Sonntag, 4. Dezember 2022

Buchrezension: Gudrun Skretting - Vilma zählt die Liebe rückwärts

Inhalt:

Wussten Sie, dass Bananen minimal radioaktiv sind? Der Verzehr ist riskant. Das nennt man Micromort. Noch riskanter ist wahrscheinlich nur, sich zu verlieben. 
Vilma Veierød, 35, hat sich auf ihre eigene, um nicht zu sagen skurrile Weise im Leben eingerichtet. Sie lebt allein in einem großen Haus in Oslo, gibt Klavierstunden und bemüht sich, radioaktive Bananen und andere lebenszeitverkürzende Genüsse weiträumig zu umgehen. 
Eines Morgens soll sich ihr Leben grundlegend ändern. Der Pfarrer überbringt Vilma ein Bündel Briefe von ihrem verstorbenen Vater, den sie nie gekannt hat. Und während Vilma gebannt in die Vergangenheit ihrer Eltern eintaucht, nähert sie sich selbst jenem Mysterium, das sie bislang gemieden hat: der Liebe. 

Rezension: 

Vilma Veierød lebt, seitdem sie 18 Jahre alt ist, allein in dem Haus in Oslo, das sie von ihrer Großtante Ruth geerbt hat, bei der sie aufgewachsen ist. Ihre Mutter Maria ist gestorben, als sie vier Jahre alt war, ihren Vater hat sie nie kennengelernt und auch nicht vermisst. 
Umso überraschter ist Vilma, als wenige Wochen vor Weihnachten ein Pfarrer und ein Sektionsassistent vor ihrer Tür stehen und ihr einen Packen Briefe von ihrem Vater Vilhelm überreichen, der auf dem Weg zu ihr war und auf dem Flug nach Oslo tragischerweise verstorben ist. 
Vilma liest die Briefe ähnlich wie einen Adventskalender - jeden Tag einen - und erfährt auf diese Art von der dramatischen Liebesgeschichte ihrer Eltern. Dabei verguckt sie sich in den Pfarrer mit den warmen Händen, obwohl sie in Sachen Liebe völlig unerfahren ist. Stets an ihrer Seite ist jedoch der empathische Sektionsassistent Robert, der sie immer wieder auffängt, wenn die Vergangenheit Vilma überfordert. Allmählich wird Vilma, die sich in der Hoffnung auf ein langes Leben überaus gesund ernährte, bewusst, dass es zur Erhaltung der Gesundheit auch soziale Kontakte braucht und beginnt ihr Haus und Herz zu öffnen. 

Das Buch mutet wegen überall lauernder Micromorts und tatsächlicher Todesfälle, die Vilmas Leben ausmachen, zunächst traurig an, erhält aber aufgrund der Skurrilität der Charaktere einen humorvollen Anklang, so dass die Geschichte nicht deprimierend ist. 
Vilma lebt ein zurückgezogenes Leben, was sie ein wenig schrullig hat werden lassen. Ihr reichen die vereinzelten Kontakte zu Kollegen und zu ihren Musikschülern. Durch ihre Unerfahrenheit sind viele Begegnungen und Dialoge unfreiwillig komisch, ohne dass Vilma ins Lächerliche gezogen wird. 
Durch den unerwarteten Tod ihres unbekannten Vaters hat sie plötzlich Kontakt zu mehr Menschen, reflektiert die Beziehung ihrer Eltern und die zu ihrer Großtante und entwickelt sich damit selbst persönlich weiter. Sie wird offener und empfänglicher für andere, wird mutiger und ist nicht mehr nur auf ihren Mikrokosmos reduziert. 

Die bittersüße Geschichte ist unterhaltsam geschrieben und liest sich durch den flüssigen Schreibstil, die kurzen Kapitel und den Wechsel aus gegenwärtiger Handlung und Vergangenheit in Briefform, schnell. 
Für meinen Geschmack war die Vielzahl an eigenartigen Charakteren etwas übertrieben - ein vom Glauben abgefallener Pfarrer, ein Sektionsassistent mit Tourette-Syndrom, ein Ehemann, der kaum in der Lage ist, sich ein Käsebrot zu machen,... Hier hätte die Fantasie der Autorin ruhig etwas gebremst werden können und die Geschichte stattdessen etwas weniger vorhersehbar gestaltet sein können. 
Auch wenn viele Hintergründe frühzeitig zu erahnen sind, ist der Roman aber nicht langweilig, sondern hat durchaus seinen Charme. 

Es ist eine berührende Geschichte über Trauer und die Suche nach Identität, über die Individualität der Menschen, über Toleranz und Freundschaft und den Mut zur Veränderung. Es ist eine Geschichte, die auf ein hoffnungsvolles Ende erwarten lässt und die zeigt, dass trotz aller Eigenartigkeit und Individualität ein soziales Netz wichtig ist, um nicht nur gesund, sondern auch glücklich zu leben. 

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