Regina ist eine typische Vertreterin der Nachkriegsgeneration, sie hatte bereits viele Möglichkeiten, sie konnte Psychologie studieren und von einer akademischen Laufbahn träumen, um dann doch der Familie zuliebe Abstriche zu machen. In ihre Töchter Antonia und Wanda setzt sie nun alle Hoffnungen. Antonia unterläuft diese konsequent, bricht ihr Studium ab und wird alleinerziehende Mutter. Wanda erfüllt alle in sie gesetzten Wünsche und manövriert sich in eine Essstörung, die von allen ignoriert wird. Ein Leben lang schwanken die Schwestern zwischen gegenseitiger Konkurrenz, Autonomie und dem Wunsch, noch über deren Tod hinaus von der Mutter anerkannt zu werden.
Rezension:
Die ältere Tochter Antonia hat gerade ihr Abitur bestanden und soll studieren, ist sich aber unschlüssig, was sie beruflich machen möchte. Wanda ist anderthalb Jahre jünger und steckt in den Abiturvorbereitungen. Beide gehen mit dem Druck der Mutter unterschiedlich um und leiden auf ihre Weise darunter. Während Antonia gerne im Hintergrund verschwindet und sich im Vergleich zu ihrer Mutter und jüngeren Schwester plump und unzulänglich fühlt und der Meinung ist, es ihrer Mutter nie recht machen zu können, ist Wanda der Augenschein der Mutter. Sie hat einen festen Freund, ist ehrgeizig und sportlich und trimmt sich selbst zu Höchstleistungen. Neben guten Noten zu haben, möchte sie möglichst dünn, um zu gefallen.
Unzufrieden mit ihrem Leben und dem, was sie (nicht) erreicht hat, merkt Regina, selbst Psychotherapeutin mit eigener Praxis, nicht, was sie ihren Töchtern antut, wie sie sie überfordert, verunsichert und letztlich krankmacht.
Der Roman wird im schnellen Wechsel aus den Perspektiven der drei weiblichen Hauptfiguren geschildert. Auf diese Weise kann man tief in Mutter und Töchter hineinblicken und ihre Gedankengänge, was sie über sich selbst und über andere denken, nachvollziehen. Die Geschichte erstreckt sich in drei Etappen über mehrere Jahre, so dass auch die Entwicklung der drei Frauen und ihre Beziehung zueinander anschaulich verfolgt werden kann.
Selbst wenn jede von ihnen mit ihren extremen Ansichten mitunter überspitzt dargestellt ist, wirken sie in dem Familiengefüge authentisch. Der Roman weckt damit unweigerlich Emotionen und lässt in Bezug auf die Figuren stetig zwischen Mitleid und Wut schwanken.
Regina ist derart dominant, dass ihr Ehemann als Mann und Vater nur eine Nebenrolle spielt. Sie ist die Matrone, die alle Geschicke lenkt, Entscheidungen trifft und ihren Töchtern ihre gutgemeinten Ratschläge und Ansichten aufzwingt. Dabei erscheint es öfter ungewollt komisch, dass sie Fehler, die sie bei anderen mokiert, selbst macht. Ihre treffsicheren, gemeinen Kommentare machen sprachlos.
Während Antonia einerseits auf Distanz zu ihrer Mutter geht, andererseits aber auch eine Sehnsucht nach Geborgenheit spürt, tut Wanda alles, um Reginas Ansprüche zu erfüllen und macht sich damit nicht nur seelisch, sondern auch körperlich kaputt.
Auch ohne große Dramen und laute Auseinandersetzungen zeigt die Geschichte eindrücklich, wie weit Wunsch und Wirklichkeit auseinanderliegen und welche Hoffnungen und Erwartungen auf nachfolgende Generationen übertragen werden und welche Folgen das für die gesamte Familiendynamik haben kann. Regina fühlte sich selbst von ihren Eltern ungeliebt und hat ihren Töchtern kein warmherziges Zuhause bieten können.
Intensiv und schmerzhaft werden die unterschiedlichen Beziehungen zwischen Mutter und Tochter und zwischen den beiden Schwestern dargelegt, die sich, entfacht von den Erwartungen der Mutter und dem Streben nach Anerkennung, im ständigen Vergleich zueinander sehen. Geprägt von einer überbehüteten, aber unfreien Kindheit können sich die Töchter selbst nach dem Verlassen des Elternhauses dem erdrückenden Einfluss der Mutter, die mit zunehmendem Alter unzufriedener und launischer wird, nicht entziehen.
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