Freitag, 10. Oktober 2025

Buchrezension: Heike Specht - Die Frau der Stunde

Inhalt:

Mit ihrer eingeschworenen Frauen-Clique, einigen Gin Tonics und noch mehr Zigaretten manövriert sich die Politikerin Catharina Cornelius im Bonn der späten 70er hinreißend klug durch den Sumpf der Altherren-Elite. Als die Liberale aber völlig überraschend zur Außenministerin und Vizekanzlerin wird, reiben sich überrumpelte Kollegen in höchsten Regierungskreisen fassungslos die Augen. Die konservative Opposition überschlägt sich mit hämischen Kommentaren. Die Herren Journalisten lächeln süffisant und spitzen die Feder. Frauen und Männer im ganzen Land blicken erstaunt auf die zierliche Frau mit den extravaganten Halstüchern, die langen Haare stets zu einem eleganten Chignon zusammengesteckt.
Schon bald fordern dramatische Umwälzungen neue Antworten. Von Bonn bis Teheran steht die Außenministerin im Sturm von Ereignissen, die so viel größer sind als sie selbst und sie muss erkennen, dass es immer einen Preis hat, sich die Freiheit zu nehmen. Ein Muss für Fans starker Frauenfiguren. 

Rezension: 

Im Herbst 1978 wird die Politikwissenschaftlerin und stellvertretende Vorsitzendes des Auswärtigen Ausschusses Catharina Cornelius überraschend Außenministerin und Vizekanzlerin, nachdem der bisherige Amtsinhaber seinen Posten nach einem politischen Skandal räumen musste. Es ist mehr als nur ein strategischer Schachzug, um die sozialliberale Koalition zu erhalten, denn Catharina ist eine unerschrockene, erfahrene Frau mit diplomatischem Geschick. 
Catharina muss sich sowohl national als auch international wiederholt in einer Männerdomäne beweisen und sich gegen Chauvinismus durchsetzen. Hinter ihr stehen jedoch ihre beiden besten Freundinnen aus Internatszeiten, Suzanne de Vries, Korrespondentin für die belgische Tageszeitung in Bonn, und Azadeh Nouri, eine iranische Regisseurin und Frauenrechtlerin, sowie ein festes Netzwerk aus Frauen in ihrem politischen Umfeld, denen sie Vertrauen kann. 
Doch schon wenige Monate nach ihrem Amtsantritt wird an ihrem Stuhl gesägt und Intrigen geschmiedet, um sie wieder in die zweite Reihe zu verdrängen. 

"Die Frau der Stunde" und titelgebende Hauptfigur ist Catharina Cornelius, deren erste Monate als frisch ernannte Außenministerin man begleitet. Daneben gibt es Einblicke in die Leben ihrer beiden besten Freundinnen Suzanne und Azadeh, die sich in Bezug auf den Erhalt ihrer Freiheit mit eigenen Problemen konfrontiert sehen. Suzanne steht trotz eines modernen Ehemanns an ihrer Seite als berufstätige Frau und Mutter im Spagat zwischen Beruf und Familie. Azadeh hat die politischen Ereignisse in ihrem Heimatland verfolgt und den Sturz des Schahs verfolgt. Der neue religiöse Machthaber ist jedoch alles andere als ein Befreiungsschlag. Trotz der gefährlichen Situation reist Azadeh wiederholt nach Teheran. 

Die drei Freundinnen sind wie die genannten Politiker fiktive Figuren, während die Schilderung des Umbruchs im Iran auf wahren Ereignissen beruht. Die Mischung aus Fiktion und historischen Ereignissen ist gelungen und der Schauplatz Iran fügt sich zudem gut in den Arbeitsplatz der Außenministerin ein. 
Durch die anschaulichen Beschreibungen wird die Bonner Republik Ende der 1970er-Jahre lebendig. Man erhält ein Gefühl für die damalige Zeit und in welchem Umfeld sich Catharina bewegt. Der fiktive Lebenslauf der bewundernswert unermüdlichen Frau wird dabei geschickt mit der Zeitgeschichte kombiniert. 

Nach einem anfänglich gemächlichen Start, in dem Catharina nahezu reibungslos ihren Weg geht, gibt es im weiteren Verlauf so einige Hindernisse, die die Handlung interessanter gestalten. Auch wenn die Geschichte einzelne Längen hat und die Perspektivwechsel nicht jeder Frau genügend Raum zur Entfaltung geben, besticht der Roman durch den Zeitgeist und einzelne sehr eindrückliche Szenen aus dem Deutschen Bundestag und den Dienstreisen der Außenministerin, die beweisen, wie wenig Frauen in der Politik zugetraut wird und wie schwer es ihnen gemacht wird, sich auf Sachthemen zu konzentrieren und mit ihrem Können zu überzeugen. 
Das Ende erfolgt abrupt und mitten im Geschehen. Ein Epilog mit einem Blick in die Zukunft wäre an dieser Stelle passend gewesen und hätte zu einem für mich befriedigenderen Abschluss geführt. 

Mittwoch, 8. Oktober 2025

Buchrezension: Andreas Schmidt - Hass ist meine Liebe (Kommissarin Mia Sommer ermittelt, Band 1)

Inhalt:

Kopfüber und ertrunken liegt die angesehene Psychologin Tessa Winkler in einem Brunnen am Toelleturm, Wuppertals teuerster Wohngegend. Würgemale an ihrem Hals zeigen, dass sie unter Wasser gehalten wurde. Die Kommissare Mia Sommer und Björn Lassner haben zuerst den Exmann im Visier, der seine Trauer nutzt, um die Ermittler zu manipulieren. Und den Vater eines Mädchens, das bei einem Unfall starb, den Tessa verschuldet hat. Doch dann liegt eine weitere Frau tot auf der berühmten bunten Holsteiner Treppe, genau zwischen den beiden Stufen, die mit "Schlechtes Gewissen" und "Ehre" beschriftet sind.
Zufall oder der Beginn einer Mordserie? Mia und Björn nehmen die Vergangenheit der beiden Opfer genauer unter die Lupe und entdecken unheimliche Ähnlichkeiten in deren Liebesleben. 

Rezension:

In einem Brunnen in Wuppertal wird die Psychologin Theresa Winkler nachts von einem Taxifahrer tot aufgefunden. Die Ermittlungen ergeben, dass die Frau, die Straftäter psychologisch betreute, ermordet wurde. Nachdem ihr Ex-Mann sich wenig kooperativ zeigt, aber ein sicheres Alibi hat, gerät ein trauernder Familienvater in Verdacht, der ein Rachemotiv hat. Nur Stunden später wird eine zweite Frauenleiche in Wuppertal gefunden. Mia Sommer und Björn Lassner, die in dem Fall Winkler ermitteln, erkennen Parallelen zwischen den beiden toten Frauen und können einen Serientäter nicht mehr ausschließen.

"Hass ist meine Liebe" ist der Auftakt einer Krimireihe aus dem Bergischen Land um die Kriminalkommissarin Mia Sommer. Letztlich wird aber im Team ermittelt, wobei ihr Partner Björn Lassner mindestens einen genauso großen Anteil hat, weshalb es zumindest im ersten Band eher die Geschichte eines Ermittler-Duos ist.

Wechselnde Perspektiven sorgen dafür, dass man nicht nur Einblick in die Ermittlungen und die Privatleben der beiden Hauptfiguren, sondern auch eine Täter- und Opfersicht erhält.
Der Täter scheint es auf mehrere Frauen abgesehen zu haben, die in seinen Augen den Tod verdient haben. Das Entführungsopfer weiß nicht, warum sie festgehalten wird und die Polizei ermittelt aufgrund zu offensichtlich Verdächtiger zunächst in die falsche Richtung, bis sie eine Verbindung zwischen den Toten erkennt. 

Obschon man als Leser einen Wissensvorsprung gegenüber den Kriminalkommissaren hat, ist der Fall spannend aufgebaut. Die schnellen Perspektivwechsel sorgen für Dynamik und laden zum Miträtseln über Motiv und Täter ein. Die zeitliche Abfolge erscheint dabei nicht immer realistisch, da sich in kürzester sehr viel ereignet und die beiden Hauptfiguren rund um die Uhr im Dienst zu stehen scheinen. 
Der Schreibstil ist mitunter blumig und in unwesentlichen Details zu ausführlich und neigt zu Wiederholungen. Routineabläufe wie Nahrungsaufnahme, Ankleiden oder Nachrichten lesen sowie Beschreibungen von Kollegen und Inneneinrichtung, die keine wesentliche Rolle spielen, wirken in einem Krimi deplatziert und unnötig. Auch die Eifersüchteleien von Lassners Ehefrau ohne konkrete Verdachtsmomente sind überflüssige Lückenfüller. 
Trotz der Kritik fesselt der wendungsreiche Fall mit Täter, der die Polizei mit seinem schnellen Handeln und seiner Skrupellosigkeit und unter Druck setzt. Für weitere Bände sollten die Hauptfiguren, die sich durch keine herausragenden Eigenschaften hervortun, noch einen Feinschliff erhalten. 

Montag, 6. Oktober 2025

Buchrezension: Jandy Nelson - Wenn unsere Welt kippt

Inhalt:

Willkommen in Paradise Springs – einer Kleinstadt voller Hitze, Staub und Magie inmitten des Wine Country Kaliforniens und Heimat der Fall-Familie. Die 12-jährige Dizzy Fall ist eine grandiose Kuchenbäckerin, sieht Geister und wäre am liebsten eine Romanheldin. Der 17-jährige Miles Fall ist zugleich hochbegabt und Sportskanone, Hundefanatiker und unfassbar schön. Aber auch verloren und auf der Suche nach dem Jungen seiner Träume. Wynton Fall brilliert als 19-jähriger Geigenvirtuose und fährt sein Leben dabei konsequent gegen die Wand.
Als Cassidy, ein geheimnisvolles Mädchen mit regenbogenfarbigem Haar in Paradise Springs auftaucht, wirbelt sie die Welt der drei Geschwister durcheinander. Doch bevor Dizzy, Miles und Wynton herausfinden, wer Cassidy wirklich ist, passiert die Katastrophe. Nur Cassidy kann die Fall-Familie wieder zusammenführen. 

Rezension: 

Die drei Geschwister Fall, Nachfahren eines sagenumwobenen Weinbauers, leben zusammen mit ihrer Mutter in Paradise Springs in Nordkalifornien, nachdem der Vater die Familie unter mysteriösen Umständen verlassen hatte.
Die jüngste Dizzy kann Geister sehen, glaubt an Engel und hat eine enge Bindung zu ihrem Bruder Wynton. Dieser ist ein brillanter Geigenspieler, der auf den großen Durchbruch als Musiker hofft, neigt jedoch zu selbstzerstörerischem Verhalten. Der mittlere Miles ist als wunderschöner, herausragender Schüler der "Vollkommene" und deshalb einsam. So unterschiedlich die drei sind, vereint sie die Sehnsucht nach ihrem Vater. Zudem begegnen alle drei unabhängig voneinander dem Regenbogenmädchen Cassidy und sind fasziniert von ihr. Bevor sie sie näher kennenlernen können, ereignet sich eine Katastrophe und Cassidy wird für sie zu einem rettenden Engel, den sie unbedingt finden müssen. 

"Wenn unsere Welt kippt" ist als Jugendroman deklariert und auch wenn er überwiegend aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen geschrieben ist, enthält er so viele universelle Themen und insbesondere so viel Emotionen, die auch einen erwachsenen Leser nicht kaltlassen. 

Aus wechselnden Perspektiven geschildert, taucht man tief in die Leben von Cassidy, Miles, Dizzy und Winton ein, die schwierige Verhältnisse zu ihren Eltern haben. Sie fühlen sich verloren, sind auf einer andauernden Suche nach Identität, von einer tiefen Sehnsucht geprägt und sehen sich gezwungen, ihre Probleme mit sich selbst auszumachen. Während Miles und seine Geschwister über den Verlust ihres Vaters nie hinweggekommen sind, aber zumindest mit einer liebevollen Mutter aufgewachsen sind, ist Cassidy allein mit ihrer Mutter, die ihre Mutterrolle nur unzutreffend erfüllt. 

Alle Charaktere des Romans sind besonders und vor allem die Jugendlichen sind liebenswert und nahbar. Ihre Schicksale gehen zu Herzen und der stetige Wechsel aus Enttäuschungen und Hoffnung, Liebe und Hass, ist kaum zu ertragen. Die Geschichte entwickelt sich überraschend, weckt Emotionen und ist spannend aufgebaut. Durch die Mischung aus gegenwärtiger Erzählung und Rückblenden in die Vergangenheit werden Geheimnisse offenbar, die erst allmählich gelüftet werden und den Kindern zeigen, was ihre Eltern verbergen. 

Der Erzählstil ist durch Einschübe von Briefen, E-Mails, Auszügen aus Tage- und Notizbüchern abwechslungsreich, zumal märchenhaft und durchgängig bildhaft. Die Personen und auch die Heimat der Falls wird damit leicht vorstellbar. Zudem hat man wie die Kinder selbst Farben vor Augen, Musik in den Ohren und verschiedene Gerüche in der Nase. Synästhesie unterstreicht die Besonderheit der Figuren und auch der magische Realismus passt perfekt zur Entwicklung ihrer Geschichte. 

"Wenn unsere Welt kippt" ist ein All-Age-Roman voller Liebe, Geheimnisse und Magie. Er handelt von Einsamkeit, Verlust, Depressionen und Ängsten, aber auch von Zusammenhalt und Freundschaft, erster Liebe, einem Traum von Freiheit, Hoffnung und dem Glaube an Wundern. Es geht um Trauma, die über Generationen weitergegeben werden, über Familienfluche und Geschwisterrivalitäten, die den Roman zu einem spannenden Mix aus komplizierter Vergangenheit und turbulenter Gegenwart machen. Die Geschichte ist wendungsreich und metaphorisch und wird trotz des Umgangs von knapp 650 Seiten niemals langweilig.