Montag, 31. Oktober 2022

Buchrezension: Emily Bell - Maybe This Year: Dieser eine Tag im Winter

Inhalt:

Vor zehn Jahren gaben sich Andrew und Norah ein Versprechen: Wenn sie an Weihnachten 2019 beide noch single sind, treffen sie sich an Heiligabend in Dublin. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, aber wird Andrew wirklich dort auf sie warten? Norah hat nie vergessen können, wie sie sich damals im Italienurlaub kennenlernten und sich Hals über Kopf ineinander verliebten. Doch das Schicksal trennte ihre Wege. Ohne Kontaktdaten ist ihr altes Versprechen Norahs einzige Hoffnung. Sie muss einfach herausfinden, ob Andrew auch noch Gefühle für sie hat. Also macht sie sich kurzerhand auf die Reise quer durchs verschneite Land. Kann ihr Wunsch zehn Weihnachten später wirklich in Erfüllung gehen? 

Rezension:

Als Norah von ihrer Mutter zum Weihnachtsfest versetzt wird, fühlt sie sich wieder an Andrew erinnert. Diesen lernte sie 2009 in Verona kennen, als sie mit ihren Freundinnen auf Reisen war. Sie verliebte sich in Andrew und reiste mit ihm gemeinsam eine Woche durch Italien. Wegen Andrews Studium in New York trennten sich ihre Wege, aber sie gaben sich das Versprechen, sich in zehn Jahren an Heiligabend in Dublin zu treffen, wenn sie noch ungebunden wären.
Norah, die in den letzten zehn Jahren immer wieder an Andrew denken musste, auch wenn der Kontakt 2013 abbrach, beschließt die Chance auf ein Wiedersehen zu nutzen. Gemeinsam mit ihrem besten Freund Joe fährt sie nach Dublin. Ein Aufenthalt, der sie zu ganz neuen überraschenden Erkenntnisse führen wird.

Der Roman handelt im Dezember 2019, wobei weite Teile des Romans in Rückblenden auf Norahs Jugend und die Jahre nach dem Kennenlernen Andrews erzählt werden. Anders als der Klappentext erwarten lässt, ist Andrew in der Geschichte wenig präsent. Weder auf ihrer gemeinsamen Italienreise noch in den E-Mails sind romantische Gefühle zwischen den beiden spürbar. Sie wirken wie platonische Freunde und schaffen es aus fadenscheinigen Gründen nie, sich zu sehen. Die große Liebe und insbesondere Norahs Warten auf den Zeitpunkt X sind deshalb nicht wirklich nachvollziehbar. Noch weniger glaubhaft wirkte hingegen die überraschende Wende auf ihrer Dublin-Reise und wie sich auch andere Konflikte sehr schnell und plötzlich in Wohlgefallen auflösten.

Die Geschichte handelt abgesehen vom Nachtrauern um die große Liebe, von Freundschaft, Familie, Trauer und Selbstverwirklichung. Norah hat viele gute Freunde, die sie in allen Höhen und Tiefen begleiten, ist auf der Suche nach ihren familiären Wurzeln und welche Rolle die Musik in ihrem Leben spielen wird. Das ist ganz unterhaltsam und durch den Wechsel der Zeitebenen und Orte, die es zu entdecken gilt, abwechslungsreich und vermittelt eine winterlich-weihnachtliche, melancholische Stimmung. Wehmütig wird über die Veränderungen der Freundschaften im Lauf der Jahre wie über Verluste nachgedacht.

"Maybe This Year - Dieser eine Tag im Winter" plätschert leise dahin und schafft es nicht die Gefühle zwischen den Protagonistin zu vermitteln, weshalb das Buch als Liebesgeschichte enttäuschend ist. Alle weiteren problematischen Themen werden nur kurz angesprochen und allzu simpel gelöst. Die Botschaft ist jedoch klar: Norahs Geschichte zeigt, wie wichtig es ist, im Hier und Jetzt zu leben, damit das Leben nicht an einem vorbeizieht und zu viel verpasst wird. Dennoch bleibt das Buch sehr oberflächlich und schafft es nicht, Gefühle zu transportieren. 

Samstag, 29. Oktober 2022

Buchrezension: Ulrike Gerold / Wolfram Hänel - Rauhnächte: Sie werden dich jagen

Inhalt:

Junge Frauen verschwinden. In diesen magischen Nächten zwischen den Jahren. Nach zwölf Tagen kehren sie zurück, verwirrt und verstört. Zwei von ihnen haben es nicht mehr ausgehalten, sie gingen freiwillig in den Tod. Andere sind aus dem Tal weggezogen und nie wieder zurückgekehrt. Die wenigen, die geblieben sind, schweigen. Als Lisa an Weihnachten zu ihren Großeltern ins Tal fährt, ist wieder ein Mädchen verschwunden. Warum spricht niemand darüber? 

Rezension:

Im österreichischen Oberalmdorf wird jedes Jahr eine Frau entführt, die nach wenigen Tagen verstört ins Dorf zurückkommt. Sie sind apathisch und von ihrem Erlebnis gezeichnet, dass sich einzelne in ihrer Verzweiflung umgebracht haben. 
Auch als Lisa, eine studierte Ethnologin, nach Weihnachten zu Besuch in ihr Heimatdorf kommt, um sich mit ihren Großeltern zu versöhnen, den einzigen Familienmitgliedern, die nach dem Tod ihrer Eltern und ihrer Schwester verblieben sind, wird wieder ein Mädchen vermisst. Lisa, die daran erinnert wird, dass ihre verunglückte Schwester zu spät gefunden worden ist, um noch gerettet zu werden, beschließt länger zu bleiben, um das Mädchen zu finden. Zeitgleich wird ein Mann, der vom Horn einer Perchtenmaske getötet wurde, aufgefunden. Während der Dorfpolizist von einem tragischen Unfall ausgeht, beginnt die Salzburger Kriminalpolizei zu ermitteln. Major Max Gruber, ein Bekannter von Lisa, nutzt ihr Wissen über das Dorf und seine Bewohner, um den Tod aufzuklären. Dabei wird ihnen bewusst, dass die vielen Unglücksfälle und entführten Frauen über die Jahre hinweg kein Zufälle sein können. 

"Rauhnächte" ist ein Thriller, der titelgebend zwischen dem Ersten Weihnachtstag und Heilig Dreikönig handelt. Es sind die zwölf Nächte zwischen den Jahren, um die sich zahlreiche Mythen ranken. 
Lisa kehrt zurück in ihr Heimatdorf, an das sie keine guten Erinnerungen hat und fühlt sich durch die kalte Abneigung der Großeltern und dem Schweigen, das im Dorf herrscht, in ihrer Einschätzung bestätigt. Sie wundert sich, warum niemand nach dem vermissten Teenager sucht und wie sich die Einwohner damit abgefunden haben können, das verschwundene Frauen für die Rauhnächte nichts Ungewöhnliches sind. Mit Hilfe des Majors aus Salzburg und ihrer Freundin Moni möchte sie nicht nur die vermeintliche Entführung des Mädchens aufklären, sondern auch mit einem eigenen dunklen Kapitel ihrer Vergangenheit abschließen. 

Neben der Geschichte aus der Perspektive von Lisa erfährt man in kursiv eingeschobenen Abschnitten anhand einer jungen Frau, was vermutlich alle verschwundenen Frauen erleben mussten, bevor sie nach ihrer Entführung ins Dorf zurückkehren konnten. 

Der Thriller ist atmosphärisch und düster und erhält durch die Rauhnächte einen mythischen Gruselfaktor. Auch wenn frühzeitig zu erahnen ist, wie die jährlichen Unglücksfälle, bei denen Männer - Touristen und Dorfbewohner gleichermaßen - ums Leben kommen und die Fälle der verschwundenen und vergewaltigten Frauen zusammenhängen, ist der Roman spannend, denn die einzelnen Details, bei denen sich Abgründe über die Geschichte und Einwohner des Dorfs auftun, werden erst schrittweise offenbart. 
Lisas persönliche Betroffenheit und ihr Engagement sind nachvollziehbar, lassen die Aufklärung der Kriminalfälle aber stellenweise konstruiert erscheinen. Als ehemalige Dorfbewohnerin und Privatperson wird sie durch den Ermittler, der lange im Alleingang handelt, zu sehr kollegial involviert.  

Der Thriller überzeugt insofern mehr durch die Stimmung, die verdächtigen Dorfbewohner und die Mystik der Rauhnächte, die offenbar genutzt wird, um Verbrechen zu rechtfertigen oder zu vertuschen, als durch authentische Ermittlungsarbeit. So erscheint auch passend, dass es sich bei "Rauhnächte - Sie werden dich jagen" um einen Standalone-Thriller handelt und nicht den Auftakt einer Buchreihe.

Freitag, 28. Oktober 2022

Buchrezension: Katharina Herzog - Das kleine Bücherdorf: Winterglitzern (Das schottische Bücherdorf, Band 1)

Inhalt:

Die junge Kunsthändlerin Vicky gerät durch Zufall an einen ungewöhnlichen Brief: Der 8-jährige Finlay aus Swinton-on-Sea in Schottland hat ihn an seine verstorbene Mutter geschrieben. Vicky ist berührt – aber auch neugierig, denn dem Brief liegt ein Foto bei, auf dem Finlay eine seltene Ausgabe von "Alice im Wunderland" in den Händen hält. 
Vicky reist nach Swinton, wo Graham, der Vater des Jungen, ein Antiquariat führt, und wird prompt für die neue Aushilfsbuchhändlerin gehalten. Swinton ist ein ganz und gar außergewöhnlicher Ort. Ein uriges Dorf voller Buchläden und Bücherwürmer und dazu eine Schar mitunter sehr eigenwilliger Einwohnerinnen und Einwohner. 
Unversehens gerät Vicky mitten in die Geschichte um Finlay, seinen Vater Graham – einen attraktiven Buchhändler und Witwer – und ein sehr wertvolles Buch. Doch sie hat auch etwas zu verbergen: dass sie mit einem Auftrag angereist ist, der ihre zarten Freundschaftsbande in Swinton zu zerreißen droht. 

Rezension:

Viktoria Lambach ist Kunsthändlerin und arbeitet im väterlichen Auktionshaus in München. Als sie auf ein Foto eines trauernden Jungen aus Schottland stößt, der darauf mit einer wertvollen "Alice im Wunderland"-Ausgabe zu sehen ist, wird Vicky von ihrem Vater beauftragt, diese zu erwerben. Sie reist nach Swinton-on-Sea, wo der Vater des Jungen ein Antiquariat führt.
Vicky ist schnell verzaubert von dem Dorf in der Vorweihnachtszeit, das für seine zahlreichen Buchhandlungen bekannt ist, aber auch Finlay und sein Vater berühren ihr Herz. Mehrfach verpasst Vicky die Gelegenheit Graham auf das Buch anzusprechen und fängt stattdessen als Aushilfe in seinem "Fuchsbau" an. Sie nähern sich einander an, weshalb es für Vicky immer schwieriger wird, Graham den wahren Grund für ihre Reise zu nennen. Als er es durch einen Zufall erfährt, ist er vor den Kopf gestoßen und zweifelt an allem, was sich zwischen ihnen entwickelte hatte.

"Das kleine Bücherdorf - Winterglitzern" ist der erste Band einer Buchreihe um das schottische Dorf Swinton-on-Sea. Das Dorf ist ein Kleinod mit pastellfarbenen Häusern und hübschen Geschäften in einem Winterwunderland. Die vorweihnachtliche Stimmung wird durch die Kulisse und Aktivitäten anschaulich eingefangen. Vicky, die eigentlich nur einen Tag bleiben wollte, wird von den Einwohnern direkt vereinnahmt und nimmt am Schlittenfahren und Eisbaden teil, besucht den Weihnachtsmarkt und mimt sogar den Weihnachtsmann. Ihre Strategie geht auf und sie kommt Graham näher, geht jedoch weiter als für eine Geschäftsbeziehung üblich. Vicky, die sich bewusst wird, wie einsam sie in München ist, genießt die familiäre Atmosphäre, leidet gleichzeitig jedoch an ihrem schlechten Gewissen, Graham weiter zu belügen.
 
Die Geschichte besticht vor allem durch das interessante Dorf und die vielfältigen Bewohner, die neugierig auf die weiteren Bände der Reihe machen.
Die Liebesgeschichte entwickelt sich nicht weiter überraschend und die Liebesbekundungen wirken für die kurze Zeit des Kennenlernens etwas übereilt. Auch kann Vicky als Hauptfigur nur bedingt überzeugen. Als studierte Frau, die international berufstätig war, erscheint sie zu unbeholfen und macht es sich mit ihrem Auftrag unnötig schwer. Die innere Zerrissenheit der Charaktere zwischen Trauer und Neuanfang, Ehrlichkeit und Kampf um Anerkennung sind dagegen nachvollziehbar dargestellt.
Das Bücherdorf wird lebendig, die Figuren mit ihren Eigenarten wachsen ans Herz. Die Geschichte ist unterhaltsam, zeigt den Winter mit all seinen schönen Facetten und stimmt durch die heimelige Atmosphäre auf die Weihnachtszeit ein. 

Der zweite Band der Reihe "Das kleine Bücherdorf: Frühlingsfunkeln" wird ein Wiedersehen mit den Nebencharakteren, die dann in den Vordergrund rücken und erscheint am 14. Februar 2023. 

Mittwoch, 26. Oktober 2022

Buchrezension: Melissa Fu - Der Pfirsichgarten

Inhalt:

Als ihre Stadt in Flammen aufgeht, beginnt für die junge Mutter Meilin und ihren vierjährigen Sohn Renshu eine gefährliche Reise durch das kriegszerstörte China der 1930er Jahre. Kaum wähnen sie sich einmal in Sicherheit, müssen sie schon wieder aufbrechen zu einem anderen Ort und in ein anderes Land. Die findige Meilin muss ihren ganzen Einfallsreichtum aufbieten, um ihren einzigen Sohn aufwachsen sehen zu können. Inmitten von Überlebenskämpfen, tragischen Trennungen und bewegenden Wiedersehen finden sie Trost und Zuflucht bei einer alten, seidenen Schriftrolle. Ihre feinen Zeichnungen und die schillernde Legende vom Pfirsichblütengarten beschützen sie vor der harten Realität der Flucht. 
Jahre später lebt Renshu in den USA. Er heißt nun Henry Dao, hat studiert, geheiratet und eine Familie gegründet. Über seine Kindheit schweigt er sich aus, und auch seine Versuche, einen Obstgarten anzulegen, misslingen – bis eines Tages die Pfirsichbäume wachsen. Hier, im Pfirsichgarten ihres Vaters, kann seine Tochter Lily vielleicht doch etwas über ihre Wurzeln erfahren. 

Rezension: 

Während des Zweiten Japanisch-Chinesischen Kriegs verliert Dao Meilin früh ihren Ehemann und flieht mit ihrem vierjährigen Sohn Renshu 1938 an der Seite ihres Schwagers und seiner Familie. Sie fliehen vor den Bomben der Japaner von West nach Ost bis sie in Shanghai und schließlich in Taiwan ankommen und zum ersten Mal seit langen Jahren wieder in Sicherheit sind. Auf dem Weg dorthin müssen sie schwere Verluste ertragen, wobei sie Halt in den Geschichten Meilins finden, die sie anhand einer seidenen Schriftrolle mit feinen Kalligraphien erzählt. Meilin gibt niemals auf, findet immer irgendwo ein Angestelltenverhältnis und eine Unterkunft für sich und ihren Sohn. Dieser entwickelt einen unumstößlichen Ehrgeiz in der Aussicht auf ein besseres Leben, lernt fleißig und verdient sich damit einen Studienplatz in den USA. Bisher hatten sich Meilin und Renshu gegenseitig Halt gegeben und müssen 1960 Abschied nehmen. Als Henry Dao leidet Renshu noch als Student unter Flashbacks und fürchtet auch später noch den Einfluss der pro-chinesischen Partei Taiwans. Er hält sich deshalb fern von anderen Migranten und baut sich ein neues Leben auf, heiratet und bekommt eine Tochter, die neugierig auf ihre familiären Wurzeln ist. Doch Henry möchte sich nicht mit den schmerzhaften Erinnerungen seiner Kindheit und Jugend befassen und hat zudem Angst um seine Mutter, die trotz aller Bemühungen, sie in die USA zu holen, in Taiwan geblieben ist und hält deshalb auch seine Tochter lange davon ab, mehr über die chinesische Kultur zu erfahren und Kontakte zu knüpfen. 

"Der Pfirsichgarten" erstreckt sich über gut 60 Jahre und erzählt die Geschichte von drei Generationen einer chinesischen Familie - inspiriert von der eigenen Familiengeschichte der Autorin. Anders als in vielen historischen Romanen wird die Geschichte nicht aus der Perspektive der Gegenwart und mit Rückblenden, sondern stringent chronologisch erzählt. Nachdem ich schon viele Bücher über den Zweiten Weltkrieg in Europa gelesen habe, fand ich es sehr interessant eine Geschichte über die Kriegsereignisse in Asien zu lesen, die nicht minder erschütternd sind. 

Meilin ist eine starke, aber gleichzeitig leise, sanftmütige Frau, die alles dafür gibt, ihren Sohn und sich in Sicherheit zu bringen. Mit Hilfe ihrer Fabeln schaffen sie es, die Hoffnung auf Frieden und ein neues Zuhause nicht aufzugeben und in Verlust und Zerstörung noch etwas Gutes zu erkennen. Denn auf all ihren Wegen begegnen ihnen Freundschaft und Zusammenhalt. Die Rolle des Schwagers, der ihr Zeit seines Lebens Unterstützung bot, bleibt dabei vage. 
Renshu ist ein aufgeweckter Junge, der zurückhaltend, fleißig und bescheiden ist und den Mut entwickelt, nach Amerika zu emigrieren. Die politischen und kulturellen Unterschiede sind groß und das Gefühl nirgendwo eine Heimat zu haben, ist nur allzu verständlich. Seine Angst vor dem Einfluss der kommunistischen Partei, vor Bespitzelung und davor, als unpatriotisch denunziert zu werden, ist selbst als amerikanischer Staatsbürger noch groß, weshalb er sich unauffällig verhält und keine intensiven Kontakte anderen Migranten pflegt. Seine Ehefrau und insbesondere seine Tochter, die neugierig auf ihre Wurzeln ist, haben Schwierigkeiten, Henry zu verstehen und seine Befürchtungen zu teilen. 

Die Geschichte wird bildhaft und empathisch erzählt. Die Handlungsorte sind vorstellbar, auch wenn ich mir eine Landkarte im Buch gewünscht hätte, um Meilins und Renshus Weg besser nachvollziehen zu können. Es fällt leicht, sich in Meilin, Renshu und auch Lily hineinzuversetzen, die unterschiedliche Sorgen und Nöte teilen. Bei Meilin ging es um den nackten Kampf ums Überleben, Henry steckt zwischen zwei Kulturen, vermisst seine Heimat, traut sich in den USA jedoch nicht, seine Kultur und Kontakte zu anderen Chinesen zu pflegen. Lily möchte als "Mischlingskind" je älter sie wird mehr über ihre Wurzeln und ihre Familiengeschichte väterlicherseits erfahren, ist begeistert von der chinesischen Sprache und Kultur, wird jedoch in ihrer Euphorie von ihrem Vater gebremst. 

Die Geschichte von Meilin und Renshu/ Henry ist eine ereignisreiche und bewegende Erzählung über Generationen und Kontinente hinweg, die trotz allem Leid, das den Protagonisten widerfährt, hoffnungsvoll und erbaulich ist. Neben Schmerz gibt es Glück, neben dem Verlust der Heimat ein neues Zuhause. Es ist eine berührende Geschichte über einen Überlebenskampf, über Heimat, das enge Band der Familie und die Suche nach Glück, die durch den realen Hintergrund authentisch und lebendig ist und deshalb besonders zu Herzen geht. 

Montag, 24. Oktober 2022

Buchrezension: Hannah Richell - Das Jahr der Schatten

Inhalt:

Als Lila ein verfallenes Cottage im englischen Peak District erbt, scheint dies ihre Rettung zu sein. Ihr Leben und ihre Ehe stecken in der Krise, und so entschließt sie sich zu einer Auszeit an dem idyllischen Ort am See. Sie genießt die Einsamkeit, bis sie beunruhigende Spuren der früheren Bewohner entdeckt, die auf einen überstürzten Aufbruch hindeuten. Ein mysteriöser Brief lässt ein Unglück erahnen. Welches Geheimnis bergen die Mauern des Hauses, und welche Bedeutung hat es für Lilas Leben? 

Rezension:

Nach einem schrecklichen Verlust fällt Lila in eine Depression, aus der ihr auch ihr verständnisvoller Ehemann Tom nicht heraushelfen kann. Überraschend erbt sie fast zeitgleich ein altes Cottage in einer einsamen Gegend im Peak District und beschließt, sich eine Auszeit von London zu nehmen, um das Cottage herzurichten. In der Einsamkeit hat sie Albträume und fühlt sich beobachtet. Sie fragt sich, wer zuletzt in dem heruntergekommenen Häuschen gewohnt hat und warum es letztlich verlassen wurde. 

Dreißig Jahre zuvor haben sich fünf Studenten vor dem Hintergrund von Arbeitslosigkeit und Rezession entschieden, auszusteigen und ein Jahr in einem verlassenen Cottage zu verbringen. Ganz auf sich allein gestellt, wollten Simon, Kat, das Pärchen Carla und Ben sowie Mac sich abseits der Zivilisation selbst versorgen und zu sich selbst finden. Was in den Sommermonaten noch wie ein Urlaub in der freien Natur anmutete, wird im Winter deutlich anstrengender und unbequemer. Hunger und Krankheiten drücken die Stimmung und das plötzliche Erscheinen von Kats Schwester schürt die Eifersucht und sorgt zunehmend für eine gereizte Stimmung. 

Das Buch handelt auf zwei Zeitebenen und erzählt zwei zunächst von einander unabhängige Geschichten, die jedoch beide an demselben Ort stattfinden, dem Cottage in Peak District, von dem niemand weiß, wer der Eigentümer ist. 

Beide Erzählstränge sind spannend und atmosphärisch geschildert. Die Studenten bemühen sich um ein autarkes Leben back to the roots, sammeln Obst und Nüsse, jagen Wild und Fischen und richten sich in dem Haus so gemütlich wie möglich ein. Was anfangs im Juli und in bierseliger Laune ein großer Spaß ist, wird in den Wintermonaten deutlich ernster. Die Freunde sind hungrig, streiten sich immer häufiger und sind von ihrem selbst ernannten Anführer Simon genervt. Kat, die ihn schon seit Jahren heimlich anhimmelt und gehofft hat, durch diese Auszeit ihm endlich näher zu kommen, ist eifersüchtig auf ihre Schwester Freya, die plötzlich vor der Tür steht und sich dazugesellt. Die Gruppendynamik verändert sich, gegenseitiges Misstrauen macht sich breit und es ist zu ahnen, dass der Aufenthalt aufgrund der Spannungen untereinander in einer Katastrophe enden wird. 

Dreißig Jahre später versucht Lila in dem Cottage einen Schicksalsschlag zu verarbeiten und verliebt sich schon bald in den Charme des einsamen Cottages. Dabei entfremdet sie sich weiter von ihrem Ehemann und quält sich in ihren Träumen mit Erinnerungen, die sie nicht einordnen kann. 

"Das Jahr der Schatten" ist ein Roman über Liebe, Freundschaft, Familie, Eifersucht, Manipulation und Verrat, der durch die beiden Erzählebenen spannend aufgebaut ist. Es bleibt lange unklar, wie die beiden unabhängig von einander erzählten Geschichten zusammenhängen und was Lila mit dem Cottage verbindet. Sowohl Vergangenheit als auch Gegenwart fesseln gleichermaßen, da beide Erzählstrenge Rätsel aufgeben, wobei die Erzählung, die 1980/1981 handelt wendungsreicher ist. Was wird mit den Studenten passieren und wer hat Lila das Haus vermacht und macht so ein Geheimnis daraus? Mit fortschreitender Handlung bekommt man eine Ahnung und wartet gebannt darauf zu erfahren, wie sich beide Handlungsebenen mit einander verbinden werden und das Mysterium um das verlassene Cottage lösen. 

Samstag, 22. Oktober 2022

Buchrezension: Caroline Brinkmann - Zimmer gesucht, Liebe gefunden

Inhalt:

Was tun, wenn man nach zwei Jahren Beziehung über Facebook abserviert wird und 148 Freunden gefällt das? Emmas große Liebe Leon hat sie für die heiße Influencerin Larissa sitzen gelassen. Ausgerechnet an dem Tag, an dem die beiden zusammenziehen wollten. Eine neue Bleibe muss her. Glücklicherweise sucht Dirk, ein Bekannter ihrer besten Freundin, eine neue Mitbewohnerin. Das Problem: Er ist ein eigensinniger Computernerd, der im echten Leben mit Menschen nicht viel anfangen kann. Und erst recht nicht mit Liebeskummer. Aus Mangel an Alternativen zieht Emma bei ihm ein. Das Chaos ist vorprogrammiert. 

Rezension: 

Am Tag, als Emma mit ihrem Freund Leon zusammenziehen möchte, bittet er sie um eine Beziehungsauszeit. Für Emma kommt dieser Wunsch nach einer Pause völlig unerwartet und auch ihre Eltern haben ihr Zimmer schon neu als Yogaraum verplant. Emmas beste Freundin Pepper, die noch nie von Leon begeistert war, vermittelt Emma ein WG-Zimmer bei einem Bekannten. Dirk ist ein Nerd, der lieber an Robotern bastelt, als sich mit Menschen auseinanderzusetzen. Er sucht nur eine(n) Mitbewohner(i), um sich die Miete zu teilen und jemanden zu haben, der unerwünschte Spinnen beseitigt. Während Emma noch Leon nachtrauert, Peppers Verkupplungsversuchen zu entgehen versucht und einen neuen Praktikumsplatz antritt, freundet sie sich allmählich mit Dirk an und findet auch den Mut, an ihrem Roman weiterzuarbeiten. 

"Zimmer gesucht, Liebe gefunden" ist eine humorvolle Geschichte über eine Mittzwanzigerin, deren Leben nach der Trennung von ihrer großen Liebe, die sie zu allem Übel auch noch öffentlich auf Instagram romantisch in Szene gesetzt hat, aus den Fugen gerät. Es dauert bis Emma das Beziehungsaus akzeptiert und sie wieder nach vorne blicken kann. Eine Stütze ist ihre beste Freundin Pepper, auch wenn diese in ihrer Fürsorge um Emma etwas übereifrig und übergriffig reagiert. Ihre Gedanken und ihren Kummer vertraut Emma zusätzlich ihrem "Disaster Diary" an. 

Der Roman ist durch Emmas, Turbulenzen, das Liebesaus, den Umzug, denen neuen Praktikumsplatz, die enge Beziehung zu ihren Eltern, Treffen mit Studienkollegen und Freunden abwechslungsreich und unterhaltsam. Emma, mit ihren bunten, ausgetretenen Chucks und der Vorliebe, mit Pflanzen zu sprechen, ist eine liebenswerte Figur und auch die zahlreichen Nebencharaktere haben so manche sonderbare Eigenschaft, die der Geschichte Impulse geben. 

Das Buch ist flüssig geschrieben, spielt mit Klischees und Schubladendenken und trifft damit immer den richtigen erfrischend witzigen Ton, ohne albern zu werden. 
Trotz des Liebesdramas überwiegt der Humor der Geschichte. Die Nebencharaktere mögen an mancher Stelle etwas überzeichnet sein und Emma braucht einen Tick zu lang, um Leons wahres Gesucht zu erkennen und sich von ihm zu lösen. 
Es ist keine romantische Liebesgeschichte, die vor Emotionen trieft. Wesentlich ist Emmas Entwicklung, wie sie aus ihrem Tief kommt, offen für Neues wird und dabei wieder zu sich selbst findet und den Mut aufbringt, an ihre Talente zu glauben. 

"Zimmer gesucht, Liebe gefunden" ist ein Roman über Liebe und Freundschaft, Neuanfänge und Selbstfindung, der durch Herzblut, Kreativität und Witz überzeugt. 

Freitag, 21. Oktober 2022

Buchrezension: Beatrix Kramlovsky - Frau in den Wellen

Inhalt:

Joni wächst in der provinziellen Enge der Nachkriegsjahre auf. Als junge Diplomatengattin beschreitet sie das politische Parkett Ostberlins. Zu ihren Kindern, die beim Vater leben, hält sie engen Kontakt, während sie als Regierungsberaterin um die Welt jettet. Und während Joni versucht, den Erwartungen als Frau und Mutter zu genügen, wird ihr unangepasstes Leben plötzlich öffentlich debattiert. Sie muss erkennen: Auch ein noch so unabhängiges Frauenleben bleibt fragil. 

Rezension: 

Joni wird Mitte der 1960er-Jahre in Österreich als Tochter unkonventioneller Eltern geboren, die ihr Kind weitestgehend in der Obhut der Tante aufwachsen lassen. Sie heiratet früh den Diplomaten Dr. Georg Lauba, wird schwanger und zieht mit ihm nach Ostberlin. Sie selbst macht Karriere als Wissenschaftlerin und Soziologin und trennt sich nach dem Fall der Mauer von ihrem Ehemann. Ihre Tochter Stefanie wächst beim Vater auf, während Joni wie eine Nomadin durch die Welt reist und nirgendwo ein festes Zuhause hat. Sie hat viele Freunde und Affären, kehrt jedoch zur Jahrtausendwende kurzzeitig zu Georg zurück und wird erneut schwanger. Auch der Sohn vermag die beiden nicht stärker zu verbinden, Joni bleibt rastlos und verlässt ihren Exmann abermals. Die beiden pflegen ein gutes Verhältnis, auch als Georg erneut heiratet, die Kinder empfängt Joni in Hotels oder bei ihren Freunden weltweit. 
Trotz ihrer Bekanntheit als wissenschaftliche Beraterin hält sich Joni in der Öffentlichkeit zurück und geht Kritiken an ihrem Lebensstil als berufstätiger Frau, die ihre Kinder dem Mann überlässt, aus dem Weg. Doch als ein Foto von ihr zusammen mit einem Mann veröffentlicht wird und Wellen schlägt, muss sie sich mit ganz anderen unschönen und geradezu feindseligen Kommentaren auseinandersetzen und bekommt zu spüren, dass sie als Mutter gebraucht wird.  

"Frau in den Wellen" ist die Lebensgeschichte einer Frau, angefangen von ihrer Kindheit in Österreich in den 1960er-Jahren, bis als erwachsene Frau mit Anfang 50 Jahren im Jahr 2018. Auch wenn ihre Geschichte im Wesentlichen chronologisch erzählt wird, gibt es innerhalb der Kapitel zahlreiche Zeitsprünge in Form von Erinnerungen - bruchstückhafte Gedanken oder Episoden über Treffen mit ihren Freunden und Aufenthalte in verschiedenen Ländern - die ein flüssiges Lesen erschweren. 
 
Der Schreibstil ist nüchtern und distanziert, eher berichtend statt erzählend. So fällt es schwer, sich in Joni, die als so charismatisch und königlich beschrieben wird, hineinzuversetzen oder gar zu bewundern. Auch ihre beruflichen Erfolge und was sie umtreibt, bleiben vage. 
Der Handlungsstrang wird durch kursive Texte unterbrochen - mehrere Briefe über die Jahre hinweg, die an Joni gerichtet sind und wie eine Art Rechtfertigung zu lesen sind und eigentlich nur von ihr selbst stammen können. 

Die Geschichte plätschert dahin, ohne dass sie wirkliches Interesse für Joni oder ihr Leben wecken kann. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Dasein zwischen Beruf und Mutter findet nicht statt. Joni zeigt wenig Empathie für ihre Familie und Freude, kümmert sich nur halbherzig um sie. Es ist dabei nicht so, dass ihr Beruf so erdrückend ist oder im Vordergrund steht - Joni kann es einfach nicht besser. Sie wirkt rastlos, heimatlos und getrieben. 

Auch wenn Joni als Frau, die sich scheiden lässt und die Erziehung der Kinder ihrem Exmann überlässt, nicht dem klassischen Rollenbild entspricht, in den 1990er-Jahren als Ausnahme gelten mochte und mit ihrem Verhalten in der Gesellschaft aneckt, ist ihre Lebensgeschichte langweilig geschrieben und gibt zu wenig Preis aus ihrem Leben als berufstätiger Frau und den Spannungen, die sich daraus ergeben.  
Lange sorgt einzig der Handlungsstrang "Dr. Joni Lanka vs. Unbekannt" für Interesse, der Einsichten von Dritten über Joni zeigt und dessen Hintergrund erst später bekannt wird. Dieser von Rechtspopulismus und Rassismus geprägte Konflikt ist eine Folge der Flüchtlingskrise 2015/2016 und nicht Ausprägung von Jonis Lebensentwurf, weshalb er zum Rest der Handlung nicht wirklich passen mochte und wie alle anderen Facetten des Romans nur oberflächlich bleibt. 
Der Klappentext weckt mit "mitreißende Geschichte einer willensstarken, unkonventionellen Frau, die stets auf dem Drahtseil zwischen Unabhängigkeit und Eingebundensein balanciert" hohe Erwartungen, die jedoch weder mit der Art der Erzählweise noch mit Jonis Persönlichkeit erfüllt werden. 

Mittwoch, 19. Oktober 2022

Buchrezension: Miriam Georg - Das Tor zur Welt: Hoffnung (Die Hamburger Auswandererstadt, Band 2)

Inhalt:

Die Hafenmetropole Hamburg ist rettungslos überfüllt, es kocht wie in einem Kessel. Bei den Auswandererhallen werden mit den Hoffnungen der Menschen auf ein besseres Leben rücksichtslose Geschäfte gemacht.
Hier arbeitet Ava – unermüdlich, Tag für Tag, nachdem ihre einzige Hoffnung zerschlagen wurde, in Amerika ihre Familie zu finden. Sie wurde gnadenlos hintergangen. Von der Frau, die ihr näherstand als eine Schwester. Trotzdem sorgt sie sich um Claire. Sie sucht nach ihr, überall, doch diese ist wie vom Erdboden verschluckt. 
Claire musste alles aufgeben, um sich zu retten. Sie musste Ava verraten, ihre Mutter verlassen, alle Brücken hinter sich abbrechen. Aber ihr Stolz und ihr Eigensinn helfen ihr durch die dunkelsten Stunden. Denn nun wird sie kämpfen. Gegen sich selbst. Um Ava. Um die Liebe. Und um ihr Leben.
Zwei Frauen. Verbunden durch Freundschaft, getrennt durch Verrat. Nur zusammen können sie zu sich selbst finden.

Rezension: 

Nachdem Ava von ihrer Freundin Claire hintergangen wurde und deshalb nicht ihren Plan in die Tat umsetzen konnte, nach Amerika auszuwandern, fängt sie wieder ganz von vorn an. Sie arbeitet weiterhin unermüdlich in der Auswandererstadt und versorgt die Ausreisewilligen auf ihrer letzten Station auf dem Weg nach Übersee in der Hoffnung auf ein besseres Leben in der Neuen Welt. Trotz allem was ihr Claire angetan hat, sorgt sie sich um ihre Freundin, von der es kein Lebenszeichen gibt.
Claire wurde die Einreise nach Amerika verwehrt und kehrt schwer gezeichnet nach Hamburg zurück. Enttäuscht von ihrem Geliebten Magnus und verängstigt von dem vertrauten Arzt ihrer Mutter, der sie in eine psychiatrische Einrichtung einweisen möchte, weiß sie nicht, was sie dort erwarten wird.

"Das Tor zur Welt: Hoffnung" ist der zweite Band der "Auswandererstadt"-Dilogie um die beiden unterschiedlichen Frauen Ava de Buur und Claire Conrad, die im ersten Band in der Auswandererstadt zu Freundinnen wurden. Nachdem der erste Teil mit fiesen Cliffhangern endete, setzt der zweite Teil die Handlung nahtlos fort. Neben dem Treiben in Hamburg im Jahr 1912, gibt es Rückblenden in das späte 19. Jahrhundert aus dem ländlichen Raum und einen spannenden Erzählstrang auf dem Auswandererschiff "Imperator".
Nicht nur der Wechsel der Zeitstränge, auch der stetige und schnelle Wechsel der Perspektiven erfordert die Aufmerksamkeit des Lesers. Im Gegensatz zum Klappentext, der rein auf Ava und Claire abzielt, wird die Geschichte aus vielen verschiedenen Sichten von Personen erzählt, die man überwiegend schon aus dem ersten Band kennt.
Die Erzählung ist dadurch abwechslungsreich und lebendig. Die Gefühlswelten der Charaktere, die alle mit den schweren Umständen der damaligen Zeit zu kämpfen haben, sind eindringlich und nachvollziehbar geschildert. Es fällt leicht sich in jede Figur, die alle Ecken und Kanten haben und nicht ausschließlich gut oder böse sind, hineinzuversetzen. Zudem wird der Zeitgeist so authentisch dargestellt, dass man sich unmittelbar über hundert Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt fühlt.

Die Schicksale, nicht nur von Ava und Claire, die nicht allein im Mittelpunkt der Handlung stehen, bewegen. Armut, Krankheit, der Traum von einem sorgenfreieren Leben, die Unterschiede zwischen Arm und Reich und die Suche nach Liebe und Glück sind wie schon im ersten Band zentrale Themen und werden durch Lügen und Intrigen packend in Szene gesetzt. 
Dramatisch und spannend bleibt, wie viel Freundschaft alles ertragen kann, ob Ava und Claire wieder zu einander finden können und wo und mit wem sie letztlich ihr Glück finden werden. 
Der Abschluss der Dilogie klärt alle noch offenen Fragen des ersten Bandes und ist ein facettenreicher historischer Roman mit Romantik- und Krimielementen, der nicht nur mit zwei spannenden Frauenschicksalen sondern auch mit einer bildhaften Sprache überzeugt, die die Geschichte, ihre Handlungsorte und Charaktere greifbar machen. 

Montag, 17. Oktober 2022

Buchrezension: Karin Slaughter - Pretty Girls

Inhalt

März 1991. Nach einer Party kehrt die 19-jährige Julia nicht nach Hause zurück. Die eher halbherzig geführten Ermittlungen laufen ins Leere. Eine Leiche wird nie gefunden. Weder die Eltern noch die beiden Schwestern der Vermissten werden je mit dem Verlust fertig.
Vierundzwanzig Jahre später erschüttert eine brutale Mordserie den amerikanischen Bundesstaat Georgia. Und die frisch verwitwete Claire ist vollkommen verstört, als sie im Nachlass ihres verstorbenen Mannes brutales Filmmaterial findet, in dem Menschen ganz offensichtlich vor der Kamera auf grausame Weise ermordet werden. Eines der Opfer glaubt sie zu erkennen. Doch was hatte ihr verstorbener Mann damit zu tun? Wer war der Mensch wirklich, den sie über zwanzig Jahre zu kennen glaubte? Claire begibt sich auf eine lebensgefährliche Spurensuche, die sie immer dichter an eine unfassbare Wahrheit führt. Und an den eigenen Abgrund. 

Rezension: 

Am 4. März 1991 verschwindet die 19-jährige Julia spurlos, die Ermittlungen bleiben ergebnislos, eine Leiche wird nicht gefunden. Weder die Eltern noch die beiden Schwestern Lydia und Claire haben den Verlust verkraftet. Die Familie zerbrach an der Tragödie. 
24 Jahre später wird der Ehemann Paul von Claire vor ihren Augen brutal ermordet. Nach der Beerdigung und einem Einbruch in ihrem Haus findet Claire verstörende Videos, Snuff-Pornos, auf einer externen Festplatte in Pauls Garage. Entsetzt übergibt Claire das Videomaterial der Polizei, die ihr versichert, dass die Filme nicht echt sind. Claire wendet sich hilfesuchend an ihre Schwester Lydia, die vor 18 Jahren behauptet hatte, Paul hätte versucht, sie zu vergewaltigen. Zusammen versuchen sie zu recherchieren, wer Paul wirklich war und was er mit den Morden vor laufender Kamera zu tun gehabt haben könnte. Was sie dann - ohne Vertrauen auf Polizei und FBI entdecken, führt sie noch weiter zurück in die Vergangenheit. 

"Pretty Girls" ist in der Gegenwart abwechselnd aus der Perspektive von Lydia und Claire geschrieben, die beide noch als Erwachsene vom Verlust ihrer Schwester Julia traumatisiert sind. Eine dritte Sicht ist die des Vaters Sam, der sich in der Vergangenheit an seine vermisste Tochter richtet. 

Es ist ein Thriller, der viele brutale und widerliche Szenen enthält, die so explizit nicht unbedingt nötig gewesen wären. 
Das Buch beginnt spannend mit dem Mord an Claires Ehemann und dem anschließenden Fund der gewalttätigen Videos. Die Aufklärung, wie Paul damit in Zusammenhang steht, verläuft jedoch sehr zäh. Die Charaktere und ihre Motivation - egal ob von staatlicher Seite, von Opfer oder Täter - sind sehr undurchsichtig. Die Geschichte kommt trotz des vielversprechenden Szenarios nicht in Fahrt und langweilt durch Wiederholungen und Szenen, in denen zu wenig passiert. Einige Details, vom plötzlichen Auftreten der Mutter über das problemlose Knacken von Passwörtern durch die bisher eher naive Claire bis hin zu ihrem Alleingang in der Aufklärung einer jahrzehntelangen Mordserie wirkten arg konstruiert. Dazu kommt, dass es - wie so häufig in Thrillern - keinen sympathischen Protagonisten gibt, mit dem man mitfühlen könnte. 
"Pretty Girls" war mir nach einem packenden Einstieg zu verwirrend, nicht plausibel und vor allem zu spannungsarm. 

Samstag, 15. Oktober 2022

Buchrezension: Eric Berg - Das Nebelhaus

Inhalt:

Seit Jahren haben die Studienfreunde Timo, Philipp, Yasmin und Leonie sich aus den Augen verloren. Als sie sich im Internet wiederbegegnen, verabreden sie sich für ein Wiedersehen auf Hiddensee. Doch das Treffen endet in einem grauenvollen Verbrechen: In einer stürmischen Septembernacht werden drei Menschen erschossen, eine Frau wird schwer verletzt und fällt ins Koma.
Zwei Jahre nach dem Massaker beginnt die Journalistin Doro Kagel, den Fall neu aufzurollen. Nach und nach kommt sie den tatsächlichen Geschehnissen jener Nacht auf die Spur und bald keimt in ihr ein schrecklicher Verdacht auf. 

Rezension:

Während der "Blutnacht auf Hiddensee" sind drei Menschen getötet worden, die mutmaßliche Täterin liegt noch nach zwei Jahren schwer verletzt im Koma. 
Die Journalistin Doro Kagel hat den Auftrag erhalten anlässlich des zweijährigen Jubiläums der Amoktat zu berichten. Sie nimmt deshalb Kontakt mit den Angehörigen der Opfer auf, um die Hintergründe der Tat zu erhellen, denn das Motiv ist unklar und die Komapatientin wird allein aufgrund von Indizien als Täterin beschuldigt. 

"Das Nebelhaus" ist der Auftakt einer Krimireihe um die Berliner Journalistin Doro Kagel. Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen und schildert in der Gegenwart die Recherchen der Journalistin, während in Rückblenden die Ereignisse vor der Blutnacht im September 2010 erzählt werden. 
Der Architekt Philipp Lothringer hat Freunde aus seiner Jugend, zu denen der Kontakt eingeschlafen seit fünfzehn Jahren eingeschlafen ist, in sein Haus nach Hiddensee eingeladen. Mit dabei ist der brotlose Autor Timo, die psychisch labile Kindergärtnerin Leonie und die alternative Esoterikerin Yasmin. Warum sie sich überhaupt und ausgerechnet jetzt auf Hiddensee treffen möchten, bleibt offen. Die Stimmung untereinander ist wenig herzlich und geradezu angespannt. Timo hat ein Auge auf die frustrierte Ehefrau von Philipp geworfen und Leonie macht alle wegen ihrer Waffe nervös, die sie seit einem Überfall in ihrer Handtasche bei sich trägt. 

Offen bleibt ungewöhnlich lange, wer die Blutnacht überlebt hat. Als Opfer ist zunächst nur die kambodschanische Hausangestellte Nian Nan bekannt. Diese Aussparung sowie die Zweifel an der Schuld von Leonie, die sich aufdrängen, sorgen für eine gewisse Grundspannung. 
Wenig authentisch wirken hingegen die Charaktere und ihre Handlungen. Die Freunde sind schon fast slapstickartig stereotyp gezeichnet und auch die Hauptfigur Doro Kagel wirkt reichlich seltsam. Ähnlich wie viele Kriminalkommissare in Büchern hat auch sie ein Päckchen aus der Vergangenheit zu tragen. Den Verlust, den sie erleiden musste, erscheint jedoch nach dreißig Jahren als zu präsent. Zudem erschließt sich nicht ganz, warum sie eigentlich gar nicht über den Amoklauf schreiben möchte, obwohl sie als Journalistin auf derart heikle und brutale Themen spezialisiert ist. 
So wundert man sich auf beiden Handlungsebenen über zahlreiche Ungereimtheiten, Widersprüche und eigenartige Verhaltensweisen der beteiligten Personen, was das Lesevergnügen trübt und die Morde in den Hintergrund rücken lässt. Auch die künstlichen und hölzernen Dialoge lenken ungut vom eigentlichen Geschehen ab. 

Die Auflösung des Mordfalls ist so enttäuschend wie die Zeichnung der Charaktere. Die Aufklärung ist überraschend, aber nur weil sie arg konstruiert ist und sich nicht wirklich schlüssig aus der Handlung heraus ergibt. 
Die Hauptfigur Doro Kagel kann zudem weder mit einer sympathischen Persönlichkeit noch mit Empathie, einer Entschlossenheit oder einer raffinierten Arbeitsweise überzeugen und ist las Journalistin schlicht unglaubwürdig, weshalb ich diese Buchreihe nicht weiter verfolgen werde. 

Freitag, 14. Oktober 2022

Buchrezension: Miriam Covi - Sehnsucht nach Whale Island (Whale-Island-Reihe, Band 3)

Inhalt:

Bloggerin Viola lebt jeden Tag als könnte es ihr letzter sein – schließlich hat in ihrer Familie noch keine Frau ihren 35. Geburtstag gefeiert. Während einer Rucksacktour durch Kanada hat sie einen Unfall. Doch als sie im Krankenhaus erwacht, ist sie 35 und die Zukunft liegt plötzlich vor ihr. Krankenschwester Skye Cameron lädt sie ein, sich bei ihr auf Whale Island zu erholen. In Skyes Haus lebt seit Kurzem auch ihr jüngster Bruder, der Schriftsteller Glenn. Noch nie hat sich Viola bei jemandem so wohl gefühlt wie bei dem schüchternen, aber attraktiven Glenn. Sie kann sich bald gar nicht mehr vorstellen, die Insel zu verlassen. Doch ist der Familienfluch wirklich gebrochen? Viola ahnt nicht, dass die Lösung auf der Insel selbst zu finden ist. 

Rezension: 

Die deutsche Weltenbummlerin Viola reist allein durch Kanada und wird auf ihrer letzten Etappe von einem Elch gestoppt. Bei dem Ausweichmanöver ins Unterholz kommt sie widererwarten glimpflich davon, denn eigentlich hatte Viola nicht damit gerechnet, das 35. Lebensjahr zu erreichen. Die letzten Generationen der Frauen ihrer Familie sind alle im Alter von 34 Jahren gestorben und auch Viola hat eine Wahrsagerin vor Jahren prophezeit, dass sie das Schicksal ihrer Vorfahrinnen teilen würde. Aus diesem Grund hat sich Viola nie Gedanken um eine ferne Zukunft gemacht, keine Ausbildung abgeschlossen und keine Liebe zugelassen. 
In Kanada beginnt ihr Leben neu und so nimmt sie gern das Angebot der sympathischen Krankenschwester Skye an, sich auf Whale Island zu erholen, wo Violas Reise ursprünglich enden sollte. So lernt sie auch Skyes jüngeren Bruder Glenn näher kennen, der mit seinem erfolglosen Schriftstellerdasein hadert. Viola fühlt sich zu dem unnahbaren Mann hingezogen und findet bald noch einen weiteren Grund, der sie überlegen lässt, auf Whale Island zu bleiben. 

"Sehnsucht nach Whale Island" ist der dritte Band der Whale Island-Trilogie um die drei Brüder Duncan, Aidan und Glenn Cameron, deren Eltern ein Ferienresort auf Whale Island führen. 

Das Setting auf der fiktiven Insel bei Nova Scotia ist erneut malerisch beschrieben. Es wird bald Herbst auf Whale Island und man kann sich bildhaft vorstellen, wie sich die Ahornblätter allmählich verfärben und wie sich immer wieder die Wale vor der Insel im rauen Nordatlantik zeigen. 

Wie alle Bände zuvor handelt es sich bei dem dritten Teil um eine Liebesgeschichte und es scheint so, als würde auch Glenn Cameron wie schon seine Brüder zuvor die Liebe bei einer Deutschen finden. Bis zum erwarteten Happy End muss jedoch so manche Hürde genommen werden, denn Viola geht davon aus, dass der sensible Glenn homosexuell ist und malt sich deshalb keine Chancen bei ihm aus. Beiden fällt es schwer, sich ihre Gefühle einzustehen und offen zu zeigen. Insbesondere Viola leidet aufgrund der Erfahrungen ihrer Mutter unter Verlust- und Bindungsängsten. 
Weitaus spannender ist Violas Familiengeschichte, die sie unerwartet auf Whale Island ergründen kann. Auch wenn hier der Zufall eine sehr große Rolle spielt, passt die Entwicklung der Geschichte zu den Vorgängerbänden, denn auch dort schwang stets ein Hauch Magie durch die Vorhersagen der fahrenden Bibliothekarin Rae MacLaughlin mit. 
Glenns Perspektive wird in weniger Kapiteln geschildert, aber dennoch erfährt man einiges über sein Leben und was ihn bislang daran gehindert hat, auf Whale Island Fuß zu fassen. Durch Viola, die in gewisser Weise zu seiner Muse mutiert, ändert sich seine Sichtweise und Konflikte beginnen sich zu lösen. 
Überhaupt ist das herzliche Wiedersehen mit den bekannten Protagonisten schön, denn diese werden mit mehr oder weniger großen Anteilen gelungen mit dem Plot um Viola verbunden. Etwas anstrengend ist am Ende jedoch die Vielzahl an verliebten Pärchen, die sich mit heftiger Knutscherei und anzüglichen Bemerkungen wie Teenager verhalten und kaum noch aus den Betten (oder wahlweise anderen Örtlichkeiten) zu kommen scheinen.  

"Sehnsucht nach Whale Island" ist eine romantische Geschichte mit Familiengeheimnissen, die herzerwärmend geschrieben ist. Es ist vergleichbar mit den ersten beiden Romanen der Buchreihe eine Geschichte, die zum Träumen von einer Insel mit unberührter Natur einlädt und die erneut zeigt, dass Zuhause da ist, wo das Herz ist, dass Neuanfänge möglich sind und dass es sich lohnt, mutig zu sein und sich für die Liebe zu öffnen. 

Mittwoch, 12. Oktober 2022

Buchrezension: Emily Stone - Für immer im Dezember

Inhalt:

Jedes Jahr im Dezember sendet Josie einen Brief an ihre geliebten Eltern, die sie vor vielen Jahren in einer Weihnachtsnacht auf tragische Weise verloren hat. Jedes Jahr erinnert sie das Fest der Liebe an ihren Verlust – und die Menschen, die sie so schmerzlich vermisst. Nur dieses Jahr soll alles anders werden. Denn kurz vor Weihnachten begegnet Josie einem Mann. Einem Mann, mit dem sie fünf wunderschöne Tage in London verbringt: In der Stadt, die im Dezember schöner strahlt als alle anderen. Und es scheint fast unmöglich, sich nicht zu verlieben. Doch gerade als Josie glaubt, dass es das beste Weihnachtsfest aller Zeiten werden könnte, verlässt Max sie, ohne sich von ihr zu verabschieden.

Rezension: 

Josie freut sich nicht auf Weihnachten, denn an Heiligabend, als sie neun Jahre alt war, sind ihre Eltern bei einem Unfall ums Leben gekommen. Wie jedes Jahr schreibt sie ihnen einen Brief, wie sehr sie sie vermisst und stößt auf dem Weg zum Briefkasten mit einem Mann zusammen. Als Entschuldigung lädt sie ihn in den Pub ein und wie es sich ergibt, verbringen sie die nächsten Tage gemeinsam in London, denn Max kann seinen Flug zu seinen Eltern nach New York wegen der Wetterlage nicht antreten. Josie hat sich gerade von ihrem Freund getrennt, der sie betrogen hat und zudem ihren Job verloren, weshalb sie gerne die Zeit mit dem smarten Fremden verbringt, auch um sich von ihrer alljährlichen Traurigkeit abzulenken. Sie beginnt sich in Max zu verlieben, doch am Zweiten Weihnachtsfeiertag ist er verschwunden und hinterlässt nur einen wenig aufschlussreichen Abschiedsbrief. 
Die Trennung ist jedoch nicht endgültig, denn im Verlauf des Jahres begegnen sie sich durch ungeahnte Zufälle mehrmals wieder. Max bleibt jedoch eine Erklärung schuldig, bis das nächste Weihnachtsfest bevorsteht und Josie nötiger als zuvor einen Freund gebrauchen kann. 

"Für immer im Dezember" beginnt mit einer stimmungsvoll winterlich-weihnachtlichen Liebesgeschichte, als sich Josie und Max kennenlernen und die kurze gemeinsame Zeit in London auf einem Weihnachtsmarkt, mit Schlittschuhlaufen, Geschenke kaufen und dem Besuch einer Weihnachtsfeier verbringen. Die Handlung des Romans umfasst jedoch mehr als ein Jahr, so dass das Buch kein ausschließlicher Weihnachtsroman ist und nicht nur am Ende eines Jahres passend zu lesen ist. 

Es ist eine lebendige und abwechslungsreiche Geschichte, die die/ den Leser*in neben London an verschiedene Orte wie New York, Edinburgh oder in ländliche Gegenden Englands bringt. Die Haupt- und Nebenfiguren wirken authentisch und sind individuell gezeichnet. Josie ist ein liebenswerter Charakter, der eine Traurigkeit in sich trägt, aber im Verlauf des Romans offenherziger und mutiger wird und feststellt, dass sie stärker ist, als sie denkt. 

"Für immer im Dezember" ist eine bittersüße Geschichte mit humorvollen, aber auch berührenden und gar herzzerreißenden Momenten, die von Familie, Freundschaft und Liebe handelt. Es ist ein Roman voller Emotionen und durch die Passagen, die Josie und Max getrennt voneinander verbringen, nicht ausschließlich eine romantische Geschichte, sondern behandelt auch Themen wie Trauer und Selbstverwirklichung. Die Spannung, was Max daran hindert mit Josie glücklich zu werden, bleibt dabei bis zum Schluss und ergreifenden Ende aufrecht erhalten. 

Montag, 10. Oktober 2022

Buchrezension: Ruth Druart - Élises Geheimnis

Inhalt:

Bretagne, 1963. Die achtzehnjährige Joséphine sucht in einem alten Koffer ihrer Mutter Élise nach ihrer Geburtsurkunde. Was sie entdeckt, erschüttert sie zutiefst: Jahrelang hat ihre Mutter ein Geheimnis gehütet und ihr die Identität ihres Vaters verschwiegen. Entschlossen, die Wahrheit herauszufinden, reist Joséphine nach Paris zur Schwester ihrer Mutter. Nach und nach erfährt sie dort die Geschichte einer jungen Frau, die sich in Gefahr befand. Sie erfährt von einer verbotenen Liebe in den Wirren des Zweiten Weltkriegs. Von den letzten gestohlenen Stunden vor der Befreiung. Und von den geflüsterten Worten eines schockierenden Verrats, der das Leben zweier Menschen unwiderruflich verändern sollte. 

Rezension: 

1944 ist Paris von den Deutschen besetzt, doch die Alliierten sind zur Befreiung bereits auf dem Vormarsch. Élise Chevalier lebt dort zusammen mit ihrer Mutter und ihrer kleinen Schwester Isabelle, während ihr Vater als Zwangsarbeiter in Deutschland ist. Élise arbeitet bei einer Bank und kümmert sich in ihrer Freizeit um jüdische Kinder in einem Waisenhaus. Heimlich sorgt sie dafür, dass einige von ihnen über die Grenze in die Schweiz gebracht werden, um sie vor deutscher "Umsiedlung" zu retten. 
Sebastian Kleinhaus ist als Soldat der Wehrmacht in Paris stationiert und arbeitet als Sohn einer französischen Mutter als Übersetzer, kann sich mit seiner Rolle als "boche" jedoch nicht abfinden. Durch die Übersetzung sogenannter Denunziantenbriefe erfährt er, dass das Waisenhaus argwöhnisch beobachtet wird. In einer Buchhandlung, wo Sebastian in seiner Einsamkeit Zuflucht findet, lernt er Élise kennen. Nach anfänglicher Abneigung Élises, die eine nachvollziehbare Wut auf die feindlichen Besatzer hat, verlieben sich die beiden ineinander. Doch ihre Liebe darf nicht sein und bringt sie in Gefahr. Sie werden verraten und getrennt und leben Jahre in der Ungewissheit, was aus dem jeweils anderen geworden ist. 
Erst als Élises Tochter Joséphine im Jahr 1963 herausfindet, wer ihr Vater ist, macht sie sich ihrer Identität beraubt auf die Suche und deckt einen verzweifelten Verrat auf, der ihre Leben veränderte.  

"Élises Geheimnis" ist ein historischer Roman, der auf zwei Zeitebenen handelt und wechselnd aus den Perspektiven von Élise, Sebastian und Joséphine geschildert ist. Es ist eine Liebes- und Familiengeschichte, die sich dem Leser peu à peu in ihrer Dramatik offenbart. 

Die Zeit des Zweiten Weltkrieges und unmittelbar danach ist anschaulich geschildert. Die Situation im von deutschen Soldaten besetzten Paris ist angespannt und von gegenseitiger Abneigung geprägt. Mutige Franzosen leisten Widerstand, die Mehrheit passt sich schicksalsergeben den Umständen an, andere kollaborieren mit den Deutschen. Scham, Wut und der Wunsch nach Vergeltung ist allgegenwärtig, insbesondere als sich das Blatt wendet und Paris befreit ist. 
Mit allen drei Gefühlsregungen müssen Élise und Sebastian umgehen, die von Freiheit und Zweisamkeit träumen. Die Entwicklung ihrer Liebesbeziehung ist allerdings sehr verkürzt und übereilt geschildert und bewegt deshalb nicht so sehr, wie es aufgrund der Situation möglich gewesen wäre. Auch so manche Verhaltensweise der Charaktere wirkt aufgesetzt und wenig authentisch. Wesentliche Handlungen, die sich im Nachhinein offenbaren, erscheinen in Teilen wirklichkeitsfremd. So ist die Geschichte, die durch den Krieg bereits von Gewalt und Leid geprägt ist, von enormer Dramatik gekennzeichnet. 
Der Erzählstrang im Jahr 1963 enthüllt schmerzhafte Wahrheiten, ist jedoch im Vergleich zu den Kriegs- und Nachkriegsjahren leicht geschildert, denn die verheerenden Tatsachen werden fast wie von selbst offenbart und fehlende Puzzlestücke nach all den Jahren mühelos zusammengesetzt. 
Durch den Wechsel der Zeitebenen, Schauplätze und Perspektiven sowie spannender Wendungen ist der Roman abwechslungsreich und kurzweilig. Zu viele Schicksalsschläge, die die Geschichte überfrachten, verhindern jedoch eine tiefergehende Problembewältigung und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. 
Es ist eine Geschichte über Liebe und Krieg, Geheimnisse, Lügen, Verrat und Vergebung, die dramatisch und einnehmend geschildert ist, jedoch an mancher Stelle dramaturgisch übertrieben wirkt, zu oberflächlich bleibt und mir deshalb weniger gut gefallen hat als "Ein neuer Morgen für Samuel". 

Samstag, 8. Oktober 2022

Buchrezension: Dani Atkins - Sechs Tage zwischen dir und mir

Inhalt:

Was tust du, wenn der Mann, den du über alles liebst, am Tag eurer Hochzeit einfach nicht auftaucht?
Nicht nur vor dem Traualtar wartet Gemma vergeblich auf Finn, auch in den Tagen danach bleibt ihr Verlobter verschwunden, ohne Erklärung, ohne eine Nachricht. Gemma hat nicht die leiseste Idee, was geschehen sein könnte – bis sie feststellt, dass Finns Pass, ein paar Kleidungsstücke und sein Geld von ihrem gemeinsamen Konto fehlen. 
Kann sie sich so sehr in ihm getäuscht haben? Ihr Herz kennt die Wahrheit, aber Gemma ahnt nicht, dass ihr nur sechs Tage bleiben, um die Liebe ihres Lebens zu retten oder für immer loszulassen. 

Rezension: 

Die Journalistin Gemma Fletcher und der erfolgreiche Autor und gebürtige Australier Finn Douglas sind seit anderthalb Jahren ein Paar und möchten heiraten - doch Finn erscheint widererwarten nicht vor dem Traualter und ist nicht zu erreichen. Gemma ist überzeugt davon, dass etwas passiert sein muss und Finn sie nicht einfach ohne ein Wort verlassen würde. Doch als die Polizei ihre Sorgen abtut und Gemma feststellt, dass Finn all seine persönlichen Sachen gepackt hat, kommen ihr Zweifel an einer vermeintlich simplen Erklärung oder einer einfachen Torschlusspanik vor der Hochzeit. Sechs Tage sucht Gemma nach ihrem Verlobten, druckt sogar Vermisstenanzeigen, auch wenn sie niemand dabei unterstützt oder gar Verständnis für sie aufbringt.  

Während Gemma in der Gegenwart entschlossen nach Finn sucht, erfährt man in Rückblenden mehr über ihr Kennenlernen vor sieben Jahren und die Entwicklung ihrer Liebesbeziehung, die nicht ganz geradlinig verlief.
Alternierend zwischen gegenwärtiger Suche und vergangener Episoden lernt man nicht nur Gemma, sondern auch Finn besser kennen und beginnt im Verlauf der Handlung selbst in Zweifel zu ziehen, dass Finn seine Verlobte plump vor dem Traualtar stehen lassen würde, aber dass es Gründe geben könnte, die nur ihm einleuchten.
Die Liebe der beiden ist nach einem unglücklichen Start zu spüren, wobei man lange darauf hinfiebern muss, dass Gemma und Finn endlich fest zusammen kommen. Ihre ungewöhnliche Beziehungsgeschichte ist damit mindestens so spannend geschildert wie die Suche nach Finn und dem Grund für sein Verschwinden.
Während man wegen einiger Ungereimtheiten Bindungsängste oder Finns tragische Kindheit für einen Rückzieher in Betracht zieht, zeigen doch die romantischen Dates und Gemmas unbedingten Glauben an Finn, wie tief die Liebe der beiden ist.

"Sechs Tage zwischen dir und mir" ist eine fesselnde Liebesgeschichte, die Spannung und Romantik perfekt miteinander verknüpft. Die Charaktere und ihr Handeln sind glaubwürdig geschildert und ihre widerstreitenden Gefühle nachvollziehbar. Neben dem Auf und Ab an Emotionen, ist die Geschichte zudem abwechslungsreich und durch den Humor, der vor allem in den Dialogen in unbeschwerteren Zeiten immer wieder durchblitzt, nicht allein tragisch.
Es ist eine lebendige Geschichte über Vertrauen und den Glauben an die Liebe und für mich mit einer der besten Romane von Dani Atkins. 


Freitag, 7. Oktober 2022

Buchrezension: Holly Miller - Zwei Leben mit dir

Inhalt:

Lucy hat gerade ihren Job bei einer Werbeagentur hingeschmissen, als das Leben ihr zwei schicksalshafte Begegnungen beschert: In einer Bar trifft sie auf den charmanten Fotografen Caleb, zudem sie sofort eine besondere Verbindung spürt. Zudem läuft sie – noch in derselben Nacht – ihrer einstigen großen Liebe Max in die Arme, und alte Gefühle entfachen.
Was soll Lucy nun tun? In ihrer Heimat, dem Küstenörtchen Shoreley bleiben, um Caleb näher kennenzulernen? Oder Max nach London folgen, um herauszufinden, ob es nicht doch noch eine zweite Chance für sie gibt?
Hier entlang oder dort? Eine große Entscheidung. Aber was wäre, wenn man beide Wege gehen könnte? 

Rezension: 

Als Lucy Lambert gerade ihren unliebsamen Job in einer Werbeagentur gekündigt hat, lernt sie abends in einer Bar Caleb, einen lokalen Fotografen aus ihrer Küstenstadt, kennen. Bevor sie ein intensiveres Gespräch führen können, begegnet ihr Max, ihre große Liebe, die sie vor zehn Jahren aus heiterem Himmel verlassen hatte und inzwischen Immobilienanwalt in London ist. 
Lucy steht beruflich als auch privat vor einem Scheideweg: Soll sie in Shoreley bleiben und versuchen, ihren Traum als Schriftstellerin zu verwirklichen und damit Caleb eine Chance geben? Oder soll sie weiterhin als Werbetexterin arbeiten und versuchen, in der renommierten Werbeagentur Supernova in London eine Anstellung zu finden und damit auch Max nach London folgen? 

In dem Roman werden beide Wege aufgezeigt. Lucy wird einmal ihren Weg in Shoreley gehen, das Risiko aufnehmen, mit ihrem Roman zu scheitern und mit Caleb einen neuen Mann an ihre Seite lassen. In einem zweiten Erzählstrang zieht Lucy in eine WG zu ihrer Freundin Jools nach London, ergreift den anstrengenden Job in der Werbeagentur und gibt Max eine zweite Chance, mit der Angst behaftet, dass er sie erneut verlassen könnte. 

Beide Geschichten sind zunächst etwas vorhersehbar und belanglos, bevor erste Schwierigkeiten auftreten und Lucy in beiden Alternativen zu zweifeln beginnt. Caleb ist ein Romantiker, der liebevoll frischen Wind in ihr Leben bringt und an ihr Talent als Schriftstellerin glaubt, aber er hat eine bewegte Vergangenheit, die Lucy zutiefst verunsichert. 
Max hat sich verändert, ist erwachsen geworden und führt ein gut situiertes Leben in London. Die alten Gefühle zwischen beiden sind wieder da, aber Lucy kann die Vergangenheit nicht hinter sich lassen und als sie den Grund für ihr damaliges Liebesaus erfährt, wird sie in ihren Grundfesten erschüttert. 
Interessanter werden beide Geschichten, als es Parallelen gibt und immer wieder die Frage aufkommt, wie viel im Leben wir selbst entscheiden können und wie viel Schicksal ist. Kann man seinem vorgezeichneten Leben tatsächlich entgehen oder führen unterschiedliche Wege unweigerlich in dieselbe Richtung? Gibt es ein Richtig und ein Falsch? Und gibt es einen Seelenverwandten, wie Lucy prophezeit wurde? Und wer ist es in ihrem Fall: die alte, bekannte Liebe oder die neue, unbekannte Liebe - beide mit unterschiedlichen Risiken behaftet? 

Da sich beide Handlungsstränge in ihren Grundzügen unterscheiden, ist es nicht schwierig, die parallelen Leben von Lucy auseinanderzuhalten. Sie selbst ist jedoch stets dieselbe Figur, was die Geschichte authentisch macht. In ihren beiden Leben lässt sich Lucy leicht verunsichern und stellt ihre Entscheidungen und die Menschen, die sie liebt, in Frage. Es fällt ihr schwer, Vertrauen zu fassen, was sich durch ihre Erlebnisse in der Vergangenheit begründen lässt, die sich erst allmählich offenbaren. Überzeichnet ist jedoch, wie überaus dramatisch Lucy auch nur auf Kleinigkeiten reagiert. Die Stimmung des Buches ist deshalb nicht unbeschwert romantisch, sondern geradezu bedrückend melancholisch. Es fehlt das Gefühl, dass Lucy in einem ihrer Leben wirklich ihr Glück gefunden hat. 

"Zwei Leben mit dir" ist ein Buch über die Frage "Was wäre, wenn...?" Das Ende lässt Interpretationsspielraum zu, aber betrachtet man den Titel "Zwei Leben mit dir", ist offensichtlich in welche Richtung die Autorin die/den Leser*in lenken möchte. 
Es ist eine Liebesgeschichte, die spannende Fragen aufwirft und nachdenklich stimmt, ob der Zufall oder das Schicksal das Leben bestimmt und ob unsere Entscheidungen überhaupt etwas ändern können. 

Mittwoch, 5. Oktober 2022

Buchrezension: Celeste Ng - Unsre verschwundenen Herzen

Inhalt:

Der zwölfjährige Bird lebt mit seinem Vater in Harvard. Seit einem Jahrzehnt wird ihr Leben von Gesetzen bestimmt, die nach Jahren der wirtschaftlichen Instabilität und Gewalt die "amerikanische Kultur" bewahren sollen. Vor allem asiatisch aussehende Menschen werden diskriminiert, ihre Kinder zur Adoption freigegeben. Als Bird einen Brief von seiner Mutter erhält, macht er sich auf die Suche. Er muss verstehen, warum sie ihn verlassen hat. Seine Reise führt ihn zu den Geschichten seiner Kindheit, in Büchereien, die der Hort des Widerstands sind, und zu seiner Mutter. Die Hoffnung auf ein besseres Leben scheint möglich. Eine genauso spannende wie berührende Geschichte über die Liebe in einer von Angst zerfressenen Welt. 

Rezension: 

Bird ist ein zwölfjähriger Junge, der zusammen mit seinem Vater auf dem Campus der Universität Harvard lebt. Seine Mutter, eine Dichterin, ist asiatischer Herkunft und seit drei Jahren verschwunden. Bird selbst wird aufgrund seines Aussehens argwöhnisch betrachtet und begreift erst nach und nach, was der Hintergrund dafür ist. 
Vor zehn Jahren wurde das Land von einer nationalen Krise erschüttert, weshalb ein neues Gesetz - PACT = Preserving American Culture and Traditions - ein Gesetz zur Wahrung der amerikanischen Kultur erlassen wurde. Dies sollte vor allem den negativen Einfluss aus China zurückdrängen. Personen asiatischer Herkunft haben deshalb mit enormen Vorurteilen und Diskriminierung zu kämpfen, werden als unamerikanisch und illoyal betrachtet. Als Mittel der Bestrafung, um die Menschen mundtot zu machen, wird ihnen das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen. Die Kinder werden meilenweit entfernt in Pflegefamilien untergebracht. 
Bird hat gelernt, dass er nicht auffallen darf und dass er seine Mutter und ihre Lyrik verleugnen muss, um keinen Ärger zu provozieren. Dennoch macht er sich auf die Suche nach ihr, denn sie hat ihm eine Botschaft hinterlassen, wo er sie finden kann. 

Der Roman ist zunächst aus der Sichtweise des 12-jährigen Jungen Bird geschrieben, bevor die Perspektive auf seine Mutter Margaret Mui wechselt. Bird ist ein Außenseiter, der seine Mutter vermisst und sie wiederfinden möchte. Auf seiner Suche nach ihr gelangt er an eine Bibliothekarin und lernt ein raffiniertes Netzwerk für Botschaften kennen, wodurch er zu seiner Mutter gelangt. Auf seine Nachfragen erzählt sie ihm von der Zeit der Krise und was sie bewogen hat, die Familie zu verlassen. Auslöser ist eine ihrer Gedichtzeilen "Unsre verschwunden Herzen", die viral ging. 

Es ist eine traurige Familiengeschichte, die in dem dystopischen Amerika beispielhaft für viele Familien asiatischer Wurzeln steht, die auseinandergerissen werden. Es ist eine Zeit der Angst, in der ein übersteigerter Patriotismus und Nationalismus herrscht und in der Menschen asiatischer Herkunft stigmatisiert und diskriminiert werden. Die Menschen stehen unter Beobachtung, werden indoktriniert und für angeblich unpatriotisches Verhalten und antiamerikanisches Gedankengut bestraft. Zensur und die Unterdrückung selbst friedlicher Proteste sind an der Tagesordnung. 

Es ist ein erschreckendes Szenario, das skizziert wird, und an den Holocaust und die Verfolgung jüdischer Menschen erinnert, die als Sündenbock herhalten mussten. Beängstigend ist zudem, dass diese Herabwürdigung und Verfolgung anderer Menschen aus einer Krise heraus entstanden ist, was die Geschichte aktuell und real macht und deshalb als Warnung verstanden werden kann. 

Da die Krise und ihre Folgen überwiegend in Rückblenden erzählt werden, ist der Roman im Vergleich zu einer lebendigen Erzählweise nicht so fesselnd und emotional und schöpft nicht das volle Potenzial der Geschichte aus. 
Das Buch ist stark von Themen wie Unterdrückung, Ungerechtigkeit, Rassismus, Willkür und Angst und weniger von einer aktiven Handlung und Charakterentwicklung bestimmt. Auch wenn am Ende ein spannender Abschnitt gesetzt wird und sich der Kreis zwischen Mutter und Kind schließt, fehlt trotz Heldenmuts ein Funken Hoffnung und Aussicht auf Veränderung.