Samstag, 22. Mai 2021

Buchrezension: Lucia Leidenfrost - Wir verlassenen Kinder

Inhalt:

Ein abgeschiedenes Dorf. Leere Bauernhöfe. Eine aufgelassene Schule. Die Erwachsenen haben nach und nach das Dorf verlassen. Zurückgeblieben sind die Kinder. Sie empfangen Pakete und Geld. Sie kochen, putzen und pflegen die Großeltern und kleinen Geschwister. Scheinbar soll Krieg herrschen rundherum. Als auch der einzige Lehrer das Dorf verlässt, beginnen die Kinder, ihre eigenen Gesetze und Regeln aufzustellen. Was harmlos beginnt, wird rasch zu einem System aus Gewalt und Macht, dem sich alle zu unterwerfen haben. Nur Mila will sich nicht beugen und wird zur Außenseiterin, die bis zum Ende für das Gute kämpft.

Rezension:

In einem Dorf sind nur noch wenige Häuser bewohnt. Die allermeisten Erwachsenen hab es verlassen, übrig geblieben sind die Kinder und ein paar wenige Großeltern, die sich noch so gut es geht, um sie kümmern. Die Erwachsenen haben das Dorf verlassen, um in der nächsten Stadt Arbeit zu finden. Offenbar schwelt ein Konflikt, der sich zu einem Krieg ausweiten könnte. 
Die Kinder sind zunehmend auf sich alleingestellt. Die Pakete aus der Stadt und auch die Nahrungsmittel werden weniger. Die Kinder beginnen damit ihre eigenen Regeln aufzustellen, denn ohne einen geregelten Tagesablauf herrscht keine Struktur mehr. Mila, die Tochter des Bürgermeisters, der immer noch die Stellung hält, beugt sich nicht den Regeln. Sie glaubt nicht mehr daran, dass die Erwachsenen zurückkehren werden, bricht in leerstehende Häuser ein und bedient sich dort an den Utensilien. Das erzürnt die anderen Kinder und macht sie zur Außenseiterin. Mila bleibt jedoch standhaft. Ihr Traum ist es, Lehrerin zu werden und die Kinder zu unterrichten, um ihnen eine Perspektive zu geben. 

Der Roman ist aus der Sicht der Kinder - ein kollektives "Wir" - aus der Perspektive von Mila und vereinzelten Erwachsenen geschildert, die auch rückblickend von der Zeit im Dorf berichten. Dabei kommt insbesondere die Brutalität der Kinder zutage, die so erschreckend ist, dass man sich fragt, ob es nicht die Kinder gewesen sind, die die Eltern vertrieben haben. 

Das Dorf ist fiktiv und es ist nicht möglich, die Situation einer bestimmten Zeit oder einem bestimmten Ort zuzuordnen. Fakt ist nur, die Kinder wurden verlassen und je weniger Erwachsene übrig sind, desto weniger kommen die Kinder mit der Situation zurecht. Warum die Eltern das Dorf wirklich verlassen hab, ob tatsächlich irgendwo Krieg herrscht und warum sich aus der Stadt oder Regierung niemand darum kümmert, ist unklar. Auch die Rolle des Bürgermeisters, der zumindest die Funktion eines Regierenden hat, ist hinreichend unbestimmt. 

"Wir verlassenen Kinder" ist eine Dystopie, die auf wenigen Seiten in einer bildhaften, metaphorischen Sprache ein düsteres Szenario zeichnet. Da der Hintergrund des Verlassenwerdens im Dunkeln blieb, hatte ich Schwierigkeiten, Gefallen an der Geschichte zu finden. Auch fand ich schade, dass die Protagonisten, insbesondere die verbliebenen Kinder, namenlos blieben, obwohl man aufgrund der geringen Anzahl an Personen einige Charaktere hätte hervorheben und ihnen ein Gesicht geben können. So gab es nur Mila und ein anonymes "Wir". Dabei empfand ich es als unrealistisch, dass sich innerhalb des Wir keine Struktur herausbildete. Es gab keine erkennbare Gruppendynamik oder Rollen, die die Kinder typischerweise eingenommen hätten. 
Die Geschichte ist zudem weder spannend noch empathisch erzählt. Das Dorf, das im luftleeren Raum zu schweben scheint, und die Einzelschicksale bewegen nicht. Am Ende bliebt dem Leser ein enormer Interpretationsspielraum hinsichtlich der Sinnhaftigkeit dieser Parabel (?). Ich hatte mehr Fragen als Antworten. 

2 Kommentare:

  1. Oje, sehe jetzt erst, dass das ein totaler Flop für dich war! Wie schade! :-( War das nicht eines der Bücher, dass du bei mir in meinem Achtsamkeits-Adventskalender letztes Jahr gewonnen hast?
    Wie unterschiedlich man eine Geschichte lesen kann! Ich fand es total spannend! Ich hätte sehr gerne noch mehr von dieser Geschichte gelesen und du hast recht, es gibt einige Fragen, die sich stellen und nicht beantwortet werden, doch hier störte mich es nicht. Willst du dich noch über das Buch austauschen? Falls ja, schreib mir doch einfach ne Mail. :-)
    GlG, monerl

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  2. Liebe Monerl,

    genau, es war das Buch aus deinem Achtsamkeitskalender, das ich vom SuB befreit habe. Wie schon in meiner Rezension beschrieben, war es einfach nicht nach meinem Geschmack. Ich finde es zwar grundsätzlich in Ordnung, wenn man am Leser am Ende noch seine eigene Fantasie spielen lassen kann, um sich Fragen selbst zu beantworten, aber in diesem Fall war es mir einfach zu viel. Wenn das Buch mehr Seiten gehabt hätte, hätte ich es bestimmt abgebrochen - so wenig konnte ich damit anfangen.
    Du hast Recht, es ist wirklich interessant, wie manchmal die Meinungen auseinander gehen. Meistens gehen wir doch konform.

    Ich wünsche dir ein schönes verbleibendes Wochenende!

    Liebe Grüße
    Lena

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