Montag, 26. Oktober 2020

Buchrezension: Diane Setterfield - Was der Fluss erzählt

Inhalt: 

Eine stürmische Winternacht im ländlichen England des späten 19. Jahrhunderts: In der uralten Gaststube des "Swan" sitzen die Bewohner von Radcot zusammen und wärmen sich an ihren Geschichten und Getränken, als ein schwer verletzter Mann mit einem leblosen Mädchen im Arm hereinstolpert. Eine Krankenschwester wird gerufen, die nur noch den Tod des Kindes feststellen kann. Als sie jedoch ein paar Stunden später die Todesursache festzustellen versucht, bemerkt sie, dass das Kind atmet und sich bewegt. Ein Wunder? Oder etwa Zauberei? Oder gibt es dafür eine wissenschaftliche Erklärung? Und woher kommt das Mädchen?

Rezension: 

Zur Wintersonnenwende kommt ein schwer verletzter Mann mit einem leblosen kleinen Mädchen im Arm in das Wirtshaus "Swan" an der Themse in der Nähe von Oxford. Die örtliche Krankenschwester Rita wird alarmiert und kann kein Lebenszeichen an dem vermutlich ertrunkenen, ungefähr vierjährigen Mädchen feststellen. Der behinderte Sohn der Wirtsleute küsst das Mädchen, um ihr wie Schneewittchen wieder Leben einzuhauchen. Wenig später atmet das Mädchen und wird wach, ist allerdings verstummt. Keiner der Anwesenden hat das Mädchen je gesehen oder weiß, wo es hingehört.
Das "Wunder" spricht sich in der Gegend herum und so gelangt die Nachricht an die Eheleute Vaughan, die seit zwei Jahren nach einer Entführung ihre Tochter vermissen. Mrs. Vaughan, die an dem Verlust fast zerbrochen ist, glaubt, in dem kleinen Mädchen ihre Amelia wieder zu erkennen und blüht sichtbar auf. Doch auch der gut situierte farbige Bauer Robert Armstrong erhebt Anspruch auf das Mädchen. Er geht davon aus, dass es sich dabei um seine erste Enkelin handelt, die sein Stiefsohn vor seiner Familie verheimlicht hat. Die Haushälterin des Pastors Lily White glaubt dagegen, in dem Mädchen ihre Schwester Ann zu erkennen, was aufgrund ihres Altersunterschiedes allerdings nur schwer denkbar ist. 

Der Roman dreht sich um die Frage, wer das Mädchen ist und zu welcher Familie sie gehört. Aus unterschiedlichen Perspektiven wird die Geschichte erzählt, so dass neben der Suche nach der Wahrheit die Schicksale mehrerer Familien in den Vordergrund rücken. Die Hintergründe zu den Personen erklären, wer warum glaubt, dass das die Vierjährige zu ihm gehört und warum es so schwierig ist, Ende des 19. Jahrhunderts herauszufinden, um wen es sich bei dem unbekannten Kind handelt. 
Die Geschichte, in der die Themse, zu der sich auch das Mädchen magisch hingezogen fühlt, obwohl es darin fast ertrunken ist, eine wesentliche Rolle spielt, ist mythisch angehaucht. Eine Sage von einem Mann wird erzählt, der Menschen an das andere Ufer bringen kann, und Wahrsager werden aufgesucht. Der Aberglaube dominiert das Handeln vieler Personen. 
Krankenschwester Rita und der Fotograf Henry Daunt versuchen die Frage nach der Herkunft rational zu lösen, während auch nach einem halben Jahr der Ankunft des Mädchens immer noch ein Tauziehen zwischen den rivalisierenden Familien herrscht. 

Es ist eine düstere, märchenhafte Geschichte, die atmosphärisch dicht erzählt ist und den Leser sehr anschaulich nach England Ende des 19. Jahrhunderts versetzt. Die Suche nach der Identität des Mädchens und was mit den anderen drei verschwundenen Mädchen geschehen sein mag, ist zwar aufgrund einiger Ungereimtheiten spannend, zieht sich aber durch die Eröffnung zahlreicher Nebenschauplätze aufgrund der Vielzahl der Charaktere in die Länge und konnte mich deshalb nicht durchgehend fesseln. Als letztlich alle Handlungsstränge zusammenfließen, werden die Umstände der vermissten Mädchen schlüssig aufgeklärt. Die Erklärung ergibt sich dabei jedoch nicht aus der aktiven Handlung, sondern in Form von Nacherzählungen, was der sonst so kunstvoll erzählten Geschichte ihren Reiz nimmt.   

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