Mittwoch, 2. September 2020

Buchrezension: Amelie Fried - Die Spur des Schweigens

Inhalt: 

Journalistin Julia schlägt sich mühsam als freie Schreiberin durch und träumt von der großen, investigativen Story. Sie erhält einen Hinweis auf mögliche sexuelle Übergriffe in einem renommierten Forschungsinstitut. Der Me-too-Debatte überdrüssig, geht sie dem Verdacht zunächst nur halbherzig nach. Als sich aber die erste Betroffene bei ihr meldet und Julia den attraktiven Hauptverdächtigen kennenlernt, ist ihr Reporterinnen-Instinkt geweckt.
Am Institut stößt sie auf ein gefährliches Gemisch aus Machtmissbrauch, Schweigen und Vertuschung – und auf eine schockierende Verbindung zu ihrem Bruder Robert, der zwölf Jahre zuvor spurlos verschwunden ist. Plötzlich muss Julia sich unangenehme Fragen stellen: Was hat Robert mit dem Selbstmord einer chinesischen Doktorandin zu tun? Warum wurde seine Leiche nie gefunden? Hat sie all die Jahre etwas übersehen?


Rezension: 

Julias Bruder verschwand vor zwölf Jahren bei einem Trekkingunfall in Norwegen, ein Ereignis, das die ganze Familie aus der Bahn geworfen hat. Eine Trauer und ein Abschluss mit dem Verlust war bisher nicht möglich, da immer noch die Hoffnung bleibt, dass Robert überlebt haben könnte. Julia erträgt die Ungewissheit nur schwer, kann keine langfristigen Beziehungen eingehen, ertränkt ihre Sorgen im Alkohol und schlägt sich als freie Journalistin bei einem Gesundheitsmagazin so durch. Artikel über Venenleiden können ihren journalistischen Ehrgeiz nicht wecken, weshalb sie den Chefredakteur um eine reizvollere Aufgabe bittet. Dieser stößt sie auf ein Forschungsinstitut, in dem es zu sexuellen Übergriffen auf Studentinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen gekommen sein soll. Julia sah die Metoo-Debatte bisher kritisch, beginnt jedoch mit Recherchen an dem Institut, in dem auch ihr Bruder als Assistent gearbeitet hatte. Sie stößt zunächst auf eine Mauer des Schweigens, bis sich ihr eine der chinesischen Mitarbeiterinnen öffnet, jedoch anonym bleiben möchte. Je tiefer Julia bohrt, desto größere Ausmaße nimmt die Story an, mit der Julia nicht gerechnet hätte. 

"Die Spur des Schweigens" greift ein Thema auf, das immer wieder Schlagzeilen in den Medien macht und ist deshalb brandaktuell. Es geht um sexuelle Übergriffe auf Frauen im Berufsleben und den Druck der von Vorgesetzten ausgelöst wird, um Frauen an einer Karriere zu hindern. Bei den Übergriffen kann es sich um scheinbar harmlose Sprüche, aber auch um angrapschen bis hin zu Vergewaltigungen handeln. All dies soll sich über die Jahre in dem Forschungsinstitut ereignet haben, ohne dass sich eine Frau getraut hätte, dies zur Anzeige zu bringen oder die Vorwürfe waren mit Beschwichtigungen und mittels Versetzungen unter den Teppich gekehrt worden. 
Das Szenario ist realistisch und auch die Charaktere wirken sehr authentisch. Insbesondere in Julia, deren Leben vom Verlust ihres Bruders gezeichnet ist, kann man sich gut hineinversetzen. Durch ihre Recherche wird jedoch auch bewusst, was Frauen im Berufsleben erleben und ertragen müssen und wie schwierig es ist darauf zu reagieren bzw. welche Folgen ausgelöst werden, wenn ein Skandal dieser Art aufgedeckt wird und an die Öffentlichkeit gelangt. Insbesondere der Vorwurf, das Frauen aus Rache solche Gerüchte in die Welt setzen, wiegt schwer und ist einer der wesentlichen Gründe, warum viele Frauen sich nicht trauen, sich zu wehren. 

Die Geschichte ist sehr eindringlich geschildert und bis zum Ende spannend. Sowohl die Recherche für Julias Artikel als auch die Suche nach ihrem Bruder, für die sie durch ihre Recherche neue Hinweise erhalten hat, erzeugen eine Sogwirkung. Durch den Einblick in das Seelenleben der Figuren und durch Julias bewegtes Privatleben berührt der Roman aber auch auf der Gefühlsebene. 
"Die Spur des Schweigens" bietet damit die perfekte Mischung aus emotionalen und spannenden Momenten und greift engagiert ein diskussionswürdiges Thema auf, das nicht nur einseitig beleuchtet wird. Auch die Problematik von gebrandmarkten Männern, die zu unrecht verdächtigt werden, Frauen zu nahe getreten zu sein, findet ihre berechtige Erwähnung.  



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