Samstag, 5. November 2016

Buchrezension: Griet Op de Beeck - Komm her und lass dich küssen

Inhalt:

Mona ist neun, als ihre Mutter bei einem Autounfall ums Leben kommt. Fortan kümmert sie sich um den kleinen Bruder und versucht, den Erwachsenen nicht im Weg zu sein. Artig und gleichzeitig unsichtbar sein, lautet ihr Überlebensmotto. Mona ist Mitte zwanzig, als sie die große Liebe trifft. Doch wie tritt man ein fürs eigene Glück? Mona ist Mitte dreißig – und will nun endlich begreifen, wie Leben wirklich geht … Dies ist die Geschichte von Mona, als Kind, als junge Frau, als Erwachsene. Eine Geschichte darüber, wie wir werden, wer wir sind. Über gebrochene Lebensläufe und die Suche nach dem Sinn. Über die Angst vor dem Starksein. Über den Mut, sich allem zum Trotz ins Leben zu stürzen. Und natürlich über die Liebe. Auch zu uns selbst.

Rezension:

Der Roman ist in drei Erzählabschnitte aus der Perspektive von Mona gegliedert. Der erste Teil spielt in den Jahren 1976 bis 1978, als Mona zwischen neun und zwölf Jahren alt ist. Von ihrer kaltherzigen Mutter, die sie schon einmal in den Keller sperrt, erfährt sie keine Liebe. Der Vater flüchtet sich in die Arbeit in seine Zahnarztpraxis und kommt abends oft so spät nach Hause, dass er seine Kinder nicht mehr sieht. Um ihre Eltern zu entlasten, kümmert sich das Mädchen um ihren jüngeren Bruder Alexander, Als ihre Mutter bei einem Verkehrsunfall stirbt, verspürt Mona keine Trauer, sondern vielmehr Erleichterung über den Tod von Agnes.

Der Vater stellt den Kindern nur wenige Monate später eine neue, jüngere Frau und vor, die er bald heiratet. Marie soll Ersatzmutter für seine Kinder sein. Die junge Frau ist zwar liebevoller im Umgang mit den Kindern und sichtlich bemüht, jedoch auch im Umgang mit ihnen überfordert. Als sie selbst Mutter wird, ist es wiederum Mona, die sich um ihre kleine Schwester kümmert, sie wickelt, wäscht und beaufsichtigt. Sie leistet dies alles, als habe sie ein permanentes schlechtes Gewissen - eine unbeschwerte Kindheit kennt Mona nicht.

Der zweite Abschnitt handelt im Jahr 1991. Mona ist inzwischen Dramaturgin beim Theater und lebt mit dem älteren Schriftsteller Louis zusammen. Ihr Bruder heiratet die ebenfalls ältere Charlie, mit der er früh Vater eines Sohnes wird. Stiefmutter Marie ist anstrengend und schafft es mit ihrer fordernden Art sogar ihre Tochter zu vergraulen, die nach der Schule über Jahre nach Südamerika verschwindet.

Sie kehrt erst im dritten Abschnitt im Jahr 2002 zurück, als ihr Vater schwer erkrankt im Krankenhaus liegt. Er ist unheilbar an Darmkrebs erkrankt. Mona verbringt viel Zeit im Krankenhaus, auch wenn es schier unmöglich ist, mit ihrem Vater unter vier Augen zu sprechen, da die sich aufopfernde Marie stets präsent ist.
Beruflich hat Mona Probleme mit ihrem Intendanten, der für Kritik nicht empfänglich ist und gegen den Mona es nicht einmal versucht, sich durchzusetzen. Die Beziehung zu Louis ist auch nicht glücklich. Er ist egozentrisch und interessiert sich nur wenig für Monas Bedürfnisse.

"Komm her und lass dich küssen" ist ein Entwicklungsroman über ein Mädchen bzw. junge Frau, die ein geradezu bedauernswertes Leben führt. Sie ist eine starke Persönlichkeit, die sich allerdings immer hinter die anderen stellt. Sie hat nie gelernt, sich und ihre eigenen Interessen und Wünsche ernst und wichtig zu nehmen. Sie beschwert sich nie und leidet nicht, zeigt geradezu keine Gefühlsregung.

Der erste Abschnitt ist beklemmend, aber authentisch beschrieben. Der Leser kann sich in das kindliche Denken der Neunjährigen wunderbar einfühlen, während Mona als Erwachsene eher distanziert bleibt.
Im dritten und längsten Leseabschnitt zog sich der Roman in die Länge und wurde erst gegen Ende lebendiger, als Mona selbst mehr Initiative ergreift und endlich wagt, Entscheidungen zu treffen, ohne auf alles und jeden Rücksicht zu nehmen.

Der Titel "Komm her und lass dich küssen" ist treffend und schon fast provokant gewählt. Oberflächlich betrachtet ging es Mona schließlich immer gut. Sie wuchs allem Anschein nach behütet in einer Familie auf, in der es materiell an nichts mangelte und auch die Oma und Brüder ihrer Eltern für sie da waren. Tief im Inneren war Mona jedoch ein einsamer, unglücklicher Mensch, der bereits als Kind keine Träume hatte und sich auch später scheinbar vom Leben nichts erwartete. Erst die Erkrankung ihres Vaters scheint sie wachzurütteln, dass das Leben endlich ist und bei seinem Tod kann sie dann auch zum ersten Mal in ihrem Leben weinen.

Die erste deutsche Übersetzung eines Romans von Griet Op de Beeck ist vielleicht keine große Unterhaltung, regt aber zumindest zum Nachdenken über den Sinn des Lebens an.

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