Seit vierzehn Jahren verschwinden Mädchen im Alter zwischen sechs und zehn Jahren. Rote Schleifenbänder weisen der Polizei den Weg zu ihren Leichen. Vom Täter fehlt seit vierzehn Jahren jede Spur. Eines Abends wird der international renommierte Philosophieprofessor und Anthropologe Walter Lesniak im Beisein seiner Tochter Ann verhaftet. Die Anklage: zehn Morde an jungen Mädchen. „Professor Tod“ titelt die Boulevardpresse. Doch Ann wird die Unschuld ihres Vaters beweisen. Für sie und die LeserInnen beginnt eine Reise in die dunkelsten Räume der menschlichen Seele.
Rezension:
Seit vierzehn Jahren verschwinden in Berlin Mädchen im Grundschulalter und werden wenig später tot aufgefunden. Der Täter markiert den Weg zu den Leichen mit roten Schleifen, um die Polizei darauf aufmerksam zu machen.
Beim Fundort der letzten Leiche wird ein Mann von einem Zeugen gesehen und als dringend tatverdächtig verhaftet. Es handelt sich um den Philosophieprofessor und Anthropologen Walter Lesniak, der bislang ein unbescholtenes Leben führte. Seine Tochter Ann kann sich nicht vorstellen, dass ihr Vater etwas mit den Taten zu tun hat und versucht seine Unschuld zu beweisen, als dieser schweigend in Untersuchungshaft sitzt. Während der Anwalt ihres Vaters Ann zu passiv ist, erhält sie Unterstützung von einem Journalisten, der eine große Story wittert.
Der Roman ist überwiegend aus der Ich-Perspektive der Tochter des mutmaßlichen Täters geschrieben. Ihr ganzes Leben ist seit der Verhaftung ihres Vaters ins Ungleichgewicht geraten. Sie verstrickt sich in Lügen und Legenden, um sich zu tarnen und gleichzeitig für die Freilassung ihres Vaters zu kämpfen. Sie ist nervös und reagiert fahrig, neigt zu übertriebener Aggressivität. Ihre Wut und ihre Verzweiflung sind spürbar.
Neben der Sicht Anns gibt es eine "Wir"-Perspektive, bei der es sich um den mutmaßlichen Täter und sein Opfer handelt. Die Beschreibungen sind nicht detailliert, aber dennoch grausam. Man mag sich nicht vorstellen, was die jungen Mädchen vor ihrem Tod durchmachen mussten.
Weiterhin erhält man Einblicke in Anns Kindheit, die wie ein Tagebuch verfasst sind und die für ihr Alter als Sieben- bis Elfjährige sehr reif wirken und nachdenklich stimmen.
Durch ein Gespräch mit dem Täter dreieinhalb Jahre nach der Verhaftung von Walter Lesniak erhält man Gewissheit, dass der wahre Täter gefasst wurde. Es ist jedoch unklar, um wen es sich handelt. In der Befragung wirkt er eloquent und fast schon überheblich. Er fühlt sich dem Gesprächspartner überlegen und zeigt keinerlei Emotionen oder gar Schuldgefühle.
Die unterschiedlichen Abschnitte sind klar gekennzeichnet, so dass die Perspektivwechsel nicht verwirrend wirken. der Leser wird bei der Tätersuche, die nicht aus der Sicht der Polizei, die bereits einen Täter verhaftet hat, sondern allein aus Anns Sicht geschildert ist, mehrfach auf falsche Fährten geführt. Anns Handlungen sind unüberlegt und unorthodox. Während ihrer Recherchen begegnet sie verschiedenen Personen, die sich seltsam verhalten und verdächtig machen.
Auch wenn vieles in der Geschichte überzogen wirkt und sich nicht nur Ann mitunter extrem verhält, ist der Thriller fesselnd geschrieben. Durch das beharrliche Schweigen des mutmaßlichen Täters, die Undurchsichtigkeit der Charaktere sowie zahlreiche Wendungen fesselt die Suche Anns nach dem Schleifenmörder unwillkürlich, wobei man sich bis zum Schluss nicht sicher sein kann, ob Ann nicht zumindest mittelbar mit dem Schleifenmörder verstrickt ist.
Der Thriller ist zwar nicht wirklich komplex und die Charaktere alles andere als sympathisch, aber dennoch entwickelte die Geschichte eine Sogwirkung, weshalb sie mich insgesamt fesseln, gut unterhalten und mit einer schlüssigen Auflösung überzeugen konnte. Die Geschichte zeigt eindrücklich, wie sehr die Angehörigen - seien es die der Opfer oder die der Täter - unter den Taten leiden und welche krassen Auswirkungen sie auf ihr Verhalten und ihr Leben haben kann. Die Mischung aus Thriller, Krimi und Familiendrama hat mir gut gefallen.