Freitag, 31. März 2023

Buchrezension: Felicitas Geduhn - Sommer

Inhalt:

Vier Wochen Sommerferien liegen hinter Martin und ihr, vier Wochen noch vor ihnen, als ihre zeitlosen Kinderabenteuer plötzlich erste Einschnitte erleben. Denn mit elf Jahren beginnt man zu ahnen, was die Erwachsenen um einen herum längst wissen: wie man Kriege beginnt und verliert, wie man Mauern baut, Tiere einschläfert, Lügen für sich behält und wie man trotz Einschlägen im Leben – oder mit ihnen – weiterlebt. Bis die Freundschaft mit der siebzigjährigen Fanni Ereignisse in Gang setzt, die das Mädchen für lange Zeit prägen werden. Zehn Jahre danach hat Anna sich in der Anonymität der Großstadt ein eigenes Leben eingerichtet. Sie hält ihre winterkalte Welt leise und geordnet wie die Bücherstapel der Bibliothek, in der sie arbeitet, und wie die Gemüseschublade ihres Kühlschranks, in der die Schildkröte Greta überwintert. Doch als Jahre später das Haus, in dem Martin aufgewachsen ist, zum Verkauf steht, kehren beide zurück in den Kosmos ihrer Familie in dem kleinen, längst gewandelten Ort nahe der immer gleichen Elbe. 

Rezension: 

Im Sommer 1989 ist Anna zehn Jahre alt und freut sich über die Wochen, die sie mit ihrem Cousin und gleichzeitig besten Freund Martin in ihrem Heimatdorf an der ostdeutschen Elbe verbringen darf. Freundschaft schließt sie auch mit der siebzigjährigen Fanni, von der die Kinder aufgrund ihrer Eigenschaft als Zwilling fasziniert sind. Doch was am Ende des Sommers beim Angeln passiert, wird Auswirkungen auf Annas Leben haben, das durch den frühen Tod der Eltern ohnehin schon von Verlust bestimmt war. 
Zehn Jahre später lebt Anna über 300 km von ihrer Heimat entfernt in der Anonymität der Großstadt. Sie hat sich in einer WG arrangiert, wo sie sich um die Schildkröte ihrer Wohnungsgeberin kümmert. Beide Frauen sind froh, wenn sie sich nicht allzu häufig begegnen. 
Im Sommer 2015 ist Anna zurück in ihrer Heimat, als das Haus ihrer Tante verkauft werden soll. Es ist der Sommer, in dem Martins Sohn Erik elf Jahre alt wird und der wieder alles verändern wird.  

"Sommer" ist ein Roman der leisen Töne, der eine melancholische Stimmung ausstrahlt. Die Charaktere sind als Erwachsene in sich gekehrt und zurückhaltend. Vieles bleibt ungesagt und den Gedanken der Leser überlassen. Auch die großen Zeitsprünge vom Sommer 1989 in den Winter 1999/2000 und den Sommer 2015 tragen dazu bei, dass Informationslücken entstehen. So ist auch die Tragik des Sommers 1989 und dessen Auswirkungen nicht leicht fassbar. Der Einschnitt wird ausschließlich in dem eintönigen und einsam wirkenden Leben von Anna deutlich, mit dem sie allerdings zufrieden scheint. Die Traurigkeit zieht sich durch den Roman, denn auch der Sommer 2015 ist mit einem Verlust verbunden. Hoffnung und Zuversicht schenkt die Geschichte trotz aller Schwermut durch die Bedeutung der Familie, die Halt gibt und die sich immer wieder neu zusammensetzt. 

"Sommer" zeigt, welche Auswirkungen Erlebnisse aus der Vergangenheit auf die weitere Zukunft und den eigenen Lebensweg haben können. Die Geschichte stellt eindringlich dar, dass sich die Geister der Vergangenheit nicht leicht verdrängen lassen, dass man sie annehmen muss, um weiterleben zu können. Anna hat ihre ganz eigene Überlebensstrategie entwickelt, die ihr Halt gibt. 
"Sommer" ist bestimmt keine heitere Urlaubsgeschichte, sondern erzählt vielmehr von den Erschwernissen des Lebens, von Tod und Traurigkeit, die auch in einer scheinbar unbeschwerten Ferienzeit voller Abenteuerlust, Entdeckungsgeist und flirrender Hitze, Einzug halten können und für Düsternis und Kälte sorgen können. Doch trotz Verlust ist am Ende immer jemand da, der Halt und Fürsorge gibt, auch wenn es nicht die nächsten Verwandten sind. 

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