Montag, 15. April 2019

Buchrezension: Stefanie Gerstenberger - Gelateria Paradiso

Inhalt:

Venetien, 1964: Der junge Italiener Lucio macht sich auf den weiten Weg nach Deutschland. Fern der Heimat verwirklicht er sich seinen Traum: eine eigene Eisdiele. Und schon bald findet er auch die Liebe in der kalten Fremde. Doch in Italien wartet seine Verlobte auf ihn.
Bergisches Land, 2018: Bei der Auflösung der alteingesessenen Gelateria Paradiso trifft Susanne auf die elegante Italienerin Francesca. Überraschend werden die beiden so unterschiedlichen Frauen damit konfrontiert, dass sie Halbschwestern sind.
Zwei Schwestern, die für Jahrzehnte getrennt waren, decken das Geheimnis ihres Vaters auf. Ihre gemeinsame Geschichte beginnt in Italien.


Rezension:

Als Francesca die alten Möbel der schon lange geschlossenen Eisdiele ihrer Eltern im Bergischen Land veräußern möchte, trifft sie auf die Tischlerin Susanne. Durch einen Zufall finden die beiden heraus, dass sie denselben Vater haben. 
Susanne ist ein Adoptivkind und hat ihre leiblichen Eltern nie kennengelernt. Francesca fühlte sich Zeit ihres Lebens von ihren Eltern vernachlässigt und hat ihnen im Alter von 22 Jahren endgültig den Rücken gekehrt. 
Susanne möchte ihren Vater Luciano Paradiso unbedingt kennenlernen, die verschuldete Francesca fürchtet um ihr Erbe als einzige Tochter. Beide begeben sich deshalb aus unterschiedlichen Motiven und Erwartungen nach Venetien, um ihren Vater am Sterbebett zu sehen. 

Durch die Reise der beiden ungleichen Schwestern nach Italien taucht man in die Vergangenheit ein, indem Luciano endlich berichtet, wie es dazu kommen konnte, dass er 1967 mit nur drei Monaten Abstand Vater zweier Töchter wurde, weder seine Töchter noch seine Ehefrau Tiziana aber eine Ahnung davon hatten. 

Ich hatte enorme Schwierigkeiten damit, Verständnis für den Gastarbeiter Luciano und seine Beziehung zur deutschen Monika und zur Italienerin Tiziana zu haben, von der eine aus reiner Berechnung entstanden ist. Auch Tiziana macht es einem nicht leicht, Mitgefühl mit ihr als Betrogener zu haben. Daneben ist Francesca eine Protagonistin, die übertrieben unsympathisch dargestellt ist. Durch diese Charakterkonstellationen wurde mir die Freude am Lesen genommen. Die Figuren sind verbittert, egoistisch, selbstsüchtig, rücksichtslos und/ oder verlogen. so dass sie dem Leser auch im weiteren Verlauf des Romans nicht ans Herz wachsen. Einzig Susanne wirkt vernünftig, wohingegen ihr Ziehsohn, der behinderte Lennart so plakativ liebenswürdig, übermenschlich empathisch und schamlos ehrlich dargestellt wird, dass mir seine Rolle als Gegenpart zu den anderen herzlosen Charakteren zu penetrant süß war. Susannes Vergangenheit, warum gerade ihre Adoptiveltern, die sich ja bewusst dafür entschieden hatten, einem Baby aus seinem Heim ein Zuhause zu geben, so lieblos waren, bleibt bis zum Ende schleierhaft. 

Die Vergangenheit der Paradisos, gerade der Aufbau der Eisdiele in den 1960er-Jahren durch einen italienischen Gastarbeiter, sein Erfolg und der Aufbau eines Familienbetriebs spielte leider überhaupt keine Rolle,so dass der Titel des Romans im Nachhinein irritiert und andere Erwartungen weckt. Davon abgesehen bleibt die eigentlich emotionale Geschichte denkbar oberflächlich. Gerade in der Gegenwart, die den Hauptanteil des Romans ausmacht, empfand ich die Reaktionen in Italien auf den Besuch von Francesca und Susanne als fragwürdig. Statt Irritationen hervorzurufen, werden beide herzlich und mit großen Hallo von der italienischen Großfamilie in Empfand genommen, als wäre es das Selbstverständliche auf der Welt, dass eine Tochter nach 30 Jahren Funkstille zu ihren Wurzeln zurückkehrt und das Resultat einer Affäre zeitgleich in Erscheinung tritt. Die Probleme werden insgesamt stark vereinfacht dargestellt, die Beziehungen bleiben oberflächlich, die Beweggründe der Charaktere nicht nachvollziehbar.  

Ich hatte mir von dem Roman mehr Italienflair, mehr Familiensinn, mehr Solidarität unter den Halbschwestern und eine intensivere Aufarbeitung der Vergangenheit erhofft. Das Potenzial der Geschichte wurde meines Erachtens nicht einmal annähernd ausgeschöpft. Darüber hinaus zeugt der Schreibstil nicht von Kreativität oder Einfühlungsvermögen, da die unterschiedlichen Perspektiven von Francesca bzw. Susanne gleichförmig beschrieben sind. Auffällig sind dabei insbesondere die gedanklichen Selbstgespräche, die beide immer wieder mit sich selbst führen. Vielleicht wurde deshalb auch der Name der handelnden Person am Kapitelbeginn fett gedruckt, um den Leser den Überblick zu erleichtern? Das sollte eigentlich durch die Erzählung selbst klar werden. 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen