Mittwoch, 18. Mai 2016

Buchrezension: Jeanette Winterson - Der weite Raum der Zeit

Inhalt:

Der Londoner Investmentbanker Leo verdächtigt seine schwangere Frau MiMi, ihn mit seinem Jugendfreund Xeno zu betrügen. In rasender Eifersucht und blind gegenüber allen gegenteiligen Beweisen verstößt er MiMi und seine neugeborene Tochter Perdita. Durch einen glücklichen Zufall findet der Barpianist Shep das Baby und nimmt es mit nach Hause. Jahre später verliebt sich das Mädchen in einen jungen Mann – Xenos einzigen Sohn. Zusammen machen sie sich auf, das Rätsel ihrer Herkunft zu lösen und alte Wunden zu heilen, damit der Bann der Vergangenheit endlich gebrochen wird.

Jeanette Winterson spielt souverän mit Figuren und Handlung aus Shakespeares "Das Wintermärchen" und erzählt eine verblüffend moderne Geschichte über rasende Eifersucht, blinden Selbsthass und die tiefe Sehnsucht in uns, die Fehler der Vergangenheit wieder gut zu machen.

Rezension:

Der Roman "Der weite Raum der Zeit" ist Teil des Hogarth Shakespeare-Projekts des Knaus-Verlags. Acht internationale Top-Autoren interpretieren Stücke von Shakespeare neu und Jeanette Winterson macht mit William Shakespeares "Wintermärchen" den Anfang.



Ich muss zugeben - ich habe das "Wintermärchen" im Original nicht gelesen. Zu Beginn des Buches wird die Erzählung für alle Unwissenden zusammengefasst: König Leontes ist der Überzeugung, dass seine Ehefrau ihn mit seinem besten Freund betrügt und von diesem ein Kind erwartet. Er verstößt seine Frau und lässt die neugeborene Perdita verschwinden. Als erwachsene Frau verliebt diese sich in den Sohn des ehemaligen besten Freundes des Königs und begibt sich mit ihm auf die Suche nach ihrer Herkunft.
Jeanette Winterson hat die Vorlage in die heutige Zeit verlagert, die Grundgeschichte bleibt allerdings unverändert.
Der Investmentbanker Leo, der als Jugendlicher selbst eine amouröse Beziehung zu seinem immer noch besten Freund Xeno pflegte, ist rasent eifersüchtig auf das gute Verhältnis zwischen Xeno und seiner Frau und fühlt sich immer mehr in dem Wahn bestärkt, dass das ungeborene Baby Xenos Kind ist. Er trennt sich von seiner Frau und lässt die neugeborene Tochter vom Gärtner wegbringen. Dieser stirbt bei der Aktion aus unglücklichen Umständen bei einem vesuchten Raubmord, kann Perdita aber noch in eine Babyklappe retten. Da diese sich nicht schließt, wird Perdita von dem alleinerziehenden Vater Steph gefunden, der das Baby zusammen mit einem Koffer voller Geld aufnimmt. Als Leo für eine Zeit untertauchen möchte, stirbt sein Sohn Milo bei einem Unfall am Flughafen, den er kurzerhand entführen wollte.

Im Glauben an eine Adoption wächst Perdita behütet mit ihrem älteren Stiefbruder Clo auf. Beim 70. Geburtstag von Steph lernt sie Zel näher kennen, den sie bisher nur flüchtig wahrgenommen hatte. Zel ist von der hübschen, selbstbewussten und musikalisch talentierten Perdita sofort angetan. Auch Perdita empfindet etwas für den sensiblen jungen Mann, der wie sie eine etwas ungewöhnliche Kindheit hatte. Die beiden beginnen sich gemeinsam mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Als Steph einen Schlaganfall erleidet und ins Krankenhaus kommt, erzählt Clo seiner Stiefschwester Perdita die wahre Geschichte ihrer vermeintlichen Adoption. Zusammen mit Zel begibt sie sich aufgrund der Überschneidungen ihrer Herkunft auf die Suche nach ihrem leiblichen Vater Leo.

"Der weite Raum der Zeit" ist ein Roman über ein Findelkind, das letztlich bei Fremden geliebter aufwächst als bei den eigenen Eltern, die ihr aufgrund dem Wahn des Vaters und der Trauer der Mutter über den verstorbenen Sohn und den unberechenbaren Ehemann, kein Gefühl von Zuhause hätten geben können.

Am Ende treffen alle Personen aufeinander und wie bei Shakespeare, in dessen letzten Werken es mehr um Verzeihen und Vergeben als um Rache und menschliche Tragödien ging, finden auch die Schicksale in der heutigen Zeit zu einem versöhnlichen Ende. Insbesondere Leo, der das Unglück für seine eigene Familie zu verantworten hat, erscheint geläutert. Unklar bleibt allerdings bis zum Schluss, warum sein Anfall von Eifersucht derart übertrieben ausfallen musste, dass zwei Personen ums Leben kommen mussten und ein Baby einem ungewissen Schicksal überlassen wurde.

Jeanette Winterson hat es mit "Der weite Raum der Zeit" geschafft, eine Tragikomödie aus dem frühen 17. Jahrhundert in die Moderne zu adaptieren. Der Roman ist der Beweis, dass die Konfliktthemen von damals - und damit auch Shakespeare und seine Werke - nach wie vor aktuell sind. 


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