Mittwoch, 6. April 2022

Buchrezension: Helen Frances Paris - Das Fundbüro der verlorenen Träume

Inhalt:

Seit dem bitteren Verlust, der ihr Leben erschütterte, hat sich Dot von der Welt zurückgezogen. Sie vergräbt sich in ihrer Arbeit im Londoner Fundbüro und geht ganz in ihrem Job als Hüterin verlorener Dinge auf. Ihre größte Freude ist es, wenn sie jemandem einen vermissten Gegenstand wiedergeben kann. Denn hinter ihrer stachligen Fassade schlägt ein sehr großes Herz. Als ein bekümmerter älterer Herr in ihr Fundbüro kommt, der eine Tasche mit einem Andenken an seine verstorbene Frau darin verloren hat, setzt Dot alles daran, Mr. Applebys Tasche wiederzufinden. Dabei findet sie schließlich auch etwas, womit sie gar nicht gerechnet hätte: Sich selbst und ihr wirkliches Leben. 

Rezension: 

Dot hat den schmerzhaften Tod ihres Vaters, dem sie sehr nahe stand, nie verwunden. Seit Jahren quält sie sich mit Vorwürfen und einer nicht enden wollenden Trauer. Sie lebt ein zurückgezogenes, einsames Leben und konzentriert ihre ganze Leidenschaft auf die akribische Arbeit im Fundbüro der Londoner Verkehrsbetriebe. 
Als ein älterer Mann vorstellig wird, der seine Ledertasche mit dem Portemonnaie seiner Ehefrau verloren hat, ist es ihr ein Herzensanliegen, dass er sein Verluststück wiederbekommt. Als die Ledertasche tatsächlich nach mehreren Tagen im Fundbüro abgegeben wird, möchte Dot Mr. Appleby die glückliche Nachricht sofort unterbreiten, doch durch ein Büroversehen sind die von ihm hinterlegten Daten gelöscht. 
Schon als Kind hat Dot mit ihrem Vater zusammen gern Detektivin gespielt und ist in ihrem Ehrgeiz gepackt. Sie setzt alles daran, Mr. Appleby ausfindig zu machen und bewegt sich damit selbst aus ihrer Komfortzone und den Mauern, die sie um sich errichtet hat. 

Der Roman beginnt durch die Beschreibung von Dots Alltag im Fundbüro und durch die reine Aufzählung der Archivierung von Gegenständen etwas langatmig. Es fehlt ein Bezug zu den Geschichten hinter den Gegenständen und den Menschen, die sie verloren haben oder die sie suchen, weshalb die Handlung bis zu diesem Zeitpunkt etwas blutleer wirkt. 
Erst als man Dot näher kennenlernt und begreift, weshalb sie sich hinter ihrer Arbeit verkriecht und was sie so traurig macht, wird die Geschichte - auch durch Dots etwas unorthodoxes Verhalten - lebendiger und Dot selbst nahbarer. 
Es bleibt jedoch unverständlich, warum ihr im Vergleich zu den anderen Kunden ausgerechnet der Verlust von Mr. Applebys Ledertasche so nahegeht. Die äußeren Umstände und die Folgen ihres Verhaltens geben jedoch zumindest eine Erklärung, warum sie sich letztlich auf die Suche nach Mr. Appleby macht, denn außer ihrer Arbeit, ihrer Mutter, die sie aufgrund ihrer Demenz nicht mehr erkennt und ihrer putzwütigen älteren Schwester hat Dot keinen anderen Lebensinhalt, als sich in Reiseführern zu vertiefen und von der weiten Welt zu träumen. 
Durch die Suche nach Mr. Appleby begibt sie sich selbst auf eine Reise und findet dadurch auch wieder zu sich selbst. Sie fühlt sich an ihre alten Träume aus Studientagen erinnert und begreift, dass sie diese leben kann. 

"Das Fundbüro der verlorenen Träume" lenkt mit dem Titel und dem Klappentext auf verlorene Gegenstände, tatsächlich liegt der Fokus des Romans weit mehr auf Dot, ihrer Trauer und ihrem Weg zu einem Neuanfang. 
Der Roman wird nach einer schwachen Anfangsphase durch Dots niedergedrückte Stimmung melancholisch, wozu auch ihre beklemmenden und hilflosen Besuche im Seniorenheim beitragen. Durch den Druck ihrer Schwester, die Maisonettewohnung ihrer Mutter zu verkaufen und einen übergriffigen neuen Vorgesetzen bricht Dot plötzlich mit alten Gewohnheiten und wird buchstäblich von den Geistern der Vergangenheit eingeholt. Diese schon fast wahnhaften Szenen gaben der Geschichte einen neuen Schwung und haben mir wie die bildhafte Sprache der Autorin, die sich vor allem in Bezug auf die verlorenen Gegenstände zeigt und Dots sensible Seite betont, gut gefallen. 

Der Roman ist warmherzig und die Geschichte hat ihren Charme, allerdings fand ich Dots Entwicklung etwas holprig und auch die vielen schwermütigen Themen - neben der Allgegenwart des Verlusts, auch Einsamkeit, Trauer, Depression, Suizid und Demenz - etwas viel für nur eine Protagonistin. Zudem nahmen die Aufhänger des Romans, das Fundbüro und Mr. Appleby, dessen Schicksal letztlich keine Rolle spielte, zu geringen Raum ein.  

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