Essen 1962: Betty heiratet ihren Martin und ist fest entschlossen, ihr lang ersehntes Glück mit aller Macht festzuhalten. Zu viele Entbehrungen hat sie schon hinnehmen müssen. Der zweite Weltkrieg hat Betty nicht nur ihre Heimat, ihre Familie und ihre erste Liebe genommen, sondern ihr auch ein düsteres Geheimnis aufgebürdet. Seit jener Zeit ist das Schwimmen Bettys Halt und Trost. Eine Überlebensstrategie, den Kopf immer über Wasser zu halten, komme was wolle. Ausgerechnet beim Schwimmen trifft sie nun auf ein junges Mädchen, das ihr eigenartig vertraut erscheint. Und dieses Mädchen hat entschieden, sich ein Stück von Bettys Glück zu greifen. Es beginnt, sie zu verfolgen, zu erpressen. Betty erkennt, dass die Vergangenheit sie hinabzureißen droht, wenn sie sich ihr nicht endlich stellt.
Rezension:
Elisabeth - Betty - Strissel ist 32 Jahre alt und wohnt frisch verheiratet mit ihrem Ehemann Martin in Essen. Die schrecklichen Ereignisse der Vergangenheit haben sie geprägt und sie dachte, dass sie nie wieder glücklich sein könnte. Das Kennenlernen von Martin war für sie ein neuer Anfang. Er ist ein guter Ehemann, der sie begehrt und bei Krupp eine gute Arbeit hat. Betty muss deshalb nicht mehr als Verkäuferin arbeiten und geht vormittags schwimmen. Das Gefühl von Freiheit im Wasser ist seit der letzten Weltkriegsjahre ein Segen für sie. Dort kann sie die Vergangenheit ausblenden und auch ihr düsteres Geheimnis vergessen - bis eines Tages Claudia an der Kasse im Schwimmbad sitzt und Betty seitdem zu verfolgen scheint.
"Die Schwimmerin" ist ein Roman, der auf zwei Zeitebenen handelt. Die Vergangenheit erzählt die Jahre von 1942 bis 1946, als die junge Elisabeth zusammen mit ihrer Mutter von Düsseldorf in das schwäbische Weilerbach flieht, wo sie nach kurzen Anpassungsschwierigkeiten tapfer ihren Weg geht. Ihre Mutter ist eine ängstliche Frau, um die sich Elisabeth mehr kümmert, als umgekehrt. Durch die Freundschaft zu Susanne, der Pfarrerstochter, findet Elisabeth eine Gemeinschaft, in der sie sich wohlfühlt. Sie verliebt sich in Susannes Bruder Rüdiger, mit dem sie die Liebe zur Literatur verbindet, der jedoch in den Krieg eingezogen wird.
1962 verdrängt Betty ihre Vergangenheit, die sie in Träumen und Erinnerungen jedoch immer wieder einholt. Insbesondere die Angst vor einer Diakonisse, die ihr die Luft zum Atmen nimmt, sitzt tief und lässt vermuten, dass Betty auch nach Kriegsende noch Schlimmes widerfahren sein muss.
Die Zeit während des Zweiten Weltkriegs, wobei der Krieg an sich in dem schwäbischen Dorf nicht so vordergründig ist, sondern mehr Elisabeths Erwachsenwerden, ihre Einsamkeit und ihr Drang nach Freiheit und Selbstständigkeit sowie der Wunsch nach Unabhängigkeit von ihrer schwachen Mutter, im Fokus der Handlung stehen, wird lebendig beschrieben. Aber auch die Lebenswirklichkeit einer Hausfrau in den 1960er-Jahren ist bildhaft und authentisch erzählt. Unterstrichen wird dies durch den mundartlichen Dialekt der schwäbischen Landbevölkerung, aber auch der städtischen Rheinländer, der in den Dialogen Verwendung findet.
Sowohl in die junge Elisabeth als auch die erwachsene Betty kann man sich als Leser*in gut hineinversetzen, auch wenn zunächst nicht bekannt ist, welche Ereignisse und welches Geheimnis Betty noch in der Gegenwart quält. Das Schwimmen als Symbol für ein Abtauchen und Flucht aus der Wirklichkeit ist sowohl auf beiden Zeitebenen präsent und als Bettys Schutzanker gut gewählt.
"Die Schwimmerin" ist ein Roman über eine junge Frau mit einer bewegten Vergangenheit, die ein Trauma verdrängt hat, dass sie nach der Heirat mit ihrem Mann, dem gegenüber sie sich nie geöffnet hat, einholt, und dem sie sich stellen muss, um tatsächlich endlich neu anzufangen.
Es ist eine berührende Geschichte, bei der der Wechsel zwischen den Zeitebenen wunderbar gelungen ist und bei der sich allmählich immer mehr Puzzleteile zusammenfinden, um Bettys Persönlichkeit und ihre verdrängten Ängste in Gänze zu erfassen.
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