Freitag, 30. August 2024

Buchrezension: Elena Ferrante - Die Geschichte der getrennten Wege (Neapolitanische Saga, Band 3 - Erwachsenenjahre)

Inhalt:

Elena und Lila sind inzwischen erwachsene Frauen. Lila hat einen Sohn bekommen und sich von allem befreit, von der Ehe, von ihrem neuen Namen, vom Wohlstand. Sie hat ihrem alten Viertel den Rücken gekehrt, arbeitet unter entwürdigenden Bedingungen in einer Wurstfabrik und befindet sich unversehens im Zentrum politischer Tumulte. Elena hat Neapel ganz verlassen, das Studium beendet und ihren ersten Roman veröffentlicht. Als sie in eine angesehene norditalienische Familie einheiratet und ihrerseits ein Kind bekommt, hält sie ihren gesellschaftlichen Aufstieg für vollendet. Doch schon bald muss sie feststellen, dass sie ständig an Grenzen gerät. 

Rezension:

"Die Geschichte der getrennten Wege" ist nach "Meine geniale Freundin" und "Die Geschichte eines neuen Namens" der dritte Band der "Neapolitanischen Saga" um die beiden Freundinnen Lila und Lenù aus Neapel. Das Buch handelt Ende der 1960er-Jahre bis Ende der 1970er-Jahre und schildert neben der Fortentwicklung der Leben der beiden erwachsen gewordenen Frauen die politischen Unruhen in Italien, Aufstände der Arbeiter und Konflikte zwischen Kommunisten und Faschisten.

Lila hat nach der Trennung von ihrem Mann eine Anstellung in einer Wurstfabrik gefunden, wo sie für einen Hungerlohn körperlich schwer arbeiten muss. Zusammen mit ihrem kleinen Sohn lebt sie mit ihrem Jugendfreund Enzo außerhalb des Rione.
Lenù ist mit einem Professor aus gutem Hause verlobt und hat einen ersten Roman veröffentlicht, der sie berühmt gemacht hat. Verheiratet und selbst Mutter geworden tut sie sich schwer damit, sich in ihrer Rolle zurecht zu finden und an ihren Erfolg anzuknüpfen, während Lila sich in der Gewerkschaft für die Arbeiter einsetzt und sich zusammen mit Enzo erfolgreich weiterbildet.
Die Freundinnen haben keinen Kontakt, bis Lila erkrankt Hilfe braucht und Lenù ihr beisteht. Statt sich dankbar zu zeigen, trampelt Lila auf Lenùs Gefühlen herum, was zu einer erneuten Distanzierung führt.

Die Fortsetzung ist langatmig, hält sich anfangs mit der Situation in der Wurstfabrik und den Selbstzweifeln Lenùs auf, bis die beiden Frauen endlich wieder aufeinandertreffen und die Geschichte für einen kurzen Abschnitt interessanter wird. Beide Frauen sind im selben Armutsviertel aufgewachsen und hängen aneinander, tun sich jedoch nicht gut. Insbesondere Lila ist verletzend und fordert ohne zu geben. Lenù klammert sich an Lila, legt Wert auf ihre Meinung, wünscht ihr aber gleichzeitig den Tod. 
Durch die "getrennten Wege" stellt der dritte Band fast komplett auf Lenù ab, wodurch die turbulenten Ereignisse in Neapel nach ihrem Umzug nach Florenz nur vom Hörensagen nacherzählt werden. Die Geschichte ist bis auf das Ende, als Lenù aus ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter ausbricht, wenig lebendig. 

Die Freundschaft fühlte sich schon in den ersten beiden Bänden unangenehm an und setzt dieses toxische Verhältnis um Eifersucht und Neid im dritten Teil fort. Beide Frauen sind zunehmend unsympathisch, egoistisch und ich-bezogen, mit wenig Empathie für ihre Umgebung. Eine charakterliche Entwicklung ist in den vergangenen Jahren nicht feststellbar. 
Letztendlich passiert auf über 500 Seiten nicht mehr, als das, was im Klappentext bereits verraten wird. 
Nach drei Romanen möchte man natürlich wissen, wie die Geschichte im vierten und letzten Band endet, aber es wird immer schwerer den Hype um die Saga nachzuvollziehen. Vermutlich trägt dazu viel das Mysterium um Elena Ferrante bei, die mit Sicherheit darin Teile ihres eigenen Lebens verarbeitet.

Mittwoch, 28. August 2024

Buchrezension: Leonie Lastella - Lake of Lies: Hidden

Inhalt:

Nach dem plötzlichen Tod seiner Schwester fühlt Miles sich orientierungslos – und schuldig. Am idyllischen Lake Tahoe will er seine Trauer überwinden. Als er dort jedoch auf die geheimnisvolle Via trifft, ist sie es, die ihm neue Hoffnung gibt. In ihrer Gegenwart kann er seine Schuldgefühle vergessen und sich endlich wieder glücklich fühlen. Doch Via wirkt getrieben und panisch und scheint etwas zu verbergen. Was macht ihr solche Angst? Hat der Unfall ihres Ex-Freundes damit zu tun? Langsam beginnt Via sich Miles gegenüber zu öffnen. Denn auch er berührt etwas in ihr, bringt ihr Herz aus dem Takt. Aber dann überschlagen sich die Ereignisse und nicht nur Via, sondern auch Miles gerät in Gefahr. 

Rezension: 

Olivia, genannt Via, flüchtet nach einem Social Media-Shitstorm von Sacramento an den Lake Tahoe, um in einer Lodge, die gerade renoviert wird, zur Ruhe zu kommen. Ihr Freund, ein bekannter Wakeboarder, war verunglückt und hatte mit einem missverständlichen Post die Trennung der beiden bekannt gegeben. In der Lodge lernt Via Miles kennen und verliebt sich ihn, auch wenn sie noch nicht bereit für eine neue Beziehung ist. Miles ist fasziniert von der traurigen Via, die er für sich "Sad Eyes" nennt, hat jedoch mit Schuldgefühlen und Trauer zu kämpfen, die nach dem Tod seiner Schwester noch viel zu gegenwärtig sind. Sie beginnen sich zu öffnen und den jeweils anderen nahe an sich heranzulassen. Die Gefühle überwältigen sie, auch wenn sie ihre Herzen aus allem heraushalten wollten. 
Als Vias Vergangenheit sie einholt und sie nicht anders kann, als ihrem Exfreund River beizustehen, wird es für alle riskant, denn der Unfall scheint an Anschlag auf River gewesen zu sein, um ihn zum Schweigen zu bringen. 

"Lake of Lies: Hidden" ist der erste Band einer Dilogie. Es ist eine Suspence-Romance, wobei der Gefühlsanteil gegenüber der Spannung dominiert. 

Der Roman ist abwechselnd aus der Sicht einer der beiden Hauptfiguren Via und Miles geschildert. Daneben gibt es einen zu Beginn noch undurchsichtigen Handlungsstrang, der von einer Person handelt, die Via und River ernsthaft in Gefahr bringen könnte. 

Die Geschichte entspricht einem typischen New Adult-Roman und entwickelt sich nach dem üblichen Schema: zwei innerlich kaputte Mittzwanziger verlieben sich in einander, obwohl sie sich gegen ihre Gefühle wehren, werden ihre Verletzungen gemeinsam überwinden und sich gegenseitig heilen. Ein ehemaliger Partner funkt in der Gefühlswelt ein wenig dazwischen und eine Bedrohung aus der Vergangenheit bringt zum Sex noch ein bisschen Crime. 

Bei "Hidden" handelt es sich nicht um ein klassisches Love-Triangle, da die Präferenzen von Anbeginn klar sind. Die Liebesgeschichte ist deshalb vorhersehbar, aber die beiden gebeutelten Hauptfiguren sind einfach so lieb und sympathisch, dass man ihnen ihre Liebe gönnt. Leider machen sie es sich aber selbst sehr schwer mit ihrer Prämisse, ihre Herzen herauszuhalten. 

Rivers Vergangenheit und die Gefahr, die er für Via und Miles schafft, sorgt für eine unterschwellige Bedrohung. Es gibt jedoch nur vage Andeutungen, was River erlebt hat und was er mit seinem Wissen anrichten könnte. Dazu kommt, dass unklar ist, inwiefern die Polizei in Bezug auf Rivers "Unfall" ermittelt und warum der Anschlag als Beweis nicht ausreichen sollte, um die weiteren Verbrechen der Täter anzuzeigen und weiter aufzuklären. Das Gefahrenmoment ist deshalb nie so richtig glaubhaft und verpufft am Ende - vielleicht um die Neugier auf Band 2 zu erhöhen, in dem Rivers und damit auch seine Vergangenheit in den Mittelpunkt rückt.   

Schade ist auch, dass die malerische Landschaft keine wesentliche Rolle spielt. Den Lake Tahoe und seine Umgebung hätte man viel mehr in die Geschichte integrieren können. So sind die Schauplätze zwischen drei Schlafzimmern recht simpel gewählt. 
Ein Lichtblick ist hingegen Nebenfigur Nora, Vias beste Freundin, die ehrlich, unkompliziert und pragmatisch agiert und die im Vergleich zu den sensiblen Hauptfiguren nicht alles "zerdenkt". 

Fazit: Wer einen typischen New Adult-Roman lesen möchte, in dem vor allem Emotionen und die inneren Monologe der Hauptfiguren in den Vordergrund rücken, in dem Missverständnisse und Unsicherheiten für Drama sorgen und indem eine Bedrohung für die liebenswerten Hauptfiguren für ein Quäntchen Nervenkitzel sorgt, ist mit der Dilogie sehr gut aufgehoben. 

Band 2 erscheint bereits am 17. Oktober 2024 und vielleicht erschließt sich damit auch der Titel des Zweiteilers und welche Lügen gemeint sind. 


Montag, 26. August 2024

Buchrezension: Charlotte Link - Die Suche (Die Kate-Linville-Reihe, Band 2)

Inhalt:

In Nordengland wird die Leiche der 14-jährigen Saskia Morris entdeckt, die vor einem Jahr spurlos verschwand. Kurz darauf wird ein weiteres Mädchen vermisst, die ebenfalls 14-jährige Amelie. Die Polizei in Scarborough ist alarmiert. Handelt es sich in beiden Fällen um denselben Täter? In den Medien ist schnell vom Hochmoor-Killer die Rede, was den Druck auf Detective Chief Inspector Caleb Hale erhöht.
Auch Detective Sergeant Kate Linville von Scotland Yard ist in der Gegend, um ihr ehemaliges Elternhaus zu verkaufen. Durch Zufall macht sie die Bekanntschaft von Amelies völlig verzweifelter Familie, wird zur unfreiwilligen Ermittlerin in einem Drama, das weder Anfang noch Ende zu haben scheint. Und dann fehlt plötzlich erneut von einem Mädchen jede Spur. 

Rezension: 

An einem verregneten Oktoberabend ist die 14-jährige Hannah Caswell auf dem Weg von ihrer Großmutter zu ihrem Vater, verpasst den Zug und kommt nie zu Hause an.
Zwei Jahre später wird eine Mädchenleiche im Hochmoor gefunden, wobei es sich jedoch um ein anderes Mädchen handelt, das über Monate in Gefangenschaft gewesen sein muss. Einen Tag später verschwindet die Schülerin Amelie Goldsby nach einem Streit mit ihrer Mutter von einem belebten Supermarktparkplatz. Die verzweifelte Mutter wendet sich an Kate Linville, die derzeit in ihrer Pension übernachtet, um die Renovierung und den Verkauf ihres Elternhauses in Scarborough abzuwickeln. Kate ist Ermittlerin bei Scotland Yard, hat in ihrem Heimatort aber keine Kompetenzen. Während die örtliche Polizei unter Detective Chief Inspector Caleb Hale ermittelt, ergibt sich in dem Fall um Amelia eine überraschende Wende, die Kate nicht kaltlässt und eigene Nachforschungen anstreben lässt.

"Die Suche" ist nach "Die Betrogene" der zweite Band der Krimireihe um die Scotland Yard-Beamtin Kate Linville, die nach drei Jahren wieder in ihrem Heimatort Scarborough ist und durch einen Zufall in Ermittlungen von Caleb involviert wird, der den Mord an Kates Vater nur mit ihrer Hilfe aufklären konnte.

Eine getötetes Mädchen, ein entführtes Mädchen, ein vermisstes Mädchen und ein Mädchen, das ausgerissen ist - Caleb steht unter einem enormen Druck den Fall um den Hochmoor-Killer, wie er in den Medien bezeichnet wird, aufzuklären. Dabei ist keinesfalls klar, ob es sich um einen Serienmörder, mehrere Täter oder unglückliche Zufälle handelt. Ohne konkrete Spuren gestalten sich die Ermittlungen zäh und zermürbend, was selbst für den Chefermittler frustrierend ist.
Caleb hat zudem mit seinem Alkoholproblem zu kämpfen, während Kate unter ihrer Einsamkeit und ihrem mangelnden Selbstwert leidet.

Die Geschichte ist vielschichtig und detailreich und entwickelt sich deshalb zunächst gemächlich, was jedoch nicht zulasten der Spannung geht.
Ein wesentliches Augenmerk liegt auf den einzelnen Figuren, den Opfern und den familiären Hintergründen. Die Familienverhältnisse sind zum Teil erschreckend, zeugen von häuslicher Gewalt, Vernachlässigung, dysfunktionalen Beziehungen, einer Überforderung von Eltern und Provokation unberechenbarer Teenager. Dies gestaltet die Geschichte lebendig und gibt den handelnden Personen die nötige Tiefe.

Durch die verschiedenen Perspektiven von Opfern, Verdächtigen, Angehörigen und Ermittlern erhält der Leser ein umfassendes Bild, das selbst den Täter miteinschließt, ohne zu wissen, um wen es sich handelt. Gerade die Sicht der Opfer ist grausam und nichts für Zartbesaitete. 

Nach langwierigen Ermittlungen der Polizei und Kates neugieriger Recherche undercover ist eine Wende dann einfach nur logisch, da die einzelnen Fälle nicht zusammenpassen mögen, aber dennoch überraschend und ein Clou, der die Spannung von Neuem entfacht.

Die Mischung aus Krimihandlung, prekären Familiendramen und persönlichen Problemen sorgt auf den knapp 700 Seiten für Abwechslung und eine anhaltende Spannung, die sich immer wieder steigert. 
"Die Suche" ist kein klassischer Ermittler-Krimi, da die menschliche Psyche, persönliche Abgründe und deren Auswirkungen eine wesentliche Rolle spielen, was reizvoll im Krimi-Einerlei ist. Einzig Kate Linville, die als graue Maus auf der verzweifelten Suche nach einem Partner ist und mit nur wenig Selbstbewusstsein so gar nicht in das Schema einer Kriminalbeamtin passt, kann ich mich nicht ganz anfreunden. Ihre Bedürftigkeit und Ängstlichkeit werden dafür zu sehr an die Spitze getrieben. Immerhin kann sie jedoch mit ihrem wachen Instinkt punkten.


Freitag, 23. August 2024

Buchrezension: Franziska Jebens - Immer am Meer entlang


Inhalt:

Josi träumt seit ihrer Kindheit davon, mit einem alten Bulli Europas Küsten zu erkunden. Paul hingegen entscheidet sich spontan für einen Road Trip, um seinem festgefahrenen Alltag zu entfliehen. Beide sehnen sich nach grenzenloser Freiheit und unvergesslichen Erlebnissen. Ihre Wege kreuzen sich. Erst zufällig, dann absichtlich und immer öfter. Auf ihren Routen hinterlassen sie sich gegenseitig kleine Botschaften und lernen dabei nicht nur einander, sondern auch sich selbst besser kennen. 
Ein ganzes Jahr lang Sommer mit einsamen Stränden, versteckten Buchten und malerischen Orten. Und eine unerwartete Freundschaft, die vielleicht noch so viel mehr sein kann? 

Rezension:

Josi, die an der Ostsee verwurzelt ist und mit ihren Eltern nach Süddeutschland gezogen ist, träumt seit ihrer Kindheit von einem Roadtrip- immer am Meer entlang. Der Traum wird an ihrem 30. Geburtstag wahr, als sie sich eine berufliche Auszeit nimmt. Ein Sabbatical im Bulli an der Küste Europas, nur sie selbst und eine Auszeit, um durchzuatmen und Gewissheit zu erhalten, wie es anschließend für Sie weitergehen soll.
Paul, der keine Freude mehr an seiner Arbeit empfindet und unter der Trennung seiner Verlobten leidet, entschließt sich nach einem inspirierenden Vortrag für einen Roadtrip. Er kündigt seinen Job, kauft sich einen Landrover und macht sich auf den Weg.

Der Roman ist in kurzen Kapiteln abwechselnd aus der Perspektive von Josi und Paul geschrieben, die sich zufällig auf ihrer ersten Station in Frankreich begegnen und nach einem holprigen Start schnell Sympathien für einander empfinden. Nach einem Zufall treffen sie sich im weiteren Verlauf gezielt wieder, um sich bei Problemen Hilfe zu leisten oder hinterlassen an bereisten Orten Botschaften für den anderen. Beide empfinden eine Sehnsucht für einander, möchten Kontakt jedoch auf einer freundschaftlichen Basis belassen, um ihre Ziele der Reise nicht aus den Augen zu verlieren, schließlich möchten sie sich ganz auf sich selbst konzentrieren.
Die Geschichte führt die/ den LeserIn über Frankreich nach Portugal, Spanien, Italien, Griechenland und bis zum vorläufigen Stopp in Schottland. Bekannte Sehenswürdigkeiten werden auf der Route abgeklappert, aber überwiegend bewegen sich die beiden, inspiriert von Einheimischen, mit denen sie leicht in Kontakt kommen, abseits der Touristenpfade.
Sie besinnen sich auf die einfachen Dinge, auf ein rustikales Leben, lernen kleinen Luxus zu schätzen und ohne blinden Aktionismus und Reizüberflutung in den Tag hineinzuleben. Mit dem Abstand von Zuhause, kommen sie sich selbst näher.
"Immer am Meer entlang" ist ein Reiseroman, bei dem man die Freiheit spürt und zusammen mit Josi und Paul Eindrücke von unterwegs sammelt: Natur, Flora und Fauna, die Mentalität der Einheimischen bis hin zu landestypischen Lebensmitteln und Gerichten.

Die Geschichte um einen Roadtrip zur Selbstfindung entwickelt sich nicht überraschend, sondern erwartungsgemäß. Es geht um die Verwirklichung eines Lebenstraums und die Überwindung eines Bore-outs, um innezuhalten, Kraft zu tanken und die Segel neu zusetzen. Die Liebesgeschichte ist hintergründig und entwickelt sich aufgrund der Zurückhaltung der Hauptfiguren, die es sich gegen Ende unnötig schwer machen, gemächlich. 
Freundschaft spielt eine wichtige Rolle, denn sowohl Josi als auch Paul haben trotz ihrer Solo-Reise beständige Freunde an ihrer Seite, auf die sie zählen können sowie der Mut, seine Träume zu leben. 

Weiterhin sind die Gegensätze sehr schön zu spüren, die eine solche abenteuerliche Reise begleiten: Entspannung und Anspannung, Wunsch nach Ruhe versus Einsamkeit, alleinige Verantwortung und befreiendes Abenteuer, Müdigkeit und Aufregung, Sehnsucht nach dem Vertrauten und Angst vor dem Alltag.

Die Geschichte ist unterhaltsam und inspirierend und die passende Lektüre für unterwegs und den Sommer, ohne großen Anspruch an eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den Problemen der Protagonisten zu erheben. Das Ende ist dann vielleicht auch etwas idealistisch. 

Mittwoch, 21. August 2024

Buchrezension: Roman Voosen & Kerstin Signe Danielsson - Tode, die wir sterben (Ein Fall für Svea Karhuu und Jon Nordh, Band 1)

Inhalt:

Bei einem Drive-by-Shooting im Brennpunktviertel Hermodsdal wird ein Teenager erschossen. Polizeiführung und Presse legen sich schnell fest: ein weiterer tragischer Tiefpunkt in den landesweit eskalierenden Drogenbandenkriegen. Der undankbare Fall wird an den frischverwitweten Kommissar Jon Nordh und die strafversetzte nordschwedische Ermittlerin Svea Karhuu delegiert.
Schnell geraten die beiden zwischen die Fronten der brutal geführten Revierkämpfe um schnelles Geld, Macht, Ehre – und Vergeltung. Als der beste Freund des toten Jungen untertaucht, sieht es nach einem Verrat aus. Doch nach einem weiteren Mord überschlagen sich die Ereignisse und das ungleiche Ermittlerpaar muss innerhalb kürzester Zeit zu einem echten Team zusammenwachsen. Nordh und Karhuu kämpfen dabei nicht nur gegen einen unerbittlichen Gegner, sondern auch mit der Bürde der jeweils eigenen Vergangenheit. 

Rezension: 

Im sozialen Brennpunkt Malmös wird ein 13-jähriger Junge erschossen. Alles deutet darauf hin, dass das Kind bedauerliches Opfer eines Bandenkrieges wurde. Jon Nordh, Ermittler der Mordkommission, soll den Fall übernehmen und endlich ein Zeichen gegen die schwelende Bandenkriminalität setzen. An seine Seite wird ihm Svea Karhuu gestellt, die aus dem Norden nach Malmö zwangsversetzt wurde. 
Beide haben mit ihrer unmittelbaren Vergangenheit zu kämpfen, geraten aber als ein weiterer Mord passiert zunehmend unter Druck den Fall zu lösen. Da es sich bei dem zweiten Todesopfer erneut um eine Person mit Migrationshintergrund handelt, werden Vermutungen laut, dass es sich bei dem Schützen um einen "Lasermann 2.0" mit rechtsradikalem Hintergrund handeln könnte. 

"Tode, die wir sterben" ist der erste Band einer Krimireihe des Autorenduos Roman Voosen und Kerstin Signe Danielsson. Männliche Hauptfigur ist der verbitterte Witwer und alleinerziehende Vater Jon Nordh, der den Kriminalfall aus dem Milieu des Bandenkrieges nur aufgrund eines Deals mit seiner Chefin übernommen hatte. Als Gegenleistung verlangt er die Ermittlungsakte über den Unfalltod seiner Ehefrau. Weibliche Hauptfigur ist die ehemalige verdeckte Ermittlerin Svea Karhuu, die in Notwehr einen Kollegen getötet hat und deshalb in Stockholm in Verruf geraten ist. 

Da beide Figuren Wunden zu lecken haben, spielt neben den Ermittlungen in dem Kriminalfall auch das Privatleben zur Charakterisierung und zur Einführung der Figuren eine nicht unwesentliche Rolle. 
Dennoch ist der Kriminalfall spannend aufgebaut. Die Ermittlungen in einem Milieu aus rivalisierenden Banden, Organisierter Kriminalität und Kindern, die schon früh für kriminelle Zwecke missbraucht werden, sind schwierig. Zudem ist das Motiv des Täters nicht so offensichtlich wie es zunächst scheint, so dass die Tätersuche wiederholt ins Stocken gerät und Nordh und Karhuu in Rechtfertigungsnot geraten. Der Kriminalfall nimmt politische Dimensionen an, mit denen so nicht zu rechnen war.  

Die Tötung eines Kindes weckt Emotionen, genauso wie die Umstände aus Armut, Fremdenhass, sozialer Ungleichheit und Vorurteilen, in denen sich die Kriminalfälle bewegen. Mit Nordh und Karhuu treffen zudem zwei Charaktere auf einander, die von ihrer Herkunft und Erfahrung ungleich sind, was die Ermittlungen lebendig gestaltet. Als Ermittlungsduo müssen sie erst zusammenwachsen, weshalb sie mitunter getrennte Wege gehen und ihre eigenen Vermutungen anstellen. 

Ein zweiter Erzählstrang handelt von zwei Jungen aus dem Problembezirk und schildert eindringlich, wie schwierig der Aufstieg aus sozialen Milieus ist und wie vorgezeichnet die Lebensläufe dort überwiegend sind. 

Der Fall ist komplex und bis zur endgültigen Lösung nur schwer zu durchdringen, worunter die Spannung am Ende ein wenig leidet. Der politische Hintergrund ist hingegen brandaktuell und gestaltet auch das Zusammenspiel der Ermittler mit ihren unterschiedlichen persönlichen Hintergründen interessant. Die Ermittlungen sind authentisch und die Hauptfiguren mit ihren Stärken und Schwächen individuell gestaltet, auch wenn die Probleme von Nordh ein wenig zu häufig wiederholt werden.
Band 1 ist ein vielversprechender Auftakt und lässt gespannt auf Band 2 "Schwüre, die wir brechen" warten, der voraussichtlich im August 2025 erscheint. 


Montag, 19. August 2024

Buchrezension: Michaela Kastel - Verirrt

Inhalt:

Bei Nacht und Nebel flieht Felizitas mit ihrer kleinen Tochter aus ihrem Zuhause. Sonst, so hat sie endlich verstanden, wird ihr gewalttätiger Mann sie zerstören. Doch ihr bleibt nur ein Zufluchtsort: das Haus ihrer Mutter im tiefen Wald. Am See, in dem die Kinderleichen ruhen. Wo die Schatten der Vergangenheit sie zu verschlingen drohen. Schon bald fürchtet sie, dass ihr Mann ihre Fährte aufgenommen hat. Oder lauern die wahren Schrecken wo anders? 

Rezension:

Felizitas flieht mit ihrer neunjährigen Tochter von ihrem gewalttätigen Ehemann. Ziel ist das Haus ihrer Mutter, abgelegen in einem Wald am See, das Felizitas vor zwölf Jahren verlassen hatte. Ihre Mutter nimmt sie bereitwillig bei sich auf, auch wenn sie seit Jahren keinen Kontakt mehr hatten. Zurück im Haus erinnert sich Felizitas an die Geschichten ihrer Mutter, von Monstern und Kinderleichen, die sie nachts nicht haben schlafen lassen. Neben der Angst davor, dass ihr Ehemann sie hier ausfindig machen könnte, fürchtet Felizitas die Erzählungen ihrer Mutter, die Geräusche in den Wänden und die unheimliche Puppe, die ein Eigenleben zu führen scheint. Immer schwieriger wird es, die Träume von der Realität zu unterscheiden, die Erinnerungen richtig einzuordnen und zu erkennen, wo die wirkliche Gefahr lauert.

"Verirrt" handelt von der Flucht aus einer Hölle in eine andere Hölle. Der Roman ist dabei aus mehreren Perspektiven geschrieben. Der Hauptteil wird aus der Ich-Perspektive von Felizitas ("Sie") geschildert. Weitere Kapitel von "Es", "Er" und "Wir" ergänzen die Handlung, wobei "Er" ein Ehemann und Vater auf der Jagd ist, "Es" das Monster aus der Höhle und "Wir" von einem Kindesentführer handelt.

Die Atmosphäre um den nebligen See und dem abgelegen Haus ist düster und schauderhaft. Weiterhin trägt das Verhalten der Charaktere zu einem Gefühl des Grusels bei. Es ist kaum zu durchschauen, welcher Figur zu trauen ist, wer manipulativ ist und wer verrückt spielt. Geschickt verschwimmen Traum und Realität. Zudem ist fraglich, welche Rolle die Mutter als Kräuterhexe spielt und was es mit Felizitas' Erinnerungen auf sich hat. Die Dämonen der Vergangenheit sind so gegenwärtig wie die echte Gefahr, die von dem gewalttätigen Ehemann drohen könnte. 

Zwischen Schauermärchen, realen Ängsten und undurchsichtigen Figuren fesselt der Thriller von Anbeginn und lässt die Gefahr durchgängig lauern. Die Autorin führt die/ den LeserIn gekonnt in die Irre und überzeugt mit einer raffinierten Wende, die zwar alles in anderem Licht erscheinen lässt, aber dennoch authentisch ist und sich perfekt in das aufgebaute Szenario einfügt. 

Freitag, 16. August 2024

Buchrezension: Claire Lombardo - Genau so, wie es immer war

Inhalt:

Mit Ende fünfzig geht es Julia Ames wirklich gut: ein liebender Ehemann, zwei wohlgeratene Kinder, ein hübsches Haus in der Suburb. Aber dann wird ihr so sicher scheinendes Glück auf die Probe gestellt. Ihr Sohn überrascht sie mit einer folgenschweren Nachricht, ihre Tochter ist im Begriff, das Elternhaus zu verlassen. Und Julia trifft zufällig eine Frau, mit der sie vor fast 20 Jahren eine innige Freundschaft verbunden hat – alte Wunden reißen auf. Gefangen zwischen bewegter Vergangenheit und chaotischer Gegenwart verliert Julia zunehmend die Kontrolle. Brillant ergründet der Roman die komplizierte Gefühlswelt einer ganz normalen Frau und beleuchtet die kleinen Momente, die über Erfolg oder Scheitern einer Familie entscheiden. 

Rezension: 

Am 60. Geburtstag ihres Mannes begegnet Julia im Supermarkt zufällig Helen, der Frau, die sich vor 20 Jahren ihrer angenommen hat, ihr ein kluge Ratgeberin und liebe Freundin war, deren Freundschaft sie jedoch auch in eine missliche Lage gebracht hatte. Erinnerungen kommen auf, an eine Zeit als junge Mutter voller Unsicherheiten, an depressive Phasen und den Druck mit einem nach außen perfekten Leben glücklich sein zu müssen.
Fast zeitgleich konfrontiert ihr bisher so gradliniger und bodenständiger Sohn seine Eltern mit einer Nachricht, die vor allem Julia völlig überrumpelt. Tochter Alma, zu der die Verbindung für Julia schon immer schwieriger war, wohnt noch zu Hause, ist jedoch dabei flügge zu werden und das häusliche Nest zu verlassen. Trotz aller Schwierigkeiten mit ihrer trotzigen Tochter fällt es Julia schwer, sie loszulassen.
Julia gerät aus dem Takt und droht wieder in alte Muster zu fallen, was ihr ganzes Familien- und Eheleben bedrohen könnte.

Der Roman wird aus der Perspektive der 57-jährigen Julia erzählt und erstreckt sich durch Rückblenden über Jahrzehnte hinweg, so dass ihre Entwicklung anschaulich verfolgt werden kann.
Julia hatte eine schwierige Kindheit und wurde von ihrer Mutter diverse Male enttäuscht und zurückgewiesen, was in ihr ein Gefühl der Unzulänglichkeit hinterlassen hat. Als Erwachsene leidet sie nach wie vor unter dem gestörten Verhältnis und wünscht sich dennoch des Öfteren eine Mutter an ihrer Seite.
Als sie selbst Mutter wird - und nie so werden wollte wie ihre eigene unterkühlte Mutter - glaubt sie nicht zu genügen und fühlt sich unglücklich, obwohl sie mit einem liebevollen Mann und einem aufgeweckten Sohn doch eigentlich glücklich sein sollte. Halt und Freundschaft findet sie in der lebensälteren Helen, wodurch sich Julia nicht mehr nur auf ihre Mutterrolle reduziert sieht, was sie jedoch auch dazu bringt, eine falsche Entscheidung zu treffen, die sie später wieder verfolgt, als ihre Kinder Ankündigungen machen, die Julia aus dem Gleichgewicht bringen.

Julias Gefühls- und Erlebniswelt ist eindringlich und lebensnah beschrieben, so dass man sich jederzeit in ihre Lage versetzen und ihre innere Zerrissenheit und daraus resultierende Entscheidungen nachvollziehen kann. Julia kämpft immer wieder mit ihrer Rolle als Mutter, Ehefrau und Tochter und fühlt sich, geprägt von einer zerrütteten Beziehung zu ihrer eigenen Mutter, ungenügend, überflüssig, einsam und unglücklich.
Die von einer feinfühligen Beobachtungsgabe geprägte Erzählung wechselt lebhaft zwischen Gegenwart und Vergangenheit, wobei die Zeitsprünge nicht chronologisch erfolgen, was durch die thematisch passenden Übergänge jedoch nicht verwirrend ist.

Julias Geschichte ist nicht ungewöhnlich oder wirklichkeitsfremd und diese Authentizität und Empathie für die Figuren sind es, die den Roman ausmachen. Julias Situation und Gedankenspiralen lassen sich auf viele Frauen übertragen. Selbstzweifel und der Druck, glücklich sein zu müssen, wenn nach außen hin alles intakt erscheint, können nur zu gut nachempfunden werden.

"Genau so, wie es immer war" ist dennoch keine betrübliche Geschichte, sondern sorgt durch Julias Zynismus und ihre direkte, zumeist unbeholfene Art der Kommunikation, die andere andere zumal vor den Kopf stößt, für humorvolle Dialoge. Julias Weg und Entwicklung zu verfolgen, ist abwechslungsreich und unterhaltsam. Gespannt verfolgt man, ob sich Julias Fehler wiederholen, ob sie ihre Familie zusammenhalten kann und ob eine Art von Versöhnung mit ihrer Mutter möglich ist.

Mittwoch, 14. August 2024

Buchrezension: Louise Candlish - Der fremde Passagier

Inhalt:

Es ging alles so schnell. An einem Tag lebst du höchst zufrieden deinen Alltag, fährst wie immer mit dem Linienboot in die Londoner city, zusammen mit deinem sympathischen Nachbarn Kit. Am nächsten Tag wird Kit als vermisst gemeldet. Als du aus dem Boot aussteigen willst, wartet bereits die Polizei. Ein anderer Passagier hat gesehen, wie du mit Kit am Abend zuvor gestritten hast. Die Polizei geht davon aus, du hättest ein Motiv für einen Mord. Du bist entsetzt, protestierst. Kit und du, ihr seid Freunde, das weiß doch jeder. Doch wer genau ist dieser andere Passagier, der mit dem Finger auf dich zeigt? Was weiß er über dein Leben? Was hat er noch alles beobachtet? Aber das ist egal, denn du bist ja komplett unschuldig. Oder? 

Rezension: 

Jamie pendelt seit einigen Monaten täglich mit seinem neuen Freund Kit zur Arbeit. Sie haben sich für den Verkehr per Boot über die Themse durch London entschieden, um die überfüllte U-Bahn zu meiden. Beide können sich das Jahresticket dafür eigentlich nicht leisten, denn Kit ist verschuldet und Jamie finanziell abhängig von seiner langjährigen Lebenspartnerin Clare. 
Nach Weihnachten wird Jamie von der Polizei befragt, nachdem Kits Frau diesen vermisst gemeldet hatte und Jamie einem Zeugen zufolge der letzte ist, der ihn gesehen - und mit ihm gestritten hat. Jamie wird nervös, schließlich hat er damit ein Motiv, aber die Indizien sprechen offensichtlich dagegen, dass er Kit etwas angetan haben könnte. Es gibt schließlich Kameraaufzeichnungen und er hat sich noch nie etwas zu Schulden kommen lassen. Fraglich ist, wer ihn beschuldigt und auf wem er (noch) trauen kann. 

Der Roman wird aus der Ich-Perspektive des Endvierzigers Jamie erzählt, der aufgrund seiner Klaustrophobie nicht mehr die U-Bahn in London nutzen kann. Die Geschichte nimmt in der Gegenwart ihren Lauf nach dem Verschwinden Kits Ende Dezember 2019. In Rückblenden auf die letzten zwölf Monate wird das Kennenlernen der Pendler auf dem Boot sowie die Entwicklung der Freundschaft untereinander und der Paarbeziehungen geschildert. 

Die Erzählung ist wenig dynamisch und entwickelt sich bis auf ein pikantes Detail reichlich ereignislos. Die Treffen zwischen den neuen "Freunden" sind belanglos. Jede Person ist nichtssagend und nicht einmal die Ich-Perspektive Jamies führt dazu, ihm näher zu kommen. Die ohnehin schon übersichtliche Anzahl der Charaktere bleibt blass und austauschbar. 

Überdeutlich ist zu spüren, dass nichts so ist, wie es scheint. In Erwartung einer Wende, die für einen spannenden Plottwist sorgen könnte, verliert man allmählich das Interesse durch die ermüdenden Alltagsbeschreibungen und langweilige Dialogen. Zudem gibt es nicht einen Helden, mit dem man mitfiebern könnte. Die Enthüllung verpufft deshalb auch ein wenig, gibt der Geschichte keinen Drive, während weitere Rückblenden offenbaren, was es wirklich mit dem Verschwinden von Kit und Jamies Rolle darin auf sich hat. 

"Der fremde Passagier" ist ein Roman über geldgierige, unehrliche Großstädter, der weder durch interessante Figuren, kluge Ermittlungen oder ein spannendes Motiv überzeugen kann - als Thriller eine Enttäuschung. 

Montag, 12. August 2024

Buchrezension: Laura Spence-Ash - Und dahinter das Meer


Inhalt:

London 1940: Um ihre elfjährige Tochter vor Luftangriffen zu schützen, beschließen die Thompsons schweren Herzens, Beatrix für ungewisse Zeit zu einer Gastfamilie in die USA zu schicken. Nach der langen Schiffspassage trifft Bea wütend und verängstigt in Boston ein, aber schon bald fühlt sie sich bei den Gregorys zu Hause, während ihre Erinnerungen an das Leben in England langsam verblassen. Mit ihren Gasteltern und deren Söhnen William und Gerald teilt Bea nicht nur ihren neuen Alltag, sondern verbringt auch unvergessliche Sommer im Ferienhaus der Familie in Maine. Doch ausgerechnet als Bea sich zu fragen beginnt, ob William mehr für sie sein könnte als ein Bruder, kommt der Tag, an dem sie nach London zurückkehren muss. 

Rezension:

Als der Krieg London erreicht und deutsche Bomben über die Stadt fallen, beschließen Millie und Reginald Thompson, ihre elfjährige Tochter Beatrix nach Amerika zu schicken, um sie in Sicherheit zu bringen. Beatrix wird in Boston von der Familie Gregory liebevoll aufgenommen. Für Mr und Mrs G wird Bea wie eine eigene Tochter und mit ihren "Brüdern" William und Gerald freundet sich Bea schnell an. Auch wenn Bea ihre Heimat vermisst, fühlt sie sich bei den Gregorys geborgen und gewöhnt sich an den wohlhabenden Lebensstil.
Alle wissen, dass Beas Zeit in Amerika endlich ist, doch der Abschied fällt schwer. Bea ist gereift und William ist vielmehr geworden als nur ein Bruder. In London lässt sie die Zeit in Amerika nie ganz los. Während sie versucht, ihr Leben im Nachkriegs-London fortzusetzen, ist ihr Herz noch immer in Amerika.

Der Roman handelt von 1940 bis 1977 und wird mit mehreren größeren Zeitsprüngen aus acht Perspektiven erzählt. Die Abschnitte sind jeweils kurz und werden aus der Sicht eines allwissenden Erzählers geschildert. Ohne eine Ich-Stimme oder Hauptfigur, die insbesondere in Bezug auf Beatrix passend wäre, ist der Schreibstil distanziert. Zudem unterscheiden sich die einzelnen Abschnitte stilistisch nicht von einander, so dass jede Person, unabhängig ihres Alters, Geschlechts oder Situation gleich klingt.
Es gibt wenige Dialoge und wenn dann werden sie überwiegend in kursiver Schrift statt in wörtlicher Rede dargestellt, wobei das einer Stelle nicht konsequent umgesetzt wird. Die nüchterne und wenig lebendige Erzählweise erschwert es, mit den Personen und ihren Schicksalen mitzufühlen, dabei ist die Ausgangslage so tragisch und bewegend.

Anders als gedacht, ist die Kindheit und die unmittelbare Rückkehr in die Heimat England gar nicht der Schwerpunkt. Die Geschichte geht weiter und schildert das Alltagsleben der einzelnen Figuren. Der Erzählton ist melancholisch. Nach einer fröhlichen Kindheit während des Krieges sind die Erwachsenenjahre schwermütig. Kein Charakter ist glücklich.

Durch die vielen Akteure und die Jahrzehnte, die erzählt werden, hat die Geschichte keinen klaren Fokus. Zu große Zeitsprünge, die Auslassung von eigentlich rührenden Szenen (Abschied aus Heimat, Verlassen lieb gewonnener Menschen, Wiedersehensfreude versus Anpassungsstörung) die Erschwernis, auch nur einem Charakter nahe zu kommen, machen das Lesen schwerfällig und lassen die Geschichte insgesamt zu banal erscheinen. Dem Schicksal der Verschickungskinder wird dieser Roman nicht gerecht.
Die Nachkriegsjahre werden bis auf Todesfälle als tragische Höhepunkte belanglos und frustrierend langweilig erzählt. Das Potenzial einer emotionalen und bewegenden Geschichte wird nicht ausgeschöpft. Auch die Liebesbeziehungen finden außer Sehnsuchtsgefühlen keinen richtigen Platz.

Freitag, 9. August 2024

Buchrezension: Taylor Jenkins Reid - Malibu Rising

Inhalt:

Malibu, 1983. Die jährliche Sommerparty von Nina Riva, Surfstar und Supermodell, steht bevor. Es ist das Event des Jahres, und niemand möchte die Gelegenheit missen, um mit den berühmten Riva-Geschwistern zu feiern. Nur Nina wünscht sich an diesem Tag so weit weg wie möglich: Nachdem ihr Mann sie betrogen hat, würde sie die Party am liebsten abblasen. Doch ihre Geschwister, Surfweltmeister Jay, Starfotograf Hud und das Nesthäkchen Kit stecken schon mitten in den Vorbereitungen und kurz darauf kommt der erste Überraschungsgast.
In dieser wilden Partynacht kommen Familiengeheimnisse zum Vorschein, die seit Jahrzehnten unter der Oberfläche brodeln und drohen, das fragile Familiengefüge auseinander zu brechen. Weder Nina noch ihre Gäste ahnen, dass am Ende der Nacht alles in Flammen stehen wird.

Rezension:

Zum Abschluss des Sommers ist Nina die Gastgeberin der legendären Party der Rivas. Sie ist die älteste Tochter des weltberühmten Musikers Mick Riva, der seine Familie vor Jahren im Stich gelassen hat. Selbst hat sich Nina einen Namen als Surfermodel gemacht, nachdem sie sich Jahre lang wie eine Mutter um ihre drei Geschwister gekümmert hat. Nina möchte gar nicht im Mittelpunkt stehen und hat in diesem Jahr noch weniger Lust auf die Party, nachdem ihr Mann sie öffentlichkeitswirksam für eine Tennis-Ikone verlassen hatte.
Noch ahnt Nina nicht, wie die Party nach Mitternacht aus dem Ruder laufen wird, in welchen Streit ihre Brüder geraten und welchen Gast ihre Schwester eingeladen hat.

Der Roman besteht aus zwei Teilen, wobei der erste Teil die Stunden vor der Party beschreibt und in Rückblenden die Kindheit der Riva-Geschwister vom Kennenlernen ihrer Eltern an im Jahr 1956 erzählt. Mit dem zweiten Teil beginnt die Party, zu der sich jährlich die Prominenz aus Sportlern, Schauspielern und Musikern einfindet, die ein wahrhaftig berauschendes Fest feiern möchten.

Bei Teil eins handelt es sich um eine tragische Familiengeschichte, die anhand des Klappentextes nicht so zu erahnen war. Sie ist bewegend aufgrund der Verluste und schildert einnehmend das enge Band der vier Geschwister. Gleichzeitig steigt mit der Vorgeschichte die Spannung, was sich auf der Party ereignen mag. Die Szenenwechsel erfolgen dabei schnell, während man Einblicke in die Gedanken, Gefühle und Wünsche der Geschwister, aber auch der von einzelnen Gästen erhält.
Viele von ihnen sind auf der (verzweifelten) Suche nach Liebe. Die Riva-Geschwister gelangen zudem zu neuen Erkenntnissen und lernen sich selbst besser kennen.

Unsicherheiten und Ängste, den Schein zu wahren und seine Rolle zu spielen, sind unter den Protagonisten vordergründig, obwohl es sich um so berühmte Persönlichkeiten handelt, die erfolgreich sind und von anderen begehrt und beneidet werden.

Wie in "Daisy Jones and the Six" für die Musik oder in "Carrie Soto ist back" für Tennis ist in "Malibu Rising" die Leidenschaft für das Surfen bildhaft dargestellt. Selbst wenn man noch nie auf einem Board gestanden hat, ist das Gefühl der Freiheit und Schwerelosigkeit auf der Welle mitreißend.
Die Stimmung in Bezug auf die Party (des Jahrzehnts) ist erwartungsvoll und glamourös und das 80er-Jahre-Feeling spürbar. Alkohol und Drogen zeigen ihre Wirkung und bald kann man nur noch fassungslos dabei zusehen, wie Partygäste sich daneben benehmen, als ob es kein Morgen gäbe. 

Die Geschichte ist lebendig und unterhaltsam und steuert gespannt auf eine Eskalation der Situation hin. Die Familiengeschichte ist tragisch und bewegend, die Party abgründig. Während man die Riva-Geschwister lieb gewinnt, hofft man, dass am Ende nicht alles zerstört wird, was Nina, Jay, Hud und Kit miteinander verbindet.

Mittwoch, 7. August 2024

Buchrezension: Max Bentow - Eulenschrei (Ein Fall für Carlotta Weiss und Nils Trojan, Band 1)

Inhalt:

Eine Frau, ermordet in einem Baumhaus. Ein männliches Opfer, getötet in seinem Auto. Eine Schauspielerin, tot aufgefunden in ihrer Badewanne. Profilerin Carlotta Weiss und Kommissar Nils Trojan tappen im Dunklen: was ist die Beziehung zwischen diesen Menschen, die einem scheinbar wahllos wütenden Mörder zum Opfer gefallen sind? Einen ersten Hinweis erhalten sie, als auch noch der Maler Robert Lumen gewaltsam ums Leben kommt: auf dem Speicher seines Hauses ist das Bildnis einer mysteriösen jungen Frau mit einer Eule versteckt. Ist sie das Bindeglied zwischen den Opfern? Als Carlotta sich wie die Porträtierte kleidet und ein zwielichtiges Etablissement aufsucht, das Lumen und die Frau möglicherweise verbunden hat, kommt sie dem Täter gefährlich nahe. Aber in welch tödlicher Gefahr sie wirklich schwebt, begreift sie erst im letzten Moment. 

Rezension: 

Eine ermordete Mutter, der die Hände abgetrennt wurden, eine weitere ermordete Frau, der die Zunge entfernt wurde, ein ermordeter Maler ohne Augen und an jedem Tatort wird der Hinweis auf einen Lebkuchenmann hinterlassen. Die Morde erfolgen in kurzer Abfolge, was es für das Ermittlerduo Nils Trojan und Carlotta Weiss besonders brisant macht. Der Täter inszeniert die Tatorte, verhält sich riskant und scheint mit der Polizei zu spielen. Die hochsensible Carlotta versucht sich in den Täter hineinzuversetzen und seine Botschaften zu deuten, während der von Panikattacken gebeutelte Trojan aufpassen muss, dass ihm Carlotta nicht den Rang abläuft.

"Eulenschrei" ist der erste Band der Thriller-Reihe um die Profilerin Carlotta Weiss und Kriminalkommissar Nils Trojan, die beide für die fünfte Mordkommission des LKA Berlin arbeiten. Die Reihe ist eine Fortsetzung der Buchreihe "Ein Fall für Nils Trojan", wobei im letzten Band "Engelsmädchen" Carlotta als neue Figur eingeführt worden war.

Die Mordserie ist brutal, der Täter gruselig. Die düstere Novemberstimmung trägt darüber hinaus zur schauerlichen Atmosphäre bei.
Deutlich ist, dass der Täter mit unheimlicher Präzision vorgeht und seine Taten von langer Hand geplant. Die Opfer scheinen in keiner Verbindung zu stehen, aber allen fehlt ein bestimmtes Körperteil. Was will der Täter damit sagen? Und was bedeutet der Lebkuchenmann, dessen Lachen die Taten zu verhöhnen scheint?

Der Thriller ist spannend inszeniert, während man sowohl den Morden als auch den Ermittlungen hautnah beiwohnt. Die Angst der Opfer ist genauso eindringlich spürbar wie die Überheblichkeit des Täters.
Carlottas unkonventionelle Ermittlungsmethoden bringen sie ganz nah an den Täter heran. Nils Trojan scheint dagegen wieder nur eine Nebenrolle bei den Ermittlungen zu spielen, wenn er zu allen Tag- und Nachtzeiten von Carlotta herbeigerufen wird.
Bis auf die in ihrer Häufigkeit überflüssigen Wegstreckenbeschreibungen ist der Fall dynamisch erzählt. Den Täters zu identifizieren ist wendungsreich, bedrohlich und rätselhaft. Gebannt verfolgt man Carlottas und Trojans Gedankengänge um den Täter zu entlarven.
Die Handlung ist trotz der brutalen Morde nicht reißerisch, zeigt jedoch die tiefen Abgründe einer menschlichen Seele und was andauernde Verletzungen auslösen können. Ein zweiter Handlungsstrang, der nur wenige Kapitel umfasst und von einem Kind und seiner manisch-depressiven Mutter handelt, ergänzt die Krimihandlung und lässt den Leser aufschlussreich über Motiv und Täter spekulieren.
"Eulenschrei" ist ein spannender und temporeicher Kriminalfall, der logisch konstruiert ist und mit besonderen Ermittlungsmethoden aufwartet. Was den Täter antreibt, ist zwar am Ende nicht wirklich neuartig, aber glaubhaft.

Montag, 5. August 2024

Buchrezension: Judith Gridl - Der tiefste Punkt

Inhalt:

Während eines Sturms vor der deutschen Ostseeküste verunglückt ein Ausflugsschiff mit einer Hochzeitsgesellschaft an Bord. Vierundzwanzig Menschen, alle Teil der kleinen Ostseegemeinde Reetna, verlieren in den Fluten ihr Leben. Auch der beste Freund der Informatikerin Nina hätte an Bord sein sollen, doch Nina glaubt, ihn noch nach dem Unglück gesehen zu haben. Nina und Matthew, der örtliche Seenotrettungspilot, sehen einen Zusammenhang zwischen dem seltsamen Verhalten des besten Freundes und dem Schiffsunglück - die Polizei will davon allerdings nichts wissen.
Die Ermittlungen der beiden stoßen Ereignisse an, die noch weit größere Wellen schlagen, als es zunächst den Anschein hat: Sie überrollen Nina und Matthew in Reetna; Omar, den “Elefantenjungen” in Kenia; und Shana, die gerade zur ISS startet. Sie alle werden in die Ereignisse rund um den Untergang der Hedwig hineingezogen. 

Rezension

An einem stürmischen Novembertag verunglückt ein Schiff in der Ostsee mit 24 Menschen an Bord. Zuvor waren Radar- und Echolotgeräte ausgefallen, so dass die Seenotrettung zu spät kam. Nina trauert um ihren Mitbewohner Simon, den sie glaubt, kurz nach dem Untergang des Schiffes gesehen zu haben. Als sie feststellt, dass kurz danach bei ihnen eingebrochen worden war und nur Simons Computer entwendet wurde, fällt ihr auch wieder Simons Nervosität und Unruhe der letzten Zeit ein.
Zusammen mit dem Hubschrauberpilot Matthew ist Nina einer Verschwörung auf der Spur. Schon bald glauben sie, dass Simons seltsames Verhalten vor dem Unglück in einem Zusammenhang damit stehen könnte.
Währenddessen träumt Omar in Kenia von einem eigenen Boot und Ausflugsfahrten zu einer ehemaligen Raketenstation im Indischen Ozean, um der Armut zu entfliehen, die Astronautin Shana kämpft auf der Internationalen Raumstation ISS mit einer defekten Funkantenne und Henri, Direktor des Hauptbüros der European Space Agency (ESA) in Paris, versucht zu verstehen, welche irritierenden Signale von mehreren Standorten in Kenia und der Ostsee versendet werden.

Der Roman wird aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt und führt an unterschiedliche Schauplätze weltweit - und darüber hinaus. Ein Schwerpunkt der Handlung liegt jedoch auf den Hauptfiguren Nina und Matthew, die das Schiffsunglück in Reetna hinterfragen und eine mögliche Verbindung zu ihrem Freund Simon aufdecken möchten.

Die Szenenwechsel erfolgen zügig und fast durchweg im spannendsten Moment, so dass man unweigerlich weiterlesen muss.
Je tiefer Nina und Matthew graben, desto unklarer wird, wem sie trauen können. Ihre Alleingänge mit dem bewussten Ausschluss der Polizei sind abenteuerlich, aber nachvollziehbar. Das Gefühl des Beobachtetwerdens ist dabei genauso spürbar wie eine stetige Gefahr, die lauert.

Was hinter dem Sinken des Schiffs steckt und welcher Zusammenhang mit gestörten Funksignalen und den anderen Schauplätzen in Kenia und der ISS bestehen könnte, erscheint unfassbar komplex und nicht zu erahnen.
Welche Mächte, Staaten und Geheimdienste agieren, was vertuscht oder bezweckt werfen soll und welches technische Knowhow dabei eine Rolle spielt, erzeugt von Anbeginn Spannung, die sich durchgängig hält. Wendungen und die verzweifelte Spurensuche von Nina und Matthew sorgen für einen Lesesog, der neugierig auf die Auflösung der Verschwörung oder kriminellen Machenschaften macht. 
Kritisch anmerken muss man allerdings, dass es den beiden Hauptfiguren manchmal zu leicht gemacht wird, wenn sie beispielsweise in sicherheitsempfindlichen Bereichen einfach so hinein und hinaus spazieren können. Auch erscheint das weltweite Personengeflecht für die Dramaturgie etwas simpel konstruiert. 

Dennoch ist "Der tiefste Punkt" ein facettenreicher Thriller auf der Höhe der Zeit. Gesellschaftlich relevante und aktuelle Themen wie Armut, Gewalt, Rassismus und Umweltverschmutzung geben der Geschichte einen bodenständigen Hintergrund, während die technische Seite etwas abstrakter ist, jedoch nie zu tief geht und für den Laien aufschlussreich erklärt wird. Was Technik kann und wie leicht sie missbraucht werden kann, ist authentisch und erschreckend. 

Samstag, 3. August 2024

Buchrezension: David Grann - Der Untergang der "Wager"

Inhalt:

Januar 1742. Ein windschiefes Segelboot strandet an der Küste Brasiliens, an Bord 30 Männer, die einzigen Überlebenden des königlichen Eroberungsschiffs "The Wager", das in einem Sturm zerschellt ist. Sechs Monate später: Drei Schiffbrüchige werden in Chile an Land gespült und erklären die 30 Männer zu Meuterern, die skrupellos gemordet hätten… Wer lügt, wer sagt die Wahrheit? Das soll ein britisches Kriegsgericht entscheiden. Es geht um Leben oder Tod. 
David Grann spinnt aus dem Archivmaterial eines historischen Kriminalfalls eine packende und atmosphärisch dichte Abenteuererzählung. Schuld und Unschuld, Treue und Verrat liegen eng beieinander, und am Ende kommt eine schockierende Wahrheit zutage. 

Rezension

David Grann nimmt die/ den LeserIn auf die 432-Seiten lange Odyssee einer britischen Schiffsbesatzung an das Ende der Welt. Erzählt wird die Geschichte einer Flotte der Royal Navy, die sich im 18. Jahrhundert mit dem Ziel aufmacht, jenseits des südamerikanischen Kontinents die Vorherrschaft der spanischen Armada zu durchbrechen. Im Mittelpunkt der Erzählung steht hierbei die Strandung des Kriegsschiffes HMS Wager unter der Führung des gerade zum Kapitän ernannten David Cheap sowie der anschließende Überlebenskampf der Besatzung an der Südspitze Patagoniens. 

Intensiv und detailreich geht Grann hier auf die unterschiedlichen Interessenlagen und Machtansprüche einzelner Protagonisten bzw. auch Gruppen ein, in die die Besatzung nach und nach zerfällt. Um die Ursachen hierfür zu verstehen, geht Grann im Vorfeld auf die politische Situation im British Empire und dem Streben nach Imperialismus und Kolonialismus ein. 
Die/ der LeserIn erfährt somit, dass der von England angezettelte „Krieg um Jenkins Ohr“ tatsächlich nur ein Vorwurf war, um mit Spanien in einen so intensiven Seekrieg zu ziehen, der im weiteren Verlauf die vorhandenen personellen Ressourcen hierfür soweit beutelte, dass die Navy letztlich auf Inhaftierte zurückgreifen musste oder Männer schlichtweg für den Dienst auf See kidnappte. Eben diese heterogene Zusammensetzung der Besatzung insbesondere der HMS Wager führt nach der Strandung zu ihrem eben erwähnten Zerfall und zum Autoritätsverlust des Kapitäns, der dann in seinem früheren Untergebenen, dem Stückmeister John Bulkeley, einen Widersacher bekommt. Dieser Konflikt führt letztlich zu einer Meuterei der Besatzung gegen ihren Kapitän, der mit einigen treuen Gefolgen auf „Wager Island“ zunächst zurückbleibt und sich dann aber doch Jahre später wieder bis nach England durchschlägt, wenn auch Jahre später als die Gruppe um Bulkeley. 
Dieser hatte über die Ereignisse noch auf See und später nach der Strandung in einem Buch Stellung bezogen, auch um sich damit bei einem zu erwartenden Gerichtsverfahren verteidigen zu können. Nachdem auch Cheap zurückgekehrt ist, sieht sich dieser genötigt, die Vorfälle aus seiner Sicht zu schildern. Letztlich wird die Meuterei aus politischen und übergeordneten Erwägungen aber „unter den Teppich gekehrt“, um dem Ansehen der Royal Navy nicht zu schaden und den Rückhalt der Bevölkerung für die kostenintensiven imperialistischen Bestrebungen des Empires nicht zu verlieren.

Das Buch ist von der ersten bis zur letzten Seite detailreich und spannend geschrieben. Grann vermischt gekonnt historische Tatsachen mit einer romanhaften Erzählung.

Freitag, 2. August 2024

Buchrezension: Jackie Thomae - Glück

Inhalt:

Marie-Claire, kurz MC, bekannt als die gut gelaunte Stimme aus dem Radio, bekommt mit knapp vierzig von ihrer Frauenärztin diesen Satz zu hören: Sie hatten ein Vierteljahrhundert Zeit. Und jetzt ist es zu spät oder so gut wie. Die wichtigste Deadline des Lebens: verpasst. Den im Grunde einzigen Daseinszweck: verfehlt. Oder noch nicht? Denn als MC am nächsten Morgen aufwacht, ist sie zu ihrer eigenen Überraschung das erste Mal wirklich glücklich.

Anahita ist eine wandelnde Erfolgsgeschichte: Senatorin mit nicht einmal vierzig, Medienprofi, in ein paar Jahren könnte sie in Brüssel sitzen. Doch etwas fehlt, auch wenn sich das niemand zu sagen traut. Eine Politikerin muss kompetent sein, und ist Mutterschaft nicht immer noch die wichtigste Kompetenz einer Frau? 

Rezension: 

Marie-Claire Sturm und Anahita Martini sind beide 39 Jahre alt, Single, beruflich erfolgreich und stehen mit beiden Beinen fest im Leben. Doch beide haben einen Makel, der an ihnen nagt: Sie sind keine Mütter, haben keine Kinder. Ist es als "mittelalte" Frau ohne Partner zu spät für Kinder? Verspüren sie überhaupt einen Kinderwunsch oder sollten sie den als Frau im gebärfähigen Alter spüren müssen? Brauchen sie eigene Kinder um glücklich zu sein? 

Der Roman handelt von Frauen, die unter Druck stehen sich zu entscheiden, ob sie Mutter werden möchten, bevor es biologisch zu spät ist oder ob sie auch ohne Kinder glücklich sein können. Dabei spielen äußere Einflüsse eine Rolle, wie Nachfragen zum Familienstand, Enkelwünsche von potentiellen Großmüttern und der Wunsch, im Freundes- und Kollegenkreis mitreden zu können und nicht zu einer Gruppe Außenstehender zu zählen. 
Ganz überwiegend handelt der Roman allerdings von den ewigen Gedankenspiralen der Protagonisten. Im Wesentlichen sind dies die Radiomoderatorin MC und die Politikerin Anahita. Einzelne Kapitel sind aus der Sicht von Frauen aus ihrem Umkreis geschrieben, die jedoch nicht ins Gewicht fallen. 

Das Buch dreht sich erschöpfend um die Frage "Bin ich keine vollwertige Frau, wenn ich nicht Mutter bin?" und beschränkt sich dabei so sehr auf die Selbstbeschau von MC und Anahita, was mangels Abwechslung nur wenig unterhaltsam ist. Auch der nacherzählende Schreibstil, der sich vor allem in den indirekten Dialogen zeigt, verhindert eine lebendige Erzählung. Einzig die Kapitel aus der Perspektive von Anahita sind durch ihren trockenen Humor, die Sicht auf ihre Familie und die Gesellschaft stellenweise ganz amüsant. MC hingegen ist wenig sympathisch und kreist nur um sich selbst. 
Die medizinischen Aspekte, die durch einen weiteren Perspektivwechsel als Ausblick zwei Jahre später in die Geschichte gequetscht werden, sind durchaus interessant, aber werden unkommentiert stehen gelassen, so dass nicht klar ist, wie weit die Forschung um ein fruchtverlängerndes Medikament tatsächlich ist oder die Idee reine Utopie ist. 

Auch wenn sich "Glück" fast ausschließlich mit dem Innenleben von MC und Anahita beschäftigt, wurde mir bis zum Schluss nicht ganz klar, was die beiden Frauen eigentlich möchten, aber vermutlich wussten sie das selbst nicht, weshalb auch am Ende von keiner eine bewusste Entscheidung getroffen wurde. 
Das Kreisen um ein Thema, das letztlich aber doch zu nichts führt, ist anstrengend und unbefriedigend. Ich hatte mehr das Gefühl, dass es den Frauen mehr darum geht, gefallen zu wollen als das eigene Glück zu finden. Auch habe ich mich gefragt, ob die Gedanken von MC und Anahita überhaupt noch zeitgemäß sind. Erwartet die Gesellschaft, die noch nie so vielfältig war wie heute - wenn man sich noch nicht einmal auf ein Geschlecht festlegen muss - wirklich von allen Frauen, dass sie Kinder zur Welt bringen? Ich erlebe das nicht so.  

In das Buch wurde zum Thema "Mutter sein" - oder eben nicht - alles Mögliche durch verschiedene Blickwickel von Frauen gequetscht, ohne geschmeidige Zusammenhänge zu setzen. Eine innere Entwicklung der Charaktere findet nicht statt, obwohl sich das Buch sogar über mehrere Jahre erstreckt. Ich hatte nie das Gefühl, mit den Charakteren eine Verbindung aufzubauen und auf irgendeine Lösung ihres "Problems" für sie zu hoffen.  

Donnerstag, 1. August 2024

Buchrezension: Tessa Bickers - Wir treffen uns im nächsten Kapitel

Inhalt:

Versehentlich landet Erins Lieblingsbuch in einem von Londons öffentlichen Bücherregalen. Als sie es sich zurückholt, entdeckt sie, dass jemand auf ihre Notizen am Rand geantwortet hat. Der geheimnisvolle Fremde lädt sie ein, ihn am Rand von Große Erwartungen von Charles Dickens zu treffen. Zum ersten Mal seit dem Tod ihrer besten Freundin beginnt Erin sich zu öffnen. 
Zufällig entdeckt James in einem öffentlichen Bücherschrank eine Ausgabe von Wer die Nachtigall stört. Die am Rand notierten Gedanken der mysteriösen Fremden berühren ihn so, dass er darauf antwortet und das Buch zurück ins Regal stellt. Zum ersten Mal, seit er das Mädchen verloren hat, das er liebt, beginnt James sich zu öffnen.
Was aber wird passieren, wenn Erin und James herausfinden, dass sie einander keineswegs Fremde sind?

Rezension: 

Erin vermisst ihre beste Freundin Bonnie, die vor drei Jahren an Krebs gestorben ist. Nach der Kündigung ihres Jobs lebt sie in den Tag hinein und hat eine lose Beziehung zu ihrem Mitbewohner, um nicht ganz so einsam zu sein. Nachdem sie versehentlich eines ihrer Bücher in einen Bücherschrank gestellt hat, in der eine Postkarte von Bonnie war, fällt ihr ein Stein vom Herzen, als sie es wiederfindet. Der Mann, der es gelesen und zurückgebracht hat, hat sich über ihre Notizen amüsiert, diese erwidert und animiert Erin zum Lesen eines anderen Buches, das er mit Notizen versehen hat. Aus dem Büchertausch entspinnt sich eine Kommunikation zwischen namenlosen Literaturliebhabern und Seelenverwandten, ohne dass sie wissen, dass sie sich eigentlich kennen. James und Erin waren zu Schulzeiten befreundet, bis ein Vertrauensbruch sie trennte.

Der Roman wird abwechselnd aus Sicht von Erin und James erzählt, so dass man Einblicke in beiderlei Leben und die Entwicklung ihrer Gefühle zueinander erhält.
Neben der Liebesgeschichte, die sich langsam und weitgehend vorhersehbar entwickelt, stehen vor allem die charakterlichen Weiterentwicklungen, die schwierigen Familienkonstellationen, Alltagsprobleme und die Bewältigung einer traumatischen Vergangenheit im Vordergrund. Dabei werden viele bedrückende Themen in die Geschichte integriert, weshalb das Buch durch die Schwermut der Hauptfiguren immer wieder melancholisch anmutet.

Die vertrauliche Kommunikation, die "Kritzelqueen" und "Mystery Man" über den Tausch von Büchern entwickeln, setzt Impulse frei, die den Anstoß bei beiden wecken, ihre Leben zu überdenken und die Dinge zu verändern, die sie belasten.
Auch wenn der gelingsichere Tausch von Büchern aus einem öffentlichen Bücherschrank etwas glücklich konstruiert ist, entwickeln sich die Charaktere, die sich ihren Problemen stellen, authentisch.

Neben der Trauer um geliebte Menschen, Mobbing, dysfunktionalen Familien, psychischen Erkrankungen, Verlustängsten, Enttäuschungen und Schuldgefühlen kommt die Romantik in der Geschichte etwas kurz, weshalb das Buch nicht als alleinige Liebesgeschichte oder gar RomCom einzuordnen ist.

Die Idee hinter dem Kennenlernen über den Büchertausch ist originell und die zu bewältigenden Probleme sind anrührend und empathisch geschildert. Durch den stetigen Perspektivwechsel und die vielfältigen Nebenfiguren ist die Geschichte abwechslungsreich und unterhaltsam. Was zwischen Erin und James steht und wie sie letztlich zu einander finden werden, sorgt für eine gewisse Spannung. Dass das zu erwartende Happy End zwischen den beiden etwas länger dauert, ist durch ihre Vorgeschichte nachvollziehbar und auch die Dramatik in der Geschichte wird durch die Entwicklung der Charaktere mit ihren Ecken und Kanten schlüssig dargestellt. Beide müssen lernen, sich selbst und anderen zu verzeihen, um sich selbst zu finden und bereit für Neues zu sein.