Samstag, 11. März 2017

Buchrezension: Marie-Sabine Roger - Das Labyrinth der Wörter

Inhalt:

Mit Mitte 40 und ohne festen Job haust Germain in einem alten Wohnwagen, schnitzt Holzfiguren, baut Gemüse an und trifft sich ab und zu mit Annette – ob es Liebe ist, kann er jedoch nicht sagen, denn die hat er im Leben noch nie erfahren. Bis er eines Tages im Park die zierliche Margueritte kennen lernt, die dort, genau wie er, die Tauben zählt. Obwohl sie unterschiedlicher nicht sein könnten, sind die beiden bald ein Herz und eine Seele. Die lebenskluge alte Dame ist zudem eine passionierte Leserin, und als sie dem ungeschliffenen Hünen vorzulesen beginnt, eröffnet sich Germain eine völlig neue Welt.

Rezension:


Germain Chaze ist 45 Jahre alt und lebt in einem Wohnwagen auf dem Grundstück seiner Mutter. Schon von jeher wurde er von ihr als dumm und ungewollt abgelehnt und entsprechend vernachlässigt. Nicht nur aufgrund der mangelnden Liebe und Unterstützung seiner Mutter sowie der unzureichenden Schulbildung, ist er geistig unterentwickelt.

Mit handwerklichen Gelegenheitsjobs verdient er sein Geld, ansonsten beschäftigt er sich mit dem Gemüseanbau in seinem Garten und geht regelmäßig in die Dorfkneipe auf ein Bier, wo er aber auch nicht wirklich ernst genommen wird.

Im Park, wo er die Tauben zählt und ihnen sogar Namen gibt, lernt er die 86-jährige Margueritte kennen, die die erste Person ist, die sich unvoreingenommen mit ihm unterhält. Von ihrer gewählten Ausdrucksweise ist er zunächst ein wenig irritiert, freundet sich mit der älteren Dame aber bald an, die für ihn wie eine "Oma" wird. Sie beginnt, ihm aus Büchern vorzulesen, so dass Germain den Ehrgeiz entwickelt, diese verstehen zu wollen. Als Marguerittes Sehfähigkeit dann immer eingeschränkter wird, ist es Germain selbst, der sich aus der Bibliothek Bücher leiht und ihr daraus vorliest.

Durch Margueritte hat Germain mit 45 Jahren erstmalig erfahren, wie es ist, geschätzt zu werden und Liebe und Vertrauen zu empfinden. Dieses Gefühl von Geborgenheit, das ihm durch seine neue "Oma" vermittelt wurde, wirkt sich auch positiv auf seine bisher rein auf das Sexuelle reduzierte Beziehung zu der jüngeren Annette aus.

Der kurze Roman gibt inhaltlich nicht viel für eine Handlung her, weshalb sie mich nicht fesseln konnte. Der Großteil der Geschichte spielt sich in den Gedanken von Germain ab, was mich irritierte, da er geistig eingeschränkt sein sollte. Er denkt aber so viel über Gesagtes nach, macht sich Gedanken über einzelne Wörter und kann sich viele Details aus Wörterbüchern und Lexika merken, dass ich dies für einen bewusst als sehr einfach dargestellten Menschen unrealistisch empfand.

Mit der gutmütigen, zierlichen, sanften Omi konnte der Gegensatz zu dem bulligen Germain mit der Fäkalsprache nicht größer sein, weshalb das Buch etwas Schwarz-Weiß-Malerisch ist.
Der Roman zeigt jedoch, dass für die Entwicklung eines Menschen nicht (nur) angeborene, genetische Faktoren ausschlaggebend sind, sondern dass die erste Sozialisation, Familie, Liebe und Vertrauen einen Menschen prägen und fördern oder verkümmern lassen.


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