Samstag, 1. Dezember 2018

Buchrezension: Jennifer Egan - Die Farbe der Erinnerung

Inhalt: 

Nur ein paar Postkarten sind Phoebe von ihrer großen Schwester Faith geblieben, die 1970 in Italien ums Leben kam. Unfall? Mord? Selbstmord? Phoebe will die Wahrheit herausfinden und begibt sich von San Francisco aus auf eine Reise nach Europa: von Amsterdam über Paris und München bis ins italienische Corniglia in eine Zeit hinein, in der eine Generation, berauscht von Drogen und dem Ideal der freien Liebe, an eine bessere Zukunft glaubte und die Welt aus den Angeln heben wollte. 

Rezension: 

Phoebes ältere Schwester Faith ist vor acht Jahren, 1970, in Italien gestorben. Phoebe ist inzwischen 18 Jahre alt und möchte wissen, was sich damals tatsächlich ereignet hat und reist deshalb von San Francisco nach Europa. Sie macht an den Orten Halt, von denen Faith Postkarten geschrieben hat. Während Phoebe weder in Amsterdam, noch in Paris vielmehr über ihre Schwester erfährt, trifft sie in München auf Wolf, Faiths damaligen Freund. Er begleitet sie nach Italien, wo sich Faith von einer Klippe in Corniglia gestürzt hatte. 

Die junge und unerfahrene Phoebe beginnt eine Liebesbeziehung mit Wolf, die insbesondere körperlich ausgeprägt ist. Gleichzeitig erfährt Phoebe, in welche Kreise Faith geraten ist und welches Ereignis letztlich der Auslöser für Faiths Selbstmord gewesen ist. 

Der melancholisch anmutende Roman handelt 1978, blickt aber immer wieder zurück in die Vergangenheit, in die Kindheit von Phoebe und der ihrer beiden älteren Geschwister Faith und Barry in den 60er-Jahren. Als der Vater stirbt, der die älteste Tochter den anderen beiden vorgezogen und durch seine Malerei ein Denkmal gesetzt hat, verliert Faith einen Halt im Leben, reist nach Europa und rutscht dabei in die linksextremistische Szene ab. Faith erscheint als Mitläuferin, die einfach nur dazugehören möchte, kann sch der Gruppendynamik aber nicht erwehren und schließt sich letztlich der "Bewegung 2. Juni" an, die die RAF zum Vorbild hatte. 

Phoebe wandelt auf den Spuren ihrer älteren Schwester und entdeckt eine Wahrheit, die sie nie für möglich gehalten hätte. Wolf hat ihr gegenüber erstmalig sein Schweigen und damit ein Versprechen gebrochen, das er Faith gegeben hatte. Phoebe selbst reift auf ihrer Reise durch Europa, die sie sehr naiv angetreten hatte. 

Während mit der Beginn des Romans gefallen hat und ich Phoebes Schritte und ihre Entscheidung nach Europa zu reisen nachvollziehen konnte, um herauszufinden, was ihrer Schwester widerfahren ist, in deren Schatten sie und ihr Bruder immer gestanden hatten, entwickelte sich der Roman durch die Begegnung mit Wolf in eine Richtung, die mir wenig gefiel. Die wiederholten Szenen , in denen sich das lüsterne Paar an allen erdenklichen Plätzen seine fleischlichen Lust hingibt, empfand ich ermüdend und hätten nicht in dieser Breite dargestellt werden müssen, um ein Gefühl für Phoebes Einsamkeit und Wolfs Sehnsucht nach Faith zu bekommen. Auch Faiths Abdriften in terroristische Strukturen kam mir sehr extrem und fast unwirklich vor. Die eigentlich spannende Romanidee wurde für mich nur unzureichend umgesetzt, das Potenzial der Geschichte nicht ausgeschöpft.

Die Autorin vermischt reale Ereignisse mit der Geschichte um Faith, an deren Ende ich mir ein Nachwort gewünscht hätte, um eine klare Trennung von historischer Wahrheit und Fiktion nachvollziehen zu können. 



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