Mittwoch, 13. Dezember 2023

Buchrezension: Annette Hess - Deutsches Haus

Inhalt:

Frankfurt 1963. Eva, gelernte Dolmetscherin und jüngste Tochter der Wirtsleute Bruhns, steht kurz vor ihrer Verlobung. Unvorhergesehen wird sie gebeten, bei einem Prozess die Zeugenaussagen zu übersetzen. Ihre Eltern sind, wie ihr zukünftiger Verlobter, dagegen: Es ist der erste Auschwitz-Prozess, der in der Stadt gerade vorbereitet wird. Eva, die noch nie etwas von diesem Ort gehört hat, folgt ihrem Gefühl und widersetzt sich ihrer Familie. Sie nimmt die Herausforderung an, ohne zu ahnen, dass dieser Jahrhundertprozess nicht nur das Land, sondern auch ihr eigenes Leben unwiderruflich verändern wird. 

Rezension: 

Eva Bruhns ist Dolmetscherin für Polnisch, wohnt noch zu Hause bei ihren Eltern und hilft dort im Wirtshaus "Deutsches Haus" an der Theke und in der Küche aus. Von ihrem Freund Jürgen, Erbe eines florierenden Versandhandels, erwartet sie einen Heiratsantrag. Zum Konflikt kommt es, als Eva in einer Gerichtsverhandlung, in der zahlreiche deutsche Kriegsverbrecher angeklagt sind, als Dolmetscherin arbeiten möchte. Auch ihre Eltern kommt ihr Engagement ungelegen, doch Eva setzt sich durch und übersetzt für die Opfer in dem schwierigen Prozess. Naiv ahnt Eva nicht, welche Gräueltaten die Zeugen der Anklage durchleben mussten, denn wie so vielen Deutschen war auch Eva nicht bewusst, was sich in den sogenannten Arbeitslagern ereignet hat. 

"Deutsches Haus" ist eine fiktive Geschichte über einen der Auschwitz-Prozesse, die ab Dezember 1963 unter anderem in Frankfurt am Main stattgefunden haben. 
Es ist eine Mischung aus historischen Fakten über Kriegsverbrechen und unmenschliches Leid und einer Geschichte über eine junge Frau, die berufstätig sein möchte und ihr Rechte gegenüber Verlobtem und Eltern proklamiert. 

Überwiegend aus der Perspektive von Eva geschildert, erlebt man die Gerichtsverhandlung mit und mit welchen Widerständen und Entscheidungen Eva auch privat zu kämpfen hat. Auch wenn man ein Gefühl für das körperliche und seelische Leid der Menschen in Auschwitz bekommt, werden während der Zeugenaussagen nicht die brutalsten Details geschildert. Auf  diese Weise ist der Roman leichter verdaulich und lässt Raum für Evas persönliche Weiterentwicklung und das Geheimnis, das in ihrer Familie brodelt, mit dem sie während des Prozesses konfrontiert wird. Daneben gibt es Einblicke in den Klinikalltag der älteren Schwester Annegret, die sich für den Leser auffällig merkwürdig verhält, was sich letztlich durch die Vergangenheit der Familie erklärt. 
Familie Bruhns ist ein Beispiel für so viele Mitläufer, die aus Angst und um sich selbst zu schützen, weggeguckt oder gar mitgemacht haben. Die Konfrontation von Eva mit der Wahrheit zeigt, wie schwierig der Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte in den 1960er noch war und mit welchen Gewissenskonflikten und Schuldgefühlen auch nachfolgende Generationen noch zu kämpfen haben. 

"Deutsches Haus" ist ein Roman gegen das Vergessen und über die schwierige Aufarbeitung der Naziverbrechen, aber auch eine unterhaltsame Familiengeschichte über das Zusammenleben und die Rolle der Frau in den 1960er-Jahren, die bildhaft geschildert ist und die/ den LeserIn authentisch in das Jahr 1963 versetzt. 
Der Roman weckt in jedem Fall Interesse für die Miniserie, die auf dem Buch basiert und für die Autorin auch das Drehbuch geschrieben hat. 

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