Samstag, 30. Januar 2021

Buchrezension: Alena Schröder - Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid

Inhalt:

In Berlin tobt das Leben, nur die 27-jährige Hannah spürt, dass ihres noch nicht angefangen hat. Ihre Großmutter Evelyn hingegen kann nach beinahe hundert Jahren das Ende kaum erwarten. Ein Brief aus Israel verändert alles. Darin wird Evelyn als Erbin eines geraubten und verschollenen Kunstvermögens ausgewiesen. Die alte Frau aber hüllt sich in Schweigen. Warum weiß Hannah nichts von der jüdischen Familie? Und weshalb weigert sich ihre einzige lebende Verwandte, über die Vergangenheit und besonders über ihre Mutter Senta zu sprechen? 

Rezension: 

Hannah Borowski ist 27 Jahre alt, hat Germanistik studiert und arbeitet gerade an ihrer Dissertation. Einmal in der Woche besucht sie ihre betagte Großmutter Evelyn, die seit zehn Jahren in einem Altersheim in Berlin wohnt. Die beiden haben sich wenig zu sagen, denn Evelyn hat mit ihrem Leben abgeschlossen und auch Hannah ist alles andere als zufrieden. Als sie einen Brief einer Kanzlei aus Israel bei Evelyn findet, der bescheinigt, dass diese Erbin eines Kunstvermögens ist, wird Hannah neugierig. Sie weiß nichts von jüdischen Wurzeln ihrer Familie und einer Zwangsenteignung. Evelyn möchte mit dem Erbe nichts zu tun haben und schweigt beharrlich in Bezug auf Hannahs Fragen. Durch ihren Doktorvater gerät Hannah an Jörg Sudmann, der sich sehr engagiert für die deutsch-jüdische Freundschaft stark macht und sich für Hannahs Familie interessiert. Durch seine Hilfe und eine Niederlassung der israelischen Kanzlei in Kreuzberg erfährt Hannah mehr über ihre Urgroßmutter Senta und ihre jüdische Verwandtschaft. 

Der Roman wird auf zwei Zeitebenen erzählt. Die Gegenwart im Jahr 2017 in Berlin wird aus der Sicht von Evelyn und Hannah erzählt, aber auch die Nebencharaktere wie Jörg Sudmann oder ihr Doktorvater Andreas Sonthausen erhalten ihre Berücksichtigung. Die Vergangenheit an wechselnden Orten an der Ostseeküste und in Berlin wird chronologisch von 1922 bis 1950 erzählt, wobei die Perspektiven zwischen Senta, ihrer Schwägerin Trude und der noch jungen Evelyn wechseln. 
Neben der Geschichte um die Enteignung der jüdischen Familie Goldmann, in die Senta hineingeheiratet hatte, berührt insbesondere die familiäre Konstellation der vier Generation von Frauen. Jede von ihnen hatte mit leidvollen Erfahrungen zu kämpfen und suchte nach ihrem Platz im Leben. Insbesondere an Evelyn, die sich Zeit ihres Lebens von ihrer Mutter im Stich gelassen gefühlt hat, zeigt sich, wie prägend ein schwieriges Mutter-Tochter-Verhältnis ist und noch nachfolgende Generationen beeinflusst. 

Mir hat gut gefallen, dass der Fokus der Geschichte auf den Frauen und ihren Lebenserfahrungen lag, da alle (bis auf Silvia, über die man nur wenig erfährt) sehr interessante, individuell gezeichnete Charaktere mit Ecken und Kanten sind. Das Verhältnis zu ihnen ist dabei ambivalent. Man kann sich selbst kaum entscheiden, ob man sie aufgrund ihrer Charakterstärke schätzen oder aufgrund ihrer Fehlentscheidungen und Gefühlskälte ablehnen soll. 
Die Suche nach Hannahs Wurzeln und den verschwundenen Gemälden ist nicht so fesselt, wie man es vielleicht erwartet hätte. Die in die Tiefe gehenden, aber gleichzeitig auch sehr unterhaltsamen zwischenmenschlichen Beziehungen entschädigen jedoch dafür. Neben so mancher Tristesse in der Erzählung aufgrund der gebeutelten Schicksale, ist es insbesondere in der Gegenwart Hannahs trockener Humor und das Spielen der Autorin mit Klischees, was der die Geschichte die Schwere nimmt. 
Fazit: Ein packender Generationenroman mit bewegenden Frauenschicksalen. 



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