Mittwoch, 30. Juni 2021

Buchrezension: Lionel Shriver - Liebespaarungen

Inhalt:

Lawrence ist ein ganz besonderer Mensch, klug, geistreich, verlässlich. Ein Leben ohne ihn kann Irina sich nicht vorstellen. Auch an dem Abend nicht, an dem sie mit ihrem gemeinsamen Freund Ramsey ausgeht. Aber nach einem leidenschaftlichen Kuss mit Ramsey beginnt für Irina plötzlich ein neues Leben. Und mit Ramsey verändert sich vieles, mit ihm wird Irina zu einer anderen Frau. Das Leben mit Lawrence, das Leben ohne diesen Kuss, wäre vorhersehbarer gewesen. Oder? Beide Geschichten sollten erzählt werden – nur um zu erfahren, was gewesen wäre, wenn …

Rezension:

Irina McGovern ist Amerikanerin mit russischen Wurzeln, die zusammen mit ihrem Lebensgefährten Lawrence in London lebt. Irina ist 43 Jahre und Kinderbuchillustratorin, die von zu Hause aus arbeitet, während ihr Lawrence geschäftlich viel unterwegs ist. Die beiden sind seit knapp zehn Jahren zusammen, aber Lawrence hält im Gegensatz zu Irina nichts vom Heiraten. 
Jährlich treffen sie sich mit Ramsey und seiner Ehefrau Jude anlässlich seines Geburtstags zum Essen. Ramsey ist ein erfolgreicher, prominenter Snookerspieler und ein Freund von Lawrence. Als Ramsey geschieden ist und Lawrence gerade wieder im Ausland unterwegs, trifft sich Irina widerwillig allein mit Ramsey zu dem traditionellen Geburtstagsessen. Das Abendessen wird weniger ermüdend und erdrückend schweigsam als gedacht. Irina und Ramsey verstehen sich ohne Lawrence erstaunlich gut und in Irina kommt die Sehnsucht auf, Ramsey zu küssen. 

Der Roman beschreibt nach diesem Abend zwei alternierende Leben von Irina. Im ersten Leben gibt sie der Versuchung nach und entscheidet sich letztlich für Ramsey, den sie schon wenige Monate später heiratet. Im zweiten Leben bleibt sie Lawrence treu, wählt nicht das Abenteuer, sondern den sicheren Weg. 
Das Buch handelt insofern von dem "Was wäre, wenn...?" - nur das die Protagonisten sich nicht wirklich festlegen muss, sondern beide Leben leben kann. Die parallel verlaufenden Kapitel sind interessant zu lesen, da sich die Ereignisse wiederholen, aber jeweils anders verlaufen. Irina ist dabei eine wankelmütige Frau, die weder in dem einen noch in dem anderen Leben wirklich zufrieden ist. Sie führt ein eintöniges Leben und ist jeweils viel zu sehr auf den Mann an ihrer Seite fixiert. Dabei sind beide wenig sympathisch. Während Lawrence weltgewandt, politisch interessiert und übermäßig korrekt ist, ist Ramsey ein plumper Sportler, eindimensional und dumm. Lawrence wird von Irina umschwärmt, lässt ihr aber wenig Freiräume und dominiert sie. Ramsey zeigt Irina zumindest seine Liebe, ist jedoch besitzergreifend und möchte sie als Spielerfrau stets an seiner Seite wissen. 

Das Buch hat mit den zwei alternativ verlaufenden Leben einen interessanten Ansatz, ist jedoch im Mittelteil ermüdend zu lesen. Insbesondere die Beschreibungen des Snooker-Spiels, aber auch so manche Dialoge zwischen den jeweiligen Paaren sind zu langatmig. Dabei ist es lange fast schon ärgerlich zu lesen, dass sich Irina, eine gut aussehende, gebildete Frau, in beiden Leben so von ihren Männern abhängig macht und dabei ihre Zeichentalent unterdrückt. Erst als Irina aus nicht nachvollziehbaren Gründen selbstbewusster wird und ihre eigenen Wege geht, werden die Geschichten jeweils interessanter. 

"Liebespaarungen" ist ein Roman über die Liebe und die Frage, ob es nur den einen richtigen Weg im Leben gibt, ob die Liebe Schicksal oder ob die eigene Wahl entscheidend ist. Sich beide Leben vorzustellen, ist eine anregende Fantasie, die eine Entscheidungsfindung erleichtern kann. Der Verlauf des Romans hat mich jedoch nicht nur wegen der beschriebenen Längen enttäuscht. In beiden Beziehungen konnte ich kein Prickeln spüren und hatte nicht den Eindruck, dass einer der beiden eigenwilligen Männer zu Irina passt. Kein Lebensweg scheint sie wirklich glücklich zu machen und zufrieden zu stellen, was als Quintessenz traurig ist. Ernüchternd ist am Ende, dass es keinen richtigen Weg zu geben scheint, dass kein Leben perfekt ist, dass es überall ein Auf und Ab gibt und dass sich offenbar nicht einmal das Risiko lohnt, von einem vorgezeichneten Weg abzuweichen. Es gibt nicht die eine richtige Wahl, nur unterschiedliche Leben.   
Der Roman ist insofern nichts für Romantiker, die zumindest von einem Happy End geträumt haben. 

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