Montag, 20. März 2023

Buchrezension: Katja Keweritsch - Agnes geht

Inhalt:

Nach einem riesigen Streit mit ihrem Mann will Agnes nur noch weg. Ohne Plan geht sie los – zunächst ins Hotel, dann zu Fuß quer durch Hamburg, immer weiter, bis ins grüne Marschland der Elbe. Was, wenn sie einfach weiterliefe? Am Fluss entlang, bis nach Berlin. Ob das Gehen ihr Antworten schenkt? Vielleicht könnte sie herausfinden, wohin ihre beruflichen Träume verschwunden sind. Wo sie selbst eigentlich während all der Jahre des Kümmerns um Kinder, Haushalt und Familie geblieben ist. Und: ob ihre Ehe noch eine Chance verdient. Unter weitem Himmel wandert Agnes durch malerische Auen, begegnet Menschen und Möglichkeiten und geht Schritt für Schritt einer unerwarteten Zukunft entgegen. 

Rezension: 

Nach einem heftigen Streit mit ihrem Ehemann Tom, von dem Agnes sich gedemütigt und nur als Hausfrau und Mutter wahrgenommen sieht, flieht die Mutter zweier Teenager in ein Hotel und beschießt am nächsten Morgen zu gehen - von Hamburg an der Elbe entlang bis nach Berlin, wo sie auf Empfehlung ihrer Freundin Britta eine neue Arbeitsstelle antreten könnte. 
Auf ihrem Weg, wo sie verschiedenen Menschen begegnet, zu denen sie mehr oder weniger intensive Kontakte hat, wird ihr bewusst, wie unglücklich sie mit ihrem Leben, ihrem Körper und ihrem Dasein als unbezahlte Familienmanagerin ist. 
Währenddessen übernimmt Tom, als der Kühlschrank leer ist und die Teller sich in der Spüle stapeln, sukzessive Agnes' Aufgaben und entwickelt nach Abklingen der Wut über den Egoismus seiner Ehefrau Verständnis für ihre Empfindungen und ist bereit, mehr Verantwortung abseits seines Berufes als Arzt zu übernehmen. 

"Wenn nichts mehr geht, geht gehen" ist Agnes' Devise, um ihren Frust auf der tagelangen Wegstrecke und emotionalen Ballast abzuladen. Agnes' Weg ist einerseits ein Ausbruch aus dem Alltag als Mutter, Putzfrau, Köchin und Chauffeurin, andererseits eine bewusste Auszeit, um sich selbst zu finden und sich klar zu werden, was Agnes sich von ihrem Leben erwartet und ob ihre Ehe mit Tom noch eine Chance hat. Agnes bricht jeglichen Kontakt nach Hamburg ab und lässt sich trotz schmerzenden Füßen immer weiter treiben. Sie fühlt sich frei und unabhängig und macht sich nicht einmal Gedanken um ihre Kinder, die vor den Kopf gestoßen sind. Ist sie deshalb eine schlechte Mutter? Und darf ihr Körper nach zwei Schwangerschaften nicht auch genau so aussehen? 

Agnes ist stellvertretend für viele Frauen, die sich unbezahlt um Haushalt und Kinder kümmern, dafür keine Anerkennung finden und an sich selbst zweifeln. Der Roman handelt von Gleichberechtigung, Mutterschaft, Erschöpfung vom Alltag, Achtsamkeit und Selbstwahrnehmung. Ihre Geschichte ist lebendig geschildert und so authentisch.  
Die Kapitel aus Toms Perspektive zeigen zudem, dass auch er sich verändert und versucht, sich in Agnes und ihr Dilemma hineinzuversetzen. Das rundet den Roman ab und ist durch die Einsichten in das Familienleben ohne die selbstverständliche Mama zu den sonst so ernsten Themen ein passender Ausgleich. 
Auch wenn Agnes etwas radikal vorgeht und sicher auch selbst ein wenig Schuld daran ist, dass sie in den Jahren zuvor nie ein klärendes Gespräch mit ihrem Ehemann geführt hat, ist ihr Weglaufen und ihr Achtsamkeitsweg gut nachvollziehbar. Auch die Landschaften, durch die Agnes streift, sind anschaulich beschrieben, so dass man Agnes innerlich und äußerlich auf ihrem Weg zu mehr Selbstachtung, Anerkennung und Zufriedenheit begleitet. 

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