Mittwoch, 15. Oktober 2025

Buchrezension: Julie Caplin - Das kleine Zuhause in Prag (Romantic Escapes, Band 12)

Inhalt:

Anna braucht dringend Abstand zu ihrer englischen Heimat und der familiengeführten Brauerei. Umso willkommener ist die Einladung zu einer Fortbildung in Prag: Endlich darf sie selbst Hand anlegen und ein eigenes Bier entwickeln. Sie freut sich auf inspirierende Wochen und bezieht ein Zimmer in einer gemütlichen Dachwohnung. Der Ausblick von der Terrasse ist spektakulär, und Anna fühlt sich auf Anhieb wohl. Wäre da nur nicht ihr Mitbewohner! Leo ist Annas Exmann und wurde ebenfalls zu der Fortbildung eingeladen. Und nun sollen sie unter einem Dach leben? Anna ist fest entschlossen, ganz professionell mit der Situation umzugehen und nicht nochmal Gefühle für Leo zu entwickeln. Doch schon bald beginnt der Zauber der romantischen Stadt auf sie zu wirken. 

Rezension: 

Anna und Leo treffen sich nach sechs Jahren zufällig in Prag wieder. Beide haben sich für einen Wettbewerb um das beste Bier qualifiziert. Sie sind tatsächlich die einzigen Kandidaten und müssen sich für die Dauer des Wettbewerbs eine Wohnung teilen. Während Anna in festen Händen ist, ihrem Freund Steve bisher jedoch nichts von ihrem Ex-Mann Leo erzählt hat und direkt wieder ausziehen möchte, sieht Leo die Situation ganz entspannt und scheint nach wie vor am liebsten seinen Charme bei den Frauen spielen zu lassen. Anna arrangiert sich, da sie auch bereits Kontakt zu den netten Nachbarn unter ihnen geschlossen haben und spürt schon bald, dass sie immer noch Gefühle für Leo hat. Leo, der unter der Trennung gelitten hat, schlägt eine freundschaftliche Beziehung vor. Doch je mehr Zeit sie miteinander verbringen und gemeinsam die Stadt mit all ihren Sehenswürdigkeiten und kulinarischen Köstlichkeiten erkunden, desto schwerer fällt es Leo, Anna auf Distanz zu halten.

"Das kleine Zuhause in Prag" ist der zwölfte Band der "Romantic Escapes"-Reihe. Auch wenn die Bücher unabhängig zu lesen sind, begegnet man Charakteren aus bisherigen Teilen wieder. So wurde Leo bereits in Band 11 "Die kleine Villa in Italien" als Bruder der männlichen Hauptfigur vorgestellt.

Der Roman weckt vor allem zu Beginn wenig romantische Gefühle. Es ist kaum vorstellbar, dass Anna und Leo verheiratet waren, denn sie wirken so, als würden sie sich kaum kennen. Anna ist unsicher, fühlt sich unzulänglich und hat ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Leo. Leo hingehen ist selbstbewusst, lebenslustig und spontan und zieht mit seinem sonnigen Gemüt die Menschen an. Der dritte im Bunde Steve ist plakativ negativ, einfältig und dümmlich dargestellt und damit so offensichtlich der Falsche für Anna. Die Liebesgeschichte entwickelt deshalb keine Spannung, denn der Weg ist uninspiriert vorgezeichnet. Genauso wenig spannend ist der Wettbewerb um das Bierbrauen, denn der spielt letztlich nur eine sehr untergeordnete Rolle. Stattdessen wird gegessen, getrunken, geflirtet, renoviert und die Stadt erkundet, wobei sehr schnell Kontakt zu Einheimischen geknüpft wird, die allesamt herzerwärmend nett sind und Anna und Leo mit offenen Armen aufnehmen.
Der Grund für die Scheidung erschließt sich nicht wirklich und eine Aufarbeitung der Vergangenheit findet auch nicht statt, weshalb die Geschichte sehr flach in einem erwartbaren Happy End mündet. 

Das Setting ist gelungen, denn das Buch liest sich wie ein kleiner Reiseführer, der die Wahrzeichen Prags, die Kulinarik und tschechische Lebensart näher bringt. Die Second-Chance-Romance ist hingegen langweilig und besonders enttäuschend ist, dass der Aufhänger des Romans um das Bierbrauen und den Wettbewerb darum völlig in den Hintergrund tritt. Das Cover des Buches hätte in jedem Fall stimmiger gewählt werden müssen. 

Montag, 13. Oktober 2025

Buchrezension: A.K. Turner - Was die Toten sehen (Raven & Flyte ermitteln, Band 4)

Inhalt:

Beinahe läuft Cassie Raven auf dem Weg zur Arbeit in eine Polizei-Absperrung. Die große Blutlache auf dem Weg vor dem Wohnblock und ein Polizist auf einem Balkon im 10. Stock sagen der erfahrenen Pathologie-Assistentin alles, was sie wissen muss. Cassie ist also nicht überrascht, dass in der Leichenhalle ein mutmaßlicher Suizid auf sie wartet.
Doch als sie die Tote sieht, ist sie fassungslos: Denn die ist niemand anderes als Bronte, eine extrem beliebte Sängerin, die kurz vor dem ganz großen Durchbruch stand – und eine ehemalige Klassenkameradin von Cassie.
Es gibt eine Abschieds-SMS, die nahelegt, dass Bronte mit dem Erfolgsdruck nicht umgehen konnte. In der Presse war mehrfach von Drogen- und Alkoholexzessen zu lesen. Aber ein paar kleine Ungereimtheiten bei der Sektion lassen Cassie nicht los. Als dann auch noch DS Phyllida Flyte in den Fall verwickelt wird, braucht Cassie gute Nerven und ihre besondere Gabe. 

Rezension: 

Die talentierte und sensible Singer-Songwriterin Bronte galt als der nächste große Star im Musikbusiness, bis sie sich aus dem zehnten Stock stürzte. Eine Drogenvergangenheit und eine Abschieds-SMS lassen die Polizei auf einen Suizid schließen. Ihre streng gläubige Mutter kann dies nicht glauben und auch die Assistentin der Pathologie Cassie Raven hat bei der Inaugenscheinnahme der Leiche ein anderes Gefühl. Sie kennt Bronte noch als ihre Klassenkameradin Sophia Angelopoulos, die nach einem unsäglichen Vorfall die Schule verließ, wofür sich Cassie bis heute Vorwürfe macht. Sie verspricht Bronte herauszufinden, was wirklich passiert ist. 
Parallel arbeitet die ehemalige Polizistin Phyllida Flyte an dem Fall, die seit Kurzem als Ermittlerin für die IOPC, einer unabhängigen Organisation, die die Polizeiarbeit überprüft, tätig ist.  

"Was die Toten sehen" ist der vierte Band um die Sektionsassistentin Cassie Raven, die über eine besondere Gabe verfügt, mit den Toten zu kommunizieren. Die Aufklärung des Todesfalls um die Sängerin Bronte, die kurz vor ihrem musikalischen Durchbruch stand, ist Cassie ein persönliches Anliegen, denn sie hatte ihre ehemalige Schulkameradin schon einmal im Stich gelassen. 

Nach einer eingehenden Untersuchung der Leiche ist klar, dass der Tod Brontes nur nach einem Selbstmord aussehen sollte. Während die Polizei den Fall, der beinahe schon zu den Akten gelegt werden sollte, neu aufrollt wird und die ehemalige Detective Sergeant Phyllida Flyte hinzugezogen wird, recherchiert Cassie auf eigene Faust im Umfeld von Bronte, um herauszufinden, wer ihr das angetan haben könnte.  

Auch dieser vierte Band ist im Hinblick auf die Aufklärung des mysteriösen Todesfalls des prominenten Opfers spannend und wendungsreich aufgebaut. Die beiden Hauptfiguren Cassie Raven und Phyllida Flyte sind originelle und Charaktere, die besonders sind, aber dennoch authentisch wirken und auf der Suche nach der Wahrheit akribisch, beharrlich und voller Empathie für die Opfer alles geben. Zudem haben sie beide weiterhin mit ihren Dämonen zu kämpfen. 
Das Zusammenspiel aus methodischer Polizeiarbeit sowie forensischen und medizinischen Erkenntnissen ist dabei wieder hervorragend gelungen. Cassie und Phyllida ergänzen sich perfekt und DI Bacon, der an Phyllidas Seite anfangs plump auftritt, ist mit seinem Instinkt und speziellem Charme nicht zu unterschätzen. 
Eine Reihe von zwielichtigen Verdächtigen sorgt für anhaltende Spannung bis zum Schluss.


Freitag, 10. Oktober 2025

Buchrezension: Heike Specht - Die Frau der Stunde

Inhalt:

Mit ihrer eingeschworenen Frauen-Clique, einigen Gin Tonics und noch mehr Zigaretten manövriert sich die Politikerin Catharina Cornelius im Bonn der späten 70er hinreißend klug durch den Sumpf der Altherren-Elite. Als die Liberale aber völlig überraschend zur Außenministerin und Vizekanzlerin wird, reiben sich überrumpelte Kollegen in höchsten Regierungskreisen fassungslos die Augen. Die konservative Opposition überschlägt sich mit hämischen Kommentaren. Die Herren Journalisten lächeln süffisant und spitzen die Feder. Frauen und Männer im ganzen Land blicken erstaunt auf die zierliche Frau mit den extravaganten Halstüchern, die langen Haare stets zu einem eleganten Chignon zusammengesteckt.
Schon bald fordern dramatische Umwälzungen neue Antworten. Von Bonn bis Teheran steht die Außenministerin im Sturm von Ereignissen, die so viel größer sind als sie selbst und sie muss erkennen, dass es immer einen Preis hat, sich die Freiheit zu nehmen. Ein Muss für Fans starker Frauenfiguren. 

Rezension: 

Im Herbst 1978 wird die Politikwissenschaftlerin und stellvertretende Vorsitzendes des Auswärtigen Ausschusses Catharina Cornelius überraschend Außenministerin und Vizekanzlerin, nachdem der bisherige Amtsinhaber seinen Posten nach einem politischen Skandal räumen musste. Es ist mehr als nur ein strategischer Schachzug, um die sozialliberale Koalition zu erhalten, denn Catharina ist eine unerschrockene, erfahrene Frau mit diplomatischem Geschick. 
Catharina muss sich sowohl national als auch international wiederholt in einer Männerdomäne beweisen und sich gegen Chauvinismus durchsetzen. Hinter ihr stehen jedoch ihre beiden besten Freundinnen aus Internatszeiten, Suzanne de Vries, Korrespondentin für die belgische Tageszeitung in Bonn, und Azadeh Nouri, eine iranische Regisseurin und Frauenrechtlerin, sowie ein festes Netzwerk aus Frauen in ihrem politischen Umfeld, denen sie Vertrauen kann. 
Doch schon wenige Monate nach ihrem Amtsantritt wird an ihrem Stuhl gesägt und Intrigen geschmiedet, um sie wieder in die zweite Reihe zu verdrängen. 

"Die Frau der Stunde" und titelgebende Hauptfigur ist Catharina Cornelius, deren erste Monate als frisch ernannte Außenministerin man begleitet. Daneben gibt es Einblicke in die Leben ihrer beiden besten Freundinnen Suzanne und Azadeh, die sich in Bezug auf den Erhalt ihrer Freiheit mit eigenen Problemen konfrontiert sehen. Suzanne steht trotz eines modernen Ehemanns an ihrer Seite als berufstätige Frau und Mutter im Spagat zwischen Beruf und Familie. Azadeh hat die politischen Ereignisse in ihrem Heimatland verfolgt und den Sturz des Schahs verfolgt. Der neue religiöse Machthaber ist jedoch alles andere als ein Befreiungsschlag. Trotz der gefährlichen Situation reist Azadeh wiederholt nach Teheran. 

Die drei Freundinnen sind wie die genannten Politiker fiktive Figuren, während die Schilderung des Umbruchs im Iran auf wahren Ereignissen beruht. Die Mischung aus Fiktion und historischen Ereignissen ist gelungen und der Schauplatz Iran fügt sich zudem gut in den Arbeitsplatz der Außenministerin ein. 
Durch die anschaulichen Beschreibungen wird die Bonner Republik Ende der 1970er-Jahre lebendig. Man erhält ein Gefühl für die damalige Zeit und in welchem Umfeld sich Catharina bewegt. Der fiktive Lebenslauf der bewundernswert unermüdlichen Frau wird dabei geschickt mit der Zeitgeschichte kombiniert. 

Nach einem anfänglich gemächlichen Start, in dem Catharina nahezu reibungslos ihren Weg geht, gibt es im weiteren Verlauf so einige Hindernisse, die die Handlung interessanter gestalten. Auch wenn die Geschichte einzelne Längen hat und die Perspektivwechsel nicht jeder Frau genügend Raum zur Entfaltung geben, besticht der Roman durch den Zeitgeist und einzelne sehr eindrückliche Szenen aus dem Deutschen Bundestag und den Dienstreisen der Außenministerin, die beweisen, wie wenig Frauen in der Politik zugetraut wird und wie schwer es ihnen gemacht wird, sich auf Sachthemen zu konzentrieren und mit ihrem Können zu überzeugen. 
Das Ende erfolgt abrupt und mitten im Geschehen. Ein Epilog mit einem Blick in die Zukunft wäre an dieser Stelle passend gewesen und hätte zu einem für mich befriedigenderen Abschluss geführt. 

Mittwoch, 8. Oktober 2025

Buchrezension: Andreas Schmidt - Hass ist meine Liebe (Kommissarin Mia Sommer ermittelt, Band 1)

Inhalt:

Kopfüber und ertrunken liegt die angesehene Psychologin Tessa Winkler in einem Brunnen am Toelleturm, Wuppertals teuerster Wohngegend. Würgemale an ihrem Hals zeigen, dass sie unter Wasser gehalten wurde. Die Kommissare Mia Sommer und Björn Lassner haben zuerst den Exmann im Visier, der seine Trauer nutzt, um die Ermittler zu manipulieren. Und den Vater eines Mädchens, das bei einem Unfall starb, den Tessa verschuldet hat. Doch dann liegt eine weitere Frau tot auf der berühmten bunten Holsteiner Treppe, genau zwischen den beiden Stufen, die mit "Schlechtes Gewissen" und "Ehre" beschriftet sind.
Zufall oder der Beginn einer Mordserie? Mia und Björn nehmen die Vergangenheit der beiden Opfer genauer unter die Lupe und entdecken unheimliche Ähnlichkeiten in deren Liebesleben. 

Rezension:

In einem Brunnen in Wuppertal wird die Psychologin Theresa Winkler nachts von einem Taxifahrer tot aufgefunden. Die Ermittlungen ergeben, dass die Frau, die Straftäter psychologisch betreute, ermordet wurde. Nachdem ihr Ex-Mann sich wenig kooperativ zeigt, aber ein sicheres Alibi hat, gerät ein trauernder Familienvater in Verdacht, der ein Rachemotiv hat. Nur Stunden später wird eine zweite Frauenleiche in Wuppertal gefunden. Mia Sommer und Björn Lassner, die in dem Fall Winkler ermitteln, erkennen Parallelen zwischen den beiden toten Frauen und können einen Serientäter nicht mehr ausschließen.

"Hass ist meine Liebe" ist der Auftakt einer Krimireihe aus dem Bergischen Land um die Kriminalkommissarin Mia Sommer. Letztlich wird aber im Team ermittelt, wobei ihr Partner Björn Lassner mindestens einen genauso großen Anteil hat, weshalb es zumindest im ersten Band eher die Geschichte eines Ermittler-Duos ist.

Wechselnde Perspektiven sorgen dafür, dass man nicht nur Einblick in die Ermittlungen und die Privatleben der beiden Hauptfiguren, sondern auch eine Täter- und Opfersicht erhält.
Der Täter scheint es auf mehrere Frauen abgesehen zu haben, die in seinen Augen den Tod verdient haben. Das Entführungsopfer weiß nicht, warum sie festgehalten wird und die Polizei ermittelt aufgrund zu offensichtlich Verdächtiger zunächst in die falsche Richtung, bis sie eine Verbindung zwischen den Toten erkennt. 

Obschon man als Leser einen Wissensvorsprung gegenüber den Kriminalkommissaren hat, ist der Fall spannend aufgebaut. Die schnellen Perspektivwechsel sorgen für Dynamik und laden zum Miträtseln über Motiv und Täter ein. Die zeitliche Abfolge erscheint dabei nicht immer realistisch, da sich in kürzester sehr viel ereignet und die beiden Hauptfiguren rund um die Uhr im Dienst zu stehen scheinen. 
Der Schreibstil ist mitunter blumig und in unwesentlichen Details zu ausführlich und neigt zu Wiederholungen. Routineabläufe wie Nahrungsaufnahme, Ankleiden oder Nachrichten lesen sowie Beschreibungen von Kollegen und Inneneinrichtung, die keine wesentliche Rolle spielen, wirken in einem Krimi deplatziert und unnötig. Auch die Eifersüchteleien von Lassners Ehefrau ohne konkrete Verdachtsmomente sind überflüssige Lückenfüller. 
Trotz der Kritik fesselt der wendungsreiche Fall mit Täter, der die Polizei mit seinem schnellen Handeln und seiner Skrupellosigkeit und unter Druck setzt. Für weitere Bände sollten die Hauptfiguren, die sich durch keine herausragenden Eigenschaften hervortun, noch einen Feinschliff erhalten. 

Montag, 6. Oktober 2025

Buchrezension: Jandy Nelson - Wenn unsere Welt kippt

Inhalt:

Willkommen in Paradise Springs – einer Kleinstadt voller Hitze, Staub und Magie inmitten des Wine Country Kaliforniens und Heimat der Fall-Familie. Die 12-jährige Dizzy Fall ist eine grandiose Kuchenbäckerin, sieht Geister und wäre am liebsten eine Romanheldin. Der 17-jährige Miles Fall ist zugleich hochbegabt und Sportskanone, Hundefanatiker und unfassbar schön. Aber auch verloren und auf der Suche nach dem Jungen seiner Träume. Wynton Fall brilliert als 19-jähriger Geigenvirtuose und fährt sein Leben dabei konsequent gegen die Wand.
Als Cassidy, ein geheimnisvolles Mädchen mit regenbogenfarbigem Haar in Paradise Springs auftaucht, wirbelt sie die Welt der drei Geschwister durcheinander. Doch bevor Dizzy, Miles und Wynton herausfinden, wer Cassidy wirklich ist, passiert die Katastrophe. Nur Cassidy kann die Fall-Familie wieder zusammenführen. 

Rezension: 

Die drei Geschwister Fall, Nachfahren eines sagenumwobenen Weinbauers, leben zusammen mit ihrer Mutter in Paradise Springs in Nordkalifornien, nachdem der Vater die Familie unter mysteriösen Umständen verlassen hatte.
Die jüngste Dizzy kann Geister sehen, glaubt an Engel und hat eine enge Bindung zu ihrem Bruder Wynton. Dieser ist ein brillanter Geigenspieler, der auf den großen Durchbruch als Musiker hofft, neigt jedoch zu selbstzerstörerischem Verhalten. Der mittlere Miles ist als wunderschöner, herausragender Schüler der "Vollkommene" und deshalb einsam. So unterschiedlich die drei sind, vereint sie die Sehnsucht nach ihrem Vater. Zudem begegnen alle drei unabhängig voneinander dem Regenbogenmädchen Cassidy und sind fasziniert von ihr. Bevor sie sie näher kennenlernen können, ereignet sich eine Katastrophe und Cassidy wird für sie zu einem rettenden Engel, den sie unbedingt finden müssen. 

"Wenn unsere Welt kippt" ist als Jugendroman deklariert und auch wenn er überwiegend aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen geschrieben ist, enthält er so viele universelle Themen und insbesondere so viel Emotionen, die auch einen erwachsenen Leser nicht kaltlassen. 

Aus wechselnden Perspektiven geschildert, taucht man tief in die Leben von Cassidy, Miles, Dizzy und Winton ein, die schwierige Verhältnisse zu ihren Eltern haben. Sie fühlen sich verloren, sind auf einer andauernden Suche nach Identität, von einer tiefen Sehnsucht geprägt und sehen sich gezwungen, ihre Probleme mit sich selbst auszumachen. Während Miles und seine Geschwister über den Verlust ihres Vaters nie hinweggekommen sind, aber zumindest mit einer liebevollen Mutter aufgewachsen sind, ist Cassidy allein mit ihrer Mutter, die ihre Mutterrolle nur unzutreffend erfüllt. 

Alle Charaktere des Romans sind besonders und vor allem die Jugendlichen sind liebenswert und nahbar. Ihre Schicksale gehen zu Herzen und der stetige Wechsel aus Enttäuschungen und Hoffnung, Liebe und Hass, ist kaum zu ertragen. Die Geschichte entwickelt sich überraschend, weckt Emotionen und ist spannend aufgebaut. Durch die Mischung aus gegenwärtiger Erzählung und Rückblenden in die Vergangenheit werden Geheimnisse offenbar, die erst allmählich gelüftet werden und den Kindern zeigen, was ihre Eltern verbergen. 

Der Erzählstil ist durch Einschübe von Briefen, E-Mails, Auszügen aus Tage- und Notizbüchern abwechslungsreich, zumal märchenhaft und durchgängig bildhaft. Die Personen und auch die Heimat der Falls wird damit leicht vorstellbar. Zudem hat man wie die Kinder selbst Farben vor Augen, Musik in den Ohren und verschiedene Gerüche in der Nase. Synästhesie unterstreicht die Besonderheit der Figuren und auch der magische Realismus passt perfekt zur Entwicklung ihrer Geschichte. 

"Wenn unsere Welt kippt" ist ein All-Age-Roman voller Liebe, Geheimnisse und Magie. Er handelt von Einsamkeit, Verlust, Depressionen und Ängsten, aber auch von Zusammenhalt und Freundschaft, erster Liebe, einem Traum von Freiheit, Hoffnung und dem Glaube an Wundern. Es geht um Trauma, die über Generationen weitergegeben werden, über Familienfluche und Geschwisterrivalitäten, die den Roman zu einem spannenden Mix aus komplizierter Vergangenheit und turbulenter Gegenwart machen. Die Geschichte ist wendungsreich und metaphorisch und wird trotz des Umgangs von knapp 650 Seiten niemals langweilig.   

Freitag, 3. Oktober 2025

Buchrezension: Peter Huth - Aufsteiger

Inhalt:

Felix Licht hat alles für die Karriere geopfert: Seine besten Jahre, lebenslange Freundschaften, die Zeit mit Frau und Kind. Jetzt fehlt nur noch der letzte Schritt, die Berufung zum Chefredakteur des wichtigsten Magazins des Landes. Doch dann eröffnet ihm Verleger Christian Berg, einst Modezar der neurechten Szene, jetzt geläutert und selbsternannter Retter der Pressefreiheit, dass nicht Licht den Job bekommt, sondern Zoe Rauch. Ausgerechnet Zoe – jung, schön, woke. Die Frau, an die Felix seit zwölf Jahren immerzu denken muss. Sein Leben zerbricht – und reißt alle um ihn herum in einen Mahlstrom aus gekränkten Eitelkeiten, brüchigen Lebenslügen, opportunistischer Lust an immer absurderen Fake News und Gutmenschen, die bereit sind, über Leichen zu gehen. 

Rezension:

Felix Licht ist Journalist und steht mit knapp 50 Jahren vor dem Höhepunkt seiner Karriere. Nach einem politisch unkorrekten Artikels des Chefredakteurs muss der Posten neu besetzt werden und Felix malt sich aufgrund seiner Erfahrung und dem guten Draht zum Verleger die größten Chancen aus. Der Champagner ist bereits kaltgestellt, als Felix erfährt, dass Zoe Rauch neue Chefredakteurin des Magazins wird. Zoe war vor zwölf Jahren seine Volontärin, die die Redaktion verlassen hatte, nachdem sie sich zu nahe gekommen waren. Zoe ist alles, was Felix nicht ist - weiblich, jung, dunkelhäutig - und soll dem Magazin damit neuen Aufwind geben. Felix ist in seinen Grundfesten erschüttert. Nachdem es in seiner Ehe bereits kriselte, steht er nun nicht mehr nur vor der Scheidung, sondern auch vor seinem Karriereende.

Ausgehend von dem tiefen Fall des Felix Licht, der sich so sicher wähnte, den Posten des Chefredakteurs zu erreichen, auf den er über Jahre hingearbeitet hatte, handelt der Roman im Umfeld der Medienbranche von zahlreichen politisch und gesellschaftlich strittigen Themen. Es geht um Cancel Culture, Genderfragen, Klimaaktivisten, Diskriminierung, Feminismus und einen Kampf um Gerechtigkeit. Mit Konflikten zwischen den Generationen, zwischen Männern und Frauen, zwischen Rechts und Links ist der Roman brandaktuell und am Puls der Zeit. 

Die Figuren sind mitunter stereotyp dargestellt, was jedoch weniger störend ist, sondern zur ironischen Sichtweise und den zum Teil aberwitzigen Diskussionen passt, die nicht nur im Buch, sondern auch im wirklichen Leben geführt werden. 
Die Themen werden dadurch aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet, so dass keine vorgefertigte Meinung aufgezwungen wird. Es bleibt allein der Leserin/ dem Leser überlassen, sich eine eigene Meinung zu bilden. 

Der Einblick in die Medienbranche, in die Arbeit in einem Wochenmagazin sowie der Einfluss von Bloggern und Social Media wirken authentisch. Es ist ein schnelllebiges Metier, in welchem Fehler und falsche Prognosen zu ungeahnten Folgen führen können. Erfolg und Scheitern liegen oftmals dicht daneben, Macht und Manipulation werden rigoros ausgenutzt. Wer den Anschluss verpasst, gerät ins Aus, aber auch wer zu progressiv vorgeht, kann sich unmittelbar ins Abseits manövrieren. 

Auch wenn kein Charakter wirklich sympathisch ist und die einzelnen Schicksale trotz ihrer dramatischen Entwicklung nur bedingt berühren können, unterhält "Aufsteiger” durch eine mitunter überspitzte Darstellung und die Gesellschaftskritik, die so pointiert in Romanform wiedergegeben wird. 
Leider verliert sich die Geschichte am Ende mit einer Offenbarung und driftet anschließend kitschig und dramatisch ab. 

Mittwoch, 1. Oktober 2025

Buchrezension: Lisa Sarah Brandstäter - Mord in eiskalter Nacht (Leena Victor ermittelt, Band 1)

Inhalt:

Es war eine rauschende Feier. Am nächsten Tag liegt Kira Westerlund ermordet im Ehebett, geknebelt und mit einer Plastiktüte erstickt. Der Mord an der beliebten Moderatorin versetzt das friedliche Finnland in einen Schockzustand. Kriminalkommissarin Leena Victor hat bei Gewaltdelikten gegen Frauen landesweit die beste Aufklärungsquote, die eingerichtete Sonderkommission braucht sie eigentlich. Doch sie war Gast auf der Party und hat außerdem Urlaub. Leena weiß, dass Sauna, Eisbaden und ihr geliebtes Boxtraining warten müssen. Sie beginnt zu ermitteln, in alle Richtungen. Bis sie in einem der unendlichen nordischen Fichtenwälder vor einem beschaulichen Haus steht, das ihr seltsam bekannt vorkommt. 

Rezension:

Am Morgen von Heiligabend wird die bekannte Fernsehmoderatorin Kira Westerlund von ihrem Ehemann tot im Schlafzimmer aufgefunden. Während Sören als Arzt im Dienst war, hatte seine Ehefrau zusammen mit Freunden aus der Film- und Fernsehbranche die alljährliche Weihnachtsparty in ihrem Haus gefeiert. Auch Kriminaloberkommissarin Leena Victor war ihrer Schwester zuliebe anwesend. Nun befindet sie sich im wohlverdienten Urlaub und wollte die Zeit nutzen, um sich mit den ungeklärten Umständen des Tods ihres Vaters zu beschäftigen, der vor über zwanzig Jahren Selbstmord begangen haben soll. Leena kann sich aber nicht bremsen, im Hintergrund im Mordfall Westerlund zu ermitteln und kommt zufällig dem mutmaßlichen Täter auf die Spur und kann ihre Kollegen der Mordkommission damit unterstützen.

"Mord in eiskalter Nacht" ist der erste Band einer neuen Scandi-Crime-Reihe um Kriminaloberkommissarin Leena Victor der Mordkommission Helsinki, die auf Sexualdelikte spezialisiert ist. Aufgrund persönlicher Erfahrungen sind ihr Gewaltdelikte gegen Frauen ein besonderes Anliegen.

Die Geschichte wird in kurzen Kapiteln aus vielen wechselnden Perspektiven erzählt. Hierbei gibt es Einblicke in die Sicht der Opfer, Täter sowie der polizeilichen Ermittler. Durch Rückblenden wird offenbar, was Leena und ihre ältere Schwester in ihrer Kindheit erlebt haben und was ihr Handeln nach wie vor beeinflusst.

Trotz des frühen Leichenfunds und dem Fokus auf den Ermittlungen zur Aufklärung der Tat, schildert die Geschichte mehr als nur einen Kriminalfall. Durch sie Involvierung des Privatlebens verschiedenster Personen, die am Rande oder unmittelbar in den Fall involviert sind, ist es ein vielschichtiger Roman, der eine große Bandbreite an Themen beinhaltet. Er handelt von Machtmissbrauch, sexuellen Übergriffen, Gewalt gegen Frauen, #metoo, erlebte Traumata, Bulimie sowie Karriere, Selbstverwirklichung, Selbstvertrauen, Kampf um Gerechtigkeit, Solidarität und einem engen Band der Schwesternschaft.

Die Erzählung ist lebendig und dynamisch und bindet den finnischen Lebensstil mit Naturverbundenheit, (problematischem) Alkoholkonsum und klirrender Kälte bildhaft ein.
Trotz der Vielzahl der Themen wirkt der Roman nicht überladen, denn sie überschneiden sich und fügen sich rund zusammen.
Leena ist eine sympathische Heldin, die empathisch und instinktgesteuert handelt, aber auch die Nebencharaktere sind lebensecht und können mit Ecken und Kanten überzeugen.

Unterhaltsam, spannend, emotional und gesellschaftskritisch fesselt der Krimi bis zum Schluss.
Die Vergangenheit von Leena respektive ihres Vater macht neugierig und bietet neben neuen Kriminalfällen viel Potenzial für weitere Bände und die persönliche Entwicklung der Hauptfigur. Ich freue mich schon jetzt auf Band 2 "Tod in heller Sommernacht", der voraussichtlich im Juli 2026 erscheinen wird. 

Montag, 29. September 2025

Buchrezension: Jess Kitching - Opfer Nummer 11

Inhalt:

Zehn Jahre ist es her, dass Hannah einem brutalen Serienkiller entkommen konnte. Zehn Jahre, in denen sie sich mühsam ein neues Leben aufgebaut hat. Zehn Jahre, in denen sie versucht hat, mehr zu sein als das "Opfer Nummer 11". Endlich will sie die wöchentlichen Meetings mit der Selbsthilfegruppe hinter sich lassen und mit ihrem Mann einen Neustart wagen. Doch dann verschwinden wieder junge Frauen in dem kleinen englischen Ort. Ihre ausgebluteten Leichen lassen Hannah ihre schlimmsten Ängste wieder durchleben. Sie weiß, der Täter ist eigentlich hinter ihr her. Damals konnte sie überleben - doch reicht ihr Glück auch ein zweites Mal? 

Rezension:

Als Hannah Allen vierzehn Jahre alt war, wurde sie von dem Serienmörder Peter Harris entführt, der so schwer zu fassen war, dass er  in der Öffentlichkeit "Ghost" genannt wurde. Hannah sollte sein elftes Opfer werden, doch sie war die einzige, die überlebte. 
Zehn Jahre später ist Hannah mit einem liebevollen Mann zusammen und möchte nun die Selbsthilfegruppe der "Vertrauensschwestern" quittieren, die dazu beigetragen hat, das Trauma ihrer Vergangenheit zu überwinden. Doch dann verschwinden innerhalb kürzester Zeit mehrere Frauen in dem kleinen Ort. Die Leichen weisen ähnliche Verletzungen wie Peters Opfer auf. Zudem erreichen Hannah Botschaften, die darauf hindeuten, dass jemand Peters Werk fortführt und Hannah in unmittelbarer Gefahr schwebt. Während sich die Presse auf sie stürzt, ist Hannah verängstigt und weiß nicht mehr, wem sie noch trauen kann. 

Der Roman wird überwiegend aus der Ich-Perspektive von Hannah geschildert, wodurch sie sehr nahbar wirkt. Es fällt leicht, sich in sie hineinzuversetzen und ihre Gefühle der Wut und Angst nachvollziehen zu können. Daneben gibt es einzelne Einblicke in die Polizeiarbeit durch den Kommissar Conrad, dem es ein persönliches Anliegen ist, Hannah zu schützen und den Mörder zu fassen. 

Die Geschichte beginnt anfangs gemächlich und erinnert mehr an ein Drama. Hannahs Emotionen und ihr persönliches Schicksal stehen im Vordergrund. Sie kämpft mit der Ungerechtigkeit, die sie erfahren hat und noch immer erfährt und möchte die Opferrolle endlich ablegen. Es wird deutlich, wie schwer ein Neuanfang nach einem solchen Trauma der Entführung und Folter ist, wie schwer es fällt, Vertrauen zu fassen, Beziehungen einzugehen und ein "normales" Leben zu führen. Freunde und Therapie, aber vor allem das Bestärken des Glaubens an sich selbst sind notwendig, wovon Hannah bereits profitiert hat. 

Die Spannung setzt ein, als nach zehn Jahren weitere Frauen Opfer eines Serientäters werden, der als Nachahmer des berüchtigten Peter Harris deklariert wird. Hannahs Ängste sind spürbar und die Gefahr steigt, als der Mörder immer näher kommt. Es hat den Anschein, dass der Mörder aus Hannahs eigenem Umfeld stammt und Peter Harris Tat zu Ende bringen möchte. Wie nah muss Hannah den Täter an sich heranlassen, damit er gefasst werden kann? 

Die Auflösung kann überraschen, ist aber dennoch nachvollziehbar und das Tatmotiv nicht abwegig. Der Showdown ist blutig und typisch für einen Psychothriller. 
Die Geschichte setzt dem Titel entsprechend das Opfer eines Verbrechens in den Vordergrund. Sie handelt von Gewalt gegen Frauen, von sexuellen Übergriffen und den öffentlichen und persönlichen Umgang damit. Während die Polizeiarbeit ein wenig dilettantisch, scheint das Auftreten der Medien und der Einfluss von Social Media realistisch dargestellt. 

Freitag, 26. September 2025

Buchrezension: Jenny Mustard - Beste Zeiten

Inhalt:

Endlich Stockholm! Sickan, 21, hat es rausgeschafft aus dem muffigen Kaff in der schwedischen Provinz, in dem sie sich nie zu Hause gefühlt hat, weg von den mobbenden Klassenkameradinnen und den wenig zugewandten Eltern. Jetzt, in der Großstadt, kann es losgehen mit den Freundschaften, dem Ausgehen, dem Vorlesung-Schwänzen und Sich-Verlieben, denn Sickan ist wild entschlossen, sich in der neuen Stadt neu zu erfinden und endlich dazuzugehören. Aber wie geht das eigentlich genau, das, was man gemeinhin so "Leben" nennt? 

Rezension: 

Sickan zieht zum Studium nach Stockholm - möglichst weit weg von ihrem unterkühlten Elternhaus und dem Mobbing ihrer Mitschüler*innen. In der Großstadt möchte sie ihr altes belastetes Leben hinter sich lassen und sich neu erfinden. Mit der wohlhabenden und selbstbewussten Kommilitonin Hanna findet sie eine Freundin, neben der sie sich selbst nicht mehr so eigenartig vorkommt und mit Abbe die erste Liebe zu einem jungen Mann, mit dem sie eine traumatische Vergangenheit gemein hat.
Endlich geht Sickans Wunsch nach Zugehörigkeit in Erfüllung, während sie ein typisches Studentenleben führt, mit dem sie sich selbst beweist, dass sie nicht seltsam ist.

Der Roman ist aus der Ich-Perspektive von Sickan geschrieben, wodurch sie sehr nahbar ist. Ihre Sorgen und Ängste, die zu Beginn erdrückend sind, sind spürbar. Schwierige Situationen lösen Flashbacks aus, die sie immer wieder gedanklich in die Vergangenheit katapultieren.
Durch die in Teilen erschütternden Erinnerungen kann noch mehr Verständnis für Sickans Handlungen und Verhaltensweisen entwickelt werden.

"Beste Zeiten" schildert Sickans Neuanfang als Studentin, die ihr altes Ich ablegen möchte. Der Roman handelt von Freundschaft, Loyalität und erster Liebe, von einer Suche nach Identität und dem Wunsch nach Zugehörigkeit, aber auch von sozialen Ängsten, Ausgrenzung und Rassismus. Die Entwicklung Sickans ist authentisch und nachvollziehbar dargestellt und problematisiert eine Verunsicherung, die gar nicht "seltsam" ist. 

Mittwoch, 24. September 2025

Buchrezension: Julie von Kessel - Die andern sind das weite Meer

Inhalt:

Familie Cramer droht die Zerreißprobe. Dabei waren sie einst eine Vorzeigefamilie. Ein erfolgreicher Diplomatenvater mit einer schönen Frau und drei wohlgeratenen Kindern. Erst Jahrzehnte später, Mutter Maria ist längst gestorben und die Kinder erwachsen, zeigen sich die Risse im Familienfundament. Und als der Patriarch in eine Demenz schlittert, drohen aus den Rissen einstürzende Wände zu werden.
Luka ist als Fernsehreporterin kaum je zu Hause, Tom mit der Leitung seiner psychiatrischen Klinik beschäftigt, und Elena steigert sich in ihre Jugendliebe hinein, weil sie vor einer unangenehmen Wahrheit die Augen verschließt.
In dem Glauben, von den anderen nicht verstanden zu werden, trägt jeder sein eigenes Päckchen – bis der Vater spurlos verschwindet. 

Rezension:

Hans Cramer ist pensionierter Diplomat, der allein in Bonn wohnt. Er ist an Demenz erkrankt und wird zunehmend hilfsbedürftiger. Seine drei erwachsenen Kinder sind mit ihren eigenen Problemen beschäftigt und kümmern sich nur halbherzig aus der Distanz um den strengen Vater, der immer nur mit seiner ältesten Tochter Luka zufrieden war.
Luka ist Kriegsberichterstatterin und derzeit für ihren Sender in der Ukraine. Nach einem folgenschweren Fehler muss sie zurück nach Deutschland.
Tom ist Psychiater und hat eine eigene Klinik am Wannsee aufgebaut. Mit über 40 Jahren leidet er immer noch unter der fehlenden Anerkennung seines Vaters und nimmt regelmäßige an dubiosen Seminaren mit halluzinogenen Substanzen teil, die Heilung für seelische und körperliche Leiden versprechen.
Elena ist wie ihre verstorbene Mutter an Brustkrebs erkrankt und in ihrer Beziehung zu Juan, mit dem sie eine gemeinsame Tochter hat, unglücklich. Sie flüchtet sich in Träumereien an ihre Jugendliebe Moritz.

Als ihr Vater Hans verschwindet, kommen die Geschwister in ihrem Elternhaus zusammen und beginnen, sich ihren Ängsten zu stellen und finden in der Gemeinschaft Halt, ihre Probleme anzugehen.
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive einer der vier Hauptfiguren geschildert. Allen ist gemein, dass sie sich vor der Wahrheit verschließen und Schwierigkeiten mit sich selbst ausmachen. Sie fühlen zudem eine innere Leere, fühlen sich unverstanden und nicht anerkannt.

Alle Figuren haben interessante Biografien, die die Handlung vielschichtig und abwechslungsreich gestalten. Die Unterschiedlichkeit der Charaktere spiegelt sich auch in der Vielfalt der Themen wieder, die der Roman enthält. Es geht um psychische und physische Erkrankungen, um Suizid, Betrug und Affären, Homophobie, Entfremdung und Einsamkeit.
Dennoch wirkt der Roman nicht überfrachtet oder deprimierend.

Berührend sind die Szenen aus der Sicht von Vater Hans, der neben klaren Momenten immer mehr geistig verwirrt ist und selbst merkt, wie sein Gehirn ihn im Stich lässt. Indem er alte Dias mit Aufnahmen der Familie sortiert, reflektiert er die Beziehung zu seiner Frau und seinen Kindern.

Auch die persönlichen Krisen der drei Kinder bewegen, die sich bewusst oder unbewusst in Richtung Abgrund bewegen. Das Zusammenkommen in Bonn sorgt dann regelrecht für Aufatmen, wenn sie sich auf die Suche nach ihrem Vater konzentrieren, bei der Gelegenheit aber auch erkennen, dass sie ihre Probleme nicht allein bewältigen müssen.

Es ist eine bittersüße Geschichte über eine zerrüttete Familie, die durch ein Ereignis die Chance erhält, sich wieder zu finden und an ihren Beziehungen zu arbeiten. Mit seinen universellen Themen des Älterwerdens, Übernahme von Verantwortung und Selbstzweifeln hat der Roman viel Identifikationspotenzial.

Montag, 22. September 2025

Buchrezension: Eva Björg Ægisdóttir - Verschworen (Mörderisches Island, Band 5)

Inhalt:

Für Kommissarin Elma soll es nach ihrer Babypause ein ruhiger Wiedereinstieg werden. Die winterliche Gemütlichkeit in dem kleinen isländischen Städtchen Akranes wird jedoch brutal zerstört, als eine Leiche in einem abgelegenen Sommerhaus entdeckt wird. Der vierzigjährige Þorgeir wurde mit sieben Messerstichen ermordet. An der Holzwand über seinem Bett hat der Täter eine rätselhafte Nachricht hinterlassen – eine Zeile aus einem alten Kirchenlied, geschrieben mit dem Blut des Opfers.
Elmas Ermittlungen führen sie tief in die Vergangenheit von Þorgeir und seinen Jugendfreunden. Die Spur endet im Sommer 1995 in einem christlichen Ferienlager in Vatnaskógur. Ein dunkles Geheimnis verbindet die damalige Clique, denn der angebliche Unfalltod eines Jungen wirft fünfundzwanzig Jahre später tödliche Schatten auf die Gegenwart. Elma stößt auf eine Mauer des Schweigens und erkennt, dass sie einen Mörder jagt, der für seine Rache über Leichen geht. 

Rezension: 

Kommissarin Elma ist zurück aus der Elternzeit und wird schon wenige Tage nach ihrem Wiedereinstieg mit einem Mordfall betraut. In einem Sommerhaus in der Nähe von Akranes wurde ein Mann erstochen in seinem Bett aufgefunden. An der Schlafzimmerwand wurde eine blutige Botschaft aus einem alten Kirchenlied hinterlassen, das in christlichen Ferienlagern gesungen wird, an denen auch der Tote Þorgeir als Jugendlicher teilgenommen hat. Während die Geliebte des Opfers verschwunden ist, versucht Elma herauszufinden, was sich in der Vergangenheit in dem Ferienlager ereignet hat, das mutmaßlich ursächlich für den Mord sein könnte. Eine späte Rache von einem anderen Teilnehmer des Camps oder doch ein Racheakt einer Geliebten, nachdem Þorgeir schon einmal der Vergewaltigung bezichtigt wurde?

"Verschworen" ist bereits der fünfte Band der Reihe "Mörderisches Island" um die Ermittlerin Elma, die nach einem Schicksalsschlag in ihren Heimatort Akranes zurückgekehrt war. Zum besseren Verständnis der Charaktere und um ihre Entwicklung zu verfolgen, ist es empfehlenswert die vorangegangenen Teile zu kennen. Eine Personenübersicht am Ende des Romans hilft jedoch auch Neueinsteigern sich einen Überblick zu verschaffen.

Der Roman handelt im Rahmen der Ermittlungen im Dezember 2020, nachdem Þorgeir tot aufgefunden wurde, während Rückblenden darstellen, was sich in dem Wochen vor seinem Tod ereignet hat. Ereignisse aus dem Sommer 1995 werden überwiegend indirekt wiedergegeben, was den Lesern einen kleinen Wissensvorsprung gibt.

Im Verlauf der Handlung gibt es mehrere Verdächtige, die für den Mord in Frage kommen. Während zunächst die Geliebte im Fokus steht, scheinen die wahren Hintergründe tatsächlich in der Vergangenheit von Þorgeir und seinem Freundeskreis zu liegen. Elma stößt in diesem Zusammenhang auf ein dunkles Geheimnis, das die Polizeiarbeit in einem lange vergangenen Todesfall in Frage stellt. Ihr Vorgesetzter ermittelt indessen in eine andere Richtung und deckt einen Fall von Geldwäsche auf.
Elmas Lebensgefährte und Kollege Sævar, der sich um die gemeinsame Tochter kümmert, kann die Arbeit nicht ganz ruhen lassen und unterstützt Elma in dem Mordfall, scheint aber auch selbst etwas Dunkles zu verbergen zu haben, das ihn nun einholen könnte.

Wie alle Handlungsstränge zusammenhängen, ist ein Puzzlespiel, das anfangs nur schwer zu durchdringen ist, am Ende jedoch schlüssig aufgelöst wird. Das Motiv für die Tat erscheint jedoch bereits durch den Text an der Schlafzimmerwand offensichtlich.

Der Roman handelt von den Auswirkungen von Gewalt in der Familie, von Mobbing und von einer Dynamik unter Jugendlichen, die außer Kontrolle geriet. Die Vergangenheit sitzt in der Kleinstadt gleich mehreren Personen im Nacken und droht sie einzuholen. Letztlich scheint keine Tat ungesühnt zu bleiben und so schließt sich der Kreis mit dem christlichen Kirchenlied.

"Verschworen" ist nicht der originellste Plot, da überraschende Wendungen ausbleiben, aber solide Krimikost.
So manche Ungereimtheit am Ende legt nahe, dass noch längst nicht jede Schuldfrage und Tat in Akranes aufgeklärt ist und macht damit Hoffnung auf eine Fortsetzung der Reihe. 

Freitag, 19. September 2025

Buchrezension: Eric Puchner - Weißes Licht

Inhalt:

Garret lebt zurückgezogen in der ländlichen Idylle Montanas, er arbeitet als Gepäckabfertiger am Flughafen und kümmert sich um seinen kranken Vater. Als er Cece kennenlernt, spürt er zum ersten Mal seit Jahren wieder Lust auf das Leben. Es gibt nur ein Problem: Sie ist die Verlobte seines besten Freundes. Schon bald müssen sie eine Entscheidung treffen, die ihrer aller Leben unwiderruflich verändern wird: ihre Beziehungen, ihre Freundschaften, und schließlich die folgende Generation. 

Rezension:

Cece ist früher als ihr Verlobter Charlie nach Montana in das Haus ihrer zukünftigen Schwiegereltern gekommen, um die letzten Vorbereitungen für ihre geplante Hochzeit zu treffen. Unterstützung soll sie von Garrett, Charlies besten Freund aus dem College, erhalten. Auf den ersten Eindruck kann sich Cece niemand weniger geeigneten, als einen Gepäckabfertiger am Flughafen vorstellen, den ein Trauma aus seiner gemeinsamen Vergangenheit mit Charlie belastet. Doch je mehr Zeit sie mit Garrett verbringt, desto unsicherer wird Cece über die Zukunft, die sie sich erträumt hat.
Die Ereignisse dieses Sommers werden entscheidend für die Freundschaft der beiden Männer und ihre Beziehung zu Cece, und werden auch auf die nachfolgende Generation ihren Schatten werfen.

Der Roman beginnt im Sommer 2004 mit der Hochzeit von Cece und Garrett und erstreckt sich über 5 Jahrzehnte. Die Geschichte handelt dabei von den Verbindungen von Cece, Charlie und Garrett, den Entscheidungen, die sie treffen und dem Verlauf ihrer Leben bis ins hohe Alter, während die Auswirkungen der Klimakrise eine zunehmende Rolle spielen.

Ausgehend von einem klassischen Liebesdreieck wird eine Mehrgenerationengeschichte entwickelt, die von Schuld, Eifersucht und Neid sowie von Liebe, Freundschaft und Vergebung handelt.
Sie wird aus der Perspektive der drei Hauptfiguren sowie deren Kindern Lana und Jasper erzählt.
Herausgestellt werden einzelne Episoden aus deren Leben, die für den weiteren Verlauf der Geschichte relevant sein werden. Daneben gibt es vereinzelte Rückblenden, die noch mehr über die Charaktere offenbaren.

Bestechend sind so manch emotionale Ausbrüche, die noch länger im Gedächtnis bleiben werden. Glück und Unglück, Leben und Sterben, Heilung und Krankheit liegen eng beieinander. 
Die Atmosphäre ist durchgehend melancholisch und angespannt, was durch die Erwärmung des Klimas mit all seinen Konsequenzen wie jährliche Brände, austrocknende Seen, schmelzende Gletscher und bedrohte Tierarten noch verstärkt wird. Durch irritierend humorvolle Szenen und eine warmherzige Erzählweise ist der Roman nicht beklemmend, sondern erzählt das wirkliche Leben mit Erfolgen und Scheitern und ist eine Ode an die Freundschaft und die Ehe mit all ihren, Kompromissen, Höhen und Tiefen. 
Es ist ein Roman, der mit seiner Ehrlichkeit und der Fehlbarkeit seiner Charaktere einen Sog entwickelt. 



Donnerstag, 18. September 2025

Buchrezension: Peter Grandl - Höllenfeuer

Inhalt:

München, 12. September 2022: Es ist ein sonniger Morgen, als in der U-Bahn der Linie 6 ein Islamist einen grauenvollen Anschlag verübt. Mehr als 300 Menschen sterben. Während die Stadt im Ausnahmezustand ist und die Welt entsetzt nach Deutschland blickt, arbeiten im Hintergrund Behörden und Polizei fieberhaft zusammen, um die Hintermänner zu fassen und einen weiteren Anschlag zu verhindern. 
Die Ermittlung für die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe leitet Erster Hauptkommissar Torge Prager. Sein Hauptverdächtiger ist der syrische Arzt Laid Abaaoud, doch Torge kann den Verdacht nur bestätigen, wenn er das Gesetz bricht. Ausgerechnet die große, unglückliche Liebe seines Lebens und Tochter des Innenministers, Oberregierungsrätin Antonia Himmel, glaubt an Laids Unschuld. Was beiden beinahe entgeht: Antonias Vater, Martin Himmel, sollte sich an jenem Morgen in der U-Bahn befinden. Galt der Anschlag etwa ihm? Wird es einen zweiten geben? 

Rezension: 

Am 12. September 2022 ereignet sich in der U-Bahn in München ein islamistischer Terroranschlag mit in der Folge über 300 Toten. Kurz nach der Corona-Pandemie wird erneut ein Lockdown verhängt, um die Bevölkerung zu schützen. Die Menschen leben in Angst, denn obwohl der Täter schwer verletzt im Krankenhaus liegt, ist ein weiterer Anschlag vor dem Hintergrund der Strukturen des Islamischen Staats (IS) nicht auszuschließen.
Die Sicherheitsbehörden arbeiten deutschlandweit eng zusammen, um nicht nur die Hintermänner zu identifizieren, sondern auch ein weiteres Blutbad zu verhindern. Festgenommen wird ein syrischer Zahnarzt, der vor wenigen Jahren in Deutschland Asyl beantragt hatte. Er soll über Verbindungen zum IS verfügen und den Attentäter kurz vor dem Anschlag in einer Moschee in München getroffen haben. Während der Erste Hauptkommissar der GBA, Torge Prager, den Verdächtigen vernimmt, glaubt seine ehemalige Geliebte und Leiterin der AG BIRGiT, Antonia Borchardt, fest an die Unschuld von Laid Abaaoud und setzt sich für seine Verteidigung ein.

"Höllenfeuer" beschreibt erschreckend realistisch ein beängstigendes Szenario und ist brandaktuell. Ausgehend von dem verheerenden Anschlag werden die Konsequenzen daraus anschaulich und packend aus verschiedenen Perspektiven erzählt, wobei auch die Hintergründe der Radikalisierung der Täter nicht außer Acht gelassen werden. Von der medizinischen Notversorgung, über die notwendigen politischen Entscheidungen bis zu den polizeilichen und nachrichtendienstlichen Ermittlungen enthält der Roman zahlreiche Fakten, die einen anschaulichen Einblick in das Zusammenspiel der Sicherheitsbehörden bieten. Diese werden lebendig mit den fiktiven Geschichten der handelnden Figuren verbunden, die in mitunter schwierigen persönlichen Beziehungen zueinander stehen und mit den Dämonen der Vergangenheit zu kämpfen haben.

Der Roman ist vielschichtig, indem er die Folgen für Täter, Opfer, Zivilbevölkerung und Gesellschaft sowie für die einzelnen Helden der Geschichte beleuchtet. Der Anschlag mit den vielen unschuldigen Opfern ist traumatisch, die Bevölkerung ist verunsichert, der Druck für Politik und Sicherheitsbehörden steigt, Erfolgsergebnisse zu vermelden, die Belastungsgrenze ist bald erreicht.

Eine drohende Gefahr ist gegenwärtig, was die Spannung durchgehend auf einem hohen Niveau hält. Zudem folgt man gebannt, ob und wie Täter und Hintermänner entlarvt werden können, die aufgrund ihres religiösen Fanatismus unberechenbar sind.
"Höllenfeuer" ist ein dynamischer, zeitgemäßer Politthriller, der geschickt mit den Ängsten spielt und durch die Verknüpfung des fiktiven Anschlags mit der Erwähnung realer Ereignisse und Personen noch beklemmender wirkt.

Donnerstag, 11. September 2025

Buchrezension: Holly Brickley - Deep Cuts

Inhalt:

Es ist Freitagabend in einer Studentenbar in Berkeley, Anfang der 2000er-Jahre. Hall & Oates läuft in der Jukebox, und Percy Marks kann wieder einmal nicht anders, als ihrer Leidenschaft nachzugeben, mit der sie ihr Umfeld seit ihrer Schulzeit nervt. Instinktiv nimmt sie den Song auseinander und lässt sich brillant über die feinsten Nuancen aus: Für sie ist Musik ein Lebensgefühl, das sie mit jeder Note und jedem Beat tief in sich spürt. 
Doch heute Abend ist etwas anders. Der süße Typ neben ihr am Tresen, Joe Morrow, ist fasziniert von Percys Leidenschaft für Musik. Schon am nächsten Tag bittet er sie um Feedback zu einem selbst geschriebenen Song – und damit entfaltet sich zwischen ihnen eine unvergleichliche musikalische Kreativität. Aber auch etwas unbestreitbar Elektrisierendes, das auf die Liebe zusteuert. Und zugleich, unausweichlich, auf Schmerz. 

Rezension: 

Percy und Joe lernen sich im Herbst 2000 in einer Studentenkneipe in Berkeley kennen. Beide verbindet auf Anhieb die Leidenschaft zur Musik. Während Joe Musiker ist, Songtexte schreibt und gerade dabei ist, eine Band zu gründen, beschäftigt sich Percy mit den Inhalten und der Bedeutung von Songtexten. Joe bittet sie deshalb um Feedback zu einem seiner neuen Songs, woraus sich eine über Jahre anhaltende sporadische Zusammenarbeit ergibt, während der Joe als Indie-Musiker mit seiner Band "Caroline" berühmt wird.
Zwischen unausgesprochener Liebe, platonischer Freundschaft und beruflicher Partnerschaft sind Percy und Joe lose verbunden, auch wenn für Percy weitaus mehr Gefühle im Spiel sind. Doch mehrfache Zurückweisungen und Joes Befürchtung, seine wertigste Kritikerin zu verlieren, scheinen eine Beziehung unmöglich zu machen. 

Die Geschichte führt von 2000 bis 2008 in eine Zeit zurück, als es noch Tonträger, Mixtapes in Form gebrannter CDs, TV-Musiksender, iPods und Napster gab.
Musik und Songtexte bilden einen wesentlichen Kern des Romans. Jedes Kapitel ist einem Song bekannter Künstler gewidmet und passt inhaltlich zu dem gegenwärtigen Geschehen. Dabei ist es allerdings schwierig, die Verbindung der Texte mit der fiktiven Geschichte zu erkennen und zu fühlen, da es sich, anders als erwartet, mehrheitlich nicht um Musik der 2000er handelt. Statt populäre Songs und Texte der Zeit heranzuziehen, die gerade für LeserInnen im Alter von Percy und Joe mehr Identifikationspotenzial geboten hätten, werden vorrangig Musiker vorangegangener Zeiten wie "The Beatles", "The Kinks", Buddy Holly oder Janis Joplin erwähnt und eben nicht gerade die Musik, die man üblicherweise Anfang der 2000er-Jahre gehört hat. Obschon ich mich als musikinteressiert bezeichnen würde und wahrlich nicht nur Mainstream-Pop/Rock höre, war ich beim Lesen ernüchtert, wie wenig Deep Cuts ich tatsächlich kannte, die für die Geschichte Relevanz hatten.

Der Roman kommt einer Musikanalyse gleich, die mit der Zeit ermüdend ist. Die komplizierte Beziehung von Percy und Joe, die zwischen Liebe, Freundschaft und geschäftlicher Partnerschaft schwankt, erhält zu wenig Raum. Auch die Spannung, die sich durch Percys Mitarbeit an Joes Musik, die zu wenig Würdigung findet, ergibt, bleibt verhalten.
Neben der Sezierung von Liedtexten stehen Percys berufliche und persönliche Entwicklung im Vordergrund, die authentisch dargestellt sind. 
"Deep Cuts" ist nicht nur ein Ausdruck der Liebe zur Musik, die einen essentiellen Teil des Lebens ausmacht, sondern auch ein Coming-of-Age-Roman über den Wunsch nach Zugehörigkeit und der Sehnsucht, gehört zu werden. 


Mittwoch, 10. September 2025

Buchrezension: J.F. Murray - Just married: Plötzlich verheiratet

Inhalt:

Kate ist die ultimative Planerin – egal, ob es um ihre Traumhochzeit mit dem perfekten Norman oder ihren Junggesellinnenabschied in Las Vegas mit ihren besten Freundinnen geht. Bis sie am ersten Abend in Vegas in einem Club ihrem Ex-Freund, dem DJ Trevor Rush, begegnet. Denn als Kate am nächsten Morgen aufwacht, stellt sie mit Entsetzen fest, dass Trevor und sie letzte Nacht geheiratet haben.
Kate setzt alles daran, dass Trevor einer Annullierung zustimmt, aber er stellt eine Bedingung: Sie muss sich vorher von ihm auf drei Dates ausführen lassen. Da ihr die Zeit davonläuft, stimmt sie zähneknirschend zu. Jetzt müssen nur noch ihre Gefühle aufhören, in Trevors Nähe verrückt zu spielen. 

Rezension: 

Kate liebt es Listen zu führen und zu planen. Selbst ihren eigenen Junggesellinnenabschied nimmt sie selbst in die Hand, um ihn perfekt zu gestalten. Gemeinsam mit ihren drei Freundinnen, mit denen sie früher gnadenlos über die Strenge geschlagen hat, fliegt sie nach Las Vegas - sehr zum Missfallen ihres zukünftigen Ehemanns Norman, dem Böses schwant. 
Schon am ersten Abend überreden ihre Freundinnen Kate in Champagnerlaune zu einem Abstecher in einen Nachtclub, wo es mit den berüchtigten Four Lokos weitergeht und Kate auf DJ Rush trifft, ihrem toxischen Exfreund, dem sie nach einer üblen Enttäuschung nie wieder begegnen wollte. 
Als Kate am nächsten Morgen ohne Erinnerungen an den Vorabend aufwacht, ist das Gegenteil der Fall. Sie ist mit Trevor Rush verheiratet. Statt einer Annullierung zuzustimmen, bittet Trevor um eine Chance und um drei Dates, um ihr zu demonstrieren, dass sie ihn immer noch liebt. 

Ausgehend von der Ausgangssituation einer versehentlichen Heirat hatte ich eine turbulente und humorvolle Liebesgeschichte erwartet. Der schlüpfrige Humor hat meinen Geschmack allerdings nicht getroffen. 

Kates Verlobter Norman wird als spießiger Zahnarzt mit Kontrollzwang überzogen unsympathisch dargestellt und auch Kates Freundinnen verhalten sich denkbar unangenehm. Die Charaktere sind derart überspitzt gestaltet, dass es kaum vorstellbar ist, dass Kate in Norman verliebt und mit Siobhan, Chloe und Natalie befreundet ist. Nicht nur, dass die vier Frauen völlig unterschiedlich sind und so gar keine Gemeinsamkeiten haben, sie machen sich auch noch unaufhörlich gegenseitig nieder. Beleidigungen zum äußeren Erscheinungsbild oder zur sexuellen Orientierung sind an der Tagesordnung. Das ist nicht mehr lustig, das ist verletzend und weit von einer Freundschaft entfernt. 
Deren Verhalten wird aber noch von der toxischen Brautmutter getoppt, die prophezeit, dass Kates Vater erneut an Krebs erkrankt, wenn sie Norman nicht heiratet. 

Kates Neu-Ehemann Trevor ist ein berühmter DJ, der statt charismatisch und charmant arrogant wirkt, indem er überall erkannt wird und denkt, mit dem Zücken seiner Black American Express Centurion Card alles erreichen zu können. Er möchte Kate die Welt zu Füßen legen, aber was romantisch sein soll, wirkt immer eine Spur zu gewollt. 

Neben dem fragwürdigen, zum Teil sehr derben, Humor enthält der Roman störende Logikfehler, wenn eine Frau mit dicken Augenbrauen als "Sir" angesprochen wird - dabei ist sie gerade aus dem Pool gestiegen und muss folglich einen Bikini tragen oder wenn Kate bei Date Nr. 1 ohne Probleme Riesenrad fährt und bei Date Nr. 2 in Panik ausbricht, mit einer Achterbahn fahren zu müssen, weil sie Höhenangst hat. 
Darüber hinaus ist selbst der Aufhänger des Romans zu hinterfragen, denn die Geschichte dreht sich im Kern darum, drei Dates zu meistern, damit Trevor einer Annullierung der Hochzeit zustimmt - dabei ist eine Zustimmung des Partners gar nicht notwendig. Das hätte Kate mit einer einfachen Google-Recherche herausfinden können. Davon abgesehen dürfte ein gerichtliches Annullierungsverfahren immer länger dauern, als die fünf Tage, die Kate bis zu ihrer ursprünglich geplanten Hochzeit in Irland verbleiben.

Ich mochte die Prämisse des Romans, dass Kate herausfinden sollte, wer sie wirklich ist und und dabei ist, den falschen Mann zu heiraten, der ihr Potenzial unterdrückt. Sie ist es wert, mehr vom Leben zu erwarten, muss dafür allerdings an sich glauben und auch Risiken eingehen. Die Art und Weise der kleinen Abenteuer schoss jedoch übers Ziel hinaus. Selbst wenn man über den Humor geteilter Meinung sein kann, ist die Geschichte letztlich inhaltlich hanebüchen und stilistisch ohne jegliches Feingefühl. Das irrationale Verhalten aller Protagonisten nimmt dem Roman die letzte Ernsthaftigkeit. 

Dienstag, 9. September 2025

Buchrezension: Dani Atkins - Versprich mir, dass du tanzt

Inhalt:

Ein Jahr ist vergangen, seit Lily sich von ihrem geliebten Adam verabschieden musste. Um an diesem schweren Tag nicht allein zu sein, flüchtet sie sich an den sichersten Ort, den sie kennt: zu ihren Eltern. Als Adams Hund in den Garten nebenan ausbüchst, steht Lily plötzlich vor einem alten gefällten Ahornbaum. In diesem Baum hat sie schon als Kind gesessen – auch an dem Tag, an dem sie Josh kennengelernt hat, den Pflegesohn der Nachbarsfamilie. Lily betrachtet ihre Namen, die Josh in die Rinde geritzt hat, und erinnert sich: an ihre erste Begegnung, als sie elf Jahre alt war. An den furchtbaren Streit mit ihm am Abend vor ihrer Hochzeit mit Adam. An die letzten Tage mit ihrem krebskranken Mann, Tage voller Liebe und wärmender Erinnerungen an ihr gemeinsames, aber viel zu kurzes Glück. Und sie denkt an Adams letzten Wunsch: dass sie Josh suchen soll, um sich mit ihm auszusprechen – und um Adam und ihm zu vergeben. 

Rezension:

Lily ist bereits mit Anfang 30 Witwe, nachdem ihr Mann Adam vergangenes Jahr gestorben ist. Geblieben ist ihr sein Hund Fletcher sowie das Versprechen, dass sie mit ihrem ehemals besten Freund Josh reinen Tisch machen soll. Kurz bevor Lily Adam geheiratet hat, war es zu einem heftigen Streit zwischen ihr und Josh gekommen, der ihre Freundschaft beendete.
An Adams Todestag ist Lily bei ihren Eltern und erinnert sich dort, wie sie sich mit dem Nachbarsjungen Josh angefreundet und später verliebt hatte und überwindet sich, nach Josh zu suchen.
Dieser lebt inzwischen zurückgezogen in einer Hütte im Wald in Schottland, weshalb es nicht leicht ist, ihn zu finden. Unangekündigt taucht sie bei ihm auf und gerät dabei in einen Schneesturm, der sie zu einem Aufenthalt zwingt, der länger wird, als ihr lieb ist. Erinnerungen an die gemeinsame Zeit kommen auf, aber auch an die Momente mit Adam.
Lily ist hartnäckig, aber Josh schweigt beharrlich darüber, was Adam mit seinem letzten Wunsch bezweckt haben mag.

Die Geschichte handelt im Wesentlichen von einer komplizierten Dreierbeziehung zwischen Lily, Adam und Josh. Lily liebt beide Männer, hat sich mit Adam aber für den verlässlicheren Partner entschieden. Josh hingegen hat ihre Beziehung sabotiert und Lily mehrfach das Herz gebrochen.

Durch Rückblenden wird allmählich klarer, was sich in der Vergangenheit ereignet hat, aber nicht alle Handlungen lassen sich logisch nachvollziehen. So wirft der Roman mehr Fragen auf, als er Antworten gibt. Das sorgt einerseits für Spannung, andererseits aber für viele Ungereimtheiten.
Was zwischen den Protagonisten steht, bleibt lange unnötig geheimnisvoll und ist am Ende dann doch nicht überraschend, wenn zwei Männer um dieselbe Frau buhlen.

Trotz emotionaler Themen und einer einfühlsamen Schreibweise mit der Dani Atkins typischen Erzählstimme, ist der Roman nicht so berührend wie erwartet. Man hofft zudem vergeblich auf einen raffinierten Plottwist, für den die Autorin in ihren Geschichten bekannt ist.
Das Buch ist zudem von einer durchgängigen Traurigkeit dominiert, was nicht einmal an Adams Tod liegt, sondern an den beiden übrigen unglücklichen Figuren und ihrem Hadern mit dem Schicksal. 
Am Ende schließt sich der Kreis, aber auf so unnötig unangenehme Weise, dass das Gefühl des Liebesglücks schon wieder verblasst. 

Montag, 8. September 2025

Buchrezension: Lars Engels - Halloweenkind

Inhalt:

An Halloween zieht eine Gruppe Eltern mit ihren kostümierten Kindern um die Häuser – bis der elfjährige Joshua spurlos verschwindet. Übrig bleibt nur sein blutbeflecktes Geisterkostüm. Für die Elterngruppe ist der Vorfall gleich ein doppelter Schock: Denn vor zwei Jahren verschwand schon einmal an Halloween ein Neusser Kind – und es trug genau das gleiche Kostüm.
Während die Polizei ihre Ermittlungen aufnimmt, trifft sich die erschütterte Elternrunde im nahe gelegenen Café von Lea Fuchs. Lea, die als Opferhelferin die Eltern des damals verschwundenen Kindes unterstützte, sucht gemeinsam mit ihrem Mann Oliver, einem Kriminalpolizisten, nach Verbindungen zwischen den beiden Fällen – und erkennt bald, dass nicht alle in ihrem Freundeskreis gute Absichten verfolgen. 

Rezension:

An Halloween verschwindet in Neuss der elfjährige Joshua, der als Geist verkleidet Süßigkeiten sammelt, spurlos. Zurück bleibt lediglich sein blutbeflecktes Kostüm.
Bereits vor zwei Jahren verschwand aus der Freundesgruppe von vier Familien der damals zehnjährige Vincent, der ebenfalls als Gespenst verkleidet war.
Lea, Freundin der Mutter von Joshua und ehrenamtliche Opferschutzbeauftragte, kann nicht an einen Zufall glauben. Während ihr Mann Oliver als Kriminalkommissar in die Ermittlungen involviert ist, versucht Lea selbst mögliche Verbindungen zwischen den beiden Fällen aufzudecken und lüftet dabei so manches dunkle Geheimnis ihrer engsten Freunde.

Der Roman handelt in der Gegenwart an wenigen Tagen nach Halloween und wird dabei überwiegend aus der Perspektive von Lea geschildert, die zur Hobbydetektivin mutiert. Daneben gibt es einzelne Rückblenden in das Frühjahr und den Herbst zwei Jahre zuvor.

Trotz des Bezugs zur schaurigsten Nacht des Jahres, wenn die Toten sich unter die Lebenden mischen, und der Erwähnung zahlreicher bekannter Horrorfilme und Thriller möchte nicht wirklich eine gruselige Stimmung aufkommen. "Halloweenkind" ist vielmehr ein Regionalkrimi, dem tragische Familiengeheimnisse zugrunde liegen.

Der Plot ist spannend aufgebaut, da es zahlreiche Rätsel und Ungereimtheiten zu entschlüsseln gilt. Jedoch verpufft die Spannung wiederholt, da Lea, bei der bestens vernetzt alle Fäden zusammenlaufen, schnell die richtigen Schlüsse zieht und durch geschickte Fragen herausfindet, was es mit dem Verschwinden der beiden Jungen auf sich hat.

Der Roman handelt von Schuld und Gewissen, von Selbstjustiz und Rache und verunsichert mit der Frage, wie gut wir unsere Freunde und Nachbarn wirklich kennen. 


Samstag, 6. September 2025

Buchrezension: Susanne Abel - Du musst meine Hand fester halten, Nr. 104

Inhalt:

Am Ende des Zweiten Weltkriegs wird mitten in Deutschland ein kleiner Junge gefunden, der nichts über sich selbst und seine Herkunft weiß. Sein Alter wird geschätzt, er bekommt den Namen Hartmut und wächst in einem katholischen Kinderheim auf, in dem viel Ordnung und noch mehr Zucht herrscht.
Dort lernt er die etwas ältere Kriegswaise Margret kennen, die ihn Hardy nennt und schon im Heim zu beschützen versucht. Die beiden werden zu einer unverzichtbaren Stütze füreinander und beschließen, sich nie wieder loszulassen.
Doch während sie mit aller Kraft versuchen, gemeinsam das Geschehene zu vergessen und ein normales Leben zu führen, werden die Folgen ihrer Vergangenheit auch für die nachkommenden Generationen bestimmend.
Die kleine Emily leidet unter dem hartnäckigen Schweigen ihrer Urgroßeltern Margret und Hardy, bei denen sie wegen des unsteten Lebenswandels ihrer Mutter aufwächst. Als Jugendliche beginnt sie schließlich, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Wird es ihr gelingen, das Erbe der unverarbeiteten Traumata ihrer Familie endlich aufzubrechen? 

Rezension: 

Margret und Hardy lernen sich im Dezember 1947 in einem Kinderheim kennen. Beide haben ihre Angehörigen verloren und sind auf sich allein gestellt. Während Margret mit zwölf Jahren schon etwas älter ist und Erinnerungen an ihre Familie hat, wird Hardys Alter geschätzt und ihm ein Name ausgesucht. Namen spielen in dem katholischen Heim aber ohnehin keine Rolle, denn hier sind die Kinder nur Nummern, denen Gehorsam beigebracht wird. Margret wird zu Hardys Beschützerin, bis sie gewaltsam auseinandergerissen werden. 
Knapp 60 Jahre später sind Margret und Hardy verheiratet und bereits Urgroßeltern. Sie kümmern sich um die kleine Emily, nachdem ihre Enkelin bereits mit 17 Jahren Mutter wurde und mit der Erziehung und Fürsorge eines Kindes überfordert ist. 
Je älter Emily wird, desto mehr Fragen beginnt sie sich zu stellen. Sie fühlt sich zunehmend unverstanden, ausgeschlossen und leidet unter dem beharrlichen Schweigen ihrer Urgroßeltern und unter dem Desinteresse ihrer Mutter und Großmutter.
 
Der Roman schildert auf zwei Zeitebenen eine bewegende Geschichte, wobei Vergangenheit und Gegenwart thematisch und emotional eng miteinander verknüpft werden.
Die Vergangenheit handelt ab Kriegsende bis ins Jahr 1966 und schildert darin, wie Margret und Hardy zusammen und getrennt voneinander als Kinder in verschiedenen Heimen aufgewachsen sind und Margret die Rolle einer Beschützerin für Hardy übernommen hat. Die Kinder sind nicht nur unter der strengen Aufsicht von Nonnen aufgewachsen, sondern waren Erniedrigungen, Gewalt und Missbrauch ausgesetzt. Die Szenen erschüttern, auch wenn sie nicht zu sehr ins Detail gehen und sensibel geschildert sind. Das gemeinsame Schicksal verbindet und führt dazu, dass sich Margret und Hardy nie wieder loslassen möchten. 
 
In der Gegenwart, die von 2006 bis 2017 erzählt wird, gibt es immer wieder Trigger, die Flashbacks bei Margret und Hardy auslösen und zeigen, dass sie die Erlebnisse nicht verarbeitet haben und seelisch belastet sind. Ihre Traumata und das beharrliche Schweigen über die Vergangenheit wirken sich auf die gesamte Familie aus und haben bei der Tochter und der Enkelin Spuren hinterlassen. 
Urenkelin Emily ist die erste, die Fragen stellt und wissen möchte, was ihre Urgroßeltern erlebt haben, dass sie bis heute offensichtlich quält. 

Die Geschichte ist so empathisch geschildert, dass man sich sehr gut in die Hauptfiguren hineinversetzen kann. Zudem schreibt die Autorin lebendig, dass man die Schauplatze vor Augen hat und sich anschaulich in die jeweilige Zeit versetzt fühlt. Reale politisch und gesellschaftlich relevante Ereignisse werden mit der fiktionalen Geschichte verbunden, so dass diese noch authentischer wirkt. 

"Du musst meine Hand fester halten, Nr. 104" ist ein bewegendes Zeitzeugnis, das ein Stück dunkle deutsche Vergangenheit schildert. Neben den erschütternden Erlebnissen in den Kinderheimen sind es auch die lebenslangen Folgen, die den Alltag und das Familienleben bestimmen, die berühren und nachdenklich stimmen. Trotz überwiegend belastender Themen gibt es auf beiden Erzählenden Zeichen von Hoffnung und Zuversicht - insbesondere in Bezug auf Freundschaft, Loyalität und den Mut zur Veränderung.