Mittwoch, 17. März 2021

Buchrezension: Anja Baumheier - Die Erfindung der Sprache

Inhalt:

"Mit dem Jungen läuft etwas nicht so, wie es soll." Das sagt man, als Adam erst mit zwei Jahren zu sprechen beginnt. Menschliche Beziehungen sind für ihn ein Mysterium, stattdessen schwärmt er für die Zahl Sieben. Beim Heranwachsen auf der ostfriesischen Heimatinsel wird er liebevoll von seiner Familie umsorgt, allen voran von seiner tschechischen Großmutter Leska und seinem Vater Hubert. Dieser richtet seinem Sohn im alten Leuchtturm einen Weltrückzugsort ein, der nur ihm gehört.
Doch dann bricht die Katastrophe über den bilderbuchschönen Himmel von Platteoog herein: Kurz nach Adams 13. Geburtstag verschwindet sein Vater spurlos, seine Mutter verstummt unter der Last ihrer Trauer.
Eines Tages und viele Jahre später, Adam ist Dozent für Sprachwissenschaften an einer Berliner Universität, fällt ihm ein Buch in die Hände: „Die Erfindung der Sprache“. Es enthält Hinweise auf seinen Vater - offenbar ist er auch aus dem Leben einer anderen Familie wortlos verschwunden. Adam begibt sich auf die Suche. Seine abenteuerliche Reise führt ihn quer durch Deutschland, nach Prag, in die Bretagne und bis ans Ende der Welt. 

Rezension:

Hubert Riese kommt Anfang der 1980er-Jahre auf die ostfriesische Insel Platteeoog, um den Leuchtturm zu restaurieren und lernt dort die junge Oda kennen. Die beiden heiraten wenig später und bekommen nach langem Warten einen Sohn. Adam kommt als Frühchen zur Welt und ist seiner Entwicklung in vielem hinterher. Auch wenn er spät das Sprechen lernt und Probleme hat, die Menschen zu verstehen, interessiert er sich für Sprache und lernt bereits mit vier Jahren lesen und schreiben. Er ist ein besonderes Kind, das sich im Umgang mit anderen schwertut und hat vor allem Neuen und Ungewohnten panische Angst. 
Als Adam 13 Jahre alt ist, verschwindet sein Vater während einer Pilgerreise auf dem Jakobsweg spurlos. Seine Mutter Oda verkraftet den Verlust kaum und verliert ihre Sprache. Mit Adam und dem Rest der Familie kommuniziert sie nur noch schriftlich. 
Adam zieht Jahre später nach Berlin, wird Dozent für Sprachwissenschaften und hält sich weiterhin an seinen Listen, der Zahl sieben und seinem Mantra "Einatmen. Ausatmen." fest. 
Als seine Mutter durch einen Zufall auf das Buch "Die Erfindung der Sprache" stößt, findet sie darin einen Hinweis auf ihren Mann Hubert. Trotz Adams Schwierigkeiten mit Veränderungen umzugehen, macht er sich mit der Unterstützung der Autorin des Buches Auf den Weg, um seinen Vater zu finden. 

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen, schildert in der Vergangenheit das Kennenlernen von Oda und Hubert und die Kindheit von Adam. In der Gegenwart ist Adam erwachsen und auf der Suche nach seinem Vater. Adam hat autistische Züge, weshalb das Leben und vor allem der Umgang mit anderen Menschen nicht einfach ist. Auch für den Leser ist es deshalb nicht einfach, einen Zugang zu dem Sonderling zu finden. Die weiteren Charaktere bleiben trotz ihrer Liebenswürdigkeit ebenfalls unnahbar und auf Distanz. 

Es ist ein Buch, in der die Sprache in all ihren Varianten eine große Rolle spielt. Da ist Adam, der seine Mitmenschen und Redewendungen nicht versteht und sich lieber wissenschaftlich einen Zugang zur Sprache verschafft. Da ist Oda, die Radiomoderatorin, die mit dem Verlust ihres Mannes auch ihre Stimme verliert. Da ist Zola, die Romanautorin, die die Sprache der Tiere versteht. Und Hubert, der eigens eine Maschine gebaut hat, um Adam als Baby zu verstehen. Der Roman enthält viele sehr detaillierte Beschreibungen, viele Fremdwörter und Zitate, insbesondere von dem Dichter Rainer Maria Rilke, von dem Hubert ein großer Freund ist. So manche Abschweifungen wie der japanische Arzt, der zum Buddhismus übertritt oder die Katze Zola als Adams Reisebegleiterin empfang ich überflüssig. 
Die Familiengeschichte bzw. das Motiv für Huberts klammheimliches Verlassen seiner Familie tritt bei all der Sprachgewaltigkeit und Wortakrobatik in den Hintergrund. Für mich hatte der Roman dadurch zu viele Längen. Das Geheimnis um Huberts Verschwinden und auch die Suche nach ihm hätten spannender geschildert sein können. Adams Roadtrip war mir von zu vielen glücklichen Zufällen geprägt. 

"Die Erfindung der Sprache" empfand ich phasenweise ermüdend zu lesen. Mir fehlte eine Verbundenheit zu den Romanfiguren, so dass mich die Geschichte weder in der Vergangenheit und noch weniger in der Gegenwart wirklich fesseln konnte. Die Botschaft die der Roman vermittelt - der Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft auf Platteoog, deren Toleranz und wie sie die Eigenarten ihrer Bewohner nicht hinterfragen und klaglos akzeptieren - ist glaubwürdig geschildert. Zudem ist schön zu sehen, wie es Adam schafft, sich seinen Ängsten zu stellen, sein gewohntes Umfeld zu verlassen, sich zu öffnen und damit auch einen Zugang zu anderen Menschen zu finden. 
Im Vergleich zu den wunderschön berührenden Romanen "Kranichland" und "Kastanienjahre" von Anja Baumheier war ich von "Die Erfindung der Sprache" enttäuscht. 



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