Samstag, 30. Oktober 2021

Buchrezension: Romy Hausmann - Marta schläft

Inhalt:

Es ist Jahre her, dass man Nadja für ein grausames Verbrechen verurteilt hat. Nach ihrer Haftentlassung wünscht sie sich nichts sehnlicher, als ein normales Leben zu führen. Doch dann geschieht ein Mord. Und der soll ungeschehen gemacht werden. Ein abgelegenes Haus wird zum Schauplatz eines bizarren Spiels ‒ denn Nadjas Vergangenheit macht sie zum perfekten Opfer. Und zur perfekten Mörderin. 

Rezension: 

Nadja Kulka stammt aus Polen und hat in ihrer Kindheit Schreckliches erlebt. Auch wenn sie ihre Unschuld beteuerte, wurde sie als Jugendliche für einen Mord verurteilt und hofft nach der Entlassung aus dem Jugendgefängnis in Deutschland ein neues, freies Leben zu beginnen. Doch die Dämonen der Vergangenheit begleiten sie auch zwanzig Jahre später. 
Als eine Freundin, die gleichzeitig die Ehefrau von Nadjas Chef ist, im Affekt ihren Liebhaber tötet und sie bittet, ihr zu helfen, ist Nadja bereit, die Leiche verschwinden zu lassen. Womit sie nicht gerechnet hat, ist, dass hinter der Bitte ein ganz anderer Plan steckt. Fast zu spät erkennt sie, dass sie erneut für einen Mord verantwortlich gemacht werden soll und setzt sich zur Wehr. 

"Marta schläft" ist ein Thriller, der unnötig komplex aufgebaut ist. Zwei Handlungsstränge, zwei Morde und zwischen den Kapiteln Briefe von Nadja, die den Leser in die Vergangenheit versetzen. Auch die beiden Handlungsstränge wechseln zwischen Gegenwart und Vergangenheit, wobei lange nicht erkennbar ist, wie die beiden unabhängigen Geschichten zusammengehören könnten. Selbst als Überschneidungen zu erkennen sind, ist das Verhalten der überwiegend unsympathischen Charaktere so undurchsichtig, dass es weiterhin schwerfällt, der Handlung zu folgen. Die Spannung ist deshalb auf niedrigem Niveau, da man viel zu lange auf einen Aha-Moment wartet. 
Erst bei der Vertuschung des Mordfalls im letzten Drittel des Romans kann die Handlung fesseln, jedoch entwickelt sich die Inszenierung durch mehrere Wendungen so unglaubwürdig, dass einem das Schicksal der Charaktere gleichgültig wird. Zudem führt ihr ambivalentes Verhalten dazu, dass die gesamte Geschichte und ihr wirrer Aufbau konstruiert und wirklichkeitsfern erscheint. 
Der zweite Erzählstrang gerät ab der Hälfte des Romans komplett in Vergessenheit und wird erst auf den letzten beiden Seiten wieder aufgegriffen. Für die Geschichte um Nadja ist dieser Teil des Buches letztlich überflüssig, so dass man als Leser irritiert zurückbleibt und den zähen Roman getrost um 100 Seiten hätte kürzen können. 

Freitag, 29. Oktober 2021

Buchrezension: Éliette Abécassis - Mit uns wäre es anders gewesen

Inhalt:

Amélie und Vincent treffen sich in jungen Jahren an der Sorbonne in Paris. Aus tiefen Blicken wird eine Nacht, in der sie an der Seine entlangspazieren. Im Morgengrauen verabreden sie sich für den nächsten Tag. Vincent kommt, Amélie nicht. Zerfressen von Unsicherheit befürchtet sie, Vincents Interesse könne nicht ernst gemeint sein. Als sie schließlich doch zum Treffpunkt eilt, ist Vincent fort. Jahre vergehen, Vincent und Amélie erleben andere Leidenschaften und andere Ernüchterungen. Sie gehen Ehen ein, bekommen Kinder und warten auf ein Familienglück, das sich nicht einstellt. Der Zufall und später das Internet führen die Wege der beiden über den Verlauf von dreißig Jahren immer wieder zusammen. Mittlerweile steht jedoch etwas viel Größeres zwischen ihnen als Unsicherheit: das Leben. 

Rezension: 

Amélie und Vincent begegnen sich 1989 als Studenten in Paris, verbringen einen Abend gemeinsam und verabreden sich für den nächsten Tag. Während Vincent pünktlich am Treffpunkt ist, kommt Amélie erst eine Stunde später, da sie verunsichert von ihren starken Gefühlen für Vincent ist. 
Zehn Jahre später treffen sie zufällig bei einer Silvesterfeier aufeinander. Amélie spürt nach wie vor das Verlangen für Vincent, doch dieser geht nicht darauf ein, denn er ist inzwischen verheiratet. 
Auch Amélie wird heiraten, beide bekommen sie Kinder, sind aber stets unglücklich in ihrer jeweiligen Situation. Die Partner passen nicht, ihre ganze Liebe stürzen sie auf ihre Kinder und hin und wieder treffen sich Amélie und Vincent wieder, nachdem es über die Jahre einfacher geworden ist, sich über Social Media zu verfolgen. 
Dreißig Jahre nach ihrer ersten Begegnung treffen sie sich wieder und bereuen, dass sie früher nicht mutiger gewesen waren und zu ihren Gefühlen hatten stehen können. 

Aufgrund des geringen Umfang des Romans (144 Seiten) hatte ich nicht allzu viele Erwartungen an die Geschichte, aber nicht einmal diese wurden erfüllt.
Nach der ersten Begegnung von Vincent und Amélie wird kapitelweise abwechselnd aus den Leben von beiden Protagonisten erzählt. Beide sind sie nicht wirklich zufrieden, hadern mit ihrem Leben und ihren Entscheidungen, werden mit ihren Ehepartnern nicht glücklich, unternehmen aber auch nichts, etwas an ihrer Situation zu ändern. 
Verbindungen zwischen den beiden gibt es kaum, sie treffen sich nur alle Jubeljahre, Telefonate, Briefe oder ähnliches gibt es in der Zwischenzeit nicht. Bei den wenigen Treffen kommen sie sich ein winziges Stück näher, aber dann stellt sich heraus, dass ein Kind geboren wurde oder unterwegs ist und schon brechen sie den Kontakt wieder ab. 

Durch den distanzierten Schreibstil bleiben die Charaktere fremd und ich konnte ihre Handlungen kaum nachvollziehen. Auch verspürte ich keine Liebe zwischen ihnen, da es keine Zweisamkeit gab. 
Trotz der wenigen Seiten wiederholt sich die Autorin mehrfach, sei es in den Charakterbeschreibungen den Parallelen in den Leben von Vincent und Amélie oder in den ähnlich ablaufenden Treffen.

Dreißig Jahre später bereuen sie es, dass das erste Date scheiterte, aber ich bin mir nicht sicher, ob die beiden sehr ich-bezogenen Personen miteinander glücklich geworden wären. Von Romantik ist in dieser Geschichte nichts zu spüren. "Mit uns wäre es anders gewesen"? Mehr als fraglich. 

Eine Randbemerkung: Abgesehen vom schwachen Inhalt, ist der Preis für dieses schmale Büchlein völlig überzogen.  

Mittwoch, 27. Oktober 2021

Buchrezension: Cecelia Ahern - Sommersprossen: Nur zusammen ergeben wir Sinn

Inhalt:

Allegra hat ihre Sommersprossen von ihrem Vater geerbt. Für sich selbst hat sie die Verbindung zwischen den wichtigen Punkten im Leben noch nicht raus. Sie ist nach Dublin gezogen, um ihre Mutter zu finden. Hier arbeitet sie als Hilfspolizistin, verteilt auf ihren täglichen Runden Strafzettel. Allegra lebt ziemlich allein, lässt niemanden nah an sich heran. Bis ihr eines Tages ein arroganter Ferrari-Fahrer diese Fünf-Menschen-Weisheit an den Kopf wirft. Allegra geht die Frage nicht mehr aus dem Kopf: Wer sind eigentlich die wichtigsten Menschen in meinem Leben? Eine Geschichte, die uns auf unsere ganz persönliche Suche schickt und zeigt: Wir sind wie Sternbilder am Nachthimmel, nur in Verbindung miteinander ergibt unser Leben Sinn. 

Rezension:

Allegra Bird, genannt Freckles, ist 24 Jahre alt und auf Valentia Island in Irland bei ihrem Vater, Pops, aufgewachsen. Ihr Traum war es, Polizisten zu werden und für Recht und Ordnung zu sorgen, aber daraus ist nichts geworden. Stattdessen arbeitet sie seit einigen Monaten in Dublin als Verkehrsüberwacherin für den ruhenden Verkehr. Der Beruf macht ihr Spaß und zum Leidwesen so mancher Autofahrer und Falschparker ist Allegra mit viel Engagement im Einsatz. Auf diese Weise lernt sie Tristan kennen, den Fahrer eines gelben Ferraris, der grundsätzlich auf einen Parkschein verzichtet. Allegra fühlt sich durch ihn provoziert und in einem Streitgespräch macht er sie darauf aufmerksam, dass jeder Mensch von fünf Personen, die ihm nahestehen, geprägt ist, was sie zum Nachdenken bringt. Fortan macht sie sich auf die Suche nach fünf Identitätsfiguren und erinnert sich auch wieder an  ihre Mission, warum sie eigentlich nach Dublin gekommen ist. 

"Sommersprossen" ist ein Roman über eine etwas sonderbare junge Frau, die von ihrer Kindheit traumatisch geprägt ist. Sie ist ein verletzlicher Mensch, der seine festen Routinen braucht und lieber lose Kontakte pflegt, als sich fest an einen Menschen zu binden. Durch Falschparker Tristan fällt ihr erst auf, dass sie kaum noch Kontakt zu ihren alten Freunden hat und in Dublin noch keine neuen gefunden hat. Wie sie früher als Kind Verbindungen zwischen ihren Sommersprossen suchte und diese zu Sternbildern zeichnete, sucht sie nun Verbindungen zu Menschen, die ihr Leben ausmachen und sich als Charakter formen. 

Das Buch ist eine inspirierende Geschichte über eine Sinnsuche und eine Frau, die von Enttäuschungen geprägt, Menschen auf Abstand hält. Durch den Vorfall mit dem Falschparker, der sich letztlich als gar nicht so unsympathisch entpuppt, entwickelt Allegra eine Sehnsucht nach Menschen, mit denen sie sich verbunden fühlt. Durch Allegras eigensinnige Art, die einerseits hilfsbereit und freundlich, aber andererseits engstirnig und gnadenlos sein kann, ist der Roman äußerst unterhaltsam geschrieben. Auch die Nebencharaktere sind einzigartig und machen die Geschichte lebendig. 

Auch wenn es zu Beginn nicht ganz einfach ist, einen Zugang zu Allegra zu finden, spürt man, das sie einen Panzer um sich errichtet hat, um sich vor Verletzungen zu schützen. Als mehr Hintergründe zu ihrer Vita bekannt werden, fällt es leichter, sie und ihr strikt regelkonformes Verhalten zu verstehen und kann ihre Sehnsucht nach Liebe, Freundschaft und Halt nachvollziehen. Die Suche nach ihren Mentoren betreibt sie wieder typisch eigentümlich und auf ihre sozial unbeholfene Art und Weise, womit sie andere Menschen unwillkürlich vor den Kopf stößt und gar nicht merkt, dass sie wahre Freunde schon um sich herum hat. 

Die charmante Geschichte hat mir insbesondere aufgrund der liebenswert eigenartigen Freckles gefallen. Die Frage nach den fünf Menschen, die einen Charaktere formen, ist zudem originell und stimmt nachdenklich, da man sich auch selbst mit der Frage konfrontiert sieht. Die Umsetzung von Allegras Sinnsuche ist anrührend, einfühlsam und humorvoll beschrieben. Die Geschichte handelt von Freundschaft und einem Halt im Leben und von einer tapferen jungen Frau, die für ihre Ziele kämpft. 

Montag, 25. Oktober 2021

Buchrezension: Rebekka Knoll - Herbstregenküsse

Inhalt:

Als Fotografin Ranya an einem Herbstabend auf einen Hügel klettert, um das aufziehende Gewitter mit ihrer Kamera festzuhalten, geschieht es – sie wird vom Blitz getroffen. Ranya trägt nur eine kleine Verletzung davon, doch etwas ist mit einem Mal anders: Sie fühlt sich mutiger als jemals zuvor in ihrem Leben. Endlich wagt sie es, ihre Verlobung mit dem arroganten Claus in Frage zu stellen. Bei einem Treffen für Blitzschlagopfer lernt sie Adam kennen. Ihn hat derselbe Blitz getroffen wie Ranya, und seitdem glaubt der TV-Meteorologe, das wichtigste Ereignis in seiner Vergangenheit vergessen zu haben. Ranya will ihm helfen. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach seiner verlorenen Erinnerung – und verlieben sich dabei unsterblich ineinander. Doch dann ziehen am Horizont neue Wolken auf. 

Rezension: 

Am 1. September wird die Pressefotografin Ranya beim Feiern ihres Junggesellinnenabschieds von einem Blitz getroffen. Die physischen Verletzungen heilen schnell, aber Ranya spürt seitdem eine unerklärliche Wut in sich, verhält sich aufsässiger und beginnt, die Beziehung zu ihrem Verlobten Claus in Frage zu stellen. 
Der Fernsehmeteorologe Adam Münchberg wurde zeitgleich mit Ranya nur wenige hundert Meter entfernt vom selben Blitz getroffen. Beide lernen sich im Rahmen eines Seminars für Gewitteropfer kennen. Während sich Ranya mit einigen Teilnehmern anfreundet und sie eine Art Selbsthilfegruppe gründen, grenzt sich Adam ab. Er hat seit dem Blitzeinschlag mit Erinnerungslücken zu kämpfen und glaubt, Ranya schon einmal begegnet zu sein. Er verspürt eine Abneigung gegen sie, die er sich nicht erklären kann. Dennoch überredet er sie zu einer gemeinsamen Reise auf der Jagd nach Gewittern. Obwohl Ranya seit ihrem Unfall Angst vor Unwettern hat, stimmt sie zu, denn sie fühlt sich von Adam magisch angezogen. 

"Herbstgewitterküsse" ist abwechselnd aus der Perspektive von Ranya und Adam geschrieben, so dass es leicht fällt, sich in beide Charaktere hineinzuversetzen. Gerade die Kapitel von Ranya lesen sie wie ein Brief an Adam, denn sie spricht ihn immer wieder direkt gedanklich an. Adam denkt auch häufig an Ranya, in seinen Gedanken fühlt er sich jedoch in das Fernsehen versetzt, gibt Interviews oder steht bei einem Auftritt auf der Bühne. Er sucht ganz offensichtlich nach Applaus und Anerkennung, insbesondere da er seit dem Unfall von seinem Sender aus dem Programm entfernt wurde. 

Sowohl Ranya als auch Adam haben seit dem Blitzeinschlag mit Persönlichkeitsveränderungen zu kämpfen, sind verwirrt und fühlen sich orientierungslos. Ranya findet in der Selbsthilfegruppe "Gewittertierchen" Gleichgesinnte und fühlt sich mit ihnen an ihrer Seite glücklich. Ein Gefühl, das sie mit Claus schon länger nicht mehr hatte. 

Der Blitzeinschlag lässt alle Betroffenen innehalten und stimmt sie nachdenklich. Alle Personen, sowohl Ranya und Adam als auch die Nebencharaktere finden sich seitdem auf dem Scheideweg, was gerade durch die tiefen Einblicke in die Gedanken von Ranya und Adam sehr anschaulich dargestellt wird. 
Die Geschichte hat einen Hauch von Melancholie, da sich die Protagonisten intensiv mit ihrem Leben auseinandersetzen und es beginnen, in Frage zu stellen. Gleichzeitig ist sie aber auch wunderbar witzig geschrieben, denn die vielen skurrilen, zum Teil etwas überzeichneten Charaktere, sorgen für Abwechslung und Unterhaltung. Sie ziehen letztlich ein positives Fazit aus ihren Gewitterunfällen, haben Freunde gefunden oder sie zum Anlass genommen, eine Veränderung in ihrem Leben herbeizuführen. 

Während Adam durch den Blitzeinschlag seine Erinnerungen verloren hat, hat Ranya dadurch neuen Mut gefunden. Sie findet wieder zurück zu sich, denn durch die Beziehung zu Claus, die nie auf Augenhöhe war, hat sie sich ihm zuliebe verändert. 
Die gemeinsame Reise mit Adam ist eine Reise zwischen Angst und Euphorie, die beide auf ihrem Weg zur Selbstfindung weiterführt. Die sich abzeichnende Liebesgeschichte ist romantisch und entwickelt durch Adams Erinnerungslücken eine unterschwellige Spannung. 

"Herbstgewitterküsse" bietet eine gelungene Mischung aus Melancholie und Humor, aus philosophischen Denkanstößen und albernen Episoden, gespickt mit vielen liebenswerten Figuren. Die Geschichte ist kreativ und unterhaltsam, die Charaktere lebensnah und ihre Schicksale gehen durch die empathische Schreibweise zu Herzen. 

Samstag, 23. Oktober 2021

Buchrezension: Julie Lawson Timmer - Weil du mein Leben bist

Inhalt:

Charlotte führt ein erfülltes Leben mit ihrem Mann Bradley und seiner 15-jährigen Tochter Allie. Doch ihr Glück wird jäh zerstört, als Bradley bei einem Unfall ums Leben kommt. Plötzlich muss Charlotte alles infrage stellen, was sie bisher für selbstverständlich hielt. Können sie und Allie zusammenbleiben – auch wenn sie Allie nie adoptiert hat? Oder sollte Allie lieber zu ihrer leiblichen Mutter – auch wenn diese sich nie um sie gekümmert hat? Hat Allie nicht ein Recht auf eine „richtige“ Mutter? In ihrer Unsicherheit merkt Charlotte kaum, dass Allie sich immer mehr zurückzieht. Bis sie eines Tages verschwindet. 

Rezension:

Charlottes Ehemann Bradley kommt überraschend bei einem Autounfall ums Leben. Die beiden hatten erst vor wenigen Jahren geheiratet und lebten seitdem glücklich mit Bradleys inzwischen 15-jähriger Tochter Allie zusammen. Nach Bradleys Tod stellt sich die Frage, wo Allie fortan leben wird. Bliebt sie noch bis zu ihrem Schulabschluss in der Kleinstadt Mount Pleasant in Michigan oder zieht sie zu ihrer Mutter Lindy nach Kaliforniern? Lindy hatte Bradley und Allie vor acht Jahren verlassen und hält nur sporadisch Kontakt zu ihrer Tochter. 
Noch von Trauer überwältigt, sind Charlotte und Allie mit der Situation überfordert. Allie wird zunehmend unleidlicher, hält sich kaum noch an die Regeln, die Bradley aufgestellt hatte, trifft sich mit anderen Freunden und verschlechtert sich in der Schule. Von ihren eigenen Problemen werden die beiden durch Allies Nachhilfeschülerin Morgan abgelenkt, die ihnen Sorge bereitet und Allie zu einer unüberlegten Entscheidung bewegt.  

"Weil du mein Leben bist" ist nicht nur ein Roman über den Verlust eines geliebten Menschen und den Umgang mit der Trauer. Die Geschichte geht tiefer und handelt von der Frage, was eine Familie ausmacht, welche Anforderungen an Eltern und insbesondere an Mütter gestellt werden und ob glückliche Familien blutsverwandt sein müssen. 

Der Roman ist aus der Perspektive der Stiefmutter geschrieben. Charlotte ist ein herzensguter Menschen, die für Bradley und Allie ihre Karriere als Dozentin aufgegeben hat und in den kleinen Ort Mount Pleasant gezogen ist. Sie liebt Allie wie eine eigene Tochter, hat jedoch nach dem Tod von Bradley Hemmungen, sie zu erziehen, da sie ihr die leibliche Mutter nicht ersetzen möchte. Diese mischt sich zwar immer wieder willkürlich in Allies Leben ein, zeigt aber kein echtes Interesse an Allie, was diese verletzt. Dabei wird deutlich, dass Mutterliebe unabhängig von Verwandtschaftsverhältnissen sein kann. 
Das Buch ist eine emotionale Achterbahnfahrt, denn Allie und Charlotte trauern um ihren Vater und Ehemann und müssen gleichzeitig ihr Leben weiterführen, wobei weitreichende Entscheidungen zu treffen sind und ihre eigentlich gute Beziehung an die Belastungsgrenze bringt.. 
Ein weiterer interessanter Aspekt der Geschichte ist das Schicksal der Nachhilfeschülerin Morgan, die lange Zeit in diversen Pflegefamilien untergebracht war, bevor sie von der Familie Crew adoptiert wurde. Ihre Adoptiveltern kümmern sich liebevoll um sie, aber etwas ist auch dort ganz und gar nicht in Ordnung, weshalb sich vor allem Allie um ihre inzwischen lieb gewonnene junge Freundin sorgt. Auch hier zeigt sich die Sehnsucht eines Kindes nach der Liebe der leiblichen Mutter, auch wenn die Ersatzmutter verantwortungsbewusster ist und bereit ist, alles für ihr Ziehkind zu geben. Gleichzeitig wird jedoch deutlich, dass die Liebe zu einem Kind kein Allheilmittel ist und nicht alle Hürden überwinden und Grenzen sprengen kann. 

Die Geschichte ist abwechslungsreich und bewegend, wobei das Thema Trauer gar nicht mal im Vordergrund steht. Es geht vielmehr um die Diversität der Familien, um Fürsorge und Geborgenheit sowie Mutterliebe in ihren unterschiedlichsten Erscheinungsformen. 
Die Charaktere wirken authentisch und sind liebevoll gezeichnet, so dass es leichtfällt, sich in ihre Situation hineinzuversetzen. Stellenweise waren mit Charlotte und Allie von etwas zu viel Gutmenschentum geprägt und die Geschichte etwas melodramatisch. Nichtdestotrotz fühlte ich mich gut unterhalten, insbesondere da der Handlungsstrang um Morgan Crew für spannende Wendungen sorgte, auch wenn sich dieser Teil des Romans zu einem etwas abwegigen Roadtrip entwickelt. 



Freitag, 22. Oktober 2021

Buchrezension: Claire Winter - Die Schwestern von Sherwood

Inhalt:

1948: Die angehende Journalistin Melinda kämpft im Nachkriegsberlin ums tägliche Überleben, als sie von einem anonymen Absender ein rätselhaftes Paket erhält. Die Bilder einer mystischen Moorlandschaft und eine ungewöhnliche Schachfigur führen die junge Frau nach England, zu einem geheimnisvollen alten Herrenhaus. Dort stößt Melinda auf die dramatische Liebesgeschichte zweier Schwestern im letzten Jahrhundert, die sehr viel mehr mit ihrem eigenen Leben zu tun hat, als sie zunächst ahnt. 

Rezension: 

1948 erhält die angehende Journalistin Melinda Leewald ein Paket mit alten Liebesbriefen und einer besonderen Schachfigur. Aus den Briefen schließt sie, dass die Liebenden Ende des 19. Jahrhunderts in der Grafschaft Devon in England, bekannt für seine wilde Moorlandschaft, gelebt haben. Melinda ahnt, dass sie nicht zufällig ausgewählt wurde, sondern dass die Briefe etwas mit ihrer verstorbenen Großmutter zu tun haben könnten, die aus England stammte. Durch eine Fortbildungsmaßnahme des "Telegraf" nutzt Melinda die Gelegenheit, nach England zu reisen und weiter zu recherchieren. In Dartmoor wird sie nicht von allen willkommen geheißen, was nicht unbedingt daran liegt, dass sie Deutsche ist, sondern offenbar möchte jemand verhindern, dass Melinda das Geheimnis um die Schwestern von Sherwood aufdeckt, die Ende des 19. Jahrhunderts unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen sind. 

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen und erzählt in der jüngeren Vergangenheit von Melinda und der Erforschung ihrer eigenen Familiengeschichte sowie in dem Erzählstrang von 1881 bis 1895 von den Sherwood Schwestern und einer dramatischen Liebesgeschichte, die zu einer Katastrophe führte. Beide Handlungsebenen sind durchgängig spannend erzählt, wobei das Schicksal der Sherwood-Schwestern, insbesondere das von Amalia so erschütternd und berührend ist, dass dieser emotional fordernder ist und zur Grundlage der Recherche von Melinda wird. Dies kann man zu Beginn nur erahnen, die Erzählstränge ergänzen sich im weiteren Verlauf und werden letztlich schlüssig zusammengeführt. 
Die Charaktere, von den Haupt- bis zu den Nebenfiguren, sind vielschichtig und authentisch beschrieben und hauchen der Geschichte Leben ein. 

Als Leser kann man sich durch die einfühlsame Erzählweise der Autorin in beide Protagonistinnen sehr gut hineinversetzen. Auch die Atmosphäre Ende des 19. Jahrhunderts in der Moorlandschaft sowie die Verhältnisse der englischen Oberklasse sind bildhaft beschrieben. Die enge Bindung der Schwestern, Amalias Behinderung und die unglückliche Liebe berühren und umso erschütternder ist es, wie Amalia von ihren Eltern ausgegrenzt und versteckt wird und letztlich ihre Konsequenzen daraus ziehen muss. 

Melinda deckt durch ihre Recherchen und trotz aller Bedrohungen ein gut gehütetes Familiengeheimnis auf und findet dabei zu ihren eigenen Wurzeln, was durch die frühen Tode ihrer Mutter und Großmutter, die sich zudem in Schweigen hüllten, bisher nicht möglich war. Melinda ist eine starke Frau, die trotz aller Widrigkeiten wenige Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges mutig ihren Weg geht und sich dabei nicht von ihren Gefühlen ablenken lässt. 

Der episch erzählte Roman ist trotz seines Umfangs zu keinem Zeitpunkt langweilig. Die Kombination aus Spannung, Dramatik, Romantik und mystischer Atmosphäre der Moorlandschaft machen die tragische Familiengeschichte und die dramatische Liebesgeschichte rund, während die mysteriösen Todesumstände um die beiden Schwestern, die Intrigen und die Bedrohung Melindas der Geschichte den Hauch eines Kriminalromans verleihen. 

Mittwoch, 20. Oktober 2021

Buchrezension: Jill Santopolo - Was bleibt, sind wir

Inhalt:

Lucy und Gabe treffen sich mit Anfang zwanzig in einem Uni-Seminar, und diese Begegnung verändert ihr beider Leben für immer. Gemeinsam lernen sie die erste große Liebe kennen. Nur eines bedenken sie nicht: dass ihre Wünsche sie immer weiter auseinander treiben könnten. Lucy macht Karriere in New York, während Gabe als Fotograf um die Welt reist. Trotzdem können sie einander dreizehn Jahre lang nicht vergessen. Werden sie erneut zueinander finden? Ein einziger Augenblick könnte das entscheiden.

Rezension: 

Lucy und Gabe verlieben sich 2001 als Studenten ineinander und verbringen vierzehn Monate mit einander. Es ist eine obsessive Liebe, die die beiden verbindet und Lucy gibt sich Gabe vollkommen hin. Seine beruflichen Ambitionen reißen das Paar auseinander, als Gabe sich dafür entscheidet, als Fotograf für die Associated Press zu arbeiten und in den Nahen Osten zu reisen. Lucy trauert Gabe noch lange hinterher, hört jedoch auf den Rat einer Freundin, einen anderen Mann kennenzulernen, um Gabe zu vergessen. Auch wenn ihr das nicht gelingt, heiratet sie Darren und gründet eine Familie mit ihm. Sie liebt ihn, aber nicht auf die Weise, wie sie Gabe liebt. Sie sehen sich sporadisch wieder, wenn Gabe in New York ist und nach wenigen Jahren beginnt Gabe damit zu hadern, möglicherweise eine falsche Entscheidung getroffen zu haben. 

Der Roman ist aus der Perspektive von Lucy geschildert, die Gabe rückblickend von ihrer Beziehung und ihrem Leben danach erzählt. Dabei ist sie offen und ehrlich und gibt all ihre Gefühle preis. 
Die Geschichte ist deshalb sehr emotional geschrieben, was phasenweise so weit geht, dass man von Lucy und ihrer Abhängigkeit von Gabe schon ein wenig genervt ist. Die Liebe zu ihm wirkt toxisch und krankhaft und wenig romantisch. Ich konnte nicht wirklich nachvollziehen, warum sie Gabe bis zur Selbstaufgabe liebt, denn persönlich habe ich ihn als Egoist empfunden, der ihre Beziehung auf das rein Körperliche reduziert hat und die Worte "Ich liebe dich" viel zu inflationär gebrauchte. 
Durch Lucys sehr intensive Darstellung und ihre aufrichtigen Gefühlsoffenbarungen wirkt diese Liebesgeschichte dennoch authentisch, weshalb es auch nicht weiter verwunderlich ist, dass Lucy noch als verheiratete Frau weiter an Gabe denkt und ihn mit ihrem Ehemann Darren vergleicht. Die Beziehung zu Darren ist liebevoll und romantisch. Er trägt seine Frau auf Händen, zwingt ihr allerdings auch ein wenig seine Wünsche auf. 

"Was bleibt, sind wir" ist eine sehr emotionale Liebesgeschichte, die alle Höhen und Tiefen einer Liebesbeziehung beschreibt. Die Geschichte ist ein Auf und Ab der Gefühle. Sie hat viele leidenschaftliche, romantische, aber auch traurige Momente. Zudem entwickelt sie einen langen Spannungsbogen durch die Frage, ob Lucy mit Darren glücklich wird und einen Abschluss mit Gabe findet oder ob sie ihr scheinbar perfektes Leben aufgibt, um wieder in den rasanten Gefühlsstrudel mit Gabe einzutauchen. Das Ende dann jedoch etwas enttäuschen, denn letztlich musste Lucy keine eigene Entscheidung mehr treffen und konnte für mich insgesamt nur wenig Sympathiepunkte sammeln. 

Montag, 18. Oktober 2021

Buchrezension: Emma Straub - Die Launen des Lebens

Inhalt:

Es ist ein durch und durch normaler Tag in einer Kleinstadt in Upstate New York, als das Leben von Astrid Strick sich schlagartig ändert. Eine Bekannte wird vor Astrids Augen überfahren, und obwohl Astrid diese nicht einmal mochte, bringt sie der Vorfall zum Nachdenken. Das Leben kann so schnell vorbei sein – hat Astrid ihres gut genutzt? Ist es zu spät, Neues zu wagen? Und war sie wirklich eine gute Mutter? Astrid wollte immer das Beste für ihre Kinder, und doch scheint keines richtig angekommen im Leben. Elliott ist unglücklich in seiner Bilderbuchfamilie. Tochter Porter ist Single, gewollt schwanger und doch überfordert. Und Nicky lebt trotz Frau und Kind ein Vagabundenleben – aber zu welchem Preis? Astrid und ihre Kinder waren immer gut darin, ihre wahren Leben voreinander zu verbergen. Doch dann zieht Cecilia, Nickys Teenager-Tochter, bei Astrid im großen Haus am Fluss ein und stellt das ganze sorgsam gehegte Konstrukt auf den Kopf. 

Rezension: 

Nach dem Unfalltod einer flüchtigen Bekannten, den sie hatte mit ansehen müssen, gerät die 68-jährige Astrid Strick ins Grübeln darüber, wie schnell ein Leben vorbei sein kann und ob sie in ihrem Leben alles richtig gemacht hat. Für ihre drei Kinder, die sich ganz unterschiedlich entwickelt haben, wollte sie stets nur das Beste. Während ihr Sohn Elliot und ihre Tochter Porter wie sie in Clapham wohnen, wohnt ihr jüngster Sohn Nicky weiter entfernt in New York City. Seine 13-jährige Tochter Cecelia musste nach einem Vorfall in ihrer Klasse die Schule wechseln und soll nun erst einmal bei ihrer Großmutter wohnen. Doch auch hier kommt es wieder zu Problemen in der Schule, denn Cecelia nimmt kein Blatt vor den Mund und setzt sich rigoros für Schwächere ein. Auch Porter, die sich dafür entschieden hat, ein Baby ohne Vater großzuziehen, bereitet Astrid Kopfzerbrechen. In all dem Chaos nutzt Astrid endlich die Gelegenheit und findet den Mut, ihrer Familie ein Geheimnis über sich zu offenbaren, in der Hoffnung, dass auch ihre Kinder ihr ihre Geheimnisse und Probleme anvertrauen würden.  

"Die Launen des Lebens" ist ein Roman, der das Leben der Familie Strick aus unterschiedlichen Perspektiven beschreibt. Jedes Mitglied der Familie hat mit seinen eigenen Sorgen und Problemen zu kämpfen, die bisher mit sich selbst ausgemacht worden sind. Der Unfalltod der Bekannten und Astrids Offenbarung führen zu mehr Offenheit, aber auch mehr Problemen. 

Der Roman ist kurzweilig geschrieben, denn er schildert verschiedene Episoden aus den Leben der Protagonisten, die in ihrer Gesamtheit ein raffiniertes Konstrukt ergeben, um nicht nur die einzelnen Personen sondern auch die Beziehungen innerhalb der Familienkonstellation zu verstehen. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Matriarchin Astrid. 

Die Geschichte enthält eine große Vielfalt an Themen, so dass es für eine Familie plus Cecelias Schulfreund ein wenig übertrieben wirkt. Gerade die Frage nach der sexuellen Orientierung steht bei vielen von ihnen im Vordergrund und wirkt etwas gewollt und aufgesetzt politisch korrekt. 

Durch den anekdotenhaften Schreibstil ist es keine flüssige Erzählung, denn jede Person steht mit ihren Problemen erst einmal für sich allein da. Durch die sich entwickelnde Familiendynamik, die Beziehungen der Geschwister untereinander und die Fürsorge um Cecelia ergibt sich jedoch ein Gesamtgefüge und eine Familie, die am Ende zusammenhält und in der jeder für den anderen da ist, auch wenn sie nicht unbedingt einer Meinung sind und die Lebensweise der anderen nicht immer auf Verständnis stößt. 

Es ist ein unterhaltsamer Roman über die Suche nach sich selbst, nach Liebe und Anerkennung, der erfrischend lebendig geschrieben ist, die schwierigen Themen aber etwas an der Oberfläche bleiben lässt. Und so ist das Ende auch sehr versöhnlich, denn letztlich lösen sich die Probleme allein durch die Annäherung und Überwindung der emotionalen Distanz zueinander. 

Samstag, 16. Oktober 2021

Buchrezension: Kristina Günak - Kaputte Herzen kann man kleben

Inhalt:

Hebamme Luisa ist alleinerziehend. Ihr Ex entzieht sich seinen Verpflichtungen, wo er kann. Als Luisas Rücken die Notbremse zieht, muss sie mit ihrer kleinen Tochter eine Auszeit nehmen: bei der exzentrischen Tante in St. Peter-Ording. Die geschickten Hände des verschlossenen Physiotherapeuten Tom helfen ihr wieder auf die Beine, doch die Seele will nicht recht nachziehen. Bis sie am Strand auf ein Grüppchen Frauen trifft, das es sich zum Motto gemacht hat, fünfe gerade sein zu lassen. Und auch Tom ist auf einmal nicht mehr so verschlossen. 

Rezension: 

Luisa ist Ende 30, alleinerziehend und arbeitet als Hebamme in München. Als ihr Rücken unter der seelischen Belastung ihres Berufs und der Überforderung als Alleinerziehenden schlapp macht, wird Luisa wegen Burnouts krankgeschrieben und fährt mit ihrer achtjährigen Tochter Amelie zu ihrer Tante Mimi an die Nordsee, die dort einen Hof mit Ziegen und Pferden hat. 
Töchterchen Amelie fühlt sich dort sofort pudelwohl, liebt die Natur und die Tiere und hält sich sogar bereitwillig an die Regeln, die Tante Mimi aufstellt. Auch Luisa fühlt sich trotz eines Streits, der seit mehreren Jahren zwischen ihr und ihrer Tante steht wohl. Sie spürt die Entlastung nicht mehr die Verantwortung für alles alleine übernehmen zu müssen, Verspannungen lösen sich bei dem attraktiven Chiropraktiker Tom und Anschluss, Verständnis und Freundschaft findet sie bei drei Freundinnen, die selbst Mütter sind. Sie nehmen Luisa den Druck, perfekt sein zu müssen, stehen ihr mit Rat und Tat zur Seite und machen ihr Mut zu einem Neuanfang. 

Die Geschichte handelt in den Sommerferien an einem Hof in St. Peter Ording, am Strand und in den Dünen und bietet dabei die perfekte Kulisse für einen unbeschwerten Sommerroman, an dem die titelgebenden Herzen heilen können. Das Setting ist sehr anschaulich beschrieben und ich konnte mich wunderbar an die raue See versetzen lassen, an der Luisa ihre ganz Wut laut brüllend herauslassen konnte. Auch die Bewohner des Ortes, denen Luisa begegnet, sind vielleicht nicht alle typisch norddeutsch, aber individuell gezeichnet. Der ganze Ort wirkt wie eine große Familie, in der jeder jeden kennt und sich gegenseitig unterstützt. Es ist nachvollziehbar, dass dort wenig Heimweh nach München aufkommt. 
Luisa kann ihre Sorgen ein wenig ausblenden, aber je mehr Zeit verstreicht, desto höher wird der Druck sich mit ihren Problemen um ihren Beruf und ihren Expartner Hannes auseinanderzusetzen. 

Der Roman ist lebensnah und mit der Vielfalt der Charaktere lebendig beschrieben. Die Probleme, die die Protagonisten haben, sind realistisch und am Puls der Zeit. Es geht um die schwierige Situation der Hebammen, die unterbezahlt sind und aufgrund der Vielzahl ihrer Patienten nicht mehr das leisten können, was sie eigentlich wollen, insbesondere keine Zeit mehr haben, junge Mütter im Wochenbett zu begleiten. Daran anschließend werden die Probleme von Frauen geschildert, die sich zwischen Beruf und Familie entscheiden bzw. zerreißen müssen und nicht nur im Rentenalter abhängig von Ehemännern sind oder vor der Armut stehen. Das sind gesellschaftlich wichtige Themen, die durch Luisas neue Freundinnen plastisch dargestellt werden. 
Wenn ich noch Verständnis für Luisas Situation aufbrachte, empfand ich die Probleme der Freundinnen als Jammern auf hohem Niveau. Keine der Frauen musste sich Sorgen um ihre Existenz machen, jede hatte gesunde Kinder und war glücklich verheiratet - an einem Ort, wo andere Urlaub machen. Die Ehemänner übernahmen Verantwortung und kümmerten sich trotz Berufstätigkeit selbstverständlich um Haushalt und Kinder. Sogar der demente Vater der Cafébesitzerin war pflegeleicht und las die Zeitung oder schlummerte am Tisch ein. Selbst wenn er ausbüxte, war ein Netzwerk da, das ihn einfangen konnte. Und wenn man sich dann auch noch Sorgen macht, dass das Pausenbrot der Tochter nicht biologisch basiert und in Tierchenform angerichtet ist, dann scheint man sich selbst zu wichtig zu nehmen und voller Neid auf andere zu blicken. 
Mich ärgerte das ernsthaft gemeinte Gezeter über vergleichsweise kleine Probleme, dass ich von den grundsätzlich nicht unsympathischen Charakteren leicht genervt war. 
Die vorhersehbare Liebesgeschichte spielte nur eine untergeordnete Rolle, wovon ich mir aufgrund des Titels mehr erhofft hatte. Sie blieb jedoch oberflächlich, wenig emotional und entwickelte sich in den wenigen Wochen viel zu schnell. Auch blieb mir bis zum Ende unklar, warum der sehr geerdet wirkende Tom stets als "Weiberheld" bezeichnet wurde. 
Fazit: Ein schönes Buch über Freundschaft, Heimat und Gemeinschaftsgefühl, aber eine wenig gefühlvolle Liebesgeschichte und eine nervtötende andauernde Litanei über Luxusprobleme von Frauen zwischen Beruf und Familie. 

Freitag, 15. Oktober 2021

Buchrezension: Sabine Thiesler - Im Versteck

Inhalt:

Der gut situierte Fotograf Paul Böger kauft sich in den toskanischen Bergen ein Haus. Es liegt am Ende eines kaum befahrbaren Weges und ist völlig verwahrlost. Paul kündigt seinen Job und zieht sofort in die eigentlich unbewohnbare Hütte ein. Von nun an vermeidet er jeden menschlichen Kontakt und versteckt sich in der Einsamkeit. Denn er ist auf der Flucht. Auf der Flucht vor sich selbst und seinem unbezwingbaren Trieb, Schlimmes zu tun. 
Und dann verschwindet ein kleines Mädchen. 

Rezension: 

Um vor weiteren Versuchungen gefeit zu sein, kauft sich der aus Norddeutschland stammende Paul Böger ein ruinöses Haus in der Toskana, weit abgelegen in den Bergen in der Nähe des Dorfes Ambra. Er flieht vor sich selbst und seinen Trieben, denn wie ein Wunder ist die Polizei trotz mehrfacher Taten noch nicht auf ihn aufmerksam geworden. 
Doch als ein kleines Mädchen aus Ambra spurlos verschwindet, gerät als erstes Paul in Verdacht, der als Einsiedler argwöhnisch beäugt wird und schließlich sind es für Carabiniere Donato Neri die Touristen, die nur für Verbrechen in der beschaulichen Gegend verantwortlich sein können.  

"Im Versteck" ist ein packender Thriller, der aus wechselnden Perspektiven geschrieben ist, so dass man als Leser allwissend ist und Oper wie Täter bekannt sind. Dies dämpft die Spannung ein wenig, zudem ahnt man, wie sich das aufgebaute Szenario letztlich auflösen wird. 
Dennoch ist man von Anbeginn von der erschütternden Geschichte eingenommen. Durch Rückblenden in eine grausame Kindheit, lernt man Paul Böger mit Anfang 40 nicht nur als Täter, sondern auch als bemitleidenswertes Opfer kennen. Dies entschuldigt seine Taten in keiner Weise, liefert aber eine Erklärung und Motiv für sein Tun. 

Die Gewalttaten sind brutal und auch im Hinblick auf die Lebensgeschichte Paul Bögers nimmt die Autorin kein Blatt vor den Mund. Trotzdem ist der Thriller nicht düster oder beklemmend, denn insbesondere durch die Dialoge in Italien ist die Geschichte unterhaltsam und stellenweise amüsant geschildert. Die leitenden Ermittler wie die Nebencharaktere sind herrlich unperfekt und einfach menschlich, Personen mit Ecken und Kanten. Carabiniere Neri ist mit der Anzahl an Toten, die ihm in diesem Sommer in dem verschlafenen Dorf begegnen, sichtlich überfordert und auf seine Frau Gabriella als Ratgeberin angewiesen. 
Die Ermittlungen der Polizei in Deutschland und in Italien spielen in diesem Thriller jedoch keine herausragende Rolle, denn die Identifizierung des Serienmörders und die Auflösung der Fälle in Norddeutschland und der Toskana passiert eher zufällig, denn trotz dringenden Tatverdachts und zahlreicher Indizien ist die Beweisführung mangels Spuren erschwert. 

"Im Versteck" ist durch die zahlreichen, kurzen Kapitel ein rasanter Thriller, der zwar keinen komplexen Kriminalfall aufweist und bei dem auch die Tätersuche nicht unbedingt im Vordergrund steht, der jedoch durch die psychologische Komponente fesselt und durch den eingängigen Schreibstil wunderbar unterhält. 

Mittwoch, 13. Oktober 2021

Buchrezension: Christina Sweeney-Baird - Die andere Hälfte der Welt

Inhalt:

Glasgow, 2025. Dr. Amanda Maclean behandelt einen jungen Mann mit leichtem Fieber. Innerhalb von drei Stunden stirbt er. Die mysteriöse Krankheit breitet sich mit tödlicher Geschwindigkeit im Krankenhaus aus. Und das ist nur der Anfang. Alle Opfer sind Männer. Dr. Maclean schlägt Alarm, doch das Virus erreicht bald jeden Winkel der Erde. Bedroht Familien. Regierungen. Länder. Die Welt ist fremdartig geworden – eine Welt der Frauen, die sich rasend schnell an die Abwesenheit der Männer anpassen müssen. Können sie ein Heilmittel finden bevor es zu spät ist? Wird diese Krankheit das Ende der Geschichte der Welt sein – oder ihre Rettung? 

Rezension: 

Im Jahr 2025 behandelt die Ärztin Dr. Amanda Maclean in der Notaufnahme in Glasgow einen Mann mit Grippesymptomen. Wenig später verstirbt er und in den folgenden Tagen sterben immer mehr Männer, die die gleichen Symptome aufweisen. Dr. Maclean warnt vor einem hochansteckenden Virus, das sich rasant ausbreitet und versucht ihren Mann und ihren Sohn zu schützen. Ihre Warnung wird nicht ernst genommen und das Virus breitet sich weltweit zu einer tödlichen Pandemie aus. Unter den Opfern sind nur Männer, Frauen sind jedoch Wirtinnen und verbreiten das Virus ohne Symptome aufzuweisen. 
Es dauert mehrere Monate bis ein Impfstoff gefunden wird, aber die Welt ist nicht mehr dieselbe wie zuvor. Die Anzahl der Männer ist stark dezimiert, Frauen mussten trotz ihrer Entbehrungen und Verluste ihre Rollen ersetzen und der Welt fehlt es an männlichem Nachwuchs, um Wirtschaft und Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Neu Lösungen müssen gefunden werden, um dem Menschen Hoffnung und eine Zukunft zu schenken. 

"Die andere Hälfte der Welt" ist ein Roman, der stark an den Ausbruch und die Folgen der Covid-19-Pandemie erinnert. Umso erstaunlicher ist es, dass die Autorin diese fiktive Geschichte bereits im Jahr 2018 begonnen hat zu schreiben und einen apokalyptischen Blick in die Zukunft hatte. 

Der Roman wird aus wechselnden Perspektiven verschiedenster Akteure geschildert, darunter die Ärztin Dr. Amanda Maclean, die Anthropologin Catherine Lawrence, die versucht, die Geschichten der Menschen hinter der Pest zu dokumentieren, die Geheimdienstanalystin Dawn, die die Regierung berät, um mit den Folgen der Pandemie umzugehen und Elisabeth, eine der Wissenschaftlerinnen, die an der Entwicklung eines Impfstoffs zur Eindämmung der Männerpest arbeitet. Durch diese Frauen und weitere Protagonisten, die auf unterschiedliche Art und Weise unter dem Virus und seinen Folgen leiden, wird geschildert, wie grausam die Pandemie die Menschen überrascht und so viele Männer in kürzester Zeit dahingerafft hat, aber auch wie die Zeit nach der Pandemie aussieht und wie sich die Abwesenheit eines Großteils der männlichen Bevölkerung auf Wirtschaft, Politik und Gesellschaft ausgewirkt hat. Nicht nur für die Arbeitswelt und die Verfügbarkeit von Ressourcen auch in Bezug auf die Familienplanung ergeben sich entscheidende Veränderungen und massive Probleme, die eine schnelle Suche nach praktikablen Lösungen erforderlich macht. 

Der Roman erzählt die Jahre von 2025 bis 2031, weshalb der Roman gerade in Bezug auf das Alltagsleben der Menschen nur an der Oberfläche bleibt. Auch fand ich es schwierig, dass die Geschichte aus so vielen Perspektiven geschildert war, dass man keinem Charakter wirklich nahe kommen konnte. Die einzelnen Geschichten über Todesfälle und Zusammenbrüchen ganzer Familien gingen damit nicht so sehr zu Herzen wie es bei einem stärkeren Fokus auf wenigen Einzelpersonen möglich gewesen wäre. 

Die Geschichte ist eine faszinierende Dystopie, die nach den Erfahrungen mit Covid-19 ein erschreckend realistisches Szenario aufbaut. Aufgrund er hohen Sterblichkeit ist diese Fiktion erschütternd und beängstigend. Die Vorstellung, wie eine Gesellschaft nach einer überstandenen Pandemie dieser Auswirkung wieder aufgebaut werden kann, ist interessant und beweist, das Frauen über sich hinauswachsen können, dass es ganz ohne Männer aber auch nicht geht. 
Aufgrund der zahlreichen Protagonisten, die oft nur in einzelnen Kapitel erwähnt werden, fehlte mir ein Bezug zu den Charakteren, weshalb mich die Dramen nicht so wie gewünscht emotional berühren konnten. Auch hatte ich mir von der Geschichte, insbesondere in Bezug auf die Suche nach dem Impfstoff und auf Ausschreitungen, Widerstände und Protest gegen die Auflagen der Politik, mehr Spannung von dem Roman erwartet. 

Montag, 11. Oktober 2021

Buchrezension: Kathy Reichs - Der Code der Knochen

Inhalt:

Die forensische Anthropologin Tempe Brennan durchlebt stürmische Zeiten. Ein schwerer Hurricane nimmt Kurs auf ihre Heimatstadt Charlotte. Sie leitet die Untersuchung zweier Skelette, die in einem Container an der Küste gestrandet sind. Die Art des Todes dieser jungen Frauen erinnert Tempe an einen fünfzehn Jahre alten Cold Case - ein grausamer Doppelmord. Und in Charlotte geht die Angst vor einem hochansteckenden Bakterium um, gegen das bestimmte Gene angeblich schützen sollen. Ihre Ermittlungen führen Tempe auf die Spur eines Mannes, der dubiose Geschäfte mit Gen-Analysen macht. Als Tempe und Ex-Detective Andrew Ryan knapp einem Mordanschlag auf offener Straße entkommen, wird klar: Jemand will um jeden Preis verhindern, dass die Forensikerin den Code dieses Falls entschlüsselt. 

Rezension: 

Ein Hurrikan hat dafür gesorgt, dass ein Container für medizinische Abfälle an den Strand von Charleston in South Carolina gespült worden ist. Im Inneren befinden sich zwei zerlegte Leichen, die mit einem Kabel verbunden sind. Die forensische Anthropologin Temperance Brennan soll die Überreste untersuchen, um die Leichen identifizieren zu können. Anhand der Knochen findet sie schnell heraus, dass es sich um zwei weibliche Jugendliche handelt, die ermordet worden sind. Die Mordfälle erinnern Tempe an einen ungelösten Mordfall von vor 15 Jahren in Quebec, als ebenfalls zwei Leichen derart zugerichtet waren. Die Fälle lassen Tempe keine Ruhe und so begibt sie sich zunächst nach Montreal, um die Beweismittel aus dem Cold Case heranzuziehen und Parallelen zu den aktuellen Mordfällen zu finden. Durch ihre Recherchen können die Leichen identifiziert werden, die offenbar mit den anderen Leichen verwandt sind. 
Währenddessen wütet in Charleston ein Virus, das von Haustieren auf den Menschen übertragbar sein soll und die Bevölkerung nach den Erfahrungen mit der Covid-19-Pandemie in Angst und Schrecken versetzt. Eine Firma, die sich auf Genanalysen spezialisiert hat, wirbt damit zu erkennen, dass die DNA bestimmter Menschen resistent dagegen ist. 

"Der Code der Knochen" ist bereits der 20. Band der Reihe um die forensische Anthropologin Temperance Brennan. Die Fälle sind in sich geschlossen, so dass jeder Band einzeln gelesen werden kann. Für das Verständnis der Personenkonstellationen und Tempes Privatleben ist es jedoch sinnvoll, die Vorgängerbände zu kennen, auch wenn die Autorin immer wieder geschickt Details einfließen lässt, um Vergangenes zu erklären. 

Tempe Brennan ist eine starke, selbstbewusste Frau, die ihren Beruf mit Leidenschaft und Engagement ausübt. Unterstützung findet sie auch im aktuellen Fall von ihrem Lebensgefährten Andrew Ryan, der kürzlich von der Mordkommission in Montreal in den Ruhestand getreten ist und sich als privater Ermittler selbstständig gemacht hat. Ihre Liebesbeziehung und unterhaltsamen Dialoge lockern die Geschichte, die mit vielen wissenschaftlichen und medizinischen Details versehen ist, auf und machen sie lebendig. 

Tempes Untersuchungen und ihre Arbeit als forensische Anthropologin sind authentisch geschildert. Wie in den anderen Bänden lässt Kathy Reichs ihr Fachwissen einfließen, ohne die/ den Leser*in zu überfordern. Je mehr Details über die Leichen bekannt werden, desto spannender wird, wie die Mordfälle, die zeitlich und örtlich so weit auseinander liegen, miteinander in einem Zusammenhang stehen können. Daneben fragt man sich, was das ominöse Virus, das in Charleston mutiert, mit dem Rest der Handlung zu tun haben könnte.  
Der Fall ist komplex aufgebaut und wirft ein erschreckendes Szenario um Manipulation, Geltungsdrang und Geldgier auf. Am Ende werden alle Handlungsstränge sinnvoll zusammengefügt und finden zu einem gelungenen Abschluss der Fälle. Bis dahin fiebert man mit Tempe mit, die fast im Alleingang die Mordfälle zu lösen scheint und dabei sogar in Kauf nimmt, ihr eigenes Leben zu gefährden. 

Die Reihe lebt von der intelligenten und leidenschaftlichen Anthropologin, die trotz ihres zumeist trockenen Knochenjobs gerade in Dialogen Humor beweist. Aber auch die Nebenfiguren sind der/ dem Leser*in nach all den Jahren ans Herz gewachsen und so ist es neben der Verfolgung der Lösung des spannenden und komplexen Falls auch schön zu sehen, wie sie sich weiterentwickelt haben, älter und routinierter geworden sind. Für alle Fans der Reihe ist deshalb auch Band 20 ein Mustread. 



Samstag, 9. Oktober 2021

Buchrezension: Denise Rudberg - Der Stockholm-Code: Die zweite Botschaft (Stockholmer Geheimnisse, Band 2)

Inhalt:

Stockholm, 1940: Iris, Elisabeth und Signe arbeiten fieberhaft daran, die verschlüsselten Nachrichten der Deutschen zu decodieren. Iris, die vom Geheimdienst in Gewahrsam genommen, aber wieder freigelassen wurde, befindet sich unter ständiger Beobachtung, denn ein schrecklicher Verdacht steht im Raum: Hat sie Verbindungen zu Deutschland? Als herauskommt, dass jemand geheime Informationen an die Deutschen weitergibt, spitzt sich die Lage zu. Denn eigentlich können nur die drei Freundinnen dieses Wissen haben. 

Rezension: 

Im Winter 1940 arbeiten Elisabeth, Signe und Iris weiterhin in Stockholm für das Militär, um die codierten Nachrichten aus Nazideutschland zu entschlüsseln. Mit Hochdruck wird zudem an einer Maschine gearbeitet, um den G-Schreiber der Deutschen auch technisch zu überlisten. 

"Der Stockholm-Code - Die zweite Botschaft" ist nach "Der Stockholm-Code - Die erste Begegnung" der zweite Band der "Stockholmer Geheimnisse"-Reihe. 

Wieder ist der Roman abwechselnd aus der Perspektive der drei Hauptfiguren geschildert, wobei auffällig ist, dass Iris' Sicht der Dinge kaum eine Rolle spielt, obwohl sie im Klappentext eine besondere Stellung einnimmt. Tatsächlich umfasst der Roman einerseits das Leben Elisabeths, die für die damaligen Verhältnisse eine sehr unabhängige, moderne junge Frau war, die sich durch niemanden einschüchtern ließ und mutig für ihre Eigenständigkeit kämpfte. Unterstützung erfährt sie von ihrem besten Freund Dinty, der die Geschichte mit seiner witzigen Art auflockerte. Andererseits handelt der Roman von der schüchternen Signe, die als Haushälterin und Assistentin für den blinden Professor Svartström arbeitet. Ihre Kapitel sind fast ausschließlich auf ihre Krankheit beschränkt, was sich durch die zahlreichen Wiederholungen ihres Leids ermüdend liest und für die Geschichte insgesamt keinen Mehrwert hatte. 

Die heimliche Arbeit für das schwedische Militär kommt dabei - wie schon in Band 1 - denkbar kurz. Über den Arbeitsalltag und auf welche Weise die Frauen die Nachrichten der Deutschen versuchen zu entschlüsseln, wird zur Nebensache. Titel und Klappentext passen deshalb kaum zum Inhalt des Romans, von dem ich mir mehr historische Bezüge, mehr Spionagetätigkeiten und vor allem auch mehr Spannung erwartet habe. Auch die Freundschaft zwischen den drei ganz unterschiedlichen Frauen findet kaum Erwähnung. 
Der Roman ist leicht und schnell zu lesen und erzählt aus dem Leben der drei Hauptfiguren, wobei nur Elisabeths Perspektive wirklich gehaltvoll und interessant ist. Der Geschichte fehlt es an Spannung und Dramatik sowie politischen und historischen Details, die die Arbeit der Frauen bei der Dechiffrierung in die Geschichte besser eingebettet hätten. Das Ende kommt unerwartet und abrupt, als würden dem Roman Seiten fehlen. Kein Erzählstrang findet einen befriedigenden Abschluss, was selbst bei einer mehrbändigen Reihe - in Schweden ist bereits der dritte Teil erschienen - ärgerlich ist. 

Fazit: Ein interessantes Thema, das in Band 2 noch schwächer umgesetzt worden ist, als in Band 1. Einzig Elisabeth und ihr privates Vorhaben machen dabei noch neugierig auf Band 3.

Freitag, 8. Oktober 2021

Buchrezension: Mhairi McFarlane - Du hast mir gerade noch gefehlt

Inhalt:

Seit Studienzeiten sind Eve, Susie, Ed und Justin beste Freunde – genauso lange ist Eve mehr oder weniger heimlich in Ed verliebt.
Die Katastrophe nimmt ihren Anfang, als Eds Freundin ihm ausgerechnet während eines gemeinsamen Pub-Quiz-Abends einen Heiratsantrag macht. Dann ruft ein Unfall Susies älteren Bruder Finlay auf den Plan, und das schwarze Schaf der Familie sorgt für jede Menge Chaos. Als Eve feststellt, dass sich unter Finlays rauer Schale ein gar nicht so unattraktiver Kern verbirgt, spielt Ed plötzlich mit dem Gedanken, die Hochzeit abzusagen. Was für Eve ein Grund zur Freude sein sollte, hat ihr jetzt gerade noch gefehlt. 

Rezension: 

Eve, Susie, Ed und Justin sind seit ihrer Collegezeit beste Freunde, wobei Eve mehr als nur Freundschaft für Ed empfindet. Regelmäßig trifft sich das Quartett zum Kneipenquiz in seinem Stammpub. An einem dieser Abende erhält Ed von seiner Freundin Hester einen Heiratsantrag, was Eves Hoffnungen auf Ed endgültig zu zerstören scheint. Viel schlimmer ist jedoch ein schrecklicher Unfall, der sich noch in derselben Nacht ereignet und Eve letztlich an ihrer Freundschaft zu Susie und Ed zweifeln lässt, die ihr Vertrauen ihrer Ansicht nach missbraucht haben. Zudem kommt als Folge des Unfalls Susies älterer Bruder Finlay nach Nottingham und wirbelt Eves Gefühlswelt komplett durcheinander. 

Titel und Cover suggerieren eine unbeschwerte und amüsante Liebesgeschichte. Der Roman beginnt jedoch unerwartet tragisch und handelt zunächst von den schwerwiegenden Folgen des Unfalls für die Freundschaft der Viererbande und der Verarbeitung des tragischen Unglücks, mit dem niemand hatte rechnen können. Der Verlust ist vor allem für Eve schwer zu ertragen und was sie anschließend herausfindet, macht ihr weiterhin zu schaffen und droht die langjährige Freundschaft zu zerstören. 

Bis die Geschichte auf das Thema, das ich eigentlich erwartet hatte, der Ménage-à-trois, gelenkt wird, vergehen ca. 250 Seiten, die für mich etwas langatmig waren. Der Schreibstil ist jedoch durchgehend unterhaltsam und trotz aller Schwermut immer noch mit lebendigen und witzigen Dialogen, denn der britische Humor blitzt immer wieder durch. 
Richtig in Fahrt kam der Roman für mich aber erst mit dem Roadtrip nach Edinburgh und der unweigerlichen Annährung von Eve und Finlay. Die beiden gemeinsam zu erleben, gab der Geschichte nach all der Tragik etwas Hoffnungsvolles. Zudem wünschte man sich, dass Eve Ed endlich würde loslassen und sich für eine neue Liebe öffnen können. Die Entwicklung, die Eve durchmacht und das langsame Kennenlernen mit Finlay ist authentisch geschildert. 
Finlay macht es jedoch weder ihr noch dem/ der Leser*in leicht, ihn zu mögen, denn er wirkt unfreundlich, überheblich und verbittert. Es ist zu erahnen, dass die Gründe dafür in der Vergangenheit und der Beziehung zu seiner Familie liegen müssen, was zusätzlich neugierig macht, sein gegenwärtiges Auftreten zu verstehen. 

Der Roman ist, wie von Mhairi McFarlane gewohnt, turbulent und unterhaltsam. Die Geschichte handelt von Freundschaft und der Suche nach Liebe, von Trauer, Enttäuschungen und Geheimnissen, die zu einer Herausforderung für Beziehungen werden können. Es ist eine bittersüße Geschichte mit vielen ernsten Tönen, der durch humorvolle Szenen die anfängliche Schwere genommen wird. 
Anders als erwartet, liegt der Fokus der Handlung weniger auf romantischen Liebesirrungen und der Entscheidung zwischen zwei Männern, sondern vielmehr auf den Folgen eines einschneidenden Erlebnisses für Eve, der Infragestellung einer langjährigen Freundschaft, der daraus resultierenden Selbstreflexion und der Botschaft, dass jedem Ende ein neuer Anfang inne wohnt. 

Mittwoch, 6. Oktober 2021

Buchrezension: Chris Cleave - Little Bee

Inhalt:

Manchmal wünscht sie sich, sie wäre eine englische Pfundmünze: dann würde sich nämlich jeder freuen, sie zu sehen. Little Bee ist 16 Jahre alt und stammt aus Afrika. In ihrer Heimat ist ihr Schreckliches zugestoßen, und seit zwei Jahren lebt sie in einem englischen Abschiebelager für Asylbewerber. Trotz allem ist sie ein Mensch voll Lebensfreude, Witz und Intelligenz. In England kennt sie außerhalb des Lagers nur zwei Menschen: Vor Jahren hat sie in Nigeria das Ehepaar Sarah und Andrew, die im englischen Kingston-upon-Thames ein privilegiertes Leben führen, kennengelernt. Ein furchtbares gemeinsames Erlebnis hat eine tragische Verbindung zwischen ihnen geschaffen. Als Little Bee aus dem Lager entlassen wird, ruft sie bei Sarah und Andrew an. Ein Anruf, der unvorhersehbare Folgen hat: Einige Tage später bringt sich Andrew um. Und kurz darauf steht Little Bee vor Sarahs Tür. 

Rezension: 

Little Bee konnte aus Nigeria nach England fliehen, erhielt dort jedoch keinen Asylstatus, sondern wurde in ein Abschiebegefängnis verbracht. Nach zwei Jahren kommt sie überraschend frei und ist auf sich alleingestellt. Vor ihrer Flucht nach England lernte sie am Strand in Nigeria Andrew und Sarah O'Rourke, ein Ehepaar aus England, kennen, die dort Urlaub machten. Seitdem verbindet die drei ein schreckliches Ereignis miteinander. 
Little Bee erinnert sich an die beiden, erhofft sich Hilfe und kontaktiert Andrew. Wenige Tage später steht sie vor Sarahs Tür, die gerade damit beschäftigt ist, Andrews Beerdigung zu organisieren. Nach Little Bees Anruf konnte er mit seinen Depressionen nicht mehr leben und hat sich erhängt. 

Der Roman ist abwechselnd aus der Sicht der jugendlichen Flüchtigen Little Bee und der englischen Journalistin Sarah geschildert. Little Bee hat es geschafft, nach England zu gelangen, steht aber nun mittellos und ohne Papiere da. Sie ist eine Illegale und sucht Hilfe bei Sarah. Sarah hat gerade ihren Ehemann verloren und ist nun alleinerziehende Mutter eines kleinen Sohnes. Die Tat von Andrew erschüttert sie, aber die Trauer überwältigt sie nicht, denn die Ehe war schon lange am Ende. Sarah hat Andrew seit Jahren betrogen. 

Die Geschichte entwickelt sich zunächst spannend, denn als Leser drängt man darauf zu erfahren, was vor über zwei Jahren am Strand in Nigeria passiert ist und warum Andrew sich nach dem Anruf von Little Bee zum Suizid entschied. In Rückblenden erfährt man nach der Ankunft Little Bees bei Sarah aus beiden Sichten, was sich ereignet hat. Die Schilderungen sind brutal und erschütternd. Sie handeln vom Kampf um Öl, von der Zerstörung ganzer Dörfer in  Nigeria, von der Vergewaltigung und Tötung von Frauen. Schonungslos werden die Fluchtgründe von Little Bee offengelegt und sodann wird auch klar, warum sie, seitdem sie in England ist, im Kopf diverse Pläne schmiedet, sich umzubringen, aus Angst Männer könnten sie wieder so rücksichtslos, ungehemmt und brutal angreifen. 

Nachdem die Vergangenheit offengelegt ist und auch die Gründe für Andrews Suizid offensichtlich sind, nimmt der Spannungsbogen etwas ab. Sarah, die sich für Little Bee verantwortlich fühlt, nimmt sie bei sich auf, auch wenn ihr als illegale Einwanderin jederzeit die Abschiebung droht. Eine Lösung für das Problem suchen sie lange nicht, verhalten sich zu naiv, aber geben sich gegenseitig Halt, um ihre jeweiligen Traumata zu überstehen.  

Die Figuren sind authentisch beschrieben und insbesondere Little Bee, in deren Gedanken, Träume und Ängste man unmittelbar eintauschen kann, wirkt lebendig und echt. Sie ist eine intelligente, starke junge Frau, die bereits in der Abschiebehaft eine Strategie entwickelt hat, wie sie in England überleben kann. Akribisch hat sie sich ein Oxford-Englisch angeeignet und sich Queen Elisabeth II als starke Frau zum Vorbild genommen. 
Sarah bleibt hingegen unnahbarer, zu ihr fällt es wesentlich schwerer eine Verbindung aufzubauen. Die Ereignisse in Nigeria zeigten jedoch, dass auch sie eine mutige Frau ist, die sich bedingungslos für andere einsetzt, weshalb auch sie eine interessante Persönlichkeit ist, die aber ihre Gefühle nicht so offen zeigen kann. 

Der Roman schildert ein Flüchtlingsdrama aus den Jahren 2005 bis 2007, ist jedoch auch heute noch aktuell, denn Little Bees Schicksal ist nur eins von vielen, das zeitlos ist. Überall auf der Welt sind Menschen auf der Flucht und hoffen auf eine Zuflucht in (West-)europa. Insbesondere die Situation für Frauen und Kinder ist in vielen Staaten unerträglich und eine humanitäre Katastrophe. Der Roman zeigt weiterhin auf, wie schändlich mit Asylsuchenden umgegangen wird und dass Flüchtlinge selbst in Europa keine sichere Zukunft erwartet. 
Die fiktive Geschichte bewegt, stimmt nachdenklich, macht auf ein wichtiges Thema kritisch aufmerksam und ist gleichzeitig ein Appell für mehr Menschlichkeit und deshalb lebenswert, auch wenn der Heldenmut der beiden Frauen am Ende etwas überzeichnet wird. 

Montag, 4. Oktober 2021

Buchrezension: Tracy Buchanan - Die Winterfrauen

Inhalt:

Ambers Leben an der Küste Englands ist eintönig – bis an einem eiskalten Wintertag eine junge Frau vor Ambers kleinem Geschenkeladen auftaucht. Sie weiß nicht, wer sie ist und was mit ihr geschehen ist, doch Amber verspürt eine Verbindung zu der Namenlosen und beschließt, ihr zu helfen. 1989: Die Dokumentarfilmerin Gwyneth ist unabhängig und furchtlos, ihr Beruf hat sie an die entferntesten Ecken der Welt geführt. Doch als sie in den verschneiten Highlands fast ums Leben kommt, lässt sie sich von den McCluskys helfen. Gwyneth ist fasziniert von der Familie, vor allem von Dylan, dem rätselhaften und charismatischen Sohn. Aber die McCluskys verbergen ein Geheimnis, dass die Verbindung zwischen Gwyneth und Dylan gefährdet – und Gwyneth Leben für immer verändern wird. 

Rezension: 

Seit Ambers kleine Tochter Katy vor zehn Jahren verstorben ist und ihre Ehe mit Jasper an dieser Tragödie zerbrochen ist, führt sie ein ruhiges, einfaches Leben an der englischen Küste, wo sie einen kleinen Souvenirladen betreibt. Als sie an einem Tag im Dezember ein Mädchen, verletzt und verwirrt, am Strand entdeckt, fühlt sie sich an ihre Tochter erinnert, die nun in diesem Alter sein müsste. Nachdem das Mädchen medizinisch versorgt ist, beschließt Amber ihr zu helfen herauszufinden, wer sie ist und woher sie kommt. 
Zwanzig Jahre zuvor bricht die Dokumentarfilmerin Gwyneth in Schottland an Heiligabend in einen See ein und wird von Dylan McClusky gerettet. Er und seine Familie nehmen sie herzlich bei sich auf und Gwyneth, die selbst von ihren Eltern verstoßen wurde, ist fasziniert von der Lebendigkeit und dem Zusammenhalt des Clans und verliebt sich in Dylan. Die McCluskys bergen jedoch ein Geheimnis, über das Dylan nicht mit ihr sprechen kann und so trennen sie sich, als wäre ihre Liebe nur ein Ferienflirt gewesen. Über ein Jahr später begegnen sie sich auf Island wieder und sind von ihren Gefühlen erneut überwältigt, was nicht ohne Folgen bleibt. 

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen und erzählt zunächst zwei Geschichten von zwei Frauen, die im Leben einiges durchgemacht haben und sich deshalb schwertun, eine engere Verbindung zu anderen Menschen einzugehen. Sowohl von Amber als auch von Gwyneth geht eine Melancholie aus, die berührt und neugierig macht, mehr über ihre Schicksale zu erfahren. Beide Erzählstränge, sowohl der gegenwärtige im Jahr 2009, als auch der vergangene, der von 1989 bis 1996 erzählt wird, handelt in den Wintermonaten, was die beklemmende, eindringliche Atmosphäre noch betont. Der Schreibstil ist zudem so bildhaft, dass man sich in die eisige Landschaft hineinversetzt fühlt, die Schneeflocken vor Augen hat und die Kälte spürt. 
Die Hauptfiguren sind sympathisch und einnehmend, auch die Nebenfiguren sind liebevoll gezeichnet. Es sind einerseits herzliche Menschen, die sich hilfsbereit um andere kümmern, aber auch Menschen, die Geheimnisse bergen und mit ihren eigenen Dämonen kämpfen. 

Auch wenn man bald ahnt, wie beide Erzählstränge zusammenhängen, bleibt die Geschichte offen und spannend. Sie ist zu keinem Zeitpunkt vorhersehbar, denn die Charaktere geben aufgrund ihrer tragischen Vorgeschichten nur wenig von sich preis. Man fühlt unweigerlich mit ihnen mit und hofft auf beiden Handlungsebenen auf ein Happy End, auf Versöhnung, den Mut, Gefühle zu zeigen und der Liebe eine Chance zu geben. 

"Die Winterfrauen" ist eine wunderschön erzähltes, packendes Familiendrama über Verluste, Schuld, Bindungsängste, die Suche nach Liebe und ein Geheimnis, das eine unbeschwerte Zukunft für alle Beteiligten verhindert. Der Roman wird jedoch weniger von der Aufdeckung dieses Mysteriums getragen, sondern vielmehr von den liebenswerten, traurigen Charakteren und der winterlichen, melancholischen Atmosphäre, die der Geschichte Lebendigkeit und Authentizität verleihen und den Leser so schnell nicht loslässt.