Mittwoch, 23. März 2022

Buchrezension: Julia von Lucadou - Tick Tack

Inhalt:

Bevor sie sich auf die U-Bahngleise legt, kündigt Mette, 15, in TikTok-Videos ihr Vorhaben an. Niemand reagiert – gerettet wird sie trotzdem. Der Selbstmordversuch verwirrt ihr privilegiertes Umfeld: Bislang hat sie professionell die Leistung des hochbegabten Kindes abgeliefert – Mettes Strategie, um unter dem Radar einer Welt zu bleiben, deren Verlogenheit sie frustriert. Dann lernt sie Jo kennen, zehn Jahre älter, brillant und voller Wut, ein Verbündeter. Als Anti-Influencer hat er sich ein Following aufgebaut und rekrutiert Mette für den Kampf gegen den Mainstream. Ein Spiel beginnt, dessen Regeln sie nicht durchschaut. 

Rezension: 

Almette Odenthal ist 15 Jahre alt, als sie sich auf die U-Bahngleise am Hansaring in Köln legt und nur mit Glück gerettet wird. Zuvor hatte sie ihr Vorhaben in TikTok-Videos angekündigt. Nach dem Selbstmordversuch steigen ihrer Followerzahlen, worauf Jo, der Halbbruder einer Klassenkameradin von Mette aufmerksam wird. Er selbst ist zehn Jahre älter, exmatrikulierter Student und erfolgreicher Blog. In ihm steck noch mehr Wut als in Mette, die sich von ihren Eltern nichts sagen lässt und sich sogar gegenüber ihrer besten Freundin verletzend verhält. 
Obwohl sie ein intelligentes Mädchen mit hervorragenden Zensuren ist, merkt sie nicht, wie sie von Jo manipuliert wird, der für seinen Kampf gegen Konformität und Mainstream Mette ausnutzt und zu fragwürdigen Aktionen überredet, die sie auf Social Media posten. 

Der Roman wird aus der Perspektive von Mette geschildert, die einen Selbstmordversuch überlebt hat und nun gezwungen ist, eine Psychotherapie zu machen. Wie schon von ihren Eltern und Lehrern, über die sie nur abfällig denkt und nicht ernst nimmt, hält sie auch von der Psychologin wenig. Sie flüchtet sich lieber in ihre Social Media-Accounts, die sie auf diversen Plattformen unter mehreren Pseudonymen pflegt, so dass sie offiziell nur ihre harmlose Seite zeigt. 
In ihr steckt eine Menge Wut, die nicht erklärt wird. Sie ist ein anstrengender pubertierender Teenager und strapaziert damit die Nerven der/ des Leser*in(s). Noch aufreibender ist es die Blogeinträge von Anonymous zu lesen, der seinen Followern unverhohlen seine wütenden Sätze an den Kopf wirft. Die Sätze sind kurz und abgehackt und werden zudem durch Gifs, Links und Hashtags unterbrochen, was ein flüssiges Lesen erschwert. 
Mit Beginn der Corona-Krise steigert sich seine Wut in gefährlichen Hass. Typische Plattitüden von Coronaleugnern, Querdenkern und Verschwörungstheoretikern werden zusammenhanglos aneinandergereiht. 
Mette gesellt sich zu den Maskenverweigerern, verstößt ihre beste Freundin und fokussiert sich auf Jo, der ihr schmeichelt. Sein wahres ich erkennt sie nicht und lässt sich von seinen Parolen einlullen. Sie glaubt an einen Kampf für Meinungsfreiheit und Freiheitsrechte gegen etablierte Medien und den Staat und schließt sich Jo und Gleichgesinnten an. Vor dem Hintergrund ihres Selbstmordversuchs drängt Jo sie zu einer weiteren gefährlichen Aktion. 

"Tick Tack" ist ein unbequemes, forderndes Buch. Während ich es zu Beginn noch stellenweise scharfsinnig und humorvoll fand und versuchte Sympathien für die selbstbewusste, unangepasste Mette zu finden, war ich wenig später versucht, den Roman nur noch quer zu lesen. Nicht nur die Protagonisten auch die Sprache ist anstrengend. Jugendsprache wird mit Sprache aus dem Social Media-Bereich vermischt, die mir zum Teil im Sprachgebrauch völlig unbekannt waren. Die Hauptfiguren Mette und Jo sind voller Sarkasmus und Hass, frech, überheblich und verletzend. Vorgeblich möchten sie die Welt besser machen, sind aber völlig verblendet und schießen über das Ziel hinaus. Sie flüchten aus der Realität und leben in ihrer eigenen Online-Fake-Welt. 

Auch wenn die Intention der Autorin am Ende deutlich ist und das Buch als Warnung vor Manipulation, Fakenews und Hasspostings verstanden werden kann, war mir das Buch viel zu einseitig und hasserfüllt. Ich konnte Mette, aus deren Sicht der Roman überwiegend geschrieben ist, nicht verstehen. Weder gibt es eine Erklärung für ihren Selbstmordversuch, noch für ihr Verhalten danach. Eigentlich soll sie intelligent, sein, aber andererseits durchschaut sie die offensichtliche Manipulation Jos nicht. 
Das Ende ist enttäuschend und viel zu einfach gelöst. Eine Auseinandersetzung mit den Konflikten, die zwischen Eltern und Kindern, Schülern und Lehrern oder mit der eigenen Wahrnehmung bestehen, findet nicht statt. Es wird offen dargelegt, welche Probleme die Digitalisierung und der zunehmende Gebrauch von Social Media bereiten können, die Hintergründe dafür und Lösungswege werden jedoch nicht aufgezeigt. Die Figuren bleiben abgesehen von ihrer Hasskappe blass und austauschbar. Ihre persönlichen Krisen erschließen sich nicht. 

Fazit: Der Roman behandelt aktuelle Probleme und ist im Ansatz gut, aber weder die Ausführung noch die Protagonisten haben mir gefallen. 

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