Mittwoch, 6. Mai 2020

Buchrezension: Tom Perrotta - Mrs Fletcher

Inhalt: 

Mit zarten 46 Jahren kann’s das doch noch nicht gewesen sein! Gerade war Eve Fletcher noch alleinerziehende Mutter. Jetzt probiert ihr Sohn Brendan am College aus, was es heißt, ein Mann zu sein, und auch, was es nicht heißt. Aber sind Mütter nicht auch nur Frauen? Also umsortieren, neu aufstellen, was wagen – aber wie? Während Eve und Brendan jeder für sich mal mehr, mal weniger glorreiche Abenteuer bestehen, steuern sie unbeirrbar auf eine schicksalhafte Novembernacht zu, die ihr ehemals so geordnetes Vorstadtleben aus den Angeln zu heben droht. 

Rezension: 

Eve Fletcher ist 46 Jahre alt, als sie ihr einziger Sohn Brendan verlässt, um aufs College zu gehen. Eve ist Leiterin eines Seniorenzentrums in der Kleinstadt Haddington, fühlt sich als geschiedene Frau jedoch einsam. Ihre Freizeit verbringt sie auf Facebook, bis sie von einem Fremden eine SMS erhält, in der sie als MILF bezeichnet wird. Sodann recherchiert sie auf MILF-Pornoseiten, ist einerseits entsetzt über die Masse an freizügigen Videos, andererseits aber auch fasziniert und entwickelt eine Obsession für sie. Eve fragt sich, ob ihr einsames Leben nun alles sein soll, meldet sich für ein Gender und Gesellschafts-Seminar an und beschäftigt sich intensiv mit ihrer Sexualität und Genderfragen. 

Währenddessen möchte Brendan sich durch den Aufenthalt am College von seiner Mutter abnabeln, erwartet Spaß und Partys. Der Start ist ganz nach seinen Vorstellungen, er freundet sich auf Anhieb mit seinem Zimmergenossen Zack an, genießt euphorisch Alkohol, Rauschmittel und Partys - nur das Lernen und sein Sexualtrieb kommen zu kurz. Sein Highschool-Charme kommt bei den Studentinnen nicht an und auch seine Noten sind auf unterstem Niveau. Zunehmend isoliert, findet ein Umdenken in ihm statt, das ihn reifer erscheinen lässt. Im Zuge dessen verliebt er sich in eine Mitstudentin, eine Verfechterin für soziale Gerechtigkeit, die so gar nicht in sein Beuteschema passen mag. 

Der Roman erzählt alternierend aus Der Sicht von Eve und Brendan, die sich beide mit wesentlichen Veränderungen in ihrem Leben auseinandersetzen müssen. In kurzen Abschnitten wechselt die Perspektive ergänzend auf ihre Wegbegleiter, wie Eves jüngere Kollegin Amanda und Brendans College-Freundin Amber. 

Die Geschichte ist voller Situationskomik und ist deshalb erfrischend unterhaltsam zu lesen. Die Protagonisten sind individuell und lebendig gezeichnet. Beide Hauptcharaktere entwickeln sich im Verlauf des Romans entscheidend weiter. Eve hatte bisher ihren Fokus beben ihrem Beruf auf ihren Sohn begrenzt, beschäftigt sich nun intensiver mit sich selbst und entdeckt ihre (sexuellen) Vorlieben neu. Dabei lernt sie nicht nur ihre jüngere Kollegin näher kennen, sondern auch die Dozentin ihres Seminars, ein Transgender, und einen Mitschüler ihres Sohnes. 
Brendan, ein Teenager, der zu Beginn stumpfsinnig, triebgesteuert und rein egoistisch agierte, erweitert seinen Horizont und wird durch das Leben auf dem Campus, das weit mehr als Sex und Partys bietet, allmählich erwachsen. 

"Mrs Fletcher" ist ein Coming-of-Age-Roman, der von aktuellen Themen wie die Frage der sexuellen Orientierung, Feminismus oder Patchwork-Familien handelt und damit am Puls der Zeit ist. Die Thematik spielt sich zwar in einem humorvollen Rahmen ab, verliert dabei aber nichts an ihrer Ernsthaftigkeit. Der Roman ist unterhaltsam und beweist dennoch Tiefe. Sex und Sexualität in all ihren Erscheinungsformen begegnen dem Leser auf provokante, zumal auch explizite Art und Weise, wirken dabei aber nicht übertrieben oder gar primitiv, sondern satirisch. 



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen