusiker Sam vorbei, der ein selbst komponiertes Lied namens "Daisy" singt. Charlotte ist tief bewegt und bricht in Tränen aus. 
Sam war die junge Frau, die in der Nähe seines Stammplatzes wohnte und die er für sich als "Lady" bezeichnete, schon mehrfach aufgefallen. Als sie in Tränen aufgelöst vor ihm steht ist auch er tief ergriffen. Abends schreibt er euphorisch ein Lied über die "Sad Lady" und landet damit einen Youtube-Hit. Er möchte sich bei seiner Muse bedanken und die Hintergründe ihrer Traurigkeit wissen. Nach anfänglicher Skepsis öffnet sich ihm Charlotte, die beiden kommen sich näher und verlieben sich in einander. Doch dann wird Charlottes Vertrauen massiv erschüttert. 

"Jeden Tag ein neuer Himmel" ist ein Roman, der fast ausschließlich auf der Gefühlsebene spielt. Der Schreibstil ist poetisch und sehr emotional, was zur Trauer von Charlotte um ihre verstorbene Tochter passt, aber auch zur Stimmung in dem Kinderhospiz, in dem der aufgeweckte Hamish seine letzten Wochen verbringt. Das Buch ist daher eher ruhig, die Atmosphäre melancholisch. Durch die Geschichte von Hamish, dem ein letzter Wunsch erfüllt werden soll und die beginnende Karriere von Sam erhält der Roman jedoch zwei weitere Handlungsstränge, die für Spannung und freudigere Momente sorgen. 
Die Charaktere selbst sind sehr süß und wie die Geschichte sehr gefühlsbetont. Mir driftete das Buch deshalb zu sehr in Richtung Kitsch ab und empfand es zu betont rührselig. 

Es ist ein Buch über Verlust und Trauerbewältigung, über Neuanfänge und den Mut, niemals aufzugeben, sich selbst treu zu bleiben und an sich zu glauben. Durch die vielen Gefühlsausbrüche rückt die Handlung und die Liebesgeschichte in den Hintergrund, während die Gedanken und Emotionen der Protagonisten betont ergreifend sind und die Leserin intensiv mitleiden lässt. 



Freitag, 11. September 2020

Buchrezension: Moses Wolff - Liebe machen

Inhalt:

Als die zwanzigjährige Dagmar in einer lauen Kölner Nacht im März 1970 aus dem Schlaf hochschreckt, ahnt sie nicht, dass in Hamburg ein junger Mann, Götz, ebenfalls wach liegt und denselben Traum träumt wie sie. Und vor allem ahnen weder Dagmar noch Götz, dass das Schicksal sie füreinander bestimmt hat … Noch im selben Jahr werden sie sich auf dem Oktoberfest begegnen, sich verlieben – und dann für lange Zeit aus den Augen zu verlieren, ohne zu wissen, wie nah sie sich eigentlich die ganzen Jahre über sind. 

Rezension:

Dagmar lebt in Köln, ist Journalistin und in den 1970er-Jahren mit Eberhard zusammen, der aber im Gegensatz zu der spontanen und freiheitsliebenden Dagmar ein eher bodenständiges Leben favorisiert. Die Beziehung ist deshalb nicht von Dauer. 
Götz wohnt in Hamburg, hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser und ist 1970 frisch mit Karen zusammen, der Götz' Leben jedoch zu unsolide ist. 
Dagmar und Götz sind beide musikbegeistert, lieben die Songs von Jimi Hendrix oder Rio Reisers "Ton, Steine, Scherben". Sie begegnen sich im September 1970 zufällig auf dem "Love-and-Peace-Festival" auf Fehmarn, dem deutschen "Woodstock". Eine erneute Begegnung erfolgt wenige Wochen später auf dem Oktoberfest in München und dieses Aufeinandertreffen ist magisch. Beide spüren eine intensive Anziehungskraft, die sie sich nicht erklären können. 
Über die Jahre erfolgen einige wenige Zufallsbegegnungen, sogar ein Kuss, aber zu einem ernsthaften Gespräch oder Kennenlernen kommt es nicht. Was bleibt, sind die Erinnerungen an den "Sternenprinz" und die "Fee" und eine Sehnsucht, die sie alljährlich zum Anstich des Oktoberfests erfasst. 

"Liebe machen" ist ein Roman über die Liebe auf den ersten Blick und verpasste Chancen - denn bei Blicken bleibt es weitestgehend auch. Wer eine gefühlvolle Liebesgeschichte erwartet, wird enttäuscht sein, denn die Leben von Dagmar und Götz entwickeln sich parallel, Dagmar in Köln und Götz auf der griechischen Insel Ios. 

Das Buch handelt von 1970 bis 2020 und ist statt einer Romane eine Zeitreise mit dem Schwerpunkt Musik und einigen wenigen herausragenden historischen Ereignissen. Es ist eine Zeitreise mit scheinbar willkürlich ausgewählten medienwirksamen Highlights der vergangenen Jahrzehnte, bei denen Dagmar und Götz episodenhaft in Erscheinung treten. 

Der Beginn des Romans während der wilden 70er hat mir gut gefallen. Zudem ließen die ersten drei Begegnungen von Dagmar und Götz auf eine romantische Liebesgeschichte hoffen. Ab den 1980er-Jahren entwickelte sich der Roman jedoch zu sprunghaft. Einzelne Passagen waren zwar unterhaltsam zu lesen, aber die Episoden blieben nur lose verknüpft und ließen den Roman wie ein Flickenwerk wirken. Bald hatte ich auch die Hoffnung aufgegeben, dass aus Dagmar und Götz ein Liebespaar werden könnte und so lebten Dagmar und Götz ihre Leben, ohne dass "Liebe gemacht" wurde, während ich mich ernsthaft fragte, warum sie nichts aus ihren magischen Momenten gemacht haben. Das Buch ließ mich dementsprechend ratlos zurück, denn wirkliche Hürden, die das große Liebesglück hätten verhindern können, gab es letztlich nicht. 
Der Zeitgeist und das Lebensgefühl wurden gerade während der früheren Jahre anschaulich dargestellt, das Leben der Protagonisten war dagegen wenig interessant.  



Mittwoch, 9. September 2020

Buchrezension: Julius Kron - Die Tote von Dresden


Inhalt: 

Die Kommissare Frank Haberking und Anna-Maria Slakow haben nur eines gemeinsam: nichts zu verlieren. Sie wurden strafversetzt und sollen die zehn Jahre zurückliegende Entführung der Dresdner Familienrichterin Jennie Flagant aufklären. Ein Fall, an dem bisher alle Ermittler gescheitert sind. Jennie Flagant wurde damals in die Zwangsprostitution verschleppt. Da sie wenige Tage nach ihrer Befreiung durch die Polizei Selbstmord beging, blieben viele Fragen offen. Wer hat sie durch diese Hölle gehen lassen und vor allem: Warum? Auf der Suche nach Antworten geraten Slakow und Haberking in einen Fall mit ungeahnten politischen Dimensionen, der sie in höchste Gefahr bringt. 

Rezension: 

Frank Haberking und Anna-Maria Starkow sind Kriminalkommissare, die beide Fehler bei der Bearbeitung vergangener Fälle gemacht haben, deshalb strafversetzt wurden und nun gemeinsam an einem Cold Case arbeiten müssen. Sie sollen den zehn Jahre zurückliegenden Fall um die Richterin Jennie Flagant aufklären, die entführt wurde, zur Prostitution gezwungen wurde und sich aus Verzweiflung umgebracht hat. 

Haberking ist ein prinzipientreuer Ermittler, der vor allem an seine Familie denkt und sich beruflich nichts mehr zu Schulde kommen lassen möchte. Auf mich wirkte er für einen Polizisten zu weich und in Bezug auf seine Ehefrau und seine beiden Kinder schon fast weinerlich. Starkow ist dagegen eine toughe Frau, die eher unkonventionell arbeitet und nicht davor zurückscheut, sich in Gefahr zu bringen. Da es sich bei "Die Tote von Dresden" um den Auftakt einer Reihe handelt, könnten sich die beiden ungleichen Ermittler insofern auch in folgenden Fällen gut ergänzen. 
Die Ermittlungen im Fall der verschleppten Jennie Flagant empfand ich allerdings als wenig spannend geschildert. Neue Spuren ergaben sich fast von selbst und wurden etwas sprunghaft verfolgt, ohne dass die zahlreichen in den Fall involvierten Personen längerfristig eine größere Rolle gespielt hätten. Ich fand das Durcheinander aus Serbenmafia, fragwürdigen Politikern und Korruption innerhalb der Polizeistrukturen sehr wirr. 
Die Rückblenden in die Jahre 1995 und 2006 fand ich dagegen dramatischer und fesselnder. Nur diese sorgten dafür, dass ich das Buch nicht öfter zur Seite gelegt hatte, da die Handlung in der Gegenwart einerseits sehr konstruiert und verworren wirkte und andererseits mit den Sorgen Haberkings um seine Familie die Nerven strapazierte, während man zur interessanteren Figur Starkow gar keine Hintergründe erhielt. So war es für mich etwas zu einseitig, könnte aber bewusst so gewählt worden sein, um sich weitere Optionen für folgende Bände offen zu halten. 

Trotzdem fand ich den Auftakt der Reihe für einen Krimi nicht spannend genug und auch der Stil der Ermittlungen konnte mich nicht wirklich neugierig auf nachfolgende Fälle von Haberking und Starkow machen. 



Montag, 7. September 2020

Buchrezension: Petra Hammesfahr - Nach dem Feuer

Inhalt: 

Wer ist der Junge, der sich schwer verletzt aus einem brennenden Wohnmobil retten konnte? Warum verschweigt er seinen Namen? Welches schreckliche Geheimnis versucht er zu verbergen? Hauptkommissarin Rita Voss weiß bei den Befragungen bald nicht mehr, ob sie mit einem geistig zurückgebliebenen Jugendlichen oder mit einem hochintelligenten Schauspieler spricht. Sie sucht Rat bei ihrem früheren Vorgesetzten Arno Klinkhammer, der kurz darauf begreifen muss, wer der Junge ist: Der Sohn einer Frau, die ihren Mann vor acht Jahren beschuldigte, sich an der eigenen Tochter vergangen zu haben. Der Mann verschwand daraufhin. Nun wurde die Frau auf bestialische Weise umgebracht. Wer ist ihr Mörder? Der Mann oder der Sohn? 

Rezension: 

Beim Brand eines Wohnmobils, das in einer Deponie abgestellt worden war, wird ein Junge aufgefunden, der sich aus den Flammen retten konnte. Er wird mehrfach von der Polizei befragt, kann jedoch kaum Angaben zum Brand machen und schweigt beharrlich über seine Identität. Er wirkt deutlich jünger, als er sein muss, scheint geistig zurückgeblieben. 
Nur durch zähe Ermittlungen stellt sich heraus, dass es sich bei dem Jungen um den 15-jährigen David Lackner handelt. Seine Mutter wird tot in der Wohnung aufgefunden, wurde regelrecht hingerichtet. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass es sich bei dem Mord um einen Akt der Rache gehandelt haben muss. Ein Motiv hat sowohl David, der mutmaßlich von seiner Mutter misshandelt wurde, aber auch ihr Ex-Mann, der von ihr beschuldigt worden war, die gemeinsame Tochter zu missbrauchen. 

"Nach dem Feuer" ist eine Mischung aus komplexem Familiendrama und spannendem Kriminalroman. Das Buch ist aus unterschiedlichen Perspektiven geschrieben und wechselt zwischen der Gegenwart nach dem Feuer und Ereignissen in der Vergangenheit, die verantwortlich für die Entwicklung der Tragödie war, die in einer Verzweiflungstat gipfelte. 
Der Roman ist raffiniert konstruiert, wobei es zu Beginn der Ermittlungen und Rückblenden in die Vergangenheit nicht ganz einfach ist, sich einen Überblick über die handelnden Figuren zu verschaffen und das Beziehungsgeflecht in der Familie aus drei Generationen zu durchschauen. Auch das Verhalten des Jungen, der wie ein Siebenjähriger denkt und sich artikuliert gibt Rätsel auf, weshalb man besonders gespannt sein darf, wie es den Ermittlern gelingt, den Fall zu lösen und herauszufinden, wer Opfer und wer Täter ist, insbesondere da hier auch die Opfer selbst nicht unschuldig sind. 

Der Roman handelt von einer dysfunktionalen Familie, von Schuld und Rache und von Ermittlungen durch eher unnahbare Kommissare, die sich durch schwierige Zeugen äußerst zäh gestalten. Es ist eine drastische Geschichte über einen perfiden Plan und menschliche Abgründe, die sich auftun.



Samstag, 5. September 2020

Buchrezension: Cheryl Kaye Tardif - Versunken

Inhalt: 

Kummer und Verlust sind Marcus Taylors tägliche Begleiter geworden. Erst verlor er durch einen tragischen Autounfall seine Frau und seinen Sohn, wenig später durch Depressionen und Tablettensucht auch noch seine vielversprechende Karriere als Rettungssanitäter. Nun arbeitet er als Telefonist in der Notfallzentrale – für ihn der einzige Weg, etwas von seiner Schuld zurückzuzahlen. Bis er einen Anruf bekommt. Von einer Frau, die in ihrem Auto eingeschlossen ist.
Rebecca Kingston sehnt sich nach diesem Wochenendausflug, an dem sie in Ruhe über die drohende Scheidung von ihrem gewalttätigen Ehemann nachdenken will. Doch als sie ein mysteriöser Lastwagen von der Straße und in einen Fluss abdrängt, findet sie sich eingeklemmt hinter dem Lenkrad ihres Wagens wieder. Weder kann sie sich befreien, noch ihren beiden Kindern auf der Rückbank helfen. Ihr einziger Rettungsanker ist ihr Handy, dessen Batterie zur Neige geht, und die beruhigende Stimme eines Fremden, der ihr verspricht, dass alles gut werden wird. 


Rezension: 

Marcus Taylor arbeitet als Dispatcher bei der Rettungsleitstelle 911, nachdem er aufgrund seiner Medikamentensucht seine Arbeit als Rettungssanitäter verloren hat. Die unkontrollierte Einnahme von Opiaten begann wegen Rückenschmerzen und verstärkte sich durch den Unfalltod seiner Frau und seines Sohnes vor sechs Jahren. Marcus ist depressiv und ohne Perspektive. 
Rebecca Kingston ist Mutter zweier Kinder, die sich gerade frisch von ihrem gewalttätigen Ehemann Wesley getrennt hat. Auf dem Weg in einen Kurzurlaub erleidet sie mit ihrem Auto nachts auf abgelegener Straße einen Unfall und ruft eingeklemmt die 911. 
Damit kreuzen sich die Wege von Marcus und Rebecca. Geplagt von Schuldgefühlen, weil er für seine Familie nichts tun konnte, hat Marcus einen besonderen Ehrgeiz, Rebecca und ihre Kinder zu retten. 

Der Roman ist abwechselnd aus der Perspektive von Marcus und Rebecca geschrieben, so dass man ihre Situation und Gefühlslage sehr gut nachvollziehen kann. Während Marcus verbittert, traurig und wütend auf sich selbst ist, ist Rebecca verunsichert, ob die Trennung von ihrem Ehemann der richtige Schritt gewesen ist. Wesley war stets ein guter Vater, was aber nicht über die gewalttätigen Wutanfälle ihr gegenüber hinwegtäuschen kann. 

Nach einer langen Einleitung, in der man die Protagonisten kennenlernt, ereignet sich der Unfall, der nicht nur aufgrund der lebensgefährlichen Lage von Rebecca für Spannung sorgt, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass sie zuvor massiv von einem Pick-up genötigt und von der Straße gedrängt wurde. Die Rettungsaktion, aus der Marcus als Held hervorgeht, ist dramatisch und spannend dargestellt. Vom Retter zum Flirt und persönlichen Bodyguard für Rebecca ist es dann nur ein kurzer Weg, was ich zu idealistisch und romantisierend empfand, was vor allem auch durch den Hauch von Mystik unterstützt wird.  

"Versunken" ist ein dramatische Geschichte mit Krimielementen, aber kein packender Thriller. Die Leben von Marcus und Rebecca sind in einem Umbruch begriffen. Der Unfall, der für jeden von beiden aus einem anderen Grund tragisch ist, stellt für beide einen Neuanfang dar. Sie schöpfen neue Hoffnung und blicken in die Zukunft statt weiter mit ihrer Vergangenheit zu hadern. 

Der Roman ist etwas anders als erwartet, da nicht wie von mir vermutet, allein eine dramatische Rettungsaktion im Fokus steht. Das Buch bietet mehr - komplexe Themen wie jahrelange Schuldgefühle, Gier bis zur Kriminalität, Drogensucht - auch wenn die Charaktere etwas klischeehaft dargestellt sind. Dafür überrascht der Roman jedoch durch Wendungen, die trotz kleinerer Längen in der Handlung wieder für Spannung sorgen, auch der ehemalige Rettungssanitäter immer wieder zum Held stilisiert wird.  



Freitag, 4. September 2020

Buchrezension: Penny Vincenzi - Der Glanz vergangener Tage

Inhalt: 

England 1939: Als die junge, aus einfachen Verhältnissen stammende Grace den wohlhabenden Charles Bennett heiratet, steht die Zukunft ihrer Ehe bereits auf dem Spiel. Charles kümmert sich wenig um sie, und Grace fühlt sich unwohl in der feinen Gesellschaft seiner herablassenden Schwester Florence und der attraktiven Clarissa. Doch dann ziehen ihre Männer in den Krieg. Im Sturm, der um sie tobt, werden Grace, Florence und Clarissa allmählich zu Freundinnen, und Grace verliebt sich in den Soldaten Ben. Doch hin und her gerissen zwischen Schicksalsschlägen, Liebe und Verrat muss sich bald jede der drei Frauen fragen, ob sie ihrem Herz folgen darf. 

Rezension: 

Wenige Monate vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs heiratet Grace Marchant den gut situierten Rechtsanwalt Charles Bennett. Von seiner Familie wird sie als nicht standesgemäß empfunden und auch sie selbst fühlt sich dort insbesondere in der Gegenwart ihrer überheblichen Schwägerin Florence Grieg nicht wohl. Auch die überschäumende Clarissa Compton Brown, die Ex-Verlobte von Charles, die dieser verschwiegen hatte und im Haus der Bennetts ein- und ausgeht, ist Grace suspekt. Während Charles Grace vor der Hochzeit hofierte, versucht er sie danach kleinzuhalten. Ihren Beruf musste sie auf seinen Wunsch hin aufgeben, um sich zukünftig ganz auf ihr gemeinsames Heim konzentrieren zu können. 
Als Charles in den Krieg eingezogen wird, fühlt sich Grace einsam und gelangweilt und meldet sich gegen seinen Willen freiwillig dafür, Kinder aus der bombardierten Stadt London aufzunehmen. Sie schließt die beiden Brüder Daniel und David schnell in ihr Herz und auch ihr Vater, der kriegsversehrte Witwer Ben Lucas, ist ihr nicht gleichgültig. 

Florence leidet unter ihrem gewalttätigen Ehemann Robert, der sich nach außen als tugendhaft und integer darstellt. Sie flüchtet sich in eine Liebesbeziehung mit dem Musiker Giles Henry, der sie aufrichtig liebt, wagt es aber nicht, Robert zu verlassen, selbst als er in den Krieg ziehen muss. 

Clarissa meldet sich freiwillig für den weiblichen Marinedienst, als ihr Ehemann Jack von der Royal Airforce eingezogen wird, und ist stolz darauf, einen sinnvollen Beitrag für ihr Land leisten zu dürfen. Im Gegensatz zu anderen Frauen, die unter den Folgen des Krieges und der Abwesenheit ihrer Männer leiden, blüht Clarissa regelrecht auf und kokettiert mit ihrer Weiblichkeit, bis Jack abgeschossen und lebensgefährlich verletzt wird. 

"Der Glanz vergangener Tage" ist ein epischer Roman, der sich über zehn Jahre, darunter der Zeitraum des Zweiten Weltkriegs erstreckt, und von drei Frauen unterschiedlicher sozialer Herkunft handelt, die in unbeständigen Zeiten für Liebe und Freiheit kämpfen. 
Der Roman ist aus den verschiedenen Perspektiven der drei weiblichen Hauptfiguren geschrieben. Weite Teile handeln von Grace, die zunächst etwas unscheinbar und naiv ist, nach der Hochzeit mit Charles in einem goldenen Käfig gefangen ist und erst durch die Abwesenheit ihres Mannes ihre Stärke beweisen kann. 
Florence wirkt auf den ersten Eindruck und so wie sie Grace kennenlernt, egoistisch und überheblich. Blickt man jedoch hinter die Fassade, kann man Verständnis für ihr ungehobeltes Verhalten aufbringen und erkennen, dass sie sich hinter einem Schutzpanzer versteckt und andere bewusst auf Distanz hält. 
Clarissa ist eine Frau, die das Leben liebt und die Anerkennung und Bewunderung von anderen braucht. Als ihr Ehemann so schwer verletzt wird und sie ihn zu verlieren droht, setzt ein Umdenken bei ihr ein und sie erkennt den Wert von wahrer Liebe und Treue. 

Alle drei Geschichten zeugen von Liebe und Verrat und sind eng miteinander verbunden. Sie stecken voller Emotionen und überraschender Wendungen, so dass der Roman trotz seines Umfangs von 850 Seiten nie langweilig wird. Gespannt verfolgt man, wie sich die drei Frauen ausgelöst durch die Kriegsereignisse und aufgrund ihrer persönlichen Tragödien weiterentwickeln und verändern und wie sie an ihren Herausforderungen wachsen. 
Es ist ein historischer Roman, in der der Zweite Weltkrieg und seine Folgen für die britische Zivilbevölkerung den Rahmen für die Handlung vorgeben, im Fokus stehen jedoch die Frauen, wie sie ihre neuen Rollen finden und erfüllen und welche Auswirkungen die Kriegsereignisse auf ihre Beziehungen und ihre Vorstellungen von Familie und Liebe haben.