Montag, 1. November 2021

Buchrezension: Ellen Sandberg - Das Geheimnis

Inhalt:

München, 2020. Ulla ist eine starke Frau, obwohl sie es nie leicht hatte. Ihre Mutter Helga verließ sie als Neunjährige. Warum? Das weiß sie bis heute nicht. Helga ist der dunkle Fleck auf Ullas innerer Landkarte. Erst als das Leben sie auf den Moarhof am Chiemsee zurückführt, entdeckt sie, dass dort Antworten auf sie warten – auf Fragen, die sie jahrelang verdrängt hat. 
Moosleitn am Chiemsee, 1975. Helga lebt in einer Kommune auf einem idyllisch gelegenen Bauernhof. Als Künstlerin ist sie für ihre düsteren Werke bekannt, deren wahre Bedeutung sich niemandem erschließen. Denn nur sie weiß, welche Erinnerungen sie quälen. Und dass sie als junge Frau eine Entscheidung treffen musste, die sie sich bis heute nicht vergeben kann. 

Rezension: 

1975 kam Ullas Mutter Helga unter mysteriösen Umständen ums Leben. Jahre zuvor hatte sie die Familie verlassen, um als Künstlerin in einer Kommune in Moosleitn am Chiemsee zu leben. 1969 stellte sie den Kontakt zu ihrer neunjährigen Tochter ein, was Ulla bis heute nicht versteht. Inzwischen ist Ulla 59 Jahre alt, von ihrem Ehemann getrennt und hat ein angespanntes Verhältnis zu ihrer erwachsenen Tochter Sandra, die sich immer weiter von ihr entfernt. 
Im Sommer 2020 nimmt sich Ulla unter Pandemiebedingungen eine Auszeit aus der Stadt und zieht vorübergehend in das Häusl ihrer Mutter am Chiemsee, das all die Jahre unbewohnt war. Dort findet sie Musikkassetten, die zum Teil von ihrer Mutter besprochen wurden. Sie enthalten ihre Lebensbeichte, erschütternde Erzählungen, die bis ins Jahr 1938 zurückreichen. Nach und nach beginnt Ulla zu begreifen, was mit ihrer Mutter los war und stößt dabei auf Ungereimtheiten hinsichtlich ihres Todes, die ihr keine Ruhe lassen.  

"Das Geheimnis" ist eine spannende Familiengeschichte, die im Jahr 1975 aus der Perspektive der Künstlerin Helga geschrieben ist, die in düsteres Geheimnis verbirgt und das in ihren exzentrischen Bildern verarbeitet. 2020 stellt die Sicht von Ulla dar, die sich an den Chiemsee zurückgezogen hat und dort in Erinnerungen an ihre Mutter schwelgt, die sie als Neunjährige so bitter enttäuscht hat. Ihr Tod wurde 1975 als Unfall einer verrückten Künstlerin deklariert, was Ulla aufgrund der aufgefundenen Kassetten skeptisch hinterfragt. 
Ungeahnte Spannung entwickelt der Roman durch einen dritten Erzählstrang um Luise, von dem man anfangs davon ausgeht, dass dieser einzig zur Darstellung der Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit dient, da Luise Helga gut kannte und 2020 noch immer in Moosleitn wohnt. 

Beide Handlungsstränge erzählen parallel die Lebensgeschichte von Helga, die man 1975 als eigenwillige, traumatisierte Künstlerin erlebt, während im Jahr 2020 ihre Vergangenheit durch die Kassetten, die Ulla nicht chronologisch hört, allmählich ans Licht kommt. Ulla beschäftigt sich daneben mit dem Verhältnis zu ihrer eigenen Tochter, die ihr Vorwürfe im Hinblick auf ihre Erziehung macht sich von ihrer Mutter nie verstanden fühlte. Luises Sicht der Dinge unterstreicht die bittere Wahrheit und das Geheimnis, das Helga so quälte. 

Alle Erzählebenen fesseln, wobei sich die Autorin hin und wieder in Nebensächlichkeiten verliert, die sie unnötig detailliert schildert. 
Helgas Lebensgeschichte ist bewegend und besonders spannend sind die Umstände ihres Todes, der als Unfall bzw. Selbstmord erklärt wurde. 
Durch den eingängigen Schreibstil taucht man in die Leben beider Frauen ein und erkennt in ihnen seelisch verletzte Frauen, wobei Ulla dies zu verbergen versucht und vorgeblich als starke Frau zeigt. 
Es ist ein Roman über Mutterliebe, Zurückweisung, Schuld und Vergebung und eine düstere Vergangenheit, die bis in die Gegenwart hineinwirkt und drei Generationen von Frauen gleichermaßen belastet. Während ich Verständnis für Helgas Trauma und ihre Handlungen aufbringen konnte und auch die Enttäuschung von Ulla in Bezug auf ihre Mutter verstand, empfand ich das schwierige Verhältnis zu ihrer Tochter Sandra und ihre dramatischen Begegnungen etwas überzeichnet. Auch die Tatsache, dass Geld bei Ulla keine Rolle spielte, machte die Lösung des Problems mit Luise etwas sehr einfach.  

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