Samstag, 27. August 2016

Buchrezension: Martina Borger und Maria Elisabeth Straub - Kleine Schwester

Inhalt:

Es war alles so schön geplant: Die Jessens wollen dem fünfjährigen Heimkind Lotta ein neues Zuhause geben – und mit ihr endlich eine ›richtige‹ Familie werden. Doch mit dem Einzug von Lotta, Lillys "kleiner Schwester", beginnt eine Katastrophe, die unerbittlich auf ein erschreckendes Ende zusteuert. Nur die zwölfjährige Lilly versucht im letzten Moment, die Tragödie abzuwenden.

Rezension:

Ela und Carl Jessen sind glücklich mit ihrer zehnjährigen Tochter Lilly, aber vor allem Ela wünscht sich sehnlichst ein zweites Kind. Als klar wird, dass Carl aufgrund einer Erkrankung nicht mehr zeugungsfähig ist, beschließen sie, ein Kind zu adoptieren.
Auf den ersten Blick ist Ela ganz verliebt in die süße Dagmar aus dem Pflegeheim, die in die Familie Jessen aufgenommen wird, und ab sofort Lotta heißt.

Das Zusammenleben gestaltete sich von Anbeginn schwierig. Lotta, vom Entwicklungsstand einer Fünfjährigen zurückgeblieben, redet nicht, kann keine feste Nahrung bei sich behalten und weint viel. Der einzige Bezugspunkt wird ihr Teddybär, ohne den sie nicht sein kann. Lilly muss sich mit dem für sie fremden Mädchen ein Zimmer teilen, das nachts ins Bett macht und darüber hinaus teilnahmslos ist.

Ela und Carl sind mit der Situation restlos überfordert. Ela ist Kindergärtnerin, hat aber so ein Kind noch nicht erlebt und fühlt sich vom Schicksal betrogen. Als Carl berufsunfähig wird und seinen Malerbetrieb aufgeben muss, wird auch die finanzielle Situation angespannt. Die Jessens verkaufen ihr Haus und ziehen an einen anderen Ort, wo sie einen Neuanfang wagen wollen. Carl arbeitet nach erfolgreicher Umschulung als Krankenpfleger im Nachtdienst, aber Ela verfällt zunehmend dem Alkohol und verliert ihre Arbeit. Lilly hält sich tapfer, geht weiterhin fleißig zur Schule und kümmert sich nachmittags um Lotta. Die Situation zu Hause ist für alle unerträglich, aber Lotta zurück ins Heim zu geben, würde bedeuten zu scheitern und zudem ist die Familie inzwischen finanziell auf das Pflegegeld angewiesen. Lilly ist die einzige, die überlegt, woher sie Hilfe bekommen kann, steht aber in dem Konflikt, ihre geliebten Eltern zu verletzen und zu verraten.

Der Schreibstil des Buches ist zunächst gewöhnungsbedürftig, da die Geschichte aus der Sicht der 10-Jährigen Lilly beschrieben wird. Der Roman beginnt mit einer kleinen Bilderbuchfamilie in der nach Außen alle glücklich wirken. Ela ist jedoch ein sehr labiler Mensch, extrem launisch und egoistisch. Wie bei einem kleinen Kind müssen ihre Wünsche und Bedürfnisse erfüllt werden. Ihr Ehemann ist schwach und erpressbar. Verliebt wie er in seine dominante Ehefrau ist, geht er den Weg des geringsten Widerstands und lässt Ela alle Entscheidungen treffen. Im Umgang mit Lotta hält er sich hilflos zurück und Ela geht dagegen viel zu weit. Am Ende ist Lilly die einzige, die sich noch um das verwahrloste, einsame Kind kümmert.

In diesem Roman tun sich menschliche Abgründe auf. Es ist erschütternd, wie leicht hinter geschlossenen Mauern in Deutschland eine Vernachlässigung und - schlimmer noch - Misshandlung Schutzbefohlener möglich ist, ohne dass das Jugendamt davon Kenntnis bekommt oder Nachbarn darauf aufmerksam werden.

Die beiden Autorinnen schildern die Ereignisse und die Entwicklung der Familie ungeschönt, aber leider durchaus realistisch. "Kleine Schwester" entwickelt sich durch die sich zuspitzenden Ereignisse und die stetig steigende Spannungskurve zu einem dramatischen Psychothriller, in dem am Ende beide Mädchen auf der Strecke bleiben. Am Ende stellen sich dem Leser die Fragen: Wie können Menschen so grausam sein? Und wo sind die entsprechenden Kontrollinstanzen um so einen Verlauf zu verhindern?



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