Seit 30 Jahren haben die Schwestern Jess und Lily kein Wort mehr gewechselt. Seit einer traumatischen Nacht in ihrer Kindheit, die sie entzweit hat. Heute sind sie so unterschiedlich wie Tag und Nacht: Die eine bangt als künstlerische Single Mom jeden Monat um die Miete, die andere führt ein Leben wie in einem Hochglanzmagazin. Ihr Leben wird erneut auf den Kopf gestellt, als ihre Mutter Audrey nur noch wenige Monate zu leben hat. Sie setzt alles daran, ihre beiden Töchter zu versöhnen, womit ein unvorstellbares Geheimnis ans Licht zu kommen droht.
Rezension:
Die beiden Schwestern Jess und Lily haben sich vor 28 Jahren entzweit. Jess kann ihrer älteren Schwester nicht verzeihen, was sie getan hat und wodurch die gesamte Familie zerbrochen ist. Jess ist seit dem Tag in ihrer Kindheit traumatisiert und hat auch nie mit ihrer Mutter Audrey darüber gesprochen, was sie Lily vorwirft.
Als Audrey mit gerade 62 Jahren unheilbar an Krebs erkrankt, verspürt sie nicht mehr nur den Wunsch, sondern auch den Ehrgeiz ihre beiden Töchter miteinander zu versöhnen, damit auch ihre beiden fast gleichaltrigen Enkelinnen einen Kontakt haben können, den Jess untersagt.
Während sie in ihren letzten verbleibenden Monaten Zeit mit ihren Enkelinnen verbringt, mit Phoebe einen Chor besucht und mit Mia einen Zeichenkurs belegt, versucht sie, Begegnungen ihrer Töchter herbeizuführen und zu einem gemeinsamen Kurztrip nach New York zu überreden, um Frieden zu finden.
"Nur ein Wort von dir entfernt" wird abwechselnd aus der Sicht der drei erwachsenen Frauen, Audrey, Lily und Jess erzählt. Dabei erfährt man allmählich mittels Rückblenden in die Vergangenheit, wie sie gemeinsam als Familie aufgewachsen sind und welche Ereignisse im Jahr 1988 dazu geführt haben, dass Jess einen Kontakt zu Lily kategorisch ablehnt.
Es ist ein herzzerreißender Roman, der packend geschrieben ist. Der Leser bleibt lange im Ungewissen, was in der Vergangenheit passiert ist und kann nur spekulieren, was die Schwestern so unversöhnlich entzweit hat.
In alle drei Frauen, die authentisch wirken und abseits des Familienzwists mit ihren individuellen Schicksalen berühren, kann man sich sehr gut hineinversetzen. Man leidet mit Audrey mit, der es körperlich schnell fortschreitend schlechter geht und leidet auch emotional mit ihr mit, wie sie sich vorstellt, dass ihre Töchter sich bei der Beerdigung erstmalig wieder begegnen würden und kein Wort miteinander wechselten. Jess reibt sich als Alleinerziehende mit ihrem zeitraubenden Job beim Filmset auf, während sie sich um ihre Tochter sorgt und so hohe Erwartungen an diese stellt. Lilys Leben wirkt dagegen perfekt, doch dass die Ehe mit ihrem Mann nur noch eine Beziehung auf Distanz ist und sie nicht mehr an ihren Mann heranzukommen scheint, bleibt unbemerkt, genauso wie die schmerzhaften Erfahrungen, die sie nach der Geburt von Phoebe durchmachen musste.
Über allem schwebt Sprachlosigkeit, Resignation, eine kompromisslose Verweigerungshaltung und Sturheit - sowie ein Geheimnis, das so schmerzhaft ist, dass es eine Schwester nicht auszusprechen mag und von dem die eine Schwester andere nichts ahnt und die Mutter nicht versteht.
Es ist eine dramatische Familiengeschichte über unterschiedliche Formen und Phasen von Trauer und Verlust, über schwierige zwischenmenschliche Beziehungen, über Krankheit, Tod und Versöhnung. Dabei ist spannend zu erfahren, ob die jahrzehntelange Entfremdung zweier Schwestern behoben werden kann oder ob es in der Verantwortung der nachfolgenden Generation liegen wird, die Familie wieder zu vereinen.
Der Roman zeigt, wie eine Entscheidung im Leben, Menschen auseinander dividieren oder zusammenführen kann. Der Titel des Romans ist dabei sehr treffend gewählt, denn es ist vor allem die Kommunikation, die innerhalb der Familie nicht gelingt, eine Aussprache, die fehlt, um die Vergangenheit gemeinsam zu verarbeiten. Als diese dann stattfindet, löst sich der jahrzehntelange Konflikt für meinen Geschmack ein wenig zu schnell und zu problemlos.
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