Montag, 29. Juli 2024

Buchrezension: Katherine Webb - Die Morde von Salisbury (Lockyer & Broad ermitteln, Band 2)

Inhalt:

Es ist ein unerträglich heißer Sommer in der Grafschaft Wiltshire im Südwesten Englands. In einem ausgetrockneten Flussbett wird die Leiche des vor Jahren verschwundenen Lee Geary gefunden. Sein Schicksal war 2011 eng mit dem Fall der zwanzigjährigen Holly Gilbert verflochten, die damals von einer Brücke stürzte. Ihr Tod war ein Medienmagnet, die Leute wollten Gerechtigkeit für Holly, sie wollten einen Schuldigen. Rasch wurden drei Verdächtige festgenommen, und Geary war einer davon. Alle drei starben damals innerhalb weniger Monate nach Holly. In der sengenden Hitze versuchen Inspector Matthew Lockyer und Constable Gemma Broad einen kühlen Kopf zu bewahren und die Fäden der Cold Cases zu entwirren. Dabei graben sie alte Geheimnisse aus, die viele lieber unentdeckt gelassen hätten. 

Rezension: 

Nach starken Regenfällen werden in einem ausgetrockneten Flussbett die sterblichen Überreste eines Mannes frei gelegt, der vor neun Jahren verschwunden war. DI Lockyer und DC Broad beginnen zu ermitteln und finden heraus, dass der als Lee Geary identifizierte Tote als Verdächtiger in einem ungeklärten Todesfall verhört worden war - zusammen mit zwei Bekannten, die ebenfalls im Jahr 2011 verstorben sind. Die genauen Todesursachen konnten in keinem der Fälle abschließend geklärt werden. Lockyer glaubt unter den Umständen weder an einen Zufall noch an Selbstmord.
Waren die drei damaligen Verdächtigen Schuld am Tod von Holly Gilbert? Wurden sie aus Rache getötet?
Lockyer und Broad rollen die Fälle neu auf, werten alte und neue Spuren aus und fühlen Hollys Familie auf den Zahn, die auf ihrer Farm eine Anlaufstelle für Esoteriker und Spirituelle ist.

"Die Morde von Salisbury" ist nach "Der Tote von Wiltshire" der zweite Band der Cold Case-Krimireihe um das Ermittlungsduo Matthew Lockyer und Gemma Broad.

Lockyer ist ein melancholischer Charakter, der damit hadert, dass der Tod seines Bruders bislang nicht aufgeklärt werden konnte und der sich gegenwärtig um die Gesundheit seiner Mutter sorgt, die nach einer Covid-Infektion auf der Intensivstation im Krankenhaus liegt. Auch macht ihm das distanzierte Verhältnis zu seinem depressiven Vater zu schaffen. 

Die Pandemie im Handlungsjahr 2020 und Lockyers Privatleben sind allerdings nur Randaspekte. Im Vordergrund der Handlung stehen die Ermittlungen und die Frage, ob eine Mordserie fast zehn Jahre unentdeckt geblieben ist. Es handelt sich um einen Cold Case, was der Spannung keinen Abbruch tut, schließlich sollen die Taten nicht ungesühnt bleiben und Gerechtigkeit wieder hergestellt werden.

Die Ermittlungen sind authentisch und nachvollziehbar. Lockyer und Broad gehen akribisch vor und haben sich nach ihrem ersten gemeinsamen Fall zu einem eingespielten Team entwickelt. Lockyer kann seine langjährigen Erfahrungen als Polizist und Befrager einbringen, während die jüngere Broad im Hintergrund bleibt, Technik nutzt und Spuren auswertet. Lockyer reagiert emotionaler, ist für die Erreichung guter Ziele auch einmal bereit, die Regeln zu brechen, wohingegen Broad nüchterner und streng nach Vorschrift agiert. 

Der Fall, an dem sie arbeiten - der ungeklärte Tod von Lee Geary - gestaltet sich komplex, könnte er doch mit mehreren anderen Todesfällen in einem Zusammenhang stehen. Trotz der geringen Anzahl an handelnden Personen und möglichen Verdächtigen ist das Rätsel um die vergangenen Morde nicht einfach zu entschlüsseln, denn jeder Verdächtige scheint ein Geheimnis zu bergen und ein Motiv für die Taten zu haben. 
Durch zahlreiche Wendungen, die Lockyer und Broad immer wieder in Sackgassen führen und Lockyer mitunter zweifeln lassen, ob er überhaupt an Mordfällen ermittelt oder ob es sich nicht um schlichte Unglücksfälle handelt, halten die Spannung durchgängig hoch. 
Plausibel sind die einzelnen Schritte und Gedankengänge der Ermittler nachzuvollziehen. Die knapp zehn Jahre alten Todesfälle sind alles andere als kalt und wecken Emotionen, so dass man selbst am Ende das Gefühl hat, eine Akte zufriedenstellend und schlüssig aufgeklärt zu schließen. 

Freitag, 26. Juli 2024

Buchrezension: Sophie Edenberg - Unter Schwestern


Inhalt:

"Nur ein paar Tage lang, bitte." Franziska zögert nicht lange, als ihre Zwillingsschwester Amelie bei ihr auftaucht und sie anfleht, mit ihr die Rollen zu tauschen. Schließlich haben sie beide das ihr ganzes Leben lang getan – in der Schule, selbst in ihren Beziehungen mit Männern –, und niemand ist ihnen jemals auf die Schliche gekommen. Warum soll sie Amelie, die offenbar Probleme in ihrer Ehe hat und eine Auszeit braucht, also nicht diesen Gefallen tun? 
Doch als eine gemeinsame Jugendfreundin der Schwestern ermordet aufgefunden wird, beschleicht Franziska der Verdacht, dass diesmal mehr hinter dem Identitätstausch steckt. Und dann verschwindet auch noch Amelie. 

Rezension:

Die beiden Zwillingsschwestern Amelie und Franziska sind wegen eines Vertrauensbruchs zerstritten, als Amelie unerwartet auf ihre Schwester zugeht und sie um einen Gefallen bittet. Sie benötigt dringend eine Auszeit und möchte deshalb für eine Woche die Rollen tauschen, schließlich schulde ihr Franziska, die als Single ein unabhängiges Leben führt, etwas. Aus schlechtem Gewissen und da sie schon immer alles für ihre Schwester getan hat, willigt Franziska ein.
Zum vereinbarten Zeitpunkt des Rücktauschs erscheint Amelie nicht und dann wird auch noch die Leiche einer gemeinsamen Freundin gefunden. Während es so aussieht, als habe Amelie Selbstmord begangen, gerät Franziska, die immer noch in Amelies Haut steckt, unter Mordverdacht.

Der Thriller wird überwiegend aus den Perspektiven der beiden Zwillingsschwestern geschrieben, wobei Franziska bald im Mittelpunkt der Handlung steht. Daneben gibt es noch einige wenige Einblicke in zwei Nebenfiguren.

Der Verlauf der Geschichte ist durchgängig spannend, in der sich die Lage für Franziska weiter zuspitzt. Während sie vor Liebe und Solidarität für die Schwester ein wenig verblendet und naiv wirkt, ist für den Leser/in vor vornherein klar, dass Amelies Vorschlag zum Identitätstausch nicht ohne Hintergedanken sein kann. Was sich tatsächlich dahinter verbirgt, lässt sich jedoch lange nicht erahnen. Was als Kinder ein harmloses Spiel war, ist als Erwachsene bitterer Ernst.

Die Anzahl der handelnden Akteure ist überschaubar, die Handlung nicht komplex oder verwirrend. Könnte man denken, dass so ein Identitätstausch abwegig ist, werden doch alle Handlungen und Verhaltensweisen von Haupt- und Nebenfiguren schlüssig erklärt. 
Das Konstrukt aus Vergangenheit und Gegenwart ist dennoch ein wenig abenteuerlich und wird zu simpel nacherzählt, statt logisch ausermittelt. Wahnsinn und Bösartigkeit zeichnen den Psychothriller aus. Dass am Ende nicht unbedingt Gerechtigkeit herrscht, passt dann wiederum hervorragend. 

Mittwoch, 24. Juli 2024

Buchrezension: Alexia Casale - Ein Mann zum Vergraben

Inhalt:

Wie werde ich meinen toten Mann los?
Diese Frage stellt sich Sally, als sie mit der blutbeschmierten, gusseisernen Pfanne vor der Leiche ihres Ehemanns steht. Ihn zu erschlagen, hatte sie nicht geplant. Eigentlich sollte sie jetzt die Polizei rufen. Eigentlich. Doch stattdessen genehmigt sie sich erst einmal ein schönes Stück Kuchen und lässt sich ein Schaumbad ein. Wenig Grund zur Trauer haben auch Ruth, Samira und Janey, die ebenfalls ihre tyrannischen Ehemänner entsorgen müssen. Dieses ungewöhnliche Problem schweißt zusammen: Die vier Frauen gründen eine Selbsthilfegruppe der besonderen Art – den Club der heimlichen Witwen. Und entwickeln ungeahnte Kreativität. 

Rezension: 

Während des Lockdowns in einer englischen Kleinstadt tötet Sally im Affekt ihren gewalttätigen Ehemann. Nach Jahren des Martyriums verbaler und körperlicher Gewalt liegt Jim erschlagen von Großmutters Bratpfanne auf dem Küchenboden und Sally weiß nur eins, sie möchte für die Tat nicht ins Gefängnis. Je mehr Zeit vergeht, desto unmöglicher wird es ihr, die Polizei zu verständigen, doch wohin mit der Leiche? Sally ist nicht allein. Neben ihr gibt es in der unmittelbaren Nachbarschaft noch weitere Frauen, die ihre Ehemänner loswerden müssen und eine plausible Erklärung für das Verschwinden ihrer Peiniger brauchen. Aus der Not werden sie zu Komplizinnen und Freundinnen, die nur gemeinsam eine Lösung für ihr Problem finden können. Der Lockdown und die Corona-Beschränkungen sind dabei Fluch und Segen zugleich.

Der Roman beginnt bitterböse, entwickelt sich jedoch weniger ironisch und schwarzhumorig als gedacht, stecken doch hinter den Missetaten ernste und beklemmende Schicksale. Frauen jedes Alters und jeder Kultur sind betroffen. Die Lage jeder einzelnen wird kurz geschildert, so dass unweigerlich Verständnis für ihre Taten entsteht, die sich weniger von langer Hand geplant als vielmehr aus Notwehr, Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit ereignet haben.

Auch wenn der Hintergrund ernst ist, ist der weitere Handlungsverlauf um die Lösung des Problems mitunter makaber und unterhaltsam. Die Frauen müssen sich nicht nur gegenseitig Vertrauen, sich vor neugierigen Nachbarn und besorgten Verwandten in Acht nehmen, sondern auch innerhalb kürzester die sterblichen Überreste ihrer Männer entsorgen und eine glaubhaft Erklärung für deren Verschwinden finden, die Nachfragen von Familie, Kollegen und den Behörden standhält.

Die Geschichte ist lebhaft und verpackt ein ernstes Thema durch so manch absurde Situation auf unterhaltsame Art, ohne pietätlos zu werden oder die Not ins Lächerliche zu ziehen. Der Spagat zwischen Ernsthaftigkeit und Humor ist der Autorin gut gelungen und ihr sehr auf den Punkt gebrachtes Nachwort macht die schwierige Lage von Frauen wie Sally noch einmal deutlich. 

Montag, 22. Juli 2024

Buchrezension: Kimberly McCreight - Die perfekte Mutter

Inhalt:

Für Molly Sanderson ist es nicht leicht, Mutter zu sein – vor allem seit sie ihr zweites Kind auf tragische Weise verloren hat. Trotzdem scheint der Neuanfang geglückt, den sie und ihr Ehemann Justin sich mit der kleinen Ella im idyllischen Universitätsstädtchen Ridgedale erhofft haben.
Bis in einer abgelegenen Gegend am Fluss ein totes Baby entdeckt wird und Molly als freie Journalistin den Auftrag erhält, über den Fall zu berichten. Mollys Recherchen konfrontieren sie nicht nur mit ihren eigenen inneren Dämonen: Hinter den weiß getünchten Gartenzäunen und blitzsauberen Vorgärten von Ridgedale verbirgt sich so manches dunkle Geheimnis. Das wissen auch Barbara Carlson, die Frau des Polizeichefs, und die 16-jährige Highschool-Abbrecherin Sandy Mendelson viel zu gut. 

Rezension:

Molly Sanderson hat vor zwei Jahren eine Totgeburt erlitten und ist nach schweren Depressionen wieder mit sich im Einklang. Nach einem Umzug nach Ridgedale, wo ihr Mann eine Anstellung als Professor an der Universität erhalten hat, arbeitet Molly für den Kulturteil der örtlichen Zeitung und soll vertretungsweise über einen Leichenfund auf dem Campusgelände berichten. Sie ist erschüttert, als sie erfährt, dass es sich um ein Neugeborenes handelt, bleibt aber trotz aller Emotionen und Bedenken ihres Mannes an der Story dran.
Barbara Carlson ist die Frau des Polizeichefs und hat wie Molly ein Kind im Kindergartenalter. Ihr nach außen perfektes Familienleben gerät ins Wanken, als ihr Sohn Cole verhaltensauffällig wird und etwas Beängstigendes erlebt haben muss.
Sandy Mendelson, die von Barbaras Tochter Hannah Nachhilfeunterricht bekommt, sorgt sich um ihre Mutter, die ohne eine Nachricht verschwunden ist. Zudem muss Sandy etwas Erschütterndes widerfahren sein, denn Hannah macht sich Gedanken um ihr Wohlergehen.

Die Geschichte wird aus der Perspektive von den beiden Müttern Molly und Barbara, die versuchen, perfekte Mütter zu sein, und Sandy erzählt, die alles andere als eine perfekte Mutter hat.
Ausgangspunkt ist der Fund eines toten Neugeborenen, der die Kleinstadt aufwühlt.
Die Handlung ist spannend und emotional zugleich. Durch die wechselnden Perspektiven erhält man nicht nur Einblicke in die Leben der unterschiedlichen Frauen, sondern auch in deren Gefühlswelt, Sorgen und Probleme.
Die polizeilichen Ermittlungen bleiben im Hintergrund, im Fokus sind die Bewohner der Stadt und ihre persönlichen Dramen.
Zeitungsartikel, Online-Kommentare, Tagebucheinträge und Gesprächsprotokolle aus Psychotherapiesitzungen ergänzen die Handlung in der Gegenwart.

Während sich allmählich Zusammenhänge zwischen den einzelnen Charakteren ergeben, bleibt der Hintergrund des Verbrechens an dem Baby so undurchschaubar wie zu erkennen, was es mit den Problemen der Kinder und den verschwundenen Müttern auf sich hat, denn auch die junge Mutter Rose hat die Stadt fluchtartig verlassen.

Die Geschichte ist durch die Vielzahl der Charaktere komplex, aber nicht verwirrend. Spannend ist es, einen Blick hinter die Fassaden der Familien in Ridgedale zu werfen und die Recherchen von Molly zu verfolgen, die als zugezogene Reporterin einen unvoreingenommenen Blick auf die Bewohner hat und nicht nur Gegenwärtiges sondern auch die Vergangenheit der Einwohner hinterfragt. 
Die Handlung ist am Ende wendungsreich und dramatisch und lässt keine Fragen offen. Die Zusammenhänge aus Vergangenheit und Gegenwart, Verdächtigungen, Opfern und Tätern sind authentisch und werden schlüssig aufgeklärt.  

Freitag, 19. Juli 2024

Buchrezension: A.K. Turner - Tote klagen an (Raven & Flyte ermitteln, Band 3)

Inhalt:

Cassie Raven steckt in einer tiefen Krise: Schon seit Monaten hat die junge Assistentin der Rechtsmedizin keinen jener besonderen Momente mehr erlebt, in denen die Toten zu ihr "sprechen". Hat sie ihre Gabe verloren – und falls ja, welchen Sinn hat es dann, sich täglich mit so viel Tod zu umgeben?
Als eines Tages eine Leiche gegen den Rumpf ihres Hausbootes stößt, geht der Fall Cassie ungewöhnlich nahe. Der junge Mann kann nicht identifiziert werden, und niemand scheint ihn zu vermissen. Zwar kommt der Tote DS Phyllida Flyte vage bekannt vor, doch einen nützlichen Hinweis auf seine Identität hat auch sie nicht.
Dann stellt Cassie fest, dass der Leichnam schneller verwest, als er sollte, und ihr kommt ein Verdacht, der sich leider nur auf illegale Weise bestätigen lässt. 

Rezension: 

Als ob Cassie Raven als Sektionsassistentin nicht schon beruflich genug mit toten Menschen beschäftigt wäre, wird eine Leiche an ihr Hausboot herangespült. DS Phyllida Flyte, die frisch in die Abteilung für schwerwiegende Verbrechen gewechselt ist, soll die CID bei den Ermittlungen zum Leichenfund unterstützen. Da ihr der Mann bekannt vorkommt, ermittelt sie ohne Zustimmung ihres Vorgesetzten weiter. Auch Cassie führt mehr Untersuchungen durch, als genehmigt sind, als ihr auffällt, dass die Verwesung der Leiche schneller als üblich voranschreitet.
Gemeinsam entwickeln sie den Ehrgeiz das tödliche Geheimnis zu lösen und riskieren dabei beide ihren Arbeitsplatz.

"Tote klagen an" ist nach "Tote schweigen nie" und "Wer mit den Toten spricht" der dritte Band um die eigenwillige Assistentin der Rechtsmedizin im Gothic-Style, die eine ungewöhnliche Verbindung zu ihren Gästen in der Autopsie verspürt, die ihr regelmäßig Hinweise auf die Todesursache geben.
In diesem Fall hadert Cassie mit ihrer Gabe, die sie verloren glaubt. Zu viele persönliche Probleme und verdrängte Sorgen blockieren ihren siebten Sinn. Phyllida hat an ihrem neuen Arbeitsplatz Schwierigkeiten sich unter den dominanten Männern zu behaupten und ist immer noch dabei, ein schlimmen Verlust zu verarbeiten.

Da in dieser Buchreihe ein Schwerpunkt auf den besonderen Charakteren und ihren Eigenschaften liegt und ihr Privatleben einen nicht unwesentlichen Teil der Geschichte ausmacht, ist es empfehlenswert, die Reihe chronologisch zu verfolgen. Die Todesfälle, die es zu lösen gilt, sind hingegen in sich abgeschlossen.

In diesem Fall wirft der Tote eine ganze Reihe an Fragen auf, die mit einer herkömmlichen Autopsie nicht zu beantworten sind. Ungewöhnlich ist, dass niemand den Mann zu vermissen scheint, um den es sich aufgrund seiner teuren Bekleidung unmöglich um einen Obdachlosen handeln kann.
Was Cassie und Phyllida herausfinden, ist erstaunlich und heizt die Spannung weiter an, aus welchem Grund der Mann sterben musste.

Die Reihe mit den ungewöhnlichen Hauptfiguren ist originell und macht sie durch die wechselnden Perspektiven und Einblicke in ihre Gefühle nahbar. Der Kriminalfall ist undurchschaubar komplex und spannend geschildert. Die Aufklärung wirkt, auch wenn Cassie und Phyllida sich nicht immer streng an die Vorschriften halten, sondern mit Herzblut dabei sind, authentisch. Nervenkitzel bereitet der Fall durch die Zweifel, wem sogar innerhalb des Polizeiapparats zu trauen ist und die Gefahr, in die sich Cassie und Phyllida durch ihre kompromisslose Art begeben. 

Liegt gerade zu Beginn der Fokus auf den persönlichen Dramen der Hauptfiguren, nimmt die Aufklärung des Falls später dynamisch an Fahrt auf und macht auch Band 3 wieder zu einem wendungsreichen Krimi mit Thrillerelementen, der von einer aufwändigen Recherche sowohl im Hinblick auf die Forensik als auch Strukturen und Interna der Polizeibehörden zeugt.

Mittwoch, 17. Juli 2024

Buchrezension: Amy Neff - Warte auf mich am Meer

Inhalt:

Evelyn und Joseph begegnen sich im Sommer 1940. An der malerischen Küste New Englands, an der ihre Familien schon seit Generationen leben, verlieben sie sich ineinander. Gemeinsam übernehmen sie das Oyster Shell Inn von Josephs Eltern und ziehen dort, direkt am Meer, ihre drei Kinder groß. 
Nach sechzig turbulenten Ehejahren versammeln Evelyn und Joseph ihre Familie in dem wunderschönen alten Haus am Strand. Denn Evelyn hat eine erschütternde Diagnose erhalten, und Joseph will nicht ohne sie sein. Während alle unter Schock stehen, lassen die beiden ihre Liebe Revue passieren – die glücklichen Anfänge, aber auch die schwierigen Zeiten. Doch als Evelyns Zustand sich verschlechtert, stehen die beiden vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens: Wie soll ihre Geschichte enden? 

Rezension

Evelyn und Joseph sind seit über 50 Jahren verheiratet, als sie ihren drei erwachsenen Kindern offenbaren, dass sie sich im nächsten Jahr das Leben nehmen werden. Evelyn ist an Parkinson erkrankt und möchte kein Pflegefall werden, Joseph kann nicht ohne seine geliebte Frau leben. 
Jane, Thomas und Violet sind entsetzt und können zunächst kein Verständnis für die Entscheidung ihrer Eltern aufbringen. 
Evelyn und Joseph blicken zurück auf ihr gemeinsames Leben - auf glückliche, aber auch auf schwere Tage. 

Der Roman handelt in der Gegenwart von Juni 2001 bis Juni 2002 und schildert in Rückblenden das gemeinsame Leben von Evelyn und Joseph. Die Kapitel zwischen Gegenwart und Vergangenheit wechseln sich ab und sind aus unterschiedlichen Perspektiven geschildert. 

Die Vergangenheit beginnt im Jahr 1941, als sich Evelyn und Joseph nach einer gemeinsam verbachten Kindheit verlieben. Durch einzelne chronologisch erzählte Episoden erhält man einen Einblick in ihre Ehe und ihr Familienleben. In der Gegenwart gibt es neben den Sichtweisen von Evelyn und Joseph auch die ihrer Kinder. 

Ein Leben besteht aus Höhen und Tiefen, aber in diesem Buch liegt der Schwerpunkt unangenehm auf den negativen Erlebnissen. Auch wenn immer wieder die große Liebe betont wird, ist diese durch die Darstellung nicht zu spüren. Eher im Gegenteil. Evelyn erscheint als junge Frau und Mutter durchweg frustriert und unzufrieden mit ihrem Leben. Sie fühlt sich eingeschränkt, sieht ihre Träume dahinschwinden und hat das Gefühl ein Leben zu leben, das nicht zu ihr passt. Joseph hat stets die rosarote Brille auf und braucht zum Glücklichsein nur Evelyn und ein konservatives Familienleben. 
Auch von den Kindern erfährt man wenig Positives. Sie sind mit ihren Leben nicht zufrieden, hadern mit ihrer Ehe oder mit dem was sie (nicht) erreicht haben. Die Einblicke sind jedoch zu kurz, als dass sie für den Kern der Geschichte von Belang wären. 

Der Roman ist schwermütig, sentimental und durch die episodenartige Erzählweise wenig flüssig zu lesen. Eine Auseinandersetzung mit dem Tod und der Entscheidungsfreiheit findet nicht statt. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum Evelyn diesen Wunsch hegt, da es kaum Ausführungen über die näheren Umstände ihrer Krankheit gibt. Gespräche mit Ärzten gibt es nicht, den Kindern wird nicht erklärt, wie der weitere Krankheitsverlauf sein könnte oder warum die Tötung ausgerechnet in einem Jahr erfolgen soll. Es scheint keinerlei Patientenverfügung zu geben und die Aussage, dass Evelyn und Joseph Tabletten nehmen werden, ist als Erklärung sehr einfach gehalten.  

Das Thema selbstbestimmtes Sterben wird wenig durchdacht und sehr oberflächlich beschrieben - sowohl rein praktisch als auch mit der emotionalen Auseinandersetzung damit.
Die Werbung mit der Aussage der bekannten Autorin Jodie Picoult "Noch nie hat mich eine Liebesgeschichte so berührt." hat mich eine langjährige Liebesgeschichte mit einem dramatischen Ende erwarten lassen, mich jedoch am Ende enttäuscht. Evelyns Liebe zu Joseph habe ich wie die Liebe zu einem guten Freund empfunden, Josephs Liebe weichgespült und unangenehm klammernd. Am Ende entsteht der Eindruck, dass die Liebe nur aufgrund der Tatsache so groß, innig und unerschütterlich ist, dass sie so viele frustrierende und traurige Zeiten überstanden hat. Hier ist weniger der nahende Tod deprimierend, sondern das Leben von Evelyn und Josephs Familie. Ein Leben voller Leid und Streit, aber man liebt sich dennoch, was im hohen Alter dann ständig betont wird, als müsste das Paar es sich selbst beweisen. 

Evelyns Aussage ist bezeichnend für den Roman:
"Es waren auch die schweren Tage. Die Tagen, an denen ich mich verloren fühlte, die Tage, an denen ich dachte, dass ich dich verlieren würde. Als alles kaputtging, aber du alles warst was ich brauchte [...] Das sind die Tage, an denen ich dich am meisten geliebt habe."
Oder Josephs:
"Ich liebe dich, weil du die einzige Frau bist, die ich jemals geliebt habe und die ich jemals lieben werde."

Montag, 15. Juli 2024

Buchrezension: Marc-Uwe Kling - VIEWS

Inhalt:

Die 16-jährige Lena Palmer verschwindet spurlos. Drei Tage später taucht sie in einem verstörend brutalen Video wieder auf, welches in atemberaubendem Tempo viral geht. 
BKA-Kommissarin Yasira Saad soll Lena finden und die Täter identifizieren. Ihr bleibt wenig Zeit, denn schon gibt es erste gewalttätige Demonstrationen in deutschen Städten. Eine rechtsradikale Gruppierung namens "Aktiver Heimatschutz" gewinnt rasant an Zulauf. Kann Yasira die Täter verhaften, bevor der Lynchmob zuschlägt und der Rechtsstaat zu wanken beginnt? 

Rezension: 

Die Schülerin Lena ist verschwunden und wenige Tage später geht ein Video viral, das zeigt, wie sie von mehreren dunkelhäutigen Männern vergewaltigt wird. Ausländerfeindliche Hasskommentare kommen auf und eine Organisation "Aktiver Heimatschutz" bildet sich, die das Vertrauen in Politik und Polizei verloren hat, auf Rache und Selbstjustiz aus ist. Dabei rückt auch Hauptkommissarin Yasira Saad aufgrund ihrer Wurzeln in den Fokus. 
Die Ermittlungen des BKA gestalten sich äußerst zäh und ohne einen Tatort und die Möglichkeit, Spuren zu sichern und auszuwerten, können rein auf Grundlage des Videos Vermutungen angestellt werden. Die Fahndung nach Lena und den Tätern läuft auf Hochtouren bis Yasira durch einen Zufall die These aufstellt, dass der Fall in eine ganz andere Richtung gehen könnte. 

"Views" ist ein spannender Kriminalroman, der vor dem Hintergrund von Gewaltverbrechen von Migranten, die von Rechtspopulisten und Rechtsradikalen für eigene Zwecke in den Fokus gerückt werden, brandaktuell. 
In dem Szenario des Romans eskaliert die Gewalt schnell und nimmt erschreckende Ausmaße an, die allerdings nicht unwahrscheinlich erscheinen. 

Auch was tatsächlich hinter dem Verbrechen und der vermeintlichen Entführung der 16-Jährigen steckt, ist kaum vorstellbar und mutet wie Science Fiction an. 

Der Fall ist fesselnd und regt zum Nachdenken darüber an, was Social Media auslösen kann, ob der KI noch Grenzen gesetzt werden können und wie wir mit unseren persönlichen Daten umzugehen haben. 
Der Roman trifft damit sowohl einen Nerv in Bezug auf die Verrohung und Spaltung der Gesellschaft als auch die moderne Technik 

Der Fall entwickelt sich dynamisch, ist wendungsreich und auch die Charaktere, von denen vor allem Yasira, aber auch ihr älterer Kollege in den Mittelpunkt rücken, der mit seinen flapsigen Sprüchen für Humor sorgt, können überzeugen. 
Die Polizeiarbeit wird hingegen nur fragmentarisch geschildert, so dass es zumal überraschend ist, welche Schlüsse gezogen oder welche nächsten Schritte gemacht werden. Schade ist, dass vieles auf reinen Vermutungen basiert und das interessante Details wie nähere Hintergründe zur Gründung des "Aktiven Heimatschutz" und zu den technischen Raffinessen der Täter sehr kurz kommen. Überhaupt ist der Roman mit 270 Seiten nicht lang, so dass die Geschichte noch weiter hätte ausgeschmückt werden können. Yasiras Alleingang und die offenen Fragen, die in Bezug auf Täter und Opfer zurückbleiben, hinterlassen am Ende einen faden Beigeschmack. 

Freitag, 12. Juli 2024

Buchrezension. Kirsty Greenwood - Wolke Sieben ganz nah

Inhalt:

Mit 27 Jahren in ihrem leicht peinlichen Nachthemd an einem Mikrowellen-Burger zu ersticken, stand definitiv nicht auf Delphi Bookhams To-do-Liste. Trotzdem findet sich die Londonerin genau auf diese Weise im Nachleben wieder – das leider ganz und gar nicht so ist, wie sie es sich vorgestellt hatte. 
Nichts scheint im Jenseits so richtig zu funktionieren, angefangen bei der verkratzten VHS-Kassette, auf der Delphi sich die High- und Lowlights ihres Lebens anschauen soll. Doch dann steht sie plötzlich dem attraktivsten Mann gegenüber, dem sie je begegnet ist. Als sein umwerfendes Lächeln sie gerade für alles zu entschädigen scheint, wird der Fremde jedoch mit dem Kommentar »großer Fehler« auf die Erde zurückgeschickt! 
Aber anders als in ihrem irdischen Dasein ist Delphi diesmal nicht bereit, sich einfach so mit ihrem Pech abzufinden. 

Rezension: 

Mit 27 Jahren stirbt Delphie einsam in London, indem sie an einem Mikrowellenburger erstickt. Sie landet im Wartesaal vor Evermore und begegnet dort neben ihrer Jenseitstherapeutin, Jonah, ihrem Seelenverwandten. Noch nie wurde Delphie so angesehen und noch nie hat sie so bei einer Berührung empfunden. Doch Jonah ist versehentlich zu früh auf die andere Seite geraten. Das Schicksal hat Erbarmen mit der jungen Frau, die noch nie einen Freund hatte und gibt ihr die Chance auf ein zweites Leben. Wenn Jonah Delphie innerhalb von zehn Tagen noch einmal küsst, darf Delphie weiterleben. Allerdings ist es gar nicht so einfach, einen Mann in London wieder zu finden, von dem man nur den Vornamen kennt. Überraschende Hilfe bei der Suche erhält Delphie von ihrem Nachbarn Cooper, mit dem sie bisher nur widerwillige Dialoge im Hausflur verband.

Delphie ist ein eigenwilliger Charakter, der es nach schlechten Erfahrungen in der Schulzeit schwerfällt, Zugang zu anderen Menschen zu knüpfen, Vertrauen zu fassen und Freundschaften zu pflegen. So führte sie bisweilen ein einsames Leben mit flüchtigen Kontakten zu Kollegen und Nachbarn. Das ändert sich, als Delphie nach ihrem Tod eine zweite Chance erhält und ihr Leben tatsächlich lebendig wird.

Die Suche nach ihrem Seelenverwandten Jonah ist turbulent und katapultiert Delphie in die ein oder andere unangenehme und skurrile Situation. Dann nimmt der Roman eine Wende und der Versuch, von Jonah den lebensrettenden Kuss zu erlangen, tritt in den Hintergrund. Dennoch macht Delphie Erfahrungen mit der Liebe und hat plötzlich viele Menschen um sich herum, die sie nicht wie sonst von sich stößt.

Natürlich hat die Geschichte bereits zu Beginn durch den Jenseits-Bezug einige fantastische Elemente, allerdings entwickelt sich der Roman unabhängig davon zunehmend weniger glaubhaft. Bei einem Kampf um Leben und Tod erschien es widersinnig, unbedingt eine Party für einen älteren Nachbarn zu schmeißen. 
Neben dem Spice-Anteil, der mir für eine bisherige Jungfrau zu dick aufgetragen war, fand ich auch den persönlichen Hintergrund der Jenseitstherapeutin nicht unbedingt gelungen. Undurchsichtig blieb das Verhältnis zu Delphies Mutter, das nicht nachvollziehbar kaputt war. 

Die Geschichte ist humorvoll und unterhaltsam, spricht jedoch auch ernste Themen wie Einsamkeit, Mobbing, Trauer und die Anonymität einer Großstadt an, die ihr mehr Gehalt geben.
Delphie macht auf ihrer Mission eine enorme Entwicklung durch. War ihr ihr Leben bisher gleichgültig, erkennt sie nun einen Sinn und beginnt für sich und - wenn auch spät - die Aussicht auf Liebe zu kämpfen.
Nach einem charmanten Start und einem etwas zu gewollt erzwungenen Wandel der Hauptfigur zieht sich der Roman am Ende arg in die Länge. Die vielen Nebencharaktere, mit denen Delphie so schnell Freundschaft schließt, sind allesamt sonderbar und haben ihre eigenen Geschichten, die jedoch aufgrund der Vielzahl keinen Raum in der ohnehin schon überladenen Geschichte haben. 

Dass Delphie neben der romantischen Liebe auch die Liebe zu sich selbst entdeckt, zu mehr Selbstbehauptung findet und Ängste und Traumata überwindet, ist eine zu erwartende Entwicklung, der Weg dorthin ist jedoch turbulent und chaotisch und strapaziert die Nerven mit zu vielen eigenartigen Nebenfiguren und einigen übertriebenen Verhaltensweisen der Protagonisten.  

Mittwoch, 10. Juli 2024

Buchrezension: Lina Bengtsdotter - Flammenschwestern

Inhalt:

Als Kinder waren Katja und Vega unzertrennlich. Katja wuchs in einer zerrütteten Familie auf und Vegas Mutter ist viel zu früh verstorben. Die beiden Mädchen waren jedoch stets füreinander da, bis ein schicksalhafter Tag die beiden Freundinnen mit aller Wucht auseinandergerissen hat. Viele Jahre später erhält Vega einen verzweifelten Anruf von Katja, der sie zwingt, in das kleine Dorf ihrer Jugend zurückzukehren. Doch bei ihrer Ankunft fehlt von Katja jede Spur. Sofort kommt die Erinnerung an Katjas Tante zurück, die als Teenager vor mehr als dreißig Jahren verschwand. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Schicksalen? Vega muss Katja finden, bevor es zu spät ist – oder das dunkle Geheimnis, dass sie seit so vielen Jahren hütet, wird ihr Leben für immer zerstören. 

Rezension: 

Vega und Katja waren in ihrer Jugend beste Freundinnen und haben sich frühzeitig dem Alkohol zugewandt, um sich der Tristesse der Kleinstadt Silverbro zu entziehen. Während Vegas Mutter sich das Leben genommen hat, hat Katjas Mutter nie den Verlust ihrer Schwester verwunden. Sofia ist vor Jahren spurlos verschwunden und Katja hat selbst eigene Recherchen angestrengt, um das Rätsel zu lösen. Nun ist sie selbst unauffindbar, obwohl sie zuvor Vega gebeten hatte, nach Silverbro zurückzukehren, um sie zu treffen. Vega hatte seit ihrem Umzug nach London keinen Kontakt mehr zu Katja, hatte jedoch die Befürchtung, dass ihre ehemalige Freundin ihr Versprechen brechen und ihr gemeinsames Geheimnis lüften wollte.

Der Roman handelt in der Gegenwart von der Rückkehr Vegas in ihren Heimatort, dem sie vor knapp zehn Jahren den Rücken gekehrt hatte. Dabei erinnert sie sich unweigerlich an die Vergangenheit und ihre gemeinsame Zeit mit Katja.

Die Geschichte ist spannend aufgebaut, denn beide Erzählebenen, die stringent abwechselnd kapitelweise geschildert sind, weisen Fragen auf. Die Vergangenheit ist gleichzeitig ein Manuskript Vegas, die mit "Flammen" ihre Vergangenheit literarisch aufarbeitet.

Das Verschwinden Sofias ist genauso ungeklärt, wie das Rätsel, was Vega und Katja in der Vergangenheit getan haben, was sie entzweit hat und weshalb Katja Vega zu sich geholt hat, nun aber selbst weg ist.
Für einen Thriller fehlt jedoch der Nervenkitzel und die Handlung tritt in der Gegenwart lange auf der Stelle, bis sich Zusammenhänge den Figuren und ihren Taten erkennen lassen. 

Die Atmosphäre in dem Ort ist beklemmend und düster. Hier trifft eine Vielzahl an Charakteren aufeinander, die innerlich und äußerlich kaputt ist. Alkoholismus, Drogenprobleme, Depressionen und Todessehnsucht sind alltäglich und belasten ganze Generationen von Familien. 
"Flammenschwestern" ist eine tragische Geschichte mit (zu) vielen Lügen und Geheimnissen. Wie die Ereignisse der Vergangenheit mit denen der Gegenwart zusammenhängen - welches Feuer Vega und Katja gelegt haben - bleibt lange undurchsichtig und sorgt für Spannung, wie das Rätsel um das Verschwinden von Katja und ihrer noch länger verschollenen Tante zu entschlüsseln ist. Die Auflösung erfolgt am Ende sehr plötzlich und kann mit einem späten Geständnis, das aus nicht nachvollziehbaren Gründen erfolgt, nicht überzeugen. 

Montag, 8. Juli 2024

Buchrezension: Bobbi French - Die guten Frauen von Safe Harbour

Inhalt: 

Am Ende ihres Lebens macht sich Frances Delaney zusammen mit ihrer Freundin Edie auf den Weg in den kleinen Fischerort Safe Harbour. Hier trifft sie nach Jahrzehnten Annie wieder, mit der sie in der Kindheit eine tiefe Freundschaft verband, und deren Verlust sie noch immer schmerzt. Endlich findet Frances den Mut, sich den Schatten der Vergangenheit zu stellen und sich mit dem Leben auszusöhnen. 

Rezension: 

Frances Delaney erfährt mit 58 Jahren, dass sie unheilbar an einem Gehirntumor leidet und beschließt, ihr Leben selbstbestimmt zu beenden, nachdem sie als Jugendliche Dinge über sich ergehen lassen musste, die ihr weiteres Leben nachteilig beeinflusst haben. 
Am Ende ihres Lebens ist sie einsam, findet jedoch in der 17-jährigen Edie eine Verbündete, die ihr in der letzten Phase ihres Lebens zur Seite steht und sie dabei unterstützt, sich mit der Vergangenheit auszusöhnen und ihre beste Freundin Annie wieder zu treffen, mit der sie vor 40 Jahren den Kontakt im Streit abgebrochen hatte. 

Der Roman wird aus Ich-Perspektive von Frances im Sommer 2019 geschildert. Ein wesentlicher Teil des Buches handelt anfangs von ihrer Vergangenheit, die in einzelnen Rückblenden erzählt wird. Dabei sind es Impulse der Gegenwart, die in Frances etwas auslösen und sie zurückblicken lassen, weshalb die Ereignisse nicht zwingend chronologisch geschildert sind. Nach der Begegnung mit Annie liegt der Fokus auf der Gegenwart und dem Abschiednehmen. 

Frances hat als Kind und Jugendliche schwere Verluste erlitten, unter Depressionen gelitten, die nicht behandelt worden sind und hat sich in ein einfaches, einsames Leben zurückgezogen, in der ihr die größte Freude das Putzen und Aufräumen war, das ihr Befriedigung verschaffte. Als Haushälterin war sie begehrt, Freunde hatte sie jedoch nach Annie keine mehr. 

Die Geschichte ist nicht nur durch den nahenden Tod von Frances tragisch. Auch ihr gesamtes Leben, das durch frühe Ereignisse, verbunden mit Tod, Trauer und Enttäuschungen beeinflusst wurde, ist deprimierend. Umso schöner ist es, dass die junge, quirlige Edie, für deren Eltern Frances die Haushälterin war und der sie selbst in einer schwierigen Situation beistand, Frances an die Hand nimmt und sie dazu animiert, sich Gutes zu tun und ihre alte Freundin wieder zu treffen, die ihr damals so viel bedeutete. So erlebt Frances viele erste Male, zu denen selbst ein Restaurant- oder Friseurbesuch zählt und bereitet den Weg für ein versöhnliches Ende.  

Das Buch ist eine emotionale, ergreifende Geschichte über Freundschaft und Zusammenhalt, Vergangenheitsbewältigung und Abschiednehmen. Durch Annies nüchterne Art und Edies unerschütterliches Gemüt hat der Roman trotz aller Dramatik und Tragik auch immer immer wieder humorvolle Elemente, die der Geschichte die Schwere nehmen. 
Auch wenn der Plot mit ungewollten Schwangerschaften, Einsiedlertum und Bucket List und die Botschaft, dass das Leben zu kurze für Reue und Streit ist, sicher nicht neuartig ist und sich wenig überraschend entwickelt, ist der Roman durchweg unterhaltsam und lässt mit den Charakteren mitfühlen. Eine bildhafte Beschreibung des kleinen Fischerdorfs Safe Harbour und Neufundland kommt dabei allerdings zu kurz.  

Freitag, 5. Juli 2024

Buchrezension: Caroline O`Donoghue - Die Sache mit Rachel

Inhalt:

Als die junge Studentin Rachel während ihres Nebenjobs im Buchladen auf James trifft, ist es Freundschaft auf den ersten Blick. Der temperamentvolle James lädt Rachel sofort ein, seine Mitbewohnerin zu werden. Um wiederum Rachels angebeteten Literaturprofessor Dr. Fred Byrne näherzukommen und ihn zu verführen, organisieren James und Rachel eine Lesung im Buchladen, die sich am Ende ganz anders entwickelt als gedacht. Denn Fred Byrne verfolgt seine eigenen Interessen. Und so verstricken sich die Leben dieser drei Menschen vor dem Hintergrund der Finanzkrise in Cork immer rasanter ineinander. 

Rezension:

Rachel studiert in Cork Anglistik und jobbt nebenbei in einer Buchhandlung, wo sie James kennenlernt. Die beiden sind sich auf Anhieb sympathisch und ziehen kurzerhand zusammen. Rachel schwärmt heimlich für ihren Englisch-Professor und unterstützt den Verkauf seines neuen Buches, indem sie eine Lesung in der Buchhandlung organisiert. James und sie haben den Plan, dass sie ihm dadurch näher kommen kann. Doch der Abend entwickelt sich etwas anders als gedacht und setzen Dinge in Gang, die Rachels und James Leben durcheinander wirbeln.

Der Roman wird rückblickend elf Jahre später aus der Perspektive von Rachel erzählt, die erfährt, dass ihr ehemaliger Dozent im Koma liegt.

Die Geschichte ist lebendig und unterhaltsam geschrieben. Rachel und James sind mit Anfang 20 unbändig und liebenswert verrückt. Sie führen ein Leben wie im Rausch, machen ihre Erfahrungen in Sachen Beruf, Freundschaft und Liebe und werden in dem Jahr gemeinsam erwachsen.

Die Charaktere wirken ungezwungen und authentisch, unabhängig davon ob man alles gutheißen kann, was sie so tun. Der Roman handelt vordergründig in der Vergangenheit, was für Spannung im Hinblick auf die Zukunft sorgt, von der zu Beginn nur Fragmente bekannt sind. Wie hat sich die Freundschaft von Rachel und James entwickelt? Hat Rachel ihren damaligen Freund Carey geheiratet? Warum liegt ihr Dozent im Koma?

"Die Sache mit Rachel" ist ein Coming-of-Age-Roman mit einem interessanten Spannungsbogen und einzigartigen Figuren, der die Irrungen und Wirrungen des Erwachsenwerdens bildhaft und erfrischend wild darstellt, ohne schwierige Themen auszuklammern oder zu trivialisieren.
Neben der innigen und unerschütterlichen Freundschaft von Rachel und James und den Herausforderungen und Unsicherheiten eines Millennials in Irland im Jahr 2010, handelt der Roman von Rezession, Arbeitslosigkeit, Homophobie, von Moralvorstellungen und den Rechten der Frau, von Einsamkeit und Verzweiflung, aber auch von der Unbeschwertheit Heranwachsender, von Treue, Zukunftsträumen und Selbstfindung.

Mittwoch, 3. Juli 2024

Buchrezension: Chris Whitaker - In den Farben des Dunkels

Inhalt:

Patch ist dreizehn, und weil er nur ein Auge hat, trägt er eine Augenklappe wie ein Pirat. Eines Tages wird er aus seinem Heimatstädtchen Monta Clare, gelegen im Schatten eines gewaltigen Bergmassivs im Mittleren Westen der USA, entführt. Für seine beste Freundin Saint bricht die Welt zusammen. 307 Tage wird Patch in einem stockdunklen Raum gefangen gehalten, gemeinsam mit der geheimnisvollen Grace. Seine Befreiung gelingt, doch als niemand seiner Erzählung von Grace glaubt, gibt es für ihn nur noch ein Ziel: Er muss sie finden und retten. Während Patch dreißig Jahre seines Lebens dieser Obsession widmet, kämpft Saint unerbittlich um die Wahrheit, um ihren Freund, den sie an eine düstere Erinnerung verloren glaubt, und um ihre große Liebe. Eine grandiose Odyssee und ein unvergesslich intensiver Roman über Menschlichkeit, Schicksal und bedingungslose Liebe. 

Rezension:

Die beiden Außenseiter Joseph "Patch" Macauley
 und Saint Brown werden als Kinder beste Freunde. Beide kennen bereits die Härte des Lebens - Saints Mutter ist nach ihrer Geburt gestorben, der Vater hat sie verlassen und Patch wächst bei einer Mutter auf, die vom Leben überfordert ist. 
Mit 13 Jahren rettet der kleinkriminelle Patch ein Mädchen von einem Kindesentführer und wird selbst gefangen genommen. Saint gibt die Hoffnung nicht auf, ihren besten Freund wieder zu finden und sucht unermüdlich nach ihm. Nach fast einem Jahr kann Patch tatsächlich durch Saints Mut befreit werden, doch Patch ist nicht mehr derselbe. In dunkler Gefangenschaft in einem Keller war es Grace, die ihn am Leben erhalten hat und die er nun wiederum unbedingt finden muss. Über Jahre hinweg hinweg sucht er nach dem Mädchen, von dem er nicht einmal weiß, wie es aussieht. Während bei anderen Zweifel wachsen, ob es Grace je gegeben hat und sie nur seiner Fantasie entsprungen ist, begibt Patch sich als Erwachsener auf eine Odyssee durch die USA und nimmt Kontakt zu Eltern auf, die ein Kind vermissen. Saint vermisst ihren besten Freund und erste Liebe und wird als junge Polizistin nach Patch fahnden, der auf seiner Suche zu einem Robin Hood mutiert.

"In den Farben des Dunkels" erzählt eine epische Geschichte über Freundschaft, Liebe und einen Kriminalfall um zahlreiche vermisste Mädchen, die sich über 30 Jahre von den 1970ern bis in die frühen 2000er-Jahre erstreckt.

Die Freundschaft von Saint und Patch wird durch ein Verbrechen erschüttert und verändert sie unwiderruflich. Patch kann Grace nicht loslassen und stößt Saint damit vor den Kopf, die so sehr um die Rückkehr ihres Freundes gebeten und alles dafür getan hat. Die Suche nach Grace steht einerseits zwischen ihnen, verbindet sie andererseits aber auch, denn auch Saint sucht nach Patchs Phantom und dem Täter, der hinter den Verbrechen an den vermissten Mädchen steckt. Dabei wirken ihre Ermittlungen, die sich auf Erinnerungen Patchs und Erzählungen eines Mädchens stützen, das es vielleicht nie gegeben hat, unwirklich und mysteriös, entwickeln sich aber zunehmend spannender und erkenntnisreicher. 

Traurig sind die Schicksale in dem fiktiven Ort Monta Clare in Missouri, aber der Glaube an Liebe und Freundschaft ist so unerschütterlich wie die unermüdliche Suche nach vermissten Menschen, dass der Roman trotz aller Melancholie, Ungerechtigkeit und Tristesse Hoffnung schenkt. 

Anders als bei einem Kriminalroman steht die Aufklärung der Verbrechen nicht im Vordergrund. Es geht vielmehr um die Menschen und die Opfer dahinter, das Leid, das verursacht wird, wie mit Traumata umgegangen wird und erschütternde Ereignisse verarbeitet werden.
Die Geschichte - zwischen Passion und Wahnsinn - ist dramatisch und aus wechselnden Perspektiven von Patch und Saint bewegend und nachvollziehbar geschildert. Es ist mitreißend wie unerschütterlich Patch und Saint an ihren Überzeugungen und Idealen festhalten, auch wenn das ihre Leben keineswegs leichter macht, sondern ganz im Gegenteil noch weitere Probleme bereitet. 
Bei aller Originalität, Spannung und Emotionen kommt der Roman aber nicht ganz ohne einzelne Längen bei der Darstellung des komplexen Szenarios aus. Auch wirken die sehr kurzen Kapitel zumal sprunghaft und zwingen zum kurzen innehalten, um welche Person es gerade geht. 

Montag, 1. Juli 2024

Buchrezension: Simona Baldelli - Die geheimnisvolle Freundin

Inhalt:

Abruzzen, 1950er Jahre. Von Geburt an lebt Nina in einem von strengen Nonnen geführten Waisenhaus auf dem Land. Als sie sieben ist, wird Lucia aufgenommen, die gerade ihre Eltern verloren hat. Zwischen den beiden gleichaltrigen Mädchen entwickelt sich über viele Jahre hinweg eine enge Freundschaft. Bis ein dramatisches Missverständnis ihr Vertrauensverhältnis nachhaltig erschüttert und beide getrennte Wege gehen. Nina findet Arbeit in einer Tabakfabrik, erfährt dort Solidarität und schöpft neue Zuversicht für ihr weiteres Leben. Dann steht eines Tages Lucia vor ihrer Haustür. Und vertraut ihr ein für beide weitreichendes Geheimnis an. 

Rezension:

Nina wächst als Findelkind in einem Waisenhaus in den Abruzzen in den 1950er-Jahren auf. Das Leben bei den Nonnen ist streng und voller Entbehrungen. Körperliche und psychische Bestrafung sind bei den frommen Nonnen an der Tagesordnung, Essen und Kleidung streng rationiert und auch zur Schule darf Nina nur bis zur Grundschule gehen. Als sie registriert, dass die jährlichen Besichtigungen von fremden Paaren dazu dienen, adoptiert zu werden, schöpft sie Hoffnung, ein liebevolles Zuhause zu finden. 
Als Lucia als Waisenkind in das Heim kommt, fühlt sich Nina gezwungen, Lucia zu verteidigen, denn sie möchte unbedingt ein Freundin haben. Als Nina tatsächlich adoptiert werden soll, hat sie Angst vor dem Fremden und Angst, Lucia zu enttäuschen und lässt ihr den Vortritt. 
Nina verlässt mit 18 Jahren das Heim und findet später Arbeit in der Tabakfabrik. Dort findet sie echte Freundinnen und in Carla eine Person, die sie ermutigt, zu lernen und zu studieren. Sie beteiligt sich an Demonstrationen und Arbeiterprotesten und begegnet immer wieder Lucia wieder, die sie eines Tages um etwas bittet. 

Aufgrund des Klappentextes hat der Roman Erwartungen an das Buch geweckt, die nicht erfüllt wurden. Meiner Meinung nach trifft weder die Beschreibung noch der Titel nicht den Kern der Geschichte, sondern geht sogar komplett daran vorbei. 

Der Roman handelt über ein Drittel der Geschichte vom Leben im Waisenhaus und ist dabei aus der Sicht einer sieben bis Elfjährigen geschildert. Nina ist naiv und unwissend und wird auch dazu erzogen. Als sie als Erwachsene in die freie Welt tritt, ist ihr das Leben dort fremd. 

Die "Freundschaft" mit Lucia gibt es nicht. Es entwickelt sich weder über Jahre hinweg eine Freundschaft, noch kommt es zu einem dramatischen Missverständnis, dass das Vertrauensverhältnis erschüttert. Die Beziehung der beiden ist dadurch gekennzeichnet, dass Nina zu Lucia aufschaut und nach Anerkennung sucht, während Lucia überheblich und manipulativ ist und ihrem eigenen Egoismus frönt. Die späteren vielen zufälligen Begegnungen außerhalb des Waisenhauses sind von gegenseitigem Neid geprägt. Lucias "Geheimnis" ist mehr ein Hilferuf und müsste Nina nicht weiter tangieren.

Die Geschichte schildert einerseits die kindlichen Eindrücke aus einem Waisenhaus der 1950er- und 1960er-Jahre und andererseits die Besetzung der großen Tabakfabrik in Luciano im Mai 1968, die tatsächlich stattgefunden hat und vierzig Tage dauerte. Der Roman ist trist und betrüblich, schenkt aber immer wieder hoffnungsvolle Momente, wenn es darum geht, eine Familie zu finden oder eine glücklichere Zukunft zu haben. 

Der Roman handelt von verschiedenen Themen, mit denen sich Nina konfrontiert sieht, ohne befriedigende Antworten zu geben. Die Machenschaften der Nonnen bleiben so ungeklärt wie nähere Details zu den Arbeiterprotesten, zur wirtschaftlichen und politischen Situation der 1960er-Jahre in Italien. Während Nina als Hauptfigur blass und unbeholfen bleibt, sind es die Nebencharaktere wie ihre Freundinnen Carla und die ältere Marcella, die für starke, emanzipierte Frauen stehen und mehr Interesse wecken. 
Die Kindheit Ninas ist im Vergleich zum fragmentarisch erscheinenden Erwachsenenleben detailliert beschrieben. Kein Teil der Geschichte kann wirklich fesseln, die Zeit im Waisenhaus zumindest emotional berühren.