Montag, 15. April 2024

Buchrezension: Hervé Le Tellier - Die Anomalie

Inhalt:

Im März 2021 fliegt eine Boeing 787 auf dem Weg von Paris nach New York durch einen elektromagnetischen Wirbelsturm. Die Turbulenzen sind heftig, doch die Landung glückt. Allerdings: Im Juni landet dieselbe Boeing mit denselben Passagieren ein zweites Mal in New York. Im Flieger sitzen der Architekt André und seine Geliebte Lucie, der Auftragskiller Blake, der nigerianische Afro-Pop-Sänger Slimboy, der französische Schriftsteller Victor Miesel, eine amerikanische Schauspielerin. Sie alle führen auf unterschiedliche Weise ein Doppelleben. Und nun gibt es sie tatsächlich doppelt − sie sind mit sich selbst konfrontiert, in der Anomalie einer verrückt gewordenen Welt. 

Rezension: 

Ein und dasselbe Flugzeug mit den selben Passagieren und der selben Besatzung landet nach Turbulenzen zweimal in New York - im März 2021 und im Juni 2021. Während die Betroffenen zunächst noch ahnungslos sind, versucht die amerikanische Regierung zusammen mit hinzugezogenen Wissenschaftlern eine Erklärung für das Phänomen zu finden. Ist die Welt nur eine Simulation? Handelt es sich um einen Programmierfehler? Hat Gott seine Hand im Spiel? Und was passiert, wenn die Doppelgänger sich begegnen? Wo ist Platz für den zweiten von ihnen? 

Ein interessanter Plot, der jedoch wenig spannend aufgebaut ist. Da schon durch den Klappentext von Anbeginn klar ist, worauf was die Geschichte hinausläuft, ist gerade der Anfang der Geschichte recht zäh. Man erhält Einblicke in die Leben verschiedener Personen in unterschiedlichen Ländern: ein Auftragskiller aus Frankreich, ein Musiker aus Nigeria, ein alternder Architekt und seine Geliebte, ein französischer Schriftsteller und eine junge, amerikanische Schauspielerin. Am Ende steht in allen Episoden das FBI bei ihnen und ihren Familien vor der Tür. Bei den Personen, die scheinbar nichts miteinander verbindet, handelt es sich um die Passagiere des Flugs von Paris nach New York, die es nach der zweiten Landung im Juni doppelt gibt. 

Durch die nur kurzen Einblicke in die jeweiligen Leben bleiben die Charaktere unnahbar und austauschbar. Selbst deren Lebensumstände, die durch Verbrechen, Erkrankung oder gar Kindesmissbrauch, Potenzial für bewegende Geschichten geben, werden halbherzig und oberflächlich ausgeführt, was auch der Vielzahl der Personen geschildert ist. 
Die Suche nach einer Erklärung ist nicht einmal annähernd spannend wie ein Kriminalroman. Es folgen Diskussionen von Wissenschaftlern, dem FBI, Regierungsvertretern und Vertretern der (Welt-)religionen, in denen verschiedene Theorien ausgeführt werden. Wissenschaftliche, philosophische und religiöse Thesen werden unterbreitet, aber letztlich ist das Resultat mit zwei Landungen und entsprechenden Doppelgängern so unglaublich, dass es schwer ist eine befriedigende, logische Lösung zu finden - und die kann auch der Autor nicht präsentieren. 
Interessanter sind die Begegnungen der Doppelgänger, wie unterschiedlich die Reaktionen sind und was die Doubles mit ihren Leben zukünftig anstellen wollen. 

"Die Anomalie" klingt vielversprechend und originell, verliert aber durch den Klappentext, der bereits die gesamte Handlung offenbart, schnell ihren Reiz. Die Geschichte ist zudem zu fragmentarisch erzählt und kann weder in der Art der Darstellung noch bei dem Versuch einer Erklärung des Phänomens Spannung erzeugen oder Emotionen wecken. Während man sich mehr oder minder damit abfinden muss, seine eigene Theorie zu bilden, wie es zur Dopplung kommen konnte, wird die Geschichte am Ende einzig durch die Begegnungen der Doppelgänger und wie sie ihr persönliches Debakel lösen, lebendiger und unterhaltsamer. 

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